BERNARD VON PLATE Notfalls mit Gewalt. Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
BERNARD VON PLATE Notfalls mit Gewalt. Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter D ie OSZE zu stärken ist seit Jahren die erklärte Absicht ihrer Teilnehmerstaaten. Ein zentrales Thema dabei ist die Rolle der OSZE bei friedens- andersetzen, daß seit dem Ende des Ost-West- Gegensatzes alle Konflikte in Europa einen inner- staatlichen Hintergrund hatten und voraussicht- erhaltenden Einsätzen. Als eigenständiges opera- lich auch weiterhin haben werden. Weil es häufig tives Instrument 1992 auf der zweiten Helsinki- keine eindeutig erkennbare Konfliktlinie gibt, Konferenz der (damals noch) KSZE konzipiert, sind friedenserhaltende Maßnahmen bei inner- sollen diese Einsätze inner- wie zwischenstaatliche staatlichen Konflikten zudem tendenziell gewalt- Konflikte umfassen und eine zivile wie militärische trächtiger als bei der Befriedung zwischenstaat- Dimension haben. Der erste Test, in der Kosovo- licher Konflikte. Krise im Oktober 1998, ist zwar an der Gewalt- Will die OSZE ihr Mandat ausfüllen, muß sie bereitschaft der innerstaatlichen Konfliktakteure von ihren Möglichkeiten Gebrauch machen. Da- gescheitert, das heißt jedoch nicht, daß es statt mit ist nicht ihre »Militarisierung« gemeint. Ihre dessen eine gewaltfreie Alternative (ohne militä- Teilnehmerstaaten sollten sich jedoch dazu ent- rische Abstützung) zur Kosovo Verification Mis- schließen, den gegebenen Ermessensspielraum sion (KVM) gegeben hätte. Einer »traditionellen« auszuschöpfen und in eigener Verantwortung Peacekeeping-Rolle für die OSZE ist durch die andere Organisationen mit der »robusten«, das sicherheitspolitischen Veränderungen seit Beginn heißt den Einsatz militärischer Mittel gegebenen- der 90er Jahre weitgehend der Boden entzogen. falls ausdrücklich einschließenden Unterstützung Daraus zu folgern, daß das Mandat für friedens- friedenserhaltender Maßnahmen zu beauftragen. erhaltende Aufgaben der OSZE in die Reihe über- Dies ist nicht zuletzt dadurch zu rechtfertigen, holter Beschlüsse gehört, hieße eine Option auf- daß die Grenze zwischen »robusten« Maßnahmen zugeben, für die es insbesondere mit Blick auf ohne ein VN-Mandat auf der einen Seite und Konfliktszenarien in Rußland und seinem Inter- »Zwangsmaßnahmen«, die dem Sicherheitsrat vor- essenumfeld keinen multilateralen Ersatz gibt. behalten bleiben, auf der anderen Seite durch den Daran hat auch die NATO-Rußland-Grundakte innerstaatlichen Charakter der Konfliktursachen nichts ändern können. undeutlicher geworden ist. Auf jeden Fall sind Von grundsätzlicher Bedeutung für die Diskus- robuste Maßnahmen mit einem OSZE-Mandat sion über die künftige Auslegung des 1992 erteil- (moralisch) legitimer als etwa die selbstverantwor- ten Mandats sind zwei eng zusammenhängende tete Gewaltanwendung eines Bündnisses. Fragenkomplexe: Ist der Absolutheitsanspruch des Sicherheits- Sind friedenserhaltende Einsätze überhaupt ein rats, daß er allein und nur mit Zustimmung der für die OSZE angemessenes Instrument? Was fünf Veto-Staaten regionale Organisationen zu bedeutet der zunehmend größere Stellenwert Zwangsmaßnahmen ermächtigen kann, auch dann innerstaatlicher Konfliktursachen für diese Op- noch berechtigt, wenn dadurch die Ziele der tion? Vereinten Nationen ebenso wie die 1990 in Inwieweit soll die OSZE in bezug auf Gewalt- Kopenhagen beschlossenen weitreichenden Ver- zuständigkeit bei Ausübung ihres Mandats Auf- pflichtungen der KSZE / OSZE im Bereich der gaben übernehmen, die heute zur Prärogative Menschenrechte und Grundfreiheiten (»Mensch- des VN–Sicherheitsrats gehören? liche Dimension«) Schaden nehmen? Soll dies ver- Will man der OSZE auch künftig eine friedenserhal- mieden werden, so muß auf jeden Fall an der tende Rolle zuweisen, muß man sich damit ausein- Absicht festgehalten werden, den normativen 368 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
Bestand der OSZE in den Entscheidungsprozeß des Bedeutung« sind. Dazu gehören die »Achtung der Sicherheitsrats einzubringen. Es geht also nicht Souveränität und territorialen Integrität; Zustim- zwangsläufig darum, den Legitimationsbedarf mung der Parteien; Unparteilichkeit; multilate- für die Anwendung von Gewaltmitteln aus der raler Charakter; klares Mandat ...«. 3 Zuständigkeit der Vereinten Nationen herauszu- Bis in die jüngste Vergangenheit stand das nehmen, sondern ihn durch einen Rückbezug auf Mandat für friedenserhaltende Aufgaben der OSZE die OSZE breiter zu fundieren. Aber auch eine nur auf dem Papier. Es reflektiert die Aufbruch- zunehmende Regionalisierung der Verantwortung stimmung der beginnenden 90er Jahre und doku- für die Ziele der Vereinten Nationen sollte kein mentiert die hohen Erwartungen, die an die Mög- Tabu-Thema sein. lichkeiten friedenserhaltender Maßnahmen gerich- Der zentrale Einwand gegen die stärkere Ver- tet waren. Insoweit war auch die OSZE (damals ankerung einer Gewaltzuständigkeit im Rahmen noch KSZE) vom Geist der »Agenda für den Frie- der OSZE ist jedoch, daß sich auf der regionalen den« beseelt, die der Generalsekretär der Vereinten Ebene die Blockadesituation wiederholt, die, wie Nationen (VN) im Januar 1992 im Auftrag des beispielsweise im Vorfeld des Angriffs der NATO Sicherheitsrats vorgelegt hatte. auf Jugoslawien, im Sicherheitsrat durch das rus- Nagorny–Karabach sollte nach einem Abkom- sische Veto gegeben war. Der scheinbaren Aus- men zwischen Armenien und Aserbeidschan der weglosigkeit dieses Arguments kann nur begegnet erste Anwendungsfall einer friedenserhaltenden werden, wenn es möglich ist, sicherheitspolitische Rolle der OSZE werden. Die im März 1999 wieder Konstruktionen weiterzuentwickeln, die es Ruß- zurückgenommene Kosovo-Verifizierungsmission land erleichtern, sich an »robusten« friedenserhal- sollte es, wenn auch nur für kurze Zeit und ohne tenden oder eines Tages sogar an Zwangsmaßnah- den beschlossenen Gesamtumfang zu erreichen, men zu beteiligen, ohne sich unter das Kom- sechs Jahre nach den Beschlüssen der zweiten mando der NATO zu begeben. Helsinki-Konferenz – der weiten Definition von 1992 entsprechend – schließlich werden. War da- mit – zumindest vorübergehend – ein Mandat mit Das Mandat von 1992 Leben erfüllt, das aus der Sicht der Skeptiker die OSZE überfordert und durch Entwicklungen seit In den auf der Ratstagung in Kopenhagen 1997 1992 überholt ist? beschlossenen »Leitlinien für ein OSZE-Charta- Dokument über europäische Sicherheit« heißt es: Die Teilnehmerstaaten werden »mit Nachdruck Friedenserhaltende Maßnahmen – ein überholtes prüfen, welche Rolle der OSZE in Zusammenhang Mandat? mit friedenserhaltenden Einsätzen angemessen ist.« Bei diesen Überlegungen sollen die »einschlä- 1999 geht es nicht darum, die friedenserhaltenden gigen OSZE-Dokumente« in Betracht gezogen Maßnahmen einer Kosovo-Mission am Mandat werden. 1 Einschlägig ist das dritte Kapitel des Helsinki- Dokuments von 1992. Es erklärt »Friedenserhal- 1. Das Kopenhagener Schlußdokument vom 18./19.12. 1997 ist abgedruckt in: »Bulletin [des BPA], No. 3«, tung« zu einem wichtigen operativen Element der 9.1.1998 (Text der Leitlinien S. 20 ff.). Einen großen »Gesamtfähigkeit der KSZE«. Die Formulierung Teil der KSZE/OSZE-Dokumente enthält die von Ulrich des Mandats 1992 ist zudem weit gesteckt. Es Fastenrath herausgegebene Loseblattsammlung KSZE: umfaßt inner- und zwischenstaatliche Konflikte, Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa, Neuwied u.a.: Luchterhand 1992 ff. schließt ziviles und militärisches Personal ein und Auch die OSZE bietet auf ihrer Homepage – vorwiegend erstreckt sich von kleinen bis zu großen Opera- auf Englisch – Zugang zu Dokumenten ihrer Gipfel- tionen, »einschließlich Beobachter- und Überwa- treffen und Ratstagungen. chungskommissionen«. 2 Auf der Ratstagung in Rom 2. Text des Helsinki-Dokuments vom 9./10.7.1992 in: »Bulletin, No. 82«, 23.7.1992. einigten sich 1993 die KSZE-Teilnehmerstaaten auf 3. Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des Rats- eine Reihe von Prinzipien, die bei militärischen treffens am 30.11./1.12.1993 in Rom in: »Bulletin, Aktionen durch Drittparteien »von wesentlicher No. 112«, 15.12.1993. IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 369
von 1992 zu messen. Ohnehin ist manches, was kommen ein Beschluß von höchster Aktualität, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts von den weil es sich hier um einen innerstaatlichen Konflikt Teilnehmerstaaten der OSZE beschlossen wurde, handelt. Episode geblieben. Daß etliches auf dem Weg von Theoretisch erfüllen können diese Bedingun- der KSZE zur OSZE zurückblieb, ohne jemals opera- gen aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen zum tive Bedeutung erlangt zu haben, kennzeichnet gegenwärtigen Zeitpunkt nur die Vereinten Natio- die OSZE als einen Prozeß und als eine Organisa- nen. Dem steht jedoch entgegen, daß die Bereit- tion, deren Markenzeichen Flexibilität ist. Oft war schaft der VN, weltweit friedenserhaltende Auf- es die jeweilige politische Konstellation, unter der gaben zu übernehmen, ebenso zurückgeht, wie im Prozeß der Veränderungen der sicherheitspoli- ihre Möglichkeiten schwinden, finanziell für sie tischen Landschaft in Europa Verabredungen einzustehen. Statt dessen nehmen die Anstren- möglich und notwendig erschienen, die über den gungen zu, für die Wahrnehmung friedenserhal- Tag ihrer Unterzeichnung hinaus keine oder nur tender Maßnahmen nach regionalen Lösungen marginale Bedeutung erlangten. Die Praxis dik- Ausschau zu halten. Ein ausdrücklicher Verzicht tierte der OSZE die politische Tagesordnung. der OSZE auf eine friedenserhaltende Rolle oder Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu klären, die Absicht, sie stillschweigend aufzugeben, würde ob nicht auch das Mandat der OSZE für friedenser- also zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem sich haltende Maßnahmen in die Reihe überholter Be- andere Regionen der Welt verstärkt auf die eige- schlüsse aufgenommen werden sollte. War es nur nen Möglichkeiten besinnen. Die OSZE würde sich eine Durchlaufstation im Prozeß sicherheitspoli- zurückziehen, anstatt den Beschluß der Teilneh- tischer Entwicklungen seit Beginn der 90er Jahre? merstaaten von 1992, »daß die KSZE eine regionale Wäre eine Verifizierungsmission im Kosovo nur Abmachung im Sinne von Kapitel VIII der Charta eine Variante der OSZE-Rolle in Bosnien gewe- der Vereinten Nationen (VNCh) ist und als solche sen, die mit der ursprünglichen Zielsetzung einer ein wichtiges Bindeglied zwischen europäischer eigenständigen friedenserhaltenden Funktion der und globaler Sicherheit darstellt«, über die vagen OSZE nicht verwechselt werden darf? Aussagen der VNCh hinaus mit Substanz zu füllen. Es war keine beliebig austauschbare Entschei- dung des amerikanischen Sonderbotschafters OSZE-Friedenserhaltung ohne Alternative Holbrooke und des jugoslawischen Präsidenten Milov sević im Oktober 1998, die OSZE mit der Die Überlegungen gehen von der Prämisse aus, Überwachung der getroffenen Vereinbarungen zu daß auf die Option einer friedenserhaltenden Rolle betrauen. Bei aller gelegentlich rechthaberischen der OSZE nur dann verzichtet werden sollte, wenn Genugtuung derer, die natürlich von vornherein sich eine Alternative bietet. Diese müßte auf jeden wußten, daß der Versuch der OSZE im Kosovo Fall sicherstellen, daß friedenserhaltende Maß- scheitern würde, wird übersehen, daß keine andere nahmen nicht zu einer bilateralen oder sogar uni- Organisation die allseitige Zustimmung für eine lateralen Angelegenheit werden, um der solchen Verifizierungsmission gefunden hätte, an der unter Konstellationen innewohnenden Tendenz zur amerikanischer Leitung auch Rußland beteiligt Gewaltanwendung, zumal wenn sie von einem war. Eine gewaltfreie Alternative zur Kosovo Veri- Nachbarstaat wahrgenommen werden, keinen fication Mission (KVM) – ohne militärische Abstüt- Vorschub zu leisten. Das Prinzip der Multilatera- zung zur Gewährleistung der Mandatserfüllung – lität ist insbesondere auch dann zu beachten, wenn gab es jedenfalls nicht. es sich um Konfliktfälle innerhalb von Teilnehmer- Dieser Befund reicht für die Option friedenser- staaten handelt, die in Übereinstimmung mit den haltender Operationen der OSZE als Instrument Vereinbarungen von 1992 ausdrücklich durch das der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung Mandat der OSZE für friedenserhaltende Aktivi- jedoch so lange nicht aus, wie für die Gewaltzu- täten gedeckt sind. Das war im Zusammenhang ständigkeit nicht Wege eröffnet werden, die nicht mit der Durchführung des zwischen dem Amtie- ausnahmslos auf den Sicherheitsrat der Vereinten renden Vorsitzenden der OSZE und dem jugosla- Nationen (VNSR) zulaufen. Für die unbewaffnete wischen Außenminister ausgehandelten Überein- KVM hatte Jugoslawien seinen Schutz zugesagt. 370 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
Für den Notfall waren Verabredungen mit der Angriffshandlungen) der VNCh nicht mit der NATO und der von ihr in Mazedonien stationierten Eindeutigkeit gezogen werden kann, wie dies Extraction Force getroffen worden. Wäre sie zum in den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation Schutz der KVM eingesetzt worden, hätte dies – unabdingbar war. So sollte bei einem Einsatz in wenn auch völkerrechtlich nicht unumstritten – Nagorny–Karabach die Anwendung von Gewalt unter Berufung auf das Recht der »kollektiven über das in seiner Reichweite ohnehin kontro- Selbstverteidigung« gemäß Artikel 51 der VNCh verse Recht auf Selbstverteidigung hinaus vor ohne gesonderten Beschluß des VNSR geschehen allem auch dann zulässig sein, wenn (1) bewaffnete können. Dies war jedoch eine Konstruktion, die Kräfte die OSZE gewaltsam daran hindern, ihren keineswegs auf alle denkbaren friedenserhaltenden Auftrag auszuführen; wenn es (2) darum geht, Einsätze der OSZE übertragbar ist. angegriffene OSZE-Einheiten zu unterstützen; und wenn (3) OSZE-Ausrüstungen verteidigt werden müssen. Um diesem Aufgabenspektrum gerecht Peace-keeping ohne Gewaltzuständigkeit – werden zu können, sollte sich die friedenserhal- ein ungelöstes Problem tende Einheit aus einer Beobachtermission und einer Sicherheitstruppe zusammensetzen. 4 Das Dilemma ist unübersehbar: Das Mandat, das Schon zuvor war mit Blick auf die Gewalt- die Teilnehmerstaaten 1992 der KSZE für frie- dimension des beabsichtigten Auftrags auf dem denserhaltende Aktivitäten erteilt haben, bleibt KSZE-Gipfeltreffen in Budapest im Dezember 1994 nicht nur strikt in dem in Kapitel VI der VNCh zugesagt worden, eine multilaterale Friedens- vorgegebenen Rahmen (Friedliche Beilegung von truppe der KSZE »mit einer entprechenden Resolu- Streitigkeiten), sondern enthält zusätzlich einen tion des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen« Kanon von Bedingungen, die vor einem friedens- zu unterstützen. 5 Offenbar war vom Beginn der erhaltenden Einsatz der OSZE zu erfüllen sind. Planungen an allen Beteiligten klar, daß friedenser- Dazu gehören ein wirkungsvoller und dauerhafter haltende Maßnahmen für Nagorny–Karabach Waffenstillstand und die jederzeitige Sicherheit der durch die Beschlüsse von 1992 und die Kompeten- Missionsmitglieder. zen der OSZE als regionale Abmachung der VN Damit wurde die Latte vor einem friedenser- nicht gedeckt wären. Auch wenn das Abschluß- haltenden Einsatz der OSZE auf eine Höhe gelegt, dokument von Budapest hierzu nichts Ausdrück- die nur in Ausnahmefällen überwunden werden liches sagt – mit der Zusage eines Mandats des kann: friedenserhaltende Maßnahmen im allsei- Sicherheitsrats konnte nur eine Resolution auf der tigen Einvernehmen nach der Beendigung eines Grundlage von Kapitel VII der VNCh gemeint zwischenstaatlichen Konflikts. Beide Bedingungen sein, die eine Friedensmission auch zur Gewaltan- beziehen sich auf die politische Konstellation der wendung ermächtigen würde. Ost-West-Konfrontation, in der friedenserhaltende Das Unternehmen »Alba«, der Einsatz einer Operationen bei innerstaatlichen Konflikten nicht multilateralen Schutztruppe in Albanien in der mit der Zustimmung des VNSR rechnen konnten. ersten Hälfte des Jahres 1997, erfolgte zwar letzt- Diese Konstellation hat sich indessen seit 1990 auf- lich nicht unter der Verantwortung der OSZE, gelöst. Das heißt, wenn davon die Rede ist, das ähnelte jedoch insofern den Planungen für eine Mandat von 1992 aktiv auszufüllen, dann genügt friedenserhaltende Mission in Nagorny–Karabach, es nicht, friedenserhaltende Maßnahmen in dem als die von Italien geführte multilaterale Truppe Rahmen zu erwägen, wie er sich in den Jahrzehn- vom Sicherheitsrat ausdrücklich ermächtigt wurde, ten der Bipolarität herausgebildet hatte. auf der Grundlage von Kapitel VII der VNCh zu Schon bei den Vorbereitungen für einen frie- denserhaltenden Einsatz in Nagorny–Karabach 4. Vgl. Marjanne de Kwaasteniet: »Alba. A lost oppor- mußte die OSZE-Planungsgruppe darauf Rücksicht tunity for the OSCE?«, in: Helsinki Monitor, (1998) 1, nehmen, daß die Grenzlinie zwischen Maßnah- S. 17 ff. 5. Text des auf dem KSZE-Gipfeltreffen in Budapest men gemäß Kapitel VI (Friedliche Beilegung von (5./6.12.1994) verabschiedeten Dokuments (dort auch Streitigkeiten) und Kapitel VII (Maßnahmen bei die Umbenennung in OSZE) in: »Bulletin, No. 120«, Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei 23.12.1994. IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 371
handeln. Die als »robust« bezeichneten Einsatz- Teil einer europäischen Sicherheitsordnung; einen regeln sehen das Recht der Gewaltanwendung gesamteuropäischen Platz nehmen sie jedoch nicht dann vor, wenn dies zur Erreichung des Missions- ein. ziels erforderlich sein sollte. 6 Wenn die immer wieder postulierte Einheit des Mit beiden Operationen, der geplanten in sicherheitspolitischen Raumes als Kernanliegen der Nagorny-Karabach und der durchgeführten in OSZE mehr sein soll als eine Routineformel, dann Albanien, ist nicht versucht worden, die Gewalt- gab es nicht nur im Kosovo keine Alternative zur zuständigkeit des Sicherheitsrats der Vereinten OSZE. Dies gilt umso mehr für Konflikte inner- Nationen, der »regionale Abmachungen« gemäß halb der Russischen Föderation und der Gemein- Artikel 53 VNCh zur Ausübung von Zwangsmaß- schaft Unabhängiger Staaten. Mit der Zustim- nahmen ermächtigen kann, zu unterlaufen bzw. mung Rußlands zu einer Intervention durch eine zu übergehen. Die Verknüpfung zwischen dem andere Organisation kann hier nicht gerechnet VNSR und »regionalen Abmachungen« durch die werden. Daran wird auch das Integrationspoten- Gewaltprärogative stellt sich jedoch zunehmend tial der Europäischen Union in einer überschau- als Kern eines Problems heraus. Die Völkerrechts- baren Zukunft nichts ändern können. Deshalb lage ist zwar eindeutig, doch der VNSR erweist sich ist gerade angesichts der Erweiterung der NATO als Beschlußorgan für friedenserhaltende und frie- danach zu fragen, welche Perspektive friedenser- denserzwingende Maßnahmen gerade bei inner- haltenden Aufgaben der OSZE als dem multilate- staatlichen Konflikten als handlungsunfähig. Folgt ralen Rahmen eingeräumt werden soll, in den daraus aber, daß die Rolle der OSZE für friedenser- auch Rußland und seine Nachbarn eingebunden haltende Aktivitäten obsolet wird, weil ihre Durch- werden können. Daß die NATO – die politische führung angesichts der überragenden Bedeutung Bereitschaft ihrer Mitgliedstaaten einmal außer der innerstaatlichen Konfliktdimension nur noch Betracht gelassen – diese Rolle spielen könnte, ist in seltenen Ausnahmefällen ohne Entscheidung nach dem Krieg gegen Jugoslawien unwahrschein- des VNSR über die Anwendung von Gewaltmaß- licher als jemals zuvor. nahmen möglich ist? Sollte sich durch diese Verknüpfung das Man- dat der zweiten Helsinki-Konferenz von 1992 als Die NATO-Rußland-Grundakte liefert keine Antwort undurchführbar erweisen, dann verlöre nicht nur die OSZE eines ihrer Instrumente. Sie würde durch Die Alternative, die europäische Sicherheit von der ihr Ausscheiden als Akteur vielmehr eine Lücke Atlantischen Allianz oder von einem gesamteu- hinterlassen, die durch traditionelle Verteidigungs- ropäischen Ansatzpunkt aus zu gestalten, war zu- bündnisse wie die NATO und die WEU nicht ge- dem nie vorhanden. Insofern gibt es auch keine schlossen werden kann. Diese Beurteilung wird verpaßte Chance, nicht in einer für die Sicherheits- nicht dadurch widerlegt, daß beide Organisa- struktur Europas relevanten Weise auf die innere tionen auch als »regionale Abmachungen« gelten. Entwicklung und das Außenverhalten anfangs der Die Frage ist nicht, ob sie der ohnehin nur vagen Sowjetunion, seit Ende 1991 der Russischen Föde- Definition in Kapitel VIII der VNCh entsprechen. ration durch gesamteuropäische Angebote einge- Politisch wichtig ist, daß sie mit einem Mandat des wirkt zu haben. Oder, um es mit den institutio- VNSR für Aufgaben jenseits der eigenen Bündnis- nellen Hauptprotagonisten der einen oder der grenzen nur schwerlich rechnen können. Die anderen Seite zu benennen: Es ging nie um die VNSR-Resolution zugunsten der in Dayton aus- Frage, wieviel OSZE nötig sei, um wieviel NATO gehandelten und in Paris unterzeichneten Rege- möglich zu machen. Die beiden Organisationen lungen für Bosnien–Herzegowina dürfte ange- sind nicht die Eckpunkte auf einem sicherheitspo- sichts der in der Zukunft wahrscheinlichen Kon- litischen Kontinuum, das an seinem einen Ende fliktszenarien eher eine Ausnahme darstellen als von einer gesamteuropäischen, auf seinem anderen einen Präzedenzfall. Der Rekurs der beiden Vertei- Ende von einer atlantisch dominierten Struktur digungsbündnisse auf die Ziele der VN kann sie markiert wird. Der Zusammenhang zwischen bei- aus der Enge ihrer politischen und geographi- schen Zuordnung nicht befreien. Sie sind zwar 6. Vgl. Kwaasteniet: Alba, S. 21. 372 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
den Organisationen beruht vielmehr auf dem ein hilflos ausgeliefert wäre, würde sich jedenfalls jeweils spezifischen und nicht kompensierbaren eines wesentlichen Teils ihres möglichen Wertes Anteil, den jede von ihnen zur Sicherheit und begeben. Stabilität in Europa beiträgt bzw. beitragen sollte. Auch in Zukunft werden Konflikte in Europa Insofern war es sachgerecht und politisch konse- durch innerstaatliche Ursachen ausgelöst werden. quent, die Beziehung der NATO zur russischen Das ist vor allem deshalb besonders bemerkens- Föderation in einer Vereinbarung wie der Grund- wert, weil es dem VNSR aufgrund seiner Gewalt- akte zu regeln und nicht der zumindest zeitweilig zuständigkeit überlassen ist, sie als eine Bedro- aufgetauchten Vorstellung nachzuhängen, Moskau hung für den Frieden einzustufen, wozu er sich im Rahmen der OSZE für den Erweiterungspro- jedoch mit dem Argument der Nichteinmischung zeß der NATO »entschädigen« zu wollen. allenfalls in seltenen Ausnahmen bereit finden Die Grundakte konnte jedoch den neural- wird. In dem durch seine Gegensätzlichkeit span- gischen Punkt friedenserhaltender Aktionen in nungsreichen Begriffspaar »humanitäre Interven- den Beziehungen Rußlands zur NATO nicht aus- tion« wird dieses Dilemma in nachdrücklicher räumen. Schon zuvor war die Teilnahme Rußlands Weise offensichtlich. »Humanitäre Intervention« an der IFOR- und später dann SFOR-Truppe in einer ist immer ein Einsatz während eines Konflikts. Die Weise geregelt worden, die das russische Kontin- UNPROFOR ist nicht zuletzt daran gescheitert, daß gent zumindest in formaler Hinsicht nicht als Teil ihr Mandat dafür nicht ausreichte und sie darauf eines von der NATO geführten Verbandes erschei- nicht vorbereitet war. Deshalb ist – zunächst ein- nen ließ. Bei der Umsetzung der Kosovo-Verein- mal mit Blick auf die OSZE – zu klären, inwieweit barung vom Oktober 1998 beteiligte sich Ruß- es friedenserhaltende Maßnahmen bei innerstaat- land zwar an der KVM, an der Luftüberwachung lichen Konflikten auch unterhalb der Gewalt- der Provinz nahm es jedoch – ungeachtet einer schwelle geben kann, die das Mandat von 1992 anfänglichen Ankündigung – ebensowenig teil nicht überschreiten. wie an der in Mazedonien unter der Verantwor- tung der NATO operierenden und von Frankreich geführten Extraction Force. Die innerstaatliche Dimension von Sicherheit als Von der im Zusammenhang mit dem Dayton- Problem friedenserhaltender Maßnahmen Vertrag und seiner Umsetzung praktizierten Kom- promißbereitschaft Rußlands kann zweifellos nicht Gehören friedenserhaltende Aktivitäten, die jeg- ausgegangen werden, wenn es sich um die Frage liche Gewaltanwendung außerhalb des Rechts der friedenserhaltender Maßnahmen auf dem rus- Selbstverteidigung ausschließen, weitgehend der sischen Territorium oder im unmittelbaren Inter- Vergangenheit an? Dafür spricht, daß seit dem essenumfeld handelt. Dabei fällt der Blick nicht Ende des Ost-West-Gegensatzes alle Konflikte in nur auf Tschetschenien, dessen Status noch Europa einen innerstaatlichen Ursachenhinter- nicht abschließend geregelt wurde. Es ist vielmehr grund hatten bzw. haben, daß es dementspre- davon auszugehen, daß der Prozeß der inneren chend weder eine eindeutige Konfliktlinie wie bei Neuordnung der russischen Föderation sich noch zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen gibt, eher an seinem Anfang befindet als bereits an bzw. sie allenfalls die Ausnahme ist, noch einen seinem Ende. Diese Feststellung ist nicht notwen- klaren Waffenstillstand. Friedenserhaltende Maß- digerweise mit der Erwartung verbunden, daß nahmen bei innerstaatlichen Konflikten sind, so sich Rußland am Vorabend weiterer, dem Tschet- die den Ausführungen zugrundeliegende An- schenien-Krieg ähnlicher Konflikte befindet. Auch nahme, gewaltträchtiger, als dies nach zwi- bei weniger dramatischen Anlässen ist zu fragen, schenstaatlichen Auseinandersetzungen der Fall inwieweit sie alternativlos der russischen Regie- ist. rung allein überlassen werden sollen, wenn gleich- Von dieser Prämisse ausgehend ist zu fragen, zeitig von der Absicht die Rede ist, Rußland fest in welchen Beitrag die OSZE dazu leisten kann, auf den europäischen Sicherheitsraum einzubinden. vor allem zwei Trends eine Antwort zu geben: Eine Europäische Sicherheitscharta, die weiteren die zunehmende Verlagerung der Gewaltdimen- tschetschenien-ähnlichen Szenarien von vornher- sion in die Staaten hinein, und IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 373
die Selbstblockade der VN, innerstaatlichem erklärt wird 9, eine politische Verpflichtungser- Konfliktpotential gegebenenfalls auch gewalt- klärung, die nahezu wortgleich in den im Juni sam entgegenzutreten. 7 1999 vereinbarten Stabilitätspakt für Südosteuropa Zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß die OSZE übernommen wurde. wie keine andere sicherheitsrelevante Organisation Die Praxis hat sich nicht wortgetreu an den Europas ihr Augenmerk frühzeitig und nachdrück- Geist des Dekalogs von 1975 gehalten. Das trifft in lich auf die innere Verfaßtheit ihrer Teilnehmerstaa- Sonderheit für seinen sechsten Punkt zu: Nicht- ten und das innerstaatliche Konfliktpotential in der einmischung in innere Angelegenheiten. Die Ver- postantagonistischen Dekade gelenkt hat. Sie hat änderungen gilt es in einer europäischen Sicher- mit der Charta von Paris (1990), dem Dokument heitscharta zu dokumentieren. So wie das Prinzip des Kopenhagener Treffens über die menschliche 1975 formuliert wurde, sollte es 1999 nicht wieder- Dimension der KSZE (1990) und dem 1994 in Buda- holt werden. Es muß vielmehr ergänzt und dabei pest vereinbarten Verhaltenskodex zu politisch- herausgestellt werden, daß die innere Entwick- militärischen Aspekten der Sicherheit (1994) eine lung in den Teilnehmerstaaten in dem Maße Teil normative Berufungsgrundlage geschaffen 8 und einer solidarischen Gesamtverantwortung ist, wie verfügt über einen beträchtlichen Erkenntnis- und sie eine Gefahr für Stabilität und Sicherheit in Handlungsvorsprung, wofür die Aktivitäten des Europa bedeutet. Hohen Kommissars für nationale Minderheiten, der Es ist nicht von vornherein und in jedem Fall Langzeitmissionen und anderer Einsätze vor Ort beabsichtigt, einem Teilnehmerstaat etwas auf- (Feldoperationen) beispielhaft sind. Dieser, ausge- zuzwingen, wozu er seine Zustimmung nicht hend von der Schlußakte von Helsinki (1975) im gegeben hat. Ziel ist es vielmehr, ein defensives Bezug auf die innerstaatliche Dimension von Prinzip wie das Gebot der Nichteinmischung Sicherheit erreichte Fortschritt muß in einer euro- durch die Zusage prinzipieller Bereitschaft zu päischen Sicherheitscharta festgeschrieben werden. ersetzen, auch innerstaatliche Konfliktursachen zu Es widerspräche dem Prozeßcharakter der einer Angelegenheit aller Teilnehmerstaaten zu OSZE, würde sich die angestrebte Europäische machen. Ein derartiger Vorstoß würde insofern Sicherheitscharta auf den pauschalen Hinweis zum Testfall im Verhältnis zu Rußland, als Moskau beschränken, daß die seit 1975 verabschiedeten der OSZE gelegentlich eine umfassende Zuständig- Erklärungen (Schlußakte von Helsinki, Charta von keit übertragen möchte, aber vor ihrer »Zudring- Paris oder der Verhaltenskodex zu politisch- lichkeit« zurückscheut. Zunächst einmal geht es militärischen Aspekten der Sicherheit) unverändert nur um die Richtung der Entwicklung. Sie sollte die Grundlage einer europäischen Sicherheitsord- daran ausgerichtet sein, das Mandat der OSZE für nung darstellen. Das hieße unter Bezug auf die friedenserhaltende Maßnahmen mit dem Rege- Schlußakte von 1975 einen Zustand legitimieren, in lungsbedarf für innerstaatliche Konfliktursachen dem – der damaligen sicherheitspolitischen Kon- enger zu verbinden. stellation entsprechend – gerade die innerstaatliche Dimension in der einzelstaatlichen Zuständigkeit belassen würde, die sich seit 1989 als die zentrale 7. Vgl. dazu Winrich Kühne: „Humanitäre NATO- Herausforderung einer europäischen Sicherheits- Einsätze ohne Mandat? Ein Diskussionsbeitrag zur Fortentwicklung der UNO-Charta“, unveröffentlichtes ordnung herausgestellt hat. Mit einer pauschalen Arbeitspapier, Stiftung Wissenschaft und Politik, Eben- »Bekräftigung« (s. die Dokumente von Budapest hausen, März 1999. 1994 und Lissabon 1996) der »Prinzipien der 8. Text der Charta von Paris für ein neues Europa in: Schlußakte von Helsinki und der nachfolgenden »Bulletin, No. 137«, 24.11.1990; Text des Dokuments des Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension KSZE-Dokumente« (1994) bzw. »OSZE-Verpflich- der KSZE in Kopenhagen vom 29.6.1990 in: Auswärtiges tungen« (1996) würde das Gewicht solcher Verein- Amt (Hg.): 20 Jahre KSZE: 1973–1993, Bonn 1993; der barungen relativiert, in denen eine besonders Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der schwerwiegende Gefahr für die Verwirklichung Sicherheit ist Teil des Budapester Dokuments von 1994, s. Fn. 5. der Bestimmungen »der menschlichen Dimen- 9. Text des Moskauer Treffens der Konferenz über die sion« ausdrücklich nicht zu einer »ausschließlich menschliche Dimension der KSZE in: Auswärtiges Amt: inneren Angelegenheit des betroffenen Staates« 20 Jahre KSZE. 374 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
Exkurs: Gehör für nichtstaatliche Konfliktakteure Die Vorgänge im Kosovo waren und sind eine innerstaatliche Angelegenheit. Das schließt die Wenn die Erfahrung zutrifft, daß alle Konflikte in Legitimation zur Anwendung von Gewaltmitteln Europa einen innerstaatlichen Charakter haben, durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dann sollten sich die in ein gemeinsames Doku- zwar keineswegs grundsätzlich aus, machte sie ment zu fassenden Prinzipien einer europäischen andererseits aber höchst unwahrscheinlich. Die Sicherheitsordnung nicht nur mit den Teilneh- Gratwanderung begann genau an diesem Punkt. merstaaten befassen, sondern auch darauf rea- Sie verlief zwischen Nichtstun auf der einen und gieren, daß innerstaatliche Akteure seit dem Ende einer machtpolitischen Umgehung der Vetoposi- des Ost-West-Konflikts eine zunehmend große tion des Sicherheitsrats auf der anderen Seite. Auf Rolle spielen. Gemeint sind an dieser Stelle nicht beiden Seiten nehmen die Vereinten Nationen die Nichtregierungsorganisationen und ihr viel- Schaden. Insofern greift das vor allem im Zusam- fach unverzichtbarer Beitrag zur Regelung von menhang mit den Luftangriffen auf Jugoslawien Konflikten. Die Rede ist vielmehr von nichtstaat- vorgebrachte Argument zu kurz, daß die nichtle- lichen Akteuren als Konfliktparteien. Die Kosovo- gitimierte Intervention der NATO den VN einen Befreiungsarmee (UCK) ist hierfür ein prominen- unwiderruflichen Schaden zufüge. Es ist zumin- tes, aber keineswegs in jeder Hinsicht typisches dest um die Frage zu ergänzen, welche Einbuße an Beispiel. Glaubwürdigkeit die VN erfahren, wenn unter Eine europäische Sicherheitscharta, die sowohl ihren Augen massive Menschenrechtsverletzungen Bilanz der seit 1989 eingetretenen Veränderungen geschehen oder, in der Sprache des Moskauer als auch Programm sein soll, darf an der zuneh- KSZE-Dokuments, eine »schwerwiegende Gefahr menden Rolle nichtstaatlicher Konfliktparteien für die Verwirklichung der Bestimmungen der nicht vorbeisehen. Es sollte zu deren verbürgtem Menschlichen Dimension« auftritt. Recht werden, sich internationalen Foren wie Im Zentrum des Dilemmas steht der Absolut- der OSZE stellen, ohne von ihrem Heimatstaat heitsanspruch eines Sicherheitsratsvotums, das die durch das Verdikt des Terrorismus vorzeitig ge- Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder finden brandmarkt werden zu können. Geht es vor den muß. Mit anderen Worten, es geht bei jeder Ent- Europäischen Gerichtshof um die Möglichkeit der scheidung um mehr als nur den konkreten Kon- Individualklage, so sollte innerstaatlichen Kon- fliktfall. Auf der Tagesordnung steht immer auch, fliktakteuren zumindest ein Anhörungsrecht ge- die 1945 in der VNCh vereinbarte Prärogative von währt werden, das durch das Nichteinmischungs- fünf Staaten zu behaupten und zur Geltung zu gebot nicht ausgehebelt werden darf. bringen. Soll die vorrangige Gewaltzuständigkeit der VN, von einem Monopol ist hier ausdrück- lich nicht die Rede, bewahrt werden und nicht Wider den Absolutheitsanspruch des Vetos in den Verdacht geraten, vornehmlich zu einer legalistischen Hürde vor den Machtinteressen eini- Ungleich höher liegt die Latte in den Fällen, in ger weniger Staaten zu degenerieren, dann ist es denen es um mehr geht als um die Vereinbarung, unerläßlich, Verfahrensregeln zu entwickeln, mit sich mit friedlichen Mitteln auf einvernehmlicher denen der grobe Klotz in der Gestalt einer Veto- Grundlage in die inneren Angelegenheiten eines mauer in das flexiblere Gebilde eines feinmaschi- Staates »einmischen« zu können. Kann es so etwas gen Zaunes umgebaut werden kann, in denen die geben wie eine »gewaltsame Solidarität« gegen- politische und völkerrechtliche Entwicklung seit über einem Staat, der seine inneren Konflikte nur der Verabschiedung der VNCh eingebunden ist. unter Inkaufnahme massiver Verletzung men- Überlegungen zugunsten einer Regionalisierung schenrechtlicher Standards militärisch zu lösen der Gewaltzuständigkeit sollten in diesem Zusam- weiß? Der Kosovo ist hierfür ein, aber weder menhang nicht mit einem Tabu belegt werden. das erste noch vermutlich das letzte, Beispiel. Es hat paradigmatische Bedeutung, ohne daß die weiteren Erwägungen in jeder Hinsicht auf diesen Konflikt bezogen sind. IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 375
»OSCE first« muß weiterentwickelt werden nahmen auch dann wahrnimmt, wenn es vor- aussichtlich nur mit robusten Mitteln eingelöst Wo liegt in dieser Blickrichtung ein möglicher werden kann. Die VNCh sieht vor, daß »regionale Platz für die OSZE? Bezieht man sich ausschließlich Abmachungen oder Einrichtungen« der Autorisie- auf die Dokumente und Prinzipien, deren Gültig- rung durch den VNSR nur bedürfen, wenn es um keit nahezu bei jeder Gelegenheit bekräftigt wird, die Durchführung von »Zwangsmaßnahmen« dann stellt sich Europa als ein sicherheitspoli- geht. Aus dem Aufbau der Charta ergibt sich ein- tischer Raum dar, der allen anderen Regionen deutig, daß mit dieser Bestimmung ausnahmslos der Welt voraus ist. Das gilt zumindest in seiner Maßnahmen gemäß ihres Kapitels VII gemeint Papierform. sind. Die friedenserhaltenden Aktivitäten, für die Die Frage ist, wie dieser normative Vorsprung sich die KSZE 1992 zuständig erklärte, orientieren auch bei den Debatten und Entscheidungen sich aber ausnahmslos an den begrenzten Bedin- des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur gungen, die in den Jahren des Ost-West-Konflikts Geltung gebracht werden kann. Den Vetomäch- möglich waren. ten – die mit Ausnahme von China auch im Rah- Die Anforderungen, die heute und aller Wahr- men der OSZE über ein besonderes politisches scheinlichkeit nach in Zukunft an friedenserhal- Gewicht verfügen – muß es bei Entscheidungen, tende Maßnahmen zu richten sind, liegen dagegen die Europa betreffen, wie etwa im Zusammenhang zwischen dem Mandat von 1992 und dem Kapitel mit dem Kosovo-Konflikt, erschwert werden, VII der VNCh. Das hat ihnen die Bezeichnung machtpolitische Interessen über menschenrecht- »Kapitel-sechseinhalb«-Maßnahmen eingebracht. liche und humanitäre Verpflichtungen zu stellen. Es geht also nicht nur darum, das Mandat von Im Rahmen der OSZE mit ihren wöchentlichen 1992 zu bewahren und mit Leben zu erfüllen, son- Sitzungen im Ständigen Rat und vor dem Forum dern es angesichts der Gewaltträchtigkeit inner- von 55 Teilnehmerstaaten könnte dies eher mög- staatlicher Konfliktursachen zugunsten der breiten lich sein als hinter den verschlossenen Türen des Normengrundlage der OSZE weiterzuentwickeln. Sicherheitsrats. Das muß nicht notwendigerweise bedeuten, daß Das Spannungsverhältnis zwischen Interessen die OZSE zu einem Rahmen wird, der eine umfas- einerseits und Prinzipien und Normen andererseits sende Gewaltkompetenz einschließt. Die robuste ist eine Erscheinung der realen Welt. Es ist jedoch Durchsetzung friedenserhaltender Maßnahmen kein Beleg für einen prinzipiellen Gegensatz. Inso- scheint jedoch unerläßlich zu sein, wenn den über- fern geht es immer wieder um den Versuch, kurz- wiegenden Gefahren für eine europäische Sicher- fristig taktisch orientierte Verhaltensweisen der heitsordnung nachhaltig begegnet werden soll. In Staaten von dem Ziel einer normativ geprägten diesem Sinne hieße peace-keeping unter »sechsein- Sicherheitsordnung aus unter Druck zu setzen halb«-Bedingungen auch die Legitimationsbe- und zu beeinflussen. rechtigung für Zwangsmaßnahmen. Der Wortlaut Dies würde den erneuten Versuch einschließen, von Kapitel VIII der VNCh steht dem nicht aus- die für den OSZE-Raum vereinbarten Normen drücklich entgegen. und Ordnungsprinzipien, da wo ihre Verletzung Es wird hier nicht dafür plädiert, die Legiti- innerstaatlichen Konflikten zugrunde liegt, in den mationsnotwendigkeit für die Anwendung von Entscheidungsprozeß des VNSR einzubringen. Das Gewaltmitteln aufzugeben. Ziel ist vielmehr, die heißt, für die Stärkung »regionaler Abmachungen« Bemessungsgrundlage für ihren Einsatz durch ist der 1994 auf der Gipfelkonferenz in Budapest einen stärkeren Rückbezug auf den breiten Nor- weitgehend gescheiterte Vorschlag aktueller denn menbestand der OSZE auszuweiten. Muß, so wäre je, den VNSR in den Fällen gemeinsam anzurufen, jedenfalls zu fragen, eine friedensgefährdende Miß- in denen die Teilnehmerstaaten Zwangsmaßnah- achtung der im Rahmen der OSZE vereinbarten men für erforderlich halten, ohne daß dem die Grundsätze deshalb hingenommen werden, weil direkt von einer Krise oder Konfliktsituation be- sich die KSZE 1992 zu einer Rolle verpflichtet hat, troffenen Staaten zustimmen müssen. die den Bedingungen zum Ende des Jahrzehnts Dem gleichen Ziel dient die Empfehlung, daß nicht in der Weise gerecht wird wie Anfang der die OSZE ihr Mandat für friedenserhaltende Maß- 90er Jahre offenbar noch erwartet oder erhofft? 376 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
Wenn man bei friedenserhaltenden Maßnahmen mehr aufgrund seiner Standards eine Lokomotiv- aufgrund der Innerstaatlichkeit der Konfliktstruk- funktion für die VN insgesamt übernehmen. Das turen an der Gewaltfrage nicht vorbeikommt, setzt allerdings die Anstrengung voraus, daß die dann sollte die Konsequenz nicht sein, auf ein OSZE-Teilnehmer die eingegangenen Verpflich- Kompetenzprofil zurückzugehen, wie es die KSZE tungen nicht ihrerseits taktischen Interessen vor 1992 hatte, sondern das Mandat von 1992 opfern und sie jederzeit zur Geltung bringen. weiterzuentwickeln bzw. selbstbewußter auszu- füllen. Die Aufgabe der KVM war ohne eine militä- Die Chancen für eine Einbindung Rußlands rische Abstützung nicht zu erfüllen. Warum aber muß die nicht ausreichende Zuständigkeit der Der zentrale Einwand gegen eine generelle Option OSZE für »Zwangsmaßnahmen« ein unverrück- der OSZE für friedenserhaltende Einsätze, vor allem bares Dogma bleiben, wenn der OSZE damit die wenn sie robuster Maßnahmen oder sogar dar- Perspektive für friedenserhaltende Aktivitäten über hinaus gehender Gewaltanwendung bedür- genommen wird, zu der es keine Alternative gibt? fen, liegt auf der Hand: Warum sollte im Rahmen Robuste Maßnahmen mit einem Mandat der OSZE der OSZE ein Mandat für robuste oder sogar wären moralisch legitimer, als es die selbstverant- Zwangsmaßnahmen erreichbar sein, wenn dies im wortete Gewaltanwendung eines Bündnisses oder VNSR nicht möglich ist? An der Nichtbeteiligung einer Koalition von Staaten sein kann. Aus diesen Chinas an der OSZE allein könne es nicht liegen. Erwägungen folgt nicht die Militarisierung der Der kritische Hinweis ist natürlich berechtigt, OSZE, das heißt ihre Ausstattung mit eigenen und es gibt keine gesicherten Annahmen, die ihn militärischen Strukturen, wie 1989/90 vereinzelt widerlegen. Das gilt nach dem Krieg gegen Jugo- erwogen. Ein solcher Schritt ist nicht nur deshalb slawien in einem verstärkten Maße. Insbesondere nicht gewollt, weil es für ihn keinen Konsens gäbe. Rußland setzt alles daran, einen Wiederholungsfall Er würde ein Rollenverständnis beschädigen, auf- zu verhindern, indem es sowohl jeden Eingriff in grund dessen paradoxerweise die eigene Macht- die staatliche Souveränität kategorisch ausschließt losigkeit die Bedingung für Handlungsmöglich- und offenbar kompromißlos auf seiner Prärogative keiten auch in Situationen ist, in denen sich die als Vetomacht beharrt. Die Verhandlungen über betroffenen Staaten mit dem Argument der Nicht- eine Europäische Sicherheitscharta im Rahmen der einmischung zu schützen versuchen. Die OSCE OSZE bieten dafür vielfältige Belege. Assistance Group to Chechnya und die Advisory Dieser Sachstand ist jedoch nur das Abbild and Monitory Group in Belarus sind hierfür einer Momentaufnahme. Veränderungsperspekti- beispielhaft. Es sollte auch in Zukunft dabei ven sind auf ihr nicht sichtbar. Die vorgebrachten bleiben, für eine robuste Unterstützung von OSZE- Einwände lassen nicht erkennen, in welche Rich- Maßnahmen auf andere Organisationen oder tung sich eine europäische Sicherheitsordnung Koalitionen angewiesen zu sein. Hier geht es allein entwickeln sollte und welcher Schritte es bedarf, um die Frage, ob die Schwelle zwischen einer um sie dem doppelten Ziel anzunähern, Ruß- kooperativen Sicherheitspolitik und ihrer Absiche- land einzubinden und dabei der innerstaatlichen rung mit (auch) militärischen Zwangsmitteln in Dimension von Sicherheit hinreichend Rechnung jedem Fall nur in New York bei den VN und nicht zu tragen. ebenso in Wien bei der OSZE überschritten werden Die diesem Anliegen verpflichteten Überle- darf. gungen sind zugegebenermaßen erste vorsichtige Das entscheidende Argument für die hier skiz- Tastversuche. Für sie ist die Prämisse maßgebend, zierte Entwicklungsrichtung ist, um es noch ein- daß die Vetoposition Rußlands im VNSR – ähn- mal mit anderen Worten zu wiederholen, der liches gilt allerdings auch für weitere ständige Mit- normative Vorsprung der OSZE im Vergleich zu glieder des Sicherheitsrats – eine der letzten Stüt- anderen Regionen der Welt. Ihn zur Geltung brin- zen darstellt, mit denen sich Rußland gleichbe- gen zu wollen, geschieht nicht in der Absicht, die rechtigt auf der internationalen Ebene zu bewegen Ziele und Grundsätze der VN zu unterlaufen und und Gehör zu verschaffen meint. Keine russische dabei zu relativieren. Der OSZE-Raum sollte viel- Regierung wird gewillt und innenpolitisch in der IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 377
Lage sein, diesen Fuß aus der Tür internationaler stand, daß sich zu einer Kosovo Implementation Teilhabe zurückzuziehen. Das ist zumindest dann Force unter dem Kommando der NATO aus west- weitestgehend auszuschließen, wenn vermeintlich licher Sicht offenbar keine plausible Alternative oder tatsächlich die Aussicht besteht, von der bot beziehungsweise bietet. Ebene der VN aus den Handlungsspielraum der Gefragt ist ein Weg, auf dem eine größere NATO, als einem Instrument der einzig verblie- Zuständigkeit der OSZE für Gewaltmaßnahmen benen Macht mit Weltgeltung, kontrollierend zu einhergeht mit der Weiterentwicklung von Vorstel- beeinflussen. Die russische Zustimmung zu den lungen, wie sie etwa im CJTF-Konzept (Combined Vereinbarungen von Dayton im VNSR muß eher als Joint Task Forces) für maßgeschneiderte Streit- Ausnahme von der Regel angesehen werden denn kräftekoalitionen einzelner NATO-Staaten mit Part- als Präzedenzfall. nerstaaten bereits angelegt sind. Denkbar ist aber Angesichts des unkonsolidierten Zustandes auch eine Intensivierung und aufgewertete Insti- Rußlands ist auf unabsehbare Zeit davon auszu- tutionalisierung der Beziehungen Rußlands mit gehen, daß die negative Korrelation zwischen dem der WEU. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die Vorrecht als Vetomacht und den Einsatzoptionen im Petersberger Abkommen der WEU vereinbarten der NATO in bezug auf den europäischen Sicher- friedenserhaltenden Maßnahmen, die eine Gewalt- heitsraum nicht aufgelöst, nicht einmal gelockert option einschließen. 10 Ohnehin ist ein Ungleich- wird. Das schließt indessen auf seiten der außen- gewicht im Verhältnis Rußlands zur Europäischen politischen Entscheidungselite Moskaus die Mög- Union, mit der ein 1997 in Kraft getretenes Part- lichkeit einer Regionalisierung der beim VNSR nerschafts- und Kooperationsabkommen besteht, verankerten Gewaltzuständigkeit offenbar nicht einerseits und zur WEU andererseits entstanden, grundsätzlich aus. Auch dafür finden sich Hin- seit beide Organisationen durch die Verträge von weise in den Verhandlungen über eine Euro- Maastricht und Amsterdam näher aneinander- päische Sicherheitscharta. In ihnen ist es nicht gerückt sind, ein Prozeß, der durch die Einlas- zuletzt die russische Seite, die auf der Mandatsbe- sungen des englischen Premiers Blair über eine rechtigung der OSZE für friedenserhaltende Maß- engere europäische militärische Zusammenarbeit nahmen besteht. Das geschieht gewöhnlich mit und durch die Beschlüsse auf dem Europäischen dem ausdrücklichen oder indirekten Hinweis auf Rat in Köln Anfang Juni 1999 einen zusätzlichen solche Organisationen, die ihre prinzipielle Bereit- politischen Auftrieb erhalten könnte. 11 schaft für friedenserhaltende Maßnahmen erklärt Hinter diesen Bemerkungen verbirgt sich die haben. Unbestritten ist, daß Moskau dabei in Frage, ob eine größere Flexibität Rußlands erreich- erster Linie die Gemeinschaft Unabhängiger Staa- bar wäre, wenn der Kooperationspartner im sicher- ten, oder das, was als Restgruppe aus ihr werden heitspolitischen Bereich zunehmend auch EU / WEU könnte, im Auge hat. Insofern würde Moskau mit heißen würde oder eine hybride Koalition außer- Hilfe der OSZE gerne für sich etwas in Anspruch halb eines festen Bündnisrahmens wäre. Einiges nehmen, wozu es der NATO unter keinen gegen- spricht auf jeden Fall für eine Politik, die die wärtig denkbaren Umständen ein Mandat erteilen Schwelle höher legt, jenseits derer friedenser- würde. Das heißt aber mit anderen Worten, es haltende Maßnahmen nur noch mit dem Poten- geht offenbar nicht um eine grudsätzliche Ableh- tial der NATO durchführbar sind. Rußlands Nei- nung größerer regionaler Zuständigkeiten, son- gung zu friedenserhaltenden Maßnahmen scheint dern um die Bedingungen, unter denen sie in eng mit dem Motto verbunden zu sein: So- Europa umgesetzt werden könnten. Die Frage ist also, ob es Ansatzpunkte gibt oder entwickelt werden können, die es erlauben, 10. Die auf der Tagung des WEU-Ministerrates am 19.6.1992 auf dem Petersberg zu Bonn verabschiedete eine tendenzielle Regionalisierung der Gewaltzu- Petersberg-Erklärung ist abgedruckt in: »Bulletin, ständigkeit mit der Weiterentwicklung sicherheits- No. 68«, 23.6.1992. politischer Konstruktionen zu verbinden, die sich 11. Mit dem Thema befaßt sich ausführlich Peter nicht mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in den Schmidt: »Neuorientierung in der europäischen Sicher- heitspolitik? Britische und britisch-französische Initia- Strukturen der NATO verfangen. Es war eine der tiven«, unveröffentlichtes Arbeitspapier, Stiftung Wissen- Hürden, vor denen die russische Kosovo-Politik schaft und Politik, Ebenhausen, Januar 1999. 378 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter IPG 4/99
viel NATO wie nötig, aber sowenig NATO wie mög- jedoch um die Richtung, in der sich eine Kultur lich. Diesem Motto kann jedoch nur entsprochen regionaler Verantwortung entwickeln kann, die werden, wenn innerstaatliche Konflikte zu einem nicht deshalb eine größere Mandatskompetenz für Zeitpunkt auf die internationale Agenda gesetzt sich beansprucht, weil sie hinter den Zielen der werden, zu dem Zwangsmaßnahmen nicht erfor- VN zurückbleibt, sondern weil sie sich entschlos- derlich sind oder den extensiv ausgelegten Kompe- sener auf sie zubewegt. tenzbereich »regionaler Abmachungen« (noch) nicht überschreiten. Diese Überlegungen übersehen nicht die Ge- fahr eines Rückfalls in eine sicherheitspolitische Kon- stellation wechselnder Bündniszugehörigkeiten, wie sie für Europa mehr als 200 Jahr lang bestimmend waren. Im Gegenteil, dahinter steht vielmehr die Sorge, daß genau dies geschehen könnte, wenn eine Legitimation von Gewaltmaßnahmen durch den VNSR ausbleibt und vor allem deshalb nicht erreichbar ist, weil sie einem von Moskau nicht akzeptierten Bündnis zugute käme. Wenn ein nicht-legitimierter Einsatz von Gewaltmitteln ausgeschlossen werden soll, dann scheint es unumgänglich zu sein, dieses Ziel auch mit Hilfe der OSZE anzugehen. Dazu ist es erfor- derlich, daß die OSZE ihre Mandate und Instru- mente nachhaltig ausfüllt und wahrnimmt. Je mehr sich die Teilnehmerstaaten der OSZE dazu bereitfinden, für den vereinbarten Normenbe- stand mit robusten Mitteln einzutreten, desto dringender wird es, erneut über die Frage einer größeren regionalen Gewaltzuständigkeit nachzu- denken. Die Stimmen aus dem russischen Militär, die der OSZE empfehlen, »mutiger« zu werden, das heißt, ihren Beschluß zur Gewaltlosigkeit zu revi- dieren, haben natürlich keine OSZE-Soldaten im Auge. Ihnen geht es um das Mandat und den Frei- raum (und letztlich dann auch um die finanzielle Lastenteilung), nach eigenem Interesse und Ermessen militärisch tätig zu werden. Doch muß es dabei bleiben, wenn es gelingt, über die Frage militärischer Mittel nicht nur im Rahmen der NATO nachzudenken? Sowenig wie eine europäische Sicherheitsord- nung ein in sich geschlossenes Projekt sein kann, so problematisch wäre es, eine Europäische Sicher- heitscharta als ein abschließendes Dokument zu formulieren. Es sollte Entwicklungsziele enthalten, und Regelungen, die es gewährleisten, die Ziele im Rahmen der Charta anzustreben. Es geht nicht um den einen großen Schritt zu einer Regionalisie- rung von Gewaltzuständigkeit. Es handelt sich IPG 4/99 Plate, Zur künftigen Rolle der OSZE als Friedensstifter 379
Sie können auch lesen