POPULISMUS IN DER TÜRKEI - Julia Völker // Istanbul Universität - DAAD

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POPULISMUS IN DER TÜRKEI - Julia Völker // Istanbul Universität - DAAD
POPULISMUS
IN DER TÜRKEI

 Julia Völker // Istanbul Universität
POPULISMUS IN DER TÜRKEI - Julia Völker // Istanbul Universität - DAAD
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                  GLIEDERUNG

1. Arbeitsdefinition: Populismus
2. Populismus in der Geschichte der Türkei
3. Aktuelle populistische Akteure in der Türkei: AKP
4. Auswirkungen auf das Bildungssystem
5. Türkei als Populistisches Regime?
POPULISMUS IN DER TÜRKEI - Julia Völker // Istanbul Universität - DAAD
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1. Arbeitsdefinition: Populismus (Müller/ Karaömerlioglu)

                         Populismus

Merkmale (Müller 2017)   1. Anti-Establishment-Attitüde/ „Volk“ vs. „Eliten“

                         2. Berufung auf den „(allgemeinen) Volkswille“
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    2. Populismus in der Geschichte der Türkei

Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen
(„Center-periphery cleavage“, Serif MARDIN 1973)

           Zentrum („center“)                      Peripherie („periphery“)
Wer?       ▪ politische und gesellschaftliche      ▪ kulturell, religiös, ethnisch
             Eliten                                  heterogene Gruppe
           ▪ Kontrolle über staatliche             ▪ nicht in politische
             Institutionen und ihre                  Entscheidungsprozesse
             Bürokratien (Justiz/ Militär)           eingebunden
Werte?     ▪ säkular                               ▪ konservativ
           ▪ laizistisch                           ▪ religiös
heute      Partei: CHP                             Partei: AKP

   → seit 1950: Parteien der Peripherie die Regierungsmehrheit
   → aber: politische Institutionen unter Kontrolle des Zentrums („Bevormundung“)
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      2. Populismus in der Geschichte der Türkei
Überblick

1923-1950: Einparteiensystem (CHP)
         ▪    radikaler Umbau der türkischen Gesellschaft
         ▪    Erschaffung eines Nationalstaats (und einer Nation!)

Ab 1950: Mehrparteiensystem
         ▪    Ende der langjährigen Alleinherrschaft der CHP („Zentrum“)
         ▪    Beginn eines politischen Wettbewerbs
         ▪    Aufstieg populistischer Akteure, die im Interessen der „Peripherie“
              handeln

Wichtige Politiker:
         1.   Adnan Menderes (1950-1960)
         2.   Süleyman Demirel (1. Amtszeit: 1965-1971)
         3.   Turgut Özal
         4.   Milli Görüs-Bewegung (seit 1970er/1980er Jahren)
         5.   Recep Tayip Erdogan (2002 – heute)
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 „Es reicht, das
  Wort hat nun
   das Volk!“
(Wahlplakat DP/ Menderes, 1950)
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                     2. Populismus in der Geschichte der Türkei
                                                       (Politiker : 1950-2000)

Adnan Menderes                                                              Süleyman Demirel
(1950-1960)                                                                 (1965-1971; Staatspräsident 1993-2000)

                                                                            - Hauptthema: „Volkes“ vs. „Eliten“
                                                                            - Kampf gegen Institutionen
                                                                              (Verfassungsgericht)
                                                                            - Gewaltenteilung macht regieren unmöglich

-      Hauptthema: „Volk“ vs. „Eliten“
-      Kampf gegen Institutionen & Hinterfragen
       der Gewaltenteilung
-      Forderung: alle Macht dem Parlament
-      Hinterfragen der Gewaltenteilung
-      „tahkikat komisiyonu“ (parlamentarische
       Komission mit juristischen Befugnissen,
       1960)

    Menderes: https://www.haberler.com/adnan-menderes/biyografisi/, 05.07.2019); Demirel: (https://onedio.com/haber/suleyman-demirel-in-dillere-
    dolanan-meshur-sozu-dun-dundur-bugun-bugundur-un-hikayesi-775441, 05.07.2019)
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                 2. Populismus in der Geschichte der Türkei
                                                   (Politiker: 1950-2000)

            Turgut Özal                                                       Milli Görüs – Bewegung
            (1983-1989)                                                       (1980 – heute)

                                                                              - Gründer: Necmettin Erbakan
                                                                              - Islamistische Ideologie mit anti-
                                                                                republikanischer und pro-osmanischer
                                                                                Tendenz

                - Neoliberale Politik
                - Re-Islamisierung der Türkei

Menderes: https://www.haberler.com/adnan-menderes/biyografisi/, 05.07.2019); Demirel: (https://onedio.com/haber/suleyman-demirel-in-dillere-
dolanan-meshur-sozu-dun-dundur-bugun-bugundur-un-hikayesi-775441, 05.07.2019)
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                 2. Populismus in der Geschichte der Türkei

    Zusammenfassung

   Merkmal                                                                Epoche (1950-2000)
   1. Anti-Establishment-Attitüde/ „Volk“                                 − Misstrauen gegenüber den vom
      vs. „Eliten“                                                          „Zentrum“ dominierten politischen
                                                                            Institutionen (hpts. Militär/ Justiz)
   2. Berufung auf den „(allgemeinen)                                     − Streng mehrheitsdemokratisches
      Volkswille“                                                           Grundverständnis
                                                                          − Macht soll vom Parlament
                                                                            ausgehen

Menderes: https://www.haberler.com/adnan-menderes/biyografisi/, 05.07.2019); Demirel: (https://onedio.com/haber/suleyman-demirel-in-dillere-
dolanan-meshur-sozu-dun-dundur-bugun-bugundur-un-hikayesi-775441, 05.07.2019)
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                    3. Aktuelle populistische Akteure
                                       (seit 2000)

                                           Peripherie
Recep Tayip Erdogan                             AK Parti
                                                (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)

-   1994 - 1998 Oberbürgermeister in            -   2001: Parteigründung
    Istanbul                                    -   2002: Parlamentswahl
-   1998: Verurteilung & Gefängnisstrafe        -   2007: Parlamentswahl
-   Seit 2003: Ministerpräsident                -   2011: Parlamentswahl
-   Seit 2018: Staatspräsident                  -   2015: 2x Parlamentswahl (Juni/November)
                                                -   2018: Parlaments- und
                                                    Präsidentschaftswahlen

                                                Werte:
                                                - Wirtschaftsliberalismus
                                                - Konservatismus
                                                - Neoosmanismus
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               3. Aktuelle populistische Akteure

 Regierungsphasen der AKP:
Phase       Politische Schwerpunkte              Populismus
2002 - 2007 - Wirtschaftlicher Erfolg
            - „konservative Demokraten“
            - Demokratisierungsprozess und EU-
              Beitrittsverhandlungen             Feindbild: politische
                                                 Institutionen (hpts. Militär

                                                                                 ZUNAHME
2007 - 2011 - Wirtschaftliche Stagnation         und Justiz)
            - Demokratischer Reformprozess
              stagniert

2011 -      - Wirtschaftskrise                   Feindbild: innenpolitische
heute       - Problematische außenpolitische     Opposition (CHP,
              Beziehungen                        Intellektuelle, Journalisten,
                                                 westliche Welt, „üst akil“)
            - Zunehmender Autoritarismus
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                    3. Aktuelle populistische Akteure

Merkmal                            Erdogan/AKP (seit 2002)
1. Anti-Establishment-             2002-2011:
   Attitüde/ „Volk“ vs. „Eliten“   − Denken in Dualismen „Wir – Die Anderen“
                                   − „konservative Bevölkerung Anatoliens“ vs.
                                     Säkular-republikanische Eliten („Zentrum“)
                                   − Misstrauen gegenüber den vom „Zentrum“
                                     dominierten politischen Institutionen (hpts.
                                     Militär/ Justiz)
                                   − Selbststilisierung als „Opfer des Systems“
                                     (Gefängnisstrafe 1998)

                                   2011- heute:
                                   − Misstrauen gegenüber der CHP/Opposition
                                   − Misstrauen gegenüber den Medien
                                   − Misstrauen gegenüber dem Westen
                                   − Misstrauen gegenüber dem „üst akil“

                                   → Zunahme der anti-pluralistischen Rhetorik
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Beispiel 1: Wahlplakat 2014

           „Mann des Volkes“ (2014)
14

Beispiel 2: Verhältnis zu Akademikern und Wissenschaft

Über oppositionelle Intellektuelle (2016):

  „If you do not give up the fight with the people, with the people´s values,
  history, culture and their represantatives, you will drown in your own
  ugliness…What kind of men are these? Who cares if you are an artist, a
  professor? First you will respect this people; you can never look down to this
  people.“

    (https://www.sabah.com.tr/webtv/turkiye/cumhurbaskani-erdogandan-o-akademisyenlere-sert-tepki, 05.07.2019)
15

Beispiel 3: Verhältnis zu den Medien

Seta-Bericht (2019): „Der verlängerte Arm internationaler
Medienorganisationen in der Türkei“

Über ausländische Medien:
  - „Neutralität und Vertrauenswürdigkeit in der Türkei publizierender ausländischer
    Medienorgane sollten beobachtet und mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Zu diesem
    Zweck sollte eine Organisation für Beobachtung und Meldung gegründet werden.“

Über einzelne Journalisten (Bsp. Bülent Mumbay)
  - „Hauptaugenmerk in seinen Texten liegt darauf, dass in der Türkei Menschenrechte nicht
    eingehalten würden und das Land eine autoritäre Führung habe.“
  - „Hat Nachrichteninhalte geteilt, die behaupten, in der Türkei würden Journalisten
    verhaftet, die über Tatsachen berichten.“
  - „Er schreibt für die F.A.Z., die für ihre harsche Kritik an der Türkei bekannt ist. Mumay, der
    seine F.A.Z.-Artikel auch über seinen Account in den sozialen Medien verbreitet, benutzt
    eindeutig eine regierungsfeindliche Sprache.“

     https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/brief-aus-istanbul/brief-aus-istanbul-erdogan-und-die-seta-stiftung-16278091-p2.html, 05.07.2019
16

   Beispiel 4: Verwendung antipluralistischer Rhetorik

https://www.theguardian.com/world/ng-interactive/2019/mar/06/revealed-the-rise-and-rise-of-populist-rhetoric, 05.07.2019
17

                3. Aktuelle populistische Akteure

Merkmal                         Erdogan/AKP (seit 2002)
2. Berufung auf den             − Streng mehrheitsdemokratisches
   „(allgemeinen) Volkswille“     Grundverständnis
                                    → Volkswille = „50+1“
                                    → seit 2014: Direktwahl des Staatspräsidenten
                                    → 2017: Verfassungsreferendum
                                    →Diskussion um Einführung der Todesstrafe

                                − Verachtung politischer Institutionen der
                                  „horizontal accountability“ und deren
                                  systematische Schwächung
                                    → Bsp.: „Torba Kanun“
                                    → Bsp.: Aufhebung der Immunität von
                                      Abgeordneten
                                    → Bsp.: Einschränkung der Redezeit für
                                      Oppositionspolitiker im Parlament
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  4. Auswirkungen auf das Bildungssystem

PRIMAR-/SEKUNDARSTUFE:
 - 2004: Reform des Hochschulzugangs
   →Absolventen der Predigerschulen (Imam-Hatip-Schule) werden den
    Gymnasien gleichgestellt

 - Änderung der Lehrpläne
   ▪ 2017: Streichung der Evolutionstheorie/ Darwin
   ▪ 2014: Einführung eines verpflichtenden Religionsunterricht

 - 2014: Aufhebung des Kopftuchverbots an staatlichen Schulen (und
  Hochschulen)

 - 2019: Diskussion - getrennte Schulen/ Hochschulen für Frauen und
  Männer
19

  4. Auswirkungen auf das Bildungssystem

UNIVERSITÄT
 - Gründung neuer Universitäten in ländlichen Gebieten

 - Wahlen und Besetzung der Rektoren
      ▪ Seit Oktober 2016: Abschaffung der Wahl von HochschulrektorInnen

 - YÖK (seit 1981)
      ▪ Staatliches Kontrollgremium der Universitäten
      ▪ Gegründet zur Aufhebung der Selbstverwaltung und Autonomie der
        Universitäten (1980er)
      ▪ Entscheidet über Einstellungen/Entlassungen von Hochschulpersonal
      ▪ bestimmt Lehrinhalte

 - Universitätsalltag:
      ▪ Eingeschränkte Erlaubnis während der Vorlesungszeit an Konferenzen im
        Ausland teilzunehmen
      ▪ Meldebehörden für Studierende
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     5. Die Türkei als „populistisches Regime“?

        Demokratie                     Populismus                     Autoritarismus
-   Politische                 -   Ausgangspunkt beim           -   Selbstorganisation des
    Entscheidungen sind auf        Volk                             politischen Kollektivs
    die Selbstorganisation     -   Volk = homogen                   wird durch Autoritäten
    des politischen Kollektivs -   Volk wird durch Eliten           überlagert, die nicht
    zurückzuführen                 des Landes                       hinterfragt werden dürfen
-   Volk = heterogen               systematisch irregeführt     -   Inklusionsverfahren
                               -   Populistischer Politiker =       (+Veto)
                                   Repräsentant des
                                   einheitlichen
                                   Volksinteresses
21

                   Quellenverzeichnis

1.   Ece Temelkuran (2019), How to Lose a Country: The 7 Steps
     from Democracy to Dictatorship, UK: Harper Collins
     Publishers.
2.   S. Erdem Aytaç, Ezgi Elçi (2019), “Populism in Turkey”, in: D.
     Stockemer (ed.), Populism Around the World. Link:
     https://doi.org/10.1007/978-3-319-96758-5_6 (23.04.2019)
3.   Jan Werner-Müller (2016), Was ist Populismus? Ein Essay,
     Frankfurt am Main: Suhrkamp.
4.   Burak Bilgehan Özpek, Nebahat Tanriverdi Yaşar (2018),
     “Populism and foreign policy in Turkey under the AKP rule”,
     in: Turkish Studies, 19:2, 198-216. Link:
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     1400912 (13.05.2019)
5.   The Guardian, https://www.theguardian.com/world/ng-
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     populist-rhetoric (05.07.2019)
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