Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker
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Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker I. Vorbemerkung "Höher, schneller, weiter" lautet das olympische Motto des größten sportlichen Wettstreits, der die Menschen weltweit begeistert. Die Siegerinnen und Sieger werden gefeiert, die Austragungsorte gehen in die Sportgeschichte ein und scheinen für die Ewigkeit mit der Jahreszahl der Spiele verbunden zu sein: Atlanta 1996, Sydney 2000,..... Stuttgart 2012? Wir wollen aber, dass von einer Olympiade mehr bleibt als die Jahreszahl und die Euphorie der Wettkampftage. Die Diskussion über eine Olympiabewerbung ist so schwierig, da Gegner wie Befürworter einer Olympiade die Begründungen des anderen jeweils ins Gegenteil verkehren können. Die Argumente für eine Olympiabewerbung können bei schlechter Planung und Umsetzung die Rechtfertigungsgründe dagegen werden: • Neue Arbeitsplätze in olympiarelevanten Branchen – Abwanderung von Firmen • Gewinne/positive volkswirtschaftliche Bilanz - Defizite • Ökologische Erneuerung der Infrastruktur – falsche Prioritäten bei Investitionstätigkeit/Flächenverbrauch • Spitzensport auf Weltniveau halten – Breitensport vernachlässigen • Sanfter Tourismus – Massentourismus mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt • Überprüfung vorhandener Strukturen – Strukturen ohne sinnvolle Nachnutzung schaffen. Befürworter und Gegner finden jeweils für ihre Sicht der Dinge mittlerweile in der langen Geschichte der Olympischen Spiele genügend Beispiele in den Austragungsorten. Die grüne Landtagsfraktion wird sich aktiv an der Diskussion beteiligen und ihre Vorstellungen eines nachhaltigen, grünen Olympias formulieren. Dabei werden wir uns dafür einsetzen, dass die Bewerbung für die olympischen Spiele und die Paralympics 2012 in Stuttgart – unabhängig davon, ob ihr Erfolg beschieden wird oder nicht – einen bleibenden Beitrag zur Sport- und Infrastrukturentwicklung in der Region leistet. Deshalb muss die Olympiabewerbung • ein Konzept zur Stärkung des Schul- und Breitensports enthalten, • auf einem nachhaltigen Infrastruktur- und Mobilitätskonzept basieren, • geeignet sein, das berufliche und ehrenamtliche Engagement im Sport nachhaltig zu unterstützen und einen Beitrag zu Stärkung der Wirtschaftsfaktors Sport und Freizeit zu leisten. Am Beispiel der Nachhaltigkeit und anhand mehrerer Schwerpunkte werden wir ein positives Leitbild für eine Olympiabewerbung Stuttgarts entwickeln. 1/6
Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ II. Gefragt sind Kreativität und Verantwortung beim Marathonlauf zu nachhaltigen Olympischen Spielen in Stuttgart Mit dem Leitmotiv der Nachhaltigkeit bei allen Entscheidungen lassen sich die aufgeführten Risiken für eine Region minimieren. Eine Olympiade soll für die Menschen im Land einen Gewinn an Lebensqualität bringen. So wie Sydney mit den "Green Olympics" in der Homebushbay einen anspruchsvollen Ökologie- und Nahverkehrsplan realisierte, soll Stuttgart mit grünen Olympia-Konzepten Punkte sammeln. Das Konzept der kurzen Wege macht's möglich: Alle zentralen Einrichtungen, vom olympischen Dorf bis zur Großhalle, könnten dank großer Brachflächen in fußläufiger Entfernung zum olympischen Leichtathletikstadion errichtet werden. 1. Verkehrspolitik: Kein Hürdenlauf Um die aktive Teilhabe aller Menschen im Land an den Olympischen Spiele zu sichern, muß der ÖPNV leistungsstärker und attraktiver werden. Die Stadionlinie U11 wollen wir zu einer zentralen Ringerschließungbahn des Olympiageländes ausbauen. Zur besseren Anbindung der Stadtteile und Städte nördlich des Pragsattels soll eine neue S-Bahnkurve vom Nordbahnhof direkt nach Cannstatt gebaut werden. Die S-Bahn erhält einen eigenen Olympiabahnhof mit direktem Stadionzugang. Entscheidend aber ist der neue Hauptbahnhof, der als große Drehscheibe die Gäste aus dem ganzen Land empfangen soll. Die Grünen wollen die überflüssigen Gepäckbahnsteige beseitigen, dadurch Platz gewinnen und eine lichte Großüberdachung des gesamten Bahnsteigbereichs an den Bonatzbau anschließen. Die Kapazität der Gleisanlagen soll einen Halbstundentakt aus dem ganzen Land zu Olympia erlauben. Stuttgart 21 hätte diese Kapazität nicht: Zum Zeitpunkt der Ausrichtung der Spiele wäre der Tunnelbahnhof die größte Baustelle in der Stadt, das Verkehrschaos also vorprogrammiert. Die Automobilhersteller sollten den eingesetzten Fuhrpark nutzen, um ihre modernsten, umweltfreundlichsten Antriebstechniken zu präsentieren. Mit einem Olympiaticket, mit dem während der Spiele ÖPNV und Bahn in ganz Baden- Württemberg benutzt werden kann, machen wir aus Olympia ein Event der Mobilitätskultur. 2. Sportpolitik: Dabei sein ist alles Aus Baden-Württemberg kann mit innovativer Sportentwicklung das Sportland Nr. 1 in Deutschland werden. Dabei geht es nicht um eine Spirale der Leistungskultur, die im Doping ihre negativste Ausprägung findet, sondern um eine Sportbegeisterung, die Fundament ist für eine neue Bewegungskultur. 2/6
Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ Olympia braucht ein solides Fundament: den Breitensport und den Schulsport. • Eine Olympiabewerbung fängt bei der Verbesserung des Schulsports an. Die dritte Sportstunde muß nicht nur im Stundenplan enthalten sein, sondern gegeben werden. Die sport- und bewegungsfreundliche Schule darf nicht im Stadium des Modellprojekts verbleiben. • Die Stärkung der Vereinsarbeit im Breiten- und Freizeitsport (z.B. durch Sportmesse mit Kongreß, Sportakademie zur Weiterbildung u. Haus des Sports) muss einen Schwerpunkt in der Sportpolitik der nächsten Jahre darstellen. Die Mittel für die Olympiabewerbung sollten deshalb verstärkt in die Verknüpfung von Olympiainitiative und Breitensport fließen, bspw. durch Förderung von Preisen bei Turnieren und Förderung von Jugendmeisterschaften. Mit der Förderung des Breitensports wird auch ein Beitrag zur Gesundheitsvorsorge geleistet. • Dazu gehört die Verbesserung der sportbezogenen Infrastruktur (Trainingsstätten u. Kleinsporthallen) im Rahmen eines Sportstättenkonzepts, das mit den Sportfachverbänden abgestimmt werden muss. • Außerdem muss – da Auswahlkriterium des NOK - eine gezielte Nachwuchsförderung, Talentförderung und –sichtung für Olympia 2012 erfolgen. Eine optimale sportlerbegleitende Unterstützung wird durch den Aufbau sportbetonter Schulen und Internate ermöglicht. • Förderprogramme für Trainerinnen und Trainer müssen zwischen Bund und Land abgestimmt werden. Fazit: Olympia muss ein Konjunkturprogramm für den Breitensport werden. 3. Städtebau und Stadtplanung: Kür und Pflicht Bei der Gestaltung des Olympischen Dorfes müssen Anforderungen des IOC mit den Notwendigkeiten der Stadtplanung sinnvoll durch Architektenwettbewerbe verknüpft werden. Wir wollen die Olympiabewerbung nutzen für einen Wettbewerb integrierter städtebaulicher Nutzungskonzepte für die „Stadt der Zukunft“. Wird für 2012 ein Mangel an Studentenwohnungen prognostiziert, kann dem zum Beispiel durch Umnutzung des Olympischen Dorfes nach 2012 begegnet werden. Attraktive Gebäude wie die Bebauung der Architekten Mahler, Gumpp und Schuster am Nordbahnhof werten ein Quartier auf und garantieren eine spätere Vermarktung. Am Neckarufer könnte der Beton entfernt und die Uferpromenade gestaltet werden. Industriebrachen am Neckar müssen in das Olympiakonzept einbezogen, saniert und neue Nutzungen definiert werden. Vorhandene Hallen müssen so weit wie möglich in das Olympiakonzept einbezogen werden. Bauten für den Stuttgarter Wasen könnten vorgezogen werden, um sie als Begegnungsstätte, für Verpflegung, den Verkauf von Souvenirs und Sponsorenauftritte zu nutzen. 3/6
Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ 4. Wirtschaftsförderung: Die Medaillen vergolden Olympia funktioniert nur mit der ideellen und materiellen Unterstützung durch Unternehmen und Persönlichkeiten der Wirtschaft. Im Gegenzug profitiert die Wirtschaft vom Konjunkturprogramm Olympia: Allein die Kaufkraft der Besucherinnen und Besucher wird auf über 500 Mio. DM geschätzt. Unabhängig vom Erfolg spricht auch der Imageeffekt für die Bewerbung Stuttgarts. Insofern ist die Bewerbung als solche bereits eine Maßnahme der Wirtschaftsförderung, bietet sie doch eine Plattform, um die weichen und harten Standortfaktoren, die eine Region ausmachen, bekannt zu machen. Unternehmen, die langfristig denken und wissen, dass Sport- und Kulturförderung zu einem positiven Image beitragen, werden ein dauerhaftes, über die Olympiabewerbung hinausgehendes Engagement der Wirtschaft beispielsweise in der Vereins- und Nachwuchsförderung zeigen. 5. Ökologie: Ausdauer führt zum Ziel Eine ökologisches und nachhaltiges Bewerbungskonzept soll die grünsten Spiele aller Zeiten garantieren. Alle Entscheidungen müssen auf ihre Nachhaltigkeit überprüft werden, für vorhandene Strukturen besteht die Chance zu ökologischer Erneuerung. Die städtebaulichen Planungen, das Mobilitätskonzept und die Veranstaltungen müssen diesen Kriterien unterliegen. • Das bedeutet: Nach Olympia keine leeren Hallen, dafür attraktive, ökologische Wohnungen, dauerhaft nutzbare Sportstätten und Verbesserungen beim ÖPNV. • Die Verpflegung der Olympioniken und aller Beteiligter muss mit regionalen und ökologischen Produkten erfolgen. • Ein Energiekonzept, das regenerative Energien mit Energieeinsparung und effizienter Energienutzung (Kraft-Wärme-Kopplung) verbindet, ist wesentlicher Bestandteil ökologischer Spiele. Informationen zur Nutzung regenerativer Energien müssen Bestandteil des Rahmenprogramms sein. Kampagnen für grünen Strom können in gemeinsamen Aktionen mit den Sportvereinen im Land gestartet werden. • Ein Lärmminderungsplan verringert die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner der Sportstätten. • Das Merchandising setzt beispielsweise auf Fanartikel aus umweltfreundlichen Materialien, auch die Ausstattung der Stadien und Hallen entspricht mit beispielsweise recyclebaren Sitzkissen aus Kokosfasern oder Hanf nachhaltigen Kriterien. Die Grünen fordern eine kontinuierliche Begleitung der Planungen durch Umweltschutzverbände. Dies garantiert die Einhaltung und Umsetzung des Anspruchs auf Nachhaltigkeit. 4/6
Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ 6. Tourismus: In Bahnen lenken Gerade Olympia bietet Chancen auf sanften, natur- und umweltverträglichen Tourismus in Baden-Württemberg. Mit dem Olympiaticket sollen die Bersucherinnen und Besucher umweltfreundlich anreisen. 7. Kultur: Ein Volltreffer Die Olympischen Spiele müssen in ein anspruchsvolles kulturelles Rahmenprogramm eingebunden werden. Im Zuge der Planungen für Olympia muss dazu eine Leitidee für eine Kulturpolitik erarbeitet werden, die Toleranz, Kreativität, Austausch und Identität fördert. Die regionale Vielfalt und die Multikulturalität Baden-Württembergs können dabei schon heute bei der Kulturförderung berücksichtigt werden. Nachhaltige Spiele brauchen auch ein nachhaltiges Rahmenprogramm mit dem Thema Umweltbildung als Schwerpunkt. 8. Dezentralität: „Teamgeist“ fördern Das Konzept der kurzen Wege muß durch dezentrale Veranstaltungen in Städten und Gemeinden im ganzen Land ergänzt werden. Durch unterschiedliche Austragungsorte im ganzen Land werden Brücken geschlagen und die regionale Zusammenarbeit gestärkt. Die Olympische Idee erhält so eine breite Basis im Austragungsland. 9. Demokratie: La Ola Olympia ist eine Kommunikationsaufgabe, an deren Anfang der politische Wille stehen muss, alle Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen. Damit fängt Olympia an. Die Begeisterung der Menschen kann man nicht befehlen und nicht erkaufen, man muss sie gewinnen. Durch Transparenz beim Verfahren und steten Dialog muss eine breite Beteiligung der Menschen möglich werden. Ohne Unterstützung durch die Bevölkerung kann Olympia nicht gelingen: Für den reibungslosen Ablauf werden ca. 40.000 Freiwillige benötigt. Die Planungen für Olympia können ein Beispiel für eine gelungene Beteiligungskultur werden. 10. Behindertensport: Alle gewinnen Die Paralympics lenken das Auge der Welt für wenige Tage auf die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen. Teil der Olympiabewerbung Stuttgarts muß die Überprüfung der Infrastruktur und die Beseitigung von Hürden für Behinderte sein, um ihnen eine uneingeschränkte Teilnahme in dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Eine frühzeitige Beteiligung der Behindertenverbände ist daher ein absolutes Muss. 5/6
Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 12. November 2001 „Olympia 2012 in Stuttgart - ein nachhaltiges Fest der Völker“ 11. Finanzen: Olympisches Feuer auf Sparflamme Auch bei der Finanzierung der Olympiabewerbung gilt das Prinzip der Nachhaltigkeit. Geldverschwendung muss in Anbetracht der Haushaltslage vermieden werden. Das Land gibt für die Imagekampagne jährlich 15 Mio. DM aus – soviel wie Stuttgarts nationale Olympiabewerbung insgesamt kosten soll. Stellt man Kosten und Nutzen beider Aktivitäten gegenüber, kommt man schnell zum Schluss: Ein Erfolg bei der nationalen Ausscheidung würde Stuttgart über Jahre hinaus ins Schaufenster der Welt stellen. Wir schlagen eine Finanzierung der Olympiabewerbung aus den Mitteln der Imagekampagne vor und entlasten so den Haushalt. III. Fazit Bündnis 90/Die Grünen im Landtag befürworten die Bewerbung Stuttgarts um die Olympiade 2012/2016. Wir wollen diesen Diskussionsprozeß produktiv-kritisch begleiten und damit dazu beitragen, dass dieser transparent, beteiligungsorientiert und am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtet wird. Nachhaltigkeit muß das Markenzeichen der Olympischen Spiele in Stuttgart werden. Die strikte Beachtung der Nachhaltigkeit bei der Planung und Umsetzung der grünsten Olympischen Spiele muss für die Menschen im Land auf Dauer ein Mehr an Lebensqualität bringen. Stuttgart muß für Weltoffenheit und Toleranz stehen, muß sich als eine Stadt mit hoher internationaler Ausrichtung beweisen. Gerade in diesen Tagen ist der Gedanke an Spiele, die nicht nur den Wettkampf feiern, sondern auch den interkulturellen Dialog ermöglichen und befördern, eine faszinierende Perspektive für dieses Land. Olympia bringt Baden-Württemberg die Chance, seine Menschen, ihren Fleiß, ihren Einfallsreichtum und ihre Leistungen weltweit vorzustellen. Dabei setzen wir nicht auf Hochglanzbroschüren, sondern auf eine Kampagne der Menschen. Die Grünen im Landtag wollen eine breite Bewegung in Stuttgart und im ganzen Land für Olympia herstellen. Selbst wenn am Ende Stuttgart nicht den Zuschlag bekäme, muss gewährleistet sein, dass sinnvolle Entwicklungskonzepte für den Schul- und Breitensport, die Stadtentwicklung, die Kulturpolitik, die Verkehrs- und Sportinfrastruktur und den Wirtschaftsstandort nicht in den Schubladen verschwinden, sondern schrittweise umgesetzt werden. Bündnis 90/ Die Grünen im Landtag Baden-Württemberg Heike Dederer, Finanz- und Sportpolitische Sprecherin 6/6
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