OSZE Von "Kollektiver Sicherheit" zum "Dienstleistungsbetrieb"

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Peter Schlotter

OSZE Von "Kollektiver Sicherheit" zum
"Dienstleistungsbetrieb"
Einleitung
Als im November 1990 die Staats- und Regierungschefs der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)
in Paris zur Verabschiedung der "Charta für ein neues Europa" zusammenkamen, waren sie voller Euphorie über das Ende des
Kalten Krieges und die Zukunft eines demokratischen und solidarischen Europas. Diese Hoffnung ist tiefer Ernüchterung
gewichen. Zwar weint niemand der Ost-West-Konfrontation und der mit ihr verbundenen nuklearen Kriegsgefahr eine Träne
nach, doch Frieden ist in Europa nicht eingekehrt. Im Gegenteil: Mit dem Sieg der westlichen Ideen, der sich in der
Programmatik der Charta von Paris als der Dreiklang von Demokratie, Marktwirtschaft und Kooperation in internationalen
Organisationen manifestierte, rückte zugleich der Krieg wieder auf die Tagesordnung der europäischen Politik. Die Forderung
nach Selbstbestimmung, in der Endphase des Kommunismus als demokratische und zugleich nationale verstanden, brachte das
seit den beiden Weltkriegen entstandene europäische Staatensystem im Ostteil Europas und in der Sowjetunion aus den Fugen.
Zu Beginn der 90er Jahre sollte die KSZE eine zentrale Rolle bei der Neugestaltung der gesamteuropäischen Sicherheit spielen,
zumindest wollten dies einige Staaten, wie die neuen Demokratien in Ostmitteleuropa, aber auch Deutschland und Russland.
Doch im Laufe des vergangenen Jahrzehnts verlor die KSZE, die ab 1. Januar 1995 statt "Konferenz" den Begriff
"Organisation" im Namen führt, immer mehr an gestaltendem Einfluss. Internationale Institutionen sind für ihre Mitgliedstaaten
immer ein Mittel der Politik zur Verfolgung eigener Interessen. Die westlichen Staaten bevorzugen hierbei zunehmend die
NATO und die Europäische Union. Aber auch die meisten Länder Ostmittel- und Südosteuropas orientieren sich an diesen
beiden Organisationen, in denen sie Mitglied werden wollen und z.T. ja auch schon sind.
Von einem Forum, auf dem zumindest in Ansätzen über eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur nachgedacht und gestritten,
ja auch verhandelt wurde, hat sich die OSZE in den letzten Jahren immer mehr zu einem z.T. durchaus leistungsfähigen
"Dienstleistungsbetrieb" entwickelt, der seine Aufträge von der EU und der NATO oder auch von selbsternannten
"Kontaktgruppen" außerhalb beider Institutionen erhält (Zellner 2000).
Im Folgenden geht es darum, diesen Prozess nachzuzeichnen, in seinen Vorteilen und Defiziten kritisch zu hinterfragen und
Vorschläge zur Diskussion zu stellen, die die Leistungsfähigkeit der OSZE erhöhen und ihr zugleich wieder mehr die Funktion
geben, Ort der Entscheidungen über gesamteuropäische Sicherheitsprobleme zu werden. Im Einzelnen geht es um folgende
Fragen:

       Welches normative Regelwerk für die zwischen- und innerstaatlichen Beziehungen wurde seit dem Ende des Ost-West-
        Konflikts ausgebildet?
       Welche Instrumente haben die Mitgliedstaaten in der OSZE entwickelt, um die Achtung der in ihrem Rahmen
        vereinbarten Normen zu überprüfen und gegebenenfalls durchzusetzen?
       Inwieweit wurden die OSZE-Vereinbarungen eingehalten und welche Rolle spielte die OSZE bei der
         Gewaltvermeidung zwischen und in ihren Mitgliedstaaten?
       Wie lässt sich die Leistungsfähigkeit der OSZE verbessern?
       Wie kann die OSZE eine bedeutsamere Rolle bei der Gestaltung der europäischen Sicherheit spielen?

OSZE Von der "Konferenz" zur "Organisation"
Mit der Schlussakte von Helsinki 1975 unternahmen die Mitglieder der beiden Militärallianzen und die neutralen Staaten in
Europa den Versuch, Regeln für die Austragung des Ost-West-Konflikts mit nicht-militärischen Mitteln zu vereinbaren. Sie
beschlossen ein umfangreiches Norm- und Regelwerk, für das aber angesichts der sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen
und Wertvorstellungen auf beiden Seiten in weiten Bereichen nur sehr weiche und unpräzise Formulierungen ausgehandelt
werden konnten. Die Grundprinzipien, die das Verhalten der Staaten untereinander leiten sollten, waren die Anerkennung des
territorialen Status quo, das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten (ob nur mit militärischen Mitteln oder generell,
war umstritten), die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Schaffung von militärischer Transparenz und
Berechenbarkeit, um die Risiken eines Krieges in Europa zu minimieren, ausgewogener Nutzen bei wirtschaftlichen
Beziehungen und die Achtung der unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen bei der Förderung der menschlichen Kontakte
zwischen Ost und West (KSZE-Schlussakte 1975; http://www.osce.org).
Die KSZE war ein Verhandlungsprozess, der sich im Laufe der Jahre bis 1990 immer mehr zu einer internationalen
Dauerkommunikation verdichtete. In der Krise der Ost-West-Beziehungen seit dem Ende der 70er Jahre (u. a. nukleare
Mittelstreckenrüstung, sowjetische Intervention in Afghanistan, Kriegsrecht in Polen) stand sie immer wieder vor der Gefahr
des Abbruchs. Die Verhaltensregeln für den Umgang von Staaten miteinander und die Achtung der Menschenrechte, wie sie in
der Schlussakte niedergelegt waren, zeigten eine langfristig subversive Wirkung für die sozialistischen Gesellschaften. Die
KSZE-Normen, vor allem bezüglich der Achtung der Menschenrechte, wurden von "Helsinki-Monitoring-Gruppen" in den
sozialistischen Ländern aufgenommen und gegenüber den Staats- und Parteiführungen eingeklagt. Erst seit Mitte der 80er Jahre
entfaltete der KSZE-Prozess nachhaltig seine Wirkung im Gefolge und auf sie einwirkend der Reformpolitik Gorbatschows. Im
Zusammenspiel mit den Auseinandersetzungen auf den einzelnen Konferenzen über die Einhaltung der Beschlüsse kamen die
kommunistischen Parteiführungen unter den Druck innerparteilicher Erneuerer oder gesellschaftlicher Oppositionsbewegungen,
die Normen, die sie unterschrieben hatten, auch einzuhalten. Die Wirkung des KSZE-Prozesses zeigte sich aber auch unter
einem zweiten Aspekt: Die Mitgliedstaaten erkannten immer mehr, dass die Vereinbarungen, insbesondere im militärischen
Bereich der Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle, ihren eigenen Interessen dienten und ihre Sicherheit erhöhten. Und nicht
zuletzt förderte der "institutionalisierte Dauerdialog" in der KSZE und in ihrem Umfeld Lernprozesse: Liberal-demokratische
Wertvorstellungen (wie auch Kategorien der westlichen Rüstungskontroll- und Abrüstungsdiskussion) wurden von staatlichen
wie gesellschaftlichen Akteuren (z.B. den Friedensbewegungen) in den sozialistischen Ländern aufgegriffen. Mit all diesen
Funktionen trug der KSZE-Prozess dazu bei, dass der Ost-West-Konflikt friedlich beendet werden konnte (Schlotter 1999).
Mit der Charta von Paris vom November 1990 wurde der Ost-West-Konflikt auf der normativen Ebene beendet. Damit hatte die
KSZE ihre bisherige Funktion verloren. Der Streit über Menschenrechte und Demokratie war mit dem Sieg der westlich-
liberalen Ideen (einschließlich des Schutzes der Minderheiten) auf der Grundlage einer kapitalistischen Marktwirtschaft beendet
worden. So heißt es z.B. im Schlussdokument der Konferenz über die menschliche Dimension in Kopenhagen vom Juni 1990:
"Die Teilnehmerstaaten bringen ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die volle Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten sowie die Entwicklung von Gesellschaftssystemen auf der Grundlage von pluralistischer Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit Vorbedingung (Hervorhebung des Verf.) für einen Fortschritt beim Aufbau jener dauerhaften Ordnung von
Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit und Zusammenarbeit sind, die sie in Europa zu errichten wünschen." (http://www.osce.org)
Oder knapper formuliert steht in der "Charta von Paris für ein neues Europa": "Wir sind überzeugt, dass für die Festigung von
Frieden und Sicherheit zwischen unseren Staaten die Förderung der Demokratie sowie die Achtung und wirksame Ausübung
der Menschenrechte unverzichtbar sind." (http://www.osce.org)
Außerdem verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten in Paris mit dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE)
auf weitgehende Rüstungskontroll- und Abrüstungsschritte bei konventionellen Waffen sowie mit dem Wiener Dokument 1990
auf ein dichtes Netz militärischer vertrauensbildender Maßnahmen zur Transparenz- und Sicherheitsförderung.

Aufbau einer institutionellen Struktur
Der Prozess der Festlegung allgemeiner Normen, nach denen sich künftig die Beziehungen zwischen den Staaten in Europa und
ihre innergesellschaftlichen Verhältnisse richten sollten, war damit im Großen und Ganzen abgeschlossen (Schlotter et al. 1994;
Ghebali 1996; Flynn/Farrell 1999). Zwar wurden noch im Juli 1991 auf einem Expertentreffen in Genf unverbindliche
Empfehlungen zum Minderheitenschutz vereinbart. Danach gab es aber keine weiteren Fortschritte mehr in der Beantwortung
der Frage, über welchen Schutz für ihren Status Minderheiten verfügen sollten, obwohl die zahlreichen Nationalitätenkonflikte
genügend Anlass geboten hätten, sich darüber zu verständigen. Die westlichen Staaten waren sich hierin selbst nicht einig. Mitte
der 90er Jahre erlahmte der Normbildungsprozess völlig. Der letzte Anlauf war ein im Dezember 1994 vereinbarter
"Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit". In ihm erklären sich die Teilnehmerstaaten bereit,
bestimmte Normen und Verhaltensregeln für die rechtsstaatliche Organisation und die demokratische Kontrolle von
Streitkräften und Polizei sowie deren Einsatz im Falle innerer Konflikte einzuhalten. Es soll gewährleistet sein, "dass der
Einsatz von Gewalt den Erfordernissen der Durchsetzung angemessen sein muss. Die Streitkräfte werden es sorgsam
vermeiden, Zivilpersonen zu beeinträchtigen oder deren Hab und Gut zu beschädigen" (http://www.osce.org).
Hintergrund des Norm- und Regelsystems der OSZE sind die von Immanuel Kant erstmals 1795 im Traktat "Zum ewigen
Frieden" systematisch entfalteten Annahmen der liberalen Theorie der internationalen Beziehungen, nach denen die Einführung
demokratischer Verhältnisse letztlich die einzige Gewähr dafür sei, dass zwischen- wie innerstaatlicher Frieden gestiftet werden
könne (Höffe 1995; Merkel/Wittmann 1996). Die demokratische Struktur der Staaten sei die Voraussetzung für wechselseitige
Transparenz, die Konfliktregelung durch Kompromisse in Demokratien werde sich auch auf die zwischenstaatlichen
Beziehungen auswirken, und die vorwiegend auf wirtschaftliche Wohlfahrt ausgerichteten Interessen der Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger würden riskante kriegerische Unternehmen verhindern. Auch lernten die Staaten durch die Zusammenarbeit in
internationalen Organisationen, ihre Konflikte friedlich beizulegen (Risse-Kappen 1994; Czempiel 1996).
Die neuen Aufgaben und Wertvorstellungen, die für den ganzen OSZE-Raum gelten sollten, erforderten möglichst schnell
handlungsfähige Institutionen. Die OSZE erweiterte ihre bisherige Rolle als Kommunikations- und Verhandlungsforum durch
operative Aufgaben der Konfliktregelung und Demokratisierungsförderung. Hierfür wurde eine institutionelle Struktur
errichtet, deren Aufbau Mitte der 90er Jahre im Wesentlichen abgeschlossen war.
Auf den Treffen der Staats- und Regierungschefs werden die prinzipiellen Leitlinien und institutionellen Weiterentwicklungen
beschlossen. Das politische Steuerungsorgan ist der Rat der Außenminister, operatives Zentrum der Amtierende Vorsitzende
des Ministerrats, eine Position, die jährlich neu besetzt wird. Politische Entscheidungen zwischen den Treffen der
Außenminister trifft der Ständige Rat der OSZE-Botschafter der Teilnehmerstaaten mit Sitz in Wien; er tagt wöchentlich,
ebenso wie das Forum für Sicherheitskooperation, in dem ein Austausch über militärische Informationen zur Vertrauensbildung
und Rüstungskontrolle stattfindet. Oberste Verwaltungseinheit ist das Generalsekretariat, wobei dessen Leiter, in der Regel eine
Persönlichkeit im Botschafterrang, nicht das politische Schwergewicht und den politischen Einfluss hat, über den z.B. der VN-
Generalsekretär oder der NATO-Generalsekretär verfügen. Für ihre operativen Aufgaben hat sich die OSZE ein vielfältiges
System von Büros, Beauftragten, Kommissaren, Missionen, "Präsenzen", "Unterstützungsgruppen" und Koordinatoren
geschaffen. Die unterschiedlichen und gelegentlich etwas kuriosen Bezeichnungen reflektieren das sensible Geflecht von
mitgliedstaatlichen Interessen und Empfindlichkeiten, in dem sich die Organisation bewegt und das es mitunter nicht erlaubt,
Langzeitmissionen als solche zu bezeichnen, weil eine Regierung dies als Kränkung ihres Souveränitätsanspruches ansehen
würde. Außerhalb des politischen Weisungsstrangs innerhalb der OSZE sind die Parlamentarische Versammlung in
Kopenhagen, die sich vor allem der Wahlbeobachtung widmet und auf ihren Jahresversammlungen Anregungen für die Arbeit
der OSZE verabschiedet, sowie ein Vergleichs- und Schiedsgerichtshof in Genf - er wurde bisher noch nie angerufen -
angesiedelt.
Bild

Der Aufbau einer institutionellen Struktur ging jedoch nicht einher mit erhöhten Gestaltungsmöglichkeiten der OSZE, im
Gegenteil. Ersten Versuchen der Staaten, Anfang der 90er Jahre über die KSZE Einfluss auf die Entwicklung im zerfallenden
Jugoslawien zu nehmen, blieb der Erfolg versagt, so dass sie danach in der Region keine eigenständige Rolle mehr spielte.
Dieser Misserfolg war keine Folge der Schwäche der KSZE/OSZE per se, sondern Konsequenz der geringen Ressourcen an
Macht und Durchsetzungschancen, die die Mitgliedstaaten dieser Organisation gaben. Und es war das Ergebnis der Politik der
westlichen Staaten, Entscheidungen über mögliche Interventionen in das Konfliktgeschehen auf dem Balkan immer mehr in die
NATO und die EU zu verlagern. Die Einbindung Russlands erfolgte über die sog. Kontaktgruppe, ein ad-hoc-Gremium, das von
den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland dominiert wurde.
Wenn die OSZE in den letzten Jahren durch ihre Aktivitäten wieder vermehrt in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, dann
nicht, weil sie als aktive Gestalterin tätig ist, sondern quasi als "Unterauftragnehmer". So beschlossen etwa der US-Abgesandte
Holbrooke und Milosevic im Herbst 1998 in einer Nachtsitzung, um noch in letzter Minute den Krieg zu vermeiden, eine
unbewaffnete OSZE-Mission in das Kosovo eine Entscheidung, mit der die OSZE völlig überrascht wurde und mit der sie auch
bei dem vorhandenen besten Willen nur scheitern konnte (Loquai 2000). Hierbei zeigte sich auch die strukturelle Schwäche
einer internationalen Organisation: Sie kann nur so leistungsfähig sein, wie es die Mitgliedstaaten wollen. In Fall der
Kosovomission stellten sie z.B. viel zu spät genügend Personal zur Verfügung.
Der Dienstleistungscharakter erweist sich auch an anderen Beispielen. Weder in Bosnien noch im Kosovo nach dem Krieg
1999 spielt die OSZE eine zentrale Rolle: Sie ist eingegliedert in eine arbeitsteilige Struktur, in der die NATO den militärischen
Schutz übernimmt, die EU für den wirtschaftlich-gesellschaftlichen Aufbau verantwortlich ist, die Vereinten Nationen über den
UNHCR (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) sich um die Rückkehr der Vertriebenen kümmern und die
OSZE für den Aufbau des Rechtsstaats und demokratischer Strukturen zuständig ist. Diese Arbeitsteilung macht angesichts
knapper Finanzmittel und zur Vermeidung von Doppelarbeit und Konkurrenz gewiss Sinn. Sie ist aber nicht Ausfluss eines
Beschlusses in den Gremien der VN oder der OSZE, sondern letztlich von Entscheidungen in der NATO und der EU, die die
OSZE dann nachvollzieht.

Von "kollektiver" Sicherheit zur "präventiven" Diplomatie
Der Erfolg der OSZE-Aktivitäten ist im Einzelnen schwer nachzuweisen. Wenn ein Konflikt nicht ausbricht, so ist die
Vermutung, dies sei eine Folge des präventiven Wirkens der OSZE, nur selten im Einzelnen belegbar. Naturgemäß findet die
Arbeit der Konfliktprävention im Stillen statt. Internationale Öffentlichkeit würde die Vertraulichkeit stören, die bei so
komplexen Konflikten notwendig ist, bei denen es oft auf die "Gesichtswahrung" ankommt. Weiter ist es kaum möglich, den
Erfolg von langwierigen Kommunikations- und Lernprozessen zu messen; ihre Wirkung entfaltet sich erst in Jahren, oft
Jahrzehnten. Selbst wenn sich der Einfluss von außen auf Entscheidungen von Parteien in Konflikten beobachten lässt, ist es
ungemein schwierig, den Anteil z.B. der OSZE daran zu bestimmen, wenn noch andere Organisationen wie die Europäische
Union oder die Vereinten Nationen oder auch einzelne Staaten tätig sind. Und schließlich werden die wenigsten Konflikte
"gelöst", sondern es kommt in der Regel darauf an, mit ihnen auf gewaltlose Weise umzugehen. Im strengen Sinn
wissenschaftlich belegt sind die folgenden Einschätzungen daher nicht. Trotzdem lassen sich aber vorsichtige Aussagen über
Wirkungen treffen; sie müssen nur mit plausiblen Argumenten auf das Handeln von OSZE-Institutionen zurückzuführen sein.

Militärische Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle
Auf dem Forum für Sicherheitskooperation findet zwischen allen OSZE-Staaten ein regelmäßiger Austausch von Informationen
über militärische Fragen und Einschätzungen statt. Hier wurden neue Dokumente zur Vertrauensbildung und zur
konventionellen Rüstungskontrolle ausgehandelt, die 1999 auf dem Gipfeltreffen in Istanbul zur Unterzeichnung anstanden
(Schmidt/Zellner 2000). Darüber hinaus diente das Forum zur Aushandlung von vertrauensbildenden Maßnahmen und von
Obergrenzen für Waffensysteme und Truppen in Bosnien-Herzegowina.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Verbreitung der Demokratie in Europa stellt sich das Problem der
Transparenzförderung nicht mehr in der gleichen Schärfe wie zu der Zeit, als in den sozialistischen Staaten die Geheimhaltung
in militärischen Angelegenheiten fast lückenlos war. Durchgreifend neue Erkenntnisse über Militärstrategien und
Rüstungsverhalten zwischen den demokratischen Ländern im OSZE-Raum sind über Vertrauensbildende Maßnahmen (VBM)
kaum noch zu erwarten, da durch die öffentliche Diskussion des Etats und der Sicherheitspolitik die zwischenstaatliche
Transparenz groß ist. Auch sind fast alle OSZE-Staaten mehr oder weniger eng in Kooperationsstrukturen mit der NATO
einbezogen. Dennoch haben VBM auch weiterhin ihren Wert: Sie gewöhnen Politik und Militär daran, Strategien und
Rüstungsverhalten daran zu messen, wie diese auf andere Länder wirken können, sie also nicht mehr allein als unilaterale
Maßnahmen zu begreifen. Konventionelle Potenziale werden in ein vereinbartes und überprüfbares Verhältnis gebracht.
Im Bereich der früheren Sowjetunion mit einer großen Zahl von nicht-demokratischen Regierungen und in spannungsreichen
regionalen Kontexten ist die Bedeutung militärischer vertrauensbildender Maßnahmen größer, weil heimliche und schnelle
Aufrüstungen erschwert werden. So funktionieren z.B. die vertrauensbildenden Maßnahmen und die Rüstungskontrolle in
Bosnien-Herzegowina zwischen den beiden "Entitäten" Republika Srpska und der Föderation unter der Ägide der OSZE und
mit der Rückendeckung der NATO zufriedenstellend trotz der tiefen Feindschaft zwischen Bosniaken und bosnischen Serben.
Im gesamteuropäischen Kontext dient der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte (KSE-Vertrag) ebenfalls der Stabilisierung
der zwischenstaatlichen Beziehungen, da er für bestimmte Waffenkategorien zahlenmäßige Höchstgrenzen und
Stationierungsbeschränkungen vorsieht. Er wird gegenwärtig von Russland wegen des Krieges in Tschetschenien nicht beachtet.
Die russische Regierung hat allerdings versprochen, die Vertragsverletzung rückgängig zu machen, was bisher noch nicht
erfolgt ist. Dies gilt als die Voraussetzung für die Ratifizierung des erneuerten KSE-Abkommens durch die westlichen Staaten,
insbesondere die USA. Ob der KSE-Vertrag auch künftig die Rolle eines Rüstungskontrollrahmens für die europäische
Sicherheit spielen wird, muss angesichts der Entwicklung in Russland und der Politik der Bush-Administration offen bleiben.

Achtung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes
Wichtigster OSZE-Akteur bei der Prävention von Minderheiten- und Nationalitätenkonflikten ist der Hohe Kommissar für
nationale Minderheiten. Auf Grund seiner großen institutionell abgesicherten Handlungsfreiheit kann er weitgehend unabhängig
von Anweisungen der Mitgliedstaaten agieren. Seine Aufgabe als Monitoring- und Frühwarninstanz besteht darin, Konflikte
zwischen Mehr- und Minder-heiten frühzeitig zu erkennen und Empfehlungen für Lösungen zu geben, die sich an den Normen
und Regeln der OSZE orientieren (Späth 2000). Die Aktivitäten umfassen die Bestandsaufnahme von Minderheitenkonflikten,
Empfehlungsschreiben an die einzelnen Außenminister, in denen Vorschläge zur Entschärfung spannungsreicher Beziehungen
zwischen Mehrheit und Minderheit gemacht werden, sowie die Organisation Runder Tische, an denen Vertreter der Mehr- und
der Minderheiten versuchen sollen, ihre Probleme im Einvernehmen zu regeln (Cohen 1999).
Die Arbeit des Hochkommissars gilt gemeinhin als die Erfolgsgeschichte unter den OSZE-Aktivitäten, auch wenn sie genau
besehen schwer zu belegen ist. Er hat viele Einzelmaßnahmen zur Sprachförderung von Minderheiten und zur Verbesserung
von Ausländergesetzen angeregt, so z.B. die Veränderung von Gesetzen in Estland, die die starke Gruppe meist
russischsprachiger Nicht-Staatsbürger erheblich benachteiligten (Zaagman 1999). Auch konnten Runde Tische in den baltischen
Staaten zu einem Abbau des Misstrauens zwischen den Titularnationen und Minderheiten beitragen, ohne dass dies bereits zu
einer wirklichen Gleichstellung geführt hätte. Seine Briefe an die slowakische, ungarische und rumänische Regierung dürften
geholfen haben, die Lage der jeweiligen Minderheiten zu verbessern.
Wie erwähnt, ist selten eindeutig festzustellen, welchen Beitrag Interventionen von außen geleistet haben, wenn es nicht zu einer
gewaltsamen Eskalation gekommen ist. Immerhin lässt sich beobachten, dass es dort, wo der Hohe Kommissar aktiv geworden
ist, zumindest nicht zu einer Verschärfung von Spannungen zwischen Nationalitäten gekommen ist mit Ausnahme der ehemals
jugoslawischen Region. Eine Vielzahl von Faktoren mag für diesen Befund eine Rolle gespielt haben: Die innenpolitische
Situation in den einzelnen Staaten, die Abhängigkeit von internationaler Wirtschaftshilfe, der Einfluss anderer internationaler
oder nationalstaatlicher Akteure, das Einwirken von Nicht-Regierungsorganisationen und nicht zuletzt die OSZE und ihr
Hochkommissar selbst.
Voraussetzung für einen Erfolg ist die zumindest grundsätzliche Bereitschaft der Regierung und zwar gleichgültig, ob sie die
Mehrheit repräsentiert oder die Minderheit , sich überhaupt auf die Beratung durch den Hohen Kommissar einzulassen. Sodann
gehört dazu die Kompromissbereitschaft der Nicht-Regierungsseite. Sie erhofft sich in der Regel da schwächer durch die
Aktivitäten des Hohen Kommissars eine Verbesserung ihrer Position, eine Erwartung, die oftmals nicht erfüllt wird, da er kein
"Ombudsmann" für Minderheiten ist, sondern auf einen fairen Konfliktaustrag mit gewaltfreien Mitteln hinarbeiten soll. Seine
Vorschläge haben dann am ehesten die Chance, angenommen zu werden, wenn bei allen betroffenen Parteien die Bereitschaft
vorhanden ist, zu einer friedlichen Regelung zu gelangen, es aber einer Hilfestellung bedarf, um sie ,über die Hürden springen zu
lassen". Weiter ist zu beobachten, dass sein Erfolg dann um so größer ist, je mehr Staat und Gesellschaft in den betreffenden
Ländern sich demokratisieren und die Regierungen Beitrittsanträge zur EU oder zur NATO gestellt haben oder dies
beabsichtigen.
Die OSZE als eine internationale Organisation von Staaten hat naturgemäß große Schwierigkeiten, sich mit der Frage des
Staatszerfalls und der Sezession auseinander zu setzen. Klar ausgesprochene Maxime des Handelns der OSZE und insbesondere
des Hochkommissars ist denn auch die Ablehnung jeder einseitigen Loslösung aus einem Staatsgebilde. Zumindest
konzeptionell werden Grenzveränderungen und staatliche Neugründungen nur akzeptiert, wenn sie im Einvernehmen mit allen
Betroffenen erfolgen. Dies ist allerdings in der Praxis nicht immer durchzuhalten, wie die Aufnahme der Nachfolgestaaten
Jugoslawiens in die OSZE zeigte. Die OSZE hat keine allgemein akzeptierte Strategie für den Fall von Sezession und
Staatszerfall, ihre Mitgliedstaaten entscheiden nach der jeweiligen Opportunität bzw. oft gemäß der "normativen Kraft des
Faktischen".

Konfliktintervention und Demokratisierungshilfe
Die wichtigsten Institutionen der OSZE für die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen sind das Büro für
demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), der Beauftragte für Medienfreiheit und die Langzeitmissionen.
Das Amt in Warschau richtet Seminare und Symposien über Rechtsstaatlichkeit und demokratische Medienstrukturen aus, an
denen Vertreter von Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen teilnehmen, organisiert Ausbildungsprogramme vor Ort
für Richter oder Staatsanwälte und veranstaltet Trainingskurse für lokale Vertreter nicht-staatlicher Gruppen, um nur einige
Beispiele zu nennen. Damit zielt es auf den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und die Ausbildung einer demokratisch
gesinnten politischen und gesellschaftlichen Elite in den post-kommunistischen Staaten, wobei ein Schwerpunkt der Aktivitäten
auf der mittelasiatischen Region liegt. Darüber hinaus fungiert das Büro auch als "Kontaktpunkt" für Probleme der Sinti und
Roma. Zweite Säule der Arbeit ist die Wahlbeobachtung, gelegentlich auch die Wahlausrichtung. Spektakulärste Aktionen
dieser Art waren die zweimalige Organisation der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina und die
Durchführung der Kommunalwahl im Kosovo.
Der Beauftragte für Medienfreiheit soll die Beachtung des grundlegenden Menschenrechts auf Meinungsfreiheit überprüfen,
dabei die Entwicklung des Medienwesens beobachten und schnell auf Verletzungen der Vereinbarungen über die
Medienfreiheit reagieren können.
Das innovativste operative Instrument der Konfliktintervention und Demokratisierungshilfe sind die Langzeitmissionen. Ihnen
gehören Diplomaten, Militärs, Rechts- und Regionalexperten an. Sie sind eine Art OSZE-Botschaft auf Zeit. Obwohl die
Aufträge (Mandate) für die Missionen nie völlig identisch sind, beziehen sie doch folgende Bereiche stets mit ein (Fritsch 2000):

       Einleitung und Unterstützung politischer Prozesse, die zur Prävention oder Beilegung von Konflikten dienen;
       Sammlung von Informationen über die Konflikte in dem Gastland und deren Weiterleitung an alle OSZE-Staaten;
       Einleitung und Unterstützung humanitärer Hilfe;
       Hilfe beim Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen.

Eine Bilanz der Missionsaktivitäten (Überblick siehe im Schaubild) kann nur vorläufig sein, da es sich bis auf wenige
Ausnahmen noch um laufende Prozesse der Prävention und Konfliktintervention handelt (siehe die Berichte im Helsinki
Monitor 1995ff; OSZE-Jahrbuch 1995ff).
Die baltischen Staaten waren ein erstes Feld der Aktivitäten von Langzeitmissionen, bei denen es vor allem darum ging, eine
Eskalation der Konflikte zwischen den neuen Staatsvölkern und den russischsprachigen Bevölkerungsteilen zu verhindern. Dies
ist insgesamt gelungen, und die OSZE hatte daran ihren wichtigen Anteil. In letzter Zeit kam es allerdings zu Spannungen
zwischen der jeweiligen Regierung und dem Parlament auf der einen und der Mission und dem Hohen Kommissar auf der
anderen Seite, als diese sich kritisch zu geplanten Sprachen- und Staatsbürgerschaftsgesetzen äußerten (Zaagman 1999;
Birckenbach 2000). Die Region ist jedoch auch insofern ein Sonderfall, als sie gute Chancen hat, in absehbarer Zeit in die
Europäische Union und in die NATO aufgenommen zu werden.
In Weißrussland ist die OSZE-Mission ständigen Anfeindungen von Regierungsseite ausgesetzt. Die Fortschritte, die sich im
letzten Jahr erhoffen ließen, als es der OSZE-Mission gelang, einen Dialog zwischen dem autoritären Regime des Präsidenten
Lukaschenka und der Opposition in die Wege zu leiten, sind neuerlichen Blockaden gewichen. Was die OSZE-Büros in der
immer stärker autoritär werdenden zentralasiatischen Region ausrichten, lässt sich ebenfalls noch nicht absehen. Ähnliches gilt
für den Kaukasus: Hier versucht die sog. Minsker-Gruppe als Vermittler seit Jahren, den Konflikt um die armenisch besiedelte
Enklave Nagornij-Karabach, die auf dem Territorium Aserbaidschans liegt, zu regeln, bisher ohne greifbare Ergebnisse
(Dehdashti 2000). Positiver sieht es in Moldau aus, wo eine OSZE-Mission erfolgreich Zwischenschritte zu einer Regelung der
Auseinandersetzungen um die Region Transnistrien vermittelt hat. Aber auch hier ist der Konflikt noch nicht einer dauerhaften
Lösung zugeführt worden (Tkach 1999).
Seit Jahren ist die OSZE auf dem Balkan aktiv. In Albanien leistet sie einen nicht unbeachtlichen Beitrag zu einer gegenwärtig
beobachtbaren politischen Stabilisierung des Landes. Die vom Aufwand her größte Herausforderung stellen die Missionen in
Bosnien-Herzegowina, in Kroatien, im Kosovo und seit 2001 in Serbien dar. Hier lässt sich am wenigsten ein eigenständiges
Profil der OSZE ausmachen, da sie im Zusammenspiel mit anderen Organisationen, vor allem der NATO und der EU, agiert. So
führte die OSZE ihren Auftrag, niedergelegt im Friedensvertrag von Dayton aus dem Jahre 1995, Wahlen in Bosnien-
Herzegowina auszurichten und zum Aufbau einer Demokratie auf der Grundlage eines multiethnischen Zusammenlebens
beizutragen, im ersten Fall zufriedenstellend aus, das Ergebnis des zweiten ist noch offen. Erfolglos war ihre "Kosovo
Verification Mission" vom Oktober 1998 bis März 1999, die unbewaffnet den Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte und die
Entwaffnung der "Kosovo-Befreiungsarmee" UCK überwachen und zur Konfliktregelung vor Ort beitragen sollte.
Eine erste Bilanz, inwieweit die OSZE zur Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte beitragen konnte, muss somit sehr
vorläufig und vorsichtig bleiben. In den meisten Fällen vor allem im Kaukasus und in den mittelasiatischen Staaten lassen sich
noch keine sichtbaren und erst recht nicht dauerhafte Erfolge beobachten. Unabhängig von der Einschätzung, dass die Rolle der
OSZE nur in einem Ensemble verschiedener Einwirkungskräfte auf die Formen des Konfliktaustrags zu bewerten ist, trägt
allerdings häufig bereits ihre bloße Anwesenheit schon zur Beruhigung der Lage bei. Dies gilt vor allem für lokale
Auseinandersetzungen, die sich leicht zu gesamtstaatlichen oder regionalen Konflikten aufschaukeln können.
Ein gewisser Erfolg lässt sich auch dort feststellen, wo ein Prozess der Demokratisierung stattfindet, der in die EU- und/oder
NATO-Mitgliedschaft münden soll. Die Wirkung der OSZE ist somit stark von der innergesellschaftlichen und
innenpolitischen Kräftekonstellation im Gastland bestimmt. Je autoritärer Staaten und Gesellschaften geprägt sind, desto
weniger lässt sich gegenwärtig ein Erfolg absehen. Dieser wird vor allem davon abhängen, ob sich die im KSZE-Prozess
beobachteten Folgewirkungen auch künftig wieder zeigen, dass nämlich innergesellschaftliche Oppositionsgruppen sich auf die
OSZE-Vereinbarungen berufen und sie gegenüber ihren Regierungen nachhaltig einklagen. Gegenwärtig sind diese Menschen-
und Bürgerrechtsbewegungen jedoch mehr oder weniger stark marginalisiert vor allem im Kaukasus und in Zentralasien.
Ein Problem stellt die Frage der Beendigung einer Mission dar (Meyer 2000; Abadjian 2000). Wann überhaupt ist ein Konflikt
"gelöst"? Wie sollen sich die OSZE-Staaten verhalten, wenn ein Konflikt weiterhin vor sich hin schwelt, die Eskalationsgefahr
momentan geringer als früher ist, die zugrunde liegenden Ursachen jedoch keineswegs einer einvernehmlichen Regelung
zugeführt worden sind? Soll die Mission dann beendet werden? Die Entscheidung darüber wird oft nach politischer
Opportunität getroffen. Je länger Missionen vor Ort sind, desto mehr tangieren sie symbolisch die Souveränität der betroffenen
Staaten und desto mehr werden sie von den Gastgeberstaaten als eine Beschädigung ihrer internationalen Reputation angesehen.
So befürchtete die Ukraine, die wiederholten Verlängerungen der Missionstätigkeit könnten von der Außenwelt als Belege
dafür angesehen werden, dass bei ihr etwas nicht in Ordnung sei. Dies empfand sie gleichermaßen als Stigmatisierung wie als
Aufdringlichkeit der OSZE, die sie gern loswerden wollte, um ihre Angelegenheiten wieder selbst in die Hand nehmen zu
können. Die Mission wurde denn auch letztes Jahr beendet und als Kompromiss zur "Gesichtswahrung" durch einen OSZE-
Projektkkoordinator ersetzt. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in den baltischen Staaten beobachten, die den Beitritt zur EU
nicht durch den Makel gestört sehen möchten, dass ihre demokratische Reputation durch die Tätigkeit einer OSZE-Mission in
Frage gestellt wird. Im Dezember 2001 wurde die Missionstätigkeit in Estland und Lettland eingestellt.

Bild
Als eine Diskriminierung wird von denjenigen Regierungen, die sich von den Missionen zu sehr kritisiert sehen, die Tatsache
empfunden, dass die KSZE/OSZE seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ihre Arbeit zur Prävention und zum
Krisenmanagement auf den früheren "Osten" konzentriert hat. Auch wenn dieses Argument ein Ablenkungsmanöver ist, hat es
dennoch Berechtigung insofern, als Staaten in der EU oder in der NATO durchaus Konflikte aufweisen, bei denen OSZE-
Missionen hilfreich sein könnten. Die Auseinandersetzungen in Nordirland, im Baskenland, in dem überwiegend von Kurden
bewohnten Teil der Türkei, auf Korsika, auf Zypern, in Quebec oder auch die Spannungen zwischen der Türkei und
Griechenland stehen nicht auf der Agenda der OSZE-Gremien. Diese Asymmetrie ist Reflex der Hegemonie der westlichen
Staaten, die die OSZE als Mittel der Einwirkung auf die Staaten des ehemaligen Ostblocks nutzen, sich aber selbst ihren Regeln
und Empfehlungen nicht aussetzen wollen.

Ausblick
Ein zentrales Problem der OSZE-Aktivitäten besteht im Fehlen eines "institutionellen Gedächtnisses" (Dehdashti 2000). Das
Personal in den Missionen und in den einzelnen Institutionen wechselt sehr oft. Es wird meistens von den Außenministerien
"sekundiert", d.h. für eine bestimmte Zeit, meist sechs Monate, auf eigene Kosten abgeordnet. Dies führt u.a. auch dazu, dass
die reichen (westlichen) Staaten die Missionen personell vor allem über die Leitung dominieren. Damit besteht die Gefahr, dass
OSZE-Organe zum Transmissionsriemen westlicher Interessen werden. Eine stetige, auf den Erfahrungen der Vorgänger
aufbauende Politik wird zudem erschwert. Dies ließe sich ändern, wenn die Abordnungszeit verlängert würde und die OSZE
mehr Mittel an die Hand bekäme, um eigenes Personal auszubilden und für fünf bis acht Jahre an die Organisation zu binden.
Wie bereits erwähnt, will die Mehrheit der Teilnehmerstaaten der OSZE keine andere Rolle zuweisen als diejenige, die sie zur
Zeit spielt. Forderungen, die die OSZE allein mit dem Argument stärken wollen, sie sei doch die am ehesten "zivile"
Organisation oder die einzige gesamteuropäische, gehen an der Realität der Machtkonstellation in Europa vorbei. Dies liegt zum
einen daran, dass die westlichen Staaten die NATO bzw. die EU als die zentralen Garanten ihrer Sicherheit ansehen und der
OSZE die genannten Dienstleistungsaufgaben qua "Auftragsverwaltung" übertragen haben. Zum anderen orientieren sich die
Staaten außerhalb der GUS auf den Beitritt zu den westlichen Institutionen und betrachten die OSZE als Vorfeldinstitution, die
ihnen demokratische Reife attestieren und die Möglichkeit geben kann, sich für den Vorsitz einer internationalen Organisation
zu qualifizieren. Zum Dritten ist Russland, das an sich ein großes Interesse an der OSZE haben müsste, da sie die einzige
europäische Institution ist, in der es gleichberechtigt am Tisch sitzt, zu schwach und innerlich zu zerstritten, um eine kohärente
OSZE-Politik zu betreiben. Die Vorschläge zu einer Effizienzsteigerung und zu einer stärkeren Einbeziehung der OSZE in die
Grundsatzentscheidungen über die Gestaltung der europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit sollten daher diese
Rahmenbedingungen beachten (Lutz/Tudyka 2000; Zellner 2000).
Ansatzpunkt hierfür könnten die Probleme sein, die sich aus der Ausdehnung der NATO und der Erweiterung der EU nach
Osten bzw. Südosten für das Verhältnis zu Russland ergeben, dessen politische Führung wie auch Öffentlichkeit dies als eine
Bedrohung ihrer Sicherheit ansehen, was im Falle der NATO nicht von der Hand zu weisen ist. Auch bedeutet die
perspektivische Aufnahme ganz Ostmittel- und Südosteuropas in die Europäische Union bei aller Unterstützung, die dieses
Vorhaben aus friedenspolitischer Sicht verdient hat doch zugleich den Ausschluss derjenigen Staaten, die nicht zu dieser
Friedensgemeinschaft gehören sollen.
Eine Kompensation für alle Staaten, die künftig nicht Mitglied der beiden westlichen Institutionen sein werden, könnte in der
Aufwertung der OSZE bestehen, in deren Gremien die Probleme bearbeitet werden sollten, die mit der Osterweiterung
zusammenhängen. Damit würde der bisherige Bilateralismus der Beziehungen zwischen der EU/NATO und vor allem Russland
multilateral ergänzt und das Verhältnis symmetrischer.
Die Aufwertung der OSZE könnte in der Einrichtung eines Sicherheits- und Kooperationsrates bestehen, der Russland eine
wichtigere Rolle geben und zugleich die Handlungsfähigkeit dieser gesamteuropäischen Institution erhöhen würde. Es wäre
dann sehr viel schwieriger zu begründen, warum die Auseinandersetzungen über die Folgeprobleme der Osterweiterung der
NATO und der EU an der OSZE vorbei geführt werden sollten. Der Sicherheits- und Kooperationsrat würde die Realität der
Machtverteilung widerspiegeln und doch gleichzeitig das europäische "Mächtekonzert" stärker in die Prinzipien, Normen und
Regeln der OSZE einbinden. Hierzu wird folgendes Modell vorgeschlagen: Der Sicherheits- und Kooperationsrat hat 12 Sitze,
tagt unter dem Vorsitz des stimmberechtigten Amtierenden Vorsitzenden und wird jährlich neu gewählt. Gemäß dem
Finanzierungsschlüssel für die OSZE-Ausgaben, der 16 Kategorien von Beitragszahlern enthält (OCSE Handbook 2000: 175),
entsenden die Staaten der ersten Kategorie (Frankreich, Deutschland, Italien, Russland, Großbritannien und die Vereinigten
Staaten) drei Mitglieder. Die restlichen 15 Kategorien werden zu drei zusammengefasst, aus denen jeweils weitere drei Staaten
in den Sicherheitsrat gewählt werden. In dem Gremium wird nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt, wobei ein Quorum
eingeführt werden könnte, nach dem für einen Beschluss eine bestimmte Anzahl von Staaten aus jeder der vier Kategorien
notwendig wäre.
Ein weiteres Problem sind die Doppelstandards. Nachdem sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts das westliche
Menschenrechts- und Demokratieverständnis im gesamten OSZE-Raum zumindest als Leitidee durchgesetzt hat, ist die
Organisation auch zu einem "Transmissionsriemen" dieser Gesellschaftskonzeption geworden. Weil die Achtung der
Menschenrechte, Demokratie und Marktwirtschaft die Grundlage für zwischenstaatlichen Frieden bildet, würden die westlichen
Staaten die Legitimation der OSZE zur Einmischung in inner- und zwischenstaatliche Auseinandersetzungen deutlich erhöhen,
wenn sie zuließen, dass die Organisation sich auch mit Konflikten in ihrem Bereich befasst. Damit würden sie den berechtigten
Vorwurf entkräften, dass sie die früher gesamteuropäische KSZE nun als westliche Aufsichtsbehörde über die ehemals
sozialistischen Länder ansehen.

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