Policy Brief Nr. 42, November 2018 Österreich zwischen Ost und West im Kontext der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

 
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Policy Brief Nr. 42, November 2018

 Österreich zwischen Ost und West
 im Kontext der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

 Julia Grübler
 Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

 Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft, die mit 1. Juli 2018 begann, steht unter dem Stern der Wie-
 derbelebung seiner Brückenfunktion zwischen Ost und West; denn während sich die Länder in Mittel-,
 Ost- und Südosteuropa (MOSOEL) wirtschaftlich Westeuropa annähern, scheinen sich politische Bruch-
 linien zu verhärten. Diese Entwicklung betrifft insbesondere die Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei,
 Tschechien, Ungarn), welche für Österreichs Wirtschaft in den letzten Jahren zunehmend als Handels-
 partner und Destination für Investitionen an Bedeutung gewonnen haben. Ein besonders ambivalentes
 wirtschaftliches und politisches Verhältnis mit Osteuropa ergibt sich im Bereich Migration – aus Süd- und
 Osteuropa nach Österreich bzw. von Personen aus Drittstaaten durch diese Region nach Österreich. Der
 Boykott der Umverteilung von Geflüchteten zog bereits Vertragsverletzungsverfahren für Länder in der
 österreichischen Nachbarregion nach sich. Zusammen mit den heuer eingeleiteten Disziplinarmaßnah-
 men aufgrund von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit könnten sie im neuen EU-Budget zu wesent-
 lichen Kürzungen von Zuteilungen für Osteuropa und durch die intensiven wirtschaftlichen Verflechtun-
 gen auch für Österreich zu negativen wirtschaftlichen Konsequenzen führen. Diese Situation verschärft
 sich durch die erwartete Lücke im EU-Budget durch den Austritt Großbritanniens aus der EU und turbu-
 lente Zeiten für das internationale Handelssystem durch gegensätzliche Politiken der USA und Chinas.

                                                           Südosteuropa Infrastrukturinvestitionen vorsieht, birgt
1. Eine Beziehung am                                       sowohl Chancen als auch Risiken für die wirtschaftliche
   Scheideweg?                                             und politische Entwicklung der Region.

Die Beziehung zwischen west- und osteuropäischen           1.1. Südosteuropa im Fokus der
Staaten der EU weist zwei gegensätzliche Trends auf.            österreichischen Ratspräsidentschaft
Wirtschaftlich verschwimmen die Grenzen mit der Zeit.
Durch die Integration in internationale Wert-schöp-
                                                           Österreich übernahm per 1. Juli 2018 den Vorsitz im Rat
fungsketten, z.B. der deutschen Autoindustrie, sind sie
                                                           der Europäischen Union. Nach Bulgarien und vor Ru-
eng miteinander verbunden. Sowohl das Bruttoinlands-
                                                           mänien gestaltet Österreich somit zum bisher dritten
produkt (BIP) pro Kopf als auch Lohnniveaus konvergie-
                                                           Mal die politische Agenda der EU.
ren.
                                                           Im dazu veröffentlichten Programm werden drei
Politisch gleicht die Trennlinie jedoch zunehmend einer
                                                           Schwerpunktthemen vorgestellt: Sicherheit und Migra-
Trennmauer. Drei Umstände der jüngsten Vergangen-
                                                           tion, Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung und
heit scheinen diese Tendenz zu verstärken: (i) Die soge-
                                                           die Stabilität in der Nachbarschaft (BKA, 2018). Letztere
nannte „Migrationskrise“ zeigte die Uneinigkeit zwi-
                                                           soll im Einklang mit der im Februar von der Europäi-
schen EU-Mitgliedsstaaten über die Verteilung von Asyl-
                                                           schen Kommission (2018a) veröffentlichten Erweite-
suchenden innerhalb der EU. (ii) Durch die Entschei-
                                                           rungsstrategie durch die Heranführung des Westbal-
dung Großbritanniens aus der EU auszuscheiden
                                                           kans an die EU gewährleistet werden.
(Brexit) stellt sich die Frage nach der Kompensation der
Lücke im EU-Budget. (iii) Die chinesische Seidenstraßen-   Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Policy
initiative, welche innerhalb Europas primär in Ost- und    Brief die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs mit
                                                           mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten (EU-

                                                                   FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018         1
1. Eine Beziehung am Scheideweg?

MOE) und dem Westbalkan (WB) beleuchtet und so-                           die Asylbeantragung erschwert wird und neue ungari-
wohl wirtschaftliche als auch politische Herausforde-                     sche Rechtsvorschriften die Unterstützung von Asylan-
rungen diskutiert.                                                        trägen kriminalisiert.
                                                                          Sowohl gegen Polen1 als auch Ungarn2 wurden heuer
1.2. Politische Divergenz in Österreichs                                  zudem Disziplinarmaßnahmen aufgrund von Verstößen
     unmittelbarer Nachbarschaft                                          gegen die Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Öffentliche
                                                                          Proteste wurden in Polen durch die zunehmende Ein-
                                                                          schränkung von Gerichten und politische Besetzung
In manchen Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist
                                                                          von Richterposten im Zuge einer umstrittenen Justizre-
der politische Wille für stärkere Integration in die EU o-
                                                                          form ausgelöst; in Ungarn richten sich die Demonstrati-
der den Euroraum wahrnehmbar. Kroatien beispiels-
                                                                          onen gegen den politischen Druck auf Medien, NGOs
weise verabschiedete im Frühjahr eine Strategie zur Eu-
                                                                          – insbesondere, wenn sie vom Ausland finanziell unter-
roeinführung. Auch Bulgarien bemüht sich darum; er-
                                                                          stützt werden – und auch gegen Hochschulen. Die
füllt aber hinsichtlich der Gesetzgebung zur Rolle der
                                                                          Central European University (CEU) verkündete kürzlich,
Zentralbank noch nicht alle Kriterien. Zudem wurde für
                                                                          im Jahr 2019 einen Standort in Wien zu eröffnen und im
die Westbalkanländer das ambitionierte Ziel eines EU-
                                                                          Falle einer gänzlichen Blockade durch die ungarische
Beitritts bis zum Jahr 2025 offiziell verkündet.
                                                                          Regierung das Studienangebot gänzlich von Budapest
In jüngster Vergangenheit mehrten sich jedoch Kon-                        nach Wien zu verlagern.3 Der Unmut der rumänischen
frontationen       zwischen       osteuropäischen      EU-                Bevölkerung richtet sich gegen die Lockerung der Kor-
Mitgliedsstaaten und der EU bzw. westeuropäischen                         ruptions-gesetze, die auch dem erst im Juni verurteilten
Partnerländern, unter anderem durch die Uneinigkeit                       PSD-Parteichef Dragnea zugutekommt.
bei der Frage nach der Aufnahme von vor Kriegen und
                                                                          Wie in den folgenden Abschnitten erörtert wird, schla-
politischer Verfolgung geflüchteten Menschen.
                                                                          gen sich die politischen Turbulenzen noch nicht in der
Lt. Eurostat belief sich die Anzahl der in der EU um Asyl                 wirtschaftlichen Entwicklung nieder, Szenarien negati-
ansuchenden Menschen im Jahr 2017 auf 712.235 –                           ver mittel- bis langfristiger Konsequenzen für die Wirt-
das entspricht rund 54% des Niveaus aus dem Jahr                          schaften in Österreichs östlicher Nachbarschaft müssen
2015, in welchem die Migration nach Europa zur Krise                      jedoch ernsthaft in Betracht gezogen werden.
erklärt wurde. Lediglich 3,1% dieser Personen wurden in
den elf EU-MOE Staaten registriert. Damit beläuft sich
die Anzahl von Asylsuchenden pro Million Einwohner                        1.3. Anhaltende aber geschwächte
auf 215 für die EU-MOE, aber auf 1.678 für die EU-15.                          wirtschaftliche Konvergenz
Österreich nahm mit 2.817 primär aus Syrien, Afghanis-
tan und Pakistan stammenden Schutzsuchenden pro                           Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in den meisten
Million Einwohner Rang 5 ein, während sich die Zahl                       Ländern in Mittel- und Osteuropa ist positiv zu bewer-
aufgenommener Asylsuchender für Österreichs östli-                        ten. Im Vergleich zum Vorjahr verlor die Wachstumsdy-
che Nachbarn jeweils auf weniger als 150 belief.                          namik jedoch etwas an Schwung. Der heimische Kon-
Weder der informelle Gipfel der Staats- und Regie-                        sum lässt etwas nach, Exporte flachen durch die Kon-
rungschefs im September in Salzburg, noch die Ratssit-                    junkturabkühlung im Euroraum ab und der Arbeitskräf-
zung im Oktober konnten signifikante Vorstöße bei der                     temangel wird zunehmend spürbar.
Reform des Asylwesens – insbesondere im Hinblick auf                      Während das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
Kooperationen mit Drittstaaten, die Sicherung der Au-                     (BIP) der elf EU-MOE im Vorjahr 4,9% betrug, wird für
ßengrenzen und die Verteilung von Schutzsuchenden                         heuer ein Wirtschaftswachstum von 4,2% erwartet. Ei-
innerhalb der EU – erzielen. Der stärkste Gegenwind für                   nen Wachstumsschub verzeichnet dagegen der West-
Quotenregulierungen kommt aus den Visegrád-Staa-                          balkan, für welchen ein BIP-Wachstum von 3,8% erwar-
ten (V-4): Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Ge-                    tet wird (wiiw, 2018). Neben fiskalpolitischen Maßnah-
gen letztere drei leitete die Europäische Kommission                      men spielt hier auch die „wiederbelebte“ EU-
bereits im Juni 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren                     Beitrittsperspektive eine Rolle (Astrov und Grübler,
ein, weil sie sich bei der im Jahr 2015 beschlossenen                     2018).
Umverteilung von Geflüchteten aus Griechenland und                        Im Vergleich dazu ist für Österreich mit einem Wirt-
Italien nicht beteiligten. Für Ungarn wurden im Juli 2018                 schaftswachstum von 3,0% zu rechnen (WIFO, 2018).
weitere Schritte durch die Kommission eingeleitet, da                     Sowohl die EU-28 als auch der Euroraum verzeichnen
                                                                          einen leichten Wachstumsrückgang mit einer Prognose

1 Europäisches Parlament, „Rechtsstaatlichkeit in Polen: Parlament will   3Central European University (CEU), „CEU to Open Vienna Campus for
EU-Maßnahmen unterstützen“, (1. März 2018). - http://www.euro-            U.S. Degrees in 2019; University Determined to Uphold Academic Free-
parl.europa.eu/news/de/press-room/20180226IPR98615.                       dom”, (25. Oktober 2018). - https://www.ceu.edu/article/2018-10-
2Europäisches                                                             25/ceu-open-vienna-campus-us-degrees-2019-university-determined-
               Parlament, „Rechtsstaatlichkeit in Ungarn: Parlament
                                                                          uphold-academic.
fordert Rat zum Handeln auf“, (12. September 2018). - http://www.eu-
roparl.europa.eu/news/de/press-room/20180906IPR12104.

2                FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018
2. Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit MOSOEL

von 2,1% für das heurige Jahr (Europäische Kommis-                     Für EU-MOE ist Ähnliches für die Entwicklung des Lohn-
sion, 2018b).                                                          niveaus zu beobachten. Trotzdem entsprach selbst das
Über den Zeitraum 2000-2017 kann man einen klaren                      slowenische durchschnittliche Lohnniveau, welches
wirtschaftlichen Konvergenzpfad der EU-MOE erken-                      das höchste innerhalb der EU-MOE ist – im Jahr 2017
nen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf4 wuchs schnel-                  weniger als 70% des österreichischen. Mit 50%-58% des
ler in jenen Ländern, wo dieses weit unter dem EU-28                   österreichischen Lohnniveaus, bleibt Österreich auch
Durchschnitt lag.                                                      weiterhin ein attraktiver Arbeitsstandort für Arbeitneh-
                                                                       mer aus Tschechien, Ungarn und der Slowakei. (Astrov
Abbildung 1: Konvergenzdynamik 2000-2007 vs. 2010-2017
                                                                       und Grübler, 2018).
                                                                       Das spiegelt sich auch in der von der Österreichischen
                                                                       Nationalbank veröffentlichten Zahlungsbilanz wieder.
                                                                       Entgelte, die von inländischen Unternehmen (nach Fir-
                                                                       mensitz) für ausländische Arbeitnehmer (nach Wohn-
                                                                       sitz) gezahlt wurden beliefen sich im Jahr 2017 auf
                                                                       3,6 Milliarden Euro. Von diesen entfielen 26% auf Un-
                                                                       garn, 23% auf Deutschland, 11% auf die Slowakei, je-
                                                                       weils 6% auf Slowenien und Rumänien und weitere 5%
                                                                       auf Tschechien.

                                                                       2. Österreichs Wirtschafts-
                                                                          beziehungen mit MOSOEL
                                                                       2.1. Außenhandel: Verschiebung Richtung
                                                                            Visegrád-Länder

                                                                       Der mit Abstand wichtigste Markt für österreichische
                                                                       Güterexporte ist der europäische Binnenmarkt mit ei-
                                                                       nem Anteil von 70% im Jahr 2017: Davon entfielen rund
                                                                       30% auf Deutschland, bzw. 52% auf Österreichs unmit-
                                                                       telbare Nachbarstaaten (Abbildung 2).
                                                                       Die Konzentration österreichischer Unternehmen auf
                                                                       den EU-Markt wird sich kurzfristig nicht dramatisch ver-
                                                                       ändern. Über die letzten Jahre lassen sich jedoch Ten-
                                                                       denzen erkennen: Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2007
                                                                       wuchsen Exportanteile in Regionen außerhalb Europas,
                                                                       insbesondere in die zwei größten Volkswirtschaften der
                                                                       Welt. Der Exportanteil in die USA wuchs im Vergleichs-
                                                                       zeitraum um 1,7 Prozentpunkte auf 6,8%, jener nach
                                                                       China erhöhte sich um 1,2 Prozentpunkte auf 2,6%.
                                                                       Dagegen reduzierte sich der Anteil der für die EU be-
                                                                       stimmten Exporte von 74% auf 70%. Dieser Rückgang ist
Datenquelle: wiiw Annual Database, Eurostat; wiiw Berechnungen. An-
                                                                       primär den EU-15 (von 56% auf 52%) zuzuschreiben,
merkung: BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten. Der EU-28-Durschschnitt
                                                                       während Exportanteile in die EU-MOE und in den West-
entspricht 100%.
                                                                       balkan beinahe unverändert bei 18% bzw. 0,9% blie-
                                                                       ben. Innerhalb der EU-MOE konnten die Visegrád-Staa-
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat dieser Dy-                ten – Tschechien, Ungarn, Polen und Slowakei – jedoch
namik allerdings erheblich Wind aus den Segeln ge-                     sogar an Bedeutung gewinnen mit einer Steigerung um
nommen (Abbildung 1). Spaltet man die Gesamtperi-                      0,7 Prozentpunkte auf nunmehr rund 12%.
ode in eine siebenjährige Vorkrisenzeit (2000-2007) und                Den im Jahr 2017 aus Österreich exportierten Waren im
eine eben solange „Quasi“-Nachkrisenzeit (2010-2017),                  Gesamtwert von 142 Milliarden Euro standen 147 Milli-
zeigt sich sehr deutlich, dass sich EU-Mitglieder schnel-              arden Euro an Importen gegenüber, die zu 71% aus
ler dem EU-28-Durchschnitt (und auch Österreich) an-                   den EU-28 stammten. Die für die Exporte beobachte-
nähern konnten als die Westbalkanstaaten und auch,                     ten Tendenzen sind auf der Seite der Importe noch viel
dass sich der wirtschaftliche Aufholprozess nach der                   stärker ausgeprägt. Mit einem Anteil von 56% dominie-
Krise wesentlich verlangsamt hat.                                      ren die EU-15 die österreichischen Importe. Gleichzeitig

4Gemessen zu Kaufkraftparitäten (KKP), d.h. unter Berücksichtigung
unterschiedlicher Preisniveaus.

                                                                              FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018         3
2. Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit MOSOEL

ist für diese Region der stärkste Anteilsrückgang zu be-                         Mit einem Anteilsgewinn von 2,3 Prozentpunkten auf
obachten, der zum größten Teil Deutschland zuzurech-                             nunmehr 12% ist den Visegrád-Staaten auch auf der
nen ist. Dagegen entwickelten sich die Importanteile                             Importseite besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
aus den EU-MOE und dem Westbalkan sehr dynamisch.

Abbildung 2: Anteile am österreichischen Warenhandel

WARENIMPORTE: 147.615 Mio. Euro im Jahr 2017

WARENEXPORTE: 141.918 Mio. Euro im Jahr 2017

Datenquelle: Statistik Austria. Anmerkung: Sortierung nach Importanteilen im Jahr 2017.

Mit einem Exportvolumen von 59 Milliarden Euro und                               EU-15 reduzierte sich von 82% im Jahr 2007 auf 75% im
Importen in der Höhe von 48 Milliarden Euro im Jahr                              Jahr 2017 – die absoluten Nächtigungszahlen reduzier-
2017 entspricht der Dienstleistungsaußenhandel etwa                              ten sich jedoch nur für Großbritannien und Italien.
einem Drittel des Warenhandels. Der Handelsbilanz-                               Auch der österreichische Tourismus profitiert von der
überschuss aus dem Dienstleistungs-sektor übersteigt                             wirtschaftlichen Entwicklung in der östlichen Nachbar-
jedoch das Handelsbilanzdefizit aus dem Güterhandel                              schaft: Gemessen an den Nächtigungszahlen rangier-
– was in erster Linie der positiven Entwicklung der Tou-                         ten Tschechien, Ungarn und Polen auf den Plätzen 6, 8
rismusbranche zuzuschreiben ist. Auch hier zeigt sich                            und 9. Zusammen mit der Slowakei (Rang 18) repräsen-
die dominante Rolle Deutschlands, dem im Jahr 2017                               tierten die Visegrád-Staaten 6,9% der gesamten Näch-
45% der Reiseverkehrsexporte und 51% der insgesamt                               tigungen. Das entspricht einem Anteilsplus von 2,1 Pro-
knapp 106 Millionen Nächtigungen ausländischer                                   zentpunkten im Vergleich zum Jahr 2007 oder 3,1 Milli-
Gäste zuzuordnen waren. Der Anteil der Gäste aus den                             onen zusätzlichen Nächtigungen. Auf Gäste aus dem

4                FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018
2. Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit MOSOEL

Westbalkan entfallen lediglich 0,3% der Nächtigungen;                    Es ist damit auch nicht verwunderlich, dass innerhalb
über die letzten 10 Jahre hat sich der Anteil jedoch                     der östlichen EU-Region die V-4 die meisten österreichi-
mehr als verdreifacht. Die stärkste Wachstumsdynamik                     schen Greenfield-Investitionen im Jahr 2017 verbuch-
ist jedoch für Reisende aus China zu beobachten, de-                     ten (Abbildung 4). Dabei handelt es sich nicht um Auf-
ren Nächtigungsanteil im Jahr 2017 1,2% betrug, aber                     käufe bestehender Unternehmen oder Anteile davon,
sich im Vergleich zum Vorkrisenjahr mehr als verfünf-                    sondern um den Aufbau oder die Erweiterung von Un-
fachte.                                                                  ternehmensstandorten.

2.2. Investitionen: Abkehr vom Osten trotz                               Abbildung 4: Österreichische Greenfield-Projekte in MOSOEL

     überdurchschnittlicher Profitabilität

Eine gegenläufige Entwicklung der österreichischen
Beziehungen mit west- und osteuropäischen Ländern
der EU zeigt sich auch anhand Österreichs Direktinves-
titionen (DI). Über den Zeitraum von 2004 bis 2010, in
welchem zwei EU-Erweiterungen nach Osten stattfan-
den, überstiegen die österreichischen Bestände an DI
in den EU-MOE jene in den EU-15 deutlich. Seit dem
Jahr 2013 verschieben sich DI-Anteile wieder zuneh-
mend Richtung EU-15. Zuletzt belief sich der Anteil der                  Datenquelle: fDi Markets
österreichischen DI-Bestände in den EU-15 auf 44%, je-
ner in den EU-MOE auf 25% (Linien in Abbildung 3).                       Wechselt man die Perspektive ist schnell ersichtlich,
Der Anteil an generierten Einkommen aus Investitionen                    dass Österreich auch eine prominente Position als In-
in den EU-MOE überstieg mit einer einzigen Ausnahme                      vestor in diesen Ländern einnimmt. Österreich zählt zu
jenen der Einkommen aus Investitionen in den EU-15.                      den Top-5 Herkunftsländern ausländischer Direktinvesti-
                                                                         tionen in sieben von elf EU-MOE – mit Anteilen von 9,7%
Abbildung   3:   Anteile österreichischer   Direktinvestitionsbestände   für Bulgarien bis zu 24,7% für Slowenien an den zugeflos-
                 und -einkommen in %                                     senen Direktinvestitions-beständen. Auch in vier von
                                                                         sechs Ländern am Westbalkan reiht sich Österreich un-
                                                                         ter die fünf wichtigsten Investoren gemessen an den DI-
                                                                         Beständen, mit Anteilen von 19,2% für Bosnien und Her-
                                                                         zegowina, 12,2% für Mazedonien, 11,6% für Serbien und
                                                                         6% für den Kosovo. In drei weiteren Staaten ist Öster-
                                                                         reich noch im Top10-Ranking zu finden. Damit bleiben
                                                                         lediglich die drei baltischen Länder in der östlichen EU
                                                                         übrig, wo Österreich nur zu den Top-20 Investorländern
                                                                         zählt mit Anteilen von jeweils unter 2%.
                                                                         Zu berücksichtigen ist hier allerdings, dass Österreich
                                                                         gerne von ausländischen Unternehmen als Stützpunkt
                                                                         für ihre Geschäfte mit MOE gewählt wird und somit DI-
                                                                         Statistiken tendenziell die Wichtigkeit der österreichi-
                                                                         schen Investoren überschätzen.

Datenquelle: OeNB.                                                       2.3. Migration: Österreichs ambivalentes
                                                                              Verhältnis zu Osteuropa
Während 44% der österreichischen DI in den EU-15 ge-
tätigt werden, stammen 21% der Einkommen aus dieser                      Österreich machte bei den EU-Osterweiterungen in
westlichen EU-Region. Für die EU-MOE steht ein DI-                       den Jahren 2004 und 2007 Gebrauch von der maxima-
Bestandsanteil von 25% einem Einkommensanteil von                        len Übergangsperiode von sieben Jahren für die voll-
33% gegenüber. Österreichische Investoren profitierten                   ständige Arbeitsmarktöffnung für Arbeitskräfte aus den
damit überdurchschnittlich von ihren Projekten in der                    neuen Mitgliedsstaaten. Im Fall Kroatiens, das der EU im
östlichen EU-Region.                                                     Jahr 2013 beitrat, tut es das noch.
Reiht man Länder nach ihrem Anteil am österreichi-                       Nichtsdestotrotz ist Österreich ein beliebtes Zielland für
schen Direktinvestitionseinkommen im Jahr 2017 wird                      Arbeitssuchende aus Osteuropa. Zwei wesentliche Fak-
diese Liste von Tschechien mit 14,6% angeführt. Die Slo-                 toren sind hier natürlich die geographische Nähe, aber
wakei (3,9%), Rumänien (3,7%), Ungarn (3,3%) und Po-                     auch das bereits erwähnte Lohngefälle.
len (2,9%) folgen auf den Plätzen 9 bis 12. Lediglich
                                                                         Zwischen 2003 und 2016 vervierfachte sich in Österreich
Deutschland (8,6%) und die Niederlande (5,5%) reihen
                                                                         die Anzahl der Arbeitskräfte aus osteuropäischen EU-
sich als EU-15-Staaten vor den Visegrád-Ländern ein.

                                                                                 FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018               5
3. Zahlreiche Weichenstellungen in naher Zukunft

Mitgliedstaaten auf 185.000 Individuen1 (Schmieder                         tomobilbranche – lässt den Schluss zu, dass Robotisie-
und Weber, 2018). Während der Zugang zum österrei-                         rung in den Visegrád-Ländern wahrscheinlicher als in
chischen Arbeitsmarkt während der Übergangsphase                           anderen Regionen Osteuropas eine zentrale Rolle bei
für hoch-qualifizierte Fachkräfte erleichtert wurde, hat                   der Produktivitätssteigerung und Standortsicherung
sich nach der vollständigen Arbeitsmarktöffnung die                        spielen wird (Grieveson, 2018).
Zusammensetzung der Arbeitnehmer hin zu geringer                           Über die letzten zehn Jahre stiegen die Bruttolöhne in
qualifizierten und jüngeren Beschäftigten in Industrien                    allen Westbalkanstaaten und EU-MOE mit Ausnahme
mit Bedarf an Saisonarbeitskräften verschoben.                             Kroatiens schneller als in Österreich. Gleichzeitig ver-
Von den im Jahr 2017 gezählten 8,8 Millionen Einwoh-                       zeichneten bis auf Ungarn und Mazedonien alle Län-
nern Österreichs besaßen 1,4 Millionen Menschen (rund                      der dieser zwei Regionen ein schnelleres Produktions-
16%) keine österreichische Staatsbürgerschaft. Rund                        wachstum als Österreich. Wenn die Produktivität
ein Drittel kommt aus den EU-MOE und knapp ein Fünf-                       schneller zunimmt, als die Arbeitnehmerentgelte, fallen
tel aus dem Westbalkan. Ebenfalls im Jahr 2017 wurden                      die Lohnstückkosten relativ zu Österreich und könnten
3,6 Millionen Beschäftigungsverhältnisse erfasst. Von                      damit den Wettbewerb mit österreichischen Sektoren
diesen entfielen 699 Tausend auf Personen anderer Na-                      verschärfen. Das trifft innerhalb der EU-MOE auf Kroa-
tionalitäten. Sowohl die Zahl der Personen aus dem                         tien, Polen und Slowenien zu, die gleichzeitig auch die
Westbalkan, die in Österreich leben, als auch die Zahl                     geringsten Lohnunterschiede zu Österreich aufweisen
der entsprechenden Beschäftigungen steigt; der Anteil                      (Astrov und Grübler, 2018). Ebenso trifft diese Beobach-
der Westbalkanregion ist jedoch stark rückläufig, wäh-                     tung für Albanien, Bosnien und Herzegowina sowie Ser-
rend der Anteil der östlichen EU-Mitgliedsstaaten stetig                   bien zu, die jedoch noch einen langen Konvergenz-
zunimmt.                                                                   weg vor sich haben.

Tabelle 1: Personen aus EU-MOE und Visegrád-Staaten (V-4) in
Österreich im internationalen Vergleich2
                                                                              Open Data & Interaktive Visualisierung
Gesamte ausländische Population je Kennzahl = 100%
                                                                             Daten zu Wirtschaftsbeziehungen Österreichs mit
    Anteile 2017, in%             EU-28    EU-MOE       V-4       WB         22 Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa stehen
    Bevölkerung                   49,7%      30,2%     13,8%     19,2%       seit Mitte 2018 kostenlos in Form interaktiver Grafiken
                                                                             und als Download in Excel-Format zur Verfügung:
    Unselbständig Beschäftigte    59,8%      40,5%     24,6%     20,7%
                                                                             https://wiiw.ac.at/at-und-mosoe.html
    Gastarbeiterüberweisungen     60,0%      47,8%     33,3%     22,3%

    Grenzüberschreitende    Ar-   90,0%      61,7%     46,6%      4,0%
    beitnehmerentgelte
Datenquellen: Statistik Austria, BALI (Budget-, Arbeitsmarkt- und Leis-
tungsbezugsinformationen des BMASK), OeNB.
                                                                           3. Zahlreiche Weichenstellungen
Während Emigration für die MOE kurzfristig positive wirt-                     in naher Zukunft
schaftliche Konsequenzen mit sich bringt, wie etwa
eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit, Gastarbeiter-                       3.1. EU-interne Herausforderungen
überweisungen in ihre Heimatländer, als auch höheres
Lohnwachstum, führt anhaltende Emigration in Kombi-                        Brexit und die wachsende Lücke im EU-Budget
nation mit dem natürlichen demographischen Wandel
zu zunehmendem Arbeitskräftemangel, der die wirt-                          Großbritannien – und damit eine der größten Volkswirt-
schaftliche Entwicklung der Länder gefährden könnte.                       schaften der EU und Nettozahler in das EU-Budget –
Eine nachhaltige Verbesserung der Situation durch aus                      scheidet per 30. März 2019 aus der EU aus.
Großbritannien nach dem vollzogenen Brexit zurück-                         Laut Programm zum österreichischen EU-Ratsvorsitz
kehrende Personen oder durch Kompensation mit Ar-                          wird der Wahrung der Einheit der verbleibenden 27 EU-
beitskräften aus weiter östlich liegenden Regionen ist                     Mitgliedstaaten als auch des positiven Verhältnisses mit
unwahrscheinlich. Der Sorge, dass Unternehmen ihr Ka-                      Großbritannien nach vollzogenem Brexit besondere
pital aus der Region abziehen und damit das Wachs-                         Aufmerksamkeit geschenkt (BKA, 2018).
tum der für Österreich wichtigen Wirtschaftspartner
                                                                           Ein informeller Gipfel der Staats- und Regierungschefs,
dämpfen würden, könnte durch Automatisierung Ab-
                                                                           der Mitte September in Salzburg abgehalten wurde,
hilfe geschafft werden. Die aktuelle wirtschaftliche
                                                                           widmete sich neben den Themen Migration und innere
Struktur – insbesondere die Spezialisierung auf die Au-
                                                                           Sicherheit dem Fortschritt der Brexit-Verhandlungen. Als

1 Diese Zahl beschränkt sich auf im österreichischen Sozialversiche-       2 Detaillierte Länderstatistiken zu einzelnen Kennzahlen für mehrere

rungssystem erfasste unselbständige Erwerbstätige, ohne nach Woh-          Länder sind im statistischen Anhang zum wiiw-Sommerprognosebericht
nort zu differenzieren und schließt damit ausländische Pendler ein, aber   auch als Download verfügbar: https://wiiw.ac.at/ds-6.html
temporär entsandte Arbeitskräfte sowie selbständig Tätige nicht.

6                   FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018
3. Zahlreiche Weichenstellungen in naher Zukunft

positives Ergebnis konnte lediglich die Einigkeit präsen-                   EU-Transfers ab 2021 getrübt werden (Abbildung 5).
tiert werden, dass es eine klare, rechtsverbindliche Lö-                    Geplante Kürzungen entsprechen der Größenordnung
sung für Irland geben müsse. Obwohl der Präsident des                       von etwa 1% des BIP dieser Länder (Astrov und Grübler,
Europäischen Rates, Donald Tusk, die Oktobertagung                          2018).
als „Stunde der Wahrheit“ für die Brexit-Verhandlungen                      Der von der Kommission im Mai präsentierte Budget-
ankündigte (Tusk, 2018), konnte bei dieser ebenfalls nur                    Vorschlag beläuft sich auf 1,11% des Bruttonationalpro-
festgestellt werden, dass noch keine ausreichenden                          dukts der EU-27. Mit dem Ausstieg Großbritanniens setzt
Verhandlungsfortschritte erzielt werden konnten (Euro-                      man auf eigene EU-Einnahmequellen, Systemvereinfa-
päischer Rat, 2018).                                                        chungen, teils auf Kürzungen und nicht zuletzt auch auf
Zahlreiche Studien widmeten sich der Schätzung von                          bedingte Zahlungen (Europäische Kommission, 2018c):
Brexit-Effekten – durchwegs mit negativen Konsequen-                        (i) Zu den neuen Einnahmequellen gehören gemäß EK-
zen für die EU, und teilweise verheerenden Effekten für                     Vorschlag 20% der Einnahmen aus dem Emissionshan-
das ausscheidende Großbritannien. Für die Analysen                          delssystem, 3% der gemeinsamen Körperschaftssteuer-
werden verschiedene Szenarien entworfen. Im                                 Bemessungsgrundlage und Abgaben (0,80 EUR/Kilo)
schlimmsten Fall geht man – auch heute noch – von                           auf nicht wiederverwertete Verpackungsabfälle aus
einem „Hard Brexit“3 aus, für welchen Aichele und Fel-                      Kunststoff. (ii) Vereinfachungen des EU-Haushalts sollen
bermayr (2015) Rückgänge des Realeinkommens um                              u.a. durch die Abschaffung des aufwendigen Rabatt-
bis zu -0,2% für Österreich, -0,4% für die EU-27 und                        systems erreicht werden. Zudem sollen nur noch 10%
-2,8% für Großbritannien errechneten. Analysen von                          (anstatt     20%)     der   Zolleinnahmen      von    EU-
Oberhofer und Pfaffermayr (2017) ergeben für die Ver-                       Mitgliedstaaten einbehalten werden. (iii) Kürzungen
änderung des Realeinkommens für Großbritannien                              von jeweils ca. 5% wurden von der Kommission für Fi-
eine Bandbreite von -0,3% bis -5,7%, die sich primär aus                    nanzmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik und für die
der Substitution relativ günstiger Industriegüterimporte                    Kohäsionspolitik vorgeschlagen.
aus der EU durch relativ teure heimische Produktion                         Sowohl eine Erhöhung der Beiträge Österreichs zum EU-
ergibt, während der Effekt für die EU27 sich nicht signifi-                 Budget als auch die vorgeschlagenen Maßnahmen im
kant von Null unterscheidet.                                                Bereich der Landwirtschaft stießen in einer ersten Reak-
Kohl et al. (2017) präsentierten potenzielle Einbußen                       tion auf Ablehnung. Aber auch Frankreich, Polen und
mehrwertschaffender Exporte im Fall eines „Hard                             die Niederlande zeigten sich kritisch (derStandard,
Brexit“ im Ausmaß von -0,6% für Österreich, -1,2% für die                   2. Mai 2018).
EU-27 und -17,5% für Großbritannien. Dhingra et al.                         Die Debatten rund um das neue EU-Budget werden
(2017) kommen zu dem Schluss, dass der Konsum pro                           stark von der Gegenüberstellung der Netto-Empfänger
Kopf in Österreich um -0,2%, in der EU-27 um -0,4% und                      bzw. Netto-Zahler geprägt. Die Entscheidung über das
in Großbritannien um -2,7% einbrechen könnte.                               Budget sollte aber vielmehr die wirtschaftlichen Konse-
                                                                            quenzen abwägen.
Abbildung 5: Geplante Zuteilungen des Europäischen Struktur- und
                                                                            Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Naldini et al.
             Investitionsfonds, in EUR pro Kopf
                                                                            (2018) analysiert die Spillover-Effekte der europäischen
                                                                            Kohäsionspolitik. Effekte der Kohäsionsausgaben in Ös-
                                                                            terreich beliefen sich durchschnittlich auf rund
                                                                            EUR 94 Millionen pro Jahr über eine Periode von acht
                                                                            Jahren. Über Handels- und Produktionsnetzwerke profi-
                                                                            tieren aber auch andere Länder von Investitionen in
                                                                            Österreich und auch umgekehrt kann Österreich durch
                                                                            Investitionen in der EU als Zulieferer aktiv werden. Über
                                                                            Kohäsionspolitik finanzierte Projekte in Österreich zei-
                                                                            gen einen positiven Spillover-Effekt auf die restlichen
                                                                            EU-15 von rund EUR 15,7 Millionen pro Jahr auf, wäh-
                                                                            rend die EU-MOE – welche Hauptempfänger dieser
                                                                            Zahlungen sind – nur marginal mit EUR 1,9 Millionen mit-
                                                                            naschen können. Gänzlich anders sieht die Situation für
                                                                            Österreich aus, wenn man betrachtet, welche Effekte
Anmerkung: MFR = Mehrjähriger Finanzrahmen. Datenquelle: Europäi-           sich für Österreich durch Projekte im EU-Ausland erge-
sche Kommission (2018d), Smart Specialisation Platform.                     ben. Die höchsten Spillover-Effekte für Österreich sind
                                                                            Ungarn (EUR 32,5 Millionen pro Jahr), Polen (21,8),
Zusätzlich zur Neugestaltung der Handelsbeziehung mit                       Tschechien (17,3) und Deutschland (12,4) zuzuschrei-
Großbritannien, könnten Wachstumsaussichten der EU-                         ben. In Summe ergibt sich für Österreich ein positiver Ef-
Mitgliedsstaaten in MOE auch durch die Kürzung von                          fekt von EUR 31,6 Millionen pro Jahr für die restlichen

3 FIW Policy Brief 36 (September 2017) diskutiert einzelne Szenarien aus-
führlich.

                                                                                   FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018           7
3. Zahlreiche Weichenstellungen in naher Zukunft

EU-15, aber einen mehr als dreimal so hohen Effekt für                    Länder in der Nachbarschaft mit einem erwarteten An-
die EU-MOE (97,5), der zum Großteil auf den engen                         stieg des Realeinkommens von über 0,001%, mit erwar-
Wirtschaftsbeziehungen Österreichs mit den Visegrád-                      teten Exportzuwächsen von 0,04%.
Staaten (77,8) beruht. Diese Effekte schließen noch
keine mittelfristigen Konsequenzen durch Kapazitätser-                    3.2. Steigende Unsicherheiten im
weiterungen, verbesserte Infrastruktur oder Investitio-
nen in Humankapital oder Forschung und Entwicklung
                                                                               internationalen Umfeld
ein.
                                                                          Die chinesische Seidenstraßeninitiative4 und
                                                                          Anti-EU-Propaganda
Bedingte Kohäsionspolitik

                                                                          Die im Jahr 2013 verkündete „Neue Seidenstraße“ ist
Eine große Neuerung des EU-Budgets ist die Bindung an
                                                                          ein internationales von China vorangetriebenes Infra-
Rechtsstaatlichkeit. Sollten die eingangs erwähnten
                                                                          strukturinvestitionsprogramm, mit einem Schwerpunkt
Disziplinarverfahren gegen Ungarn und Polen keine
                                                                          auf den Ausbau und die Modernisierung von Transpor-
schwerwiegenden politischen Konsequenzen – wie
                                                                          tinfrastruktur. Innerhalb Europas liegt der geographi-
den Verlust der Stimmrechte – zur Folge haben, könn-
                                                                          sche Schwerpunkt spätestens seit der Übernahme von
ten die wirtschaftlichen Folgen durch die Koppelung
                                                                          67% der Anteile am größten griechischen Hafen von Pi-
von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit trotzdem
                                                                          räus im Juli 2016 durch die China Ocean Shipping
enorm sein. Im Fall Ungarns wurden bereits fast alle aus
                                                                          Company (COSCO) in Südosteuropa.
dem Kohäsionsfonds für die Periode 2014-2020 zur Ver-
fügung gestellten Ressourcen im Voraus ausbezahlt.                        Die primär durch chinesische Kredite gestützte Initiative
Sollten die Zahlungen, die in der Vergangenheit die                       birgt großes wirtschaftliches Potenzial, insbesondere für
Größenordnung von in etwa 3-4% des ungarischen BIP                        die Westbalkanstaaten, die den höchsten Aufholbe-
eingenommen haben, nicht eintreffen, würde Ungarn                         darf im Bereich Infrastruktur aufweisen und gleichzeitig
mit einem enormen Haushaltsdefizit und vermutlich ei-                     im Vergleich zu den EU-MOE nur eingeschränkt Zugang
nem Wachstumseinbruch konfrontiert werden.                                zu EU-Förderungen haben. Vorgesehene Projekte
                                                                          könnten u.a. zusätzliche Beschäftigung schaffen,
EU-Integration der Westbalkanstaaten                                      durch verbesserte Infrastruktur Transportkosten und -zei-
                                                                          ten reduzieren und damit den Wirtschaftsstandort auf-
                                                                          werten.
Die Aussichten für einen EU-Beitritt einiger Westbalkan-
staaten haben sich in jüngster Vergangenheit verbes-                      Die mit der Initiative verbundenen Risikofaktoren und
sert. Die Europäische Kommission präsentierte als Ziel                    die Unsicherheit durch mangelnde Transparenz, die
das Jahr 2025 in welchem die EU um die Westbalkan-                        Ängste in Europa schüren, sollten jedoch nicht unbe-
staaten erweitert werden soll.                                            rücksichtigt bleiben. Hierzu zählen u.a. die Befürch-
                                                                          tung, dass lokale Arbeitskräfte und Materialien bei der
Angesichts persistenter wirtschaftlicher und politischer
                                                                          Realisierung der Projekte kaum zum Einsatz kommen
Hürden scheint die Zielvorgabe selbst für die am wei-
                                                                          könnten, oder dass sich kreditfinanzierte Großprojekte
testen entwickelten Länder der Region – Montenegro
                                                                          als    Schuldenfallen      entpuppen      könnten.   Hur-
und Serbien – zu optimistisch (Grieveson et al., 2018).
                                                                          ley et al. (2018) identifizierten sieben Länder, für wel-
Die Demonstration einer ernsthaften Aussicht auf einen
                                                                          che chinesische Projekte das Risiko einer Überschul-
EU-Beitritt ist dennoch von Bedeutung: Die Erfahrungen
                                                                          dung stark erhöhen – dazu zählt auch Montenegro
in der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine solche
                                                                          durch ein Seidenstraßen-Autobahnprojekt. Neben wirt-
wesentlich dazu beitragen kann, die Attraktivität für
                                                                          schaftlichen Herausforderungen müssen auch politi-
ausländische Direktinvestitionen zu steigern und Export-
                                                                          sche Hürden überwunden werden. Intransparenz bei
kapazitäten aufzubauen. Lt. EBRD (2017) beläuft sich
                                                                          Auftragsvergaben ist fruchtbarer Boden für Korruption.
der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen in der Region für
                                                                          Ferner kann sich finanzielle Abhängigkeit zu politischer
die Periode 2018-2022 immerhin auf über 8% des BIP pro
                                                                          Abhängigkeit entwickeln.
Jahr für jeden Westbalkanstaat.
                                                                          Die Ankündigungen der Europäischen Kommission
Mit Gravitationsschätzungen kommen Reiter und Steh-
                                                                          (2018e, 2018f) von sechs Leitinitiativen für den Westbal-
rer (2018) zu dem Schluss, dass der Beitritt zur Zollunion
                                                                          kan im Mai, der Vorschlag eines „InvestEU“-Programms
vor allem für den High-Tech-Sektor als auch den Agrar-
                                                                          im Juni, als auch die Präsentation der EU-Vision für
bereich der Region förderlich wäre. Die größten positi-
                                                                          Konnektivität zwischen Europa und Asien im Septem-
ven Effekte auf das Realeinkommen durch vertiefte
                                                                          ber sind in diesem Kontext sehr zu begrüßen. Diese Initi-
Handelsintegration ergäben sich für die Westbalkan-
                                                                          ativen können noch nicht mit dem Titel einer „Europäi-
staaten (zwischen 0,15% für Albanien bis 0,26% für Mon-
                                                                          schen Seidenstraße“, wie sie beispielsweise Holzner et
tenegro), hauptsächlich durch die Reduktion von Im-
                                                                          al. (2018) skizzieren5, bedacht werden. Dennoch sen-
portpreisen. Aber auch Österreich ist eines der sieben
                                                                          den sie ein Signal in die richtige Richtung.

4FIW Policy Brief 33 (Jänner 2017) widmet sich dem wirtschaftlichen Po-   5 In den komplementär zur chinesischen Seidenstraße angelegten

tenzial der chinesischen Seidenstraßeninitiative für Österreich.          Transportrouten von Lissabon bis Uralsk und von Mailand bis Wolgograd

8                FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018
4. Wiederbelebung der Brückenfunktion

Wankelmütige US-Handelspolitik                                       angekündigten EU-Initiativen zu erwarten. Es ist im ös-
                                                                     terreichischen Interesse, beide Initiativen aktiv mitzuge-
Mit einem Anteil von rund 6% an den gesamten Waren-                  stalten und zu analysieren. Insbesondere im Fall chine-
exporten im Jahr 2017 sind die USA der zweitwichtigste               sischer Investitionen sollte sich Österreich während des
Exportmarkt Österreichs. Für eine Evaluierung der Ef-                Ratsvorsitzes stark machen, im Sinne der Transparenz-
fekte der aggressiven US-Handelspolitik dürfen jedoch                förderung die seit dem Jahr 2013 andauernden Ver-
nicht nur diese direkten Exporte betrachtet werden, da               handlungen zum Investitionsabkommen zwischen
Österreich in internationale Wertschöpfungsketten ein-               China und der EU voranzutreiben und Fortschritte sowie
gebunden ist.                                                        Risiken der chinesischen Investitionen in Europa zu eva-
Damit ist es durchaus berechtigt, auch in Österreich                 luieren.
Alarm zu schlagen, wenn sich US-Strafzölle gegen die                 Während China sich schrittweise in den Bereichen Han-
deutsche Automobilindustrie richten. Basierend auf der               del und Investitionen öffnet, zieht sich die USA zuneh-
WIOD-Datenbank lässt sich berechnen, dass in jedem                   mend von der internationalen Wirtschaftsbühne zu-
Euro an deutschen Autoexporten 30 Cent ausländi-                     rück. Europa ist direkt von den gegenläufigen Strate-
sche Wertschöpfung stecken, von welchen rund 5%                      gien der zwei weltweit größten Volkswirtschaften be-
auf Österreich entfallen. Damit rangiert Österreich auf              troffen, z.B. von Stahl- und Aluminiumzöllen der USA o-
Rang 7 der ausländischen Zulieferer, noch vor großen                 der chinesischen Investitionen im Westbalkan. Die indi-
Ländern wie Großbritannien. Aber auch die Visegrád-                  rekten Effekte, die sich aus der zunehmend feindlichen
Staaten sind stark in die deutsche Autoproduktion inte-              Beziehung zwischen den USA und China ergeben,
griert. In weiterer Folge könnte der handelspolitische               könnten jedoch noch stärker ausfallen. In diesem Sinne
Angriff auf die deutsche Autoindustrie die Konjunktur                scheint eine verstärkte Analyse der Entwicklung des
der wichtigsten Wirtschaftspartner Österreichs in Eu-                Handelskriegs zwischen China und den USA als auch
ropa schwächen und die ausländische Nachfrage                        der Verhandlungen einer Reform der Welthandelsor-
nach österreichischen Gütern und Dienstleistungen an-                ganisation (WTO) sinnvoll.
derer Sektoren wie der Tourismusbranche dämpfen.

4. Wiederbelebung der
   Brückenfunktion
Die Rolle des Vermittlers zwischen West und Ost, die Ös-
terreich im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft 2018 ein-
nehmen will, gestaltet sich in Anbetracht der politi-
schen und wirtschaftlichen Entwicklungen der jüngsten
Vergangenheit als zunehmend herausfordernd.
Nicht zuletzt durch die Ankündigung der österreichi-
schen Regierung, dem Migrationspakt zu Grundsätzen
für den Umgang mit Migranten bei der UN-Konferenz in
Marokko im Dezember 2018 nicht zuzustimmen, wer-
den Vorwürfe einer „Orbanisierung“ Österreichs laut.
Ohne auf diese Entscheidung im Detail eingehen zu
wollen, ist es wirtschaftlich notwendig, politisch klar zu
kommunizieren, in welchen Bereichen Österreich die-
selben Positionen wie die Visegrád-Länder vertritt, aber
auch, wo sie sich unterscheiden. Eine starke Unterstrei-
chung der Befürwortung der Bindung des EU-Budgets
an Rechtsstaatlichkeit wäre ein wichtiges Signal an die
heimische Bevölkerung als auch an ausländische Inves-
toren.
Ebenfalls das EU-Budget betreffend, sollte die Diskus-
sion rund um Netto-Zahler und Netto-Empfänger erwei-
tert werden um die tatsächlichen Effekte von Kohäsi-
onspolitik für Empfänger als auch Wirtschafspartnerlän-
der wie Österreich.
Positive Spillover-Effekte sind auch von Investitionen der
chinesischen Seidenstraßeninitiative und der kürzlich

und Baku würde Österreich vornehmlich von einer Steigerung der Ex-
porte nach Russland um 14% profitieren.

                                                                            FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018           9
5. Literaturverweise

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                                                                      ture”, Focus on European Economic Integration, Q3/18,
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10             FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018
6. Ländercodes

6. Ländercodes

                                                 Westeuropäische Länder der EU (EU-15)

                     Österreich     AT                                Finnland   FI                             Italien   IT
                       Belgien      BE                              Frankreich   FR                         Luxemburg     LU
                   Deutschland      DE                      Großbritannien       GB (UK)                   Niederlande    NL
                     Dänemark       DK                       Griechenland        GR (EL)                       Portugal   PT
                        Spanien     ES                                  Irland   IE                         Schweden      SE

                                           Mittel- und Osteuropäische Länder der EU (EU-MOE)

                       Bulgarien     BG                               Ungarn     HU                          Rumänien     RO
                     Tschechien      CZ                               Litauen    LT                          Slowenien    SI
                         Estland     EE                               Lettland   LV                           Slowakei    SK
                        Kroatien     HR                                 Polen    PL

                                                         Westbalkanstaaten (WB)

                     Albanien       AL                        Montenegro         ME                             Serbien   RS
     Bosnien und Herzegowina        BA                        Mazedonien         MK                             Kosovo    XK

Autorin:
Julia Grübler, M.Sc.
Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
Telefon: +43 1 533 66 10-86
Email: gruebler@wiiw.ac.at

Impressum:

FIW-Policy Briefs erscheinen in unregelmäßigen Abständen zu
aktuellen außenwirtschaftlichen Themen. Herausgeber ist das
Kompetenzzentrum "Forschungsschwerpunkt Internationale
Wirtschaft" (FIW). Das FIW bietet den Zugang zu internationa-
len Außenwirtschafts-Datenbanken, eine Forschungsplattform
und Informationen zu außenwirtschaftsrelevanten Themen.

Das Kompetenzzentrum FIW ist ein Projekt von WIFO, wiiw und
WSR im Auftrag des BMDW. Die Kooperationsvereinbarungen
des FIW mit der Wirtschaftsuniversität Wien, der Universität
Wien, der Johannes Kepler Universität Linz und der Leopold-
Franzens-Universität Innsbruck werden aus Mittel des BMBWF
gefördert.

Für die Inhalte der Policy Briefs sind die AutorInnen verantwort-
lich.

                                                         Kontakt:
                                                 FIW-Projektbüro
                                                        c/o WIFO
                                              Arsenal, Objekt 20
                                                       1030 Wien
                                   Telefon: +43 1 728 26 01 / 335
                                            Email: fiw-pb@fiw.at
                                     Webseite: https://fiw.ac.at

                                                                                      FIW-Policy Brief Nr. 42, November 2018   11
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