Vom Wasserbett zur Badewanne - ANALYSE Die Auswirkungen der EU-Emissionshandels-reform 2018 auf CO -Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der ...
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Vom Wasserbett zur Badewanne Die Auswirkungen der EU-Emissionshandels- reform 2018 auf CO₂ -Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren ANALYSE
Vom Wasserbett zur Badewanne IMPRESSUM HINTERGRUND Vom Wasserbett zur Badewanne Die Auswirkungen der EU-Emissionshandels reform 2018 auf CO₂-Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren ERSTELLT VON AUTOREN Agora Energiewende Dr. Patrick Graichen, Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin Philipp Litz T +49 (0)30 700 14 35-000 (Agora Energiewende) F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-energiewende.de Dr. Felix Chr. Matthes, info@agora-energiewende.de Hauke Hermann (Öko-Institut) Öko-Institut e. V. Schicklerstr. 5–7 | D-10179 Berlin T +49 30 40 50 85-0 F +49 30 40 50 85-388 www.oeko.de Unter diesem QR-Code steht diese PROJEKTLEITUNG Publikation als PDF zum Download zur Verfügung. Philipp Litz (Agora Energiewende) Satz: UKEX GRAPHIC Urs Karcher Bitte zitieren als: Titelbild: iStock.com/clu Agora Energiewende und Öko-Institut (2018): Vom Wasserbett zur Badewanne. Die Auswir- kungen der EU-Emissionshandelsreform 2018 136/03-A-2018/DE auf CO₂-Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Veröffentlichung: Juli 2018 Erneuerbaren.
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, im Juni 2018 hat die Kommission Wachstum, Struk- handel führen würden. Dieser Effekt war bislang eher turwandel und Beschäftigung ihre Arbeit aufgenom- theoretischer Natur, da mit und ohne nationale Inst- men. Diese soll laut Kabinettsbeschluss bis Ende des rumente der EU-Emissionshandel einen gigantischen Jahres unter anderem einen Vorschlag erarbeiten, Zertifikateüberschuss aufweist. Mit der umfassen- mit welchen zusätzlichen nationalen Maßnahmen den Reform des EU-Emissionshandels, die im April Deutschland möglichst nahe an das 2020-Klima- 2018 in Kraft getreten ist, wurden jedoch erstmals schutzziel herankommt, wie das Sektorenziel der Beschlüsse gefasst, die dem Wasserbetteffekt wirk- Energiewirtschaft aus dem Klimaschutzplan bis sam begegnen. Nationale Klimaschutzinstrumente 2030 erreicht werden kann und bis wann die Kohle in der Energiewirtschaft und der EU-Emissions- verstromung in Deutschland beendet wird. handel sind insofern keine Gegensätze mehr. Welche Beschlüsse konkret gefasst wurden und wie sich Eines der Hauptargumente gegen solche zusätzlichen diese auswirken, lesen Sie in diesem Hintergrund nationalen Klimaschutzinstrumente war über Jahre papier. der sogenannte Wasserbetteffekt im europäischen Emissionshandel. Demnach würden solche Instru- Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! mente keinen Klimaschutzeffekt haben, da sie nur zu Ihr Patrick Graichen zusätzlichen Emissionen anderswo im Emissions Direktor Agora Energiewende Ergebnisse auf einen Blick: Die Reform des ETS (Emissions Trading System) vom April 2018 hat den europäischen Emissionshandel wiederbelebt. Nachdem er in den letzten Jahren weitestgehend wirkungslos 1 gewesen war, haben sich die CO₂-Preise binnen eines Jahres auf rund 15 Euro pro Tonne erhöht und zeigen damit, dass das Instrument des ETS wieder ein gewisses Grundvertrauen genießt. Der Wasserbetteffekt des EU-Emissionshandels ist Geschichte. Ähnlich einem Badewannen- Überlaufventil sorgen neue Regelungen im ETS dafür, dass nationale Klimaschutzinstrumente auch 2 zur Löschung von Zertifikaten führen. So werden ab 2023 große Teile der Überschussmengen im Emissionshandel gelöscht, zudem können nationale Mitgliedstaaten bei einem Kohleausstieg die entsprechend frei werdenden CO₂-Zertifikate stilllegen. Es ist derzeit noch völlig offen, ob durch diese Reform das Cap des EU-Emissionshandels tatsächlich begrenzend wirkt und somit signifikante Emissionsminderungen auslöst. In einem solchen Szenario würden sich im Verlauf der 2020er-Jahre Knappheitspreise entsprechend der CO₂-Vermeidungskosten 3 einstellen. Weil es aber aufgrund des europaweiten Zubaus von Erneuerbaren Energien und des Trends von Steinkohle zu Erdgas zu erheblichen Ohnehin-Minderungen kommt, ist es genauso wahrscheinlich, dass der EU-ETS auch mittelfristig einen hohen Zertifikateüberschuss behält. 3
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Inhalt Zusammenfassung7 1 Einleitung: Wo steht der europäische Emissionshandel Anfang 2018? 11 2 Die Reform des EU-Emissionshandels vom April 2018: Was wurde konkret beschlossen? 15 2.1 Cap, Marktstabilitätsreserve und Löschung von Zertifikaten 15 2.2 Zuteilung der Zertifikate für K raftwerke 16 2.3 Regelungen für die Industrie 16 2.4 Innovations- und Modernisierungsfonds 16 2.5 Flug- und Schiffsverkehr 16 3 Auswirkungen der Reform auf Ü berschussentwicklung und CO₂-Preise 19 3.1 Entwicklung des Überschusses 20 3.2 Entwicklung des CO₂-Preises 22 4 Antworten der ETS-Reform auf den Wasserbetteffekt: Das Zusammenwirken des ETS mit nationalen Maßnahmen wie Kohleausstieg und Erneuerbare-Energien-Zubau 25 4.1 Nationale Instrumente und der ETS: Der Wasserbetteffekt 25 4.2 Löschung von Zertifikaten aus der Marktstabilitätsreserve als erste Antwort auf den Wasserbetteffekt 26 4.3 Löschung von Zertifikaten bei Stilllegung von Kraftwerken als zweite Antwort auf den Wasserbetteffekt 28 5 Fazit 29 5
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HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne Zusammenfassung Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, ihre Kern der Reform sind vier Elemente: Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Pro- zent gegenüber 1990 zu reduzieren. Bis 2030 sollen →→ Ab dem Jahr 2021 wird das Emissionshandels-Cap die Treibhausgasemissionen entsprechend um min- jährlich um 2,2 Prozent gesenkt. Im Zeitraum 2013 destens 40 Prozent reduziert werden. Die Bepreisung bis 2020 beträgt dieser Faktor noch 1,74 Prozent. von CO₂ innerhalb des Europäischen Emissionshan- Da der Bezugspunkt für diese jährliche Minde- dels (EU-ETS) ist zur Erreichung dieser Ziele – neben rung jedoch nicht das aktuelle Emissionsniveau, der Steigerung der Energieeffizienz und dem Ausbau sondern die (deutlich höhere) Zertifikatemenge im der Erneuerbaren Energien – eine der zentralen Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 ist, wirkt der Maßnahmen der europäischen Klimapolitik. höhere Minderungsfaktor erst mit einer erhebli- chen Zeitverzögerung. Bis zum Jahr 2017 haben die europäischen Anlagen →→ Die Zuführungsrate, mit der dem Markt über- innerhalb des EU-ETS ihre Emissionen gegenüber schüssige Zertifikate entzogen und in die Markt- dem Basisjahr 2005 um 25,3 Prozent reduziert. Der stabilitätsreserve (MSR) überführt werden, wird Beitrag des Emissionshandels zu den beobachteten gegenüber den bisher vorgesehenen Regelungen in Emissionsminderungen war bisher jedoch stark den Jahren 2019 bis 2023 von 12 auf 24 Prozent des begrenzt: Eine systematische Überausstattung der Vorjahresüberschusses verdoppelt. Emittenten mit Zertifikaten, zusätzliche JI/CDM-Zer- →→ Ab 2023 wird die maximale Größe der Markt- tifikate sowie – zu einem geringeren Teil – bei der stabilitätsreserve auf die Versteigerungsmenge Cap-Festsetzung noch nicht berücksichtigte (zusätz- des Vorjahres beschränkt. Sämtliche Zertifikate liche) nationale Klimaschutzmaßnahmen (Energie in der Marktstabilitätsreserve, die diese Grenze effizienz, Ausbau Erneuerbarer Energien) haben überschreiten, werden gelöscht. Dies führt dazu, eine Zertifikateknappheit innerhalb des EU-ETS dass im Jahr 2023 etwa zwei Milliarden Zertifikate weitestgehend verhindert. De facto lief das Cap im gelöscht werden und dass sich die Zahl der Zertifi- EU-Emissionshandel damit ins Leere. kate, die höchstens in der Marktstabilitätsreserve gehalten werden kann, jährlich um etwa 28 Millio- Nach mehreren kleineren Reformen haben sich der nen verringert. Europäische Rat und das Europäische Parlament auf →→ Sofern im Stromsektor durch zusätzliche nationale eine grundlegende Reform des EU-ETS verständigt. Klimaschutzmaßnahmen Kraftwerke stillgelegt Sie ist im April 2018 in Kraft getreten und bildet werden, können Mitgliedstaaten jährlich Zertifi- den Rahmen für die vierte Handelsperiode (2021 kate in einem Umfang unilateral stilllegen, der den bis 2030). Ziel der Reform war es, den EU-ETS im durchschnittlichen Emissionen der entsprechen- Hinblick auf das Klimaschutzziel 2030 wieder als den Anlagen über einen Zeitraum von fünf Jahren wirkungsvolles Klimaschutzinstrument zu etablieren, vor der Stilllegung entspricht. indem die bestehenden strukturellen Überschüsse schrittweise abgebaut werden. Im Ergebnis war die aktuelle Reform des EU-Emissi- onshandels ein wichtiger Schritt in Richtung Neue- tablierung des Instruments im Konzert der europä- ischen Klimapolitik. Sie hat im Wesentlichen zwei zentrale Wirkungen: 7
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne →→ Zum einen hat die Reform das Instrument des „Paris+5“-Klimaverhandlungen umsetzen muss EU-ETS wiederbelebt, nachdem es in den letz- und wohl auch eine Überprüfung der Marktsta- ten Jahren schon fast totgesagt war. Die höheren bilitätsreserve beinhalten wird, dürfte dann der Zuführungsraten zur Marktstabilisierungsreserve, EU-Emissionshandel ein Instrument entspre- die Löschung von Überschusszertifikaten ab dem chend der ökonomischen Theorie werden, bei dem Jahr 2023 und die Senkung des jährlichen Caps das gesetzte Cap auch mengenbegrenzend für die ab 2021 haben dazu geführt, dass der EU-Emis- betroffenen Anlagen wirkt. sionshandel wieder als ernstzunehmendes Ins- →→ Zum anderen ist der Wasserbetteffekt im trument der Klimapolitik wahrgenommen wird. EU-Emissionshandel ab dem Jahr 2019 Entsprechende Folge ist die Erholung des Preises Geschichte – aus dem Wasserbett wird eine Bade- für CO₂-Emissionszertifikate binnen eines Jahres wanne mit Überlaufventil. Sowohl der Löschungs- von 5 Euro auf aktuell etwa 15 Euro pro Tonne. mechanismus der Marktstabilitätsreserve als auch Auch wenn derzeit noch offen ist, ob diese Refor- die Löschungsoption bei der Stilllegung von Kohle- men dazu führen, dass das Cap vor 2030 wirklich kraftwerken ähneln in ihrer Funktion dem Über- begrenzend wirkt (und sich entsprechende Knapp- laufventil, das beim Eintauchen in eine Badewanne heitspreise einstellen), so scheint doch gesichert, dafür sorgt, dass das Badewasser nicht einfach dass die EU dem Instrument eine Zukunft geben steigt (und dabei womöglich durch ein Überlaufen will. Spätestens bei einer nächsten Reform, die in dafür sorgt, dass das gesamte Badezimmer unter der kommenden Legislaturperiode des Europä- Wasser steht), sondern dass dann das Wasser kont- ischen Parlaments ansteht und verschärfte EU- rolliert abfließen kann. Klimaschutzziele 2030 im Zuge der internationalen Der Europäische Emissionshandel – Vom Wasserbett zur Badewanne Abbildung Z1 Emissionshandel Emissionshandel vor der Reform nach der Reform Im ETS bereits Über den ETS Über den ETS berücksichtigte, hinausgehende, Wasser- hinausgehende, zusätzliche zusätzliche bett- zusätzliche Maßnahmen Maßnahmen effekt Maßnahmen MSR plus Löschungs- mechanismus eigene Darstellung 8
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne Das bedeutet: Wenn durch zusätzliche nationale Ins- trumente CO₂-Zertifikate im EU-ETS lokal verdrängt werden, dann sorgen die neuen Regelungen dafür, dass eine entsprechende Zertifikatemenge auch gelöscht wird. Somit werden nationale Klimaschutz instrumente im Stromsektor und der EU-ETS im Grundsatz miteinander verzahnt, während sie bislang oft als Gegensätze gesehen wurden. Es ist insofern davon auszugehen, dass diese Regelungen bei einer nächsten EU-ETS-Reform weiter ausgebaut und ver- feinert werden, um dann nationale Klimaschutzinst- rumente und das europäische ETS-System vollstän- dig abgestimmt ineinandergreifen zu lassen. 9
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HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne 1 Einleitung: Wo steht der europäische Emissionshandel Anfang 2018? Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, ihre effizientesten Klimaschutzlösungen zum Zuge Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Pro- kommen (daher auch im Englischen der synonyme zent gegenüber 1990 zu reduzieren. Bis 2030 sollen Begriff cap and trade für Emissionshandel). die Treibhausgasemissionen nach heutigem Stand um →→ Zusätzliche JI/CDM-Zertifikate: Zwischen mindestens 40 Prozent reduziert werden. 2008 und 2012 kamen 1,5 Milliarden Tonnen Offset-Zertifikate ins EU-Handelssystem, die Die Bepreisung von CO₂ innerhalb des Europäischen vor allem aus China, der Ukraine und Russland Emissionshandels (EU-ETS) ist zur Erreichung dieser stammten. Inzwischen ist klar, dass diese Zer- Ziele – neben der Steigerung der Energieeffizienz tifikate nie in das EU-Emissionshandelssystem und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien – eine hätten fließen dürfen, da den meisten Zertifikaten der zentralen Maßnahmen der europäischen Klima aus der Ukraine und Russland keine zusätzlichen politik und umfasst den Großteil der Emissionen der Minderungen in den jeweiligen Ländern gegen- Energiewirtschaft und der Industrie. Das entspricht überstanden und ein großer Anteil der Zertifikate rund 42 Prozent der gesamten europäischen Treib- aus China aus CDM-Projekten mit einer zweifel- hausgasemissionen. In Deutschland ist etwa die haften Methodik und entsprechend fragwürdiger Hälfte der gesamten Treibhausgasemissionen vom Zusätzlichkeit stammten. Seit 2013 werden diese Emissionshandel erfasst.1 Zertifikate im EU-ETS nicht mehr anerkannt, aber ihre schiere Menge hat im Zeitraum 2008–2012 Bis zum Jahr 2017 haben die Anlagen innerhalb des den Zertifikateüberschuss innerhalb des EU-ETS EU-ETS ihre Emissionen gegenüber dem Basisjahr fast verdoppelt. 2005 um rund 25 Prozent reduziert. Der Beitrag des →→ Nationale Klimaschutzmaßnahmen: Andere, Emissionshandels zu den beobachteten Emissions- wirkungsvollere Politiken haben ebenfalls auf minderungen ist bisher jedoch stark begrenzt. Das hat den Energiesektor eingewirkt, wie die EU-Öko- insbesondere drei Gründe: 2 design-Richtlinie (Stichwort: LED-Rollout), der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die stärkere →→ Überausstattung mit Zertifikaten: Eine kontinuier- Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung und zusätz- liche, systematische Überausstattung der Emitten- liche nationale CO₂-Preise wie in Großbritannien. ten mit Zertifikaten sowie die europäische Wirt- Ein Teil dieser Effekte war bei der Festlegung des schaftskrise haben dazu geführt, dass seit dem Jahr Caps für die Phase 2013–2020 durch die EU-Kom- 2009 die Emissionen im Durchschnitt um 200 Mil- mission im Jahr 2010 einkalkuliert worden, ein Teil lionen Tonnen unterhalb des Cap lagen. Das Cap hat jedoch auch nicht – so ging der Ausbau der Erneu- bisher also außer im Jahr 2008 nicht begrenzend erbaren Energien im Stromsektor schneller von- gewirkt. Dies steht im fundamentalen Gegensatz zur statten als ursprünglich prognostiziert und auch ökonomischen Theorie, in der gerade der begren- der nationale CO₂-Preis in Großbritannien konnte zende Charakter des Caps dafür sorgt, dass durch in den Ex-ante-Planungen nicht entsprechend den Handel mit den Zertifikaten die ökonomisch berücksichtigt werden. Diese Effekte haben den Zertifikateüberschuss im Emissionshandel zusätz- 1 EEA (2018), UBA (2018) lich erhöht, wenn auch mit deutlich geringerer 2 Koch/Fuss/Grosjan/Edenhofer (2014) Wirkung als die beiden erstgenannten Effekte. 11
Fiscal depreciation term Debt interest rate Other site investment cost Equity share fixed Tax rate Land lease Business and technical management Planning cost Grid connection | Agora Energiewende Vom Wasserbett cost zur Badewanne Foundation Direct marketing cost Reserves Insurance Debt term Equity term Wind Resource/FLH Zertifikate – Entwicklung Angebot & Nachfrage sowie Überschuss 2005–2017 Abbildung 1 3.000 Angebot & Nachfrage Eingesetzte CER/ERU [ Mio. Zertifikate / t CO₂ ] Auktionierung & Verkäufe 2.000 Kostenlose Zuteilung* Emissionen* 1.000 0 Überschuss Überschuss (nicht im Markt verfügbar) Überschuss [ Mio. Zertifikate ] 4.000 (im Markt verfügbar) 2.000 0 2005 2010 2015 2017 EUTL (2018), eigene Berechnungen des Öko-Instituts * inkl. Anpassungen des Geltungsbereichs Die Folge: Innerhalb des EU-ETS gibt es heute einen für insgesamt 900 Millionen Tonnen CO₂ zurück- hohen Überschuss an Zertifikaten – sowohl innerhalb gehalten und erst nach 2019 in den Markt gegeben als auch außerhalb des Marktes. Der Marktüber- werden sollten (backloading). schuss lag Ende 2017 bei rund 1,5 Milliarden Zerti- →→ Als klar wurde, dass diese Kurzfristmaßnahme fikaten (siehe Abbildung 1). In der Folge lag der Preis keinerlei nachhaltigen Effekt auf den Preis haben für CO₂-Zertifikate in den vergangenen Jahren auf würde, wurde im Jahr 2015 eine weitere Reform einem sehr niedrigen Niveau von durchschnittlich zur Stabilisierung des CO₂-Preissignals verab- unter zehn Euro pro Tonne CO₂. schiedet (EU 2015): So wurde die Einführung einer Marktstabilitätsreserve beschlossen, in die Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten ab 2019 jährlich ein Teil der Zertifikate fließen Jahren mehrere kleine Reformen durchgeführt, die soll, die ansonsten versteigert worden wären. Die das Ziel hatten, den CO₂-Emissionshandelspreis zu Zuflussmenge in die Reserve beträgt dabei zwölf stabilisieren: Prozent des Vorjahresüberschusses. Diese Zerti- fikate sollten bis zu einem Wiederauftreten von →→ Anfang 2014 wurde eine Änderung der Auktio- Knappheit im Markt in der Reserve verbleiben, um nierungsverordnung beschlossen (EU 2014), nach dann sukzessive doch in den Markt zu gelangen. der in den Jahren 2014, 2015 und 2016 Zertifikate Dabei sollten die 900 Millionen Zertifikate, die im 12
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne Rahmen des backloadings zurückgehalten wurden, Handelsperiode (2021 bis 2030) adressieren und im Jahr 2019 direkt in die neu geschaffene Markt- insofern einen Einfluss auf die Fundamentaldaten im stabilitätsreserve verschoben werden und so nicht EU-Emissionshandel haben. zurück in den Markt gelangen. Gleiches gilt für die Zertifikate, die für die kostenlose Zuteilung vorge- sehen waren, aber nicht ausgegeben wurden. Die Hoffnung, die auf diesen beiden Vorschlägen ruhte, war, dass sich durch eine solche Begrenzung der kurzfristigen Marktliquidität der CO₂-Preis stabilisieren würde. Bereits bei Beschlussfassung war jedoch absehbar, dass auch diese Reform keine subs- tanzielle Änderung des CO₂-Preises bewirken würde: →→ Für kurzfristig agierende Marktakteure, deren Handeln durch die kurzfristige Liquidität im Markt beeinflusst wird, spielte die Reform kaum eine Rolle. Denn die Aufnahmerate in die Reserve in Höhe von zwölf Prozent ist so niedrig, dass ange- sichts der gewaltigen Überschussmengen sowie des stetig weiter entstehenden Jahresüberschusses auch die Auswirkungen der Reserve auf die kurz- fristige Marktliquidität sehr begrenzt sind. →→ Für langfristig agierende Marktakteure, die ihr Handeln an den Fundamentaldaten ausrichten, spielten diese Reformen ebenfalls kaum eine Rolle. Denn durch die Einführung der Marktstabilitäts- reserve ändern sich die fundamentalen Mengen- verhältnisse im EU-Emissionshandelsmarkt nicht – die Zertifikate werden lediglich später in den Markt gegeben. Allenfalls der Zinseffekt einer spä- teren Zuführung der Mengen in den Markt hätte eine Rolle spielen können, der aber angesichts der Größe des Zertifikateüberschusses und des allge- mein niedrigen Zinsniveaus ebenfalls ausblieb. Im Nachgang der Beschlüsse des Europäischen Rats vom Oktober 2014 zu den Europäischen Klimazielen 2030, die unter anderem eine Minderung der europä- ischen Treibhausgasemissionen um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 beinhalteten, war insofern klar, dass eine erneute Reform des EU-Emissionshandels zeitnah notwendig würde. Diese Reform würde die absolute Menge an CO₂-Zertifikaten in der vierten 13
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HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne 2 Die Reform des EU-Emissionshandels vom April 2018: Was wurde konkret beschlossen? Nach mehr als zwei Jahren intensiver Verhandlungen →→ Die Zuführungsrate, mit der dem Markt über- über die Ausgestaltung des EU-ETS in der vierten schüssige Zertifikate entzogen und in die Markts- Handlungsperiode (2021 bis 2030) wurde am 27. Feb- tabilitätsreserve überführt werden, wird gegenüber ruar 2018 durch den Europäischen Rat eine neue den bisher vorgesehenen Regelungen in den Jahren Reform gebilligt, nachdem zuvor bereits das EU- 2019 bis 2023 von 12 auf 24 Prozent des Vorjah- Parlament zugestimmt hatte (EU 2018). Sie trat im resüberschusses verdoppelt. Ab 2024 gilt wieder April 2018 in Kraft. Im Folgenden werden die wich- die bereits vorgesehene Rate von 12 Prozent.3 tigsten Beschlüsse kurz dargestellt. →→ Ab 2023 wird die maximale Größe der Markt- stabilitätsreserve auf die Versteigerungsmenge des Vorjahres beschränkt. Sämtliche Zertifikate 2.1 Cap, Marktstabilitätsreserve und in der Marktstabilitätsreserve, die diese Grenze Löschung von Zertifikaten überschreiten, werden gelöscht. Da die Verstei- gerungsmenge etwa 57 Prozent der gesamten →→ Ab dem Jahr 2021 wird das Emissionshandels-Cap Emissionen im EU-Emissionshandel beträgt, wird jährlich um 2,2 Prozent gesenkt. Im Zeitraum 2013 der Überschuss in der Marktstabilitätsreserve auf bis 2020 betrug dieser Faktor 1,74 Prozent. Dieser Zertifikate für etwa 900 Millionen Tonnen CO₂ lineare Reduktionsfaktor soll im Zuge der Umset- beschränkt, bedingt durch den linearen Reduk- zung des internationalen Klimaschutzabkommens tionsfaktor jedoch mit systematisch sinkender von Paris erneut überprüft werden. Da die in Tendenz (Rückgang um 2,2 Prozent jährlich bezie- Paris von den Vertragsstaaten zugesagten Klima- hungsweise etwa 28 Millionen Zertifikate). Jeder schutzanstrengungen nicht ausreichen, um das darüber hinausgehende Überschuss an Zertifikaten Zwei-Grad-Klimaschutzziel zu erreichen, fordern wird dem Markt dauerhaft entzogen. das Europäische Parlament und etliche EU-Mit- →→ Sofern im Stromsektor durch zusätzliche nationale gliedstaaten im Zuge der aktuellen internationalen Klimaschutzmaßnahmen Kraftwerke stillgelegt Klimaverhandlungen ein höheres Ambitionsniveau werden, können Mitgliedstaaten die korrespondie- Europas für 2030. Im Ergebnis würde dies sicher- rende Menge an Zertifikaten unilateral stilllegen. lich dazu führen, dass Anfang der 2020er-Jahre eine erneute Absenkung des ETS-Caps zur Diskus- sion ansteht. →→ Der Aufsetzpunkt für die jährliche Cap-Minde- rung von 2,2 Prozent entspricht unverändert der Zertifikatemenge im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012. Da diese um etwa 200 Millionen Tonnen CO₂ über dem aktuellen Emissionsniveau liegt, wirkt der höhere Minderungsfaktor erst mit einer erheblichen Zeitverzögerung. Im Ergebnis ist auch 3 Der Mechanismus der Überführung des Überschusses in die Marktstabilitätsreserve besteht darin, dass die entspre- für die ersten Jahre nach 2021 eine sehr großzügige chende Menge an Zertifikaten von der Auktion des Folge- Zertifikateausstattung zu erwarten. jahres abgezogen wird und stattdessen in die Marktstabili- tätsreserve verschoben wird. 15
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne 2.2 Zuteilung der Zertifikate für lichen Beihilfen – weiterhin Ausgleichzahlungen Kraftwerke an energieintensiven Industrien für die indirekten CO₂-Kosten leisten. Diese können entstehen, wenn →→ Kraftwerksbetreiber erhalten für die Stromerzeu- durch einen höheren CO₂-Preis der Strompreis gung bereits heute in der Regel keine kostenlose steigt, den die energieintensiven Industrien zahlen Zuteilung und müssen die notwendigen Zertifikate müssen. Die Bundesregierung macht von dieser auch in Zukunft vollständig ersteigern. Eine Aus- Option für die deutsche energieintensive Industrie nahme gilt für die osteuropäischen Länder: Hier Gebrauch (EC 2012, BMWi 2017). können die Mitgliedstaaten ihren Kraftwerksbe- treibern weiterhin bis zu 60 Prozent der Zertifikate kostenlos zuteilen, wenn sie im Gegenzug in ihre 2.4 Innovations- und Modernisierungs- Energieinfrastruktur investieren. fonds →→ Für die Wärmeerzeugung in Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen werden Kraftwerksbetreibern →→ Die bestehenden Innovations- und Moderni- 30 Prozent des Wärme-Benchmarks kostenlos sierungsfonds werden fortgeführt. Finanziert zugeteilt. werden die Fonds über die Auktionierung von →→ Mit der Stahlindustrie verbundene Kraftwerke, Emissionsberechtigungen, die – im Rahmen des die die dort entstehenden Kuppelgase verstromen, Gesamt-Cap – hierfür speziell reserviert werden. erhalten weiterhin den größten Teil der benötigten Die Ausstattung der Fonds in Euro hängt insofern Zertifikate kostenlos zugeteilt. von der Höhe der Zertifikatepreise zum Zeitpunkt der jeweiligen Versteigerungen ab. →→ Der Innovationsfonds wird mit 400 bis 450 Milli- 2.3 Regelungen für die Industrie onen Zertifikaten ausgestattet und soll europaweit die Markteinführung von innovativen Indust- →→ Im internationalen Wettbewerb stehende Indust- rieprozessen mit niedrigen CO₂-Emissionen und riezweige, bei denen das Risiko von carbon leakage innovativen Projekten zur Erzeugung oder Spei- besteht (Abwanderung aufgrund von klimaschutz- cherung von Erneuerbaren Energien finanzieren. bedingten Belastungen), erhalten weiterhin eine bis →→ Der Modernisierungsfonds dient dem Umbau des zu 100 Prozent kostenlose Zuteilung von Zertifika- Energiesystems in Osteuropa. Er wird mit 310 Mil- ten entsprechend technologischer Benchmarks. Die lionen Zertifikaten ausgestattet (plus optionale Benchmarks werden jedoch stärker an die realen Erhöhung um 75 Millionen) und muss mindestens Bedingungen angepasst, das heißt gegenüber den 70 Prozent seines Volumens für Investitionen in aktuellen Benchmarks abgesenkt. Grundlage für den Bereichen Erneuerbare Energien, Energieef- die 2021 und 2026 stattfindende Absenkung ist die fizienz und Infrastrukturmaßnahmen sowie für durchschnittliche jährliche Senkung der spezifi- Maßnahmen zum Strukturwandel in Kohleregio- schen Emissionen, die seit dem Jahr 2008 erreicht nen verwenden. wurde. →→ Nicht im internationalen Wettbewerb stehende Industriezweige erhalten bis 2025 30 Prozent der 2.5 Flug- und Schiffsverkehr von ihnen benötigten Zertifikate kostenlos zuge- teilt, von 2026 bis 2030 wird dieser Anteil schritt- →→ Ebenfalls vom Emissionshandel erfasst wird der weise auf Null abgesenkt. innereuropäische Flugverkehr. Flüge in außer- →→ Die Mitgliedstaaten können – unter Einhaltung europäische Länder werden – entgegen der der Vorschriften über die entsprechenden staat- ursprünglich vorgesehenen Regelung – nicht vom 16
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne Emissionshandel erfasst. Im Jahr 2017 betrugen die vom Emissionshandel erfassten Emissionen des Flugverkehrs 64 Millionen Tonnen CO₂ (EEA 2018). Die für den Flugverkehr zusätzlich bereitgestellte Menge an Zertifikaten („Flugverkehrs-Cap“) betrug im gleichen Jahr jedoch nur 38 Millionen Tonnen CO₂. Mit dem Flugverkehrssektor entsteht also netto eine zusätzliche Nachfrage, so wurden im Jahr 2017 26 Millionen Zertifikate des stationären ETS vom Flugverkehrssektor genutzt. →→ Der Schiffsverkehr wird vorerst nicht in den EU-ETS aufgenommen. Sofern in den kommenden Jahren in diesem Sektor durch die International Maritime Organization (IMO) keine ausreichenden Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemis- sionen ergriffen werden, soll dieser jedoch ab 2023 integriert werden. 17
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HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne 3 Auswirkungen der Reform auf Überschussentwicklung und CO₂-Preise Die aktuelle Reform des EU-Emissionshandels hat für Zweitens besteht die Möglichkeit, dass der Über- die Entwicklung des Main Überschusses investment cost im EU-Emissions- schuss auch langfristig deutlich reduziert wird. Dies Maintenance handel und damit des CO₂-Preises Equity rate zwei maßgebliche ist jedoch abhängig von der langfristigen Entwick- Effekte: Fiscal depreciation term lung der Emissionen innerhalb des Emissionshandels Debt interest rate Other site investment cost und damit der Nachfrage nach Zertifikaten: Equity share Erstens hat die Reform fixed dass durch die zur Folge, Tax rate endgültige Löschung von LandZertifikaten lease aus der Markt- →→ Geht man davon aus, dass die ohnehin stattfinden- Business and technical management stabilitätsreserve ab Planning dem Jahr 2023 cost nicht mehr die den Emissionsminderungen in den ETS-Sektoren Gefahr besteht,Grid dass der entstandene connection cost Überschuss geringer sind als der jährliche Reduktionsfaktor Foundation komplett wieder in den Direct Markt marketing costzurückkommt. von 2,2 Prozent, dann entstehen im EU-Emis- Reserves sionshandel allmählich Knappheitspreise (siehe Insurance Debt term Szenario 1 unten). Equity term Wind Resource/FLH Entwicklung des Caps sowie der Treibhausgasemissionen in den zwei Szenarien 2017–2030 Abbildung 2 2.500 2.000 [ Mio. Zertifikate / t CO₂ ] 1.500 1.000 500 0 2017 2020 2025 2030 Cap THG-Emissionen THG-Emissionen (1 %-Minderung p. a.) (2 %-Minderung p. a.) eigene Berechnungen des Öko-Instituts 19
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne →→ Liegen die jährlichen Minderungen hingegen auch CO₂-Emissionen innerhalb des Emissionshandels weiterhin in etwa in Höhe des jährlichen Reduk- und damit der Nachfrage nach Zertifikaten. Diese tionsfaktors – wie dies in den letzten Jahren zu Effekte sollen im Folgenden anhand von zwei Sze- beobachten war –, gibt es auch langfristig erheb- narien analysiert und quantifiziert werden (siehe liche Überschüsse und damit keine Knappheits- Abbildung 2): preise (siehe Szenario 2 unten). Main investment cost →→ Szenario 1: Die CO₂-Emissionen im Emissions- Maintenance Equity rate handel sinken bis 2030 um durchschnittlich 3.1 Entwicklung des Überschusses Fiscal depreciation term 18 Millionen Tonnen (1,0 Prozent) pro Jahr. Das Debt interest rate Other site investment cost entspricht in etwa den Referenzprojektionen der Equity share Löschung Durch die nun eingeführte fixed von Zertifika- Mitgliedstaaten (EEA 2017: With Existing Measu- Tax rate ten ab dem Jahr 2023 wird Land ein leaseTeil des entstehenden res (WEM) scenarios; in Deutschland: „Mit-Maß- Business and technical management Überschusses endgültig gelöscht. Planning cost Wie sich die Reform nahmen-Szenario“ des Projektionsberichts 2017). jedoch auf die Überschusssituation Grid connection cost konkret auswirkt, Da in diesem Szenario das Cap schneller sinkt als Foundation ist nicht nur abhängig von der Direct marketing costEntwicklung des die Business-as-usual-Emissionen, entspricht ab Caps und der Ausgestaltung Reserves der Marktstabilitätsre- dem Jahr 2024 das Cap zugleich den Emissionen – Insurance serve, sondern insbesondere auch von der Höhe der Debt term es begrenzt diese wirksam nach oben. Equity term Wind Resource/FLH Zertifikate – Entwicklung Angebot & Nachfrage sowie Überschuss 2005–2030 in Szenario 1 Abbildung 3 3.000 Angebot & Nachfrage Eingesetzte CER/ERU [ Mio. Zertifikate / t CO₂ ] Auktionierung & Verkäufe 2.000 Kostenlose Zuteilung* Emissionen* 1.000 0 Überschuss Löschungen Überschuss [ Mio. Zertifikate ] 4.000 (nicht im Markt verfügbar) Überschuss (im Markt verfügbar) 2.000 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 EUTL (2018), eigene Berechnungen des Öko-Instituts * inkl. Anpassungen des Geltungsbereichs 20
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne →→ Szenario 2: Die CO₂-Emissionen im EU-Emissi- Jahr 2023 erfolgt die erste umfassende Löschung von onshandel sinken bis 2030 um durchschnittlich Zertifikaten aus der Marktstabilitätsreserve in Höhe 35 Millionen Tonnen (2,0 Prozent) pro Jahr. Die- von rund 1,7 Milliarden Zertifikaten. Da die jährliche ses Szenario entspricht einer Fortschreibung der Emissionsminderung niedriger als die Entwicklung Emissionsminderungen, wie wir sie in den letzten des Caps ausfällt, werden bis 2030 kontinuierlich fünf Jahren (2013 bis 2017) beobachtet haben. In Überschüsse reduziert, sodass der Marktüberschuss diesem Szenario liegen die CO₂-Emissionen im bis zum Jahr 2030 nahezu vollständig abgebaut und EU-ETS dauerhaft leicht unterhalb des Caps. spätestens dann Knappheitspreise entstehen. Insge- samt werden rund 1,8 Milliarden Zertifikate endgül- Abbildung 2 zeigt die auf Basis der aktuellen tig gelöscht. Beschlüsse festgelegte Entwicklung des Caps bis zum Jahr 2030 sowie die Emissionsentwicklung entlang In Szenario 2 (Abbildung 4) wird der Marktüber- der zwei dargestellten Szenarien. schuss zum Jahr 2022 ebenfalls stetig in die Markt- stabilitätsreserve überführt. Von diesem werden im In Szenario 1 (Abbildung 3) werden die Marktüber- Jahr 2023 1,7 Milliarden Zertifikate aus der MSR schüsse ab 2019 kontinuierlich abgebaut und nach gelöscht. Da die jährlichen Emissionsminderungen und nach in die Marktstabilitätsreserve überführt. Im im weiteren Verlauf in etwa in Höhe der jährlichen Zertifikate – Entwicklung Angebot & Nachfrage sowie Überschuss 2005–2030 in Szenario 2 Abbildung 4 3.000 Angebot & Nachfrage Eingesetzte CER/ERU [ Mio. Zertifikate / t CO₂ ] Auktionierung & Verkäufe 2.000 Kostenlose Zuteilung* Emissionen* 1.000 0 Überschuss Löschungen Überschuss (nicht im Markt verfügbar) [ Mio. Zertifikate ] 4.000 Überschuss (im Markt verfügbar) 2.000 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 * inkl. Anpassungen des Geltungsbereichs EUTL (2018), eigene Berechnungen des Öko-Instituts; 2005 – 2017 historische Daten, 2018 – 2030 projizierte Daten 21
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne Minderung des Caps liegen, stabilisieren sich die im des Ersatzes der Verstromung von Braunkohle Markt verfügbaren Überschüsse bis 2030 in etwa durch Erdgas. Diese Kosten hängen maßgeblich auf einem Niveau von 0,7 Milliarden Zertifikaten, an den Steinkohle- und Erdgaspreisen, das heißt, sodass es zu keiner Knappheit innerhalb des Mark- sie werden durch die globalen Rohstoffmärkte tes kommt. Bis 2030 werden jedoch insgesamt rund determiniert. Je nachdem, welche Preisprojektio- 2,6 Milliarden Zertifikate endgültig gelöscht. nen die Marktteilnehmer zugrunde legen, erhalten sie unterschiedliche CO₂-Vermeidungskosten 3.2 Entwicklung des CO₂-Preises als Fundamentaldaten für den zu erwartenden CO₂-Marktpreis in Knappheitssituationen. Kurz Im Zuge der Umsetzung der jüngsten Reform hat sich gesagt: Je größer die angenommene Preisdifferenz der CO₂-Preis kurzfristig deutlich erholt und ist bis zwischen dem Steinkohle- und dem Erdgaspreis Mai 2018 auf rund 15 Euro pro Tonne CO₂ gestiegen. umso größer auch der erwartete CO₂-Preiseffekt. Das entspricht in etwa dem Niveau von 2011 und stellt eine deutliche Verbesserung dar. Hinsichtlich →→ Kurzfristige Marktliquidität: Die Nachfrage nach der langfristigen Entwicklung gehen die Erwartun- Zertifikaten am CO₂-Markt wird nicht nur vom gen von Marktakteuren bezüglich der zukünftigen eigentlichen Bedarf zur direkten Nutzung auf Basis Preisentwicklung hingegen weit auseinander. Das ist der oben genannten Fundamentaldaten, sondern im Wesentlichen auf Differenzen bei den folgenden auch von der Einkaufsstrategie der Marktteilneh- Annahmen zurückzuführen: mer und der kurzfristigen Liquiditätssituation des Marktes bedingt. Je nachdem, wann Unternehmen →→ Business-as-usual-Minderungen: In dem Zertifikate erwerben (etwa frühzeitiges Hedging, Moment, in dem das Cap im EU-Emissionshan- um künftige Marktrisiken zu minimieren), kann del begrenzend wirkt, stellt sich entsprechend der dies auch vorgezogene Preiseffekte zur Folge Logik der ökonomischen Theorie ein Zertifikatem- haben. Entscheidend werden hierbei auch die Ver- arktpreis in der Höhe der CO₂-Vermeidungskosten kaufsstrategien derjenigen Industrieakteure sein, ein. Je nachdem, ob man bezüglich der ohnehin die aktuell hohe Zertifikatsmengen besitzen, die sie stattfindenden Emissionsminderungen sowohl im selbst aber gar nicht benötigen. Im Ergebnis kann Bereich der Energiewirtschaft als auch im Bereich es trotz eines realen Überschusses zu Liquiditäts- der energieintensiven Industrie von einem gerin- engpässen kommen, mit der Folge, dass selbst dann, gen, mittleren oder hohen Szenario ausgeht, kommt wenn noch gar keine Knappheit an Zertifikaten dieser Zeitpunkt relativ früh (2024) oder relativ herrscht, höhere Preise am Markt durchzusetzen spät (nach 2030). sind. In welcher Marktsituation es auch zu solchen Preiseffekten kommt, ist jedoch sehr unsicher →→ Höhe des Gas- und Kohlepreises: Die CO₂-Vermei- beziehungsweise stark umstritten. dungskosten im EU-Emissionshandel, die sich zum Zeitpunkt der Knappheit einstellen werden, dürften Ob sich der aktuell zu beobachtende Trend beim durch den Strommarkt definiert werden, da er CO₂-Preisanstieg auch mittel- und langfristig innerhalb des EU-Emissionshandels den größten fortsetzt, ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Es Teil der Emissionen und der Emissionsminde- spricht jedoch einiges dafür, dass die Überschuss rungspotenziale stellt. Hierbei gibt es für die Jahre entwicklung mittelfristig zwischen Szenario 1 und bis 2030 drei zentrale Kipppunkte: Die Kosten des Szenario 2 liegt und sich die CO₂-Preise somit eher Ersatzes der Verstromung von Steinkohle durch moderat gegenüber dem heutigen Niveau entwickeln: Erdgas, die Kosten des Ersatzes der Verstromung von Braunkohle durch Steinkohle und die Kosten 22
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne →→ Da der aktuelle CO₂-Preis von 15 Euro pro Tonne bereits zu ersten Effekten am Strommarkt führt (Stromproduktion aus alten Steinkohlekraftwerken wird durch Stromproduktion aus neuen Gaskraft- werken ersetzt), haben höhere CO₂-Preise aktuell eher einen den Überschuss erhöhenden Effekt. →→ Betrachtet man zudem die bereits an der Börse gehandelten Futures für CO₂-Zertifikate als Indi- kator, so liegen diese für das Jahr 2024 derzeit bei rund 17 Euro pro Tonne CO₂ und damit nur leicht über dem heutigen Niveau. Zwar weist der Futu- res-Markt bisher nur eine sehr geringe Liquidität auf, dennoch deutet derzeit noch nichts darauf hin, dass es bis 2030 zu massiv steigenden CO₂-Preisen kommen wird. →→ Darüber hinaus wurde ein kurzfristig deutlicher, aber nicht nachhaltiger Preisanstieg bereits einmal in ähnlicher Situation beobachtet, als in den Jahren 2016 und 2017 die jährlichen Auktionsmengen im Zuge des backloadings verringert worden waren (siehe Abbildungen 3 und 4). Eine ähnliche kurz- fristige Knappheitssituation ist nun für die kom- menden Jahre 2019 und 2020 zu erwarten und wird derzeit bereits in die Kaufentscheidung der Händler einbezogen. Es ist deshalb denkbar, dass der Zertifikatepreis Anfang der 2020er-Jahre auch wieder nachgibt. 23
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HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne 4 Antworten der ETS-Reform auf den Wasser- betteffekt: Das Zusammenwirken des ETS mit nationalen Maßnahmen wie Kohleausstieg und Erneuerbare-Energien-Zubau Auch wenn noch offen ist, ob die beschlossenen Ebenso lange wie dieser Mix aus EU-ETS und Reformmaßnahmen den Zertifikateüberschuss dau- zusätzlichen Instrumenten im Stromsektor existiert erhaft abbauen werden, bringen sie im Hinblick auf die Kritik daran. Die klassische Kritik lautet, dass das Zusammenwirken des EU-ETS mit anderen Kli- zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen über- maschutzinstrumenten eine maßgebliche Verände- flüssig und ineffizient seien: überflüssig, weil durch rung mit sich. Insbesondere durch die Einführung des die Festlegung des Caps im Emissionshandel immer Löschungsmechanismus von Überschusszertifikaten eine feste Menge an Emissionsberechtigungen in den aus der Marktstabilitätsreserve wird der EU-ETS Markt gegeben und letztlich auch verbraucht werde. nun eng mit anderen Klimaschutzmaßnahmen Zusätzliche Maßnahmen führten somit nicht zu einer verschränkt, wodurch die häufig bemängelte kon- Reduktion der Gesamtemissionen, sondern lediglich kurrierende Wirkungsweise und ein Teil möglicher zu einer Verschiebung der Emissionen – entweder Negativwirkungen aufgelöst werden. geografisch auf Emittenten anderswo in Europa und/oder auf einen Emittenten zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser Effekt wird als „Wasserbetteffekt“ 4.1 Nationale Instrumente und der ETS: bezeichnet. Diese Maßnahmen seien zudem ineffizi- Der Wasserbetteffekt ent, weil etwa die Erneuerbare-Energien-Einführung erfolge, ohne dass dies vom Markt bereits angereizt Nationale Klimaschutzmaßnahmen im Stromsek- würde. Die damit verbundenen Kosten fielen somit tor, die neben dem Emissionshandel wirken, haben früher als in einem Marktumfeld nur mit CO₂- in vielen EU-Mitgliedstaaten eine lange Tradition: 4 Bepreisung an und verursachten somit Mehrkosten. So wird etwa der Zubau Erneuerbarer Energien in fast allen EU-Mitgliedstaaten durch gesonderte Trotz dieser Kritik gibt es eine ganze Reihe guter Instrumente wie das EEG gefördert, zudem geben Gründe für zusätzlich zum ETS wirkende Klima- ordnungsrechtliche Vorgaben und Förderprogramme schutzmaßnahmen, die im Rahmen der Theorie des Anreize für verstärkte Investitionen in Stromeffi- Policy Mix entwickelt wurden.5 So ist der Emissi- zienz. In Großbritannien existiert seit 2012 zudem onshandel zwar sehr gut geeignet, den Technologie- eine zusätzliche CO₂-Steuer auf die Stromerzeugung, wechsel von eingeführten Technologien im mittleren die angesichts der niedrigen CO₂-Preise im EU-ETS CO₂-Vermeidungskostensegment anzureizen, hat de facto als CO₂-Mindestpreis eingeführt wurde. aber zugleich auch seine Grenzen. So gibt es etwa im Aktuell hat darüber hinaus etwa die niederländische Bereich der Energieeffizienz Umsetzungshemmnisse, Regierung im Mai 2018 einen ordnungsrechtlichen die durch einen bloßen CO₂-Preis nicht adressiert Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr werden und somit durch andere Instrumente, wie 2030 beschlossen. etwa Produktstandards, adressiert werden müssen. Auch die Markteinführung von zukunftsträchtigen, 4 Matthes (2010) 5 OECD (2007) 25
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne zunächst aber noch kostenintensiven Technologien – nicht eingehen können und so die Zukunft oft falsch wie etwa die Photovoltaik in den 2000er-Jahren – vorhergesagt haben. Zudem galt: War das Cap einmal benötigt zwischen der Forschungsförderungsphase festgelegt, unterlag jede zusätzliche und in der ex und dem Emissionshandel eine Zwischenförder- ante durchgeführten Analyse nicht berücksichtigte phase, um über das sogenannte „Tal des Todes“ der Klimaschutzmaßnahme kurzfristig dem Wasserbet- Technologieeinführung zu gelangen. teffekt, da sie die Gesamtzahl der Emissionen nicht reduzierte. Dieser Wasserbetteffekt war zwar nicht Bisher erfolgte die Abstimmung der verschiedenen langfristiger Natur, da geringere Emissionen und ein Klimaschutzpolitiken in Europa durch die EU-Kom- höherer Überschuss zur Folge hatten, dass die Politik mission ex ante: So hat die EU-Kommission jeweils in der folgenden Handelsperiode ein schärferes Cap vor einer neuen EU-Emissionshandelsphase ein setzte. Dieser Politikeffekt eines geringeren künf- Impact Assessment durchgeführt, in dem die erwar- tigen Caps war jedoch nur schwer bezifferbar und teten Effekte der europaweiten Erneuerbare-Ener- angesichts der langen Handelsperioden im EU-ETS gien- und Energieeffizienz-Politiken abgeschätzt auch nur langfristiger Natur. wurden und der EU-Emissionshandel als zusätzliche Maßnahme modelliert wurde. So wurde abgeleitet, welcher CO₂-Preis-Effekt sich aus welcher Absen- 4.2 Löschung von Zertifikaten aus der kung des Caps entwickeln würde. Entsprechend Marktstabilitätsreserve als erste wurden in den Jahren 2007 und 2014 Impact Assess- Antwort auf den Wasserbetteffekt ments veröffentlicht, die jeweils die Auswirkungen der vorgelegten Reformen für die Emissionshan- Mit der nun verabschiedeten Reform des Emis- delsphasen II und III beziehungsweise IV modelliert sionshandels ist das grundsätzliche Problem des hatten. Wasserbetteffekts zu einem Großteil gelöst, da die Marktstabilitätsreserve von nun an flexibel mit Tatsächlich aber besteht bei diesen langen Emissi- anderen Instrumenten verschränkt ist. Denn indem onshandelsphasen und denen in großem zeitlichem entstehende EU-ETS-Überschüsse – ganz gleich ob Abstand vorher vorgelegten Szenarioanalysen das aufgrund von Überallokation, Wirtschaftskrisen oder Problem, dass sie auf kurzfristige – auch politi- zusätzlichen Instrumenten – oberhalb der Markt sche oder gesamtwirtschaftliche – Entwicklungen stabilitätsreserve-Grenze dauerhaft gelöscht werden, Schematische Darstellung der Auswirkung zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen auf die Überschussentwicklung im EU-ETS Abbildung 5 Zusätzliche Zusätzlicher Zusätzlicher Überschuss Maßnahmen Überschuss wird Überschuss wird an Zertifikaten reduzieren die in die MSR aus der MSR steigt Emissionen verschoben gelöscht Agora Energiewende/Sandbag (2018) 26
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne erfolgt über diesen Mechanismus eine dynamisierte →→ Geht man hingegen von geringen Business-as- Anpassung des Caps (siehe Abbildung 5). usual-Emissionsminderungen wie im oben dargestellten Szenario 1 aus, dann ist ab dem Jahr Dieser Mechanismus führt nicht ganz zu einer 2024 wieder die alte Situation hergestellt und 1:1-Reduktion der Zertifikatemenge entsprechend zusätzliche Maßnahmen im EU-ETS führen erneut den Emissionsminderungen, da die Marktstabilitäts- zu einem kurzfristigen Wasserbetteffekt. reserve nie direkt den vollständigen Überschuss auf- nimmt, sondern nur 24 beziehungsweise 12 Prozent Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die aktuelle Reform des bestehenden Marktüberschusses pro Jahr. Zudem des EU-ETS nicht die letzte gewesen sein wird: dürfte es durch zusätzliche nationale Maßnahmen einen kleinen sinkenden Effekt auf den gesamt- →→ So ist etwa schon jetzt klar, dass die statischen europäischen CO₂-Preis geben, was die Nachfrage Schwellenwerte für das Greifen der Marktstabili- nach Zertifikaten leicht erhöhen dürfte. Aber da der tätsreserve in Höhe von 833 Millionen CO₂-Zer- Zerfitikateüberschuss aktuell sehr groß ist und in tifikaten sowie die Freigabe von Zertifikaten aus den kommenden fünf Jahren jeweils 24 Prozent des der MSR angesichts eines sinkenden Caps so nicht Überschusses in die Marktstabilitätsreserve über- Bestand haben kann und entsprechend abgesenkt führt werden, gilt zumindest bis 2024, dass jede werden muss. Eine Anpassung (Absenkung) der nationale Klimaschutzmaßnahme, die ergänzend zum Parameter, die den Zufluss von Zertifikaten in die EU-ETS eingeführt wird, auch zu einer Löschung der MSR und die perspektivische Freigabe von Zer- entsprechend frei werdenden Zertifikate in Höhe tifikaten aus der MSR steuern, würde den Was- von etwa 80 Prozent führt.6 Die Klimaschutzwirkung serbetteffekt auch entsprechend längerfristiger eines stärkeren Ausbaus der Erneuerbaren Energien, vermeiden. wie ihn etwa der Koalitionsvertrag vorsieht, verpufft →→ Zudem wird der Ruf nach einem in den EU-Emis- insofern nicht innerhalb des EU-Emissionshandels, sionshandel integrierten CO₂-Mindestpreis, der vielmehr führen zusätzliche Wind- und Solaranlagen etwa bei der Versteigerung von Zertifikaten gelten auch zu einer Löschung von entsprechend frei wer- würde, zunehmend lauter.7 Ausgeführt als Auction denden CO₂-Zertifikaten. Reserve Price würde dies beispielsweise dazu führen, dass Zertifikate, die zu einem bestimmten Für den Zeitraum nach 2024 gibt es zwei Szenarien: Mindestpreis (zum Beispiel 30 Euro pro Tonne CO₂) bei einer Auktion keinen Käufer fänden, gelöscht →→ Geht man davon aus, dass der strukturelle Über- würden. schuss im EU-Emissionshandelssystem auch →→ Im Zuge der internationalen Klimaverhandlungen danach noch fortbesteht, wie dies etwa in dem im Jahr 2020, bei denen alle Vertragsstaaten ihre in oben dargestellten Szenario 2 der Fall ist, dann Paris eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen wirkt der Löschungsmechanismus auch danach erhöhen sollen, um die Lücke zum Zwei-Grad-Ziel noch und es kommt zu keinem signifikanten zu schließen, dürfte eine erneute EU-ETS-Reform Wasserbetteffekt, das heißt, die Löschungsquote anstehen. Bei dieser dürfte neben einer Verschär- der durch zusätzliche Maßnahmen frei werden- fung des Caps auch der Wasserbetteffekt Thema den CO₂-Zertifikate beträgt auch nach 2024 etwa werden und eine dauerhafte Verzahnung des 80 Prozent. EU-ETS mit nationalen Maßnahmen ein Schwer- punkt werden. 6 Perino (2018) 7 Edenhofer/Flachsland/Schmid (2017), Elysée (2017) 27
Agora Energiewende | Vom Wasserbett zur Badewanne Insofern dürfte es wahrscheinlich sein, dass in einer Hierbei ist zu beachten, dass bei Kraftwerksstillle- kommenden EU-ETS-Reform Regelungen getroffen gungen die Nettoeinsparungen geringer ausfallen als werden, die dazu führen, dass auch nach 2024 natio- die absoluten Emissionen, die das Kraftwerk vorher nale Maßnahmen einen zusätzlichen Klimaschutzef- ausgestoßen hat. Grund ist, dass die Stromerzeugung fekt haben werden. des stillgelegten Kohlekraftwerks durch ein anderes Kraftwerk ersetzt wird. Im Falle der Stilllegung von deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerken liegt 4.3 Löschung von Zertifikaten bei Still- der Nettominderungseffekt in etwa im Verhältnis 2:1, legung von Kraftwerken als zweite da diese in der Regel durch einen Mix aus Stein- Antwort auf den Wasserbetteffekt kohle- und Erdgaskraftwerken ersetzt werden. Zusätzlich zur Regelung der Löschung von Zertifika- Auch für diese Regelung gilt, dass sie vermut- ten aus der Marktstabilitätsreserve haben Parlament lich erst der Anfang einer stärkeren Verzahnung und Rat eine weitere Regelung beschlossen: Für den von nationalen Klimaschutzmaßnahmen und dem Fall, dass Mitgliedstaaten im Zuge nationaler Klima- EU-Emissionshandel ist. Da viele west- und nord- schutzmaßnahmen Kraftwerke stilllegen, können europäische EU-Mitgliedstaaten mit dem bisheri- sie die Menge an Zertifikaten, die den Emissionen gen Klimaschutzambitionsniveau der Europäischen des Kraftwerks entsprechen, löschen anstatt sie zu Union unzufrieden sind, ist zu erwarten, dass bei der versteigern. Damit wurde einer Forderung entspro- nächsten Reform des EU-Emissionshandels Anfang chen, die von vielen Seiten im Kontext der Kohleaus- der 2020er-Jahre diese Regelung ausgeweitet wird: stiegsdiskussionen erhoben worden war.8 Bei einem Während sie bislang auf die Stilllegung von Kraft- nationalen Kohleausstieg können also 100 Prozent werken beschränkt ist, könnte sie dann für sämtliche der zusätzlichen Emissionsminderungen auch durch nationalen Klimaschutzmaßnahmen, die zusätzlich entsprechende Löschung von Zertifikaten abgedeckt zum EU-ETS beschlossen werden, gelten. werden. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Option Gebrauch, wird der Wasserbetteffekt 1:1 ausge- schlossen. 8 Agora Energiewende (2016) Schematische Darstellung der Löschungswirkung auf die Überschussentwicklung im EU-ETS bei einem nationalen Kohleausstieg Abbildung 6 Nationaler Mitgliedsländer Kohleausstieg Kohleausstieg löschen senkt Emissionen reduziert entsprechende im ETS Emissionen Zertifikate-Menge eigene Darstellung 28
HINTERGRUND | Vom Wasserbett zur Badewanne 5 Fazit Die Reform des EU-Emissionshandels vom April men dazu führen, dass das Cap vor 2030 wirklich 2018 war ein wichtiger Schritt in Richtung Neuetab- begrenzend wirkt (und sich entsprechende Knapp- lierung des Instruments im Konzert der europäischen heitspreise einstellen), so scheint doch gesichert, dass Klimapolitik. Sie hat im Wesentlichen zwei zentrale die EU dem Instrument des Emissionshandels eine Wirkungen: Zukunft geben will. Spätestens bei einer nächsten Reform, die in der kommenden Legislaturperiode des Zum einen hat die Reform das Instrument des Europäischen Parlaments ansteht und verschärfte EU-ETS wiederbelebt, nachdem es in den letzten EU-Klimaschutzziele 2030 im Zuge der internationa- Jahren schon fast totgesagt war. Die höheren Zufüh- len „Paris+5“-Klimaverhandlungen umsetzen muss, rungsraten zur Marktstabilisierungsreserve, die dürfte dann der EU-Emissionshandel ein Instrument Löschung von Überschusszertifikaten ab dem Jahr entsprechend der ökonomischen Theorie werden, bei 2023 und die Senkung des jährlichen Caps ab 2021 dem das gesetzte Cap auch mengenbegrenzend für die haben dazu geführt, dass der EU-Emissionshan- betroffenen Anlagen wirkt. del wieder als ernst zu nehmendes Instrument der Klimapolitik wahrgenommen wird. Entsprechende Zum anderen ist der Wasserbetteffekt im EU-Emis- Folge ist die Erholung des CO₂-Preises binnen eines sionshandel ab dem Jahr 2019 Geschichte – aus dem Jahres von 5 Euro auf aktuell etwa 15 Euro pro Tonne. Wasserbett wird eine Badewanne mit Überlaufventil. Auch wenn derzeit noch offen ist, ob diese Refor- Sowohl der Löschungsmechanismus der Markt Der Europäische Emissionshandel – Vom Wasserbett zur Badewanne Abbildung 7 Emissionshandel Emissionshandel vor der Reform nach der Reform Im ETS bereits Über den ETS Über den ETS berücksichtigte, hinausgehende, Wasser- hinausgehende, zusätzliche zusätzliche bett- zusätzliche Maßnahmen Maßnahmen effekt Maßnahmen MSR plus Löschungs- mechanismus eigene Darstellung 29
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