Periprothetische Acetabulumfrakturen - OUP
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92 WISSENSCHAFT / RESEARCH ÜBERSICHTSARBEIT / REVIEW Anna J. Schreiner, Gunnar Ochs Periprothetische Acetabulumfrakturen Zusammenfassung: Periprothetische Acetabulumfrakturen sind seltene, jedoch epidemiologisch bedingt zunehmende Verletzungen bzw. Komplikationen in der Endoprothetik des Hüftgelenkes, die ein oft multimorbides und geriatrisches Patientenkollektiv mit schlechter Knochenqualität betreffen. Man unterscheidet intraoperative von postoperativen Frakturen, die entweder traumatisch akut bedingt sind oder z.B. assoziiert mit vorbestehenden Osteolysen im Rahmen von Niedrigenergietraumata im Sinne von Insuffizienzfrakturen auftreten können. Die intraoperative Inzidenz beträgt bis zu 0,4 % und eine zementierte Press-fit-Versorgung ist mit einem höheren Risiko assoziiert. Die Diagnostik sollte standardmäßig Röntgen und CT umfassen und ggf. durch einen Infekt- ausschluss bei schleichenden Frakturen ergänzt werden. Das zu wählende Behandlungskonzept sollte Faktoren wie Frakturdislokation, Implantatstabilität, Knochenqualität inkl. etwaiger Defekte, funktionellen Patienten- anspruch und auch Erfahrung des chirurgischen Teams mit Erfahrung in der Acetabulumchirurgie als auch Revisionsendoprothetik inklusive Verfügbarkeit eines entsprechenden Implantatportfolios beachten. Die kon- servative Therapie kommt selten zum Einsatz. Operativ sind die Osteosynthese des hinteren Pfeilers und eine stabile Pfannenversorgung elementar. Hierfür stehen diverse Zugänge als auch Implantatoptionen zur Verfügung. Die Therapie periprothetischer Acetabulumfrakturen ist anspruchsvoll und sollte an einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuellen Standards zur Diagnostik inklusive Klassifikationsoptionen und die verschiedenen Therapieoptionen wie auch Algorithmen zur Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen geben. Schlüsselwörter: periprothetische Acetabulumfrakturen, Hüfttotalendoprothese, Revisionsendoprothetik Zitierweise: Schreiner AJ, Ochs G: Periprothetische Acetabulumfrakturen OUP 2020; 9: 092–98 DOI 10.3238/oup.2019.0092–0098 Einleitung und Hintergrund erwartung sowie einer relativen Über- stellen den Operateur und sein Team Erste Beschreibungen periprotheti- alterung der Gesellschaft, aber auch hinsichtlich Patienten-, Implantat- scher Acetabulumfrakturen finden einem hohen Aktivitätslevel ist in Zu- und operationsspezifischen Faktoren sich bereits vor mehr als 40 Jahren, kunft auch von einem Inzidenz- vor chirurgische Herausforderungen jedoch umfasst die gesamte bisherige anstieg periprothetischer Acetabul- [27, 28]. Die Inzidenz intraoperativer Datenlage im Wesentlichen kleine umfrakturen auszugehen und bereits periacetabulärer Frakturen beträgt bei Fallserien oder Fallberichte [13, 28]. jetzt stellen Frakturen des Acetabu- zementierten Pfannen 0–0,2 % und Den Daten des schwedischen Prothe- lums die am stärksten wachsende En- bei zementfreier Press-fit-Veranke- senregisters zufolge sind periprotheti- tität unter den Beckenverletzungen rung 0,06–0,4 % [28]. Biomecha- sche Frakturen nach Lockerungen dar [1]. Die Pathogenese als auch das nische Studien konnten hierfür das und Luxationen der dritthäufigste Therapiespektrum sind vielfältig und höhere intraoperative Frakturrisiko Grund für endoprothetische Revisi- die Frakturursachen können intra-, für die zementfreie Pfannenversor- onseingriffe, jedoch kommt es we- peri-oder postoperativ ausgemacht gung bestätigen. Periacetabuläre Frak- sentlich häufiger zu periprotheti- werden. So sind traumatische von turen können hierbei beim eigentli- schen Femurfrakturen als zu periace- chronisch schleichenden periprothe- chen Pfannenfräsvorgang auftreten, tabulären Frakturen bei einliegender tischen Acetabulumfrakturen z.B. bei beim Einbringen einer Press-fit-Pfan- Hüfttotalendoprothese. Aufgrund osteoporotisch vorgeschwächtem ne (in ein unterfrästes Pfannenlager) steigender Zahlen in der Primärendo- Knochen oder Lysezonen im Bereich oder allein aufgrund hoher Ein- prothetik, zunehmender Lebens- der Pfanne zu unterscheiden und schlagkräfte. Hemisphärische Pfan- Anna J. Schreiner: Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BGU Tübingen B. Gunnar Ochs: Vincentius Orthopädische Fachklinik, Klinikum Konstanz © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
93 Periprosthetic acetabular fractures Summary: Periprosthetic acetabular fractures are rare, but due to epidemiological reasons increasing injuries or complications in the endoprosthetic surgery of the hip joint, which affect an often multimorbid and geriatric patient population with poor bone quality. One has to differentiate between intraoperative and postoperative fractures, which either occur due to traumatic reasons or are, for example, associated with pre-existing osteolysis occurring in the context of low-energy trauma in the sense of insufficiency fractures. The intraoperative inci- dence is reported to be up to 0.4 % and cemented press-fit surgery is associated with a higher risk. Diagnostics should include X-ray and CT as standard and, if necessary, be supplemented by infection diagnostics in the case of osteolytic fractures. The treatment concept to be selected should take into account factors such as fracture dislocation, implant stability, bone quality including any defects, functional patient demands and also the ex- perience of the surgical team with experience in acetabular surgery and revision arthroplasty as well including the availability of a corresponding implant and hardware portfolio. Conservative therapy is rarely applied. Sur- gically, osteosynthesis of the posterior wall and a stable cup restoration are elementary. Various approaches and implant options are available for this purpose. The therapy of periprosthetic acetabular fractures is demanding and should be performed at a specialized center. This article is intended to provide an overview of the current diagnostic standards including classification options and the different treatment options and algorithms for the treatment of periprosthetic acetabular fractures. Keywords: periprosthetic acetabular fractures, total hip replacement, revision arthroplasty Citation: Schreiner AJ, Ochs G: Periprosthetic acetabular fractures. OUP 2020; 9: 092–98 DOI 10.3238/oup.2019.0092–0098 nen haben ein niedrigeres Risiko als durch, die definiert sind als intraope- mit schlechter Knochenqualität über zementfreie Monoblock- oder ellipti- rativ nicht erkannte oder in der post- Wochen hin entwickeln, 0,9 % in der sche Cup-Designs, sind in Übergröße operativen Routinediagnostik über- Revisionsendoprothetik [3]. Auch jedoch auch als riskant zu werten. Da sehene Frakturen [11]. Die Rate ok- chronische Pfannenmigration, peri- intraoperative Frakturen oftmals kulter Frakturen betrug hier 8,4 % bei prothetische Low-grade-Infekte oder nicht oder erst im Verlauf detektiert 406 Patienten mit einer intraoperati- iatrogener Knochenverlust z.B. durch werden, nimmt man an, dass die tat- ven Inzidenz von 0,4 % sowie der su- Komponentenentfernung in der sächliche Inzidenz höher ist. In einer perolateralen Wand als häufigster Wechselendoprothetik können zur aktuellen Arbeit von Dammerer et al. Frakturlokalisation [11]. Bei intraope- Entstehung einer periprothetischer wurden postoperative CTs von 115 rativer Detektion erfolgte eine additi- Acetabulumfraktur beitragen. Prinzi- Patienten innerhalb 30 Tagen nach ve Domschraubenfixierung und es piell können feste Implantate und Hüfttotalendoprothese auf sog. ok- waren insgesamt keine Revisionsein- stabile Frakturen konservativ behan- kulte periprothetische Acetabul- griffe erforderlich [11]. Eine allgemei- delt werden, wohingegen instabile umfrakturen hin untersucht [6]. Hier- ne Häufigkeit postoperativ auftreten- Frakturen und/oder lockere Implanta- bei traten 58 Fälle auf (50,4 %), wobei der periprothetischer Acetabul- te der chirurgischen Intervention ein Großteil dieser Frakturen (45 %) umfrakturen in der Primär- und Revi- bedürfen mit dem Ziel einer Stabili- nicht ins eigentliche Acetabulum ein- sionsendoprothetik ist an sich in der sierung der Fraktur und der Pfannen- strahlte. Inkomplette Säulenfrakturen Literatur jedoch nicht beschrieben. schale mit möglichst rascher Mobi- hatten keinen Einfluss auf das Im- Neben einer klassischen traumati- lisierung der Patienten [12, 27, 28]. plantatüberleben, Frakturen der supe- schen Sturzgenese sind postoperativ rolateralen Wand (17 %) zeigten die v.a. schleichende Frakturen zu beach- Diagnostik höchste Pfannenmigration und 3 der ten, die sich auf dem Boden einer z.B. Intraoperative Hinweise für peripro- 6 okkulten Frakturen der medialen durch Polyethylen-Abrieb bedingten thetische Acetabulumfrakturen sind Wand (10 %) mussten revidiert wer- Lyse im Sinne einer acetabulären In- z.B. plötzliche Widerstandsänderun- den, sodass davon ausgegangen wer- suffizienzfraktur ohne adäquates gen beim Einbringen der Pfanne, eine den kann, dass v.a. unerkannte zen- Trauma durch im Verlauf auftretende fehlende Implantatstabilität oder tral gelegene Frakturen einen Einfluss und ggf. zunehmende Hüftschmer- kein suffizientes Press-fit. Dies sollte auf das Implantatüberleben haben zen äußern können. Laut Berry et al. immer eine intraoperative Röntgen- können [6]. 2017 führten Hasegawa beträgt die Prävalenz von Beckendis- diagnostik sowie einen vorsichtigen et al. ebenfalls eine umfassende CT- kontinuitäten, die sich meist auf dem klinischen Stresstest des Beckens zur Analyse im Hinblick auf okkulte peri- Boden einer insuffizienten medialen Folge haben. Frühe postoperative pe- prothetische Acetabulumfrakturen Begrenzung und oft einhergehend riacetabuläre Frakturen sind meistens © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
Schreiner, Ochs: Periprothetische Acetabulumfrakturen 94 Periprosthetic acetabular fractures Abbildung 1 Algorithmus nach Simon et al. [30] intraoperativ okkult geblieben [9]. fragliche Lockerung vor, kann des letzungen. Die reine Frakturdarstel- Postoperativ ist neben einer regulären Weiteren noch eine SPECT-CT (single lung nimmt jedoch keinen Bezug auf klinischen Hüftuntersuchung, die im photon emission computed tomogra- die ebenso relevante Pfanne. Die erste Frakturfall in der Regel mit Schmer- phie-CT) erwogen werden [31]. spezifische Klassifikation nahmen Pe- zen, verminderter Belastbarkeit wie Auch wenn die Datenlage hinsicht- terson und Lewallen 1996 vor und auch Beweglichkeit einhergeht, eine lich möglicher Infekt assoziierter pe- unterteilten in den Frakturtyp 1 mit ausführliche Anamnese erforderlich, riprothetischer Frakturen noch keine stabiler Pfanne sowie den Frakturtyp um zwischen einer akuten Fraktur Empfehlungen ausspricht, empfehlen 2 mit instabiler Pfanne [21]. Callag- oder schleichenden Genese differen- wir bei einer Anamnese, die einen han beschreibt wiederum vier ver- zieren zu können und den funktio- chronischen Prozess nahelegt, eine schiedene Möglichkeiten intraopera- nellen Anspruch der Patienten, Ko- entsprechende periprothetische In- tiver periprothetischer Acetabul- morbiditäten, Implantatdaten und fektabklärung inklusive Punktion des umfrakturen (Typ A = Vorderwand- ggf. Infektzeichen zu eruieren. Die Hüftgelenkes und soweit logistisch fraktur, Typ B = Querfraktur, Typ röntgenologische Diagnostik sollte möglich, ein konsekutives ein- oder C = inferiore Acetabulumfraktur, Typ immer eine tiefe Beckenaufnahme so- mehrzeitiges Therapieverfahren [28]. D = hintere Wand-/Pfeilerfraktur) [4, wie mind. eine Hüftaufnahme in 2 5]. Paprosky und Della Valle unter- Ebenen umfassen. Neben einer Beur- Klassifikationen scheiden 5 Typen periprothetischer teilung von Pfanne und Schaft hin- Die verschiedenen Klassifikations- Acetabulumfrakturen [8, 18]: sichtlich Lockerungszeichen sollte optionen periprothetischer Acetabul- Typ 1: Intraoperativ (während Kom- auch auf Abriebzeichen geachtet wer- umfrakturen unterscheiden sich hin- ponenteneinbringung) den und das Acetabulum anhand der sichtlich Komplexität und Aus- • a: erkannt, stabile Komponente, bekannten Leitlinien auf Frakturen sagekraft bzw. Anwendung auf intra- undislozierte Fraktur hin untersucht werden [28]. Die ei- oder postoperative Frakturen. Prinzi- • b: erkannt, dislozierte Fraktur, gentliche Frakturanatomie ist schließ- piell können alle ossären Anteile des Pfanne locker lich mittels Computertomographie Acetabulums (quadrilaterale Fläche, • c: intraoperativ nicht erkannt (CT) inkl. Metallartefaktesupprimie- supraacetabulärer Dom) und des an- Typ 2: Intraoperativ (während Im- rung zu beurteilen. Mittels CT-Angio- grenzenden Beckenrings (Os ischium, plantatentfernung) graphie, die schon Peterson und Le- ilium und pubis) von einer peripro- • a: Knochenstockverlust 50 % empfohlen haben und die Simon et fen sein, am häufigsten ist jedoch die Typ 3: Traumatisch al. generell in ihren Therapiealgorith- mediale Begrenzung involviert [21]. • a: stabile Pfanne mus inkludiert haben, können außer- Periprothetische Acetabulumfraktu- • b: instabile Pfanne dem Zusatzinformationen hinsicht- ren können klassisch nach Judet und Typ 4: Spontan lich regionaler Nähe von Fraktur, Letournel eingeteilt werden mit der • a: Knochenstockverlust 50 % ermittelt werden [21, 30]. Liegt eine Grundtypen sowie Kombinationsver- Typ 5: Beckendiskontinuität © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
95 Abbildung 2 Algorithmus nach Pascarella et al. [19] • a: Knochenstockverlust 50 % keit stellten 2018 Pascarella et al. [20]. Auch wenn gemäß Peterson und • c: assoziiert mit Beckenradiatio inkl. Behandlungsalgorithmus vor Lewallen 80 % solcher Frakturen kon- Davidson et al. reduzierten dies in ih- [19] (Tab. 1). Eine umfassende OP- servativ ausheilen, hat sich eine hohe rer Klassifikation 2008 in Anlehnung Planung sollte beim Vorliegen ossärer Rate an sekundären Lockerungen ge- an die Vancouver-Klassifikation auf 3 acetabulärer Defekte noch eine ent- zeigt [21]. Die chirurgische Versor- Typen periprothetischer Acetabul- sprechende Klassifizierung derselben gung ist daher insgesamt viel häufi- umfrakturen (I = undislozierte Frak- z.B. nach Paprosky et al. beinhalten, ger indiziert und muss hierbei v.a. der tur, II = I mit gefährdeter Rekonstruk- da Lage und Umfang der Knochende- Stabilität des hinteren Pfeilers in der tionsstabilität, III = dislozierte Frak- fekte einen Einfluss auf die Art der Regel mittels Osteosynthese Rech- tur) [7]. Seit 2014 gibt es auch die Stabilisierung und der acetabulären nung tragen [14, 15]. Werden instabi- umfassende Klassifikationsmöglich- Rekonstruktion hat [18, 22]. le Frakturen und gelockerte Implanta- keit gemäß dem Unified Classificati- te nicht operativ adressiert, resultie- on System (UCS), das in Anlehnung Therapie und Algorithmus ren neben Schmerzen und Funktions- an die bekannte AO-Klassifikation Die Hauptziele in der Versorgung pe- defizit Komplikationen wie Blutung, von Duncan und Haddad zur univer- riprothetischer Acetabulumfrakturen Instabilität, Pseudarthrose und zu- sellen Anwendung auf alle peripro- sind, wenn möglich, ein Erhalt der nehmende Pfannenlockerung [29, thetischen Frakturen publiziert wurde Prothese und im Revisionsfall die 30]. Nichtsdestotrotz ist die 1-Jahres- [10]. Für periprothetische Acetabul- Wiederherstellung des anatomischen Mortalität nach operativer Versor- umfrakturen gilt der Code IV,1 (Ace- Rotationszentrums, physiologischen gung periprothetischer Frakturen ins- tabulum, Becken) mit Subklassifizie- Offsets sowie ggf. die Rekonstruktion gesamt mit 11−15 % hoch und spie- rung gemäß der Frakturtypen A-F. Ei- ossärer Defekte und des Beckenringes gelt damit auch das meist anspruchs- ne therapeutische Indikation ist je- mit Erzielung einer Langzeitstabilität volle, multimorbide Patientenkollek- doch nicht inkludiert. Simon et al. durch Osteointegration sowie eines tiv mit oft schlechter Knochenquali- wiederum basieren ihren Behand- adäquaten funktionellen Ergebnisses tät und hohem Alter wider, sodass lungsalgorithmus auf einer ätiologi- [27]. In stabilen Situationen wie einer entsprechend eine geringe Patienten- schen Einteilung in perioperative, Schambeinastbeteiligung oder einer belastung und eine möglichst belas- traumatische und osteolytisch be- nicht dislozierten Acetabulumfraktur tungsstabile Mobilisierung erreicht dingte periprothetische Acetabul- kann bei einem stabilen Implantat werden sollte durch ein Behand- umfrakturen inklusive der Faktoren die konservative Therapie mit mehr- lungsteam an einem Zentrum mit Stabilität der Pfanne, Dislokations- wöchiger Teilbelastung sowie ggf. li- ausreichend Erfahrung in der Aceta- grad der Fraktur und Knochenquali- mitierter Hüftflexion erfolgen. Dies bulumchirurgie als auch in der Revi- tät [30]. Eine einfach anzuwendende, ist jedoch frühestens ein Jahr nach sionsendoprothetik sowie Verfügbar- © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
Schreiner, Ochs: Periprothetische Acetabulumfrakturen 96 Periprosthetic acetabular fractures Abbildung 3 Präoperatives Röntgenbild keit eines entsprechenden Implantat- portfolios [1, 28]. Im operativen Ka- sus steht initial die Wahl des geeigne- ten Zugangs oder auch einer Zu- gangskombination. Wenn möglich, sollte der vorbestehende Zugang ver- wendet oder erweitert werden. Vom Typ bzw. Ausmaß der periprotheti- schen Fraktur abhängig ist des Wei- Abbildung 4 Präoperative CT-Diagnostik teren zu entscheiden, ob eine alleini- ge Osteosynthese und/oder ein Pfan- nenwechsel erfolgen muss. Außer- dem muss im Fall einer Hemiprothe- se ggf. ein Wechsel auf eine Totalen- doprothese erwogen werden. Im in- traoperativen Fall einer erkannten Abbildungen: P. G. Ochs Acetabulumfraktur bei Hüftprothe- senimplantation oder Wechsel ist ei- ne Anpassung der Pfannenveranke- rung vorzunehmen [30]. Bei frühzei- tig postoperativ erkannten intraope- rativen Frakturen sollten bei gegebe- ner Stabilität engmaschige Röntgen- Abbildung 5 Postoperative Röntgenkontrolle kontrollen durchgeführt werden (sog. Subgruppe 1 nach Benazzo), wohin- gegen übersehene Frakturen mit ent- sprechender Pfannenmigration oder dem Pfannenwechsel. Liegen aceta- und ggf. auf eine Reposition der ei- Diskontinuität (sog. Subgruppe 2 buläre Knochendefekte vor, ist eine gentlichen Fraktur zu verzichten [25]. nach Benazzo) der frühen Revision Defektadressierung gemäß Paprosky Die Erfahrung mit einer solchen zuzuführen sind [2]. Tabelle 2 und 3 et al. zu empfehlen [17]. Generell Technik ist aktuell jedoch noch als zeigen eine Übersicht der möglichen werden „contained“ Defekte eher mit begrenzt zu werten. Zugangswege und des empfohlenen autologem oder allogenem Knochen Es ist des Weiteren wichtig, im Implantatportfolios. aufgefüllt und „uncontained“ Defek- Rahmen der Therapieplanung nach- Aufgrund der oft notwendigen os- te wie auch solche in der Hauptbelas- zuvollziehen, inwiefern es sich um ei- teosynthetischen Stabilisierung des tungzone mit Allograft oder Augmen- ne schleichende Frakturgenese oder hinteren Pfeilers ist entsprechend ten stabilisiert. Des Weiteren ist im rein traumatologische Frakturentste- meistens ein hinterer Zugang erfor- Revisionsfall die zementfreie der ze- hung handelt, um den verbleibenden derlich. Neuere, intrapelvine Zugänge mentierten Versorgung vorzuziehen Knochenstockanteil bzw. das biologi- erlauben eine gute Situssicht und ei- [17]. Neben den dargestellten etab- sche Integrationspotential und Hei- ne gewebeschonende Versorgung. lierten Systemen gibt es mittlerweile lungspotential der Diskontinuität Obligat ist in jedem Fall auch immer auch Ansätze, Patienten individuelle richtig einzuschätzen [27]. Das Prin- die intraoperative Stabilitätsprüfung Implantate einzusetzen, um eine we- zip der Kompression mittels Osteo- der femoralen Komponente sowie der nig invasive Option zur Pfannen- synthese ist für die klassische Fraktur Hüftkopfwechsel bei durchzuführen- lagerwiederherstellung zu nutzen anzuwenden, wohingegen bei der © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
97 chronischen Instabilität mit reduzier- duzierter Knochenqualität erfolgte treten können. Die Diagnostik sollte ter Knochenqualität auf Distraktion die Versorgung mit einer modularen immer eine Röntgen- als auch eine gesetzt wird (Tab. 2). Dies ist mittels Kranialzapfenpfanne. Die postopera- CT-Bildgebung umfassen und ggf. Cup-and-Augment, Cage-and-Aug- tive Röntgenkontrolle (Beckenüber- durch einen Infektausschluss bei ent- ment oder Cup-Cage-Konstrukten er- sicht, Hüfte axial, Ala- und Obtur- sprechender Anamnese ergänzt wer- zielbar, die mittlerweile meistens aus atoraufnahme) zeigt die erfolgte Re- den. Das zu wählende Behandlungs- Biomaterialien wie Tantal oder trabe- konstruktion des Hüftgelenkes konzept sollte verschiedene Faktoren kulärem Titan bestehen, die eine effi- (Abb. 3–5). beachten. Hierzu zählen Frakturdis- ziente ossäre Integration ermöglichen lokation, Implantatstabilität, Kno- [2]. In der Literatur zur Zeit am aktu- Zusammenfassung und chenqualität, funktioneller Patien- ellsten verfügbaren Fallserie von Hi- Schlussfolgerung tenanspruch sowie Erfahrung in Ace- ckerson et al. werden verschiedene Periprothetische Acetabulumfraktu- tabulumchirurgie als auch Revisions- Therapieprinzipen angewandt [13]. ren sind seltene, jedoch zunehmende endoprothetik des chirurgischen Rogers et al. stellten außerdem für die Verletzungen, die ein oft multimorbi- Teams inklusive Verfügbarkeit eines Beckendiskontinuität einen guten Be- des und geriatrisches Patientenkollek- entsprechenden Implantatportfolios. handlungsalgorithmus zusammen tiv betreffen. Man unterscheidet in- Die konservative Therapie kommt [26]. Hierbei sollte man auch die traoperative von postoperativen Frak- selten zum Einsatz. Operativ spielt Möglichkeit einer zweizeitigen Ver- turen, die entweder traumatisch akut die in der Regel osteosynthetische sorgung im Hinterkopf haben, die zu- bedingt sind oder z.B. assoziiert mit Stabilisierung der hinteren Säule eine nächst eine reine Frakturkonsolidie- vorbestehenden Osteolysen im Rah- tragende Rolle sowie die Erzielung ei- rung erlaubt, wenn bei der Erstversor- men von Niedrigenergietraumata im ner adäquaten Pfannenfixierung in gung aufgrund reduzierter Knochen- Sinne von Insuffizienzfrakturen auf- einem stabilen Pfannenwiderlager. qualität keine rigide und stabile ace- tabuläre Konstruktion möglich ist [2]. Verschiedene Autoren haben bis- her versucht, die bisher rare Entität Zeitpunkt Prothesenstabilität der periprothetischen Acetabul- umfrakturen samt Entscheidungsfak- 1. a. Prothese stabil intraoperativ b. Prothese instabil toren und Therapieprinzipien algo- rithmisch zusammenzufassen. Masri 2. a. Prothese stabil et al. orientierten sich 2004 ähnlich postoperativ/ b. Prothese instabil, Trauma assoziiert wie Peterson und Lewallen zunächst traumatisch c. Prothese instabil, Lockerung vor Trauma (Osteolysen/ Knochenverlust) an der Stabilität der Pfanne, um dann abhängig von der Frakturdislokation Tabelle 1 Klassifikation periprothetischer Acetabulumfrakturen gemäß Pascarella et al. [19] im stabilen Fall und dem Knochen- stock im instabilen Fall das weitere Vorgehen festzulegen [16]. Pierce et Becken Dorsaler Zugang (Kocher-Langenbeck) al. orientierten sich an der Paprosky- Ilioinguinaler Zugang (Letournel, 3 Fenster) Klassifikation und Potty et al. wieder- Intrapelvine Zugänge (z.B. modifizierter Stoppa-Zugang, Pararectus-Zugang nach Keel, minimal-invasiver Zugang für um an Helfet et al [23, 24]. Simon et die anteriore Säule) al. präsentierten 2015 einen umfas- senden, auf dem Entstehungsmecha- Hüfte Posteriorer Zugang (Moore, Kocher-Langenbeck) nismus und Frakturtyp beruhenden Lateraler Zugang (transgluteal nach Bauer) Anterolateraler Zugang (Watson-Jones) Behandlungsalgorithmus [30] (Abb. Cave: Anteriorer Zugang nicht geeignet 1). Die aktuellste Klassifikation und Handlungsempfehlung wurde von Tabelle 2 Zugangsoptionen zur Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen Pascarella et al. 2018 publiziert (Tab. 1) und kombiniert die Vorteile der o.g. relevanten Algorithmen von Osteosynthese Platten (Reko-, Buttress), Schrauben Masri bzw. Simon et al. (Abb. 2). Endoprothese Sphärische Pressfit-Pfanne (ggf. mit Pfahlschrauben) Fallbeispiel Ovaläre Pressfit-Pfanne (mit/ohne Kranialzapfenverankerung) Jumbo-Cup 80-jähriger Patient mit periprotheti- Stützschalen (z.B. Ganz-Schale) oder Abstützringe (z.B. Burch- scher Acetabulumfraktur rechts nach Schneider-Ring) zur Defektüberbrückung, ggf. mit Augmenten Stolpersturz auf die Hüfte. In der prä- (sog. Cage-and-Augment-Technik) Trabecular Metal™ Acetabulum-Revisionssystem, ggf. mit operativen Röntgen- und CT-Diag- TM™-Augmenten (sog. Cup-and-Augment-Technik); alternativ nostik zeigt sich eine Pfannenlocke- Verwendung von trabecular titan) rung und die Frakturausdehnung in Cup-Cage-Konstrukte Individueller Beckenteilersatz den hinteren Pfeiler sowie der Z.n. Beckenringfraktur. Bei insgesamt re- Tabelle 3 Implantatportfolio zur Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen © Deutscher Ärzteverlag | OUP | Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis | 2020; 9 (2)
Schreiner, Ochs: Periprothetische Acetabulumfrakturen 98 Periprosthetic acetabular fractures Hierbei kommen meist dorsale Zu- 11. Hasegawa K, Kabata T, Kajino Y, throplasty. Expert Rev Med Devices gänge zum Einsatz. Die herausfor- Inoue D, Tsuchiya H: Periprosthetic 2015; 12: 307–15 Occult Fractures of the Acetabulum dernde Versorgung periprothetischer 24. Potty AG, Corona J, Manning BT, Le Occur Frequently During Primary Acetabulumfrakturen sollte an einem A, Saleh KJ: Acute periprosthetic THA. Clinical orthopaedics and rela- fractures of the acetabulum after to- spezialisierten Zentrum erfolgen. ted research 2017; 475: 484–94 tal hip arthroplasty. Instr Course Lect. 12. Herath SC, Rollmann MF, Histing T, 2014; 63: 199–207 Holstein JH, Pohlemann T: Peripro- 25. Resch H, Krappinger D, Moroder P, Interessenkonflikt: sthetic acetabular fractures in ger- Blauth M, Becker J: Treatment of peri- Keine angegeben iatric patients. 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