Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit

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SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit

                                        Oliver Meier

                                        Nichtverbreitung in
                                        Räumen begrenzter
                                        Staatlichkeit
                                        Der Beitrag internationaler Regime zur
                                        Kontrolle von Massenvernichtungskapazitäten
                                        in Kriegs- und Krisengebieten

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                                        Mai 2017
                                        Berlin
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ISSN 1611-6372
Inhalt

5    Problemstellung und Empfehlungen

7    Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen
     in Räumen begrenzter Staatlichkeit
8    Das Risiko und seine Analyse

10   Politische Unterstützung und Kooperationen
10   Die Rolle der Zentralregierung
11   Die Unterstützung der Großmächte
12   Die Zusammenarbeit
     internationaler Organisationen

15   Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in
     Räumen begrenzter Staatlichkeit
15   Praktische Voraussetzungen:
     Logistik und Sicherheit
16   Die Erweiterung bestehender Verfahren:
     Gewinnung und Nutzung von Informationen
18   Partner oder Gegner? Der Umgang mit
     nicht-staatlichen Akteuren
20   Pay as you go: Ad-hoc-Finanzierung von
     Abrüstungsmissionen
20   Die Flexibilisierung von Regeln: Abrüstung unter
     Zeitdruck
23   Neue Verfahren: Die Untersuchung von
     Chemiewaffeneinsätzen

27   So wenig Verregelung wie nötig, so gute
     Vorbereitung wie möglich: Schlussfolgerungen
     und Empfehlungen
28   Ausblick: Künftige Trends, regionale Hotspots,
     Regelungslücken
29   Anpassung von Nichtverbreitungsregimen
31   Prävention stärken
32   Krisenplanung verbessern
34   Stakeholder einbeziehen
35   Die Rolle des Sicherheitsrats stärken
36   Die Rolle Deutschlands

38   Abkürzungen
Dr. Oliver Meier ist stellvertretender Leiter der
Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Problemstellung und Empfehlungen

Nichtverbreitung in Räumen begrenzter
Staatlichkeit.
Der Beitrag internationaler Regime zur Kontrolle
von Massenvernichtungskapazitäten in Kriegs- und
Krisengebieten

Regime zur Nichtverbreitung von nuklearen, biologi-
schen oder chemischen Waffen stehen vor vielfältigen
Problemen. Am gravierendsten sind Vertragsverletzun-
gen durch Regierungen, die das Ziel verfolgen, Massen-
vernichtungswaffen zu entwickeln. Für den Umgang
mit solchen Verstößen durch Vertragsparteien gibt es
völkerrechtliche Regelungen, die beispielsweise gegen-
über Nordkorea und Iran auch schon angewendet wor-
den sind. Zunehmend aber stößt die Implementierung
von Regeln zur Kontrolle von Massenvernichtungs-
waffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit an Gren-
zen. Eklatante Beispiele hierfür sind die Länder Syrien
und Irak, in denen in jüngster Zeit Chemiewaffen ein-
gesetzt worden sind. Das Regelwerk für den Umgang
mit solchen Problemen ist bis dato mangelhaft, obwohl
gerade in Räumen begrenzter Staatlichkeit die Kon-
trolle der Kapazitäten zur Herstellung oder zum Ein-
satz von nuklearen, biologischen oder chemischen
Waffen besonders dringlich ist.
   Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen – also
all jene Maßnahmen, die sich auf deren Abrüstung
und Nichtverbreitung richten – in Räumen begrenzter
Staatlichkeit wird eine Herausforderung bleiben. Die
weltweit anhaltende Tendenz zum Zerfall von Staaten
oder Verlust von Staatlichkeit, die Zunahme innerstaat-
licher bewaffneter Konflikte, das Aufkommen trans-
national agierender Terrorgruppen sowie die Prolife-
ration sensitiver Technologien stellen die internatio-
nale Staatengemeinschaft vor schwierige Aufgaben.
Die genannten Probleme akkumulieren sich besonders
im Mittleren Osten und in Süd- bzw. Ostasien.
   Für Deutschland ist die Kontrolle von Massen-
vernichtungswaffen in Krisen- und Kriegsregionen
eine zentrale außen- und sicherheitspolitische Heraus-
forderung. Wenn Terrorgruppen Zugriff auf derartige
Waffen bekommen, drohen in Europa Anschläge mit
Massenvernichtungswaffen. Von Bio-, Chemie- und
Nuklearwaffen gehen zudem Risiken für die Menschen
in Kriegs- und Krisenregionen aus und die Existenz sol-
cher Potentiale erschwert die politische Lösung regio-
naler Konflikte. Schließlich geht es aus europäischer
Sicht um eine Stärkung internationaler Ordnungs-

                                                    SWP Berlin
            Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                     Mai 2017

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Problemstellung und Empfehlungen

         strukturen durch eine Anpassung multilateraler Nicht-      vernichtungswaffen geändert oder ganz neue Proze-
         verbreitungsregime an krisenhafte Entwicklungen.           duren geschaffen werden.
            Die seit 2003 gesammelten Erfahrungen mit der              Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen
         Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Irak,            (OVCW) hat wesentlich dazu beigetragen, dass chemi-
         Libyen und Syrien sind gemischt. In Irak und Libyen        sche Kampfstoffe trotz der widrigen Bedingungen
         sind chemische Altlasten zu Proliferationsrisiken ge-      eines Bürgerkriegs in Syrien außerhalb des Landes ver-
         worden, weil die internationale Gemeinschaft zu spät       nichtet werden konnten. Multilaterale Verträge wie
         gehandelt hat. Die 2013 begonnene Vernichtung der          das Genfer Protokoll von 1925 über das Verbot des Ein-
         syrischen Chemiewaffen erfolgte zügig, aber unvoll-        satzes von Bio- und Chemiewaffen, das Biowaffen-
         ständig. Die Gefahr der Proliferation an Terrorgrup-       übereinkommen (BWÜ) von 1972, der nukleare Nicht-
         pen ist noch lange nicht gebannt. Die Regierungs-          verbreitungsvertrag (NVV) von 1968 und das Chemie-
         truppen und die Terrormiliz Islamischer Staat setzen       waffenübereinkommen (CWÜ) von 1993 sind elemen-
         weiterhin Chemiewaffen ein und bedrohen die Men-           tare normative, politische und praktische Bezugspunk-
         schen vor Ort. Eine strafrechtliche Verfolgung dieser      te für die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen –
         Kriegsverbrechen ist nicht in Sicht.                       auch und gerade in Räumen begrenzter Staatlichkeit.
            Immerhin sind die gefährlichsten syrischen Chemie-         Eine Reform zwischenstaatlicher Regime sollte nach
         waffen in einer konzertierten multilateralen Aktion        dem Motto »So wenig Verregelung wie nötig, so gute
         außer Landes gebracht und vernichtet worden. Die           Vorbereitung wie möglich« erfolgen. Vier Bereiche
         internationale Gemeinschaft untersucht die fort-           wären bei diesem Vorhaben von zentraler Bedeutung:
         gesetzten Giftgasangriffe in Syrien und hat – zum          Erstens sollte die Prävention verbessert werden durch
         ersten Mal überhaupt – in einigen wenigen Fällen           eine möglichst frühzeitige Sicherung von Waffen oder
         auch die Verantwortlichen ermitteln können.                missbrauchsrelevanten Technologien. Zweitens sollten
            Diese positiven Ergebnisse konnten erreicht wer-        die Planungen für den Krisenfall angepasst werden.
         den, weil die syrische Regierung unter der Androhung       Drittens sollten die Vertragsstaaten internationaler
         einer militärischen Intervention dem Chemiewaffen-         Organisationen, die mit der Nichtverbreitung von
         übereinkommen beigetreten ist und mit internationa-        Massenvernichtungswaffen befasst sind, die Voraus-
         len Organisationen zusammengearbeitet hat. Zudem           setzungen schaffen für eine Interaktion mit relevan-
         haben wichtige Großmächte – insbesondere Russland          ten nicht-staatlichen Akteuren in Kriegs- und Krisen-
         und die USA – bei der Inspektion, der Sicherung, dem       regionen. Und viertens sollte die zentrale Rolle des
         Transport und der Zerstörung der deklarierten syri-        Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Fragen der
         schen Chemiewaffen kooperiert und mehrere inter-           Kontrolle von Massenvernichtungswaffen gestärkt und
         nationale Organisationen ihre Aktivitäten koordiniert.     das Gremium gleichzeitig enger an multilaterale
            Sollen solche Erfolge wiederholt werden, müssen         Nichtverbreitungsregime angebunden werden.
         bestimmte Regeln und Verfahren der Nichtverbrei-              Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass die
         tungsregime an jene besonderen Bedingungen an-             internationale Gemeinschaft auf kommende Heraus-
         gepasst werden, die für Räume begrenzter Staatlich-        forderungen bei der Kontrolle von Massenvernichtungs-
         keit typisch sind. Denn in schwachen oder zerfallen-       waffen besser vorbereitet ist. Sie würden zugleich die
         den Staaten üben die Zentralregierungen, die als Ver-      Effektivität internationaler Ordnungsinstrumente er-
         tragsparteien anzusprechen sind, keine oder allenfalls     höhen. Damit würden sie gut in Deutschlands außen-
         begrenzte Kontrolle über das eigene Territorium aus.       politische Agenda passen, die gerade in Zeiten fort-
         Die Staatsführung ist unter Umständen nicht willens        gesetzter Krisen auf starke, resiliente internationale
         und/oder nicht in der Lage, sich vertragskonform zu        Organisationen setzt. Die Bundesregierung hat in den
         verhalten. Auch erfordert das Agieren in Krisengebie-      letzten Jahren bereits auf vielfältige Weise Abrüstungs-
         ten spezielle Sicherheits- und Logistikmaßnahmen.          operationen unterstützt. Künftig wird es auch darauf
         Zudem müssen neue Verfahren zur Informations-              ankommen, dass Berlin energischer als bisher die poli-
         beschaffung gefunden werden. Das Erfordernis, mit          tische Initiative zur Umsetzung der obengenannten
         nicht-staatlichen Akteuren vor Ort kommunizieren           Reformen übernimmt. Dabei sollte Deutschland ver-
         und kooperieren zu müssen, stellt oft eine weitere poli-   mehrt um gleichgesinnte Partner in der EU und den
         tische Hürde dar. Schließlich müssen die bestehenden       G20 werben.
         Regeln zur Abrüstung von Waffenpotentialen oder zur
         Untersuchung von behaupteten Einsätzen von Massen-

         SWP Berlin
         Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
         Mai 2017

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Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit

Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in
Räumen begrenzter Staatlichkeit

Die Umsetzung von Regimen zur Kontrolle von                         Funktionen erfüllt werden. 3 Die Kontrolle über Massen-
nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen                      vernichtungswaffen gehört allerdings nicht dazu,
gestaltet sich häufig dort sehr schwierig, wo hohe                  denn die Gruppen, die in solchen Territorien agieren,
Proliferationsrisiken existieren. In Zeiten internatio-             besitzen entweder eine begrenzte oder gar keine völ-
naler Unordnung befinden sich Massenvernichtungs-                   kerrechtliche Legitimität.
waffen oder Kapazitäten zu deren Herstellung immer                     In der Praxis haben Regierungen oder die mit der
öfter in Räumen begrenzter Staatlichkeit.                           Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen be-
   Räume begrenzter Staatlichkeit sind Gebiete, über                fassten Institutionen diesen unklaren Status vieler
die eine Zentralregierung zwar nominell die Herr-                   Räume begrenzter Staatlichkeit zumindest so lange
schaft, tatsächlich aber nicht oder nur in begrenztem               ignoriert oder toleriert, wie von dort kein Prolifera-
Maße die Kontrolle ausübt. Außerhalb der OECD-Welt                  tionsrisiko ausging bzw. ausgeht. Gelegentlich haben
erfüllen nur wenige Staaten das (westliche) Ideal des               sie zu pragmatischen Lösungen gegriffen, um un-
konsolidierten Nationalstaats, der volle Kontrolle über             geachtet einer umstrittenen völkerrechtlichen Lage
sein Territorium besitzt und über die Mittel verfügt,               ein gewisses Maß an Kontrolle zu gewährleisten.
internationale Regeln auf seinem Staatsgebiet durch-                   Zwei Trends allerdings lassen das Problem von
zusetzen. 1 Und es gibt eine anhaltende Tendenz des                 Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter
Zerfalls oder der Schwächung von Staaten. Die OECD                  Staatlichkeit stärker in den Mittelpunkt politischer
klassifizierte 2015 rund 50 Staaten als fragil. Circa               Aufmerksamkeit rücken. Erstens erhalten im Zuge der
20 Prozent der Weltbevölkerung leben in solchen                     Globalisierung immer mehr Akteure in immer mehr
Ländern. 2                                                          Ländern Zugang zu relevanten Dual-use-Techno-
   Im Hinblick auf eine globale, effektive Kontrolle                logien. 4 Zweitens steigt die Zahl bewaffneter Konflikte.
von Massenvernichtungswaffen ist diese Entwicklung                  Während 2010 weltweit 80 bewaffnete Konflikte statt-
problematisch, denn multilaterale Verträge sind                     fanden, waren es 2015 rund 147. Beunruhigend im
darauf ausgelegt, dass die Zentralregierung eines Ver-              Hinblick auf die Implikationen des Verlusts staatlicher
tragsstaats die in diesen Abkommen fixierten Ver- und               Kontrolle ist die besonders starke Zunahme der Betei-
Gebote durch Ausführungsgesetze in nationales Recht                 ligung nicht-staatlicher Akteure an bewaffneten Kon-
überführt. Die Regierung ist zudem verpflichtet, Ver-               flikten. 5 Und: Viele solcher bewaffneter Konflikte fin-
waltung, Polizei und Justiz so auszustatten, dass diese             den in Regionen statt, in denen auch Massenvernich-
Ausführungsbestimmungen umgesetzt bzw. über-                        tungswaffen oder Kapazitäten zu ihrer Produktion
wacht werden können und Verstöße, soweit möglich,                   vorhanden sind. Verschärft wird diese Problemlage
aufgedeckt und bestraft werden.
   In Räumen begrenzter Staatlichkeit greift dieses                   3 Vgl. Tobias Debiel/ Stephan Klingebiel/ Andreas Mehler u.a.,
Modell der nationalen Umsetzung internationaler                       Zwischen Ignorieren und Intervenieren. Strategien und Dilemmata
Abkommen nicht. Mit den dort praktizierten Formen                     externer Akteure in fragilen Staaten, Bonn: Stiftung Entwicklung
der »governance« können zwar eine Reihe politischer                   und Frieden, Januar 2005 (Policy Paper Nr. 25),
                                                                      
                                                                      (Zugriff am 2.3.2017).
                                                                      4 Vgl. Oliver Meier, »Dual-use Technology Transfers and the
                                                                      Legitimacy of Non-proliferation Regimes«, in: Oliver Meier
  1 Vgl. Stephen D. Krasner/ Thomas Risse, »External Actors,          (Hg.), Technology Transfers and Non-Proliferation. Between Control
  State-Building, and Service Provision in Areas of Limited           and Cooperation, New York u.a., 2014, S. 3–21.
  Statehood: Introduction«, in: Governance, 27 (2014) 4, S. 545–      5 Für das Jahr 2010 registrierte das Uppsala Conflict Data
  567; Thomas Risse, »Governance under Limited Sovereignty«,          Program (UCDP) 28 nicht-staatliche bewaffnete Konflikte, 2015
  in: Martha Finnemore/Judith Goldstein (Hg.), Back to Basics:        waren es 71. Die Zahl der Opfer bewaffneter Konflikte ins-
  State Power in a Contemporary World, New York 2013, S. 78–104.      gesamt hat sich von 2010 (30 700) bis 2015 (118 400) fast ver-
  2 Zahlen nach OECD, States of Fragility 2015. Meeting Post-2015     vierfacht, siehe UCDP, Uppsala Conflict Data Program, Uppsala,
  Ambitions, Paris 2015, S. 31.                                        (Zugriff am 25.11.2016).

                                                                                                                          SWP Berlin
                                                                                  Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                           Mai 2017

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Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit

          durch transnational agierende terroristische Gruppen,                 men – langfristig der Entzug politischer Unterstüt-
          die erklärtermaßen ein Interesse an der Verfügungs-                   zung und damit der Bedeutungsverlust.
          gewalt über Massenvernichtungswaffen haben.                               Deutschland engagiert sich als Mittelmacht bei der
             Es ist daher kein Zufall, dass sich Anstrengungen                  Suche nach friedlichen Lösungen für regionale Kon-
          zur Abrüstung von Massenvernichtungswaffen und                        flikte und sieht in multilateralen Verträgen und Mecha-
          zur Aufklärung von behaupteten Einsätzen immer                        nismen im Bereich der Abrüstung und Rüstungs-
          häufiger auf Staaten richten, in denen Bürgerkriege                   kontrolle »einen unverzichtbaren Beitrag zur Wahrung
          oder andere bewaffnete Auseinandersetzungen statt-                    von Frieden und Sicherheit« 7 sowie der internatio-
          finden, wie jüngst den Irak, Libyen und Syrien.                       nalen Ordnung. Unter diesen Prämissen sind Pro-
             Wenn hier vom Problem der Kontrolle von Massen-                    bleme der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen
          vernichtungskapazitäten in Räumen begrenzter Staat-                   in Räumen begrenzter Staatlichkeit für die deutsche
          lichkeit die Rede ist, dann geht es in der Regel um                   Außenpolitik unmittelbar relevant. Kurzum: Wenn
          nichtverbreitungspolitische Herausforderungen in                      die »Krise zum Dauerzustand« 8 wird, stellt sich die
          solchen Kriegs- und Krisengebieten. Eine umfassen-                    Frage, wie gewachsene und bewährte Ordnungsstruk-
          dere Untersuchung der Umsetzung internationaler                       turen in der Rüstungskontrolle an die neuen Heraus-
          Regime in Gebieten, die nicht unter vollständiger                     forderungen abnehmender Staatlichkeit und zuneh-
          Kontrolle eines Staates stehen, in denen aber keine                   mender Konflikte angepasst werden können.
          gewalttätigen Auseinandersetzungen stattfinden oder                       Die Fragestellung dieser Studie lautet daher: Wie
          drohen, würde den Rahmen der vorliegenden Studie                      können die Fähigkeiten internationaler Regime zur
          sprengen.                                                             Kontrolle von nuklearen, biologischen und chemi-
             Die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen im                      schen Massenvernichtungskapazitäten in Räumen
          Umfeld von Krise und Krieg ist aus mehreren Gründen                   begrenzter Staatlichkeit verbessert werden?
          wichtig: In erster Linie geht es darum, das für die
          Menschen in der betroffenen Region gestiegene Risiko
          einzudämmen, dass Massenvernichtungswaffen ein-                       Das Risiko und seine Analyse
          gesetzt werden. Zweitens muss verhindert werden,
          dass solche Waffen in die Hände von Terrororganisa-                   In einer akuten Krise stehen aus nichtverbreitungs-
          tionen fallen. International agierende Gruppen könn-                  politischer Perspektive zwei Aufgaben im Vorder-
          ten diese Waffen auch in Europa einsetzen. 6 Drittens                 grund: Zum einen muss die unmittelbare Gefahr des
          können solche Kontrollbemühungen dazu beitragen,                      Einsatzes oder der Weitergabe nuklearer, biologischer,
          die internationale Ordnung durch die Weiterentwick-                   chemischer oder radiologischer Waffen durch deren
          lung multilateraler Abrüstungsregime zu stärken. Um                   Sicherung, Abtransport und Zerstörung minimiert
          die globalen Normen gegen Massenvernichtungs-                         werden. 9 Zum anderen müssen gegebenenfalls Vor-
          waffen aufrechtzuerhalten, müssen Verstöße gegen                      würfe, solche Waffen seien bereits eingesetzt worden,
          internationale Regeln sanktioniert werden, und zwar                   aufgeklärt werden. Routineaufgaben wie die Verifika-
          unabhängig davon, wo sie passieren. Die mit der                       tion der Nichtproduktion von Massenvernichtungs-
          Umsetzung dieser Regeln betrauten Organisationen,
          insbesondere die Internationale Atomenergie-Organi-                     7 Auswärtiges Amt, Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken.
          sation (IAEO) und die Organisation für das Verbot                       Krise, Ordnung, Europa, Berlin 2015,  (Zugriff am 10.11.2016), S. 45.
          forderungen stellen, die in einer von zunehmender                       8 Ebd., S. 8.
                                                                                  9 Ein vom US-Verteidigungsministerium finanziertes For-
          Unordnung geprägten Welt entstehen. Sonst droht
                                                                                  schungsprojekt hat drei Kategorien von künftigen Herausfor-
          den Regimen – und den in ihnen verankerten Nor-                         derungen bei der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen
                                                                                  identifiziert: 1. die Gefahr, die von Staaten mit einem aktiven
              6 Solche Angriffe können darüber hinaus auch mit ein-               Massenvernichtungswaffenprogramm (insbesondere Nord-
              fachen Chemikalien durchgeführt werden, die nicht aus               korea) ausgeht; 2. die Schwierigkeit der Kontrolle von nicht-
              staatlichen Programmen stammen, siehe William M. Alley/             staatlichen Gruppen; 3. das Problem der unvollständigen Ab-
              Jessica L. Jones, »An Analysis of the Threat of Malicious Chem-     rüstung bekannter ABC-Programme, siehe Philipp C. Bleek/
              ical Use by Nonstate Actors: Questioning the State-based            Chen Kane/ Joshua H. Pollack, »Elimination of Weapons of
              Approach to Chemical Nonproliferation«, in: The Nonprolifera-       Mass Destruction: Lessons from the Last Quarter-century«, in:
              tion Review, 22 (2015) 3–4, S. 301–319.                             The Nonproliferation Review, 23 (2016) 1–2, S. 15–23.

          SWP Berlin
          Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
          Mai 2017

          8
Das Risiko und seine Analyse

waffen können in der Regel erst nach dem Ende einer         lieren oder auch nur in einem Raum begrenzter Staat-
Krise umgesetzt werden und nur dann, wenn die staat-        lichkeit agieren.
liche Handlungsfähigkeit des Staates wiederhergestellt         Im Fokus dieser Untersuchung, die im Wesentlichen
ist.                                                        auf einer Auswertung relevanter Sekundärliteratur
   Die diesbezüglich größten Schwierigkeiten ergeben        und Primärquellen beruht, 10 stehen die praktischen
sich derzeit im Mittleren Osten, aber auch in Asien         Probleme, die sich bei der Umsetzung von Verpflich-
gibt es eine Tendenz zum Verlust staatlicher Kontrolle      tungen zur Abrüstung und Nichtverbreitung von
über Massenvernichtungsmittel.                              Massenvernichtungswaffen in Krisengebieten ergeben.
   Diese Studie bezieht sich überwiegend auf Pro-           Der politische Kontext, in dem Abrüstungsoperationen
bleme der Chemiewaffenabrüstung, weil diese aktuell         ablaufen, wird in die Analyse zwar einbezogen, aber
im Mittelpunkt der Nonproliferationsbemühungen              eine umfassende Diskussion etwa der Interessen der
stehen. Im Irak, in Libyen und in Syrien gab bzw. gibt      involvierten Großmächte in den betroffenen Regionen
es Bemühungen um die Kontrolle von Chemiewaffen-            würde den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen.
programmen. Viele der im Folgenden beschriebenen
Herausforderungen stellen sich, mutatis mutandis,
allerdings auch in Bezug auf atomare und biologische
Waffen sowie Technologien, die zu ihrer Herstellung
geeignet sind. Dabei muss berücksichtigt werden, dass
sich die Kontrollregime für ABC-Waffen in ihrer Reich-
weite und institutionellen Ausstattung unterscheiden.
Probleme der Kontrolle konventioneller Waffen wer-
den hier nicht untersucht. Diese Waffen haben ein
geringeres Zerstörungspotential und es fehlen Nor-
men, Regeln, Verfahren und Institutionen, die Basis
für Kontrollbemühungen sein könnten.
   Zwei Faktoren erschweren die Umsetzung von
Regeln und Prozeduren zur Kontrolle von Massen-
vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich-
keit. Erstens müssen die politischen Voraussetzungen
für das Agieren in solchen Gebieten gegeben sein. In
der Regel ist es so, dass die Zentralregierung die Durch-
führung von Operationen zur Abrüstung von Massen-
vernichtungswaffen oder zur Untersuchung von be-
haupteten Einsätzen solcher Waffen zumindest tole-
rieren muss und wichtige Großmächte und inter-
nationale Organisationen zur Kooperation vorab be-
reit sein müssen. Zweitens müssen die vorhandenen
Bestimmungen und Verfahren zur Überwachung und
Implementierung von Abrüstungs- und Nichtverbrei-
tungsverpflichtungen an die spezifischen Verhältnisse
in Krisengebieten angepasst werden. Die Anforderun-
gen an Logistik und Sicherheit, die Modalitäten der
Informationsgewinnung und Finanzierung sind in
einem Umfeld schwacher staatlicher Kontrolle anders;
ganz zu schweigen von dem Erfordernis, mit nicht-
staatlichen Akteuren umgehen zu müssen. Die                   10 Von 2015 bis Anfang 2017 wurden Hintergrundgespräche
Schwierigkeit dabei liegt auch im unterschiedlichen           mit Entscheidungsträgern in Berlin und Den Haag geführt.
                                                              Der Autor dankt mehreren Kollegen, die den Entwurf dieser
Charakter solcher Akteure begründet. Dies können
                                                              Studie bzw. Teile des Textes kritisch kommentiert haben.
beispielsweise Oppositionsgruppen, Milizen oder War-          Vielen Dank auch an Jonathan Trautmann und Sira Cordes
lords sein, die ein Territorium längerfristig kontrol-        für Hilfe bei der Recherche. Für alle verbleibenden Fehler ist
                                                              allein der Autor verantwortlich.

                                                                                                                 SWP Berlin
                                                                         Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                  Mai 2017

                                                                                                                           9
Politische Unterstützung und Kooperationen

          Politische Unterstützung und Kooperationen

          Rüstungskontrolle basiert, bis auf wenige Ausnah-                    Die Rolle der Zentralregierung
          men, 11 auf dem traditionellen zwischenstaatlichen
          Modell internationaler Ordnung. Danach setzen die                    Normalerweise können internationale Nichtverbrei-
          Vertragsparteien die in multilateralen Abkommen                      tungsregime nur dort umgesetzt werden, wo ein Ver-
          enthaltenen Bestimmungen auf ihrem gesamten                          tragsstaat sein Gewaltmonopol ausübt und bereit ist,
          Staatsgebiet um. Die Zentralregierung ist für inter-                 das in Frage stehende Gebiet für internationale Über-
          nationale Organisationen der kompetente und einzig                   wachungsmaßnahmen zu öffnen. Diese Einschrän-
          legitime Partner bei der Implementierung von völker-                 kung ist insofern unproblematisch, als »fast alle Län-
          rechtlichen Übereinkünften.                                          der fast alle Prinzipien internationalen Rechts und
             Maßnahmen zur Überprüfung der Vertragstreue                       fast alle Verpflichtungen fast immer umsetzen«. 14 Rüs-
          von Mitgliedstaaten machen im Regelbetrieb selten                    tungskontrolle gegen den erklärten Willen eines Staa-
          Schlagzeilen. Die OVCW hat seit Inkrafttreten des                    tes fand bisher nur nach verlorenen Kriegen statt. 15
          Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) 1997 mehr als                          Auch bei Abrüstungsbemühungen in Räumen be-
          6000, 12 die IAEO allein 2015 rund 2000 Routineinspek-               grenzter Staatlichkeit ist die offizielle oder zumindest
          tionen durchgeführt, ohne dass diese Aktivitäten grö-                Pro-forma-Zustimmung der Zentralregierung bisher
          ßere politische Aufmerksamkeit hervorgerufen hät-                    Voraussetzung für Aktivitäten internationaler Organi-
          ten. 13 Bemühungen um die Kontrolle von Massen-                      sationen vor Ort. Kennzeichnend für solche Territo-
          vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich-                   rien ist aber der fehlende Wille und/oder die man-
          keit finden hingegen häufig an geopolitischen Brenn-                 gelnde Fähigkeit der Vertragspartei(en), ihren inter-
          punkten statt und stehen unter genauer Beobachtung                   nationalen Verpflichtungen zur Kontrolle von Massen-
          der Öffentlichkeit und der Medien. Drei Fragen stellen               vernichtungswaffen nachzukommen. Dann können
          sich, bevor Kontrollmaßnahmen in einem derart hoch                   Grauzonen entstehen, in denen die Kontrollbemühun-
          politisierten Umfeld durchgeführt werden können:                     gen stattfinden.
          Stimmt die Zentralregierung der Mission zu? Unter-                      Drei Szenarien sind hauptsächlich denkbar: Erstens
          stützen relevante Großmächte die Mission? Wie gut ist                kann eine Regierung durch Staatszerfall oder im Zuge
          die Zusammenarbeit internationaler Organisationen?                   von kriegerischen Auseinandersetzungen die Herr-
                                                                               schaft über Teile des eigenen Territoriums verlieren.
                                                                               Sie ist dann zu schwach, die Voraussetzungen für die
                                                                               Kontrolle des relevanten Gebiets oder der betreffenden
               11 Geneva Call, eine in der Schweiz ansässige NGO, versucht,    Einrichtung zu schaffen. Die junge libysche National-
               bewaffnete nicht-staatliche Akteure (BNSA) zu überzeugen,
                                                                               regierung etwa war nach 2011 nicht in der Lage, inter-
               Abkommen über das Verbot von Personenminen, Abkommen
               zum Schutz von Kindern vor den Auswirkungen bewaffneter
                                                                               nationalen Inspektoren Zugang zu den noch im Lande
               Konflikte und Abkommen zum Verbot sexueller Gewalt in           befindlichen Chemiewaffen zu ermöglichen. 16
               Situationen bewaffneter Konflikte zu respektieren. Bisher
               (Stand: April 2017) haben 55 BNSA entsprechende Verpflich-        14 Louis Henkin zitiert in Abram Chayes/Antonia Handler
               tungserklärungen unterschrieben, siehe Geneva Call, »Be-          Chayes, »On Compliance«, in: International Organization, 47
               waffnete nichtstaatliche Akteure«, genevacall.org (online),       (Frühjahr 1993) 2, S. 175–205 (177), Übersetzung vom Verf.
                (Zugriff am 27.4.2017).                  im Vertrag von Versailles auferlegt wurden, und die Abrüs-
               12 Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons           tung der irakischen Massenvernichtungswaffen durch die
               (OPCW), Three Types of Inspections, Den Haag, März 2016 (Fact     United Nations Special Commission (UNSCOM) nach dem
               Sheet 5),  (Zugriff am               armament Framework and Slowdowns«, The Trench (online),
               31.3.2017).                                                       8.2.2014,  (Zugriff am 10.11.2016).
               in Practice«, iaea.org (online),  (Zugriff am 10.11.2016).                  »Eliminating Libya’s WMD Programs: Creating a Cooperative

          SWP Berlin
          Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
          Mai 2017

          10
Die Unterstützung der Großmächte

   Zweitens kann eine Zentralregierung zwar (nomi-                      fragen pragmatisch umgangen werden, um eine Kon-
nell) die Kontrolle ausüben und ihren Willen zur Zu-                    trolle der dortigen Atomanlagen sicherzustellen. 22
sammenarbeit erklären, tatsächlich aber nur in be-                         In der Praxis wird es noch schwerer, solche Heraus-
grenztem Umfang zur Kooperation bereit sein. Wenn                       forderungen zu bewältigen, wenn es Mischformen
die Regierung etwa auf Sicherheitsprobleme verweist,                    zwischen diesen drei Szenarien gibt.
um die Zusammenarbeit mit einer Abrüstungsbehör-
de auszusetzen oder zu beenden, ist es für externe
Akteure oft schwer einzuschätzen, ob solche Bedenken                    Die Unterstützung der Großmächte
echt oder vorgeschoben sind. 17 Erschwerend kommt
hinzu, dass externe Akteure, die einen Erfolg bei der                   In den letzten beiden Jahrzehnten hat die internatio-
Zusammenarbeit brauchen, dazu tendieren, einem                          nale Gemeinschaft auf drei Wegen versucht, koopera-
(scheinbar) kooperationswilligen Partner Glauben zu                     tionsunwillige Staaten zur Zusammenarbeit bei der
schenken. 18 Noch schwieriger ist die Lage, wenn der                    Kontrolle von Massenvernichtungswaffen zu motivie-
Besitzerstaat seine Zustimmung als politischen Hebel                    ren. Sie hat an das Eigeninteresse der betroffenen Staa-
zur Durchsetzung nebengeordneter Ziele nutzt. 19                        ten appelliert, Anreize gesetzt und Sanktionen an-
   Drittens können Grauzonen entstehen, wenn meh-                       gedroht bzw. verhängt. 23
rere Regierungen ein bestimmtes Gebiet für sich be-                        Vor allem im Hinblick auf die beiden letztgenann-
anspruchen. Die Ukraine etwa bat die IAEO nach der                      ten Strategien ist es essentiell, dass eine Abrüstungs-
russischen Annexion der Krim im Frühjahr 2014,                          mission durch politisch, militärisch und wirtschaft-
einen Forschungsreaktor in Sewastopol vor russischem                    lich mächtige Staaten unterstützt wird. Diese Staaten
Zugriff zu schützen. 20 Kiew forderte die IAEO zudem                    können in besonderem Maße positive und negative
auf, den Reaktor weiter nach den für die Ukraine                        Anreize setzen, um skeptische oder renitente Akteure
geltenden Verfahren zu inspizieren, während Russ-                       zur Kooperation zu bewegen. So hat die Drohung der
land seinerseits anbot, Nuklearkontrollen nach den                      USA mit Militärschlägen gegen Syrien im August 2013
für Russland gültigen Regeln durchzuführen. 21 Im                       vermutlich dazu beigetragen, dass Damaskus dem
Ergebnis hat die IAEO die betroffene Einrichtung auf                    CWÜ beigetreten ist und einwilligte, Chemiewaffen-
der Krim seit der russischen Besetzung nicht mehr                       bestände offenzulegen und abzurüsten. Zehn Jahre
inspiziert. Im Falle Taiwans konnten solche Status-                     zuvor, 2003, stellten Großbritannien und die USA
                                                                        Mohammed Ghaddafi in Aussicht, Libyens internatio-
                                                                        nale Isolation zu lockern, wenn er sich bereitfände,
  Situation«, in: The Nonproliferation Review, 23 (2016) 1–2, S. 185–   die libyschen Programme zur Herstellung von Massen-
  196.
                                                                        vernichtungswaffen aufzudecken und diese Waffen
  17 Ein Beispiel hierfür ist die monatelange Verzögerung des
  Abtransports syrischer Chemiewaffen aus einer Lagerstätte in          abzurüsten. Nach der Invasion des Irak stand die Ge-
  die Hafenstadt Latakia. Es bestand erhebliche Unsicherheit,           fahr eines militärischen Angriffs der USA auf Libyen
  ob Damaskus damals Sicherheitsbedenken vorschob, um die               im Raum. 24 In der Folge legte Ghaddafi seine Chemie-
  Kontrolle über diese Waffen zu behalten, siehe Louis Char-            und Nuklearwaffenprogramme offen.
  bonneau, »Syria Chemical Arms Destruction Deadline Won’t
  Be Met – U.N.«, Reuters, 29.5.2014,  (Zugriff am 30.5.2014).                          vertretung Chinas (inklusive Taiwans) übernommen. Nach-
  18 Nach 2003 glaubte man, dass Ghaddafi bereit sei, Libyens             dem die Volksrepublik China 1983 der IAEO beigetreten war,
  Chemiewaffen umfänglich abzurüsten. Diese Annahme hat                   wurde sie alleiniger Ansprechpartner für die Organisation,
  sich als falsch herausgestellt, siehe Nathan E. Busch/ Joseph F.        auch bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen
  Pilat, »Disarming Libya? A Reassessment after the Arab                  (Safeguards) in Taiwan. Faktisch wurden die IAEO-Safeguards
  Spring«, in: International Affairs, 89 (2013) 2, S. 451–475.            in allen relevanten Kernanlagen Taiwans allerdings schon
  19 Siehe hierzu The Editors, »Diplomatic Strategies for                 seit 1972 informell auf der Grundlage eines trilateralen Ab-
  Eliminating WMD«, in: The Nonproliferation Review, 23 (2016)            kommens zwischen der IAEO, Taiwan und den USA durch-
  1–2, S. 49–59 (54–57).                                                  geführt, siehe David Fischer, History of the International Atomic
  20 Michael Mariotte, »Russia Seizes Ukrainian Nuclear Uni-              Energy Agency. The First Forty Years, Wien 1997, S. 93, 111, 133.
  versity/Research Reactor in Crimea«, GreenWorld (online),               23 Siehe hierzu The Editors, »Diplomatic Strategies« [wie
  8.4.2014,  (Zugriff am 19.5.2014).                              24 Jonathan B. Tucker, »The Rollback of Libya’s Chemical
  21 Atomwaffenstaaten unterliegen schwächeren Verifika-                  Weapons Program«, in: The Nonproliferation Review, 16 (2009) 3,
  tionspflichten als Nichtatomwaffenstaaten.                              S. 363–384.

                                                                                                                              SWP Berlin
                                                                                      Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                               Mai 2017

                                                                                                                                         11
Politische Unterstützung und Kooperationen

             Weil die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder                         einzigartigen militärischen und technischen Fähig-
          selbst über Massenvernichtungswaffen verfügen bzw.                           keiten und des globalen Wirkungsanspruchs der Ver-
          verfügten, haben sie entsprechende Erfahrungen und                           einigten Staaten eine notwendige, wenn auch nicht in
          Kenntnisse über den Umgang mit ihnen. Zugleich ist                           jedem Fall hinreichende Bedingung für den Erfolg
          ihr Einverständnis notwendige Voraussetzung für ein                          eines internationalen Engagements zur Kontrolle von
          Mandat des Sicherheitsrats zur Ermächtigung einer                            Massenvernichtungswaffen in Krisenregionen. 28
          Abrüstungsmission.
             Ein gutes Beispiel für die positive Rolle großer
          Mächte ist die Kooperation Russlands und der USA bei                         Die Zusammenarbeit
          der Abrüstung syrischer Chemiewaffen. Experten bei-                          internationaler Organisationen
          der Länder hatten schon rund ein Jahr vor der ameri-
          kanisch-russischen Übereinkunft vom 14. September                            Sollen die Bemühungen um die Kontrolle von Massen-
          2013 25 begonnen, über die Offenlegung und Zerstö-                           vernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlich-
          rung der syrischen Chemiewaffen zu reden. 26 Das in                          keit erfolgreich sein, so erfordert dies eine enge Zu-
          Genf geschlossene bilaterale Abkommen antizipierte                           sammenarbeit internationaler Organisationen, die
          viele der praktischen Probleme, die bei der Verifika-                        komplementäre Fähigkeiten und Kenntnisse zusam-
          tion, Sicherung und Vernichtung der Waffen auftreten                         menbringen müssen. 29 Eine solche Kooperation kann
          würden, schlug Lösungen dafür vor und nahm Ent-                              auf der Grundlage von bereits vorhandenen Rahmen-
          scheidungen multilateraler Organisationen vorweg.                            vereinbarungen oder ad hoc, im Kontext fallspezifi-
             Wenn Großmächte kooperieren, verbessert dies                              scher Kooperationsabsprachen, erfolgen. Die IAEO und
          außerdem die politischen Voraussetzungen für eine                            die OVWC sind »verwandte Organisationen« (»related
          Einbeziehung dritter Staaten. Deren Beteiligung ist                          organizations«) der Vereinten Nationen, die aber in
          wichtig, weil sie weitere Kontroll- und Abrüstungs-                          direkten Kontakt mit dem Sicherheitsrat und der
          kapazitäten mitbringen und für größere politische                            Generalversammlung treten können. 30 Beide haben
          Legitimität sorgen, indem sie dem Eindruck entgegen-                         ihr Verhältnis zu den VN in separaten Beziehungs-
          wirken, die Abrüstung sei ein »Diktat« der Groß-                             abkommen geregelt, die beispielsweise das freie Geleit
          mächte. Genau dies war im Fall Syrien dadurch ge-                            (»UN laisser-passer«) von Mitarbeitern zum inspizier-
          geben, dass – neben den amerikanischen und russi-                            ten Staat gewährleisten sollen. 31
          schen – Marineeinheiten aus weiteren fünf Staaten die
          Abrüstungsanstrengungen unterstützten. 27                                      28 Zur Innovationsfähigkeit der US-Sicherheitsbehörden in
             Die politische und praktische Mitwirkung Washing-                           Reaktion auf Proliferationskrisen siehe zum Beispiel Andy
                                                                                         Weber/ Christine L. Parthemore, »Innovation in Countering
          tons ist wegen des großen politischen Einflusses, der
                                                                                         Weapons of Mass Destruction«, in: Arms Control Today, 46
                                                                                         (Juli/August 2015) 6, S. 23–26; siehe auch Rebecca Hersman,
               25 OPCW, Framework for Elimination of Syrian Chemical Weapons.            »Strategic Challenges to WMD Elimination«, in: The Nonprolif-
               Joint Paper by the Russian Federation and the United States of Ameri-     eration Review, 23 (2016) 1–2, S. 31–47 (44–46).
               ca, Den Haag, 17.9.2013 (EC-M-33/NAT.1),  (Zugriff am                     tion« [wie Fn. 9], S. 19.
               31.3.2017)                                                                30 So können beide Organisationen den Sicherheitsrat im
               26 Wichtig bei der Analyse des syrischen Chemiewaffen-                    Falle schwerwiegender Verstöße gegen Bestimmungen des
               programms war auch die Kooperation der Geheimdienste,                     IAEO-Statuts bzw. des CWÜ befassen, siehe Dirk Schriefer,
               siehe Kimberly Dozier, »How Pentagon Geeks & Russian                      »Die IAEO im System der Vereinten Nationen«, in: Dirk
               Generals Plotted in Secret to Take Away Assad’s WMD«, The                 Schriefer/ Walter Sandtner/ Wolfgang Rudischhauser (Hg.),
               Daily Beast, 20.2.2016,  (Zugriff am 2.3.2017),              Baden 2007, S. 149–153 (151).
               und Philipp C. Bleek/Nicholas J. Kramer, »Eliminating Syria’s             31 Siehe zum Beispiel Sheel K. Sharma, »The IAEA and the
               Chemical Weapons: Implications for Addressing Nuclear,                    UN Family: Networks of Nuclear Co-operation«, in: IAEA Bul-
               Biological, and Chemical Threats«, in: The Nonproliferation               letin, (1995) 3, S. 10–15, 
               27 Dies waren China, Dänemark, Finnland, Großbritannien                   (Zugriff am 2.3.2017); Walter Krutzsch/ Treasa Dunworth,
               und Norwegen, siehe OPCW-UN Joint Mission in Syria, Status                »Article VIII: The Organization«, in: Walter Krutzsch/ Eric
               of Contributions to the OPCW-UN Joint Mission in Syria, 17.2.2014,        Myjer/ Ralf Trapp (Hg.), The Chemical Weapons Convention. A Com-
                (Zugriff am 2.3.2017).                            national Law), S. 235–296 (279).

          SWP Berlin
          Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
          Mai 2017

          12
Die Zusammenarbeit internationaler Organisationen

   VN und OVCW arbeiteten in der gemeinsamen                                Am 4. Juni 2013 beispielsweise veröffentlichte die
Mission zur Abrüstung der Chemiewaffen (UN-OPCW                          vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ein-
Joint Mission) in Syrien vom Oktober 2013 bis zum                        gesetzte Syrien-Kommission einen Bericht, in dem
September 2014 gleichberechtigt zusammen. 32 Beide                       behauptet wurde, in mindestens vier Fällen lasse sich
Organisationen kooperieren zudem seit August 2015                        die Freisetzung begrenzter Mengen toxischer Chemi-
paritätisch im Rahmen des Gemeinsamen Unter-                             kalien in Syrien nachweisen. 35 Zu diesem Zeitpunkt
suchungsmechanismus (Joint Investigative Mecha-                          verwehrte Syrien den VN- und OVCW-Inspektoren
nism, JIM), der die Verantwortlichen für Giftgas-                        immer noch den Zugang. Im Ergebnis distanzierte
einsätze ermitteln soll. Die Zusammenarbeit der                          sich Åke Sellstrom, der Leiter des VN-Generalsekretärs-
OVCW mit einer Reihe anderer internationaler Organi-                     mechanismus zur Untersuchung mutmaßlicher
sationen im Verlauf des Einsatzes zur Abrüstung der                      Chemiewaffeneinsätze, von dem Bericht des Menschen-
syrischen Chemiewaffen ging weit über den Routine-                       rechtsrats.
betrieb hinaus und wurde durch ein Netz von Abkom-                          Auch wenn einzelne Staaten Chemiewaffenangriffe
men und Absichtserklärungen abgesichert. 33                              untersuchen (lassen), kann dies internationale Be-
   Internationale Organisationen konkurrieren unter-                     mühungen um die Aufklärung entsprechender Vor-
einander um Ressourcen, Zuständigkeiten und Auf-                         würfe erschweren. Denn unilaterale Investigationen
merksamkeit. Auch die Zusammenarbeit bei der                             erfüllen die hohen Standards internationaler Inspek-
Kontrolle von Massenvernichtungswaffen verlief nicht                     tionen in Bezug auf Methodik, Transparenz und Nach-
immer reibungslos. 34 Insbesondere verursachte die                       prüfbarkeit meist nicht. Sie werden oft gezielt unter-
synchrone Befassung mehrerer Organisationen mit                          nommen, um politischen Druck auszuüben oder ins
dem gleichen Problem Friktionen. So gingen nach                          Leere gehen zu lassen oder um die Ergebnisse inter-
2012 zeitweise mehrere Organisationen parallel und                       nationaler Ermittlungen in Frage zu stellen. Russland
unabhängig voneinander Vorwürfen nach, dass in                           etwa hat mehrfach solche Untersuchungen durch-
Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden. Unterschied-                      geführt. 36 Aber auch die USA und andere westliche
liche Mandate und Untersuchungsmethoden und die                          Staaten haben versucht, Diskussionen über Chemie-
fehlende Abstimmung über die Veröffentlichung der
jeweiligen Ermittlungsergebnisse führten zu abwei-                         35 Besonders problematisch war, dass sich die Vorsitzende
chenden Aussagen über Umfang und Verursacher der                           der Syrien-Sonderkommission des Menschenrechtsrats Carla
Chemiewaffeneinsätze. Solche widersprüchlichen Be-                         Del Ponte noch vor der Veröffentlichung des Untersuchungs-
richte können die Legitimität internationaler Unter-                       berichts ihrer Institution entsprechend äußerte, siehe Louis
suchungen unterminieren.                                                   Charbonneau, »Syria Chemical Weapons: U.N. Warns of
                                                                           ›Mounting Reports‹«, HuffPost (online), 22.5.2013,
                                                                           ; S. Johnson, »UN’s Carla Del
  32 Informationen und Hintergründe dazu finden sich unter                 Ponte Massively Undermines Investigation with ›Syrian Rebels
  .                                            Used Sarin‹ Claim«, CBRNe World News (online), 6.5.2013,
  33 Die OVCW kooperierte unter anderem mit der Abrüstungs-                 (Zugriff jeweils am 2.3.2017).
  Legal Affairs), der VN-Sicherheitsabteilung (UN Department of            36 Moskau untersuchte zum Beispiel eigenständig die be-
  Safety and Security, UNDSS), dem Büro für Projektdienste der             haupteten Chemiewaffenangriffe vom März 2013 in Khan
  VN (UN Office for Project Services, UNOPS) und der Welt-                 al-Assal und machte seinen Bericht im Juli 2013 teilweise den
  gesundheitsorganisation (WHO), siehe Ralf Trapp, Lessons                 VN-Sicherheitsratsmitgliedern zugänglich, AFP, »UN Chemi-
  Learned from the OPCW Mission in Syria. Report Submitted to the          cal Inquiry Hopes Hit by Fall of Syrian Town«, Hurriyet Daily
  Director-General of the Technical Secretariat of the OPCW, Chessenaz     News (online), 24.7.2013,  (Zugriff am 2.3.2017).                                        Zusammenhang mit dem Kampf um Aleppo Ende 2016 er-
  34 So gab es zwischen der Leiterin der UN-OPCW Joint Mis-                klärt, eigene Untersuchungsergebnisse würden den Einsatz
  sion und dem Generaldirektor der OVCW Meinungsverschie-                  von Chemiewaffen durch nicht-staatliche Gruppen belegen:
  denheiten über die Frage der Federführung, siehe Jean P.                 »Exclusive: Sputnik Reports From Terrorist Chemical Factory
  Zanders, »Üzümcü: ›After Syria I Do Not See Any Country Able             in Aleppo«, Sputnik International (online), 29.12.2016,
  to Use Chemical Weapons Anymore‹«, The Trench (online),                   (Zugriff jeweils am
  (Zugriff am 2.3.2017).                                                   2.3.2017).

                                                                                                                              SWP Berlin
                                                                                      Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                               Mai 2017

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Politische Unterstützung und Kooperationen

          waffeneinsätze durch die Veröffentlichung eigener
          Analysen zu beeinflussen. 37

               37 Das amerikanische Außenministerium hat kurz vor der
               Veröffentlichung des VN-Berichts über die Chemiewaffen-
               angriffe am 21.8.2013 eine auf US-Geheimdienstanalysen
               beruhende Einschätzung des Angriffs veröffentlicht, siehe
               zum Beispiel David Jolly/ Scott Sayare/ Rick Gladstone, U.S.
               Releases Detailed Intelligence on Syrian Chemical Attack, Paris,
               30.8.2013,  (Zugriff am 29.11.2016).

          SWP Berlin
          Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
          Mai 2017

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Praktische Voraussetzungen: Logistik und Sicherheit

Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in
Räumen begrenzter Staatlichkeit

  »I think ›normal‹ doesn’t apply under the current             und andere Verifikationsaktivitäten durchführen. 40
  conditions.« 38                                               Die Kommunikation im Krisengebiet und auch zwi-
                                                                schen dem Hauptquartier und den am Ort des Gesche-
Bei Einsätzen in Räumen begrenzter Staatlichkeit                hens eingesetzten Mitarbeitern muss abhörsicher sein.
müssen die Regeln und Prozeduren, die in Nicht-                 Sensitive Informationen sollten zudem kompartmen-
verbreitungsregimen festgelegt sind, unter hohem                talisiert werden. 41
Zeitdruck an die Bedingungen einer akuten Krise                    Zuallererst muss die Sicherheit der Mitarbeiter in
angepasst werden. Mitunter läuft dies auf die Ent-              der Zielregion gewährleistet werden, wie zwei Bei-
scheidung hinaus, Standards zu lockern oder zu                  spiele zeigen: Als VN-Inspektoren drei Tage nach den
verschärfen, ein politisch heikler Prozess, der noch            verheerenden Chemiewaffenattacken am 21. August
durch die Frage an Brisanz gewinnt, wer eine solche             2013 die Umstände des Angriffs aufklären wollten,
Flexibilisierung beschließen darf. 39                           kamen sie auf Rebellengebiet unter Beschuss. 42 Und
                                                                am 27. Mai 2014 rückten Mitglieder der OVCW-Unter-
                                                                suchungsmission aus, um einen behaupteten Chlor-
Praktische Voraussetzungen:                                     gasangriff syrischer Regierungstruppen auf das von
Logistik und Sicherheit                                         der Opposition gehaltene Hama zu untersuchen. Eines
                                                                der Fahrzeuge wurde durch einen Sprengsatz be-
In Räumen begrenzter Staatlichkeit ist oft entweder             schädigt und zwei andere Wagen wurden danach für
kein Partner zur Umsetzung von Abrüstungsvorhaben               kurze Zeit von Rebellen festgehalten. In beiden Fällen
vorhanden oder dieser Partner ist nicht in der Lage             waren die Inspektionen mit Regierung und Opposi-
bzw. willens, einen Abrüstungsprozess zu begleiten.             tion verabredet. 43
Ein solch unkooperatives Umfeld erfordert von Nicht-               Die Klärung der rechtlichen Voraussetzungen eines
verbreitungsorganisationen zusätzliche logistische              Einsatzes im Krisengebiet beginnt mit der angemesse-
Anstrengungen.                                                  nen Ver- bzw. Absicherung der beauftragten Experten
   Der Transport von Personal und Ausrüstungs-                  und ihrer Familien. 44 Die OVCW entsandte zudem nur
gegenständen ins Einsatzgebiet kann nicht, wie im               Inspektoren nach Syrien, die sich freiwillig für die
Routinebetrieb, ausschließlich über kommerzielle                Abrüstungsmission gemeldet hatten, und bevorzugte
Anbieter gewährleistet werden. Von Vorteil ist es,
wenn sich die Mission auf die längerfristige Präsenz
von Inspektoren vor Ort stützen kann. Von einer Zen-
                                                                  40 So konnten sich die Aktivitäten zur Abrüstung der syri-
trale oder einem Verbindungsbüro im Einsatzgebiet
                                                                  schen Chemiewaffen auf eine Operationsbasis in Beirut, ein
und/oder in benachbarten Ländern können Vertreter                 Operationszentrum in Jordanien und ein OVCW-Verbindungs-
der Abrüstungsorganisation dann Kontakt mit der                   büro in Damaskus stützen, vgl. ebd., S. 20.
Zentralregierung halten, Inspektionen arrangieren                 41 Vgl. ebd., S. 13.
                                                                  42 Der Leiter der Mission berichtete später, dass die Inspek-
                                                                  toren die Schüsse als erwartbares Warnsignal interpretiert
                                                                  und deshalb die Untersuchung fortgesetzt hätten, siehe
                                                                  »Modern Warfare. Interview with Åke Sellstrom, Chief UN
  38 Die leitende Koordinatorin der UN-OPCW Joint Mission         Weapons Inspector in Syria«, in: CBRNe World, Februar 2014,
  Sigrid Kaag am 1.11.2013 auf die Frage, ob die Vernichtung      S. 8–13 (9),  (Zugriff am 2.3.2017).
  staat erfolgen müsste, siehe »Interview: Head of OPCW-UN        43 Nur einer der Inspektoren wurde leicht verletzt, siehe
  Team Awaits Next Steps on Destruction of Syria’s Chemical       OPCW, Security Incident Affects Syria Fact-Finding Mission, Den
  Weapons«, United Nations News Centre (online), 1.11.2013        Haag, 27.5.2014,  (Zugriff am 12.12.2016).                    27.4.2017).
  39 Siehe Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 15.            44 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 11.

                                                                                                                     SWP Berlin
                                                                             Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                      Mai 2017

                                                                                                                              15
Kontrolle von Massenvernichtungswaffen in Räumen begrenzter Staatlichkeit

          Tabelle
          Mechanismen zur Abrüstung und Überwachung des syrischen Chemiewaffenprogramms und zur Untersuchung
          von behaupteten Chemiewaffeneinsätzen in Syrien

                                                        Zeitraum              Aufgabe                               Grundlage
          VN-Generalsekretärs-                          seit 21.3.2013        Untersuchung behaupteter              VN-Generalversammlung,
          mechanismus                                                         Bio- und Chemiewaffen-                Resolution 42/37 C (1987);
          (UN Secretary General                                               einsätze                              VN-Sicherheitsratsresolution
          Mechanism)                                                                                                620 (1988); Entscheidung des
                                                                                                                    VN-Generalsekretärs
          Routineverifikation der OVCW                  seit 14.9.2013        Überprüfung der Einhaltung            Beitritt Syriens zum CWÜ
                                                                              von CWÜ-Bestimmungen
          Gemeinsame Mission der VN                     16.10.2013 –          Abrüstung der deklarierten            VN-Sicherheitsratsresolution
          und der OVCW                                  30.9.2014             syrischen Chemiewaffen-               2118 (2013)
          (UN-OPCW Joint Mission)                                             bestände
          OVCW Untersuchungsmission                     seit 29.4.2014        Untersuchung behaupteter              Entscheidung des OVCW-
          (OPCW Fact Finding Mission,                                         Chemiewaffeneinsätze                  Generaldirektors
          FFM)
          OPCW Declaration Assessment                   seit April 2014       Klärung der »Anomalien und            Entscheidung des OVCW-
          Team (DAT)                                                          Widersprüche« in Deklara-             Exekutivrats
                                                                              tionen Syriens
          Gemeinsamer Untersuchungs-                    seit 7.8.2015         Identifizierung der Verant-           VN-Sicherheitsratsresolution
          mechanismus der VN und der                                          wortlichen für behauptete             2235 (2015), ff.
          OVCW (UN-OPCW Joint                                                 Chemiewaffeneinsätze
          Investigative Mechanism, JIM)

          dabei Mitarbeiter mit militärischer Ausbildung sowie                          Inspektion liegt im Fall des Gemeinsamen Unter-
          Kenntnissen der Sprache und Kultur des Gastlands. 45                          suchungsmechanismus letztlich gemeinsam beim
             Da Abrüstungsorganisationen über kein eigenes                              VN-Generalsekretär und dem OVCW-Generaldirektor. 47
          bewaffnetes Personal für den Einsatz in Krisengebie-                          Um die medizinische Versorgung und die Notfall-
          ten verfügen, arbeiten sie mit professionellen Sicher-                        vorsorge vor Ort zu gewährleisten, bedarf es in der
          heitsanbietern, etwa aus dem Bereich der Vereinten                            Regel einer Kooperation der Abrüstungsorganisation
          Nationen, zusammen. Diese können Sicherheitsanaly-                            mit den VN und lokalen Partnern.
          sen erstellen, die vor Ort eingesetzten Mitarbeiter über
          die Sicherheitslage unterrichten bzw. auf ihre Aufgabe
          vorbereiten und versuchen, im Einsatzgebiet Schutz                            Die Erweiterung bestehender Verfahren:
          zu gewähren. 46 Die Beurteilung der Sicherheitslage                           Gewinnung und Nutzung von Informationen
          und die Entscheidung über die Durchführung einer
                                                                                        Normalerweise wird die Einhaltung von Verpflichtun-
                                                                                        gen zur Nonproliferation und Abrüstung auf der
               45 Vgl. ebd., S. 8.
                                                                                        Grundlage von Informationen überprüft, die Vertrags-
               46 In Libyen stellte die United Nations Support Mission in
               Libya (UNSMIL) Logistik, Sicherheit und Kommunikation für                staaten bereitstellen. Diese Informationen werden vor
               die OVCW-Inspekteure bereit, siehe United Nations Security               Ort durch Inspektionen oder durch Fernerkundungs-
               Council, Letter Dated 23 March 2012 from the Chairman of the Secu-
               rity Council Committee Established Pursuant to Resolution 1970 (2011)
               Concerning Libya Addressed to the President of the Security Council,       47 OPCW, Summary Report of the Work of the OPCW Fact-Finding
               New York, 26.3.2012 (S/2012/178),                                          Mission in Syria Covering the Period from 3 to 31 May 2014,
                (Zugriff am 2.3.2017).

          SWP Berlin
          Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
          Mai 2017

          16
Die Erweiterung bestehender Verfahren: Gewinnung und Nutzung von Informationen

technologien und – in begrenztem Umfang – auch                          Abrüstungsorganisationen nutzen im Rahmen von
offene Quellen verifiziert. 48                                       Einsätzen in Krisenregionen auch neue Wege der
   Wenn der Besitzerstaat aber keinen oder begrenz-                  Informationsgewinnung. Die OVCW zog bereits 2011
ten Zugang zu den zu kontrollierenden Gebieten oder                  in Libyen Daten von kommerziellen Anbietern von
Einrichtungen hat, greifen diese Verfahren kaum.                     Satellitenbildern für ihre Verifikationsaktivitäten
Zudem fehlt es unter den Bedingungen eines Bürger-                   heran. Da sie nur über begrenzte Kapazitäten verfügt,
kriegs oft an den nötigen Verwaltungskapazitäten                     um entsprechende Aufnahmen zu akquirieren und
und/oder der Bereitschaft, internationalen Organisa-                 auszuwerten, kooperierte sie zu diesem Zweck mit
tionen abrüstungsrelevante Informationen zur Ver-                    einer Reihe anderer internationaler Organisationen. 53
fügung zu stellen.                                                   Die OVCW hat auf diese Weise ihre eigenen Fähigkei-
   Die OVCW hat frühzeitig die vertraglichen Informa-                ten zur Fernerkundung erweitert. Seit 2013 verwendet
tionspflichten für Syrien verschärft und ausgeweitet.                sie solche Informationsquellen auch für andere Auf-
Nach dem CWÜ-Beitritt Syriens am 14. September                       gaben. Die Organisation machte zudem vor und wäh-
2013 setzten der Exekutivrat der OVCW und der                        rend des Einsatzes in Syrien in zunehmendem Maße
VN-Sicherheitsrat unter Hinweis auf die Dringlichkeit                Gebrauch von frei zugänglichen Quellen. 54
der Situation die im CWÜ enthaltene 30-Tage-Frist                       Bemerkenswert ist die Entwicklung neuer Verifika-
außer Kraft, nach der die Bestimmungen des Abkom-                    tionsinstrumente (siehe Tabelle, S. 16). Bereits ein
mens normalerweise erst Anwendung finden. 49 Sie                     halbes Jahr nachdem Syrien die erste Meldung in
legten das CWÜ damit neu aus. Syrien reichte seine                   Den Haag eingereicht hatte, 55 entsandte die OVCW im
erste Meldung über das eigene Chemiewaffen-                          April 2014 ein Team von Experten nach Damaskus,
programm ein, noch bevor es formal Vertragspartei                    um zu überprüfen, ob die syrischen Angaben korrekt
geworden war. 50                                                     und vollständig waren. Aus dieser Gruppe entwickelte
   Die OVCW verpflichtete Syrien zudem, mehr In-                     sich das Declaration Assessment Team (DAT), dessen
formationen offenzulegen, als dies gemeinhin von                     Aufgabe es ist, »Anomalien und Diskrepanzen« in den
Vertragsstaaten verlangt werden kann. So musste                      syrischen Angaben zu identifizieren. 56 Im Zuge von
Damaskus frühzeitig seine Chemiewaffen (und deren                    rund einem Dutzend Konsultationen mit der Regie-
Vernichtung) deklarieren, um das Risiko zu minimie-                  rung in Damaskus brachte das OVCW-Team Fakten ans
ren, dass Bestände versteckt werden. 51 Zudem forderte               Licht, die klarmachten, dass die syrischen Angaben
die OVCW von Syrien die Meldung von (unter dem                       über die eigenen Chemiewaffenfähigkeiten weder
CWÜ eigentlich nicht deklarierungspflichtigen) For-                  vollständig noch korrekt waren. 57
schungseinrichtungen, die Teile des Chemiewaffen-
programms waren. 52
                                                                       53 Die Unterstützung des UN Institute for Training and
                                                                       Research (UNITAR) Operational Satellite Applications Pro-
  48 Vgl. Oliver Meier/ Iris Hunger, »›Open Sources‹ und Veri-         gramme (UNOSAT) und der EU waren dabei wichtig, siehe
  fikation: Die Demokratisierung der Rüstungskontrolle?«, in:          Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 18. Im Februar 2015
  Ulrich Albrecht/ Jörg Becker (Hg.), Medien zwischen Krieg und        verabredeten die Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty
  Frieden, 1. Aufl., Baden-Baden 2002 (Schriftenreihe der Arbeits-     Organization (CTBTO) und die OVCW, bei der Nutzung sol-
  gemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V, Bd. 29),       cher Daten enger zusammenzuarbeiten, OPCW, OPCW and
  S. 223–241.                                                          CTBTO Heads Meet to Strengthen Cooperation, Den Haag, 23.2.2015,
  49 Vgl. Walter Krutzsch/Eric Myjer/Ralf Trapp, »Issues Raised         (Zugriff am 27.4.2017).
  tion«, in: Krutzsch u.a. (Hg.), The Chemical Weapons Convention      54 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 18
  [wie Fn. 31], S. 689–701 (690).                                      55 Siehe OPCW, Syria Submits Its Initial Declaration and a General
  50 Ebd., S. 695.                                                     Plan of Destruction of Its Chemical Weapons Programme, Den Haag,
  51 Jean P. Zanders, »Using the Momentum of Syria’s Chemi-            27.10.2013,  (Zugriff am 14.12.2016).
  – Middle East (APOME), ›Tackling the Middle East WMD/DVs             56 Vgl. Trapp, Lessons Learned [wie Fn. 33], S. 8.
  Arsenals in the Context of Military Asymmetries Towards              57 UN Security Council, Letter Dated 26 October 2015 from the
  Zonal Disarmament‹, Berlin, 11–12 March 2015«, The Trench            Secretary-General Addressed to the President of the Security Council,
  (online), 13.3.2015,  (Zugriff am
  52 Vgl. Krutzsch u.a., »Issues Raised« [wie Fn. 49], S. 696–670.     21.1.2016).

                                                                                                                            SWP Berlin
                                                                                    Nichtverbreitung in Räumen begrenzter Staatlichkeit
                                                                                                                             Mai 2017

                                                                                                                                         17
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