Online-Medien für Kinder und ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Teilhabe
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Online-Kindermedien: altersgerechte Angebote als Teilhabevoraussetzung für Kinder Schwerpunkt Online-Medien für Kinder und ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Teilhabe Friederike Siller Einleitung Zahl der Angebote, die sich an ihren Bedürfnissen Kinder sind Teil unserer Gesellschaft. Deshalb ha- ausrichten eher ab. ben Kinder prinzipiell die gleichen Teilhaberechte wie Erwachsene. Grundgesetz, Grundrechte-Charta und Kinder- Die Situation für Kinder und Familien rechtskonvention geben ihnen das Recht sich zu Kinder nutzen Online-Medien bereits im Vor- entfalten, sich zu informieren und ihre Meinung schulalter, also bevor sie lesen oder schreiben zu äußern. Kinder haben deshalb das Recht, Medi- können. Erster Zugang sind in der Regel digitale en zu nutzen – und zwar aktiv und passiv. Gleich- Angebote auf mobilen Geräten wie Tablets oder zeitig ist die Gesellschaft verpflichtet, sie vor Scha- Smartphones. Dabei nutzen viele Kinder das In- den zu bewahren, ihnen Bildung zu ermöglichen ternet alleine im persönlichen Raum, ohne dabei und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. von Eltern oder Pädagogen begleitet zu werden. Das führt zu der Frage, welche Angebote In den ersten Jahren nutzen sie vor allem Ange- Kinder im Netz auf der einen Seite benötigen und bote, die sich spezifisch an sie als jüngere Kinder welche kindgerechten Angebote ihnen auf der richten. Diese Angebote sind für sie attraktiv, weil anderen Seite zur Verfügung stehen. Weiter ist zu sie diese auch ohne Lesekenntnisse bedienen fragen, wie Kinder die derzeitigen Angebote nut- können und sich die Inhalte an ihren typischen zen und was diese für sie attraktiv macht – auch Interessen ausrichten. im Vergleich zu Angeboten, die sich nicht spezi- Dies ändert sich aber mit zunehmendem Alter. fisch an Kinder als Zielgruppe richten. Zu konsta- Dann wenden sich Kinder verstärkt Online-Ange- tieren ist: Kinder nutzen Online-Angebote aktiv boten zu, die nicht genuin für sie vorgesehen sind. und umfangreich. Leider nimmt gleichzeitig die Dies können etwa Online-Enzyklopädien wie 4__BPJMAKTUELL 3/2020
Wikipedia sein, Nachrichtenseiten, Soziale Netz- Sprachassistenten größere Bedeutung erlangen werke, Videoplattformen oder Messenger-Dienste. (z. B. Alexa, Siri, Assistant). Dies führt dann zu der Frage, wann dies einerseits Im Fokus stehen also – über den konkreten pädagogisch tragbar und erwünscht sein kann Content hinaus – die Plattformen und Dienste, die und wann andererseits eher schädliche oder nicht Kinder nutzen, um an Inhalte zu kommen oder sinnvolle Wirkungen zu erwarten sind. zu interagieren. Diese stellen sich gegenwärtig als Dass Kinder Angebote nutzen, die sich eher an mal mehr, mal weniger geeignet für Kinder dar. Erwachsene richten, kann durchaus erwünscht Dies gilt insbesondere für die Dienste, die nicht sein. Dies etwa, wenn Kinder sich, zum Beispiel genuin für sie entwickelt wurden. im Übergang zum Jugendalter, bereits mit Politik Ein weiterer Aspekt fällt ins Gewicht: Auch oder Naturwissenschaften auskennen und sich Kinder sind schon aktiv Teilhabende und Teilge- vertiefte Informationen beschaffen oder betei- bende in digitalen Medien, sei es beim Online- ligen möchten. Die Angebote passen aber nicht spielen, Posten und Kommentieren von Informa- immer. tionen und Nachrichten, Hochladen von Bildern Innerhalb weniger Jahre kam es zu einem oder Videos etc. Viele Kinder sind sichtbar im sprunghaften Anstieg an digitalen Angeboten Netz, mit steigender Tendenz. Kinder als „Content für Kinder, z. B. im Bereich der Kinder-Apps, Creator“, „Kinder-Influencer“ oder meist einfach insbesondere für jüngere Kinder im Vorschul- als Kinder, die gerne am digitalen Leben teilneh- alter. Kinder nutzen On-Demand-Angebote auf men, bleiben in den Überlegungen zu Qualität in Streamingdiensten, für die die Eltern ein Abo Online-Medien und der Frage nach kindgerechten abgeschlossen haben ebenso wie frei zugängliche Angebotsstrukturen im digitalen Raum noch oft Videoplattformen wie YouTube. Ihnen steht der- unberücksichtigt. gestalt endloser Content zur Verfügung, den sie selbst auswählen können – mal mehr, mal we- niger eingeschränkt durch Jugendschutzeinstel- Übersicht der Online-Medien für Kinder lungen oder ein „Kinder-Profil“. Es mangelt also Die Medienlandschaft für Kinder hat sich in- nicht an Online-Content für Kinder. nerhalb weniger Jahre stark verändert: Bei den Diese immense Vielzahl an Content ist häufig Angeboten im offenen Internet gibt es immer mit permanent aufschlagenden Vorschlagslisten weniger Webseiten für Kinder. Gegenwärtig sind und Empfehlungen verbunden, die an die Kinder es circa 600 deutschsprachige Internetseiten, ausgespielt werden. Welche Inhalte die Dienste die sich an sie als Zielgruppe richten. Die Zahl vorschlagen, wird vielfach durch Algorithmen ist rückläufig, vor zehn Jahren gab es noch mehr bestimmt. Diese können Kinder wie Erwachsene als 1000 deutschsprachige Webseiten für Kinder je nach Medienerfahrung nicht oder nur schwer (Siller 2010). Für diesen Rückgang spielen finan- durchschauen. Deshalb steht in Frage, wie Kin- zielle Gründe eine wesentliche Rolle. Anbieter der inmitten dieser schnellen Marktentwicklung konnten beispielsweise eine altersangemessene sinnvoll lernen können, bewusste und eigene Me- Moderation von Interaktionsangeboten nicht dienentscheidungen zu treffen. Auch für Anbieter mehr stemmen. Vielfach fehlten auch die Mittel, von Kindermedien stellt sich gegenwärtig die um die Angebote technisch für die mobile Nut- Frage, wie kindgerechte Zugänge und Angebote zung anzupassen. Häufig waren die aufgegebenen gestaltet sein sollten und welche Prinzipien und Seiten nicht-kommerzielle Angebote und konn- Standards gelten sollten. Für Eltern, pädagogische ten deshalb nicht weiter finanziert werden. Auch Fach- und Lehrkräfte wiederum ist es heraus- gegenwärtig läuft eine kritische Menge an Web- fordernd, sich über gute Angebote für Kinder zu seiten Gefahr, den Mediennutzungspraktiken von informieren und sich zu orientieren. Kindern immer weniger zu entsprechen. Es sollte Nicht nur die Menge, sondern auch das Spek- deshalb nach Wegen gesucht werden, wie die trum der Digitalangebote hat sich in den letzten offene, eher nicht-kommerziell geprägte Internet- Jahren stark erweitert. Neben Internetseiten, seitenlandschaft für Kinder auch künftig Bestand Apps, Streamingdiensten und Videoplattformen haben kann. spielen Soziale Medien und Messenger-Dienste Dabei wurde die Vielfalt der deutschspra- eine bedeutende Rolle. Zunehmend werden chigen Internetkultur für Kinder nicht nur in- Smart Devices und weitere Dienste wie digitale nerhalb Deutschlands, sondern auch auf europä- 5 BPJMAKTUELL 3/2020__
ischer Ebene besonders hervorgehoben.1 Positiv diese Altersgruppe entwickelt worden. Dies hat angeführt wird, dass Kindern über eine dezentrale beispielsweise zur Folge, dass viele Kinder im Netz Struktur Inhalte aus verschiedenen Quellen in das Mindestalter für diese Anwendungen umge- kindgerechter Form bereitgestellt werden und sie hen, z. B. bei WhatsApp (ab 16 Jahren). in einer relativ sicheren, begleiteten Umgebung Momentan noch eher ein Randthema, kom- Erfahrungen in digitaler Vernetzung und sozialer men aber doch verstärkt mit dem Internet ver- Teilhabe machen können.2 bundene Spielzeuge wie Stofftiere, Roboter oder Für das mobile Web entstand hingegen inner- Actionfiguren auf den Markt. Als technische halb weniger Jahre ein international ausgerichte- Schnittstelle im direkten Umfeld der Kinder, ter Markt mit einer immensen Anzahl an Kinder- während des kindlichen Spiels, können sie eine Apps, welche über die Stores von insbesondere Vielzahl von sensitiven Daten wie Geräusche Apple und Google zum Download bereitstehen. und Bilder, Bewegungen, Lokalität erfassen, Mittels Touchscreen-Technologie können bereits weiterleiten, weiterverarbeiten und über den Kleinkinder diese Anwendungen nutzen und es Rückkanal zuweilen auch den Spielverlauf und bildete sich in der Konsequenz auch ein Markt die Spielentwicklung mitbestimmen.5 Die Spiel- für die Zielgruppe der jüngeren Kinder heraus.3 geräte kommen häufig ohne Bildschirme aus. Mit Neben zielgruppenspezifischen Apps mit hohen dem Internet verbundene Spielzeuge stehen in Nutzerzahlen wie die Spiele-Apps Minecraft und der Entwicklung einer zunehmenden digitalen Fortnite oder die Video-App YouTube Kids, gingen Vernetzung von Geräten und Anwendungen des eine Reihe Apps an den Start, die sich an Kinder Alltags, wie sie beispielsweise auch über digitale mit besonderen Bedarfen richten, beispielsweise Sprachassistenten Einzug in Familien erhalten. zur Lese- und Sprachförderung.4 Verwendet werden sowohl die mobilen als auch Das Gewicht hat sich in der Tendenz mehr zu die stationären Sprachassistenten wie Siri (Apple), kommerziellen App-Anbietern verlagert. Alexa (Amazon), Cortana (Microsoft) und Assi- Ebenso können insbesondere Video-on-Demand, stant (Google). Diese verfügen bislang über keine Audio- und Video-Streamingdienste einen Kinder-Accounts. Das gilt es neben anderem zu starken Anstieg bei der Nutzung durch Kinder beachten, wenn man Kinder Interaktionen mit verzeichnen. Es bestehen also mittlerweile neben den Assistenzsystemen führen lässt, um bei- dem Fernseher mit einer linearen Programm- spielsweise Informationen aus Datenbanken für struktur und den Mediatheken der Sender kraft- Erwachsene zu erhalten, Musik abzuspielen oder volle Zugänge für Kinder zur Verfügung. Die Zu- Geräte zu steuern. Hersteller wie Amazon und gänge sind allerdings vielfach auf die Zielgruppe Google sehen ihre Sprachassistenten auf dem der Erwachsenen ausgerichtet. Sie enthalten aber Markt als familienfreundliche Geräte positioniert auch für Kinder interessante Angebote und es und ermöglichen über die „Skills“ (Amazon) und lassen sich zumindest zu Teilen Profile für Kinder „Actions“ (Google) App-ähnliche Anwendungen. einrichten. Das diesbezügliche Angebot für die Zielgruppe Wer ältere Kinder nach ihren Online-Erlebnis- der Kinder ist momentan allerdings noch über- sen befragt, bekommt mit hoher Wahrscheinlich- schaubar (Stand Juli 2020: 242 Angebote in der keit Berichte von Ereignissen, die sich in Sozialen Kategorie „Kinder“ im Alexa Skills Store). Vor- Medien und auf Messenger-Diensten abgespielt nehmlich werden Trivia Quizze, Hörspiele, Musik haben, also etwa auf WhatsApp, Instagram, und einfache Lernspiele angeboten. Snapchat, Tellonym, YouTube, TikTok. Die Nut- zung Sozialer Medien ist bei jungen Menschen in den letzten Jahren stark angestiegen. Für die Kindgerechte Online-Angebote Altersgruppe der Jugendlichen zeigen Befunde Es gibt verschiedene Ansätze, die Qualität von aktueller Studien, dass sich inzwischen die Video- Angeboten für Kinder im Netz zu bestimmen. Sie plattform YouTube als Leitmedium etabliert hat kommen aus der Perspektive des Jugendmedien- (vgl. etwa Rat für Kulturelle Bildung 2019). Für schutzes, des Datenschutzes, der Rechte der Kin- Kinder weisen die Nutzungszahlen von YouTube der, der Pädagogik und der Medienbildung.6 Meist ebenfalls auf die weiterhin wachsende Bedeutung werden sie in Form von Kriterienkatalogen oder der Plattform für die Altersgruppe hin (mpfs 2018, Handlungsempfehlungen präsentiert, die eine S. 43 f.). Damit sind die meisten Online-Angebote, orientierende Funktion für Kinder, Eltern, Lehr- die von älteren Kindern genutzt werden, nicht für kräfte und pädagogische Fachkräfte und Multipli- 6__BPJMAKTUELL 3/2020
katoren entfalten sollen. Auch wenn die Zugänge den Schutz der Kinder und Jugendlichen beinhal- und Perspektiven der verschiedenen Entwürfe tet. Auf der Anwendungsebene betrifft dies damit zuweilen weit auseinander liegen, so besteht doch auch die Angebote für Kinder im Internet. weitgehend Einigkeit darüber, dass Online-Ange- Deshalb kommt es entscheidend darauf an, bote für Kinder in irgendeiner Weise von Vorteil nicht nur – im Sinne einer „reinen“ Jugendschutz- sein sollen und diesen nutzen sollen, sei es um sicht – auf den Schutz der Kinder vor schädlichen etwas zu lernen, teilzuhaben, Neugierde zu we- Inhalten zu blicken, sondern ebenso ihre aktiven cken, Neues zu entdecken oder die Phantasie und Rechte im Blick zu halten. Solange die Kinder die Kreativität anzuregen etc. „Positive Content” keinen Schaden nehmen oder selbst Gesetze ver- wird auf europäischer Ebene definiert als: “Digital letzen, haben sie im Grundsatz das Recht, selbst content aimed at children, which enables them to zu entscheiden, was für sie geeignet ist. Dem sind learn, have fun, create, enjoy, develop a positive natürlich zum Schutz und zum Wohl der Kinder view of themselves and respect for their identity, Grenzen gesetzt. Diese Grenzen bedürfen aber enhance their participation in society and produ- einer guten Rechtfertigung. Das gilt nicht nur im ce and distribute their own positive content.”7 formellen Umgang mit Medien, sondern auch in Für Europa wurde 2012 die Better Internet for der pädagogischen Arbeit. Kinder zu stärken ge- Kids (BIK) Strategie verabschiedet, in der als eine lingt nur, wenn man Kindern auch etwas zutraut. von fünf Säulen „Hochwertige Online-Inhalte für Beispielsweise kann die Frage gestellt werden, Kinder und Jugendliche“ mit den Schwerpunkt- welche Informationen über die Folgen des Kli- setzungen „Förderung der Produktion kreativer mawandels für Kinder geeignet sind und welche und edukativer Online-Inhalte für Kinder“ und nicht. Auf der einen Seite können reißerische Dar- „Förderung positiver Online-Erfahrungen für stellungen bei jüngeren Kindern Ängste auslösen. jüngere Kinder“ bestimmt wurde (Europäische Auf der anderen Seite haben auch jüngere Kinder Kommission 2012, S. 9, vgl. auch Baudouin et al. das Recht, sich um ihre Zukunft zu sorgen und 2014, O’Neill/Dinh 2018). Eine Maßnahme von sich einzubringen. mehreren zur Stärkung von „Positive Content for „While children have the right to be protected Children“ war die Einrichtung des thematischen from online violence and discrimination, these Netzwerks POSCON (Positive Online Content and rights must be balanced with consideration of Services for Children in Europe).8 Unter diesem their rights to freedom of expression and access Dach wurden eine Reihe von Ressourcen und Ma- to information in the digital world, particularly terialien für verschiedene Zielgruppen erarbeitet through online platforms and services. For in- und veröffentlicht, insbesondere eine Checkliste stance, filtering and removing illegal or harmful für Anbieter von Kinder-Online-Medien. 2017 content can help to protect children online, but und 2019 fanden ferner „Positive Online Content should not infringe on children’s rights to sha- Campaigns“ (POCC) statt.9 Auf nationaler Ebene re their views or access beneficial information. laufen die Fäden insbesondere über die Initiati- Similarly, blocking and monitoring tools can help ve „Gutes Aufwachsen mit Medien“ zusammen, empower parents or guardians to guide children gefördert vom Bundesministerium für Fami- in safely exploring the Internet, but should bear lie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), ein in mind children’s growing autonomy to exercise Akteur der Initiative ist der Seitenstark e.V., der their expression and information rights. General- sich für kindgerechte Online-Medien und Ange- ly, efforts should be made to provide beneficial botsstrukturen im digitalen Raum einsetzt. information and content online in a manner that is accessible to children with regard to their evol- ving capacities.” (Unicef 2018, S. 21) Die kinderrechtliche Perspektive auf Teilhabe Das in dem Zitat angesprochene Konzept der Neben dem Schutzanspruch haben Kinder Evolving Capacities sagt aus, dass Kinder ent- Grundrechte auf Teilhabe. So gelten etwa die lang ihrer sich entwickelnden Fähigkeiten und Grundrechte auf Meinungs-, Presse- und Infor- Kompetenzen zu unterstützen sind. Angebote für mationsfreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes Kinder und Angebote, die von Kindern genutzt unabhängig vom Alter. Dies war bereits im Zeital- werden, sind dahingehend auf den Prüfstand ter der Schülerzeitungen anerkannt. Abgesichert zu stellen, ob und inwiefern sie die sich entwi- sind diese Rechte auch durch die Kinderrechts- ckelnden Fähigkeiten der Kinder berücksichti- konvention der Vereinten Nationen, die ebenso gen. Denn bei Kindern unterschiedlichen Alters, 7 BPJMAKTUELL 3/2020__
Entwicklungsstandes oder Lebenslage bestehen aktiv mitzugestalten. Kinder können Fragen stel- entsprechend auch unterschiedliche Fähigkeiten, len und Kontakt mit der Redaktion aufnehmen. Risiken zu verstehen und abzuschätzen.10 (vgl. Auf vielen Seiten kann der redaktionelle Inhalt Lansdown 2005) kommentiert oder Fragen zu diesem gestellt Der Blick ist dabei weniger auf Einschrän- werden, die vor Veröffentlichung redaktionell kungen und Verbote zu richten, sondern zuerst überprüft werden. auf die Frage, ob überhaupt altersangemessene Im Bereich der aktiven Teilnahme ist aller- Inhalte zur Verfügung stehen. Vielfach nutzen dings noch viel Luft nach oben. Das aktive Gestal- Kinder „normale“ Angebote schlicht deshalb, weil ten von Content gestaltet sich für Kinder schwer. für sie keine entsprechenden Informationen oder Die mittlerweile eingestellte Seite sowieso.de13 Dienste zur Verfügung stehen. Ansätze dafür sind war ein Beispiel dafür, wie Kinder dabei begleitet vorhanden. Beispielsweise macht die Suchma- wurden journalistische Informations- und Nach- schine Blinde Kuh bei ihren Suchergebnissen für richtentexte zu erstellen. Bei den Radiofüchsen14 Kinder ersichtlich (in Form der Größenangaben können Kinder selbst Podcasts aufnehmen und S/M/L/XL), für welche Altersgruppe das Ergebnis Radiobeiträge erstellen. Wie bereits gezeigt, ist besonders relevant und hilfreich ist. Die Suchma- den Kindern eine aktive Rolle wichtig. Selbst schine fragFINN bietet ihre Seite auch in leichter etwas zu tun ist – wie sich hoffentlich jede und Sprache an.11 Im internationalen Raum ist es jeder Erwachsene erinnert – zentrales Element schon üblicher, nicht nur entlang der gesetzlichen des Kindseins. Hier sind die Angebote aber dürf- Altersvorgaben, sondern feingranulierter entlang tig, dies ist auch ein Grund, weshalb sich die der Alters- und Entwicklungsphasen des Kindes Kinder an für Erwachsene gedachten Leitmedien vorzugehen.12 orientieren. Soziale Netzwerke und Angebote wie Gerade während der Corona-Krise zeigte und YouTube übernehmen hier die Führung. zeigt sich eindrücklich, wie schnell und engagiert Gesellschaft und Bildungsreinrichtungen viele Anbieter von Kindermedien Informatio- sollten jedoch ein Interesse daran haben, die nen rund um Corona in kindgerechter Sprache Angebote in diesem Bereich zu erweitern. Es bereitstellten und Kindern einen Ort und eine geht neben allgemeinen pädagogischen Fragen Anlaufstelle für ihre diesbezüglichen Fragen und um nicht weniger, als demokratische Ideen und den Austausch untereinander anbieten konnten. Prinzipien der Entscheidungsfindung zu ver- Angebote für Kinder im Bereich der Nachrich- mitteln. All dies könnte digital gestärkt werden. ten- und Informationsangebote belegen darüber Martin Schmalzried (COFACE) führt dies mit Blick hinaus, wie wichtig eine altersangemessene, auf Europa weiter aus, indem er darauf hinweist, kindgerechte Sprache und Aufbereitung von dass man natürlich heutzutage viele Dinge on- Nachrichten ist. Für die Zielgruppe von Kindern line miteinander teilen kann. Aber es gebe kein stellen Angebote aus dem Radio- und TV-Bereich für Kinder entwickeltes und auf ihre Bedürfnisse der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter abgestimmtes Werkzeug, das es ihnen erlaubt, wie Kakadu (Deutschlandfunk), Kiraka (WDR) miteinander zu interagieren, gemeinsam über und klaro Nachrichten (BR) Audiobeiträge und Dinge zu entscheiden und so die demokratischen Podcasts im Netz zur Verfügung, logo! (ZDF) zeigt Ideale des Debattierens und Diskutierens zu erler- Nachrichten vorwiegend im Videoformat (basie- nen, selbst die Regeln für das Miteinander festzu- rend auf der TV-Sendung), andere Seiten liefern legen, und zwar: autonom. „I think these are the ihre Nachrichten in eher klassischer Text-Bild ideals that are really necessary in today’s society: Form (z. B. Bärenblatt des Westfalen Blatt), Kiraka building a democratic culture and also building bietet seine Nachrichten mittlerweile zusätzlich digital citizenship for the future where you have über Google Home oder Amazon Alexa an. more power over the services you use. It is this Kindern steht somit ein vielfältiges inhalt- participatory instinct that is absolutely key for the liches Angebot zur Verfügung – insbesondere der development of democratic societies.”15 Radio- und Fernsehanstalten. Sie haben zudem Die öffentliche Seite steht dabei besonders in über viele Kanäle die Möglichkeit sich zu infor- der Verantwortung. Mit Demokratieerziehung mieren, nicht nur online. In geringem Umfang und Medienbildung lässt sich kein Geld verdie- haben Kinder auch die Möglichkeit, Informatio- nen. Dies ist Aufgabe derjenigen, die den Kindern nen nicht nur zu suchen und zu lesen, sondern Bildung vermitteln und ermöglichen möchten. diese als Kinderreporter mit zu bestimmen und Bei der Förderung von Projekten ist hierauf zu 8__BPJMAKTUELL 3/2020
achten. Die staatlichen Institutionen sollten es Medien auch ihren Entwicklungsaufgaben stellen daher im Blick behalten und als Warnschuss ver- können. Entwickler, Designer und alle, die sich stehen, wenn sich insbesondere im freien Internet mit ihren Online-Angeboten an Kinder richten, immer mehr ehrenamtlich handelnde Anbieter sind dahingehend zu unterstützen – Kinder brau- zurückziehen, weil ihnen die moralische oder chen starke Angebote in den Medien, die diese finanzielle Unterstützung fehlt. wichtige Funktion von Medien nicht aus den Augen verlieren. Die Frage nach einem guten Aufwachsen von Fazit Kindern mit Medien ist bei weitem keine alleinige Die Diskussion zu hochwertigen Online-Angebo- Familienangelegenheit. Und sie beinhaltet eben ten kommt gegenwärtig unter den veränderten nun mal die Auseinandersetzung mit der Frage, Vorzeichen der kindlichen digitalen Mediennut- was Kinder in ihrer Entwicklung wirklich wei- zung und der digitalen Landschaft für Kinder terbringt und sie stärkt. Unterhalb dieser Frage wieder in Fahrt. In besonderem Maße ist die sollten wir nicht bleiben und sie gehört in die Bezugnahme auf die kinderrechtliche Perspekti- Hände vieler: Politik, Zivilgesellschaft und Wirt- ve förderlich für neue Ideen, Konzepte und eine schaft. Weiterentwicklung von digitalen Angeboten für Kinder. Abschließend werden für diesen Prozess vier grundlegende Schwerpunktsetzungen vorge- schlagen: 1. Mehr Aufmerksamkeit und Wachsamkeit für kindgerechte Online-Angebote herstellen. 2. Öffentliches Interesse an Medienvielfalt für Kinder erkennen und gute Bedingungen gestalten. Anmerkungen 3. Digitales Engagement und Teilhabe von 1 siehe insbesondere Berichte zur Initiative der Bundesregie- Kindern durch gute Angebote fördern. rung „Ein Netz für Kinder“ (2008-2018), z. B.: https://www. 4. Kein Internet ohne Kinder machen. betterinternetforkids.eu/web/positiveonlinecontent/germany oder auch O’Neill/Dinh 2018, de Reese et al. 2010 2 Bestehende Beispiele für digitale soziale „Proberäume“ sind Wichtig ist nicht nur, an Kinder zu denken, um etwa der Knipsclub (JFF – Institut für Medienpädagogik) oder ihnen Angebote zu unterbreiten. Wer Kinder im das Angebot Juki auf kindersache.de (Deutsches Kinderhilfs- Blick haben will, muss an erster Stelle: Zuhören. werk e.V.). Zu den bekannten und beliebten Kinderinternetsei- Kinder sind wichtige Ratgeber und innovative ten zählen die Angebote aus dem Kinderfernsehen wie KiKA (Kinderkanal von ARD und ZDF) und Toggo (SUPER RTL), Erschaffer von neuen Internetwelten. Kinder kön- Suchmaschinen für Kinder wie die Blinde Kuh (Blinde Kuh nen gut daran mitwirken, eine ausgewogene und e.V.), fragFINN (fragFINN e.V.) und Helles Köpfchen (Cosmos vielfältige Kindermedienlandschaft zu gestalten. Media UG). Daneben gibt es Startseiten für Kinder wie z. B. Dies sollten wir nutzen und nur so werden wir Seitenstark (Seitenstark e.V.), Internet-ABC (Internet-ABC e.V.), Klick-Tipps (jugendschutz.net). ihren Rechten gerecht. 3 Eine aktuelle Datenbank an App-Besprechungen wird etwa Mitchel Resnick, Direktor der Lifelong Kinder- auf der Internetseite des Initiativbüros Gutes Aufwachsen mit garten-Group am MIT Media Lab sagte 2001 im Medien bereitgestellt, abrufbar unter: https://www.gutes- Interview, „What I like to say is that we‘re trying aufwachsen-mit-medien.de/db_kindermedien/ und bei den to develop a new generation of technologies that Klick-Tipps (jugendschutz.net). 4 vgl. z. B. Dossier „Vorlesen mit Apps“ der Stiftung Lesen, abruf- are worthy of the next generation of kids.”16 Wenn bar unter: https://www.stiftunglesen.de/leseempfehlungen/ Kinder sich für etwas interessieren, dann tun sie digitales/vorlesen%20mit%20Apps, (s. auch: Dossier „Lesen dies oft mit ganzem Herzen, sie interessieren sich mit Kinderwebseiten“ https://www.stiftunglesen.de/leseemp- „exzessiv“ und mit Ausdauer. Medieninhalte und fehlungen/digitales/kinderwebseiten/) mediale Dienste können Türöffner für Kinder 5 Gleich mehrere vernetzte Spielzeuge wurden von Verbrau- cher- und Datenschützern scharf kritisiert. 2016 kam es zu sein. Gute Entwickler im Bereich von Kinderme- einem Verbot der Puppe Cayla durch die Bundesnetzagentur, dien haben schon immer vor Augen gehabt, dass da diese eine unerlaubte funkfähige Sendeanlage beinhalte. Kinder divers sind, vielfältig, unterschiedliche In- Eltern wurden aufgefordert, die Puppe „unschädlich“ zu ma- teressen und Neigungen haben, in verschiedenen chen. Siehe: https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/ Pressemitteilungen/DE/2017/14012017_cayla.html sozialen Lagen aufwachsen und sich anhand von 6 Akteure sind beispielsweise Erfurter Netcode e.V., FSM e.V., BPJMAKTUELL 3/2020__ 9
fragFINN e.V., Jugendschutz.net, Seitenstark e.V. Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Abrufbar 7 siehe https://www.betterinternetforkids.eu/web/portal/ unter: http://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2018/ positive-online-content KIM-Studie_2018_web.pdf 8 POSCON (2012-2014) wurde federführend von der Landeszen- O’Neill, B., Dinh, T. (2018): The Better Internet for Kids Policy Map: trale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz Implementing the European Strategy for a Better Internet for koordiniert in Zusammenarbeit mit fragFINN, Jugendschutz. Children in European Member States. https://www.betterinter- net und der niederländischen Stiftung Mijn Kind Online. netforkids.eu/bikmap 9 Dokumente abrufbar unter: http://www.positivecontent.eu/ POSCON/Landeszentrale für Medien und Kommunikation und https://www.betterinternetforkids.eu/web/positiveonli- Rheinland-Pfalz (LMK) (2014): FINAL REPORT Outcomes and necontent/home Results from the Thematic Network on Positive Online Con- 10 Bislang ist noch nicht hinreichend beforscht worden, welche tent and Services for Children. Abrufbar unter: https://www. Kinder in besonderem Maße von Online-Risiken betroffen klicksafe.de/fileadmin/media/documents/pdf/klicksafe_Mate- sind oder sich online besonders risikohaft verhalten. Es ist rialien/POSCON/POSCON_FINAL_Report.pdf wenig über die intervenierenden Faktoren bei Risiken im Rat für Kulturelle Bildung (2019) (Hrsg.): Jugend / YouTube / Online-Umfeld bekannt, die beeinflussen, wann für ein Kulturelle Bildung. Horizont 2019. Studie: Eine repraesentative Kind negative Effekte (physisch, emotional, psychologisch) Umfrage unter 12- bis 19-Jaehrigen zur Nutzung kultureller entstehen oder welche Faktoren dazu beitragen, dass Risiken Bildungsangebote an digitalen Kulturorten. Abrufbar unter: minimiert werden. So kann zwar davon ausgegangen werden, https://www.rat-kulturelle-bildung.de/fileadmin/user_upload/ dass Kinder mit zunehmendem Alter digitale Fähigkeiten pdf/Studie_YouTube_Webversion_final.pdf und Bewältigungsstrategien erwerben, die zu ihrer digitalen Siller, F. (2010). Whitelistbasierte Ansätze zur Schaffung von Belastbarkeit beitragen. Doch wie sich digitale Resilienz und sicheren Surfräumen für Kinder. In: Bauer, Petra; Hoffmann, aktive Bewältigungsstrategien von Kindern im Umgang mit Hannah; Mayrberger, Kerstin (Hg.): Fokus Medienpädagogik. z.B. sozialen Drucksituationen im Netz fördern lassen, ist Aktuelle Forschungs- und Handlungsfelder. Festschrift für wissenschaftlich noch wenig beforscht. Prof. Dr. Stefan Aufenanger. Kopaed. S. 160-173 11 https://eltern.fragfinn.de/ueber-fragfinn/ United Nations Children’s Fund (UNICEF) (2018). Industry Toolkit. 12 vgl. z. B. die Arbeiten von Common Sense Media oder des Children’s Online Privacy and Freedom of Expression. Abrufbar Sesame Workshop - Joan Ganz Cooney Centers unter: https://www.unicef.org/csr/files/UNICEF_Childrens_ 13 Aus der Pressemitteilung vom 6.2.2018: „Den meisten - so auch Online_Privacy_and_Freedom_of_Expression(1).pdf sowieso.de - geht beim Versuch, eine redaktionell betreute Seite zu stemmen, die Kinder einbindet und selbst zu Wort kommen lässt, die Luft aus. Wenn auch erst nach 20 Jahren.“ Abrufbar unter: http://sowieso.de/die-sowiesos/20-jahre- kinderwebsite-sowiesode-und-nun-ist-schluss.html 14 www.radiofuechse.de Zur Person: 15 https://www.betterinternetforkids.eu/web/portal/news/ Friederike Siller ist Professorin für Medienpäda- detail?articleId=2222251 gogik und leitet das Institut für Medienpädagogik 16 https://www.wired.com/2001/06/toys-are-made-for-tinke- und Medienforschung der Technischen Hoch- ring/ schule Köln. Siller studierte Erziehungswissen- schaft und Germanistik in Freiburg i. Brsg., Ham- burg und Mainz. Nach ihrer Promotion übernahm Literatur Siller die Leitung von fragFINN bei der Freiwilli- Baudouin, P., B. Mahieu, T. Dor, B. Good, J. Milayi, and S. Nakajima gen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (2014): Mapping Safer Internet Policies in the Member States. e.V. (FSM) im Rahmen der Initiative „Ein Netz für The Better Internet for Kids (BIK) Map. Luxembourg: Euro- Kinder“ und war nach Überführung von fragFINN pean Commission. Abrufbar unter: https://op.europa.eu/en/ in einen eingetragenen Verein deren Geschäfts- publication-detail/-/publication/dc57b568-c448-494a-9187- 587ebf108cf7 führerin bis 2012. Friederike Siller ist seit 2019 im Europäische Kommission (2012): Mitteilung der Kommission Vorstand des Seitenstark e.V. an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Europäische Strategie für ein besseres Internet für Kinder. Deutschsprachige Version abrufbar unter: https://eur- lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM%3A2012%3A 0196%3AFIN de Reese, L., Petito, L, Pijpers, R. (2010): Producing and providing online content for children and young people: An inventory. Luxembourg, European Commission, Safer Internet Pro- gramme. Lansdown, G. (2005): The Evolving Capacities of the Child, Inno- centi Insights no. 11. Abrufbar unter: https://www.unicef-irc. org/publications/384-the-evolving-capacities-of-the-child. html Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2018): KIM-Studie 2018. Kindheit, Internet, Medien. Basisstudie zum 10__BPJMAKTUELL 3/2020
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