Nach dem (1.) Abstieg des 1. FC Köln

Die Seite wird erstellt Hortensia-Pia Bergmann
 
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Nach dem (1.) Abstieg des 1. FC Köln
Köln ist nicht nur eine katholische Stadt. Nirgends in Deutschland leben mehr
Schiiten, Iraner vor allem. Gemeinsam ist dem Katholizismus und der Schia
neben der ästhetischen Fülle der religiösen Vermittlung insbesondere die
ostentative Form der Trauer, sei es bei Todesfeiern, sei es in den
Bußprozessionen und Passionsspielen, die in beiden Glaubenstraditionen, und
zwar in verblüffender Ähnlichkeit, vorzufinden sind. Der Hang zum
anarchischen Jux, mag ihr Rahmen der Karneval oder die nationalen Volksfeste
und Komödienspektakeln Irans sein, ist nur die andere Seite des Trauerkultes.
In der Anthropologie des Affektes gilt: Niemand versteht exzessiver zu lachen
als die Schmerzbereiten.
Allerdings schien den Kölnern im Ausgang des Mittelalters die Kultur des
Leidens ein wenig abhanden gekommen zu sein. Hier wie im übrigen
Mitteleuropa wurde Trauer „mehr als alles andere verschandelt, bewußt zur
gesellschaftlichen Formalität gemacht“, wurde sie „zum Wundmal der
Zivilisation, zur asozialen Sentimentalität“, wie Horkheimer und Adorno einst
schrieben; „jenes Mädchen, das stolz das Begräbnis erster Klasse der
Großmutter beschrieb und hinzufügte: ´a pity that daddy lost control`, weil
dieser ein paar Tränen vergoß, drückt genau die Sachlage aus“. Spätestens mit
dem Durchmarsch der Kulturindustrie hat das karnevalistische Prinzip
triumphiert, wenngleich die Fröhlichkeit, wie sie RTL von Prunksitzungen
überträgt, folgerichtig wohltemperiert wirkt - Witzparaden noch unter dem
Niveau deutscher Fernsehunterhaltung, militärisch straff durchorganisiert. Aus
Jux wurde das „Stahlbad des funs“.
Eine umgekehrte Entwicklung hat die Islamische Revolution in Iran
hervorgerufen, indem sie die gewohnte Dialektik von Ruhozi, der iranischen
Variante der Commedia dell`arte, und Taziye, dem schiitischen Passionsspiel,
außer Kraft gesetzt hat. Mindestens in den achtziger Jahren verschwand das
öffentliche Lachen, offiziell verpönt waren Tanzmusik, ausgelassene Feste und
das Geschäft der Komödianten; übrig blieben die Demonstrationen des Leidens.
Der Fußballspieler Khodadad Azizi ist Kölner und Iraner. Er ist maßgeblich an
zwei Ereignissen beteiligt gewesen, die zu einer temporären Umkehrung der
Verhältnisse geführt haben, dazu also, daß die rheinischen Frohnaturen einer
tagewährenden, noch immer andauernden Wehklage sich überließen,
wohingegen die schiitischen Büßer ihre geistliche Führung mit einem
spontanen Straßenkarneval überraschten. Mit sensationellen Pässen in den
Qualifikationsrunden und einem unglaublichen Tor in Sydney hat Azizi die
fußballerischen no names aus Iran zur Weltmeisterschaft geführt, mit einer
unerwartet eingetretenen Ladehemmung dazu beigetragen, daß der ruhmreiche
1. FC Köln vergangenen Samstag aus der höchsten deutschen Spielklasse
abgestiegen ist. Daß Azizis Vorname sich mit „Gabe Gottes“ übersetzen läßt,
bestärkt den Anhänger seiner beiden Mannschaften in der Ahnung, es mit einer
Fügung zu tun zu haben. Zufall nennt er es vorläufig nur, weil ihm die
Erklärung fehlt und religiöse Begründungen sich denn doch verbieten, wo es
sich nur um Fußball handelt. Aber irgendwer muß die Fäden ziehen.
Am 29. November vergangenen Jahres hat Azizi im Spiel gegen Australien den
zu diesem Zeitpunkt für unmöglich gehaltenen, entscheidenden Treffer für Iran
erzielt. Kurz vor Schluß war es, als Azizi zu einem Sprint über das halbe Feld
ansetzte, wie im Rausch die gegnerische Abwehr überlief, den Torhüter in die
falsche Ecke niedersinken ließ, den Ball ganz gelassen ins Tor schob und
dadurch in seiner Heimat eine kollektive Verzückung, eine nationale Party
auslöste. Ähnlich wie die Deutschen 1990 mit dem WM-Sieg auch die Einheit
feierten, floß in die Freude der Iraner über die WM-Qualifikation auch der
Triumph       über     das      Establishment      bei   den  vorangegangenen
Präsidentschaftswahlen ein. Ein subversives Happening war es, wie es hiesige
Banalphilosophen gern in den Technoparaden unsere Spaßgeneration sehen
würden: Demonstrative Freude als Demonstration. Glaubt man den Berichten,
war praktisch die gesamte Bevölkerung Teherans auf den Beinen, jedenfalls
waren alle großen Straßen der 10-Millionen-Stadt bis in den frühen Morgen mit
Menschen überfüllt. So etwas hatte Iran seit der Revolution nicht erlebt. Hilflos
mußten die Revolutionsgarden mit ansehen, wie Männer und Frauen sich in
die Arme fielen, gemeinsam sangen und tanzten, oft zu der eigentlich
verbotenen iranischen Popmusik, die in den Vereinigten Staaten produziert
wird. Die politische Botschaft war unverkennbar: „Wir sind das Volk.“ Es war
ein Beben, das Azizi mit seinem Tor ausgelöst hat.
Seit dem letzten Sommer spielt Azizi beim 1. FC. Köln. Damit gehört er zu den
ersten drei Iranern, die von europäischen Profivereinen verpflichtet worden
sind. Daß Iraner in der Bundesliga spielen, hat von Beginn an, wohl weil sie für
besonders exotisch gehalten werden, Aufsehen erregt. Noch immer versehen die
Moderatoren im Fernsehen ihre Namen stets mit dem Zusatz der Nationalität:
„der Iraner Azizi“, „der Iraner Daei“, „der Iraner Bagheri“.
Während die beiden anderen Iraner, die in Bielefeld tätig sind, eher distanziert
wirken, ist Azizi mit seiner Fröhlichkeit, seinem Spielwitz und seinem
sehenswerten Torjubel schnell zum Liebling der Fans und der lokalen Presse
avanciert. Vor einigen Monaten, als Köln noch zu siegen verstand, titelte die
Boulevardzeitung Express: „Die Gabe Gottes rettet Köln“. Kurze Zeit später war
der Iraner in der Stadt allgegenwärtig: Mit seinem Bild warb der FC auf
Plakatwänden für den Verkauf von Eintrittskarten. Vielleicht hängt die
Sympathie für Azizi auch damit zusammen, daß er in Statur und technischer
Finesse an die unvergeßlichen Littbarski und Häßler erinnert, jedenfalls beruht
sie auf Gegenseitigkeit. Nach einem seiner erfolgreicheren Spiele erklärte Azizi
jedem Mikrophon, das ihm entgegengehalten wurde, daß er Köln liebt, die
Kölner liebt und am liebsten bis zum Ende seiner Fußballerkarriere in Köln
bleiben würde.
Aber Azizi trifft nicht mehr, und ebensowenig die übrigen Kölner. In fünf
Spielen haben sie keinen einzigen Punkt gewonnen und damit den sicher
geglaubten Klassenerhalt vertändelt. Nicht lange ist es her, Anfang April, da
sprachen die ersten unter den zahllosen Kölner Utopisten nach einer kurzen

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Erfolgsserie schon wieder vom Uefa-Cup; nun ist der Verein, was selbst die
wenigen Schwarzseher nicht für möglich hielten: abgestiegen. Dabei gehörte
Köln zur Bundesliga wie der Dom zu Köln.
Nun ist der Kölner untröstlich. „Ich bin tieftraurig“, sagt Willy Millowitsch, „eine
grausame Geschichte“ erlebt Wolfgang Overath, von einer „Erniedrigung“
spricht der Express. Es handelt sich keineswegs nur um Fußball, und es ist
auch kein Trost, daß jedes Jahr drei Mannschaften die Bundesliga verlassen
und es nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit selbst ihr Gründungsmitglied
einmal treffen muß. Es handelt sich um eine bestimmte Weise, auf die Welt zu
schauen, die mit dem Abschluß dieser Saison unwideruflich obsolet geworden
ist.
Wer mit dem FC aufgewachsen ist, hatte in seinem Leben eine Konstante, die
so stabil war wie die D-Mark. Das denkbar Schlimmste, mit dem er zu rechnen
hatte, war der 15. Platz. Das war kein Abonnement auf die Meisterschaft, aber
es ließ den Kölner selbst dann noch auf die Neureichen aus München und die
Provinz aus Dortmund herabblicken, wenn sein Verein, das „Real Madrid des
Westens“, hart um den Anschluß ans Mittelfeld kämpfte, wie so oft in den
unfreundlichen Neunziger Jahren. Sogar ein Trainer wie Neururer, ein
Präsidenten wie Artzinger-Bolten und die wohl größte Liste von Fehleinkäufen
in der deutschen Fußballgeschichte vermochten die schon metaphysische
Gewißheit nicht zu erschüttern, daß man in Köln jedenfalls erstklassig ist. Das
Grundvertrauen in den Lauf der Dinge, das dem Kölner auch dank seines
Fußballvereins eigen ist, fand im „Ett hätt noch immer jutjejange“ seinen über
die Stadt hinaus bekannten, präzisen Ausdruck. Niemand wird das mehr sagen
können.
Wie kein anderer Verein steht der 1948 gegründete FC für die beeindruckende
und dennoch spröde Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Nirgends wurde die
Professionalisierung des Fußballs entschlossener vorangetrieben als hier, wo
mit dem Niederländer Frans de Munck 1950 auch der erste Fußballgastarbeiter
engagiert wurde. Die Meistertitel der sechziger Jahre waren die Früchte eines
mit Disziplin und Kalkül erwirtschafteten Fußballwunders. Kölns langjähriger
Präsident Franz Kremer regierte nicht weniger selbstherrlich als ein paar
Kilometer stromaufwärts sein Parteikamerad Konrad Adenauer, und die
Verwurzelung im Arbeitermilieu geht dem FC so sehr ab wie der BRD die
Entstehung aus einer Volksbewegung. Dennoch haben sie die direkte
Konkurrenz - den Arbeiterstaat DDR beziehungsweise den Arbeiterverein
Fortuna - an Popularität weit übertrumpft. Erfolg macht Freunde, und Klüngel
ist die kölsche Form der parlamentarischen Demokratie.
Aber nun ist der FC abgestiegen. Das Kölner Erfolgsmodell hat sich überlebt.
Verantwortlich dafür sind Selbstgefälligkeit, Ignoranz, das Festhalten an
überkommenen Strukturen und Hierarchien sowie das Vertrauen darauf, daß
man sich mindestens bis zur nächsten Saison oder zu den nächsten
Vorstandswahlen durchwursteln wird, wenn man nur die Augen vor der sich
verändernden Fußballwelt fest verschließt. Für das Bonner Erfolgsmodell ist
das, kurz vor dem Ende der D-Mark und dem Auszug aus Bonn, kein gutes

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Omen. Ähnlich wie der Rheinische Klub droht auch der Rheinische
Kapitalismus wegen eines Reformstaus ins Hintertreffen zu geraten. Während
die einst kaum wahrgenommenen Nachbarn aus Dänemark und Holland an
ihm vorbeiziehen wie Leverkusen an Köln und selbst die alte Dame England
unter Tony Blair auf den Modernisierungszug aufgesprungen ist wie der
traditionsreiche Schalke 04 unter Rudi Assauer, konzentrieren sich Deutsche
und Kölner auf die Frage, wem sie in der nächsten Saison die
Mannschaftsaufstellung anvertrauen sollen - und wissen doch, daß es am
Trainer allein nicht liegen kann.
Daß der Gegner zum Abschied ausgerechnet Bayer Leverkusen hieß, ist nicht
nur bitter, es ist bezeichnend. Retortenmannschaft, in wenigen Jahren
hochgezüchtet mit Millionenbeträgen aus dem Mutterkonzern - das ist die
Werksmannschaft von der anderen Rheinseite für die Anhänger des FCs. Und
nun spielt der Chemieverein wieder einmal oben mit, während die eigene
Mannschaft ins scheinbar Bodenlose stürzt, in die 2. Liga. Und das Schlimme
ist: Sie sind einfach besser. Sie spielen den Fußball schöner als die Kölner
Dekonstruktivisten, mit ihren Stars läßt es sich leichter identifizieren als mit
den Kölner Zufallseinkäufen, ihr Management ist cleverer, ihr Trainer (ein
ehemaliger Kölner) feuriger. Fußballerisch sind nicht mehr sie, sondern ist Köln
- sprechen wir das harte Wort ruhig aus - Provinz.
Aber dies ist der Lauf der Dinge, dem zu vertrauen nun endgültig kein Anlaß
mehr besteht. Köln gegen Leverkusen, das war ein Kampf wie Mittelstand gegen
Großkonzern, Theater gegen Fernsehen, Brief gegen Handy, Schreibmaschine
gegen Computer, Apple gegen Microsoft, Innenstadt gegen das Einkaufszentrum
draußen auf der Wiese. Die Schlacht war verloren, bevor sie begann, und
vergangenen Samstag zwischen 15.30 Uhr und 17.15 Uhr galt es die Niederlage
nur noch zu besiegeln.
So pilgerten also 40.000 Menschen ins Müngersdorfer Stadion, um dem FC das
letzte Geleit zu geben. In anderen Stadien wären nach Abpfiff vielleicht Fahnen
verbrannt worden, hier aber wurde die Trauer zelebriert wie in einer
klassischen Tragödie, eingeschlossen der „spezifischen Lust“(oikeia hedone), die
Aristoteles als eine ihrer Wirkungen beschrieben hat. Die Tribünen ein rot-
weißes Fahnenmeer, die „Höhner“ spielten die Vereinshymne „FC - mer stonn
zu dir“, und den Spielern geriet die Büßerprozession nach Abpfiff zur vielleicht
bewegendsten Ehrenrunde der Vereinsgeschichte. Und als die lokale
Primadonna Trude Herr aus dem Stadionlautsprecher sang „Niemals geht man
so ganz, irgendwas von dir bleibt hier“, als Toni Polster nach dem Trikot auch
noch Schuhe, Stutzen und Schienenbeinschützer ins Publikum warf, als die
Zuschauer sich gegenseitig tröstend in die Arme fielen und es allen gemeinsam
kalt den Rücken runterlief, da fühlte sich ein Kölner Iraner, der mit seinen
Brüdern, Nichten und Freunden im Block 28 saß, auf einmal ganz zu Hause.
Ein solches Passionsspiel, so schrecklich, schön und schaurig, hätte Schiiten
nicht besser gelingen können.
Derweil saß auf der Kölner Bank sein Landsmann Azizi, in sich
zusammengesunken, regungslos. Am Tag zuvor hatte er im „Express“ noch

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gesagt, daß er sich ein Bleiben in Köln selbst im Falle des Abstieges vorstellen
könnte, denn: „Mein Herz schlägt für diese Stadt.“ Und er hatte hinzugefügt,
daß er an das Wunder des Klassenerhaltes noch glaube, weil ihnen mit der
iranischen Nationalmannschaft ein ähnliches Wunder gelungen sei.
Also hatte man im Block 28 dafür gebetet, daß Azizi in der eigenen Hälfte
angespielt wird, Kirsten und Lehnhoff stehen läßt, Nowottny mit einem
Beinschuß versetzt, Wörns überlistet und Heinen alt aussehen läßt. Und das
mindestens viermal, denn nur dann hätte Köln dem Abstieg womöglich noch
entrinnen können. Vergeblich alles (was natürlich am Schiedrichter lag, diesem
Vertreter der Weltungerechtigkeit und des auch fußballerischen Imperialismus).
Nun wird Khodadad den Verein eben durch das Tal der Tränen führen (als
Schiit ist er dafür prädestiniert), um im nächsten Jahr den Kampf gegen die
Leverkusens dieser Welt wieder aufzunehmen. Und vorher gewinnt er die
Weltmeisterschaft. Schließlich ist er eine Gabe Gottes, an die ein Kölner
glauben muß, sei er Katholik oder Schiit.
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                                                 (abgedruckt in der tageszeitung)

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