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hintergrund // mai 2016 Nanomaterialien in der Umwelt - Aktueller Stand der Wissenschaft und Regulierungen zur Chemikaliensicherheit Empfehlungen des Umweltbundesamtes
Impressum Herausgeber: Umweltbundesamt Fachgebiet IV 2.2 Postfach 14 06 06813 Dessau-Roßlau Tel: +49 340-2103-0 info@umweltbundesamt.de Internet: www.umweltbundesamt.de /umweltbundesamt.de /umweltbundesamt Autoren: Dr. Kathrin Schwirn, Fachgebiet IV 2.2 Dr. Doris Völker, Fachgebiet IV 2.2 Unter Mitwirkung von: Susanne Bär, Fachgebiet IV 1.3 Inga Beer, Fachgebiet IV 1.1 Dr. Silvia Berkner, Fachgebiet IV 2.2 Sina Egerer, Fachgebiet IV 1.3 Cornelia Scholz, Fachgebiet IV 1.2 Dr. Sascha Setzer, Fachgebiet IV 1.2 Lars Tietjen, Fachgebiet IV 2.3 Dr. Johanna Wurbs, Fachgebiet III 1.4 Publikationen als pdf: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/ nanomaterialien-in-der-umwelt Titelbild: fotoliaxrender | www.fotolia.com Stand: Mai 2016
Inhalt 1. Einleitung 4 2. Wirkung und Verhalten in der Umwelt – Stand des Wissens 5 2.1. Wirkung in der Umwelt 5 2.2. Freisetzung in die Umwelt 6 2.3. Verhalten und Verbleib in der Umwelt 7 3. Weiterentwicklung gesetzlicher Regelungen der Chemikaliensicherheit 8 3.1. Regelungsübergreifender Anpassungsbedarf 8 3.1.1. Anwendung der Definition für Nanomaterialien 8 3.1.2. Ausreichende physikalisch-chemische Charakterisierung 10 3.1.3. Anpassung der Risikobewertung für Nanomaterialien 10 3.1.4. Nanospezifisches Vorgehen für die standardisierte Testdurchführung 13 3.1.5. Entwicklung nanospezifischer Stoffgruppen- und Analogiekonzepte 14 3.2. Regelungsspezifische Defizite und Anpassungsbedarf 15 3.2.1. Chemikalien 15 3.2.2. Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen 16 3.2.3. Biozidprodukte und Pflanzenschutzmittel 17 3.2.4. Arzneimittel 19 3.3. Register für nanomaterialhaltige Produkte 21 3.4. Umweltzeichen 22 4. Aktivitäten des Umweltbundesamtes 23 5. Zusammenfassung und zentraler Handlungsbedarf 24 6. Veröffentlichungen von UBA-Mitarbeitern zum Thema seit 2009 25 7. Endnoten 27 8. Anhang 33
1. Einleitung Die Nanotechnik gilt als eine der Schlüsseltechniken sondere zu den Risiken wurden in verschiedensten der Hightech Strategie 2020 der Bundesregierung1. Forschungsinitiativen zahlreiche Erkenntnisse Unter Nanotechnik wird die Erforschung, Entwick- zusammengetragen, die dazu führten, dass sich lung, Herstellung und Verarbeitung von Strukturen die Forschung zum Thema nicht mehr allein auf die und Materialien im Nanometermaßstab verstanden. grundsätzliche Untersuchung von Eigenschaften, Diese Materialien, Nanomaterialien2 genannt, können Verhalten und Wirkung beschränkt, sondern neue im Vergleich zu konventionellen Chemikalien und Schwerpunkte zur Anpassungen der Bewertungsin- Materialien geänderte oder völlig neue Eigenschaften strumente für eine zielgerichtete und angemessene und Funktionen haben. Zu den wichtigen Anwen- Regulierung von Nanomaterialien setzt. dungsfeldern der Nanomaterialien gehören Elektro- technik, Energietechnik, Chemie und Materialent- Bis heute gibt es aber – bis auf wenige Ausnahmen wicklung, aber auch Pharmazie, Beschichtungen, – keine Anpassungen von Stoffgesetzgebungen an Baumaterialien und Textilien. Nanomaterialien. Dadurch können die spezifischen Umweltrisiken nicht zureichend abgebildet und be- Über die Nutzung der spezifischen Eigenschaften wertet und geeignete Maßnahmen zur Minimierung von Nanomaterialien kann in den verschiedensten der Risiken nicht getroffen werden. Schwerpunkt der Produkten und Anwendungen höhere Effizienz oder vorliegenden Veröffentlichung ist daher die Darstel- neue Funktionalitäten erreicht werden. Somit lassen lung der notwendigen Weiterentwicklung der Chemi- sich auch für die Umwelt vielseitige Chancen durch kalienregulierung für Nanomaterialien mit Bezug auf die Nanotechnik, z. B. im Bereich der Energie- und die Umwelt aus Sicht des UBA. Das Papier richtet sich Ressourceneffizienz, der Sanierung von Altlasten daher vor allem an Akteure sowie Entscheidungsträ- oder der Wasseraufbereitung, erwarten. Aufgrund gern, die an den Diskussionen zur Anpassung der der dynamischen Entwicklung von Nanomaterialien verschiedenen Regulierungen im Rahmen der Chemi- und deren Anwendungen steigen ihre Produktions- kaliensicherheit beteiligt sind. mengen. Dies kann auch eine erhöhte Belastung für Mensch und Umwelt bedeuten, wenn Nanomateri- Dazu wird zunächst der derzeitige Stand des Wissens alien aus Produkten und Anwendungen freigesetzt zu Umweltverhalten und -wirkung von Nanomateri- werden. alien aufgezeigt. Nachfolgend adressiert das Papier regulierungsübergreifende Aspekte wie die Definiti- Bereits im Jahre 2009 veröffentlichte das Umwelt- on, die Charakterisierung und die Risikobewertung bundesamt (UBA) ein Hintergrundpapier zum Thema von Nanomaterialien. Neben den übergreifenden Chancen und Risiken der Nanotechnik3. Zu diesem Aspekten beschreibt das Papier auch den derzeitigen Zeitpunkt handelte es sich bei der Beschreibung des Umgang mit Nanomaterialien in den bestehenden potenziellen Nutzens und der Auswirkungen von stoffrechtlichen Verfahren und den vollzugsspezifi- Nanomaterialien für Mensch und Umwelt um ein schen Anpassungsbedarf. Abschließend werden die relativ neues Forschungsfeld. Auch zum heutigen Aktivitäten und Handlungsempfehlungen des UBA Zeitpunkt sind nicht alle Fragen zum potenziellen zum Thema vorgestellt. Umweltnutzen und zu den potenziell von Nanoma- terialien ausgehenden Risiken beantwortet. Insbe- 4
2. Wirkung und Verhalten in der Umwelt – Stand des Wissens Um die Risiken von Nanomaterialien einschätzen zu ausgeschlossen werden7. Auch bestimmte, fotokata- können, sind neben dem Wissen über deren Gefähr- lytisch aktive Formen von Titandioxid (TiO2) zeigen dungspotenzial auch Kenntnisse über deren Freiset- in Labortests eine erhöhte Toxizität unter Einfluss zung sowie Verhalten und Verbleib in der Umwelt und von simuliertem Sonnenlicht8. Bei Fischen konnten daraus resultierend die Exposition notwendig. darüber hinaus für einige Nanomaterialien subletale Effekte, wie Veränderungen in Geweben und Orga- In den letzten Jahren wurden dank intensiver For- nen, Schädigungen der Kiemen und Entwicklungs- schung neue Erkenntnisse zu Verhalten und Wirkung störungen in verlängerten Tests beobachtet werden.9 von Nanomaterialien gewonnen. Außerdem konnten Zusätzlich wurde festgestellt, dass in Abhängigkeit Prozesse und Mechanismen identifiziert werden, die des untersuchten Nanomaterials aquatische Orga- für die Beschreibung des Verhaltens und der Wirkung nismen nach kurzzeitiger Belastung ein verändertes von Nanomaterialien in der Umwelt von Bedeutung Verhalten zeigen, wie eine veränderte Futteraufnah- sind. Im Folgenden wird eine allgemeine Zusammen- me oder ein verstärktes Fluchtverhalten, oder deren fassung dieser Erkenntnisse gegeben. Energiehaushalt beeinflusst wird10. 2.1. Wirkung in der Umwelt Da der Großteil der auf dem Markt befindlichen Die Nanoskaligkeit eines Stoffes allein weist nicht Nanomaterialien anorganischer Natur ist und daher automatisch auf ein Gefährdungspotenzial hin. biologisch nicht abgebaut wird, ist davon auszuge- Vielmehr wird die potenziell schädigende Wirkung hen, dass sie in der Umwelt verbleiben werden. Um eines Nanomaterials neben seiner chemischen Zu- den Besonderheiten und komplexen Verhalten von sammensetzung auch von Eigenschaften wie seiner Nanomaterialien in der Umwelt bei der Bestimmung Größe, Geometrie, Kristallstruktur und Oberfläche- der ökotoxischen Wirkung Rechnung zu tragen, neigenschaften (z. B. Ladung, Oberflächenchemie) sind daher Untersuchungen zur Toxizität allein nach bestimmt4. Zusätzlich beeinflussen die Umgebungs- Kurzzeitbelastung unzureichend. Untersuchungen zu parameter (z. B. pH-Wert, Salzgehalt, Gehalt an na- Langzeitwirkungen wurden für eine begrenzte An- türlichen organischen Substanzen) die Eigenschaften zahl von Nanomaterialien (hauptsächlich TiO2, ZnO, von Nanomaterialien und können so wiederum deren Ag) für verschiedene wirbellose Tiere durchgeführt. Mobilität, Bioverfügbarkeit und toxische Wirkung in Es wurde festgestellt, dass Belastungen von Nemato- der Umwelt beeinflussen5. den („Rundwürmern“) und Daphnien („Flohkrebse“) mit unterschiedlichen Nanomaterialien (TiO2, Ag und Der derzeitige Untersuchungsaufwand zur Ermitt- Gold (Au)) zu Einbußen in der Nachkommenschaft lung der ökotoxischen Wirkung von Nanomaterialien und bei Betrachtung mehrerer Generationen zu einem fokussiert vorrangig auf Nanomaterialien mit ein- deutlichen Anstieg der Mortalität und Einschränkung fachem Aufbau, die zum Teil auch schon seit vielen der Fortpflanzung führen können11. Umfassende und Jahren auf dem Markt sind, aber bisher nicht na- ausreichende Studien zur chronischen Wirkung auf nospezifisch betrachtet wurden. Der Großteil der ge- Wirbeltiere wie Fische, die über das Larvenstadium wonnenen Erkenntnisse bezieht sich auf die Wirkung hinausgehen, liegen noch nicht vor. auf aquatische Organismen. Auch Daten zur Wirkung auf Bodenorganismen oder im/auf dem Sediment Zu ökotoxischen Wirkungen von Nanomaterialien lebenden Organismen wurden in den letzten Jahren auf Boden- und Sedimentorganismen liegen weniger zunehmend erhoben. Viele der untersuchten Nano- Informationen vor. Dies ist dadurch bedingt, dass die materialien zeigen nach Kurzzeitbelastung keine bzw. Untersuchung der Wirkung von Nanomaterialien auf nur eine moderate bis geringe Toxizität auf Umwelt- diese Organismen methodisch schwieriger ist. Ein organismen. Eine hohe akute Toxizität auf aquati- Teil der vorhandenen Studien beschreiben keinerlei sche Organismen kann für solche Nanomaterialien Wirkung auf boden- und sedimentlebende wirbellose beobachtet werden, die aquatoxisch wirkende Ionen Tiere, wohingegen andere Studien aufzeigen, dass abgeben (z. B. Silber (Ag), Zinkoxid (ZnO))6. Dabei Testorganismen es vermeiden, sich im mit Nanoma- können zusätzliche Effekte durch die Partikel nicht terialien belasteten Boden aufzuhalten12. Weitere 5
Studien berichten von Veränderungen der Repro- Es gilt im Einzelfall prüfen, ob die vorhandenen duktionsrate (stimulierend und unterdrückend) nach Studien für eine Bewertung der Umweltgefährdung Belastung des Testbodens mit Nanomaterialien13. geeignet sind. In vielen Studien sind die physika- Diese Befunde sind allerdings nicht immer eindeutig lisch-chemischen Eigenschaften der untersuchten dosisabhängig. Untersuchungen mit verschiedenen Nanomaterialien nur unzureichend beschrieben. Pflanzen zeigen, dass Nanomaterialien aufgenom- Auch fehlt es oftmals an Begleitanalytik, und es wer- men und in der Pflanze verlagert werden können. In den lediglich Angaben zur ursprünglich eingesetzten einigen Fällen wurde ein Einfluss auf Keimung und Konzentration gemacht. Dies ist in Frage zu stellen, Wachstum festgestellt14. Nach Belastung mit TiO2 da Wechselwirkungen zwischen den Partikel unter- Nanomaterialien wurde darüber hinaus eine Abnah- einander und mit dem Testsystem dazu führen, dass me der Artenvielfalt von Bodenmikroorganismen die nominal eingesetzte Konzentration sich deutlich festgestellt.15 von der tatsächlichen Belastungskonzentration unter- scheiden kann. Transformationen und Alterung von Nanomaterialien in der Umwelt (z. B. Sulfidierung von metallischen 2.2. Freisetzung in die Umwelt Nanomaterialien) kann deren ökotoxikologische Die Anwendungsbereiche für Nanomaterialien sind Wirkung beeinflussen. Studien zu unterschiedlichen sehr breit und im Hinblick auf ihre spezifischen Umweltorganismen zeigen, dass dies sowohl eine Eigenschaften ohne Einschränkung. Es gibt Nanoma- Zunahme als auch Abnahme der Effekte bedeuten terialien wie zum Beispiel TiO2, Siliziumdioxid (SiO2) kann16. Da diese Studien mit unterschiedlichen oder Industrieruß (engl. „carbon black“, CB), die in Testsystemen und Organismen durchgeführt wurden, hohen Tonnagen hergestellt werden und bereits seit sind die Ergebnisse allerdings schwer vergleichbar. Jahrzehnten Anwendung finden oder Nanomateria- lien, deren Eigenschaften bereits seit dem Altertum Neben der direkten toxischen Wirkung sind für eine genutzt werden19. Diese Nanomaterialien erfuhren Reihe von Nanomaterialien auch indirekte schädigen- im Laufe der technischen Entwicklung neue Einsatz- de Effekte auf Umweltorganismen beschrieben: So ist gebiete. Andere Nanomaterialien wie beispielsweise aus Labortests bekannt, dass viele Nanomaterialien Quantum Dots oder Kohlenstoffnanoröhren (engl. an Organismen anhaften können und bei entspre- „carbon nano tubes“, CNT) sind relativ neue Ent- chend hohen Konzentrationen Atmungsorgane oder wicklungen, die noch vor einer Marktdurchdringung Fressapparate blockieren17. Bei Anlagerung an foto- stehen20 . synthetisch aktive Organismen wie z. B. Algen könnte dies die für metabolische Prozesse notwendige Menge Um die Exposition von Nanomaterialien in der Um- an Licht reduzieren. Zusätzlich adsorbieren Nanoma- welt abschätzen zu können, bedarf es des Wissens terialien viele in der Umwelt verfügbare organische über das Vorkommen von Nanomaterialien in den Stoffe an ihrer Oberfläche. Dies kann dazu führen, verschiedenen Produkten und Anwendungen bezie- dass auch die Aufnahme durch Organismen von in hungsweise über die Freisetzung über den gesamten der Umwelt verfügbaren Schadstoffen begünstigt Lebenszyklus (Herstellung, Gebrauch, Transport, wird18. Recycling, Abfallbeseitigung). Konkrete Daten zur Verwendung sowie zur qualitativen und quantitati- Trotz der vielen bis heute gewonnenen Erkenntnisse ven Freisetzung sind derzeit oftmals unzureichend zur potenziell schädigenden Wirkung der Nanomate- verfügbar für eine Ableitung der potenziellen Um- rialien auf Umweltorganismen bleibt die Abschätzung weltexposition. der Umweltgefährdung von Nanomaterialien eine Herausforderung (siehe auch Kapitel 3.1.3). Die Freisetzung von Nanomaterialien in die Um- welt wurde exemplarisch z. B. für die Verwitterung, Ein Vergleich vieler Studien zur Gefährlichkeitsbe- mechanische Beanspruchung von verschiedenen wertung wird dadurch erschwert, dass einheitliche Beschichtungen und das Waschen von Textilien Vorgaben zur Applikation und Durchführung zur untersucht21. Denkbar sind auch Freisetzungen z. B. Testung der Umwelteffekte durch Nanomaterialien aus Sonnenschutzmitteln in Badegewässern, bei noch in der Entwicklung sind. der Altlastensanierung, Abwasserbehandlung oder 6
Sprühanwendungen im Pestizidbereich.22 Abhängig von Stoffen, Anhaftung an Oberflächen und Transfor- von Produkt und Prozess können die so freigesetz- mation oder Auflösung das Verhalten in der Umwelt. ten Nanomaterialien in Fragmenten des Produktes Diese Prozesse werden sowohl von den Eigenschaften gebunden sein23. Bisher wurde nicht untersucht, des Partikels (z. B. Größe, Geometrie, Oberflächenei- ob diese Fragmente in der Umwelt weiter abgebaut genschaften) bestimmt, als auch von den Eigenschaf- werden und es zu einer endgültigen Freisetzung der ten des umgebenden Umweltmediums (z. B. pH-Wert, darin gebundenen Nanomaterialien kommt. Salzgehalt, Gehalt an natürlich vorkommenden or- ganischen Substanzen)27. Die Agglomeration führt zu Untersuchungen an Modellkläranlagen zeigen, dass einer Anhaftung der einzelnen Partikel aneinander die bisher betrachteten Nanomaterialien zu rund und wird durch elektrostatische und sterische Wech- 90% am Klärschlamm gebunden werden und nur selwirkungen zwischen den Partikeln hervorgerufen. ein geringer Anteil (< 10%) in das Oberflächengewäs- Bei Heteroagglomeration agglomerieren Nanomateri- ser gelangt.24 Im Falle einer landwirtschaftlichen alien mit den in der Umwelt natürlich vorkommenden Nutzung des Klärschlamms wird dadurch die Expo- Partikeln. Nanomaterialien sedimentieren in Abhän- sition des Ackerbodens wahrscheinlich. Der Verbleib gigkeit ihrer Dichte und Agglomeration über die Zeit von Nanomaterialien in Böden ist derzeit noch nicht aus der Luft oder aus aquatischen Systemen auf den hinreichend geklärt. Bereits unabhängig vom Ein- Boden beziehungsweise in das Sediment. trag von Nanomaterialien in die Umwelt, spricht sich das UBA auf Grund der damit verbundenen Risiken Nanomaterialien transformieren unter Umweltbedin- gegen die landwirtschaftliche Verwertung von Klär- gungen durch Reduktion oder Oxidation. Sie können schlamm aus. andere Substanzen adsorbieren oder ggf. vorhandene synthetische Hüllen durch mechanische, chemische Erste Untersuchungen zum Verhalten von Nanoma- oder biologische Prozesse verlieren. Diese Prozesse terialien (Zeriumdioxid (CeO2), TiO2) in Müllverbren- können die Mobilität von Nanomaterialien reduzie- nungsanlagen zeigen, dass diese vorrangig in den ren aber auch begünstigen und die Bioverfügbarkeit Feststoffrückständen wie Schlacke und Flugasche beeinflussen28. abgeschieden werden und eine Freisetzung über das gereinigte Rauchgas vernachlässigbar ist.25 Die Frei- Untersuchungen zur Aufnahme, Anreicherung und setzung von Nanomaterialien aus Deponien wurde Verbleib in Umweltorganismen wurden bereits mit ei- bisher kaum untersucht. Die Ergebnisse einer Studie ner begrenzten Anzahl verschiedener Nanomateriali- zeigen die Freisetzung von pigmentärem TiO2 aus en durchgeführt. Die meisten Studien hierzu wurden Baustoffdeponien über den Abfluss. Insofern ist die bislang anhand von wirbellosen Tieren wie Wasser- Freisetzung von Nanomaterialien über diesen Weg in flöhen und Regenwürmern, aber auch Fischen, vor- die Umwelt denkbar26. genommen. Die derzeit vorliegenden Befunde deuten auf ein Potenzial von Nanomaterialien, sich in Orga- Generell gibt es bisher noch unzureichend qualitative nismen anzureichern, hin, allerdings ist dieses eher und quantitative Daten zur Freisetzung von Nano- gering29. In den meisten Studien konnte eine Aufnah- materialien in die Umwelt, die eine Aussage über me der Nanomaterialien und auch gute Ausscheidung den gesamten Lebenszyklus erlauben. Dies liegt zum nachgewiesen werden, die aber oft nicht vollständig einen an dem vielfältigen und diffusen Einsatz von ist30. In Versuchen mit Fischen und Regenwürmern zu Nanomaterialien. Zum anderen ist dies der methodi- metallischen und metalloxidischen Nanomaterialien schen Herausforderung und dem Fehlen von standar- konnte trotz guter Ausscheidung von Nanomateria- disierten Methoden geschuldet. lien ein Anstieg der entsprechenden metallischen Ele- mente in den peripheren Organen nachgewiesen wer- 2.3. Verhalten und Verbleib in der Umwelt den31. Geringe Anreicherung mit schneller Aufnahme Ein Großteil der bekannten, auf dem Markt befindli- und Ausscheidung aus dem Darm von Fischen wurde chen Nanomaterialien ist anorganischer Natur. Der auch für MWCNT nachgewiesen. Wenige Fragmente biologische Abbau spielt daher meist eine unter- dieser Nanomaterialien erreichten allerdings Blut und geordnete Rolle. Dagegen bestimmen Prozesse wie Muskelgewebe32. Studien mit Regenwürmern zei- (Hetero-)Agglomeration, Sedimentation, Adsorption gen die Möglichkeit der Anreicherung von Metallen 7
und Metalloxiden nach Aufnahme entsprechender der Anreicherung von Nanomaterialien konnten Nanomaterialien33. Andere Studien betrachteten und verschiedene Studien zeigen, dass Nanomaterialien bestätigten die Aufnahme und Verlagerung der Nano- über einfache Nahrungsketten weitergegeben werden materialien zum Beispiel in Pflanzen34. können37. Die Aufnahme von Nanomaterialien durch Orga- Die Datenlage zu Verhalten und Verbleib von Nano- nismen, die Nahrung aus der umgebenden Umwelt materialien in der Umwelt und in Umweltorganismen filtrieren, wurde in verschiedenen Studien mit Mu- hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die scheln nachgewiesen35. In Zelltests wurden mögliche Nutzbarkeit dieser Daten für eine Bewertung ist aber Aufnahmemechanismen in die Zellen der Organis- eingeschränkt, da die methodischen Grundlagen men beschrieben36. Die unvollständige Ausscheidung der Studien nicht einheitlich und damit schwer zu von aufgenommen Nanomaterialien ist besonders für vergleichen sind. Hierfür bedarf es standardisierter solche Organismen kritisch zu sehen, die am Anfang Methoden, die die für die Beschreibung des Umwelt- der Nahrungskette stehen. Unabhängig von der Frage verhaltens spezifischen Prozesse berücksichtigen. 3. Weiterentwicklung gesetzlicher Regelungen der Chemika- liensicherheit Als chemische Stoffe werden Nanomaterialien in den VO), die europäische Verordnung über das Inverkehr- gesetzlichen Regelungen grundsätzlich erfasst. Es be- bringen von Pflanzenschutzmitteln41 und die euro- stehen allerdings bisher keine oder kaum spezifische päischen Richtlinien zur Zulassung von Human- und Anforderungen, die die oben aufgeführten Besonder- Tierarzneimitteln42. Im Rahmen dieser Regulierungen heiten von Nanomaterialien hinsichtlich der Datenba- ist das UBA für die Überprüfung und Bewertung der sis und Risikobewertung berücksichtigen. Innerhalb Umweltrisiken zuständig. Darüber hinaus wird der verschiedener nationaler und europäischer Gremien Anpassungsbedarf für die Kriterien der Vergabe von werden diese Defizite und mögliche Optionen zur Umweltkennzeichen und die Notwendigkeit eines Anpassung der betroffenen Regelungen seit geraumer europäischen Registers für nanomaterialhaltige Pro- Zeit diskutiert. dukte thematisiert. Eine Anpassung der Regulierungen an Nanomateri- 3.1. Regelungsübergreifender Anpassungs- alien muss das neu generierte Wissen zu Verhalten, bedarf Wirkung sowie zur Exposition und zu Anwendungen 3.1.1 Anwendung der Definition für Nanomaterialien berücksichtigen. Dies ist notwendig, um eine sach- Die regulatorische Definition von Nanomaterialien ist gerechte Bewertung zu gewährleisten, das Vertrauen von hoher Bedeutung, um Klarheit darüber zu schaf- der Zivilgesellschaft gegenüber der Nanotechnik zu fen, welche Materialien unter eine bestimmte Rege- bewahren und Rechtssicherheit zu schaffen. lung fallen. Am 18.10.2011 verabschiedete die Euro- päische Kommission eine Empfehlung zur Definition Im Folgenden werden zunächst übergreifend gültige von Nanomaterialien43 (siehe Textbox Seite 9). Ziel der Aspekte für die angemessene Regelung von Nanoma- Kommission war es, diese Empfehlung bis 2014 zu terialien in den verschiedenen Stoffgesetzgebungen überprüfen und wenn notwendig anzupassen. aus Sicht des UBA vorgestellt. Anschließend wird dann auf die einzelnen für Nanomaterialien relevan- Das UBA sieht die Definition grundsätzlich als ten Regelungen der Stoffgesetzgebung mit Umwelt- geeignet an und begrüßt, dass der Definitionsvor- bezug eingegangen. Dies betrifft im Einzelnen die schlag neben den hergestellten Nanomaterialien auch europäische Chemikalienverordnung REACH38, die natürliche und in Prozessen anfallende Nanomateri- europäische Verordnung zur Einstufung, Kennzeich- alien umfasst. Eine ggf. notwendige Eingrenzung der nung und Verpackung39 (CLP-VO), die europäische Definition z. B. auf hergestellte Nanomaterialien sollte Verordnung über die Bereitstellung auf dem Markt bei der Anwendung in den entsprechenden Regelun- und die Verwendung von Biozidprodukten40 (Biozid- gen geschehen. 8
Auszug aus der Empfehlung der Europäischen Kommission zur Definition von Nanomaterialien vom Oktober 2011 „Nanomaterial“ ist ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält, und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben. In besonderen Fällen kann der Schwellenwert von 50 % für die Anzahlgrößenverteilung durch einen Schwellenwert zwischen 1 % und 50 % ersetzt werden, wenn Umwelt-, Gesundheits-, Sicherheits- oder Wettbewerbserwägungen dies rechtfertigen. Abweichend sind Fullerene, Graphenflocken und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren mit einem oder mehreren Außenmaßen unter 1 nm als Nanomaterialien zu betrachten. Für die Anwendung gelten für „Partikel“, „Agglomerat“ und „Aggregat“ folgende Begriffsbestimmun- gen: a) „Partikel“ ist ein sehr kleines Teilchen einer Substanz mit definierten physikalischen Grenzen; b) „Agglomerat“ ist eine Ansammlung schwach gebundener Partikel oder Aggregate, in der die resultie- rende externe Oberfläche ähnlich der Summe der Oberflächen der einzelnen Bestandteile ist; c) „Aggregat“ ist ein Partikel aus fest gebundenen oder verschmolzenen Partikeln. Sofern technisch machbar und in spezifischen Rechtsvorschriften vorgeschrieben, kann die Überein- stimmung mit der Definition anhand der spezifischen Oberfläche/Volumen bestimmt werden. Ein Mate- rial mit einer spezifischen Oberfläche/Volumen von über 60 m2/cm3 ist als der Definition entsprechend anzusehen. Allerdings ist ein Material, das aufgrund seiner Anzahlgrößenverteilung ein Nanomaterial ist, auch dann als der Definition entsprechend anzusehen, wenn seine spezifische Oberfläche kleiner als 60 m2/cm3 ist. Die Anwendbarkeit der Definitionsempfehlung wurde Kommission kündigte im Sommer 2015 eine weitere im Jahr 2014 und 2015 im Auftrag der Europäischen Konsultation zur Definitionsempfehlung und eine Kommission durch die Gemeinsame Forschungsstelle Verabschiedung einer endgültigen Version Mitte 2016 (Joint Research Center – JRC) geprüft.44 Dazu wurden an. Die Verzögerungen sind kritisch zu bewerten, da Erfahrungen mit der Definition zusammengetragen dies ein Weiterbestehen von Rechtsunsicherheiten für und evaluiert. In seinem abschließenden Bericht alle Beteiligten (Hersteller, Verwender und Behörden) empfiehlt das JRC, den Gültigkeitsbereich der Defi- bedeutet. nition auch weiterhin auf natürliche, bei Prozessen anfallende und hergestellte Nanomaterialien mit Die konkrete Anwendung der Definition wird derzeit Größe von 1-100nm beizubehalten. Darüber hinaus dadurch limitiert, dass noch keine Leitfäden bzw. diskutiert es aus technisch-wissenschaftlicher Sicht standardisierten Methoden zur Bestimmung und Cha- 11 Möglichkeiten, die Formulierung der Definition rakterisierung von Nanomaterialien zur Verfügung eindeutiger zu gestalten und so ihre Umsetzung zu stehen. Dies ist vor allem für Materialien im Grenz- erleichtern. Ein wichtiger Punkt ist aus Sicht des bereich der Definition problematisch. Derzeit gibt es UBA die Einführung von Kriterien, die klären, unter verschiedene Aktivitäten auf nationaler und europäi- welchen Bedingungen ein Material nicht mehr unter scher Ebene, um konkrete Vorgaben zu entwickeln.45 die Definition fällt, wie zum Beispiel Materialien, die Bis dahin sollten soweit wie möglich die vorhandenen einen vernachlässigbar geringen Anteil von nanoska- Methoden nach dem Stand der Wissenschaft verwen- ligen Verunreinigungen enthalten. Die Europäische det werden. 9
Neben der Definitionsempfehlung, die für technisch Nanomaterialien müssen hinsichtlich ihrer hergestellte Nanomaterialien bereits in die Biozid-VO physikalisch-chemischen Eigenschaften (EU (Nr.) 528/2012) übernommen wurde, gibt es eine umfassend charakterisiert werden, um diese Reihe weiterer regelungsspezifischer Definitionen, die identifizieren sowie Testergebnisse interpre- sich von der Definitionsempfehlung der Europäischen tieren und vergleichen zu können. Diesem Kommission unterscheiden46. Um eine kohärente muss bei der Ausgestaltung der Pflichten in Regelung und somit eine Gleichbehandlung zu errei- den verschiedenen Regelungen Rechnung chen, spricht sich das UBA für die Verwendung einer getragen werden. Methoden und Leitfäden für einheitlichen Definition aus. Diese sollte der Emp- die physikalisch-chemische Charakterisierung fehlung der Europäischen Kommission vom Oktober müssen weiterentwickelt werden. 2011 folgen. 3.1.3. Anpassung der Risikobewertung für Nano- Um eine kohärente Regelung und somit eine materialien Gleichbehandlung zu erreichen, spricht sich Um das von Nanomaterialien potenziell ausgehende das UBA für die Verwendung einer einheitli- chen Definition in den verschiedenen Rege- Umweltrisiko bewerten zu können, bedarf es der lungen aus. Diese sollte der Empfehlung der angemessenen Abschätzung der Gefährdung und der Europäischen Kommission vom Oktober 2011 Exposition der Umwelt. folgen. Die Entwicklung von Leitfäden und standardisierten Methoden zur Identifizierung Grundsätzlich sind die Prinzipien der Umweltrisi- von Nanomaterialien ist zügig voranzutreiben. kobewertung von Chemikalien auch auf Nanomate- rialien anwendbar. Danach wird die angenommene Umweltkonzentration mit der Konzentration vergli- 3.1.2 Ausreichende physikalisch-chemische Cha- chen, bei der davon ausgegangen wird, dass sie keine rakterisierung ökotoxikologische Wirkung verursacht. Allerdings Die Eigenschaften eines Nanomaterials werden besteht sowohl auf Seiten der Abschätzung der Kon- neben seiner chemischen Zusammensetzung auch zentrationen in den Umweltkompartimenten (Exposi- von seiner Größe, Geometrie, Kristallstruktur und tionsabschätzung) als auch auf Seiten der Ermittlung Oberflächeneigenschaften (z. B. Ladung, Oberflä- der Konzentrationen, die die ökotoxische Wirkung chenchemie, Funktionalisierung durch organische auf Umweltorganismen beschreiben (Gefährdungsab- und anorganische Beschichtungen) beeinflusst. Diese schätzung), Anpassungsbedarf, um das Umweltrisiko Parameter können sich von den entsprechenden Para- von Nanomaterialien geeignet bewerten zu können. metern des nichtnanoskaligen Stoffes unterscheiden, aber auch zwischen verschiedenen Nanomaterialien Herausforderungen bei der Gefährdungsabschätzung des gleichen chemischen Stoffes. Darüber hinaus Die gängigen in der Ökotoxikologie genutzten End- sind einige Eigenschaften von Nanomaterialien (z. B. punkte47 wie Wachstum, Sterblichkeit und Reproduk- Oberflächenladung, Löslichkeits-, und Agglomerati- tion der verschiedenen Stellvertreterorganismen sind onsverhalten) abhängig von den Eigenschaften des prinzipiell geeignet, um die ökotoxische Wirkung umgebenden Umweltmediums. auch von Nanomaterialien zu bestimmen. Dennoch besteht Anpassungsbedarf um die Besonderheiten Daher ist es notwendig, Nanomaterialien umfassend von Nanomaterialien zu berücksichtigen. zu charakterisieren. Dies ist eine wichtige Vorausset- zung, um Nanomaterialien zu identifizieren, Tester- Die ökotoxikologische Wirkung von Nanomaterialien gebnisse interpretieren und vergleichen zu können wird beeinflusst durch deren physikalisch-chemi- sowie zukünftig die Möglichkeit zu haben, Voraus- sche Eigenschaften (chemische Zusammensetzung, sagen zu möglichen Verhalten und Wirkung treffen Gestalt, Oberflächeneigenschaften) und durch die Ei- zu können. Diesem muss bei der Ausgestaltung der genschaften des Testmediums (z. B. pH-Wert, Salzge- Pflichten in den verschiedenen Regelungen Rechnung halt, Gehalt an natürlich vorkommenden organischen getragen werden. Substanzen). Daher ist für die korrekte Interpretati- on und für die Vergleichbarkeit der Testergebnisse 10
eine umfassende Angabe der Eigenschaften des zu bedeutsam. Je nach Gesetzgebung werden diese Orga- untersuchenden Nanomaterials und des Testmediums nismen aber nur unter bestimmten Voraussetzungen zwingend notwendig. Viele der derzeitigen Studien in der Gefährdungsabschätzung betrachtet. Aus Sicht charakterisieren Nanomaterial und Testmedium aller- des UBA muss die Wirkung auf Boden- und Sedimen- dings nur unzureichend, so dass die Nutzbarkeit der torganismen in der Gefährdungsabschätzung für Ergebnisse im Rahmen einer Gefährdungsabschät- Nanomaterialien stärker berücksichtigt werden. zung stark eingeschränkt ist. Des Weiteren sollten ökotoxikologische Tests durch eine umfassende Ana- Die Auswertung der Wirkung auf ausgewählte Stell- lytik begleitet werden, aus der die Konzentration und vertreterorganismen beruht auf dem Prinzip, dass mit das Verhalten des Nanomaterials über den Testverlauf höherer Belastungskonzentration auch eine stärkere deutlich wird. Letzteres ist insbesondere erforderlich, Wirkung erreicht wird (Dosis-Wirkungsbeziehung). um Aussagen zur tatsächlichen Belastungskonzen- Nanomaterialien können bei hohen Konzentrationen tration im Testsystem ableiten zu können, die sich stärker in Wechselwirkung treten, wodurch Agglo- grundlegend von der initial eingebrachten Testkon- meration und Sedimentation begünstigt werden. zentration unterscheiden kann. Bei niedrigeren Konzentrationen liegt dagegen eine bessere Verteilung und damit Verfügbarkeit der Derzeit bestehen noch keine einheitlichen Vorgaben, Nanomaterialien gegenüber den Testorganismen wie Nanomaterialien in die Testsysteme eingebracht im Testsystem vor, so dass Niedrigdosiswirkungen werden sollten. Dies führt dazu, dass die Verfügbar- im Test möglich erscheinen. Treten im Rahmen der keit des Nanomaterials für die Stellvertreterorganis- Gefährdungsabschätzung also keine Effekte bei ho- men in den Testsystemen sehr unterschiedlich sein hen Belastungskonzentrationen auf, lässt sich nicht kann und somit auch die ökotoxische Wirkung stark ausschließen, dass bei niedrigeren Konzentrationen von der Art der Applikation in den Tests abhängt. eine Wirkung auf den Testorganismus besteht. Es ist Um die Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit von daher notwendig, dies im Rahmen der Gefährdungs- ökotoxikologischen Studien zu erhöhen, ist es somit abschätzungen zu berücksichtigen. Das kann durch wichtig, die Applikation von Nanomaterialien in den eine höhere Anzahl und einen weiteren Bereich der Tests zu vereinheitlichen (siehe Kapitel 3.1.4). zu testenden Konzentrationen oder auch die detail- liertere Analyse der verfügbaren Konzentration der Für eine Bewertung der möglichen Umweltgefähr- Nanomaterialien im Testsystem erfolgen. dung durch Nanomaterialien liegen derzeit vor allem Studien zur kurzzeitigen Belastung vor. Auf Grundla- Im Rahmen eines standardisierten Tests wird nur das ge des im Unterschied zu nicht nanoskaligen Stoffen Ergebnis der ökotoxischen Wirkung (z. B. Sterblich- veränderten Verhaltens (auch veränderten kineti- keit) berücksichtigt, nicht aber der dahinterliegende schen Verhaltens wie zum Beispiel durch die schwere molekulare Mechanismus. Im Falle von Ionen abge- Wasserlöslichkeit oder verzögerte Auflösung), des benden Nanomaterialien, deren Ionen bekannter- längerfristigen Verbleibs und der verlängerten Ver- weise ökotoxisch wirken, bleibt somit offen, ob die ge- fügbarkeit ist die Aussagekraft dieser kurzzeitigen fundene Toxizität sich allein auf die Abgabe toxischer Studien für eine Bewertung unzureichend. Aussagen Ionen zurückführen lässt oder ob auch der nanoska- zu Langzeiteffekten und Effekten nach Alterung des lige Charakter des Metalls zur Ökotoxizität beiträgt. Nanomaterials in der Umwelt sind notwendig. Damit Um insbesondere langfristiges Verhalten und Wir- verlässliche Aussagen zur Gefährdung durch Nano- kung von ionenabgebenden Nanomaterialien bewer- materialien gemacht werden können, sind daher va- ten zu können, muss im Rahmen der Abschätzung lide Langzeitstudien notwendig und akuten Studien der Umweltgefährdung geklärt werden, wie stark die vorzuziehen. Ionenabgabe über die Zeit ist, beziehungsweise über welchen Zeitraum sich das Nanomaterial gegebenen- Auf Grund des Verhaltens von Nanomaterialien ist da- falls auflöst. In diesem Zusammenhang ist es essen- von auszugehen, dass Boden und Sediment wichtige ziell, Vorgaben zu entwickeln, ob und ab wann ein Zielkompartimente sind, in denen viele der Nanoma- Nanomaterial als vollständig gelöst betrachtet werden terialien längerfristig akkumulieren werden. Daher kann. Hierüber kann abgeleitet werden, ob und unter ist die frühzeitige Betrachtung der ökotoxikologi- welchen Voraussetzungen auf eine nanomaterialspe- schen Wirkung auf Boden- und Sedimentorganismen zifische Bewertung verzichtet werden kann. 11
Für fotokatalytisch aktive Formen von Nanomateria- xischen Wirkung ausgelegt. Aus Sicht des UBA sollten lien ist die Berücksichtigung des natürlichen Sonnen- bei der Gefährdungsabschätzung von Nanomateriali- lichts für die Bestimmung der ökotoxischen Wirkung en auch die potenziell erhöhte Toxizität unter natürli- (insbesondere auf aquatische Organismen) essen- chem Sonnenlicht sowie die oben genannten indirekt ziell48. Des Weiteren können durch die Anlagerung schädigenden Effekte Berücksichtigung finden. von Nanomaterialien an die Oberfläche der Testor- ganismen oder durch die Verstopfung von Atmungs- Für die Beschreibung der Effektkonzentration von apparaten und Verdauungsorganen die Atmung, das konventionellen Chemikalien wird der Bezug von Fressverhalten, die Beweglichkeit oder Prozesse wie Masse zu Volumen oder Gewicht des Testmediums die Häutung beeinflusst werden, was sich wiederum (Wasser, Boden, Sediment) genutzt. Bei Nanomate- auf die Vitalität der Organismen auswirkt. rialien wird die Toxizität allerdings auch über die Partikelgröße bzw. deren Oberfläche bestimmt. Es Auf diese Weise können Nanomaterialien die ökotoxi- gilt zu prüfen, ob für die Beschreibung der Umwelt- sche Wirkung entscheidend beeinflussen. Die Inst- gefährdung durch Nanomaterialien der Bezug zur rumente zur Ableitung der Umweltgefährdung von Partikeloberfläche und -anzahl aussagekräftiger ist Stoffen sind stark auf die Bestimmung der direkten to- als der Bezug zur Masse. Aus Sicht des UBA sind bei der Ausgestaltung der Pflichten in den verschiedenen Regelungen Langzeit- studien akuten Studien vorzuziehen. Auch müssen Effekte auf Boden- und Sedimentorganismen stärker berücksichtigt werden. Neben der chemischen Toxizität sind bei der Gefährdungsabschätzung auch Effekte durch zum Beispiel mechanische Wirkung, Fotoreaktivität oder zusätzliche Partikeltoxizität mit einzubeziehen. Bei der ökotoxikologischen Untersuchung von Nanomaterialien sind sowohl die zu untersuchenden Nanomaterialien als auch das eingesetzte Testmedium ausreichend zu charakterisieren und mit ent- sprechender Analytik zu begleiten. Herausforderung bei der Expositionsabschätzung kompartimenten abzuleiten. Viele der diesen Model- Während zur Abschätzung der Effekte auf Umwelt- len zugrundeliegenden Grundsätze und Methoden organismen in den letzten Jahren erhebliche Daten eignen sich aber nicht für Nanomaterialien: Beste- generiert wurden, ist die zur Ableitung der poten- hende Modelle zur Expositionsabschätzung basieren ziellen Umweltexposition notwendige Datenlage zu auf thermodynamischen Prozessen, bei denen eine Produktionsmengen, Anwendungsbereichen und Verteilung zwischen den verschiedenen Umwelt- potenziellen Freisetzungsquellen deutlich einge- kompartimenten bis zum Erreichen eines Konzentra- schränkt. Darüber hinaus müssen Methoden und tionsgleichgewichts angenommen wird. Das ist bei Techniken standardisiert werden, die es ermöglichen, Nanomaterialien nicht der Fall49. die Freisetzung aus Produkten und Anwendungen der eingesetzten Nanomaterialien zu bestimmen und die Verhalten und Verbleib von Nanomaterialien in der freigesetzten Nanomaterialien in den verschiedenen Umwelt unterliegen vorrangig kinetischen Prozessen Umweltkompartimenten qualitativ und quantitativ wie Agglomeration und Sedimentation. Daneben ist nachzuweisen. die Löslichkeitsrate von Bedeutung. Auch können Nanomaterialien zu einem bedeutenden Anteil an Üblicherweise werden zur Abschätzung der Umwelt- Oberflächen von in den Umweltkompartimenten vor- exposition etablierte Modelle herangezogen, die unter handenen Feststoffen anhaften. Biodegradation, als Berücksichtigung von Produktions- und Anwen- wichtiger Parameter für die Ermittlung der Umwelt- dungsdaten und Daten zur Freisetzung Informationen exposition vieler Stoffe, ist für viele Nanomaterialien zu Verhalten und Verbleib von Stoffen nutzen, um meist nicht relevant, da sie vorrangig anorganischer deren Konzentrationen in den verschiedenen Umwelt- Natur sind. 12
Wichtigere Aspekte für eine verlässliche Expositions- für Nanomaterialien anwendbar sind oder ob Anpas- abschätzung sind dagegen abiotische Veränderun- sungs- bzw. Ergänzungsbedarf besteht. Ein Ergebnis gen, z. B. durch chemische Transformation, durch des Programms ist, dass die bestehenden Prüfricht- Verlust von Oberflächenbeschichtung oder durch linien im Allgemeinen anwendbar sind. Dennoch Bindung von anderen Stoffen. besteht Anpassungs- und Ergänzungsbedarf. So wurden unter anderem auf einem Expertentreffen Diese Aspekte nehmen Einfluss auf das weitere der OECD zum Umweltverhalten und Umweltwirkun- Verhalten und die Wirkung von Nanomaterialien in gen von Nanomaterialien verschiedene ausgewählte der Umwelt. Prozesse wie diese, die spezifisch für das OECD Prüfrichtlinien hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit Verhalten und den Verbleib von Nanomaterialien in zur Untersuchung von Nanomaterialien diskutiert der Umwelt sind, finden allerdings bisher keine oder und Empfehlungen erarbeitet52. kaum Beachtung in den existierenden Expositions- modellen oder regulatorischen Informationsanforde- Der identifizierte Anpassungsbedarf der OECD Prüf- rungen. Eine Anpassung ist daher zwingend notwen- richtlinien ergibt sich vorrangig durch das besondere dig, um die quantitative und qualitative Verteilung und von löslichen organischen Chemikalien abwei- und den Verbleib von Nanomaterialien in der Umwelt chende Verhalten von Nanomaterialien in der Um- besser beschreiben und einschätzen zu können. welt und in den entsprechenden Testsystemen. Die Voraussetzungen zur Erhebung verlässlicher Daten für Nanomaterialien mit diesen Prüfrichtlinien sind Bei der Ausgestaltung der Pflichten in den damit nicht mehr gegeben. verschiedenen Regelungen zur Expositions- betrachtung ist aus Sicht des UBAs eine Für eine Reihe von Prüfrichtlinien besteht die Anpassung der geforderten Informationen für Notwendigkeit, zusätzliche Leitfäden für die Un- Nanomaterialien notwendig. tersuchung von Nanomaterialien zu schaffen. Dies betrifft insbesondere Anleitungen zur Einbringung Wichtige Parameter sind neben dem Agglome- der Nanomaterialien in die Testsysteme, zur Be- rations- und Löslichkeitsverhalten abiotische Veränderungen, z. B. durch chemische Trans- gleitanalytik und zur Ergebnisinterpretation und formation, durch Verlust von Oberflächenbe- -dokumentation bei der Untersuchung von Wirkung schichtungen oder durch Bindung von anderen auf und Anreicherung in aquatische Organismen Stoffen. Diese Parameter müssen auch in die einschließlich Sedimentbewohnern. Auch weisen Expositionsmodelle Einzug finden. die hier bestehenden Arbeitsanleitungen Freiheiten in der Testdurchführung auf, die für konventionelle Chemikalien durchaus gerechtfertigt sind, bei der An- 3.1.4 Nanospezifisches Vorgehen für die standardi- wendung für Nanomaterialien aber dazu führen, dass sierte Testdurchführung die Ergebnisse nur schwer vergleichbar und daher Für die reproduzierbare und vergleichbare Untersu- wenig belastbar sind53. chung von Chemikalien werden eine Reihe standardi- sierter, international harmonisierter und akzeptierter Basierend auf diesen Empfehlungen befinden sich Modelle, Prüfrichtlinien und Leitfäden herangezo- derzeit zwei OECD Leitfäden in der Entwicklung. Der gen50. Diese wurden vorrangig für mehr oder weniger eine soll als übergreifender Leitfaden Anleitungen wasserlösliche, organische Chemikalien entwickelt. für die Nutzung bestehender OECD Prüfrichtlinien zur Umweltwirkung auf aquatische Organismen Die OECD hat im Jahre 2007 im Rahmen des Chemi- und Sedimentbewohner für Nanomaterialien geben. kalienprogramms mit der OECD WPMN (Working Par- Der zweite Leitfaden soll die Bestimmung der Bio- ty on Manufactured Nanomaterials) das sogenannte akkumulation von Nanomaterialien in Fischen über Sponsorship Programme (2009-2014) ins Leben geru- Futtergabe als Ergänzung zur bestehenden OECD fen, in dem ursprünglich 14 repräsentative Nanoma- Prüfrichtlinie beschreiben. terialien getestet werden sollten51. Eine Aufgabe war es zu überprüfen, ob die bestehenden Prüfrichtlinien Neue Prüfrichtlinien sind vor allem für die Bestim- der OECD zur Untersuchung von Chemikalien auch mung des Umweltverhaltens von Nanomaterialien 13
notwendig. Hierzu gehören Endpunkte wie das der physikalisch-chemischen Eigenschaften von Löslichkeits- und Agglomerationsverhalten sowie die Nanomaterialien eine zentrale Bedeutung zu. Neben abiotische Degradation und Transformation in der der Entwicklung der OECD Leitfäden und Prüfricht- Umwelt. Für diese Eigenschaften liegen bisher keine linien zur Bestimmung des Umweltverhaltens und OECD Prüfrichtlinien vor. Auch die Entwicklung der Umweltwirkung muss die Entwicklung von OECD eines Leitfadens zur Bestimmung der Mobilität in Bö- Prüfrichtlinien zu Bestimmung der physikalisch- den wurde auf dem oben stehenden Expertentreffen chemischen Eigenschaften zwingend vorangetrieben der OECD vorgeschlagen. werden. Ein Entwurf für eine Prüfrichtlinie zur Testung des Agglomerationsverhaltens von Nanomaterialien in Aus Sicht des UBAs ist die Anpassung und Ent- Abhängigkeit von Umweltparametern wurde von wicklung von nanospezifischen OECD Prüfricht- linien und Leitfäden ein wichtiger Baustein zur Deutschland unter Federführung des UBA entwi- angemessen Bewertung der Umweltrisiken von ckelt und Ende 2015 beim Prüfrichtlinienprogramm Nanomaterialien. Diese Aktivitäten sind weiter der OECD eingereicht. Daneben sind derzeit eine voranzutreiben. Prüfrichtlinie zur Bestimmung der Löslichkeitsrate von Nanomaterialien in Abhängigkeit von Umwelt- parametern sowie ein Leitfaden, der die Ergebnisse 3.1.5 Entwicklung nanospezifischer Stoffgruppen- aus Untersuchungen anhand der Prüfrichtlinien zur und Analogiekonzepte Agglomeration und Löslichkeitsrate zusammenfüh- Konzepte zur Erfüllung der Datenanforderungen ren und deren Interpretation unterstützen soll, in der abweichend von Standardprüfprogrammen sind Entwicklung. Ziel des Leitfadens ist auch die Nutzung bereits für chemische Stoffe etabliert. Eines davon ist der Daten aus beiden Prüfrichtlinien zur Planung das Stoffgruppen- und Analogiekonzept. Ziel dieses geeigneter Testbedingungen sowie zur Vorhersage Konzepts ist es zum einen, für chemische Stoffe mit des Verhaltens der untersuchten Nanomaterialien in struktureller Ähnlichkeit, deren physikalischen- weiterführenden Tests. chemischen, (öko-)toxikologischen Eigenschaften oder Eigenschaften im Verhalten vorherzusagen. Zum Die OECD Prüfrichtlinie zur Bestimmung der Was- anderen soll bei Vorliegen ausreichender Hinweise die serlöslichkeit und generell alle Methoden, die Vertei- Übertragung verfügbarer Daten zur Gefährdung eines lungskoeffizienten zur Ableitung von Verhalten und chemischen Stoffes auf einen anderen ermöglicht Verteilung in der Umwelt nutzen, sind für Nanoma- werden. terialien nicht geeignet, da diese auf thermodyna- mischen Prinzipien beruhen. Dagegen sind für das Dieses Konzept soll den Aufwand zahlreicher Prü- Verhalten und die Verteilung von Nanomaterialien fungen zu Verhalten und Wirkung aller einzelnen in der Umwelt vorrangig kinetische Prozesse von Mitglieder einer Gruppe reduzieren. Darüber hin- Bedeutung. Auch die OECD Prüfrichtlinie zur Bestim- aus soll die Zahl an tierexperimentellen Versuchen mung der Adsorption-Desorption ist für Nanomateri- gesenkt werden. Die aktuellen Leitfäden der ECHA54 alien nicht anwendbar. Auf Grund der Vorgaben bei und OECD55 zur Anwendung von Stoffgruppen- und der Testdurchführung ist eine Unterscheidung von Analogiekonzepten beinhalten derzeit noch keine tatsächlich am Boden adsorbierten Nanomaterialien spezifische Herangehensweise für Nanomaterialien. und solchen, die nur agglomeriert vorliegen, nicht Hierzu müssen zunächst Kriterien entwickelt werden, verlässlich durchführbar. die die Identifizierung von Gruppen anhand ähnli- cher Eigenschaften ermöglichen oder eine Datenüber- Grundlegend für eine angemessene Risikobewertung tragung erlauben. von Nanomaterialien ist darüber hinaus die spezifi- sche Beschreibung der Eigenschaften des zu untersu- So gilt es, Parameter oder Kombinationen von Para- chenden Nanomaterials wie z. B. Partikelgröße und metern zu identifizieren, die für die Unterscheidung -verteilung, Oberfläche und Oberflächenchemie und oder Vergleichbarkeit von Nanomaterialien wesent- -ladung. Somit kommt der Entwicklung von spezifi- lich sein können, wie z. B. chemische Identität, intrin- schen OECD Prüfrichtlinien zur Charakterisierung sische Partikeleigenschaften wie Größe und Morpho- 14
logie oder extrinsische Partikeleigenschaften wie das Aspekte zur Gruppierung von Nanomaterialien bei Löslichkeits- oder Agglomerationsverhalten.56 Auch der Überarbeitung der entsprechenden Leitfäden zur die Reaktivität der Nanomaterialien kann ein bedeu- Gruppierung von Chemikalien berücksichtigt werden. tender Parameter bei der Gruppierung von Nanoma- In derzeitig laufenden nationalen und internationa- terialien sein. Sowohl die ECHA als auch die OECD len Forschungsvorhaben arbeiten Wissenschaftler an haben die Entwicklung von Konzepten zur Gruppie- der Identifizierung der wesentlichen Parameter und rung als zentrales Thema für die Bewertung und Re- an der Entwicklung von Konzepten zur Gruppierung. gulierung von Nanomaterialien identifiziert. So sollen Bei der Vielzahl der bereits auf dem Markt existierenden und zu erwartenden technisch hergestellten Nanomaterialien ist der Aufwand für die individuelle Untersuchung und Bewertung der zahlreichen Mo- difikationen enorm. Daher gilt es, Konzepte zu entwickeln, die es erlauben, Nanomaterialien hinsichtlich ihrer Gefährdung ausreichend zu bewerten, aber Einzelprüfungen einer großen Anzahl verschiedener Formen vermeiden zu können. 3.2. Regelungsspezifische Defizite und Darstellung innerhalb des Registrierungsdossiers. Anpassungsbedarf In REACH fehlen klare Vorgaben zu den Datenan- 3.2.1. Chemikalien forderungen und der Stoffsicherheitsbewertung für Die Herstellung, der Import und die Verwendung nanoskalige Formen von Stoffen. Im Sinne der Rechts- von chemischen Stoffen werden in der Europäischen klarheit, der Gleichbehandlung und zur Erfüllung Chemikalienverordnung REACH (Verordnung EG des Vorsorgeprinzips ist es erforderlich, die Anfor- (Nr.) 1907/2006) geregelt. Demnach ist ein Registrant derungen an Nanomaterialien in REACH eindeutig verpflichtet, die Gefährlichkeit der Stoffe zu untersu- festzulegen. Diese Anpassung würde auch die für chen und von ihnen ausgehende Risiken zu bewer- Nanomaterialien bestehenden Herausforderungen bei ten, um einen ausreichenden Schutz von Mensch und der Anwendung der REACH-Instrumente wie Dossier- Umwelt gewährleisten zu können. Dazu müssen unter bewertung, Stoffbewertung oder Sicherheitsdaten- anderem Daten zur (Öko-)Toxizität und zur Verwen- blatt deutlich verringern. dung einschließlich der Einschätzung, inwieweit Mensch und Umwelt gegenüber diesen Stoffen über Regulierungsansätze für Nanomaterialien wurden den gesamten Lebenszyklus exponiert sein können, bereits von den Umweltverbänden Client Earth, CIEL bei der ECHA vorgelegt werden. Die Prüfanforderun- und BUND im November 201257 sowie der Schwedi- gen für die Stoffe sind entsprechend der jährlichen schen Chemikalienagentur (KemI) im April 201358 Herstellungs- und Importmenge gestaffelt (ab 1, 10, veröffentlicht. Ein Konzept wie Nanomaterialien 100 bzw. 1000 Tonnen pro Jahr und Hersteller) und speziell unter REACH reguliert werden sollten, wurde bauen aufeinander auf. vom UBA in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (BAuA) und Es besteht ein breiter Konsens, dass REACH in seiner dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erar- Konzeption, seinen Werkzeugen und Methoden (Prü- beitet. Dieses wurde der Europäischen Kommission fungen zur Gefahrenermittlung, Risikoabschätzung und anderen EU-Gremien im Mai 2012 vorgestellt und Risikomanagementmaßnahmen) den passenden und im Januar 2013 veröffentlicht59. Rahmen zur sicheren Handhabung auch von Nano- materialien liefert. Allerdings sind Anpassungen der Die Europäische Kommission und EU-Mitgliedstaaten Vorgaben an die Besonderheiten von Nanomateria- haben sich im Grundsatz darauf verständigt, dass lien erforderlich. Diskussionen zur Anpassung von REACH an die Besonderheiten von Nanomaterialien REACH laufen bereits seit mehreren Jahren. angepasst werden sollte. Im Frühjahr 2013 einigten sich die Europäische Kommission und die Mitglieds- Für Nanomaterialien bedarf es klarer Vorgaben hin- staaten darauf, REACH vor der letzten Registrierungs- sichtlich der Datenanforderungen und transparenter frist nicht im Artikelteil zu ändern, sondern nur die 15
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