Biographie Johann Heinrich Pestalozzi Herkunft, Ausbildung und erste ökonomische Erfahrungen

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Biographie Johann Heinrich Pestalozzi

Herkunft, Ausbildung und erste ökonomische Erfahrungen
Pestalozzis pädagogisches Denken gründet in der republikanischen Traditi-
on, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts intensiv in der Schweiz
diskutiert wurde. Beeinflusst vom Historiker und Literaturkritiker Johann
Jacob Bodmer radikalisiert sich die Republikanismus-Diskussion in Zürich
und wird zu einer Reformbewegung, von welcher Pestalozzi in den 1760er-
Jahren stark beeinflusst wurde. Das Ideal, das die jungen Republikaner vor
Augen hatten, war die patriarchale, tugendhafte und aristokratische Repu-
blik, in der Erziehung ein integraler Bestandteil des politischen Verständ-
nisses ist. Diese politische Ausrichtung und die Tatsache, dass Pestalozzis
Familie nach dem Tod des Vaters nicht zu den regierenden Familien gehörte,
machten eine Karriere als Geistlicher oder Politiker unwahrscheinlich. Be-
einflusst von der handelsfeindlichen republikanischen Ideologie und dem
mitreissenden Beispiel von Rousseaus Émile (1762), entschied sich Pestalozzi,
Landwirt zu werden – der Traum eines tugendhaften Lebens weit entfernt
von den Lastern und Anfechtungen der Handelsstädte. «Wenn ich einst auf
dem Land bin und einen Sohn eines Mitbürgers sehe, der eine grosse Seele
verspricht und der kein Brod hat, so führ ich ihn an meiner Hand und bild
ihn zum Bürger, und er arbeitet und isst Brod und Milch und ist glüklich»
(PSBI, S. 60f.)
1767 beginnt er in Bern bei Johann Rudolf Tschiffeli eine Lehre in «moderner
Landwirtschaft». Die Berner Reformbewegung war politisch weniger radikal
als die Zürcher und sie war, auf dem Hintergrund des siebenjährigen Krieges
(1756–1763), stärker auf Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produkti-
onsmethoden konzentriert. In diesem Kontext der «Ökonomischen Patrio-
ten» kommt Pestalozzi erstmals mit der These in Kontakt, dass eine blühen-
de Wirtschaft durchaus auch für die Landbevölkerung von Nutzen sein kann.
Nachdem er auf dem Neuhof, auf Berner Untertanengebiet, Land für einen
eigenen landwirtschaftlichen Betrieb gekauft hat, wird er 1771/72 Opfer der
europaweiten Missernten. Das war der Grund, weshalb er im Keller seines
Hauses Webstühle installierte, auf denen die arme Landbevölkerung seiner
Nachbarschaft als Angestellte zu geringer Entlöhung Baumwollgewebe her-
stellte. Angesichts der wachsenden Armut der Landbevölkerung und wegen
seinen eigenen ökonomischen Problemen beschliesst Pestalozzi 1774 eine
Anstalt für arme Kinder zu gründen. «Nur fest gesetzter Endzweck nach Sitt-
lichkeit – nach Religion, nach wahrer Bildung und Leitung des menschlichen
Herzens müsste Grundlage einer solchen Anstalt seyn – und diese Art der
Auferziehung des Armen ist es allein, die ich wünschte, dass sie durch den
Abtrag der Verdienstfähigkiet des anwachsenden Menschen erzielet werden
möchte» (PSW I, S. 162). Die Idee dahinter war, dass die Kinder dadurch be-
fähigt würden, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie in
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der Baumwollproduktion arbeiteten, und Pestalozzi versprach auf der an-
deren Seite, ihnen grundlegende Fähigkeiten und Wissen beizubringen, die
sie für ihr Leben als Teil der armen Landbevölkerung brauchen konnten.
«Diese sparsame Landhaushaltung, diese mit einer starken Famille geseeg-
neten Landhausväter, die sich unter Sorgen redlich durchschwingen, sind
wahre Schulen für die Führung einer zu der Auferziehung armer Kinder
wahrhaft angemessenen Auferziehung. Der Detail ihrer Oeconomie ist aller
Aufmerksamkeit, aller Untersuchung werth – sie ist wahre Lehranstalt für
das grosse Ideal der Verbindung von Fabrik, Landbau und Sitten» (PSW I, S.
174).
Mit diesem Konzept verabschiedete sich Pestalozzi von den Idealen der Ber-
ner «Ökonomischen Patrioten» mit dem Argument, es sei sinnlos, die arme
Landbevölkerung in landwirtschaftlichen Produktionsmethoden zu unter-
richten, wenn sie nie Aussichten auf den Erwerb von eigenem Land hätten.
Zu dieser realistischen Einschätzung stand die Einschätzung der Produktivi-
tät der Kinder in einem krassem Gegensatz – die Anstalt ging 1780 bankrott.

Publizistische Erfolge
Pestalozzis Bemühungen, seine Armenanstalt auf eine gesunde finanzielle
Basis zu stellen, brachten ihn auch in Kontakt mit dem wohl einflussreich-
sten Schweizer Publizisten und Herausgeber des 18. Jahrhunderts, mit dem
Philosophen und Philanthropen Isaak Iselin aus Basel. Iselin unterstützte
Pestalozzis publizistische Tätigkeiten beispielsweise bei seinem ersten Ro -
man Lienhard und Gertrud (1781), in welchem eine soziale, patriarchale Re-
form eines korrumpierten Dorfes durch einen tugendhaften Landvogt be-
schrieben wird. Der Roman wurde zu einem grossen Erfolg. Iselin, beein-
flusst von den deutschen Naturrechtslehren und ein Anhänger der französi-
schen Theorie der Physiokratie, zudem ein prominenter Gegner Rousseaus,
hatte grossen Einfluss auf Pestalozzis theoretisches Denken. Dieser wurde in
den 1780er-Jahren in seinen Schriften kosmopolitischer, christlicher und
stärker an den Naturrechtstheorien orientiert. Während mehr als zehn Jah-
ren wurde die Beziehung zwischen dem natürlichen und dem sozialen Zu-
stand zum zentralen Gegenstand seines Denkens. Pestalozzi schrieb in die-
ser Zeit zudem über soziale und politische Probleme wie zum Beispiel über
Gesetzgebung und Kindermord. Sein Misstrauen gegenüber der Vorstellung
einer guten Natur des Menschen wuchs und er entfernte sich immer stärker
vom optimistischen, religiös gefärbten Naturrechtsrepublikanismus seines
Förderers Iselin. Der Mensch wird als wildes Tier bezeichnet, als selbstsüch-
tig und vor- oder unsozial, und Erziehung wird deshalb hauptsächlich mit
Sozialisation und Ausbildung identifiziert. Schule und Wissensvermittlung ist
begrenzt auf die Bedeutung für die spätere Berufstätigkeit. Die soziale
Funktion der Religion wird auf die gesellschaftsstabilisierende Funktion be-
schränkt.

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Nach der Französischen Revolution 1789 konzentriert sich sein Denken auf
die Bedeutung und Rolle von Freiheit. Beeinflusst von den Kritikern der
deutschen Aufklärung (Friedrich Heinrich Jacobi, Georg Heinrich Ludwig Ni-
colovius, Friedrich Leopold Stolberg) entwickelt er ein Konzept der persön-
lichen Freiheit, das viele Forscher mit Kants Ethik identifizieren. 1797 publi-
ziert er sein einflussreichstes philosophisches Werk, die Nachforschungen,
worin er eine Parallelität zwischen der Entwicklung des Individuums und
dem Menschengeschlecht zieht. Von dieser Ausgangsposition her versucht
Pestalozzi, die grundsätzlichen sozialen Probleme der Menschheit zu lösen,
indem er einen «dritten Zustand» in die Diskussion einbringt, einen Zustand
jenseits des natürlichen und des gesellschaftlichen Zustands: der sittliche
Zustand, der stark von seiner Interpretation der wahren christlichen Religion
geprägt ist. «Der Mensch ist nur in soweit fähig die Widersprüche die in sei-
ner Natur zu liegen scheinen, in sich selbst aufzuheben, und die Folgen
derselben, die ihn im gesellschaftlichen Zustand so vielseitig drükken, zu
mildern, als er einsieht, dass dieser Zustand selbst, seiner inneren Vered-
lung wesentlich entgegen steht, und als er seine Ansprüche als blosse An-
sprüche seiner thierischen Natur erkennt, und selbige in soweit verdammt,
gegen sich selbst, und gegen sein ganzes Geschlecht» (PSW XII, S. 161). Trotz
seines anthropologischen Arguments zeigt die genaue Lektüre, dass dieser
sittliche Zustand speziell für die politische Elite gedacht war, damit sie der
Versuchung der korrumpierenden Macht nicht schutzlos ausgeliefert waren,
denn darin lag für Pestalozzi die Ursache der Probleme des gesellschaftli-
chen Lebens. Jede Idee der gleichberechtigten Demokratie wurde mit der
Bemerkung abgewiesen, dass das Volk nicht gebildet genug sei, was be-
deutete, dass sie zu selbstsüchtig und nicht weise genug seien. Pädagogi-
sche Thesen bietet der Text höchstens als krypto-pädagogische Konsequen-
zen. Um den sittlichen Zustand zu erreichen muss zuerst eine Sozialisation
in den gesellschaftlichen Zustand stattfinden. Diese «Einführung» zerstört
die selbstsüchtige Natur, die im Ungleichgewicht von Bedürfnissen und
Kräfte begründet ist. An diesem Punkt setzt die familiale Erziehung ein. Lie-
be ist das zentrale Gefühl im familiären Kontext, die das Kind fähig macht,
das ursprüngliche Wohlwollen zu entwickeln und zur Liebe weiter zu führen.
Der Konflikt von sozialer Einordnung und dem allgemeinen Gefühl der Un-
gerechtigkeit auf der einen, und Liebe und Mitgefühl auf der anderen Seite
braucht nun die Willenskraft des Einzelnen, um Entscheidungen von einem
moralischen Standpunkt aus treffen zu können. Dieser Standpunkt zeigt die
«echte Wahrheit» und befähigt sittliche Menschen moralisch zu handeln
und zu urteilen.

Institutsgründungen
Die Helvetische Revolution 1798 veränderte Pestalozzis Leben dramatisch. Er
war fest davon überzeugt, dass diese Revolution die alte tugendhafte Repu-
blik wieder zum Leben erwecken würde. Überzeugt von der moralischen In-
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tegrität der neuen Führungspersönlichkeiten zögert Pestalozzi nicht, einen
Plan für eine Armenerziehungsanstalt zu skizzieren. Im Dezember desselben
Jahres sandte ihn die neue Regierung nach Stans, wo die französischen
Truppen die katholisch-konservative Opposition niedergeschlagen hatten
und Zerstörung und eine grosse Anzahl (Halb-)Waisen hinterlassen hatten.
Pestalozzi blieb nur sieben Monate im Kloster in Stans, wo die Regierung
ihm Räumlichkeiten für die Armenanstalt zugewiesen hatte, weil nach die-
ser Zeit das Gebäude als Lazarett requiriert wurde (Juni 1799). Die Erfahrun-
gen in Stans, die 1807 von Pestalozzis Mitarbeiter Johannes Niederer überar-
beitet veröffentlicht wurden, werden oft als «Geburtsstunde der modernen
Pädagogik» bezeichnet. Gemäss dieser Schrift versuchte Pestalozzi in Stans
ohne äussere Hilfe ein dreistufiges pädagogisches System zu entwickeln. Der
erste und grundlegende Schritt ist dabei das Prinzip des Familienlebens und
das Hauptziel besteht darin, das Herz der Kinder durch die Befriedigung der
primären Bedürfnisse zu öffnen. Der zweite Schritt führt zur Übung der al-
truistischen Impulse, die sich aus dem «geöffneten Herz» der Kinder ent-
wickeln können und der dritte Schritt führt zum Nachdenken über das all-
tägliche Leben und ermöglicht den Kindern damit eine moralische Urteilsfä-
higkeit. Schule hat sich in dieses allumfassende Konzept der «Menschenbil-
dung» einzuordnen, Wissen ist immer auf die moralischen Standards hin
organisiert. «Endlich und zuletzt komme mit den gefährlichen Zeichen des
Guten und Bösen, mit den Wörtern: Knüpfe diese an die täglichen häusli-
chen Auftritte und Umgebungen an, und sorge dafür, das sie gänzlich dar-
auf gegründet seyen, um deinen Kindern klarer zu machen, was in ihnen
und um sie vorgeht, um eine rechtliche und sittliche Ansicht ihres Lebens
und ihrer Verhältnisse mit ihnen zu erzeugen» (PSW XIII, S. 14f.).
Das Konzept der «Menschenbildung» ist sicher stärker in den Debatten von
1807 einzuordnen, denn in die realen Begebenheiten von 1799 und gerade
deshalb ist es eher unverständlich, wie dieses Konzept so bedeutend wer-
den konnte. Zumindest zwei wichtige und teilweise gegensätzliche Dinge
müssen dabei berücksichtigt werden. Das erste ist die Enttäuschung Pesta-
lozzis über das neue System. Vorallem die parlamentarischen Debatten über
die Einführung eines neuen Steuer-Systems führten Pestalozzi die Selbst-
bezogenheit der neuen Elite deutlich vor Augen und dass sich Mentalitäten
nicht durch ein Systemwechsel ändern lassen. Daraus zieht er den Schluss,
dass nur die Pädagogik politische und gesellschaftliche Systeme verändern
könne. Mit diesem Konzept formuliert er eine totale Umkehrung der alten
republikanischen Grundsätze. War damals ein politisches Konzept zentral,
das innerhalb der patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen pädagogisch
tätig werden wollte, ist nach 1800 die Idee dominant, dass Politik nur unter
der Bedingung moralisch gebildeter Menschen «gut» sein kann, wobei Er-
ziehung als «Wohnstuben-Erziehung» gedacht wird. Übereinstimmend mit
diesem neuen Blickwinkel ist auch nicht mehr der Fürst die zentrale Figur,
sondern die Mutter. Sie wird das entscheidende Bindeglied zwischen Gott,
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Kind und der Welt ausserhalb der Wohnstube. Der Blickpunkt ist nicht – um
in Rousseaus Terminologie zu argumentieren – der «citoyen», sondern der
Mensch. «Ich bin kein Zürcher, ich bin kein Schwizer mehr. Wir haben kein
Vaterland mehr. Last uns Menschen bleiben und das Menschheitsinteresse
sich dennoch nicht in uns mindern bis in unser Grab» (PSB V, S. 35f.). Des-
halb hängt das ganze gesellschaftliche und politische Schicksal einer Nation
von der richtigen Erziehung ab und die Umsetzung dieser Erziehung bedingt
eine weise politische Führung.
Das zweite führt zu einem Widerspruch dieses Konzepts, der zur Zeit nicht
wahrgenommen wurde und der seltsamerweise gerade ein Grund war, wes-
halb Pestalozzi nach 1800 so unglaublichen Erfolg hatte. Zur selben Zeit, als
Pestalozzi sein republikanisches Konzept zur Wohnstuben-Erziehung um-
formulierte, erhielt er von der Helvetischen Regierung den Auftrag, das neue
laizistische Schulsystem aufzubauen. Für diese Wahl war hauptsächlich der
Kantianer und Minister für Wissenschaft und Bildung, Philipp Albert Stapfer,
verantwortlich. Aufgrund seiner Lebenserfahrungen und der «Erfindung»
der Methode schien Pestalozzi für Stapfer die geeignete Person, die päd-
agogischen Ambitionen der jungen Nation einzulösen. Pestalozzis Methode
versprach, Wissen einfach vermittelbar zu machen und schien dadurch für
die Lehrerausbildung prädestiniert. «Ich sage noch einmal, das Wesentliche
dieser Ideen ist praktisch und so vollendet, dass der Unterricht innert den
Formen, die durch diese Absicht der Dinge erzeugt worden sind, zu einer
bloss mechanischen Handwerks-Arbeit werden muss. Und ich darf dafür
stehen, mit den Mitteln, die mir jetz diessfalls an der Hand sind, kann jede
Mutter und jeder Lehrer, auch ohne die Kenntnisse zu besitzen, die sie bei
dem Kinde selbst erzeugen, bey ihm die Resultate hervorbringen, die die
Methode an sich selbst vermöge der innern Organisation erzeugen muss.
Gebildete Personen sind in wenigen Tagen im Stand, den Geist der Mittel zu
fassen und an ihrem Faden sich den Weg zur weitern Anwendung derselben
zu bahnen; ganz ungebildete Menschen wünsche ich 3 Monate in den Fer-
tigkeiten zu üben, die der Methode eigen sind» (PSW XIII, S. 178f.). So wurde
Pestalozzi 1800 zum Leiter des ersten nationalen «Lehrerseminars» berufen
und erhielt das Privileg, didaktische Schulbücher zu veröffentlichen.
Der zentrale Gedanken seiner Methode war die Annahme, dass alle Men-
schen grundlegende Kräfte besitzen, die von ewigen Naturgesetze bestimmt
sind. So musste sich Erziehung ausschliesslich darauf konzentrieren, diese
Kräfte natürlich und psychologisch zu entwickeln. «Die Formen alles Unter-
richs den ewigen Gesezen zu unterwerfen, nach welchen der menschliche
Geist von sinnlichen Anschauungen sich zu deutlichen Begriffen erhebt»
(PSW XIII, S. 103). Alle drei grossen Bereiche der menschlichen Natur, der
Kopf, das Herz und die Hand sind dabei als Keime angelegt, die nur darauf
warten, entwickelt zu werden (Wie Gertrud ihre Kinder lehrt). Einmal natür-
lich entwickelt, formen sie eine Harmonie, die von der Sittlichkeit bestimmt
wird. Trotz dem theoretischen Paradox, natürlich entwickelte Natur in Sitt-
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lichkeit zu verwandeln und trotz des Umstandes, dass seine didaktischen
Lehrbücher (1802–1804) sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentrierten,
die mit endlosen mechanischen Übungen entwickelt werden sollten, wurde
sein Institut in Burgdorf in ganz Europa berühmt. Der grosse Gegensatz, ein
neues Erziehungssystem für einen modernen Staat mit Betonung der intel-
lektuellen Fähigkeiten auf einem Konzept der familialen oder mütterlichen
Liebe zu gründen, wurde entweder nicht wahrgenommen oder gerade als
entscheidender Vorteil gewertet, der nämlich dazu führte, dass die ganze
Methode einfach und natürlich umgesetzt werden konnte. Dieses Konzept
war nicht zuletzt für die zeitgenössischen Debatten äusserst attraktiv, da es
problemlos an die Ganzheitsdebatten des Neuhumanismus (Wilhelm von
Humboldt) oder an die romantische Ideologie in Deutschland Anschluss
fand. Kritische Einwände gegenüber der «mechanischen» Methode wurden
mit dem Argument entkräftet, dass der «Geist der Methode» der entschei-
dende Punkt sei: die Idee also, dass Erziehung nicht so sehr Wissen bedeu-
te, sondern die harmonische Stärkung aller Kräfte. Die Attraktivität dieses
Methodenkonzepts belegen die zahlreichen Institutsgründungen nach 1800
in der Schweiz, in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Spanien, England,
Italien, Irland, Russland und Amerika. In den ersten vier Jahren nach der
Publikation von Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1801) erscheinen beinahe 200
Titel, die Pestalozzis Methode diskutierten.
Die ersten zehn Jahre des 19. Jahrhunderts waren für Pestalozzi ein riesiger
Erfolg und es ist sicherlich sein Verdienst, pädagogische Anliegen und The-
men einer breitern Öffentlichkeit nahe gebracht zu haben. Als er 1804 das
Schloss in Burgdorf wegen den politischen Veränderungen der Mediation
verlassen musste, boten ihm mehrere Orte repräsentative Liegenschaften für
sein Institut an und nach einer kurzen Zusammenarbeit mit Philipp Emanuel
Fellenberg in Hofwil in Münchenbuchsee zog Pestalozzi 1805 mit seinem In-
stitut nach Yverdon ins Schloss, wo er bis 1825 blieb. Der Erfolg der Methode
wurde von dem wechselnden politischen System nicht beeinträchtigt, da die
dekontextualisierte, sich an ewigen natürlichen Gesetzen orientierende
Methode davon nicht beeinträchtigt wurde. Das zeigt auch der Erfolg der
Methode in Preussen. Nach der schmerzlichen Niederlage 1806 gegen Napo -
léon wurden Seminaristen auf staatliche Kosten zu Pestalozzi geschickt mit
dem Auftrag, zurück in Preussen das Erziehungssystem mit dem Ziel eines
nationalen, militär-orientierten Systems zu reformieren. Überzeugt, seine
Methode sei die Basis einer nationalen Wiedergeburt, formulierte Pestalozzi
einen Antrag an die Tagsatzung, um eine offizielle Prüfung seiner Methode
als Grundlage für die schulische Bildung anzuregen. Der offizielle Bericht,
1810 veröffentlicht, zeigt hingegen, dass weder die mechanistische Basis des
Lehrens, noch die familiäre Struktur des Instituts als Grundlage für das öf-
fentliche Schulwesen genutzt werden konnte.

Öffentliche Auseinandersetzungen
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Die zweite Dekade des 19. Jahrhunderts wurde von Verwirrungen dominiert.
Die Streitereien zwischen seinen Mitarbeitern, Pestalozzis Unfähigkeit, das
grosse Institut zu managen, als auch seine Unfähigkeit, die eigene Nach-
folge zu regeln, leiteten den Verfall des Instituts ein. In diese Zeit fällt auch
die Distanzierung Pestalozzis von seiner Methode und von seiner Idee, die
Theorie der Erziehung auf ewige Naturgesetze zu gründen. Mehr und mehr
zum christlichen Blickwinkel zurückkehrend, beunruhigte ihn die Tatsache,
dass sein Institut je länger je mehr nur von Kindern reicher Eltern besucht
wurde und er beschliesst deshalb, eine Armenanstalt zu gründen, die er
1818 als Parallelinstitut zum Institut im Schloss in Clindy eröffnet. Zentraler
Punkt der Armenanstalt war, die Kinder in beruflichen Fähigkeiten auszubil-
den, sodass sie später ihren Lebensunterhalt selber verdienen konnten.
Dem Unternehmen jedoch war aufgrund finanzieller Schwierigkeiten kein
Erfolg beschieden und wurde schon ein Jahr später wieder geschlossen. Die
darauf folgende Integration der armen Kinder in die Anstalt im Schloss
führte zu neuen Problemen, da die unterschiedliche Behandlung reicher
und armer Kinder nicht akzeptiert wurde.
1813 begann Pestalozzi an einem Buch zu schreiben, das erst 1826 erschei-
nen sollte: der Schwanengesang, der deshalb auch als «Vermächtnis» be-
zeichnet werden kann. Darin lassen sich erstaunlich viele Parallelen zu den
1797 erschienen Nachforschungen finden, ohne diese Überlegungen jedoch
in die Konzeption einer Führungspersönlichkeit oder in die Annahme einer
optimistischen Anthropologie münden zu lassen. Die menschlichen Kräfte
werden immer noch teleologisch verstanden, aber der «pädagogische Be-
zug» zu den ewigen Naturgesetzen ist ausschliesslich auf die Prinzipien der
anfänglichen Entwicklung beschränkt, während für die konkreten Umset-
zungen die verschiedenen sozialen und familialen Kontexte ausschlagge-
bend sind. «Das Leben bildet» (PSW XXVIII, S. 83). Zudem ist jedes Indivi-
duum einzigartig, was nicht theoretisiert werden kann. Das kennzeichnet
auch das Ende des Traumes, Erziehung könnte auf der Basis einer dekon-
textualisierten Ewigkeit theoretisch bestimmt werden. Das konkrete Leben
in seinem speziellen Kontext muss als Basis der Erziehung betrachtet wer-
den und je «besser» sich das familiäre Leben ausgestaltet, desto «besser»
ist die Erziehung.

Rückzug und Idolisierung
Der Schwanengesang wurde nach Pestalozzis Rückkehr auf den Neuhof ver-
öffentlicht, wo er ein Jahr später, 1827, starb. Zu dieser Zeit war er nicht
mehr in der öffentlichen Diskussion, da in der Zeit der Restauration weder
die Reform der Schulbildung noch die Idee der Menschenbildung modische
Themen waren. Das änderte sich in der Schweiz mit der liberalen Bewegung,
die in den 1840er-Jahren politisch dominant wurde. Ganz gemäss der repu -
blikanischen Tradition brauchte diese Bewegung Heroen und dazu war nie-
mand so geeignet wie der friedfertige, nicht-selbstsüchtige, vertrauenser-
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weckende und pädagogisch ambitionierte Pestalozzi. Es ist wahrscheinlich
Teil jeder Geschichte eines Helden, dass seine Texte kaum gelesen werden
und dass sein Leben im Mittelpunkt der Bewunderung steht, eine Bewun-
derung die die Liberalen zudem mit den Konservativen teilten. Am Ende des
19. Jahrhunderts wurde Pestalozzi zu einer entscheidenden Figur der natio -
nalen Integration – sein 150. Geburtstag 1896 war der erste nationale Fei-
ertag der Schweiz. Jenseits dieser politischen Inanspruchnahme – die in
gewisser Weise auch erzieherisch war – diskutiert die pädagogische For-
schung weiterhin die zentrale Frage, die Pestalozzi prägnant auf den Punkt
gebracht hatte: die Beziehung zwischen Schulerziehung und öffentlichen
Tugenden eines gebildeten Menschen.

Wichtige Schriften Pestalozzis

Von der Freiheit meiner Vaterstatt (1779)
Lienhard und Gertrud, Teile 1–4 (1781, 1783, 1785, 1787)
Über Gesetzgebung und Kindermord (1783)
Meine Nachforschungen über den Gang in der Natur in der Entwicklung des
 Menschengeschlechts (1797)
Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1801)
An die Unschuld, den Ernst und den Edelmuth meines Vaterlandes (1815)
Schwanengesang (1826)

Populäre Einführungen

Amman, Georges et al.: Auf den Spuren Pestalozzis. Stationen seines Lebens.
 Zürich, Birr, Stans, Burgdorf, Yverdon. Zürich: Pestalozzianum 1996
Amman, Georges et al.: Sur les pas de Pestalozzi: Zurich, Birr, Stans,
 Berthoud, Yverdon. Zürich: Pestalozzianum 1996

Weiterführende Lektüre

Hager, Fritz-Peter/Tröhler, Daniel (Hrsg.): Pestalozzi – wirkungsgeschichtli-
 che Aspekte. Dokumentationsband zum Pestalozzi-Symposium 1996. Bern:
 Haupt 1996
Oelkers, Jürgen/Osterwalder, Fritz (Hrsg.): Pestalozzi – Umfeld und Rezepti-
 on. Studien zur Historisierung einer Legende. Weinheim: Beltz 1996
Pestalozzi: Methode, Unterricht und Erziehung – mit einem Quellenteil für
 die Lehrerbildung. In: Beiträge zur Lehrerbildung. Zeitschrift zu Theorie und
 Praxis der Grundausbildung, Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und
 Lehrern, 15. Jg., 1997/3
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Stadler, Peter: Pestalozzi. Geschichtliche Biographie. 2 Bde. Zürich: Neue
 Zürcher Zeitung 1988 und 1993
Tröhler, Daniel (Hrsg.): Pestalozzis «Nachforschungen» II: kontextuelle Stu-
 dien. Tagungsakten des interdisziplinären Kolloquiums am Pestalozzianum
 im April 1998. Bern: Haupt 1999
Tröhler, Daniel/Zurbuchen, Simone/Oelkers, Jürgen (Hrsg.): Der historische
 Kontext zu Pestalozzis «Methode». Konzepte und Erwartungen im 18. Jahr-
 hundert. Bern: Haupt 2002

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