Persönlicher Rückblick zum Thema "Bedrohungsmanagement" von 2011 bis 2017 - Schweizerisches Polizei-Institut

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PERSÖNLICHER RÜCKBLICK ZUM THEMA «BEDROHUNGSMANAGEMENT» VON 2011 BIS 2017

Persönlicher Rückblick zum Thema
«Bedrohungsmanagement»
von 2011 bis 2017
                                                                         Stephan Hofmann
                                     Zuger Polizei, Kriminalpolizei, Lagezentrum / Analyse

Das Jahr 2001 war nebst anderem auch gekenn-                      Einleitung
zeichnet durch «9/11» und den Massenmord in                       Das Jahr 2001 war nebst anderem auch gekenn-
Zug. Der Autor dieses Beitrags war damals junger                  zeichnet durch «9/11» und den Massenmord in
Streifenpolizist bei der Zuger Polizei und hatte,                 Zug. Ich war damals junger Streifenpolizist bei der
inklusive Polizeischule, gerade einmal knapp fünf                 Zuger Polizei und hatte, inklusive Polizeischule, ge-
Dienstjahre absolviert. 2011, zehn Jahre nach dem                 rade einmal knapp fünf Dienstjahre absolviert. 2011,
Ereignis, zeigte eine Umfrage bei den deutsch-                    zehn Jahre später, erhielt ich die Gelegenheit, meine
sprachigen Polizeikorps grosses Interesse an der                  Diplomarbeit zum Polizist HFP zur Thematik «Be-
Thematik. Mit diffusen Drohungen ohne straf-                      drohungsanalyse» zu verfassen und mich mit dem
rechtliche Relevanz und Querulanten, welche für                   Thema «Gewaltprävention» auseinanderzusetzen.
Unbehagen oder mangelndes Sicherheitsgefühl                       2017, sechs Jahre nach dem Erstellen der Arbeit und
sorgten, waren die meisten Polizeikorps konfron-                  16 Jahre nach dem Ereignis in Zug, schreibe ich die-
tiert. Die Wissenschaft und die Polizei näherten                  sen Artikel und versuche, einen Abriss aus meiner
sich einander an und begannen eine gemeinsame                     persönlichen Optik über diese Zeitspanne zu geben.
Sprache zu sprechen. Diese Entwicklung zieht
sich in konstruktiver Art weiter bis zum aktuellen                Persönliche Motivation zu diesem Thema
Datum. 2011 bezog sich die primäre Frage auf die                  Es war der 27. September 2001, als in Zug die Uhren
Gefahr, welche von einer Person ausgeht. 2017                     stillstanden. Wenige Tage nach den Terroranschlä-
erarbeitet man mögliche Varianten von Szenari-                    gen in den USA stockte in der Schweiz erneut der
en und sucht nach individuellen Lösungen, und                     Atem. Im Parlamentsgebäude von Zug wurden 14
dies oftmals in interdisziplinärer Zusammenar-                    Personen durch einen Täter erschossen. Der Täter
beit. Es ist wünschenswert, dass alle Kantone die                 richtete sich beim Ertönen der ersten Sirenen selbst.
nötigen Ressourcen für einen Gewaltschutz be-                     Drei von sieben Regierungsräten waren tot, der Si-
reitstellen. Der Kanton Zug hat keine Fachstelle                  cherheitsdirektor lag schwer verletzt im Spital. Ein
Gewaltschutz. Aktuell berät der Kantonsrat die                    Kanton stand unter Schock, eine kantonale Verwal-
Schaffung von 0.5 Personaleinheiten für eine                      tung war weitgehend ohne politische Führung.
«Variante Light» bei der Zuger Polizei. Auch wenn                     Als junger Polizist erlebte ich hautnah die Folgen
ein Gewaltschutz keine hundertprozentige Si-                      einer solchen Tat: Das Alarmaufgebot für die ganze
cherheit bieten kann, so ist es das, was der Staat                Zuger Polizei, die ersten Radiomeldungen über eine
zum Schutze des Bürgers tun kann. Betroffenheit                   angebliche Schiesserei mit mehreren Toten während
nach Tötungsdelikten reicht allein nicht aus – es                 der Anfahrt, die Angst, dass persönlich Bekannte un-
braucht entschlossenes, konsequentes Handeln                      ter den Toten sein könnten, das zunehmende Ver-
durch den Staat!                                                  kehrschaos auf dem Weg nach Zug, die spürbare Be-
                                                                  troffenheit bei der Ankunft im Hauptgebäude oder
                                                                  die operative Hektik während der nachfolgenden
                                                                  Dienstzeit sind auch nach dieser Zeit noch präsent.
                                                                  Es musste einerseits die Lage bewältigt und ander-
                                                                  seits eine minimale, polizeiliche Grundversorgung

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sichergestellt werden. Gut in Erinnerung ist mir auch    angeschrieben und mit einem Fragebogen bedient.
geblieben, wie anspruchsvoll es für ein Polizeikorps     Die Rücklaufquote betrug 100 Prozent und es war
ist, nach einem solchen Ereignis wieder herunterzu-      ein grosses Interesse an der Thematik erkennbar. Aus
fahren und sich zu stabilisieren, um die langfristige    den Antworten konn-
Durchhaltefähigkeit sicherzustellen. Die polizeiliche    te entnommen wer-
                                                                                    Die Umfrage zeigte, dass 2011
Grundversorgung musste auch nach einer solchen           den, dass einige Korps praktisch alle Polizeikorps in
Tragödie aufrechterhalten bleiben.                       an der Ausarbeitung irgendeiner Form mit diffusen
    In der Folge galt es, die überlebenden Regie-        eines Konzeptes zum Drohungen und Querulanten kon-
rungsräte adäquat zu schützen. Subjektiv nahm ich        Thema «Bedrohungs- frontiert waren. Die Bandbreite,
während den Monaten nach dem Ereignis eine tiefe         management» waren. wie damit umgegangen wurde, war
Verbundenheit zwischen der Bevölkerung und dem           Ländliche und kleine-
                                                                                    jedoch erstaunlich gross.
Korps der Zuger Polizei wahr. Gleichzeitig erlebte       re Korps beriefen sich
ich diese Zeit aber auch in einer Art von Hilflosig-     auf die Überschaubarkeit des zuständigen Gebietes
keit. Querulanten und frustrierte Personen fanden        und deren Bevölkerung und stellten den Nutzen
sich in ihrem Ungerechtigkeitsempfinden und Groll        in Frage. Es wurde auch teilweise die Befürchtung
gegenüber der Verwaltung und der Politik bestätigt.      geäussert, dass die Verantwortung an ein Beurtei-
Subtile Anspielungen auf den Massenmord wurden           lungssystem abgeschoben werde. Die Umfrage
geäussert. Oftmals waren das zwar keine Drohun-          zeigte, dass 2011 praktisch alle Polizeikorps in ir-
gen im strafrechtlichen Sinne – die Aussagen erzeug-     gendeiner Form mit diffusen Drohungen und Que-
ten dennoch Unsicherheit, Unbehagen, Angst oder          rulanten konfrontiert waren. Die Bandbreite, wie
machten einfach wütend. Es lässt sich leider nicht       damit umgegangen wurde, war jedoch erstaunlich
mehr zahlenmässig verifizieren, aber subjektiv hatte     gross (Hofmann 2011).
ich den Eindruck, dass während den folgenden Mo-            Bei der Zuger Polizei war 2011 ein abteilungs-
naten mehr Personen wegen diffusen Äusserungen           übergreifendes «Bedrohungs-Analyse-Team», kurz
festgenommen worden sind als zuvor oder als dies         BAT genannt, im Einsatz. Das Team bestand aus Mit-
aktuell der Fall ist. Oftmals mit der Erkenntnis, dass   gliedern der Sicherheits- (SIP) und der Kriminalpo-
die Festgenommenen bereits nach kurzer Zeit wie-         lizei (KRI). Darunter befanden sich Vertreter/-innen
der in Freiheit waren und alles beim Alten blieb. Als    der stationierten Polizei (SIP), des Ermittlungsdiens-
Polizist war dieser Umstand nicht befriedigend. Es       tes (KRI), des Jugenddelikte-Dienstes (KRI) sowie
fehlten nachhaltige Massnahmen.                          der Kriminalanalyse (KRI). Die Tätigkeit erfolgte im
    Die persönlichen Eindrücke aus dieser Zeit, ins-     Milizsystem. 2011 war das Thema «Bedrohungsana-
besondere der anschliessende hilflose Umgang mit         lyse» eng mit der Thematik «Schulamok» gekoppelt.
subtilen Drohungen und Anspielungen auf Gewalt-          Daher unterstand die Leitung des BAT dem Dienst-
delikte, prägen mein Handeln auch heute noch. Ich        chef Jugenddelikte.
fühle mich sowohl als Mensch wie auch als Polizist          Die praktischen Erfahrungen zeigten jedoch
persönlich in der Pflicht. 2011, zehn Jahre nach dem     rasch, dass die Umsetzung in dieser Art nicht mög-
Massenmord in Zug, erhielt ich die Gelegenheit, zur      lich ist. Die fach- und zeitgerechte Bearbeitung von
Thematik «Bedrohungsanalyse» meine Diplomarbeit          Fällen scheiterte an der Auslastung in Bezug auf die
zum Polizist HFP zu schreiben (Hofmann 2011). Das        jeweilige Haupttätigkeit. Die Ressourcen waren zu
Thema fesselte mich. In der Folge entschloss ich         knapp, um die hohe Verantwortung entsprechend
mich zu einem mehrjährigen, berufsbegleitenden           wahrnehmen zu können.
Studium am Institut für Opferschutz und Täterbe-
handlung (IOT) an der Universität Zürich im Bereich      Interdisziplinäre Zusammenarbeit 2011
«Prognostik», welches ich 2017 mit einem Diploma         Im Zusammenhang mit den Recherchen wurden
of Advanced Studies erfolgreich abschloss.               auch die forensischen Psychiater Prof. Dr. Frank
                                                         Urbaniok, Prof. Dr. Volker Dittmann und Dr. Josef
Rahmenbedingungen 2011                                   Sachs interviewt. Von einer durch ein gewisses Miss-
Im Rahmen dieser Diplomarbeit wurden 2011 24             trauen geprägten Distanz zwischen der forensischen
Organisationen (Polizeikorps und Strafanstalten)         Psychologie/Psychiatrie und der Polizei ausgehend

format magazine no 7                                                                                            61
PERSÖNLICHER RÜCKBLICK ZUM THEMA «BEDROHUNGSMANAGEMENT» VON 2011 BIS 2017

              erstaunte es umso mehr, dass diese drei Kapazitä-                   lichkeiten auf die einzelnen Items (Fragen) sind JA,
              ten auf die Anfrage per Mail innerhalb kurzer Zeit                  NEIN oder keine Angaben.
              positiv reagierten. Bei allen drei Ärzten ist das hohe,                Die Anwendung von Checklisten benötigt in der
              persönliche Engagement in der Thematik in positiver                 Regel kein Indexdelikt. Checklisten ergeben einen
              Erinnerung geblieben. Darunter fällt auch die hohe                  Hinweis auf die allenfalls vorhandenen Risiko- und
              Bereitschaft, mit der Polizei aktiv und interdiszipli-              Schutzfaktoren.
              näre zusammenzuarbeiten. Einige Beispiele dieser                       Einzelne Polizeikorps hatten 2011 bereits positive
              Bereitschaft waren die Zeit, welche sie zur Verfü-                  Erfahrungen mit Gefährder- oder Präventivanspra-
              gung stellten, die einfache Sprache, welcher sie sich               chen zu verzeichnen. Für diese Gespräche gibt es
              bedienten, die auf das Wesentliche beschränkte                      unterschiedlichste Bezeichnungen. Trotzdem sind
              Darstellung dieses komplexen Themas und die akti-                   immer drei Ziele damit verbunden:
              ve Unterstützung, welche über das Interview hinaus                    1. Informationsgewinnung: Was ist die Sichtweise des Täters?
              fortbestand.                                                          2. Grenzziehung: Normverdeutlichung gegenüber dem Täter.
                                                                                       «Dein Verhalten wird nicht akzeptiert!»
              Arbeitsweise 2011                                                     3. Hilfestellung: Alternativen zum aktuellen Verhalten und
              Das Hauptaugenmerk galt 2011 der Erkennung po-                           deren positiven Effekt aufzeigen.
              tenzieller Täter sowie der polizeilichen Beurteilung,                    (Hoffmann 2009)
              welche akute Gefahr von einer Person ausgeht.                          Das Produkt der Diplomarbeit war 2011 ein Chart
              Letzteres wird mittels Risk-Assessments eingestuft.                 mit der grafischen Darstellung der verschiedenen
              Die Risk-Assessments sind damals wie heute in drei                  Risiko- und Schutzfaktoren.
              Kategorien unterteilt:
                 «Begriffsklärung                                                 Rahmenbedingungen 2017
                 •	Die Risk-Assessment-Instrumente, die einer standardisier-     Sechs Jahre nach dem Verfassen der Diplomarbeit
                   ten mechanischen Beurteilung entsprechen, werden auch          oder 16 Jahre nach dem Massenmord in Zug ist
                   ‹aktuarische Risk-Assessment Instrumente› genannt […].         der «Gewaltschutz» bei vielen Polizeikorps fes-
                 •	Checklisten, die die bei einer Risikobeurteilung zu berück-   ter Bestandteil geworden. Bei der Zuger Polizei
                   sichtigenden Merkmale beschreiben, ohne einen Auswer-          gibt es 2017 eine Fachstelle zum Thema «häus-
                   tungsalgorithmus oder eine standardisierte Interpretation      liche Gewalt», jedoch keinen eigentlichen Dienst
                   des Ergebnisses vorzugeben, werden auch ‹strukturiertes        «Gewaltschutz». Präventivansprachen werden im
                   klinisches Urteil› genannt.                                    Zusammenhang mit «häuslicher Gewalt» und bei
                 •	Klinische Beurteilungen, die ohne Verwendung von Risk-        Verdacht von Radikalisierung mit möglichem Ge-
                   Assessment-Instrumenten vorgenommen werden, werden             waltbezug durchgeführt. Die Wirksamkeit, bereits
                   unstrukturierte klinische Beurteilung genannt.»                niederschwellig mit den entsprechenden Perso-
                   (Rossegger, Endrass, & Gerth 2012)                             nen präventiv Kontakt aufzunehmen und das Ge-
                 Der polizeiliche Fokus lag auf den ersten bei-                   spräch zu suchen, hat sich meiner Erfahrung nach
             den Methoden. Der entscheidende Unterschied                          bewährt.
             dieser Methoden besteht darin, dass die standa-                         Seit dem 22. September 2016 ist auf der Website
             risierten, mechanischen Tools eine Aussage über                      des Kantons Zug ein Ablaufschema zum Thema Ge-
             die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Personen                       waltschutz aufgeschaltet (Sicherheitsdirektion des
                                        mit einer hohen oder                      Kantons Zug 2016).
     Einzelne Polizeikorps hatten niedrigen            Rückfall-                     Am 26. Oktober 2017 beriet der Zuger Kan-
2011 bereits positive Erfahrungen wahrscheinlichkeit er-                          tonsrat über eine Änderung des kantonalen
     mit Gefährder- oder Präven- geben. Voraussetzung                             Polizeigesetzes. Laut einem Kommentar des
   tivansprachen zu verzeichnen. zur Anwendung ist da-                            Chefredakteurs der Zuger Zeitung sollen nun
                                        bei, dass die Person zu-                  Verwaltungsangestellte und Behördenmitglieder
             vor ein definiertes Indexdelikt begangen hat. Der                    Vorfälle mit potenziell gewalttätigen Personen
             Deliktkatalog des Ontario Domestic Assault Risk                      der Polizei melden können. Die Einführung eines
             Assessment (ODARA) bezieht sich auf Gewaltde-                        umfassenden Bedrohungsmanagements mit zwei
             likte gegen die (Ex-)Partnerin. Die Antwortmög-                      zusätzlichen Personalstellen sei zu Gunsten einer

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abgemagerten Lösung mit 0.5 Stellen ersetzt wor-                  Die Zuger Polizei wendet das Octagon im Bereich
den. Der Chefredakteur stellt in seinem Artikel mit               der potentiellen, gewaltbezogenen Radikalisierung
der Überschrift «Bedrohungsmeldung: Besser als                    ebenfalls an. Das SPI instruierte 2017 im Kurs Be-
gar nichts?» kritische Fragen an die Adresse der                  drohungsmanagement und in einer angepassten Va-
Zuger Politik (Ziegler 2017).                                     riante im Kurs Polizeiliche Verhandlungsführung die
                                                                  fachgerechte Anwendung des Octagons. Das Octa-
Interdisziplinäre Zusammenarbeit 2017                             gon beinhaltet die Elemente:
Am Internationalen Symposium forensische Psy-                     • Persönlichkeit
chologie und Psychiatrie (ISFPP) werden alljährlich               • Deliktische Vorbelastung
verschiedene Themen wie Risk-Assessment, For-                     • Gewalt Vorbelastung
schung, Extremismus usw. behandelt. Während in                    • Psychische Vorbelastung
den Anfangsjahren Polizeiangehörige eher margi-                   • Akute psychische Belastung
nal vertreten waren, konnte 2017 doch eine statt-                 • Akutes Problemverhalten
hafte Anzahl erkannt werden. Während den Pau-                     • Akuter Kontext
sen fanden angeregte, interdisziplinäre Gespräche                 • Akute Reaktion auf Intervention
statt. Es machte den Eindruck, dass eine erfreuliche
Annäherung der einzelnen Fachgebiete stattgefun-                  Typologie: Die Gewaltbereitschaft der Person ist …
den hat. Die Polizei wird als verlässlicher Partner               • Normativ legitimierte Gewalt
anerkannt und es wird gegenseitig auf Augenhöhe                   • Symptom abhängige Gewalt
kommuniziert.                                                     • Persönlichkeitsspezifische Gewalt
                                                                  • Kontextabhängige Gewalt
Arbeitsweise 2017
Im Jahr 2017 hat der Terror in Zentraleuropa einen                Das Resultat wird mittels einer Interventionsmatrix
neuen Höhepunkt erreicht. Der Nachrichtendienst                   visualisiert (Endrass & Rossegger 2017).
des Bundes (NDB) schreibt in seinem Lagebericht                      Das Octagon liefert eine solide Grundlage, um
2017:                                                             das (diffuse) Verhalten einer Person fassbar dar-
    «Die terroristische Bedrohung in der Schweiz bleibt erhöht.   zustellen. Darauf ab-
[…] Von ausländischen Terrororganisationen inspirierte Ein-       gestützt können ver-
                                                                                              Das Octagon [...] erlaubt der
zelpersonen und Kleingruppen, die in der Schweiz Anschläge        schiedene,      mögliche Polizei, vorbehaltene Entschlüsse
verüben oder von der Schweiz aus Anschläge im Ausland vor-        Szenarien als Arbeits- zu fassen, aber auch Massnahmen
bereiten, stellen dabei die wahrscheinlichste Bedrohung dar.»     hypothesen abgeleitet zu ergreifen, bei denen eine pro-
(Nachrichtendienst des Bundes 2017)                               werden. Dies erlaubt tektive, stabilisierende Wirkung
    Während 2011 der Fokus auf «Schulamok» lag,                   der Polizei, vorbehal- zu erwarten ist.
liegt er 2017 auf dem Stichwort «Terror». Die Ab-                 tene Entschlüsse zu
grenzung zwischen «Terror» und «Nicht-Terror» ist                 fassen, aber auch Massnahmen zu ergreifen, bei
schwierig. Inwieweit religiöser Wahn von nicht re-                denen eine protektive, stabilisierende Wirkung zu
ligionsbezogenem Wahn, religiöse Gewaltaffinität                  erwarten ist. Die Lösungsansätze sind individuell
von nicht religionsbezogener Gewaltaffinität unter-               und oftmals sehr spezifisch auf die einzelne Prob-
schieden werden kann, ist schwierig zu beurteilen.                lematik angepasst.
Die Opfer von Gewalttaten dürfte dies auch wenig                     Das Denken in Szenarien und das Erarbeiten
interessieren. Sie wurden Opfer und haben ebenso                  von Lösungsansätzen stärkt den polizeilichen Rap-
wie ihre Angehörigen möglicherweise ein Leben                     port und gibt diesem zusätzlich Substanz. Während
lang an den Folgen zu leiden. Eine gewaltbezogene                 es 2011 primär darum ging, die möglichen Risiken
Radikalisierung ist ein dynamischer Prozess, welcher              aufzuzeigen, ermöglicht das Octagon inzwischen
wie ein potentieller Schulamoktäter möglichst früh-               ein differenzierteres Skizzieren des polizeilichen
zeitig vor der Tatausübung erkannt und nachhaltig                 Gegenübers und den gezielten Einsatz des Case-
gestoppt werden soll.                                             Managements. Der Polizeirapport erhält in der Fol-
    In einigen Kantonen findet im Zusammenhang                    ge mehr Gewicht und der Beruf der Polizistin/des
mit dem Gewaltschutz das Octagon Anwendung.                       Polizisten wird gestärkt.

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PERSÖNLICHER RÜCKBLICK ZUM THEMA «BEDROHUNGSMANAGEMENT» VON 2011 BIS 2017

            Rolle der Medien 2017                                                        Durch das SPI werden inzwischen Kurse in Be-
            Aus der Suizidforschung ist der Werther-Effekt 1 be-                      drohungsmanagement angeboten und es findet seit
            kannt. Durch das öffentliche Thematisieren von Su-                        einiger Zeit ein regelmässiger Austausch zwischen
            iziden können Nachahmungen provoziert werden                              den Fachstellen statt. Sie mögen zum Teil anders be-
            und die Anzahl von Selbsttötungen steigt an. Wenn                         nannt werden, haben aber alle das identische Ziel,
            Massenmedien über Gewalttaten wie Terroranschlä-                          den Gewaltschutz.
            ge berichten, so hat dies den gleichen Effekt zur                            Auch wenn eine Fachstelle Gewaltschutz keine
            Folge. Ob die Gewalttat in der Folge als «Low-Cost-                       hundertprozentige Sicherheit bieten kann, so ist es
                                   Terrorism» oder «Amoktat»                          das, was der Staat zum Schutze seiner Bürger tun
Der Fokus der Berichterstat-
                                   bezeichnet wird, ist für die                       kann. Damit sich ein Massenmord wie am 27. Sep-
 tung sollte auf die wahren Opfer sekundär. Sie und ihre                              tember 2001 in Zug in der Schweiz möglichst nie
      Helden gerichtet sein. Angehörige wurden Opfer ei-                              mehr wiederholt. Damit alles getan wird, um Tö-
            ner Gewaltstraftat, mit allen Konsequenzen wie Tod,                       tungsdelikte möglichst zu verhindern. Betroffenheit
            Verletzung, Trauma – schlicht ein unnötiger, tiefer,                      alleine, das reicht nicht aus! Es braucht entschlosse-
            negativer Einschnitt in ihr Leben.                                        nes, konsequentes Handeln durch den Staat. Dieses
               In den meisten Medienberichten dominieren das                          Streben sind wir allen Opfern von Straftaten schuldig.
            Foto und der Name des Täters. Diese Dominanz ist
            stossend und setzt ein falsches Signal. Der Fokus
            der Berichterstattung sollte auf die wahren Helden                        Literaturverzeichnis
            gerichtet sein – nicht auf «Nichtsnutze», welche mit                      Endrass J., & Rossegger A. (2017). Risiko-Octagon. Zürich.
                                                                                      Häfliger M. M. (5. Juni 2017). Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen
            Motorfahrzeugen in eine ahnungslose Menschen-                             am 30. Oktober 2017 von https://www.nzz.ch/international/anschlag-
            menge rasen oder mit Messer bewaffnet Leute töten.                        in-london-opfer-und-helden-von-london-ld.1299367.

            Die Neue Zürcher Zeitung schreibt beispielsweise                          Hoffmann J. (2009). Gefährliche Expartner – Psychologische
                                                                                      Hintergründe und Interventionsgespräche in Fällen von Stalking.
            in einem Artikel über den Terrorangriff in London                         In J. Hoffmann, I. Wondrak, J. Hoffmann, & I. Wondrak (Hrsg.),
                                                                                      Umgang mit Gewalttätern Kommunikation und Gefährderansprache
            unter dem Titel: «Opfer und Helden von London»:                           (S. 60). Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens
            «Während des jüngsten Terrorangriffes in London                           Lorei.
            verhinderte beherzte Zivilcourage, dass noch mehr                         Höfler C. (2010). Der Nachahmungseffekt von Amoktaten.
                                                                                      Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens Lorei,
            Menschen ums Leben kamen. […]» (Häfliger, 2017)                           Frankfurt.
                                                                                      Hofmann S. (2011). Standardisiertes Bedrohungs-Analyse-Verfahren
                                                                                      vom Querulanten bis zum Amoktäter, Diplomarbeit Höhere
              Fazit und Ausblick                                                      Fachprüfung Polizist/Polizistin, Zug.
              In zahlreichen Kantonen wurden Ressourcen für                           Nachrichtendienst des Bundes. (März 2017). Schweizerische
                                                                                      Eidgenossenschaft. Abgerufen am 29. Oktober 2017 von https://www.
              einen aktiven Gewaltschutz bereitgestellt. Es fand                      newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/48133.pdf.
              eine positive gegenseitige Annäherung zwischen                          Neuner T. et al. (2009). Assisted suizide on TV – the public
                                                                                      ‹Licencens to Kill›?, European Journal of Public Health, Vol. 19,
              Wissenschaft und Polizei statt. Seit 2011 findet ein
                                                                                      No 4, 359-360.
              stetig wachsender, interdisziplinärer Austausch statt                   Rossegger A., Endrass, J. & Gerth, J. (2012). Einführung ins Risk-
              und man ist einer gemeinsamen Sprache deutlich                          Assessment. In J. Endrass, A. Rossegger, F. Urbaniok, B. Borchard,
                                                                                      J. Endrass, A. Rossegger, F. Urbaniok, & B. Borchard (Hrsg.),
              nähergekommen. Das Octagon scheint sich in der                          Interventionen bei Gewalt- und Sexualstraftätern Risk-Managment,
              schweizerischen Polizeilandschaft durchzusetzen.                        Methoden und Konzepte der forensischen Therapie (S. 96). Berlin:
                                                                                      MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin.
              Es wäre positiv, wenn in den verschiedenen Polizei-                     Sicherheitsdirektion des Kantons Zug. (22. September 2016). Kanton
              korps die gleichen Risk-Assessments verwendet und                       Zug. Abgerufen am 29. Oktober 2017 von file:///C:/Users/hofs/
                                                                                      AppData/Local/Temp/004%20Ablaufschema%20Gewaltschutz.pdf.
              die Resultate interkantonal zugänglich gemacht wer-                     Ziegler H. (27. Oktober 2017). Zuger Zeitung. Abgerufen am 29.
              den könnten.                                                            Oktober 2017 von http://www.zugerzeitung.ch/magazin/meinung/
                                                                                      kommentare/chefsache/zz/besser-als-gar-nichts;art177212,1128281.

              1   In der Suizidforschung werden aus Medien resultierende Nach-
                  ahmungstaten als Werther-Effekt bezeichnet, d.h. ein Anstieg der
                  Suizidrate wird auf eine ausführliche Berichterstattung zurückge-
                  führt (vgl. Neuner et al. 2009). Dieser Begriff geht auf den 1774
                  erschienen Roman von Johann Wolfgang von Goethe «Die Leiden
                  des jungen Werthers» zurück (vgl. Colemann 2004) in (Höfler
                  2010).

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PERSÖNLICHER RÜCKBLICK ZUM THEMA «BEDROHUNGSMANAGEMENT» VON 2011 BIS 2017

Résumé
Réflexions personnelles sur la gestion des               sur le danger émanant d’une personne particulière.
menaces entre 2011 et 2017                               En 2017, on élabore des variantes et des scénarios
L’année 2001 a été marquée par les attentats du          possibles, des solutions individuelles, souvent dans
11 septembre, mais aussi par la tuerie de Zoug.          un cadre interdisciplinaire, sont également recher-
L’auteur du présent article était à l’époque un jeune    chées.
policier patrouilleur à la Police zougoise et n’avait       Il est d’ailleurs souhaitable que tous les cantons
que cinq ans de service, école de police comprise.       mettent à disposition les ressources nécessaires
   En 2011, dix ans après les faits, un sondage effec-   pour mettre en place un service de prévention de la
tué auprès des corps de police alémaniques a mon-        violence. Le canton de Zoug ne dispose pas encore
tré que la thématique de la gestion des menaces sus-     d’un tel service. Le Grand Conseil débat actuelle-
citait un vif intérêt. La plupart des corps de police    ment de la création, au sein de la Police zougoise,
étaient ainsi confrontés à des menaces diffuses sans     d’un service de 0.5 équivalent plein temps corres-
caractère pénal et à des quérulents qui engendraient     pondant à une « variante light ». Bien qu’un tel ser-
un sentiment de malaise ou d’insécurité.                 vice n’assure pas une sécurité sans faille, c’est une
   Chercheurs et praticiens se sont rapprochés les       démarche que l’État peut adopter pour protéger les
uns des autres et ont commencé à adopter un lan-         citoyens. Il ne suffit pas d'exprimer sa consterna-
gage commun. Ces développements constructifs se          tion après un homicide – l’État a un devoir d’agir de
poursuivent aujourd’hui. En 2011, l’accent était mis     manière déterminée et cohérente !

SPI-Kurs – Cours ISP – Corso ISP

Ausbildung Bedrohungsmanagement (6.30.00.d): 5. bis 8. März 2018
Dieser viertägige Kurs richtet sich an erfahrene Polizistinnen und Polizisten, die bei ihrer Aufgabenerfüllung im Themenbereich
«Bedrohungsmanagement» tätig sind.
Im Kurs werden folgende Themen vermittelt: Prinzipen des Bedrohungsmanagements, Früherkennung und Monitoring,
praktische Ansätze für Risiko-Erstbewertungen, Forensic Assessment & Risk Management, polizeirechtliche und strafprozes-
suale Massnahmen Gewaltschutz, praktische Bearbeitung eines Leitfalls.

Ziele:
• Kenntnis der Prinzipien des Bedrohungsmanagements
• Wissenserwerb zur Früherkennung von Eskalationspotenzial inkl. Monitoring
• Einsetzen von Instrumenten für (Erst-)Risikoeinschätzungen
• Erhalt von Einblicken in Forensic Assessment & Risk Management
• Wissenserwerb zu zivil- und polizeirechtlichen sowie strafprozessualen Instrumentarien des Gewaltschutzes
•	Gemeinsames Verständnis von Bedrohungsmanagement und dem integralen Ansatz der interdisziplinären Zusammenarbeit
• Stärkere Vernetzung und Erfahrungsaustausch (best practices) zwischen den Teilnehmenden

Zielgruppe:
Erfahrene Polizistinnen/Polizisten, die mit dem Aufbau von Bedrohungsmanagement-Strukturen beschäftigt sind oder in
spezialisierten Fachstellen Gewaltschutz/Bedrohungsmanagement arbeiten oder an der Front mit bedrohlichem Verhalten
im Alltagsgeschäft konfrontiert sind; ausserdem Staatsanwältinnen und Staatsanwälte.

Anmeldung bis:
08.01.2018 auf www.edupolice.ch

format magazine no 7                                                                                                      65
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