Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Oliver Meier Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Der Beitrag internationaler Regime zur Kontrolle von Massenvernichtungskapazitäten in Kriegs- und Krisengebieten S9 Mai 2017 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2017 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit 8 Das Risiko und seine Analyse 10 Politische Unterstützung und Kooperationen 10 Die Rolle der Zentralregierung 11 Die Unterstützung der Großmächte 12 Die Zusammenarbeit internationaler Organisationen 15 Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit 15 Praktische Voraussetzungen: Logistik und Sicherheit 16 Die Erweiterung bestehender Verfahren: Gewinnung und Nutzung von Informationen 18 Partner oder Gegner? Der Umgang mit nicht-staatlichen Akteuren 20 Pay as you go: Ad-hoc-Finanzierung von Abrüstungsmissionen 20 Die Flexibilisierung von Regeln: Abrüstung unter Zeitdruck 23 Neue Verfahren: Die Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen 27 So wenig Verregelung wie nötig, so gute Vorbereitung wie möglich: Schlussfolgerungen und Empfehlungen 28 Ausblick: Künftige Trends, regionale Hotspots, Regelungslücken 29 Anpassung von Nichtverbreitungsregimen 31 Prävention stärken 32 Krisenplanung verbessern 34 Stakeholder einbeziehen 35 Die Rolle des Sicherheitsrats stärken 36 Die Rolle Deutschlands 38 Abkürzungen
Dr. Oliver Meier ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Problemstellung und Empfehlungen Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Der Beitrag internationaler Regime zur Kontrolle von Massenvernichtungskapazitäten in Kriegs- und Krisengebieten Regime zur Nichtverbreitung von nuklearen, biologi- schen oder chemischen Waffen stehen vor vielfältigen Problemen. Am gravierendsten sind Vertragsverletzun- gen durch Regierungen, die das Ziel verfolgen, Massen- vernichtungswaffen zu entwickeln. Für den Umgang mit solchen Verstößen durch Vertragsparteien gibt es völkerrechtliche Regelungen, die beispielsweise gegen- über Nordkorea und Iran auch schon angewendet wor- den sind. Zunehmend aber stößt die Implementierung von Regeln zur Kontrolle von Massenvernichtungs- waffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit an Gren- zen. Eklatante Beispiele hierfür sind die Länder Syrien und Irak, in denen in jüngster Zeit Chemiewaffen ein- gesetzt worden sind. Das Regelwerk für den Umgang mit solchen Problemen ist bis dato mangelhaft, obwohl gerade in Räumen begrenzter Staatlichkeit die Kon- trolle der Kapazitäten zur Herstellung oder zum Ein- satz von nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen besonders dringlich ist. Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen – also all jene Maßnahmen, die sich auf deren Abrüstung und Nichtverbreitung richten – in Räumen begrenzter Staatlichkeit wird eine Herausforderung bleiben. Die weltweit anhaltende Tendenz zum Zerfall von Staaten oder Verlust von Staatlichkeit, die Zunahme innerstaat- licher bewaffneter Konflikte, das Aufkommen trans- national agierender Terrorgruppen sowie die Prolife- ration sensitiver Technologien stellen die internatio- nale Staatengemeinschaft vor schwierige Aufgaben. Die genannten Probleme akkumulieren sich besonders im Mittleren Osten und in Süd- bzw. Ostasien. Für Deutschland ist die Kontrolle von Massen- vernichtungswaffen in Krisen- und Kriegsregionen eine zentrale außen- und sicherheitspolitische Heraus- forderung. Wenn Terrorgruppen Zugriff auf derartige Waffen bekommen, drohen in Europa Anschläge mit Massenvernichtungswaffen. Von Bio-, Chemie- und Nuklearwaffen gehen zudem Risiken für die Menschen in Kriegs- und Krisenregionen aus und die Existenz sol- cher Potentiale erschwert die politische Lösung regio- naler Konflikte. Schließlich geht es aus europäischer Sicht um eine Stärkung internationaler Ordnungs- SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 5
Problemstellung und Empfehlungen strukturen durch eine Anpassung multilateraler Nicht- vernichtungswaffen geändert oder ganz neue Proze- verbreitungsregime an krisenhafte Entwicklungen. duren geschaffen werden. Die seit 2003 gesammelten Erfahrungen mit der Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Irak, (OVCW) hat wesentlich dazu beigetragen, dass chemi- Libyen und Syrien sind gemischt. In Irak und Libyen sche Kampfstoffe trotz der widrigen Bedingungen sind chemische Altlasten zu Proliferationsrisiken ge- eines Bürgerkriegs in Syrien außerhalb des Landes ver- worden, weil die internationale Gemeinschaft zu spät nichtet werden konnten. Multilaterale Verträge wie gehandelt hat. Die 2013 begonnene Vernichtung der das Genfer Protokoll von 1925 über das Verbot des Ein- syrischen Chemiewaffen erfolgte zügig, aber unvoll- satzes von Bio- und Chemiewaffen, das Biowaffen- ständig. Die Gefahr der Proliferation an Terrorgrup- übereinkommen (BWÜ) von 1972, der nukleare Nicht- pen ist noch lange nicht gebannt. Die Regierungs- verbreitungsvertrag (NVV) von 1968 und das Chemie- truppen und die Terrormiliz Islamischer Staat setzen waffenübereinkommen (CWÜ) von 1993 sind elemen- weiterhin Chemiewaffen ein und bedrohen die Men- tare normative, politische und praktische Bezugspunk- schen vor Ort. Eine strafrechtliche Verfolgung dieser te für die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen – Kriegsverbrechen ist nicht in Sicht. auch und gerade in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Immerhin sind die gefährlichsten syrischen Chemie- Eine Reform zwischenstaatlicher Regime sollte nach waffen in einer konzertierten multilateralen Aktion dem Motto »So wenig Verregelung wie nötig, so gute außer Landes gebracht und vernichtet worden. Die Vorbereitung wie möglich« erfolgen. Vier Bereiche internationale Gemeinschaft untersucht die fort- wären bei diesem Vorhaben von zentraler Bedeutung: gesetzten Giftgasangriffe in Syrien und hat – zum Erstens sollte die Prävention verbessert werden durch ersten Mal überhaupt – in einigen wenigen Fällen eine möglichst frühzeitige Sicherung von Waffen oder auch die Verantwortlichen ermitteln können. missbrauchsrelevanten Technologien. Zweitens sollten Diese positiven Ergebnisse konnten erreicht wer- die Planungen für den Krisenfall angepasst werden. den, weil die syrische Regierung unter der Androhung Drittens sollten die Vertragsstaaten internationaler einer militärischen Intervention dem Chemiewaffen- Organisationen, die mit der Nichtverbreitung von übereinkommen beigetreten ist und mit internationa- Massenvernichtungswaffen befasst sind, die Voraus- len Organisationen zusammengearbeitet hat. Zudem setzungen schaffen für eine Interaktion mit relevan- haben wichtige Großmächte – insbesondere Russland ten nicht-staatlichen Akteuren in Kriegs- und Krisen- und die USA – bei der Inspektion, der Sicherung, dem regionen. Und viertens sollte die zentrale Rolle des Transport und der Zerstörung der deklarierten syri- Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Fragen der schen Chemiewaffen kooperiert und mehrere inter- Kontrolle von Massenvernichtungswaffen gestärkt und nationale Organisationen ihre Aktivitäten koordiniert. das Gremium gleichzeitig enger an multilaterale Sollen solche Erfolge wiederholt werden, müssen Nichtverbreitungsregime angebunden werden. bestimmte Regeln und Verfahren der Nichtverbrei- Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass die tungsregime an jene besonderen Bedingungen an- internationale Gemeinschaft auf kommende Heraus- gepasst werden, die für Räume begrenzter Staatlich- forderungen bei der Kontrolle von Massenvernichtungs- keit typisch sind. Denn in schwachen oder zerfallen- waffen besser vorbereitet ist. Sie würden zugleich die den Staaten üben die Zentralregierungen, die als Ver- Effektivität internationaler Ordnungsinstrumente er- tragsparteien anzusprechen sind, keine oder allenfalls höhen. Damit würden sie gut in Deutschlands außen- begrenzte Kontrolle über das eigene Territorium aus. politische Agenda passen, die gerade in Zeiten fort- Die Staatsführung ist unter Umständen nicht willens gesetzter Krisen auf starke, resiliente internationale und/oder nicht in der Lage, sich vertragskonform zu Organisationen setzt. Die Bundesregierung hat in den verhalten. Auch erfordert das Agieren in Krisengebie- letzten Jahren bereits auf vielfältige Weise Abrüstungs- ten spezielle Sicherheits- und Logistikmaßnahmen. operationen unterstützt. Künftig wird es auch darauf Zudem müssen neue Verfahren zur Informations- ankommen, dass Berlin energischer als bisher die poli- beschaffung gefunden werden. Das Erfordernis, mit tische Initiative zur Umsetzung der obengenannten nicht-staatlichen Akteuren vor Ort kommunizieren Reformen übernimmt. Dabei sollte Deutschland ver- und kooperieren zu müssen, stellt oft eine weitere poli- mehrt um gleichgesinnte Partner in der EU und den tische Hürde dar. Schließlich müssen die bestehenden G20 werben. Regeln zur Abrüstung von Waffenpotentialen oder zur Untersuchung von behaupteten Einsätzen von Massen- SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 6
Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit Die Umsetzung von Regimen zur Kontrolle von Funktionen erfüllt werden. 3 Die Kontrolle über Massen- nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen vernichtungswaffen gehört allerdings nicht dazu, gestaltet sich häufig dort sehr schwierig, wo hohe denn die Gruppen, die in solchen Territorien agieren, Proliferationsrisiken existieren. In Zeiten internatio- besitzen entweder eine begrenzte oder gar keine völ- naler Unordnung befinden sich Massenvernichtungs- kerrechtliche Legitimität. waffen oder Kapazitäten zu deren Herstellung immer In der Praxis haben Regierungen oder die mit der öfter in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen be- Räume begrenzter Staatlichkeit sind Gebiete, über fassten Institutionen diesen unklaren Status vieler die eine Zentralregierung zwar nominell die Herr- Räume begrenzter Staatlichkeit zumindest so lange schaft, tatsächlich aber nicht oder nur in begrenztem ignoriert oder toleriert, wie von dort kein Prolifera- Maße die Kontrolle ausübt. Außerhalb der OECD-Welt tionsrisiko ausging bzw. ausgeht. Gelegentlich haben erfüllen nur wenige Staaten das (westliche) Ideal des sie zu pragmatischen Lösungen gegriffen, um un- konsolidierten Nationalstaats, der volle Kontrolle über geachtet einer umstrittenen völkerrechtlichen Lage sein Territorium besitzt und über die Mittel verfügt, ein gewisses Maß an Kontrolle zu gewährleisten. internationale Regeln auf seinem Staatsgebiet durch- Zwei Trends allerdings lassen das Problem von zusetzen. 1 Und es gibt eine anhaltende Tendenz des Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Zerfalls oder der Schwächung von Staaten. Die OECD Staatlichkeit stärker in den Mittelpunkt politischer klassifizierte 2015 rund 50 Staaten als fragil. Circa Aufmerksamkeit rücken. Erstens erhalten im Zuge der 20 Prozent der Weltbevölkerung leben in solchen Globalisierung immer mehr Akteure in immer mehr Ländern. 2 Ländern Zugang zu relevanten Dual-use-Techno- Im Hinblick auf eine globale, effektive Kontrolle logien. 4 Zweitens steigt die Zahl bewaffneter Konflikte. von Massenvernichtungswaffen ist diese Entwicklung Während 2010 weltweit 80 bewaffnete Konflikte statt- problematisch, denn multilaterale Verträge sind fanden, waren es 2015 rund 147. Beunruhigend im darauf ausgelegt, dass die Zentralregierung eines Ver- Hinblick auf die Implikationen des Verlusts staatlicher tragsstaats die in diesen Abkommen fixierten Ver- und Kontrolle ist die besonders starke Zunahme der Betei- Gebote durch Ausführungsgesetze in nationales Recht ligung nicht-staatlicher Akteure an bewaffneten Kon- überführt. Die Regierung ist zudem verpflichtet, Ver- flikten. 5 Und: Viele solcher bewaffneter Konflikte fin- waltung, Polizei und Justiz so auszustatten, dass diese den in Regionen statt, in denen auch Massenvernich- Ausführungsbestimmungen umgesetzt bzw. über- tungswaffen oder Kapazitäten zu ihrer Produktion wacht werden können und Verstöße, soweit möglich, vorhanden sind. Verschärft wird diese Problemlage aufgedeckt und bestraft werden. In Räumen begrenzter Staatlichkeit greift dieses 3 Vgl. Tobias Debiel/ Stephan Klingebiel/ Andreas Mehler u.a., Modell der nationalen Umsetzung internationaler Zwischen Ignorieren und Intervenieren. Strategien und Dilemmata Abkommen nicht. Mit den dort praktizierten Formen externer Akteure in fragilen Staaten, Bonn: Stiftung Entwicklung der »governance« können zwar eine Reihe politischer und Frieden, Januar 2005 (Policy Paper Nr. 25), (Zugriff am 2.3.2017). 4 Vgl. Oliver Meier, »Dual-use Technology Transfers and the Legitimacy of Non-proliferation Regimes«, in: Oliver Meier 1 Vgl. Stephen D. Krasner/ Thomas Risse, »External Actors, (Hg.), Technology Transfers and Non-Proliferation. Between Control State-Building, and Service Provision in Areas of Limited and Cooperation, New York u.a., 2014, S. 3–21. Statehood: Introduction«, in: Governance, 27 (2014) 4, S. 545– 5 Für das Jahr 2010 registrierte das Uppsala Conflict Data 567; Thomas Risse, »Governance under Limited Sovereignty«, Program (UCDP) 28 nicht-staatliche bewaffnete Konflikte, 2015 in: Martha Finnemore/Judith Goldstein (Hg.), Back to Basics: waren es 71. Die Zahl der Opfer bewaffneter Konflikte ins- State Power in a Contemporary World, New York 2013, S. 78–104. gesamt hat sich von 2010 (30 700) bis 2015 (118 400) fast ver- 2 Zahlen nach OECD, States of Fragility 2015. Meeting Post-2015 vierfacht, siehe UCDP, Uppsala Conflict Data Program, Uppsala, Ambitions, Paris 2015, S. 31. (Zugriff am 25.11.2016). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 7
Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit durch transnational agierende terroristische Gruppen, men – langfristig der Entzug politischer Unterstüt- die erklärtermaßen ein Interesse an der Verfügungs- zung und damit der Bedeutungsverlust. gewalt über Massenvernichtungswaffen haben. Deutschland engagiert sich als Mittelmacht bei der Es ist daher kein Zufall, dass sich Anstrengungen Suche nach friedlichen Lösungen für regionale Kon- zur Abrüstung von Massenvernichtungswaffen und flikte und sieht in multilateralen Verträgen und Mecha- zur Aufklärung von behaupteten Einsätzen immer nismen im Bereich der Abrüstung und Rüstungs- häufiger auf Staaten richten, in denen Bürgerkriege kontrolle »einen unverzichtbaren Beitrag zur Wahrung oder andere bewaffnete Auseinandersetzungen statt- von Frieden und Sicherheit« 7 sowie der internatio- finden, wie jüngst den Irak, Libyen und Syrien. nalen Ordnung. Unter diesen Prämissen sind Pro- Wenn hier vom Problem der Kontrolle von Massen- bleme der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen vernichtungskapazitäten in Räumen begrenzter Staat- in Räumen begrenzter Staatlichkeit für die deutsche lichkeit die Rede ist, dann geht es in der Regel um Außenpolitik unmittelbar relevant. Kurzum: Wenn nichtverbreitungspolitische Herausforderungen in die »Krise zum Dauerzustand« 8 wird, stellt sich die solchen Kriegs- und Krisengebieten. Eine umfassen- Frage, wie gewachsene und bewährte Ordnungsstruk- dere Untersuchung der Umsetzung internationaler turen in der Rüstungskontrolle an die neuen Heraus- Regime in Gebieten, die nicht unter vollständiger forderungen abnehmender Staatlichkeit und zuneh- Kontrolle eines Staates stehen, in denen aber keine mender Konflikte angepasst werden können. gewalttätigen Auseinandersetzungen stattfinden oder Die Fragestellung dieser Studie lautet daher: Wie drohen, würde den Rahmen der vorliegenden Studie können die Fähigkeiten internationaler Regime zur sprengen. Kontrolle von nuklearen, biologischen und chemi- Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen im schen Massenvernichtungskapazitäten in Räumen Umfeld von Krise und Krieg ist aus mehreren Gründen begrenzter Staatlichkeit verbessert werden? wichtig: In erster Linie geht es darum, das für die Menschen in der betroffenen Region gestiegene Risiko einzudämmen, dass Massenvernichtungswaffen ein- Das Risiko und seine Analyse gesetzt werden. Zweitens muss verhindert werden, dass solche Waffen in die Hände von Terrororganisa- In einer akuten Krise stehen aus nichtverbreitungs- tionen fallen. International agierende Gruppen könn- politischer Perspektive zwei Aufgaben im Vorder- ten diese Waffen auch in Europa einsetzen. 6 Drittens grund: Zum einen muss die unmittelbare Gefahr des können solche Kontrollbemühungen dazu beitragen, Einsatzes oder der Weitergabe nuklearer, biologischer, die internationale Ordnung durch die Weiterentwick- chemischer oder radiologischer Waffen durch deren lung multilateraler Abrüstungsregime zu stärken. Um Sicherung, Abtransport und Zerstörung minimiert die globalen Normen gegen Massenvernichtungs- werden. 9 Zum anderen müssen gegebenenfalls Vor- waffen aufrechtzuerhalten, müssen Verstöße gegen würfe, solche Waffen seien bereits eingesetzt worden, internationale Regeln sanktioniert werden, und zwar aufgeklärt werden. Routineaufgaben wie die Verifika- unabhängig davon, wo sie passieren. Die mit der tion der Nichtproduktion von Massenvernichtungs- Umsetzung dieser Regeln betrauten Organisationen, insbesondere die Internationale Atomenergie-Organi- 7 Auswärtiges Amt, Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken. sation (IAEO) und die Organisation für das Verbot Krise, Ordnung, Europa, Berlin 2015, (Zugriff am 10.11.2016), S. 45. forderungen stellen, die in einer von zunehmender 8 Ebd., S. 8. 9 Ein vom US-Verteidigungsministerium finanziertes For- Unordnung geprägten Welt entstehen. Sonst droht schungsprojekt hat drei Kategorien von künftigen Herausfor- den Regimen – und den in ihnen verankerten Nor- derungen bei der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen identifiziert: 1. die Gefahr, die von Staaten mit einem aktiven 6 Solche Angriffe können darüber hinaus auch mit ein- Massenvernichtungswaffenprogramm (insbesondere Nord- fachen Chemikalien durchgeführt werden, die nicht aus korea) ausgeht; 2. die Schwierigkeit der Kontrolle von nicht- staatlichen Programmen stammen, siehe William M. Alley/ staatlichen Gruppen; 3. das Problem der unvollständigen Ab- Jessica L. Jones, »An Analysis of the Threat of Malicious Chem- rüstung bekannter ABC-Programme, siehe Philipp C. Bleek/ ical Use by Nonstate Actors: Questioning the State-based Chen Kane/ Joshua H. Pollack, »Elimination of Weapons of Approach to Chemical Nonproliferation«, in: The Nonprolifera- Mass Destruction: Lessons from the Last Quarter-century«, in: tion Review, 22 (2015) 3–4, S. 301–319. The Nonproliferation Review, 23 (2016) 1–2, S. 15–23. SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 8
Das Risiko und seine Analyse waffen können in der Regel erst nach dem Ende einer lieren oder auch nur in einem Raum begrenzter Staat- Krise umgesetzt werden und nur dann, wenn die staat- lichkeit agieren. liche Handlungsfähigkeit des Staates wiederhergestellt Im Fokus dieser Untersuchung, die im Wesentlichen ist. auf einer Auswertung relevanter Sekundärliteratur Die diesbezüglich größten Schwierigkeiten ergeben und Primärquellen beruht, 10 stehen die praktischen sich derzeit im Mittleren Osten, aber auch in Asien Probleme, die sich bei der Umsetzung von Verpflich- gibt es eine Tendenz zum Verlust staatlicher Kontrolle tungen zur Abrüstung und Nichtverbreitung von über Massenvernichtungsmittel. Massenvernichtungswaffen in Krisengebieten ergeben. Diese Studie bezieht sich überwiegend auf Pro- Der politische Kontext, in dem Abrüstungsoperationen bleme der Chemiewaffenabrüstung, weil diese aktuell ablaufen, wird in die Analyse zwar einbezogen, aber im Mittelpunkt der Nonproliferationsbemühungen eine umfassende Diskussion etwa der Interessen der stehen. Im Irak, in Libyen und in Syrien gab bzw. gibt involvierten Großmächte in den betroffenen Regionen es Bemühungen um die Kontrolle von Chemiewaffen- würde den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen. programmen. Viele der im Folgenden beschriebenen Herausforderungen stellen sich, mutatis mutandis, allerdings auch in Bezug auf atomare und biologische Waffen sowie Technologien, die zu ihrer Herstellung geeignet sind. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich die Kontrollregime für ABC-Waffen in ihrer Reich- weite und institutionellen Ausstattung unterscheiden. Probleme der Kontrolle konventioneller Waffen wer- den hier nicht untersucht. Diese Waffen haben ein geringeres Zerstörungspotential und es fehlen Nor- men, Regeln, Verfahren und Institutionen, die Basis für Kontrollbemühungen sein könnten. Zwei Faktoren erschweren die Umsetzung von Regeln und Prozeduren zur Kontrolle von Massen- vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich- keit. Erstens müssen die politischen Voraussetzungen für das Agieren in solchen Gebieten gegeben sein. In der Regel ist es so, dass die Zentralregierung die Durch- führung von Operationen zur Abrüstung von Massen- vernichtungswaffen oder zur Untersuchung von be- haupteten Einsätzen solcher Waffen zumindest tole- rieren muss und wichtige Großmächte und inter- nationale Organisationen zur Kooperation vorab be- reit sein müssen. Zweitens müssen die vorhandenen Bestimmungen und Verfahren zur Überwachung und Implementierung von Abrüstungs- und Nichtverbrei- tungsverpflichtungen an die spezifischen Verhältnisse in Krisengebieten angepasst werden. Die Anforderun- gen an Logistik und Sicherheit, die Modalitäten der Informationsgewinnung und Finanzierung sind in einem Umfeld schwacher staatlicher Kontrolle anders; ganz zu schweigen von dem Erfordernis, mit nicht- staatlichen Akteuren umgehen zu müssen. Die 10 Von 2015 bis Anfang 2017 wurden Hintergrundgespräche Schwierigkeit dabei liegt auch im unterschiedlichen mit Entscheidungsträgern in Berlin und Den Haag geführt. Der Autor dankt mehreren Kollegen, die den Entwurf dieser Charakter solcher Akteure begründet. Dies können Studie bzw. Teile des Textes kritisch kommentiert haben. beispielsweise Oppositionsgruppen, Milizen oder War- Vielen Dank auch an Jonathan Trautmann und Sira Cordes lords sein, die ein Territorium längerfristig kontrol- für Hilfe bei der Recherche. Für alle verbleibenden Fehler ist allein der Autor verantwortlich. SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 9
Politische Unterstützung und Kooperationen Politische Unterstützung und Kooperationen Rüstungskontrolle basiert, bis auf wenige Ausnah- Die Rolle der Zentralregierung men, 11 auf dem traditionellen zwischenstaatlichen Modell internationaler Ordnung. Danach setzen die Normalerweise können internationale Nichtverbrei- Vertragsparteien die in multilateralen Abkommen tungsregime nur dort umgesetzt werden, wo ein Ver- enthaltenen Bestimmungen auf ihrem gesamten tragsstaat sein Gewaltmonopol ausübt und bereit ist, Staatsgebiet um. Die Zentralregierung ist für inter- das in Frage stehende Gebiet für internationale Über- nationale Organisationen der kompetente und einzig wachungsmaßnahmen zu öffnen. Diese Einschrän- legitime Partner bei der Implementierung von völker- kung ist insofern unproblematisch, als »fast alle Län- rechtlichen Übereinkünften. der fast alle Prinzipien internationalen Rechts und Maßnahmen zur Überprüfung der Vertragstreue fast alle Verpflichtungen fast immer umsetzen«. 14 Rüs- von Mitgliedstaaten machen im Regelbetrieb selten tungskontrolle gegen den erklärten Willen eines Staa- Schlagzeilen. Die OVCW hat seit Inkrafttreten des tes fand bisher nur nach verlorenen Kriegen statt. 15 Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) 1997 mehr als Auch bei Abrüstungsbemühungen in Räumen be- 6000, 12 die IAEO allein 2015 rund 2000 Routineinspek- grenzter Staatlichkeit ist die offizielle oder zumindest tionen durchgeführt, ohne dass diese Aktivitäten grö- Pro-forma-Zustimmung der Zentralregierung bisher ßere politische Aufmerksamkeit hervorgerufen hät- Voraussetzung für Aktivitäten internationaler Organi- ten. 13 Bemühungen um die Kontrolle von Massen- sationen vor Ort. Kennzeichnend für solche Territo- vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich- rien ist aber der fehlende Wille und/oder die man- keit finden hingegen häufig an geopolitischen Brenn- gelnde Fähigkeit der Vertragspartei(en), ihren inter- punkten statt und stehen unter genauer Beobachtung nationalen Verpflichtungen zur Kontrolle von Massen- der Öffentlichkeit und der Medien. Drei Fragen stellen vernichtungswaffen nachzukommen. Dann können sich, bevor Kontrollmaßnahmen in einem derart hoch Grauzonen entstehen, in denen die Kontrollbemühun- politisierten Umfeld durchgeführt werden können: gen stattfinden. Stimmt die Zentralregierung der Mission zu? Unter- Drei Szenarien sind hauptsächlich denkbar: Erstens stützen relevante Großmächte die Mission? Wie gut ist kann eine Regierung durch Staatszerfall oder im Zuge die Zusammenarbeit internationaler Organisationen? von kriegerischen Auseinandersetzungen die Herr- schaft über Teile des eigenen Territoriums verlieren. Sie ist dann zu schwach, die Voraussetzungen für die Kontrolle des relevanten Gebiets oder der betreffenden 11 Geneva Call, eine in der Schweiz ansässige NGO, versucht, Einrichtung zu schaffen. Die junge libysche National- bewaffnete nicht-staatliche Akteure (BNSA) zu überzeugen, regierung etwa war nach 2011 nicht in der Lage, inter- Abkommen über das Verbot von Personenminen, Abkommen zum Schutz von Kindern vor den Auswirkungen bewaffneter nationalen Inspektoren Zugang zu den noch im Lande Konflikte und Abkommen zum Verbot sexueller Gewalt in befindlichen Chemiewaffen zu ermöglichen. 16 Situationen bewaffneter Konflikte zu respektieren. Bisher (Stand: April 2017) haben 55 BNSA entsprechende Verpflich- 14 Louis Henkin zitiert in Abram Chayes/Antonia Handler tungserklärungen unterschrieben, siehe Geneva Call, »Be- Chayes, »On Compliance«, in: International Organization, 47 waffnete nichtstaatliche Akteure«, genevacall.org (online), (Frühjahr 1993) 2, S. 175–205 (177), Übersetzung vom Verf. (Zugriff am 27.4.2017). im Vertrag von Versailles auferlegt wurden, und die Abrüs- 12 Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons tung der irakischen Massenvernichtungswaffen durch die (OPCW), Three Types of Inspections, Den Haag, März 2016 (Fact United Nations Special Commission (UNSCOM) nach dem Sheet 5), (Zugriff am armament Framework and Slowdowns«, The Trench (online), 31.3.2017). 8.2.2014, (Zugriff am 10.11.2016). in Practice«, iaea.org (online), (Zugriff am 10.11.2016). »Eliminating Libya’s WMD Programs: Creating a Cooperative SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 10
Die Unterstützung der Großmächte Zweitens kann eine Zentralregierung zwar (nomi- fragen pragmatisch umgangen werden, um eine Kon- nell) die Kontrolle ausüben und ihren Willen zur Zu- trolle der dortigen Atomanlagen sicherzustellen. 22 sammenarbeit erklären, tatsächlich aber nur in be- In der Praxis wird es noch schwerer, solche Heraus- grenztem Umfang zur Kooperation bereit sein. Wenn forderungen zu bewältigen, wenn es Mischformen die Regierung etwa auf Sicherheitsprobleme verweist, zwischen diesen drei Szenarien gibt. um die Zusammenarbeit mit einer Abrüstungsbehör- de auszusetzen oder zu beenden, ist es für externe Akteure oft schwer einzuschätzen, ob solche Bedenken Die Unterstützung der Großmächte echt oder vorgeschoben sind. 17 Erschwerend kommt hinzu, dass externe Akteure, die einen Erfolg bei der In den letzten beiden Jahrzehnten hat die internatio- Zusammenarbeit brauchen, dazu tendieren, einem nale Gemeinschaft auf drei Wegen versucht, koopera- (scheinbar) kooperationswilligen Partner Glauben zu tionsunwillige Staaten zur Zusammenarbeit bei der schenken. 18 Noch schwieriger ist die Lage, wenn der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen zu motivie- Besitzerstaat seine Zustimmung als politischen Hebel ren. Sie hat an das Eigeninteresse der betroffenen Staa- zur Durchsetzung nebengeordneter Ziele nutzt. 19 ten appelliert, Anreize gesetzt und Sanktionen an- Drittens können Grauzonen entstehen, wenn meh- gedroht bzw. verhängt. 23 rere Regierungen ein bestimmtes Gebiet für sich be- Vor allem im Hinblick auf die beiden letztgenann- anspruchen. Die Ukraine etwa bat die IAEO nach der ten Strategien ist es essentiell, dass eine Abrüstungs- russischen Annexion der Krim im Frühjahr 2014, mission durch politisch, militärisch und wirtschaft- einen Forschungsreaktor in Sewastopol vor russischem lich mächtige Staaten unterstützt wird. Diese Staaten Zugriff zu schützen. 20 Kiew forderte die IAEO zudem können in besonderem Maße positive und negative auf, den Reaktor weiter nach den für die Ukraine Anreize setzen, um skeptische oder renitente Akteure geltenden Verfahren zu inspizieren, während Russ- zur Kooperation zu bewegen. So hat die Drohung der land seinerseits anbot, Nuklearkontrollen nach den USA mit Militärschlägen gegen Syrien im August 2013 für Russland gültigen Regeln durchzuführen. 21 Im vermutlich dazu beigetragen, dass Damaskus dem Ergebnis hat die IAEO die betroffene Einrichtung auf CWÜ beigetreten ist und einwilligte, Chemiewaffen- der Krim seit der russischen Besetzung nicht mehr bestände offenzulegen und abzurüsten. Zehn Jahre inspiziert. Im Falle Taiwans konnten solche Status- zuvor, 2003, stellten Großbritannien und die USA Mohammed Ghaddafi in Aussicht, Libyens internatio- nale Isolation zu lockern, wenn er sich bereitfände, Situation«, in: The Nonproliferation Review, 23 (2016) 1–2, S. 185– die libyschen Programme zur Herstellung von Massen- 196. vernichtungswaffen aufzudecken und diese Waffen 17 Ein Beispiel hierfür ist die monatelange Verzögerung des Abtransports syrischer Chemiewaffen aus einer Lagerstätte in abzurüsten. Nach der Invasion des Irak stand die Ge- die Hafenstadt Latakia. Es bestand erhebliche Unsicherheit, fahr eines militärischen Angriffs der USA auf Libyen ob Damaskus damals Sicherheitsbedenken vorschob, um die im Raum. 24 In der Folge legte Ghaddafi seine Chemie- Kontrolle über diese Waffen zu behalten, siehe Louis Char- und Nuklearwaffenprogramme offen. bonneau, »Syria Chemical Arms Destruction Deadline Won’t Be Met – U.N.«, Reuters, 29.5.2014, (Zugriff am 30.5.2014). vertretung Chinas (inklusive Taiwans) übernommen. Nach- 18 Nach 2003 glaubte man, dass Ghaddafi bereit sei, Libyens dem die Volksrepublik China 1983 der IAEO beigetreten war, Chemiewaffen umfänglich abzurüsten. Diese Annahme hat wurde sie alleiniger Ansprechpartner für die Organisation, sich als falsch herausgestellt, siehe Nathan E. Busch/ Joseph F. auch bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen Pilat, »Disarming Libya? A Reassessment after the Arab (Safeguards) in Taiwan. Faktisch wurden die IAEO-Safeguards Spring«, in: International Affairs, 89 (2013) 2, S. 451–475. in allen relevanten Kernanlagen Taiwans allerdings schon 19 Siehe hierzu The Editors, »Diplomatic Strategies for seit 1972 informell auf der Grundlage eines trilateralen Ab- Eliminating WMD«, in: The Nonproliferation Review, 23 (2016) kommens zwischen der IAEO, Taiwan und den USA durch- 1–2, S. 49–59 (54–57). geführt, siehe David Fischer, History of the International Atomic 20 Michael Mariotte, »Russia Seizes Ukrainian Nuclear Uni- Energy Agency. The First Forty Years, Wien 1997, S. 93, 111, 133. versity/Research Reactor in Crimea«, GreenWorld (online), 23 Siehe hierzu The Editors, »Diplomatic Strategies« [wie 8.4.2014, (Zugriff am 19.5.2014). 24 Jonathan B. Tucker, »The Rollback of Libya’s Chemical 21 Atomwaffenstaaten unterliegen schwächeren Verifika- Weapons Program«, in: The Nonproliferation Review, 16 (2009) 3, tionspflichten als Nichtatomwaffenstaaten. S. 363–384. 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Politische Unterstützung und Kooperationen Weil die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder einzigartigen militärischen und technischen Fähig- selbst über Massenvernichtungswaffen verfügen bzw. keiten und des globalen Wirkungsanspruchs der Ver- verfügten, haben sie entsprechende Erfahrungen und einigten Staaten eine notwendige, wenn auch nicht in Kenntnisse über den Umgang mit ihnen. Zugleich ist jedem Fall hinreichende Bedingung für den Erfolg ihr Einverständnis notwendige Voraussetzung für ein eines internationalen Engagements zur Kontrolle von Mandat des Sicherheitsrats zur Ermächtigung einer Massenvernichtungswaffen in Krisenregionen. 28 Abrüstungsmission. Ein gutes Beispiel für die positive Rolle großer Mächte ist die Kooperation Russlands und der USA bei Die Zusammenarbeit der Abrüstung syrischer Chemiewaffen. Experten bei- internationaler Organisationen der Länder hatten schon rund ein Jahr vor der ameri- kanisch-russischen Übereinkunft vom 14. September Sollen die Bemühungen um die Kontrolle von Massen- 2013 25 begonnen, über die Offenlegung und Zerstö- vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich- rung der syrischen Chemiewaffen zu reden. 26 Das in keit erfolgreich sein, so erfordert dies eine enge Zu- Genf geschlossene bilaterale Abkommen antizipierte sammenarbeit internationaler Organisationen, die viele der praktischen Probleme, die bei der Verifika- komplementäre Fähigkeiten und Kenntnisse zusam- tion, Sicherung und Vernichtung der Waffen auftreten menbringen müssen. 29 Eine solche Kooperation kann würden, schlug Lösungen dafür vor und nahm Ent- auf der Grundlage von bereits vorhandenen Rahmen- scheidungen multilateraler Organisationen vorweg. vereinbarungen oder ad hoc, im Kontext fallspezifi- Wenn Großmächte kooperieren, verbessert dies scher Kooperationsabsprachen, erfolgen. Die IAEO und außerdem die politischen Voraussetzungen für eine die OVWC sind »verwandte Organisationen« (»related Einbeziehung dritter Staaten. Deren Beteiligung ist organizations«) der Vereinten Nationen, die aber in wichtig, weil sie weitere Kontroll- und Abrüstungs- direkten Kontakt mit dem Sicherheitsrat und der kapazitäten mitbringen und für größere politische Generalversammlung treten können. 30 Beide haben Legitimität sorgen, indem sie dem Eindruck entgegen- ihr Verhältnis zu den VN in separaten Beziehungs- wirken, die Abrüstung sei ein »Diktat« der Groß- abkommen geregelt, die beispielsweise das freie Geleit mächte. Genau dies war im Fall Syrien dadurch ge- (»UN laisser-passer«) von Mitarbeitern zum inspizier- geben, dass – neben den amerikanischen und russi- ten Staat gewährleisten sollen. 31 schen – Marineeinheiten aus weiteren fünf Staaten die Abrüstungsanstrengungen unterstützten. 27 28 Zur Innovationsfähigkeit der US-Sicherheitsbehörden in Die politische und praktische Mitwirkung Washing- Reaktion auf Proliferationskrisen siehe zum Beispiel Andy Weber/ Christine L. Parthemore, »Innovation in Countering tons ist wegen des großen politischen Einflusses, der Weapons of Mass Destruction«, in: Arms Control Today, 46 (Juli/August 2015) 6, S. 23–26; siehe auch Rebecca Hersman, 25 OPCW, Framework for Elimination of Syrian Chemical Weapons. »Strategic Challenges to WMD Elimination«, in: The Nonprolif- Joint Paper by the Russian Federation and the United States of Ameri- eration Review, 23 (2016) 1–2, S. 31–47 (44–46). ca, Den Haag, 17.9.2013 (EC-M-33/NAT.1), (Zugriff am tion« [wie Fn. 9], S. 19. 31.3.2017) 30 So können beide Organisationen den Sicherheitsrat im 26 Wichtig bei der Analyse des syrischen Chemiewaffen- Falle schwerwiegender Verstöße gegen Bestimmungen des programms war auch die Kooperation der Geheimdienste, IAEO-Statuts bzw. des CWÜ befassen, siehe Dirk Schriefer, siehe Kimberly Dozier, »How Pentagon Geeks & Russian »Die IAEO im System der Vereinten Nationen«, in: Dirk Generals Plotted in Secret to Take Away Assad’s WMD«, The Schriefer/ Walter Sandtner/ Wolfgang Rudischhauser (Hg.), Daily Beast, 20.2.2016, (Zugriff am 2.3.2017), Baden 2007, S. 149–153 (151). und Philipp C. Bleek/Nicholas J. Kramer, »Eliminating Syria’s 31 Siehe zum Beispiel Sheel K. Sharma, »The IAEA and the Chemical Weapons: Implications for Addressing Nuclear, UN Family: Networks of Nuclear Co-operation«, in: IAEA Bul- Biological, and Chemical Threats«, in: The Nonproliferation letin, (1995) 3, S. 10–15, 27 Dies waren China, Dänemark, Finnland, Großbritannien (Zugriff am 2.3.2017); Walter Krutzsch/ Treasa Dunworth, und Norwegen, siehe OPCW-UN Joint Mission in Syria, Status »Article VIII: The Organization«, in: Walter Krutzsch/ Eric of Contributions to the OPCW-UN Joint Mission in Syria, 17.2.2014, Myjer/ Ralf Trapp (Hg.), The Chemical Weapons Convention. A Com- (Zugriff am 2.3.2017). national Law), S. 235–296 (279). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 12
Die Zusammenarbeit internationaler Organisationen VN und OVCW arbeiteten in der gemeinsamen Am 4. Juni 2013 beispielsweise veröffentlichte die Mission zur Abrüstung der Chemiewaffen (UN-OPCW vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ein- Joint Mission) in Syrien vom Oktober 2013 bis zum gesetzte Syrien-Kommission einen Bericht, in dem September 2014 gleichberechtigt zusammen. 32 Beide behauptet wurde, in mindestens vier Fällen lasse sich Organisationen kooperieren zudem seit August 2015 die Freisetzung begrenzter Mengen toxischer Chemi- paritätisch im Rahmen des Gemeinsamen Unter- kalien in Syrien nachweisen. 35 Zu diesem Zeitpunkt suchungsmechanismus (Joint Investigative Mecha- verwehrte Syrien den VN- und OVCW-Inspektoren nism, JIM), der die Verantwortlichen für Giftgas- immer noch den Zugang. Im Ergebnis distanzierte einsätze ermitteln soll. Die Zusammenarbeit der sich Åke Sellstrom, der Leiter des VN-Generalsekretärs- OVCW mit einer Reihe anderer internationaler Organi- mechanismus zur Untersuchung mutmaßlicher sationen im Verlauf des Einsatzes zur Abrüstung der Chemiewaffeneinsätze, von dem Bericht des Menschen- syrischen Chemiewaffen ging weit über den Routine- rechtsrats. betrieb hinaus und wurde durch ein Netz von Abkom- Auch wenn einzelne Staaten Chemiewaffenangriffe men und Absichtserklärungen abgesichert. 33 untersuchen (lassen), kann dies internationale Be- Internationale Organisationen konkurrieren unter- mühungen um die Aufklärung entsprechender Vor- einander um Ressourcen, Zuständigkeiten und Auf- würfe erschweren. Denn unilaterale Investigationen merksamkeit. Auch die Zusammenarbeit bei der erfüllen die hohen Standards internationaler Inspek- Kontrolle von Massenvernichtungswaffen verlief nicht tionen in Bezug auf Methodik, Transparenz und Nach- immer reibungslos. 34 Insbesondere verursachte die prüfbarkeit meist nicht. Sie werden oft gezielt unter- synchrone Befassung mehrerer Organisationen mit nommen, um politischen Druck auszuüben oder ins dem gleichen Problem Friktionen. So gingen nach Leere gehen zu lassen oder um die Ergebnisse inter- 2012 zeitweise mehrere Organisationen parallel und nationaler Ermittlungen in Frage zu stellen. Russland unabhängig voneinander Vorwürfen nach, dass in etwa hat mehrfach solche Untersuchungen durch- Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden. Unterschied- geführt. 36 Aber auch die USA und andere westliche liche Mandate und Untersuchungsmethoden und die Staaten haben versucht, Diskussionen über Chemie- fehlende Abstimmung über die Veröffentlichung der jeweiligen Ermittlungsergebnisse führten zu abwei- 35 Besonders problematisch war, dass sich die Vorsitzende chenden Aussagen über Umfang und Verursacher der der Syrien-Sonderkommission des Menschenrechtsrats Carla Chemiewaffeneinsätze. Solche widersprüchlichen Be- Del Ponte noch vor der Veröffentlichung des Untersuchungs- richte können die Legitimität internationaler Unter- berichts ihrer Institution entsprechend äußerte, siehe Louis suchungen unterminieren. Charbonneau, »Syria Chemical Weapons: U.N. Warns of ›Mounting Reports‹«, HuffPost (online), 22.5.2013, ; S. Johnson, »UN’s Carla Del 32 Informationen und Hintergründe dazu finden sich unter Ponte Massively Undermines Investigation with ›Syrian Rebels . Used Sarin‹ Claim«, CBRNe World News (online), 6.5.2013, 33 Die OVCW kooperierte unter anderem mit der Abrüstungs- (Zugriff jeweils am 2.3.2017). Legal Affairs), der VN-Sicherheitsabteilung (UN Department of 36 Moskau untersuchte zum Beispiel eigenständig die be- Safety and Security, UNDSS), dem Büro für Projektdienste der haupteten Chemiewaffenangriffe vom März 2013 in Khan VN (UN Office for Project Services, UNOPS) und der Welt- al-Assal und machte seinen Bericht im Juli 2013 teilweise den gesundheitsorganisation (WHO), siehe Ralf Trapp, Lessons VN-Sicherheitsratsmitgliedern zugänglich, AFP, »UN Chemi- Learned from the OPCW Mission in Syria. Report Submitted to the cal Inquiry Hopes Hit by Fall of Syrian Town«, Hurriyet Daily Director-General of the Technical Secretariat of the OPCW, Chessenaz News (online), 24.7.2013, (Zugriff am 2.3.2017). Zusammenhang mit dem Kampf um Aleppo Ende 2016 er- 34 So gab es zwischen der Leiterin der UN-OPCW Joint Mis- klärt, eigene Untersuchungsergebnisse würden den Einsatz sion und dem Generaldirektor der OVCW Meinungsverschie- von Chemiewaffen durch nicht-staatliche Gruppen belegen: denheiten über die Frage der Federführung, siehe Jean P. »Exclusive: Sputnik Reports From Terrorist Chemical Factory Zanders, »Üzümcü: ›After Syria I Do Not See Any Country Able in Aleppo«, Sputnik International (online), 29.12.2016, to Use Chemical Weapons Anymore‹«, The Trench (online), (Zugriff jeweils am (Zugriff am 2.3.2017). 2.3.2017). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 13
Politische Unterstützung und Kooperationen waffeneinsätze durch die Veröffentlichung eigener Analysen zu beeinflussen. 37 37 Das amerikanische Außenministerium hat kurz vor der Veröffentlichung des VN-Berichts über die Chemiewaffen- angriffe am 21.8.2013 eine auf US-Geheimdienstanalysen beruhende Einschätzung des Angriffs veröffentlicht, siehe zum Beispiel David Jolly/ Scott Sayare/ Rick Gladstone, U.S. Releases Detailed Intelligence on Syrian Chemical Attack, Paris, 30.8.2013, (Zugriff am 29.11.2016). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 14
Praktische Voraussetzungen: Logistik und Sicherheit Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit »I think ›normal‹ doesn’t apply under the current und andere Verifikationsaktivitäten durchführen. 40 conditions.« 38 Die Kommunikation im Krisengebiet und auch zwi- schen dem Hauptquartier und den am Ort des Gesche- Bei Einsätzen in Räumen begrenzter Staatlichkeit hens eingesetzten Mitarbeitern muss abhörsicher sein. müssen die Regeln und Prozeduren, die in Nicht- Sensitive Informationen sollten zudem kompartmen- verbreitungsregimen festgelegt sind, unter hohem talisiert werden. 41 Zeitdruck an die Bedingungen einer akuten Krise Zuallererst muss die Sicherheit der Mitarbeiter in angepasst werden. Mitunter läuft dies auf die Ent- der Zielregion gewährleistet werden, wie zwei Bei- scheidung hinaus, Standards zu lockern oder zu spiele zeigen: Als VN-Inspektoren drei Tage nach den verschärfen, ein politisch heikler Prozess, der noch verheerenden Chemiewaffenattacken am 21. August durch die Frage an Brisanz gewinnt, wer eine solche 2013 die Umstände des Angriffs aufklären wollten, Flexibilisierung beschließen darf. 39 kamen sie auf Rebellengebiet unter Beschuss. 42 Und am 27. Mai 2014 rückten Mitglieder der OVCW-Unter- suchungsmission aus, um einen behaupteten Chlor- Praktische Voraussetzungen: gasangriff syrischer Regierungstruppen auf das von Logistik und Sicherheit der Opposition gehaltene Hama zu untersuchen. Eines der Fahrzeuge wurde durch einen Sprengsatz be- In Räumen begrenzter Staatlichkeit ist oft entweder schädigt und zwei andere Wagen wurden danach für kein Partner zur Umsetzung von Abrüstungsvorhaben kurze Zeit von Rebellen festgehalten. In beiden Fällen vorhanden oder dieser Partner ist nicht in der Lage waren die Inspektionen mit Regierung und Opposi- bzw. willens, einen Abrüstungsprozess zu begleiten. tion verabredet. 43 Ein solch unkooperatives Umfeld erfordert von Nicht- Die Klärung der rechtlichen Voraussetzungen eines verbreitungsorganisationen zusätzliche logistische Einsatzes im Krisengebiet beginnt mit der angemesse- Anstrengungen. nen Ver- bzw. Absicherung der beauftragten Experten Der Transport von Personal und Ausrüstungs- und ihrer Familien. 44 Die OVCW entsandte zudem nur gegenständen ins Einsatzgebiet kann nicht, wie im Inspektoren nach Syrien, die sich freiwillig für die Routinebetrieb, ausschließlich über kommerzielle Abrüstungsmission gemeldet hatten, und bevorzugte Anbieter gewährleistet werden. Von Vorteil ist es, wenn sich die Mission auf die längerfristige Präsenz von Inspektoren vor Ort stützen kann. Von einer Zen- 40 So konnten sich die Aktivitäten zur Abrüstung der syri- trale oder einem Verbindungsbüro im Einsatzgebiet schen Chemiewaffen auf eine Operationsbasis in Beirut, ein und/oder in benachbarten Ländern können Vertreter Operationszentrum in Jordanien und ein OVCW-Verbindungs- der Abrüstungsorganisation dann Kontakt mit der büro in Damaskus stützen, vgl. ebd., S. 20. Zentralregierung halten, Inspektionen arrangieren 41 Vgl. ebd., S. 13. 42 Der Leiter der Mission berichtete später, dass die Inspek- toren die Schüsse als erwartbares Warnsignal interpretiert und deshalb die Untersuchung fortgesetzt hätten, siehe »Modern Warfare. Interview with Åke Sellstrom, Chief UN 38 Die leitende Koordinatorin der UN-OPCW Joint Mission Weapons Inspector in Syria«, in: CBRNe World, Februar 2014, Sigrid Kaag am 1.11.2013 auf die Frage, ob die Vernichtung S. 8–13 (9), (Zugriff am 2.3.2017). staat erfolgen müsste, siehe »Interview: Head of OPCW-UN 43 Nur einer der Inspektoren wurde leicht verletzt, siehe Team Awaits Next Steps on Destruction of Syria’s Chemical OPCW, Security Incident Affects Syria Fact-Finding Mission, Den Weapons«, United Nations News Centre (online), 1.11.2013 Haag, 27.5.2014, (Zugriff am 12.12.2016). 27.4.2017). 39 Siehe Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 15. 44 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 11. SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 15
Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit Tabelle Mechanismen zur Abrüstung und Überwachung des syrischen Chemiewaffenprogramms und zur Untersuchung von behaupteten Chemiewaffeneinsätzen in Syrien Zeitraum Aufgabe Grundlage VN-Generalsekretärs- seit 21.3.2013 Untersuchung behaupteter VN-Generalversammlung, mechanismus Bio- und Chemiewaffen- Resolution 42/37 C (1987); (UN Secretary General einsätze VN-Sicherheitsratsresolution Mechanism) 620 (1988); Entscheidung des VN-Generalsekretärs Routineverifikation der OVCW seit 14.9.2013 Überprüfung der Einhaltung Beitritt Syriens zum CWÜ von CWÜ-Bestimmungen Gemeinsame Mission der VN 16.10.2013 – Abrüstung der deklarierten VN-Sicherheitsratsresolution und der OVCW 30.9.2014 syrischen Chemiewaffen- 2118 (2013) (UN-OPCW Joint Mission) bestände OVCW Untersuchungsmission seit 29.4.2014 Untersuchung behaupteter Entscheidung des OVCW- (OPCW Fact Finding Mission, Chemiewaffeneinsätze Generaldirektors FFM) OPCW Declaration Assessment seit April 2014 Klärung der »Anomalien und Entscheidung des OVCW- Team (DAT) Widersprüche« in Deklara- Exekutivrats tionen Syriens Gemeinsamer Untersuchungs- seit 7.8.2015 Identifizierung der Verant- VN-Sicherheitsratsresolution mechanismus der VN und der wortlichen für behauptete 2235 (2015), ff. OVCW (UN-OPCW Joint Chemiewaffeneinsätze Investigative Mechanism, JIM) dabei Mitarbeiter mit militärischer Ausbildung sowie Inspektion liegt im Fall des Gemeinsamen Unter- Kenntnissen der Sprache und Kultur des Gastlands. 45 suchungsmechanismus letztlich gemeinsam beim Da Abrüstungsorganisationen über kein eigenes VN-Generalsekretär und dem OVCW-Generaldirektor. 47 bewaffnetes Personal für den Einsatz in Krisengebie- Um die medizinische Versorgung und die Notfall- ten verfügen, arbeiten sie mit professionellen Sicher- vorsorge vor Ort zu gewährleisten, bedarf es in der heitsanbietern, etwa aus dem Bereich der Vereinten Regel einer Kooperation der Abrüstungsorganisation Nationen, zusammen. Diese können Sicherheitsanaly- mit den VN und lokalen Partnern. sen erstellen, die vor Ort eingesetzten Mitarbeiter über die Sicherheitslage unterrichten bzw. auf ihre Aufgabe vorbereiten und versuchen, im Einsatzgebiet Schutz Die Erweiterung bestehender Verfahren: zu gewähren. 46 Die Beurteilung der Sicherheitslage Gewinnung und Nutzung von Informationen und die Entscheidung über die Durchführung einer Normalerweise wird die Einhaltung von Verpflichtun- gen zur Nonproliferation und Abrüstung auf der 45 Vgl. ebd., S. 8. Grundlage von Informationen überprüft, die Vertrags- 46 In Libyen stellte die United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL) Logistik, Sicherheit und Kommunikation für staaten bereitstellen. Diese Informationen werden vor die OVCW-Inspekteure bereit, siehe United Nations Security Ort durch Inspektionen oder durch Fernerkundungs- Council, Letter Dated 23 March 2012 from the Chairman of the Secu- rity Council Committee Established Pursuant to Resolution 1970 (2011) Concerning Libya Addressed to the President of the Security Council, 47 OPCW, Summary Report of the Work of the OPCW Fact-Finding New York, 26.3.2012 (S/2012/178), Mission in Syria Covering the Period from 3 to 31 May 2014, (Zugriff am 2.3.2017). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 16
Die Erweiterung bestehender Verfahren: Gewinnung und Nutzung von Informationen technologien und – in begrenztem Umfang – auch Abrüstungsorganisationen nutzen im Rahmen von offene Quellen verifiziert. 48 Einsätzen in Krisenregionen auch neue Wege der Wenn der Besitzerstaat aber keinen oder begrenz- Informationsgewinnung. Die OVCW zog bereits 2011 ten Zugang zu den zu kontrollierenden Gebieten oder in Libyen Daten von kommerziellen Anbietern von Einrichtungen hat, greifen diese Verfahren kaum. Satellitenbildern für ihre Verifikationsaktivitäten Zudem fehlt es unter den Bedingungen eines Bürger- heran. Da sie nur über begrenzte Kapazitäten verfügt, kriegs oft an den nötigen Verwaltungskapazitäten um entsprechende Aufnahmen zu akquirieren und und/oder der Bereitschaft, internationalen Organisa- auszuwerten, kooperierte sie zu diesem Zweck mit tionen abrüstungsrelevante Informationen zur Ver- einer Reihe anderer internationaler Organisationen. 53 fügung zu stellen. Die OVCW hat auf diese Weise ihre eigenen Fähigkei- Die OVCW hat frühzeitig die vertraglichen Informa- ten zur Fernerkundung erweitert. Seit 2013 verwendet tionspflichten für Syrien verschärft und ausgeweitet. sie solche Informationsquellen auch für andere Auf- Nach dem CWÜ-Beitritt Syriens am 14. September gaben. Die Organisation machte zudem vor und wäh- 2013 setzten der Exekutivrat der OVCW und der rend des Einsatzes in Syrien in zunehmendem Maße VN-Sicherheitsrat unter Hinweis auf die Dringlichkeit Gebrauch von frei zugänglichen Quellen. 54 der Situation die im CWÜ enthaltene 30-Tage-Frist Bemerkenswert ist die Entwicklung neuer Verifika- außer Kraft, nach der die Bestimmungen des Abkom- tionsinstrumente (siehe Tabelle, S. 16). Bereits ein mens normalerweise erst Anwendung finden. 49 Sie halbes Jahr nachdem Syrien die erste Meldung in legten das CWÜ damit neu aus. Syrien reichte seine Den Haag eingereicht hatte, 55 entsandte die OVCW im erste Meldung über das eigene Chemiewaffen- April 2014 ein Team von Experten nach Damaskus, programm ein, noch bevor es formal Vertragspartei um zu überprüfen, ob die syrischen Angaben korrekt geworden war. 50 und vollständig waren. Aus dieser Gruppe entwickelte Die OVCW verpflichtete Syrien zudem, mehr In- sich das Declaration Assessment Team (DAT), dessen formationen offenzulegen, als dies gemeinhin von Aufgabe es ist, »Anomalien und Diskrepanzen« in den Vertragsstaaten verlangt werden kann. So musste syrischen Angaben zu identifizieren. 56 Im Zuge von Damaskus frühzeitig seine Chemiewaffen (und deren rund einem Dutzend Konsultationen mit der Regie- Vernichtung) deklarieren, um das Risiko zu minimie- rung in Damaskus brachte das OVCW-Team Fakten ans ren, dass Bestände versteckt werden. 51 Zudem forderte Licht, die klarmachten, dass die syrischen Angaben die OVCW von Syrien die Meldung von (unter dem über die eigenen Chemiewaffenfähigkeiten weder CWÜ eigentlich nicht deklarierungspflichtigen) For- vollständig noch korrekt waren. 57 schungseinrichtungen, die Teile des Chemiewaffen- programms waren. 52 53 Die Unterstützung des UN Institute for Training and Research (UNITAR) Operational Satellite Applications Pro- 48 Vgl. Oliver Meier/ Iris Hunger, »›Open Sources‹ und Veri- gramme (UNOSAT) und der EU waren dabei wichtig, siehe fikation: Die Demokratisierung der Rüstungskontrolle?«, in: Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 18. Im Februar 2015 Ulrich Albrecht/ Jörg Becker (Hg.), Medien zwischen Krieg und verabredeten die Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Frieden, 1. Aufl., Baden-Baden 2002 (Schriftenreihe der Arbeits- Organization (CTBTO) und die OVCW, bei der Nutzung sol- gemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V, Bd. 29), cher Daten enger zusammenzuarbeiten, OPCW, OPCW and S. 223–241. CTBTO Heads Meet to Strengthen Cooperation, Den Haag, 23.2.2015, 49 Vgl. Walter Krutzsch/Eric Myjer/Ralf Trapp, »Issues Raised (Zugriff am 27.4.2017). tion«, in: Krutzsch u.a. (Hg.), The Chemical Weapons Convention 54 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 18 [wie Fn. 31], S. 689–701 (690). 55 Siehe OPCW, Syria Submits Its Initial Declaration and a General 50 Ebd., S. 695. Plan of Destruction of Its Chemical Weapons Programme, Den Haag, 51 Jean P. Zanders, »Using the Momentum of Syria’s Chemi- 27.10.2013, (Zugriff am 14.12.2016). – Middle East (APOME), ›Tackling the Middle East WMD/DVs 56 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 8. Arsenals in the Context of Military Asymmetries Towards 57 UN Security Council, Letter Dated 26 October 2015 from the Zonal Disarmament‹, Berlin, 11–12 March 2015«, The Trench Secretary-General Addressed to the President of the Security Council, (online), 13.3.2015, (Zugriff am 52 Vgl. Krutzsch u.a., »Issues Raised« [wie Fn. 49], S. 696–670. 21.1.2016). SWP Berlin Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Mai 2017 17
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