Pollen-assoziierte allergische Erkrankungen in Zeiten des Klimawandels - Neue Daten zur Entwicklung in Deutschland - UMWELT + MENSCH ...
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Pollen-assoziierte allergische Erkrankungen in Zeiten des Klimawandels – Neue Daten zur Entwicklung in Deutschland Pollen associated allergic diseases in times of climate change – New data on the development in Germany ZUSAMMENFASSUNG CONNY HÖFLICH Allergien, insbesondere Pollen-assoziierte Allergien der Atemwege, sind weltweit verbreitet und nehmen weiter zu. Den Klimawandel verursachende beziehungsweise kennzeichnende Veränderungen, wie der Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxid konzentration und der Erdoberflächentemperatur, führen sehr wahrscheinlich zu einer Zunahme der Pollenbelastung und damit zu einer Zunahme allergischer Pollensensibi lisierungen und Pollen-assoziierter allergischer Erkrankungen. Im Jahr 2014 wurde in dieser Zeitschrift ausführlicher über diese möglichen Zusammenhänge berichtet. Im Jahr 2017 hielt die Autorin auf dem Deutschen Allergiekongress am Beispiel der Pollen der Beifuß-Ambrosie einen Plenarvortrag zu diesem Thema. Der folgende Beitrag fasst die Inhalte des Vortrags zusammen. ABSTRACT Allergies, especially pollen associated respiratory allergies are widespread all over the world with a tendency to increase further. Changes associated with climate change, in particular, the increase of atmospheric carbon dioxide and global ground temperature, will very likely result in an increased pollen load leading to an increase in allergic pollen sensitisation and pollen-asso- ciated allergic diseases. In 2014 was informed in more detail about these possible relationships in this journal. In 2017, the author gave a lecture on this topic focusing on ragweed pollen at the German Allergy Congress. The following article summarises the lecture contents. AKTUELLE DATEN DES IPCC aus wissenschaftlicher Sicht. Die Ergebnisse werden alle sechs bis sieben Jahre in einem Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmen Sachstandsbericht zusammengefasst, dem tal Panel on Climate Change, zu Deutsch „IPCC Assessment Report“, kurz AR. Der Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klima fünfte und aktuellste Sachstandsbericht änderungen) wurde 1988 vom Umweltpro (AR5) wurde 2013/2014 veröffentlicht. Ihm gramm der Vereinten Nationen (United sind die folgenden Daten und die Abbildung Nations Environment Programme, UNEP) zur globalen Erdoberflächentemperatur, ei und der Weltorganisation für Meteorologie nem der Hauptindikatoren für den Klima (World Meteorological Organization, WMO) wandel, entnommen (IPCC 2013). gegründet und ist sowohl wissenschaftli ches Gremium als auch zwischenstaatlicher GLOBALE Ausschuss (Deutsche IPCC-Koordinierungs ERDOBERFLÄCHENTEMPERATUR stelle 2018). In einem strukturierten und sich wiederholenden Prozess trägt der IPCC Zur globalen Erdoberflächentemperatur der den jeweils aktuellen Forschungsstand zum vergangenen Jahre und Jahrzehnte macht Klimawandel zusammen und bewertet ihn SEITE 5 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE Ambrosiapflanzen. der IPCC im 5. Sachstandsbericht unter an lage für die Klimaprognosen herangezo Foto: U. Starfinger. derem folgende Aussagen (IPCC 2013): gen: RCP2.6, 4.5, 6.0 und 8.5. Die Zahlen beschreiben den Strahlungsantrieb für das Jedes der letzten drei Jahrzehnte war an jeweilige Szenarium im Jahr 2100 und ge der Erdoberfläche sukzessive wärmer als hen mit angenommenen atmosphärischen alle vorangehenden Jahrzehnte seit 1850. CO2 -Konzentrationen von 421, 538, 670 und 936 ppm im Jahr 2100 einher (Deut Der gesamte Anstieg zwischen dem Mittel sche IPCC-Koordinierungsstelle 2016; Wi der Periode 1850–1900 und der Periode kipedia 2018). Für die vier RCP prognos 2003–2012 ist 0,78 (0,72 bis 0,85) °C, ba tiziert der IPCC bis zum Ende des Jahres sierend auf dem längsten verfügbaren Da 2100 folgende Änderungen der globalen tensatz. Erdoberflächentemperatur (ABBILDUNG 1) (IPCC 2013): Für Prognosen zur globalen Erdoberflä chentemperatur bis zum Ende des 21. Die Änderung der globalen Erdoberflä Jahrhunderts wurde eine neue Reihe von chentemperatur wird am Ende des 21. Szenarien mit anthropogenen Antrieben Jahrhunderts, bezogen auf 1850–1900, verwendet, die sogenannten repräsentati für alle RCP-Szenarien außer RCP2.6 ven Konzentrations-Pfade (Representative wahrscheinlich 1,5 °C übersteigen. Concentration Pathways, RCP). Im 5. Sach standsbericht wurden vier RCP als Grund SEITE 6 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE Sie wird für RCP6.0 und RCP8.5 wahr scheinlich mehr als 2 °C betragen und für RCP4.5 eher wahrscheinlich als nicht 2 °C übersteigen. Die Erwärmung wird weiterhin Schwan kungen auf Zeitskalen von Jahren bis Jahr zehnten aufweisen und regional nicht ein heitlich sein. POLLEN-ASSOZIIERTE Die Zeitreihen der Projektionen und ein Maß für die Unsicherheit ALLERGISCHE (Schattierung) sind für die Szenarien RCP2.6 (blau) und RCP8.5 (rot) ERKRANK UNGEN dargestellt. Schwarz (graue Schattierung) ist die modellierte historische Entwicklung hergeleitet aus historischen rekonstruierten Antrieben. Die Pollen-assoziierte allergische Erkrankungen über den Zeitraum 2081–2100 berechneten Mittel und die zugehörigen umfassen im Wesentlichen die Atemwegs Unsicherheitsbereiche sind für alle RCP-Szenarien als farbige vertikale erkrankungen Allergische Rhinitis (Syno Balken dargestellt. Die Zahl der für die Berechnung des Multimodell-Mittels verwendeten CMIP5-Modelle ist angegeben. Darstellung nach Abbildungen nyme: Heuschnupfen, Heufieber, Pollinosis) SPM.1 und SPM.7 aus IPCC (2013). und allergisches Asthma. Eine Sonderform stellt das sogenannte Orale-Allergie-Syn drom (OAS, Synonyme: Pollen-assoziierte Nahrungsmittelallergie, Nahrungsmittel- Pollen-Syndrom) dar. (Haftenberger et al. 2013; Datenerhebung ABBILDUNG 1 Bei den Pollen-assoziierten Atemwegser 2008–2011, untersucht wurde die Sensibi CMIP5-Multimodell- krankungen treten die Beschwerden nach lisierung gegen 50 verbreitete Einzelaller simulierte Zeitreihen von 1950 bis 2100 für dem Einatmen von Pollen beziehungsweise gene). An 17. Stelle folgen mit 9,0 Prozent die Änderung der Pollenbestandteilen auf und sind im Falle Sensibilisierungen gegen Beifuß-Pollen, an mittleren globalen der allergischen Rhinitis durch beidseitigen 20. Stelle mit 8,2 Prozent Sensibilisierungen Erdoberflächentem- wässrigen Ausfluss, Jucken, Niesreiz und gegen Pollen der Beifuß-Ambrosie und an peratur bezogen auf beidseitige oder wechselnde Verstopfung der letzter Stelle mit 0,4 Prozent Sensibilisierun 1986–2005. Nase gekennzeichnet. Häufig kommen ent gen gegen das Hauptallergen der Beifuß-Am sprechende Beschwerden an den Augen dazu. brosie, Amb a 1 (Haftenberger et al. 2013). Asthma ist durch das Auftreten sogenannter Der Nachweis einer allergischen Sensibili Asthmaanfälle gekennzeichnet, das heißt sierung zeigt die Bereitschaft des Immunsys durch Phasen von akuter Luftnot mit Husten, tems an, bei Allergenkontakt allergisch zu Giemen und Engegefühl in der Brust (Traut reagieren. Eine allergische Sensibilisierung mann, Kleine-Tebbe 2013). Im Gegensatz zur ist Voraussetzung für eine allergische Er allergischen Rhinitis kann ein Asthmaanfall krankung. Sie ist aber nicht gleichbedeutend auch tödlich verlaufen. damit und kann auch klinisch „stumm“, das heißt ohne Beschwerden, vorhanden sein. POLLEN-SENSIBILISIERUNGEN ERKRANKUNGSRATEN In Deutschland wird die „Hit-Liste“ allergi scher Sensibilisierungen in der erwachsenen In Deutschland erkranken derzeit 14,8 Pro Bevölkerung derzeit von Gräser- und Baum zent der Erwachsenen mindestens einmal in pollen angeführt: 18,1 Prozent der Erwach ihrem Leben an einer allergischen Rhinitis senen sind gegen Lieschgraspollen sensibi und 8,6 Prozent an Asthma (Langen et al. lisiert und 17,4 Prozent gegen Birkenpollen 2013; Datenerhebung 2008–2011, gefragt SEITE 7 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE wurde, ob die Erkrankung jemals von einem MÖGLICHE Arzt festgestellt oder bestätigt wurde). An WIRKUNGSKETTEN einer Nahrungsmittelallergie, von denen ein Großteil auf Sensibilisierungen gegen Den Klimawandel verursachende bezie Pollenallergene beruht (siehe Orales-Aller hungsweise kennzeichnende Veränderun gie-Syndrom), erkranken 4,7 Prozent der Er gen, wie der Anstieg der atmosphärischen wachsenen mindestens einmal in ihrem Le CO2 -Konzentration und der Temperaturan ben (Langen et al. 2013; Treudler et al. 2017). stieg, könnten einen direkten Einfluss auf Auslöser einer allergischen Rhinitis be das Pollen-System haben, konkret auf die ziehungsweise eines Asthmaanfalls können Pollenkonzentration, den Allergengehalt von neben Pollen auch andere Allergene und im Pollen, Beginn und Dauer der Pollensaison Falle eines Asthmaanfalls auch nicht-aller und auf das Pollenspektrum, das Ergebnis gene Stimuli sein, das heißt die genannten wäre die Zunahme der Pollenlast (u.a. Höf Zahlen sind nicht gleichbedeutend mit der lich 2014). In ABBILDUNG 2 sind diese mög Häufigkeit Pollen-assoziierter allergischer lichen Zusammenhänge grafisch dargestellt. Rhinitis beziehungsweise Pollen-assoziier Eine Zunahme der Pollenlast wäre gefolgt tem allergischen Asthma. Nach den Daten von einem Anstieg der Sensibilisierungsra einer paneuropäischen Studie mit Aller ten und einem Anstieg der Erkrankungsra ABBILDUNG 2 Möglicher Einfluss von gie-Patienten haben in Deutschland etwa ten (Gassner et al. 2013; Jäger 2000; Lake erhöhter CO2-Konzen- 90 Prozent der gegen Gräser- beziehungs et al. 2017; Tosi et al. 2011). Zu beachten ist, tration und erhöhter weise Baum-Pollen sensibilisierten Patien dass zwischen dem Auftreten neuer Pollen Temperatur auf das ten, 85 Prozent der gegen Beifuß und 65 und dem Nachweis relevanter Sensibilisie Pollen-System. Modifi- Prozent der gegen Beifuß-Ambrosie sensi rungs- und Erkrankungsraten eine Zeitlücke ziert nach Beggs (2004) und Behrendt, Ring bilisierten Patienten auch entsprechende von wahrscheinlich mehreren Jahren liegt (2012), siehe auch Höf- allergische Beschwerden bei Pollenkontakt (Jäger 2000; Tosi et al. 2011). lich (2014). (Burbach et al. 2009). ↑ Anstieg beziehungsweise Zunahme. Δ Änderung. SEITE 8 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE BEISPIEL gegen die Beifuß-Ambrosie sensibilisiert wie BEIFUSS-AMBROSIE gegen Gräser (Arbes et al. 2005), und die Pol len der Beifuß-Ambrosie führen bereits bei Die Fragen nach Gegenwart und möglicher Konzentrationen ab etwa 10 Pollen/m3 Luft Zukunft Pollen-assoziierter allergischer Er zu allergischen Beschwerden (zum Vergleich: krankungen lassen sich modellhaft an der Gräserpollen ab etwa 15 Pollen/m3, Birken Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) pollen ab etwa 30 Pollen/m3) (Bergmann et verdeutlichen. al. 2008, Frenz 2001, Tosi et al. 2011). Die Beifuß-Ambrosie ist in Nordamerika beheimatet und gelangte wahrscheinlich BEIFUSS-AMBROSIE IN DEUTSCH über Getreide oder Kleesaat nach Europa LAND: MESSDATEN AUS DEM (Starfinger 2007). Sie ist heute vor allem ZEITRAUM 2009 BIS 2013 in der Ukraine, in Ungarn, in Italien (Po- Ebene) und in Frankreich (Rhone-Tal) ver Im Folgenden werden Verbreitungs-, Pollen- breitet (Starfinger 2007; Buters et al. 2015). und Sensibilisierungsdaten für die Bundes In Deutschland wurde sie bereits 1860 wild länder Nordrhein-Westfalen (NRW), Bayern wachsend gefunden und galt lange als unbe und Brandenburg, erhoben im Zeitraum ständig und selten, seit einigen Jahren brei 2009 bis 2013, vorgestellt. tet sie sich aber aus (Starfinger 2007). ABBILDUNG 3 zeigt Ve r bre it u n g s d at e n Die Pflanze blüht im Spätsommer und im Jahr 2012 (NRW, Bayern) beziehungs Frühherbst und stellt sowohl für die Land weise 2010 (Brandenburg): In allen drei Bun wirtschaft als auch für das Gesundheitssys desländern existierten größere und große tem ein Problem dar: für die Landwirtschaft, (>100 Pflanzen) Bestände, in Brandenburg weil sie als „Unkraut“ in landwirtschaftli war darüber hinaus eine deutliche Konzen chen Kulturen auftritt und Ernteerträge tration an Beständen im Südostteil des Lan ABBILDUNG 3 mindert; für das Gesundheitssystem, weil des zu verzeichnen. Grundlage dieser wie Vorkommen der ihre Pollen ein hohes Sensibilisierungs- und bisher aller Verbreitungsdaten in Deutsch Beifuß-Ambrosie in Allergiepotential haben (Buters et al. 2015). land waren freiwillige Meldungen von (zu NRW, Bayern und So sind in den USA ebenso viele Menschen fälligen) Pflanzenfunden. Brandenburg. Daten für NRW bzw. Bayern aus dem Jahr 2012, Abbildung aus LANUV (2018) bzw. STMGP Bayern (2013); Daten für Brandenburg aus dem Jahr 2010, Abbildung aus MLUL Brandenburg (2011). SEITE 9 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE und Bayern zu Amb a 1 zeigen, dass diese JAHRESPOLLENSUMME Sensibilisierungen keine primären (= „ech (Pollen/m³ Luft) ten“) Sensibilisierungen waren, sondern auf NRW (MÖNCHENGLADBACH) 5 Kreuzreaktionen zu strukturell ähnlichen BAYERN (MÜNCHEN) 6 Allergenen beruhten. Für Brandenburg sind uns keine Daten zu Sensibilisierungen gegen BRANDENBURG (DREBKAU) knapp 2500 Amb a 1 bekannt. Daten je einer Messstelle. Datenquellen NRW, Bayern: Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID), Details siehe Höflich et al. 2016, BEIFUSS-AMBROSIE IN DEUTSCH Datenquelle Brandenburg: MLUL Brandenburg 2011. LAND: PROGNOSEN FÜR DEN ZEITRAUM 2041 BIS 2060 TABELLE 1 Im gleichen Zeitraum erhobene Pol l e nd a Auf der Grundlage unterschiedlicher Klima Jahrespollensummen t e n sind in TABELLE 1 dargestellt: Während modelle, unterschiedlicher Pflanzenausbrei der Beifuß-Ambrosie im an Messstellen in NRW (Mönchengladbach) tungsmodelle und zweier repräsentativer Jahr 2010 an Messstel- und Bayern (München) nur geringe Jahres Konzentrationspfade (RCP4.5 und RCP8.5, len in NRW (Mönchen- gladbach), Bayern (Mün- pollensummen ermittelt wurden, lag der siehe oben) verglichen Lake et al. die monat chen) und Brandenburg Wert in Drebkau, einer Stadt in Südostbran lichen Pollenkonzentrationen und die Sensi (Drebkau). denburg, vier- bis fünfhundertfach höher. bilisierungsraten für Europa in den Zeiträu S e n s i b i l i s ie r u n g s d at e n für diesen men 1985–2005 und 2041–2060 (Lake et al. Zeitraum sind in TABELLE 2 dargestellt. Die 2017). mittels Pricktest gewonnenen Daten geben Bezüglich der monatlichen Pol le n k on Auskunft über Sensibilisierungen unabhän z e nt r at ione n werden demnach in einigen gig davon, ob sie auf einem echten Kontakt Gebieten im Süden Deutschlands zukünftig mit dem Allergen (sogenannte „primäre“ bereits in der Vorsaison klinisch relevante Sensibilisierung) oder auf einer sogenann Pollenkonzentrationen auftreten. Über dem ten Kreuzreaktion beruhen. Die Differen gesamten Bundesgebiet werden die Pollen zierung in primäre Sensibilisierung versus konzentrationen in der Hauptblütezeit min Kreuzreaktion erfolgt durch die Bestim destens doppelt so hoch liegen wie im Ver mung von spezifischem IgE gegen Spezi gleichszeitraum und auch in der Nachsaison es-spezifische Allergenkomponenten, im noch in klinisch relevanten Größenordnun Falle der Beifuß-Ambrosie gegen Amb a 1. gen nachweisbar sein (ABBILDUNG 4). Be TABELLE 2 Aus den Pricktest-Daten in TABELLE 2 wird züglich der S e n s i b i l i s ie r u n g s r at e n ge Sensibilisierungen gegen Beifuß-Ambrosie ersichtlich, dass in allen drei Bundesländern hen die Autoren für Deutschland von einem in NRW, Bayern und Sensibilisierungen gegen die Beifuß-Ambro Anstieg von 0 bis 10 Prozent im Zeitraum Brandenburg. sie nachweisbar waren. Die Daten aus NRW 1985–2005 auf 15 bis 25 Prozent im Zeit raum 2041–2060 aus. PATIENTEN MIT POSI Interessanterweise ergaben die Berech PATIENTEN TIVEM PRICKTEST UND nungen auf der Grundlage von RCP4.5 und MIT POSITIVEM SPEZIFISCHEM IGE PRICKTEST [% (N)] RCP8.5 keine relevanten Unterschiede in GEGEN AMB A 1 [% (N)] den zu erwartenden Sensibilisierungsraten NRW 18 (87) 0 (0) (im Gegensatz zu den Berechnungen auf der BAYERN 11 (50) 2 (1) Grundlage unterschiedlicher Klimamodelle und unterschiedlicher Pflanzenausbrei BRANDENBURG 9 (103) nicht bekannt tungsszenarien). Die Autoren führen zwei Die Daten für NRW und Bayern wurden in den Jahren 2011 bis 2013 an Stu mögliche Erklärungen dafür an, zum einen dienpatienten mit Verdacht auf allergische Atemwegserkrankungen erhoben das Erreichen der Sättigung des CO2 -Effekts (Höflich et al. 2016), die Daten für Brandenburg in den Jahren 2009 bis 2011 (ABBILDUNG 2 ), zum anderen den relativ im Rahmen der regulären Gesundheitsversorgung (MLUL Brandenburg 2011). zeitnahen Vorhersagezeitraum 2041–2060: SEITE 10 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE Die größten Temperaturunterschiede wei Baseline Future sen die verschiedenen RCP am Ende des 21. Jahrhunderts auf (ABBILDUNG 1). WAS KÖNNEN WIR TUN? July – August Im Folgenden sind Beispiele für Handlungen und Handlungsmöglichkeiten genannt. Sie erstrecken sich auf die Gebiete Monitoring, Informieren und Umsetzen von Bekämp fungsmaßnahmen. Monitoring der Verbreitung Die eingangs gezeigten Daten zur Verbrei August – September tung der Beifuß-Ambrosie beruhen auf freiwilligen Meldungen von (zufälligen) Pflanzenfunden. Ein vollständigeres Ver breitungsbild kann durch die Einführung einer Meldepflicht erreicht werden (siehe auch Umsetzen von Bekämpfungsmaß nahmen), ein vollständiges Bild durch sys tematische Pflanzenkartierung. Monitoring der Pollenlast September - October Daten zur Pollenlast sind die Vorausset zung für unmittelbare gesundheitliche Vorsorge. Sie ermöglichen die exakte Di agnose und Therapie einer Pollenallergie (sogenannte Sekundärprävention), und Pollenallergiker können an Tagen mit ent sprechender Pollenbelastung abwägen, welche Aktivitäten im Freien in dieser Die Daten zeigen die Durchschnittswerte der Berechnungen mittels Zeit wirklich notwendig sind (sogenannte unterschiedlicher Klimamodelle für RCP4.5 und ein Referenz- Tertiärprävention). Darüber hinaus zeigt Pflanzenausbreitungsszenario (Lake et al. 2017). ein kontinuierliches flächen deckendes Pollen-Monitoring Veränderungen in Dauer und Stärke der Pollenbelastung und Veränderungen im Pollenspektrum Weiterentwicklung aber nicht gesichert ABBILDUNG 4 an. Diese Informationen sind unter ande (PID 2016). Aus diesem Grund bildete Monatliche Pollen- rem vor dem Hintergrund des Klimawan sich im Sommer 2017 der fachübergrei konzentrationen der Beifuß-Ambrosie dels und notwendiger Anpassungsmaß fende Arbeitskreis „Bundesweites Pollen (Pollen/m 3 Luft) über nahmen bedeutsam. monitoring“. In ihm tauschen sich Ver Europa im Zeitraum Das einzige bundesweite Pollenmessnetz treterinnen und Vertreter von siebzehn 1986–2005 und 2041– wird von der Stiftung Deutscher Pollen Einrichtungen (Fachverbände, Fachin 2060. informationsdienst (PID) betrieben. Mit stitutionen, Ministerien und Behörden, telfristig sind dessen Fortbestand und Patientenvertretungen) über Fragen des SEITE 11 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE Wozu und Wie eines zukünftigen bun fuß-Ambrosie implementiert wurden, ist desweiten Pollenmessnetzes aus (Weber, die Schweiz, dort gilt ihre Ausbreitung als Kutzora 2018). gestoppt (Buters et al. 2015). Für Deutsch land fordert die Interdisziplinäre Arbeits Monitoring der Sensibilisierung gruppe Ambrosia (siehe oben) seit Jahren ebenfalls gesetzliche Regelungen. Diese Das Robert Koch-Institut erhebt im Rah Regelungen sollten unter anderem die men von drei Studien (Studie zur Ge Pflicht zum Berichten und zur Beseitigung sundheit von Kindern und Jugendlichen von Pflanzenfunden sowie das Verbot der in Deutschland (KiGGS), Studie zur Ge Verbreitung der Pflanze beinhalten (Bu sundheit Erwachsener in Deutschland ters et al. 2015). Mit dem seit 2012 EU-weit (DEGS), Gesundheit in Deutschland ak verbindlich geregelten Höchstgehalt von tuell (GEDA)) regelmäßig Daten zur Ge Ambrosia-Samen in Vogelfutter (EU-Ver sundheit der Bevölkerung in Deutschland ordnung Nr. 574/2011 vom 16. Juni 2011) (RKI 2017). In allen drei Studien werden wird zumindest einem der genannten As neben einer Vielzahl anderer Daten auch pekte, dem Verbot der Verbreitung, partiell Daten zu allergischen Erkrankungen er Rechnung getragen. hoben und in KiGGS und DEGS zusätz lich Daten zur Sensibilisierung gegen ein An einigen der genannten Aktivitäten war breites Panel an Allergenen, unter an beziehungsweise ist das Umweltbundesamt derem auch gegen die Beifuß-Ambrosie. beteiligt, so zum Beispiel an der Erhebung Patientenbasierte Daten liegen für einige von Patientendaten zu Sensibilisierungen Regionen Deutschlands im Rahmen von gegen Beifuß-Ambrosie in NRW und Bayern Einzelstudien vor (TABELLE 2 ), eine syste (Höflich et al. 2016), an der Arbeit der Inter matische und bundesweite Erfassung pa disziplinären Arbeitsgruppe Ambrosia (JKI tientenbasierter Daten erfolgt bisher aber 2017) und an der Erstellung der DAAB-Web nicht. Dieses Fehlen birgt das Risiko von site „Allergien im Garten“ (DAAB 2017). Datenlücken, wie sie derzeit zum Beispiel Aktuell liegt ein Schwerpunkt beim UBA in Brandenburg hinsichtlich der primären auf der Mitarbeit im fachübergreifenden Ar Sensibilisierung gegen die Beifuß-Ambro beitskreis „Bundesweites Pollenmonitoring“ sie bestehen (TABELLE 2 ). (Weber, Kutzora 2018). Informieren der Bevölkerung und politi scher Entscheidungsträger DANKSAGUNG Beispielhaft seien hier die Aktivitäten der Herzlichen Dank an Dr. Hans-Guido Mücke vom Julius Kühn-Institut (JKI) koordinier und Dr. Wolfgang Straff, beide Umweltbun ten Interdisziplinären Arbeitsgruppe Am desamt, Fachgebiet II 1.5, für den kritischen brosia (JKI 2017), das Berliner Aktionspro Blick von „innen“ auf das Manuskript und gramm gegen Ambrosia (FU Berlin 2018) Dr. Gabriele Wechsung, Umweltbundesamt, und die Website „Allergien im Garten“ des Fachgebiet II 4.3, und Dr. Stefan Banzhaf, Deutschen Allergie- und Asthmabundes Umweltbundesamt, Fachgebiet II 1.1, für den (DAAB) genannt (DAAB 2017). kritischen Blick von „außen“. Umsetzen von Bekämpfungsmaßnahmen Das bisher einzige europäische Land, in dem umfassende gesetzliche Rahmenbe dingungen für die Bekämpfung der Bei SEITE 12 NR . 1/2018
POLLEN-ASSOZIIERTE ALLERGISCHE ERKR ANKUNGEN IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS POLLEN ASSOCIATED ALLERGIC DISE ASES IN TIMES OF CLIMATE CHANGE LITERATUR Gassner M, Gehrig R, Schmid-Grendelmeier P (2013): Hay fever as a christmas gift. New England Jour- Arbes Jr SJ, Gergen PJ, Elliott L et al. (2005): Prevalences nal of Medicine 368 (4): 393–394. DOI: 10.1056/ of positive skin test responses to 10 common allergens NEJMc1214426. in the US population: Results from the Third National Health and Nutrition Examination Survey. JACI 116 (2): Haftenberger M, Laußmann D, Ellert U et al. (2013): 377–383. DOI: 10.1016/j.jaci.2005.05.017. Prävalenz von Sensibilisierungen gegen Inhalations- und Nahrungsmittelallergene. Bundesgesundheitsblatt 56: Beggs PJ (2004): Impacts of climate change on aero- 687–697. DOI: 10.1007/s00103-012-1658-1. allergens: past and future. Clin Exp Allergy 34 (10): 1507–1513. DOI: 10.1111/j.1365-2222.2004.02061.x. 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