PRESS REVIEW Wednesday, June 30, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Wednesday, June 30, 2021
PRESS REVIEW Wednesday, June 30, 2021 Auswärtiges Amt, BSA Grußwort von Staatsministerin Michelle Müntefering beim Konzert Jerusalem Symphony Orchestra mit Bochumer Symphonikern Frankfurter Allgemeine Zeitung Deutsche und Russen bringen gemeinsam Richard Wagners Oper „Rheingold“ in den Ural in zwei Bergbaumetropolen Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Gohrischer Schostakowitsch-Tage finden diesmal in Hellerau statt, bieten aber wie gewohnt Ur- und Erstaufführungen Süddeutsche Zeitung Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat eine Reform beschlossen, die eher ein Reförmchen ist Der Tagesspiegel Komponist und Pianist: Frederic Rzewski ist tot The New York Times Igor Levit on Frederic Rzewski: “The People’s Composer” Frankfurter Allgemeine Zeitung Binding-Kulturpreis an ID_Frankfurt Berliner Zeitung Heute wäre der Dichterfürst ein Fall für MeToo, aber seit Jahrhunderten sieht man ihm alles nach. Gedanken für unzeitgemäßen Schulstoff
Internet Quelle: Auswärtiges Amt vom 29.06.2021 (Internet-Publikation, Berlin) Visits: 7.449.930 Reichweite: 248.331 Autor: k.A. Weblink Grußwort von Staatsministerin Michelle Müntefering beim Konzert Jerusalem Symphony Orchestra mit Bochumer Symphonikern, Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Musikerinnen und Musiker, lieber Steven Sloane Shalom! Glückauf! Wie schön, Sie alle hier zu haben, bei uns in Bochum. Uns das zu einem wirklich wunderbaren An- lass, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Als der Österreicher Gustav Mahler Ende des 19. Jahrhunderts seine 2. Symphonie vollendete, die Sie heute spielen, war er erster Kapellmeister am Stadt-Theater in Hamburg. Ganz Europa kannte ihn. Und dennoch schlugen ihm immer wieder offene Ablehnung und Hass entgegen. Denn er war Jude. In einem Brief schrieb er: „Mein Judentum verwehrt mir, wie die Sachen jetzt in der Welt stehen, den Eintritt in jedes Hofthea- ter. Nicht Wien, nicht Berlin, nicht Dresden, nicht München steht mir offen.“ 2021 feiern wir das jüdische Kulturerbe und würdigen den Einfluss jüdischer Künstlerinnen und Künstler auf die Kulturgeschichte Deutschlands. Das ist gut so. Denn das Judentum war immer ein fester Bestandteil deutscher und europäischer Kultur. Es hat unsere Kunst, Musik und Literatur ungemein bereichert. Unsere Kulturgeschichte ohne das Judentum ist schlicht und ergreifend nicht vorstellbar. Und doch zeigen die Erfahrungen Mahlers wie so vieler anderer, dass sich der Antisemitismus wie ein roter Faden durch diese 1700-jährige Geschichte zieht. Er gipfelte im dunkelsten Kapitel, der millionenfachen Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten. Und auch heute, mehr als 75 Jahre nach der Shoah, müssen Jüdinnen und Juden in unserem Land um ihr Leben fürchten. Das ist unerträglich. Ich bin überzeugt: Der Kampf gegen rechte Hetze und Antisemitismus ist entscheidend, auch für unsere Demokratie. Dazu gehörten Taten, klare Gesetze gegen Hass und Hetze. Und dazu gehört auch, die Erfahrung der Gemeinsamkeit, der Gleichwertigkeit der Menschen. Kulturelle Bildung kann hier so viel bewir- ken, wenn sie ganz besonders junge Menschen beteiligt und zusammenbringt. Denn: Echte Freundschaften sind das beste Gegenmittel im Kampf gegen den Hass. Meine Damen und Herren, Ich bin dankbar für die engen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Sie sind über die letzten Jahrzehnte stetig gewachsen und ich kann es kaum erwarten, in wenigen Tagen schon wie- der in Ihrem Land zu Gast zu sein. Und ja: Diese engen Verbindungen zwischen unseren Ländern sind tatsächlich wunderbar. Des- halb fördern wir als Auswärtiges Amt den kulturellen Austausch, die Musik ist dabei eine starke, ei- gene Kraft. Das spüre ich auch jedes Mal, wenn ich mit Musikerinnen und Musikern spreche, aus Israel und der arabischen Welt, die gemeinsam an der Barenboim-Said-Akademie studieren. 3
Umso schöner, dass das Jerusalem Symphony Orchestra zum ersten Mal seit 10 Jahren wieder in Deutschland ist und dass ich sie alle hier in Bochum begrüßen darf. Seien Sie uns herzlich willkom- men. Sicher spielt es sich in diesen Hallen anders, als in der Elbphilharmonie oder auf dem Gendarmen- markt - aber ich hoffe, dass Sie gerade hier etwas Besondres mitnehmen können. Die Atmosphäre des Ruhrgebiets. Die Tradition der Solidarität und des Miteinanders. Gerade nach dieser Zeit, in der wir alle Gespürt haben, wie sehr uns Kunst und Kultur ein Lebenselixier sind. Danke, dass Sie hier sind. Sie haben jemanden an Ihrer Seite, der diese Traditionen nicht nur kennt, sondern auch lebt. Ei- nen, der Brücken zwischen Menschen baut. Lieber Steven Sloane, dass Du heute am Dirigentenpult stehst, ist ein echtes Heimspiel. Du hast das musikalische Leben hier in dieser Stadt geprägt. Bochum hat dir so viel zu verdanken. Und ich kann dir nur eines sagen: So ganz lassen wir dich nicht los. Das siehst Du heute und, da bin ich sicher, auch in Zukunft. Heute aber sagen wir von Herzen Danke Steven Sloane, dem Künstler, und auch dem Menschen. Eines wird ganz sicher bleiben: Das Brückenbauen, zwischen Deutschland und Israel, zwischen den Menschen mit der Kraft der Musik. Lieber Steven Sloane, verehrte Damen und Herren, „Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten? [...] In wessen Leben dieser Ruf einmal ertönt ist – der muss eine Antwort geben“ Das schrieb Mahler über seine zweite Symphonie. Es sind die großen Fragen unseres Lebens. Mahler gab seine Antwort mit Musik. Ich könnte mir für den heutigen Abend kaum ein besseres Werk vorstellen als dieses Stück. Ich danke allen Beteiligten und wünsche ein Konzert. 4
30.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/12 F.A.Z. - Feuilleton Mittwoch, 30.06.2021 Goldsucher in der Panzerschmiede Deutsche und Russen bringen gemeinsam Richard Wagners Oper „Rheingold“ in den Ural in zwei Bergbaumetropolen. Von Kerstin Holm, Jekaterinburg Die von der Berliner Produktionsfirma RCCR organisierte deutsch-russische Orchesterakademie an der Philharmonie der russischen Industriestadt Jekaterinburg beschert der Region seit längerem schon kulturelle Großer eignisse, im vergangenen Jahr sogar das weltweit einzige Beethoven-Festival mit inter- nationaler Spitzenbesetzung. Als Höhepunkt des laufenden Jahres der deutschen Kultur in Russland konzipierte RCCR jetzt eine erste hochklassige, halbszenische Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ an der Swerdlowsker Philharmonie sowie in der russischen Panzerschmiede Nischni Tagil, die das Auswärtige Amt großzügig unterstützte, und zu der Katharina Wagner als Leiterin der Bayreu- ther Festspiele ein Grußwort beisteuerte. Für das Projekt arbeiteten Wagner-Experten aus Deutschland mit russischen Kollegen vor Ort. Wohlweislich ging man nicht von der Originalorchestergröße von 123 Musikern aus, sondern von der sogenannten Coburger Fassung für einen reduzierten Klangkörper ohne Wagnertuben und Basstrompeten, der freilich auf gut sechzig Instrumentalisten aufgestockt wurde. Und weil die Themen von Wagners Gesamtkunstwerk – unser Verhältnis zur Natur, unsere ewig wach- senden Ansprüche – so aktuell sind, beteiligten die Musiker beider Länder sich auch an ökostrategi- schen Rahmenveranstaltungen. Die Ural-Region um Jekaterinburg, die vielen Gästen mit ihren alten Betonfunktionsbauten „typisch russisch“ vorkommt, lebt vom Bergbau, der die Landschaft zerklüftet und Gewässer vergiftet. Bei einer Diskussion über Umweltfragen, ausgerichtet von der Jekaterinburger Bergbau-Universität, bekundeten die russischen Instrumentalisten, sie bemühten sich durch den Verzicht auf Plastiktüten und Einwegge- schirr um Müllvermeidung, doch ihre Möglichkeiten der Einflussnahme seien gering. Umso mehr seien die großen Rohstoffkonzerne gefordert, statt in Fußball in Umwelttechnologie zu investieren, mahnte der slowenischstämmige Posaunist Tine Bizajl. Russische Bergbau-Studenten berichteten, dass seit diesem Jahr in ihrer Region neu entwickelte Drohnen Daten zur Luft-, Wasser- und Bodenqualität sammelten. Der Universitätsrektor Alexej Duschkin betonte, Russland gehe beim Umweltschutz durch- aus eigene Wege und bringe insbesondere seine im internationalen Vergleich dünne Besiedlung in Stel- lung. Russlands Problem, dass viele jüngere Menschen ans Emigrieren denken, wie die Gäste aus Deutschland auch in Jekaterinburg feststellen konnten, gerät so wenigstens klimapolitisch zum Vorteil. Zu den Quellen der Goldgewinnung begaben sich die Sängersolisten bei einem Besuch in der nahe Jeka- terinburg gelegenen Stadt Berjosowski, wo 1745 die russische Goldgräberei begann und wo die Helden des Musikdramas sich selbst als Goldwäscher versuchten. Die Instrumentalisten, die das Schmiedege- hämmer klanglich zu vergegenwärtigen hatten, wurden durch das historische Eisen- und Kupferwerk von Nischni Tagil geführt, das, 1725 gegründet von dem Unternehmerklan der Demidows, den Nibelun- gen des Urals, bis in die Perestrojkazeit funktionierte und als Freilichtindustriemuseum eine grandiose Theaterkulisse abgibt. Um die Schätze des Wagnersounds mit seinen seidigen Schichtungen und ahnungsvollen Leitmotiven nuanciert erstrahlen zu lassen, erarbeitete der Dirigent Christoph Stöcker die Produktion, selbst Bayreuth-erfahren wie auch der Geiger Andreas Neufeld, der ihm am Konzert- meisterpult zur Seite stand. Dass das Orchester auf der Bühne zurückgesetzt und hinter einem transpa- renten Projektionsvorhang agierte, erzeugte, wie schon die über Pedaltönen aufbauende Weltschöp- fungsmusik des Vorspiels ohrenfällig machte, obendrein einen Wagnerischen Mischklang. Das Eröffnungsstück der „Ring“-Tetralogie zeigt, dass die Glücklichen durch ihre Arroganz selbst jene Rache-Energien mobilisieren, die ihnen am Ende zum Verhängnis werden. Der Regisseur Georg Blüml kleidet die drei Rheintöchter – betörend gesungen von Solistinnen des Philharmoniechores – in schul- terfreie Hochzeitsroben und lässt sie in ihrem erotisch-wässrigen Element, das auch Videowogen des Medienkünstlers Lillevan veranschaulichen, Schwimmbewegungen vollführen und mit Oliver Zwarg als brünstigem Alberich ihr hohnlachendes Spiel treiben. Mit seinem mächtigen Bassbariton, der zwischen https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/12 1/2
30.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/12 schwarzem Furor, geschmeidigem Parlando und fahlem Sprechgesang alle Ausdrucksregister zieht, sowie der Schauspiellust, mit der er die aus Erniedrigung erwachsende Energie seiner Figur zelebriert, macht Zwarg die Aufführung vor einem infolge der Corona-Auflagen mit 75 Prozent vollbesetzten Saals zum Theaterereignis. Der Himmelspatriarch Wotan (majestätisch: Geert Smits), der für seine Palastimmobilie erst gar nicht und dann nur mit von Alberich abgepresstem Raubgold zu zahlen bereit ist, erhebt den Hochmut zum ökonomischen Prinzip, inspiriert dadurch aber auch den machtgierigen Riesen Fafner (von finsterer Eleganz: Łukasz Konieczny) zum Brudermord und hat auch seine statusbewusste Gattin Fricka (mit königlichem Schmelz: Elena Zhidkova) infiziert. Der geschmeidige Tenor und der listige Charme von Markus Schäfer als Loge, dessen Erscheinung mit Videoflammen unterlegt wird, macht die Figur des Versuchers und Problemlösers zum Publikumsliebling, und der bestens aufgelegte Ferdinand von Both- mer gab einen jugendlich beseelten Meisterschmied Mime. Doch auch russische Sängersolisten gehör- ten zum Cast, etwa die junge lyrische Sopranistin Viktoria Masljukowa aus dem sibirischen Krasnojarsk als entführte Jugendgöttin Freia oder der imponierende Bariton Maxim Schlykow von der Jekaterin- burger Oper als gewittererzeugender Donner. Die Regie, die Ring, Burg und Riesenschlange per Video, den Blitz indes nur in der Saalbeleuchtung Ereignis werden ließ, führte auf eine Weise durch die musi- kalische Erzählung, die an Konzertbühnen Schule machen könnte. Nach den Proben gingen viele Sänger und Instrumentalisten aus Deutschland, obwohl sie kein Russisch können, in die Oper, um Nikolai Rimski-Korsakows „Zarenbraut“ zu erleben, am freien Nachmittag sah man sie im Kunstmuseum, wo neben Ikonen und Gemälden Eisenabgüsse bekannter Marmor- oder Bronzeskulpturen zu bewundern sind, eine Spezialität der Region. Der Mime-Sänger von Bothmer, der, wie er sagt, viele russische Freunde hat, aber nie zuvor in Russland war, findet, Kooperationen wie die beim „Rheingold“, bei der man einander auch ohne Worte verstehe, seien gerade jetzt wichtig. Kultur müsse Verständigung dort herstellen, wo die Politik versage. Von Bothmer lobt aber auch die Qualität der Jekaterinburger Oper sowie die Jekaterinburger selbst, die, wie man merke, ihre Kultur schätzen und pflegen. Auch der polnischstämmige Fafner-Darsteller Konieczny schwärmt, bei seinem ersten Besuch in Russland hätten die Menschen ihn angenehm überrascht. Zum Abschluss wird Wagners Musikdrama in Nischni Tagil aufgeführt, der Hauptproduktionsstätte russischer Panzer, deren maskuliner Ruppigkeit die einer Fernsehserie entnommene Redensart „Tagil gibt den Ton an“ (Tagil rulit) huldigt. Im ausverkauften Betonbau der Philharmonie sitzen die Musiker auf offener Bühne, auf dem Videoschirm über ihnen dreht sich der blutige Goldring, den Sängersolisten bleibt nur ein schmaler Laufsteg. Doch auch diese statischere Darbietung verzaubert das Publikum, Zwarg verwandelt sich trotz Frack durch suggestive Kieferbewegungen und Hüpfer in jene Kröte, als die Alberich von Wotan und Loge gefangen genommen wird. Als die Solisten nach der Vorstellung die Lobby durchqueren, brandet ihnen Jubel entgegen, was es in seinem Haus noch nicht gegeben habe, wie der Philharmoniedirektor versichert. Ende August soll die Produktion in Blaibach im Bayerischen Wald und auf der Seebühne des Klosters Aldersbach gezeigt werden. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/12 2/2
30.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 F.A.Z. - Feuilleton Mittwoch, 30.06.2021 Ein Mann voll Angst schreibt Mutmacher Die Gohrischer Schostakowitsch-Tage finden diesmal in Hellerau statt, bieten aber wie gewohnt Ur- und Erstaufführungen. Schon Ort und Zeit für die insgesamt sieben Konzerte geben zu denken: Nur kurz nach dem achtzigsten Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion fanden die Internationalen Schostakowitsch- Tage Gohrisch im Festspielhaus Hellerau statt, wo bis 1992 die Sowjetische Armee residierte und wo vor 1945 Polizeieinheiten gedrillt worden waren, die gewiss keine freiheitliche Grundordnung zu verteidi- gen hatten. Ein produktiver Kontrast zur Kunst, die nun hier zu erleben war. Verursacht hat den Umzug an den Stadtrand von Dresden die noch immer schwer kalkulierbare Entwicklung der Pandemie. Im idyllischen Gohrisch in der Sächsischen Schweiz war eine verlässliche Planung bis vor Kurzem noch nicht möglich. So fehlte der Bezug zum schaffensbiographischen Ort, an dem Schostakowitsch 1960 sein achtes Streichquartett komponiert hatte. Die Sächsische Staatskapelle als fester Kooperationspartner steuert alljährlich ein Sonderkonzert bei, diesmal im Dresdner Kulturpalast unter der versierten Leitung von Vladimir Jurowski und mit dem kongenialen Leonidas Kavakos als Solist im ersten Violinkonzert, das aus ideologischen Ängsten lange Zeit in der Schublade verwahrt bleiben musste. Das Stück klang damals, 1948, auf dem Höhepunkt stalinistischer Formalismus-Tribunale, nicht „positiv“ genug, und noch heute spürt man darin einen Weltschmerz, der sich resignativ nach innen richtet. Just diese Dramatik innerer Verzweiflung findet sich – mitunter geradezu episch – in vielen Streichquartetten von Schostakowitsch. Fünfzehn hat er geschrieben, da könnte man meinen, im zwölften Jahrgang der Schostakowitsch-Tage wären die hier alle schon mindestens einmal gespielt worden. Doch allein an diesem Juni-Wochenende gab es fünf Quartette zum ersten Mal bei diesem Musikfest. Darüber hinaus aber waren, was viel erstaunlicher ist, wieder zahlreiche deutsche Erst- und sogar Uraufführungen im Programm zu erleben. Zu verdanken ist dies der akribischen Arbeit im Moskauer Schostakowitsch-Institut, wo die Musikwissenschaftlerin Olga Digonskaja immer wieder kleinere und größere Schätze zutage fördert, die bislang ungehört gewesen sind. Darunter Fingerübungen aus Studententagen ebenso wie kriegsbedingt entstandene Romanzen und Lieder, die Schostakowitsch nach Vorlagen von Bizet, Rossini, Mussorgski sowie von sowjetischen Komponisten für Violine, Cello und Gesangsstimme arrangiert hatte. Unterhaltsame Mutmacher und propagandistische Kampflieder, die nun erstmals in Deutschland zu hören gewesen sind und seinerzeit zumeist durch sogenannte Konzert- brigaden von militärischen Lastwagen herab gesungen worden sind, um Leningrads Frontkämpfer zu stärken. Neben solcher Gebrauchsmusik war Schostakowitsch nahezu ständig auf der Suche nach neuen Opern- stoffen und wurde beim Italiener Gaetano Braga fündig, dessen Serenade „Der Engel Lied“ ein ähnli- ches Thema aufgreift wie Anton Tschechows Novelle „Der schwarze Mönch“. Darauf basieren Skizzen zu einer gleichnamigen Oper, die Schostakowitsch aber nicht weiterverfolgte. Die Fassung für zwei Singstimmen, Violine und Klavier zeigte, wie weit diese Skizzen gediehen sind. In ihnen steckt durchaus dramatisches Potential. Als veritable Uraufführung ist Schostakowitschs Bearbeitung von Ludwig van Beethovens Klaviersonate c-Moll („Pathétique“) für Streichorchester vorgestellt worden. Interpretiert von der aus der Dresdner Staatskapelle rekrutierten kapelle 21 unter der Leitung ihres einstigen Kontrabassisten Petr Popelka, der längst als Dirigent für Furore sorgt, klang das Adagio cantabile überhaupt nicht mehr nach arran- gierter Klaviermusik, sondern entfaltete die Wucht der „Egmont“-Ouvertüre. Auch als Bearbeiter war Schostakowitsch ein Perfektionist. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 1/2
30.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 Drei Fugen für Klavier solo, die noch gar nicht ins Werkverzeichnis aufgenommen worden sind, sowie frühe Klavierstücke und ein Scherzo op. 1a waren 2020 anstelle der pandemiebedingt ausgefallenen Schostakowitsch-Tage in einem kleinen Online-Festival gestreamt worden (F.A.Z. vom 7. Juli 2020). Jetzt konnten sie erstmals live vor Publikum aufgeführt werden und zeigten virtuose Verspieltheit sowie frühes Formbewusstsein des Komponisten, wobei auch Bezüge zu Bach und Debussy nicht zu überhö- ren sind. Dmitri Maslejew stellte diese furiosen Arbeiten vor, Julianna Awdejewa ergänzte das Programm mit präziser Raserei in Schostakowitschs einsätziger erster Klaviersonate op. 12 sowie mit den ebenfalls noch nie öffentlich aufgeführten Präludien und Fugen. Ein spätes Präludium wurde durch Krzysztof Meyer vervollständigt und um eine Fuge ergänzt. Skeptiker mögen fragen, ob wirklich jede Studienarbeit öffentlicher Vorstellung würdig ist, doch Olga Digonskaja zeigte sich überzeugt, „dass jede einzelne Note, die dieser Komponist geschrieben hat, es wert ist, aufgeführt zu werden“. Weil die Leiterin des Moskauer Schostakowitsch-Archivs schon in den vergangenen Jahren wichtige Fundstücke und Ausgrabungen zur Ur- oder Erstaufführung nach Gohrisch gegeben hat, wurde sie nun mit dem Internationalen Schostakowitsch-Preis geehrt. Ihre Arbeit werde sie fortsetzen, zumal das Archiv gewiss weitere Entdeckungen berge: ein Anreiz für künfti- ge Schostakowitsch-Tage, die dann wieder in Gohrisch stattfinden sollen. Der Ausflug nach Hellerau war jedoch mehr als ein bloßer Ersatz. Eine enorme Intensität stellte sich an diesem Ort ein. Wie etwa vom Quatuor Danel das zweite und fünfte Streichquartett von Schostako- witsch schier skulptural herausgefeilt wurde, überaus genau, aber ohne akademisch zu wirken, das bewies Leidenschaft und Sachkenntnis zugleich. Wie das legendäre Borodin-Quartett war das Quatuor Danel nun schon mehrfach beim Festival zu Gast. Das Borodin-Quartett, das früher noch mit Schosta- kowitsch selbst gearbeitet hatte, kam in teils neuer Besetzung, die noch Feinstimmungsbedarf hat, um die eigene Historie fortzuschreiben. Der Geiger Gidon Kremer, zum dritten Mal dabei, zeigte sich dank- bar, dass neben Schostakowitsch auch dessen Freund Mieczysław Weinberg wieder zu seinem Recht kam. Michael Ernst https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 2/2
30.6.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809797/9 Inhaltlich dünn Die Stift ung Preuß is cher Kult urb es itz hat ein e Ref orm bes chloss en, die eher ein Ref örmc hen ist Es war, als hab e die Stift ung Preuß is cher Kult urb es itz (SPK) einm al mehr dem onst rieren woll en, waru m ihre Re- form so dringl ich ist: Zwei Them en stand en auf der Tag eso rdn ung, als der Stift ungsrat der SPK sich am Dienst ag traf: die Rückg ab e der Ben in-Bronz en und der Umb au der eig en en Ins tit ut io n. Zu beid en Frag en wurd e nur Va- ges vera bs chied et. Wie viel e der rund 500 Bronz en aus der Samml ung des Ethn ol og is chen Mus eu ms in Berl in nach Nig er ia geh en und unt er welc hen Kond it ion en, das soll nun erst beim nächst en Treffen ents chied en werd en. Vorl äuf ig wurd e nur die allg em ein e Bereits chaft zur Rückg ab e bes chloss en. Stift ungsp räs id ent Herm ann Parz ing er wurd e auß er- dem erm ächt igt, mit den zus tänd ig en Stell en in Nig er ia Verh andl ung en zu führen. Doch dies e Verh andl ung en führt das Auswärt ig e Amt bereits seit Mon at en. Wen ig Konk ret es gab es auch zur Reform der SPK. „Dysf unkt io- nal“ hatt e der Wiss ens chaftsrat die Stift ung vor ein em Jahr in ein em Guta cht en gen annt. Nach zwei Jahren Eva- luier ung hatt e er nicht dring end en Reformb ed arf diag nost iz iert, sond ern eher Reformu nf äh igkeit. Die wicht igs- te Empfehl ung hatt e denn auch dari n bes tand en, den unü bers ichtl ic hen Mischkonz ern abz us chaffen, zu dem auß er den größt en Berl in er Mus ee n auch die Staatsb ib liot hek, das Geh eim e Staatsa rc hiv und divers e Ins tit ut e geh ören, und ihn in klein ere, aut on om e Einh eit en zu zert eil en. Doch die Idee lebt e nur so lang e, bis jem and da- für das Wort der „Zers chlag ung“ gef und en hatt e, und bis ein and erer dies e ang ebl ic he „Zers chlag ung“ der Preu- ßens tift ung gar mit dem Stürz en von Denkm äl ern in Verb ind ung geb racht hatt e. Es überrascht dah er nicht, dass der Stift ungsrat nach ein em Jahr int ern er Deb att en nun ein Reformkonz ept be- schloss en hat, in dem von Aufs palt ung ebens o wen ig die Red e ist wie davon, der Stift ung ein en and eren Nam en zu geb en. Statt der vom Wiss ens chaftsrat verl angt en rad ik al en Schritt e, bes chränkt man sich im Wes entl ic hen auf zwei Maßn ahm en: In Zuk unft soll ein „Koll eg ia lo rg an“ die SPK leit en, in dem Vert ret er der einz eln en Häus er sitz en. Die von Mic hae l Eiss enh aue r gel eit et e Gen erald irekt io n der Staatl ic hen Mus ee n, ein e seit Jahren als hemm end krit is iert e Hiera rc hiee ben e zwis chen der von Herm ann Parz ing er gel eit et en Hauptverwalt ung und den einz eln en Mus ee n wird abg es chafft. Doch wer sich das Koll eg ia lo rg an als ein e Art dem ok rat is ches Führ ungskoll ekt iv vors tellt, täuscht sich. Das Amt des Präs id ent en, Herm ann Parz ing er, wird nicht ang et ast et. Er wird sich zwar mit den Vert ret ern der Häus er ab- stimm en müss en, aber als Vors itz end er des Koll eg ia lo rg ans dürft e er auch weit erh in das letzt e Wort hab en. Wäh- rend dies e dem neue n Grem iu m auf Zeit ang eh ören soll en, wird er dort langf rist ig bleib en; und während dies e das Amt neb enb ei erl ed ig en, bleibt Parz ing er weit erh in Vollz eitp räs id ent. Bish er ist die jetzt bes chloss en e Struk- tur kaum mehr als ein e Skizz e auf ein er Pap iers erv ie tt e. Die ents cheid end en Frag en werd en erst noch „gep rüft“: Könn en die Häus er endl ich selbst über Pers on al und Haush alt ents cheid en? Wie weit reicht die Macht des Präs i- dent en? Soll en die Mus ee n „Clust er “bild en oder aut on om sein? Bei den übr ig en Bes chlüss en des Stift ungsrats hand elt es sich größt ent eils um App ell e, die seit Jahren zu hören sind: Die Stift ung soll e „echt en Mehrwert“ biet en, sprich: größ er sein als die Summ er ihrer Teil e. Es wird mehr int erd isz ip lin äre Arb eit geford ert, and erers eits soll en die Einr icht ung en stärkere Prof il e entw ic keln und „gez iel- ter ihre Pub lik a ans prec hen“. Verä nd ern soll sich in Zuk unft auch die Zus amm ens etz ung des Stift ungsrats. Bis- her waren dort sämtl ic he Bund esl änd er vert ret en. Weil deren fin anz ie ll e Beit räg e in den letzt en Jahrz ehnt en auf teils winz ig e Summ en ges chrumpft sind, wird die Zahl der Länd ervert ret er red uz iert. Ihre Sitz e soll en Exp ert en übern ehm en, die wed er aus der Pol it ik noch aus den Ins tit ut ion en stamm en. Nom in ell hat Kult urs taatsm in ist e- rin Mon ik a Grütt ers dies es Großp roj ekt vor End e der Leg isl at urp er io de gerad e noch abh aken könn en. Doch in- haltl ic he Füll ung en fehl en ebens o wie pers on ell e Verä nd er ung en. Verb ess er ung en bei der SPK sind kaum zu er- wart en.Jörg Häntzs chel https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809797/9 1/1
30.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476655/24-25 Mittwoch, 30.06.2021, Tagesspiegel / Kultur Wut und Zärtlichkeit Komponist und Pianist: Frederic Rzewski ist tot Von Christiane Peitz © Imago Frederic Rzewski Bach, Beethoven, Rzewski. Rzewski wer? Als der Pianist Igor Levit 2015 sein Album mit Variationszy- klen herausbrachte, fügte er zwei der anspruchsvollsten Klassiker des Genres, Bachs Goldberg- und Beethovens Diabelli-Variationen ein weiteres Monsterwerk hinzu, das hierzulande eher unbekannt war. „The People United Will Never Be Defeated“ von Frederic Rzewski basiert auf dem chilenischen Revolutionslied „¡El pueblo unido, jamás será vencido!“ und spinnt es in 36 Variationen fort. Eine Stunde lang, an der Grenze der Unspielbarkeit, eine Herausforderung für jeden Pianisten. Rzewski vereint darin Protest und Avantgarde, Virtuosität und musikalischen Aufschrei. Auf die volks- liedhaft tänzerische Melodie folgt die Entfesselung, einschließlich Klavierdeckelschlägen und lauten Rufen des Pianisten. Ein Hymnus auf die Kraft der Gemeinschaft, auf ihre Anfeindungen, das Standhal- ten, die Vision einer besseren Welt. Das Visionäre eher geflüstert, als utopische Skizze – Rzewski war kein Illusionär. Der US-amerikanische Komponist, 1938 in Massachusetts geboren, hatte in den 1970ern in Italien ge- lebt und bei Luigi Dallapiccola studiert, später lehrte er unter anderem im belgischen Lüttich. Den Va- riationszyklus zum Anti-Pinochet-Lied schrieb er nicht zufällig zum 200. Geburtstag der USA – Pino- chet hatte sich mit Hilfe der CIA an die Macht geputscht. Bei der New Yorker Uraufführung 1976 saß eine Freundin am Klavier, Ursula Oppens. Später engagierte sich auch der Pianist Marc-André Hamelin für das Werk, und neben Igor Levit zuletzt der Komponist selbst, als er sich 2019 beim Berliner Märzmusik-Festival selbst an die Tasten setzte, mit 80 Jahren. So wurde „The People United…“ zum bekanntesten Werk des Tonkünstlers, der Musik immer auch als Po- litikum verstand. Wenn es die Posaunen von Jericho nicht schon in der Bibel gegeben hätte, Rzewski hätte sie wohl er- funden. Er spielte den Verhältnissen ihre eigene Melodie vor, indem er sie zertrümmerte und neu zu- https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476655/24-25 1/2
30.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476655/24-25 sammensetzte. In „Coming Together“ von 1972 wob er Gefängnisbrief- Passagen des militanten Aktivis- ten Sam Melville ein – Melville war ein Jahr zuvor beim Attica-Gefängnisaufstand ums Leben gekom- men. Rzewskis „Dreams“-Zyklus ist wiederum von Kurosawas gleichnamigem Episodenfilm inspiriert. Igor Levit spielte 2015 die Uraufführung von „Dreams II“. Auch dieses Stück lebt von Wut und Zärtlich- keit, und ein Lied von Woody Guthrie ist auch darin versteckt. Elektronik, Jazz, Rock, Improvisation, serielle Musik: Rzewski hatte keine Scheu, die Stile und Genres zu mischen, auch hier sprengte er Grenzen. „Realität ist beides, rational und irrational“, hat er einmal gesagt, und dass auch die Schöp- fung aus Chaos und Ordnung bestehe. Die ihn kannten, rühmen seine Improvisationskunst, und seinen Humanismus. „Rest in Peace, dear Frederic. Rest in Peace, dear friend. I am devastated.“ Ruhe in Frieden, ich bin am Boden zerstört, twit- terte Igor Levit am vergangenen Samstag. Da ist sein Freund Frederic Rzewski im italienischen Mon- tiano gestorben, mit 83 Jahren. Es gibt noch viel zu entdecken in seinem Werk.Christiane Peitz https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476655/24-25 2/2
30.6.2021 Igor Levit on Frederic Rzewski: ‘The People’s Composer’ - The New York Times https://www.nytimes.com/2021/06/29/arts/music/frederic-rzewski-igor-levit.html Igor Levit on Frederic Rzewski: ‘The People’s Composer’ Rzewski, who died on Saturday, could be a prickly contrarian. But for some young artists, including Levit, he was an essential inspiration. By Igor Levit Interview by Joshua Barone June 29, 2021 The composer Frederic Rzewski, who died on Saturday at 83, left behind a complicated legacy. He wrote intensely political works but didn’t identify as a political artist. In the hours after his death was announced, some musicians described him on social media as warm and encouraging, others as prickly and sometimes troubling. Yet his stature in the field is immense, with contributions to the piano repertoire like “The People United Will Never Be Defeated!” — a titanic set of variations on Sergio Ortega and Quilapayún’s Chilean resistance song “¡El pueblo unido jamás será vencido!” He also had a widespread influence on a younger generation of performers and composers. Among them is the pianist Igor Levit, who elevated “The People United” to the realm of Bach’s “Goldberg” and Beethoven’s “Diabelli” Variations on a celebrated 2015 recording. In an interview, Levit said, “I cannot overstate the importance of this man in my life,” and he shared memories as thorny as Rzewski himself. These are edited excerpts from the conversation. My first year at university, a classmate and I would go to the library and listen to recordings of all kinds. We went in alphabetical order, and at some point we reached the letter R. There was this album by Marc-André Hamelin: a Hyperion recording of him playing Rzewski. I had never heard the name before, but I listened to “The People United,” and it completely blew me away. It was like seeing “Star Wars” for the first time. I went immediately to the librarian and asked her to buy the sheet music. Then I went to the computer room, and somehow through a website I discovered Frederic’s email address. So I simply wrote him, something like: “My name is Igor, I’m a student in my first semester, and I just listened to this piece, and I really want to learn it. Meanwhile, would you write something for me?” A couple of days later he gave me this response: “Dear Igor, thank you for this email. I appreciate your words. Regarding your question, if you can find someone who will pay for it, I’ll do it.” So I did, and that’s how I ended up premiering the second book of his Nanosonatas. This was the first time I received sheet music where it said “For Igor Levit.” Rzewski, who was also an accomplished pianist who performed works by the likes of Stockhausen and Boulez, at the Kitchen in 2003. Hiroyuki Ito/Getty Images We eventually met in Berlin. He was playing at the MaerzMusik festival, and he asked me to meet him at an Austrian restaurant. The first thing he said to me was not “Hello” but “Are you hungry?” I said no, then he said, “Well they make great knödel with goulash.” I said I wasn’t hungry, but then he called the waiter and said, “This young man wants the knödel with goulash.” So they brought a plate, and before I could touch it his fork was already in my knödel. He just wanted to have a second plate of goulash. He wasn’t too enthusiastic about me then. The first time he heard me was different. It took me a couple of years to be able to pull off “People,” but once I did I couldn’t get enough. He came to Heidelberg, Germany, to hear me play it, and afterward he came backstage. He didn’t say congrats. The only thing he told me was: “Can you just stand up and leave in the future? All this business about ending a piece in a long silence, what B.S. The piece is not about that. You play the last octave, you close the music, you leave, life goes on.” It takes a lot of courage to do that; but I did, and the effect on the audience was so much greater. It was a total breakthrough. This is a piece written by a man whose main source of inspiration was life itself. He was the embodiment of the Nina Simone idea that artists have to reflect their own time. And “People” has this unbelievable ability to make every listener believe it’s about him or her. I’ve never experienced a neutral reaction. You’re either for it or against it, and this is what makes great music great. It is so awake, so hopeful, so alive, so uplifting. That’s why I believe it belongs up there with “Diabelli” and the “Goldbergs.” I used Bach and Beethoven to give “The People United” the biggest possible platform. In a way, that’s why I learned the “Goldberg” Variations, to make that project possible. He wrote “Dreams, Part II” for me, and when I played it for the first time at Wigmore Hall in London, in 2015, he came up after the concert and gave me a hug, then said, “You’re a real [expletive].” We grew close over the years. I became more brave and outspoken, and he would always support me. He would send me a long email about this or that; last March, at the start of the pandemic, he wrote one asking who was greater, Kant or Bach? Through him I was introduced to new music: by Morton Feldman, Alvin Curran, Christian Wolff. I wasn’t even thinking about politics before, but because of his works I began to read about the Spanish Civil War, the Chilean uprising. And eventually here was a composer I could call, and he would tell me about Pinochet, and we would talk about everything, from Lehman Brothers to the refugee crisis. He was a real pain in many ways. He didn’t want a publisher because, he said, they’re all terrorists, bloodsuckers and gangsters. He was so contrarian you would sometimes have better luck talking to a wall. Yet he was always sincere and brave. And, in the most human way, he was always contradicting himself. He lived through a time when writing for piano was reinvented. This guy premiered Stockhausen’s Klavierstück X and played Boulez’s Second Piano Sonata. But once, when https://www.nytimes.com/2021/06/29/arts/music/frederic-rzewski-igor-levit.html 1/2
30.6.2021 Igor Levit on Frederic Rzewski: ‘The People’s Composer’ - The New York Times we were talking about Stockhausen and Strauss, we said that Stockhausen wasn’t as well known anymore and he said, “Well, Strauss simply wrote better music.” He thought the greatest music of the 20th century was the “Four Last Songs.” For a time he was a teacher, but he never liked it. He said he was terrible. I know. I would call him and say something, for example, “Can you help me with Variation 34?” And his response was: “No. Just don’t play it.” I was like, “Are you serious?” Once, I told him that I was thinking about learning Stockhausen’s Klavierstück VI, which he played, and he said: “No, that was 50 years ago. I can’t help you.” But his presence, just seeing him and inhaling the music he wrote, was essential to my life. He was a mixture of Marx, Tolstoy and Obi-Wan Kenobi. He was this defiant Christian, quasi-Jew atheist — everything at the same time. He wrote this 75-minute-long piece, “Ages,” for me, which I premiered on his 80th birthday at Wigmore Hall. It was supposed to be 40 minutes, but he didn’t care. I’ve played quite a lot of his other music, too, like the “North American Ballads.” I also want to do “The Road” at some point, but he thought that was a stupid idea; he didn’t even know if it was a good piece. He may not have been the most social person, but the music he wrote was the people’s music. He was the people’s composer. That alone is so important. He wrote for the people out there, and because he didn’t have a publisher he was able to give everyone access to what he wrote. And you look at something like “People.” It is an absolutely universal piece at its core; it’s not abstract, and people can understand it. Frederic was never so naïve as to believe that “People” or “Coming Together” would change the world’s political outcomes. But he must have believed in the possibility of what music can do to people. It can provide people with an idea. A piano piece can’t save the world. But we can. He will not see the beautiful revolution he was hoping for, but the revolution will come anyway. And when it’s here, his music will sound with it. https://www.nytimes.com/2021/06/29/arts/music/frederic-rzewski-igor-levit.html 2/2
30.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 F.A.Z. - Feuilleton Mittwoch, 30.06.2021 Starkes Signal Binding-Kulturpreis an ID_Frankfurt Vereinsarbeit ist die Verbesserung der Produktionsbedingungen in den freien darstellenden Künsten. Die Mitglieder von ID_Frankfurt entwickeln ihre Projekte in kollaborativer und solidarischer Arbeitsweise, unterstützt von einem wechselnden ehrenamtlichen Vorstand. Das Kuratorium der Binding-Kulturstiftung habe sich mit ID_Frankfurt für eine Organisati- on aus dem Bereich der darstellenden Künste entschieden, weil diese in besonders hohem Maß von der Pandemie betroffen seien. Die von der Binding-Brauerei mit 50000 Euro ausgestattete Auszeichnung soll voraussichtlich am 30.Oktober im Frankfurter Römer über- geben werden. Dann wird auch die im vorigen Jahr ausgefallene Verleihung des Preises an die Junge Frankfurter Philharmonie nachgeholt. Bergit Gräfin Douglas, Vorsitzende des Stiftungsvorstands der Binding-Kulturstiftung, nannte die doppelte Preisverleihung „ein starkes Signal in einer auch für die Binding-Brauerei sehr schweren Zeit“. F.A.Z. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467217/14 1/1
30.6.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 Mittwoch, 30. Juni 2021, Berliner Zeitung / Fuck off, Goethe! Heute wäre der Dichterfürst ein Fall für MeToo, aber seit Jahrhun- derten sieht man ihm alles nach. Gedanken über unzeitgemäßen Schulstoff „Goethe in der römischen Campagna“ heißt das Ölbild von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, das um das Jahr 1799 fertiggestellt wurde.AFP/Ben Stansall C. JULIANE VIEREGGE M eine ganze Wohnung ausgelegt mit Büchern, Unterlagen, Arbeitsblättern, Merkzetteln. Die Aufgabe, Aufgaben zu erstellen, zwingt mich zur Beschäfti‐ gung mit meiner eigenen Arbeit der letzten zwei Jahre (Stoffverteilung Ober‐ stufe). Doch, ich bin zufrieden, das ist ein ziemlich seltenes Gefühl. Die Sache hat System, Vollständigkeit ohne Überfrachtung, das ist das Wichtigste. Wenn sie es sich jetzt auch noch alles merken könnten ... Verwöhnter Hofgünstling Funktioniert aber nicht. Zumindest nicht, was den „Faust“-Stoff angeht, und das liegt nicht nur am Lockdown. „Faust“ ist für ältere und alte (lebenserfahrene) Menschen und nichts für Achtzehnjährige. Eine von gefühlt tausend didaktischen Fehlentscheidungen sozusagen – Bil‐ dungsplan 2021! So muss ich ihnen den Stoff – das literarisch veredelte Jammern auf hohem Niveau eines ewig Unzufriedenen, der schon alles hat – in die Gehirne hämmern, der da nicht rein will. Und auch nicht reingehört, weil er dem Erlebnishorizont nicht angemessen ist. Interessant: Beethoven über Goethe nach ihrem Treffen in Teplitz zu seinem Verleger G.C. Härtel: „Göthe behagt die Hofluft zu sehr – mehr als es einem Dichter ziemt.“ (zitiert nach „Beethoven. Briefe und Gespräche“, hrsg. von Max Hürlimann, Zürich 1944, S. 154) Man könnte es gar nicht besser formulieren! Abgesehen davon, dass der Dichterfürst heute ganz eindeutig ein Fall für MeToo wäre, profi‐ tierte er ab seinem 26. Lebensjahr, seit er sich nämlich in Weimar häuslich eingerichtet hatte, von seiner Rolle als verwöhnter, verhätschelter Hofgünstling. Der pubertäre Herzog Carl Au‐ https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 1/3
30.6.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 gust und seine Mama Herzogin Anna Amalia hatten einen Narren an ihm gefressen und taten alles, um ihn in Weimar zu halten. Sie machten ihm großzügige Geschenke, zum Beispiel das berühmte Gartenhaus im Park an der Ilm. Dazu kamen politische Ämter. 1776 ernannte der Herzog seinen Dichterkumpel zum Gehei‐ men Legionatsrat und Mitglied des Geheimen Consiliums, einem dreiköpfigen Beratergre‐ mium des Herzogs, mit dem netten Jahressalär von 1200 Talern. Diesem Gremium gehörte der Jurist Goethe bis zu dessen Auflösung im Jahr 1815 an und stimmte da 1783 auch explizit der Todesstrafe für die ledige Johanna Catharina Höhn zu – aus Verzweiflung über drohende Armut und gesellschaftliche Ächtung hatte sie ihr Neugeborenes umgebracht. Ihr Fall, wie auch schon der frühere der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, regten Goethes Phantasie an, was sich schließlich in der Konzeption der Gretchentragödie niederschlug. Der literarischen Figur allerdings brachte er sehr viel mehr Verständnis und Mitleid entgegen – aber das war ja auch Dichtung und nicht Wahrheit. An seinen best Buddy Johann Georg Kestner (in dessen Gattin Charlotte Buff sich Goethe so verliebte, dass er daraufhin den „Werther“ schrieb) vermeldete er am 14. Mai 1780, dass er sein literarisches Schaffen während des Staatsdienstes zurückstellen werde, sich aber „doch erlaube [...] nach dem Beispiel des großen Königs, der täglich einige Stunden auf die Flöte wandte (gemeint ist Friedrich der Große), auch manchmal eine Übung in dem Talente, das mir eigen ist“ (zitiert nach Dieter Borchmeyer: „Weimarer Klassik“, Weinheim 1998, S. 66) Johann Wolfgang Goethe war eben ein ganz Schlauer! Zahlreiche Ämter und Ehrenaufgaben konnte er dank seiner Verbundenheit mit der Herzogsippe einheimsen, was J. G. Herder zu einer ironischen Auflistung aller Goethe'schen Funktionen veranlasste: „Er ist also jetzt Wirk‐ licher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwe‐ sens bis zum Wegebau hinunter, dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festitivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, [...] kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung um‐ herzieht.“ (zitiert nach Nicholas Boyle: „Goethe. Der Dichter in seiner Zeit“, Band I: 1749–1790, Frankfurt am Main 2004, S. 392) Noch direkter formulierte es der zeitgenössische Journalist und Theaterkritiker Ludwig Börne, der Goethe unumwunden als „Despotendichter“ titulierte (siehe Gero von Wilpert: „Die 101 wichtigsten Fragen: Goethe“, München 2007, S. 121 f.). Nicht einmal das heute von Touristen viel besuchte Haus am Weimarer Frauenplan hatte Goethe selbst bezahlt: Herzog Carl August überließ es ihm mietfrei, nachdem Goethe von seiner zweijährigen Italienreise zurückgekehrt war und keine Lust mehr auf so viel Staatsdienst hatte. In Italien war er zu seinen künstlerischen Wurzeln zurückgekehrt und wollte sein Leben wie‐ der dem Schreiben widmen. Noch von dort aus versicherte er sich der finanziellen Unterstüt‐ zung durch seinen Brotherrn. Der Plan ging auf: Der Herzog gewährte ihm die erbetene Ver‐ längerung seines bezahlten Urlaubs, so dass Goethe bis Ostern 1788 in Rom bleiben konnte. Noch im selben Jahr und wieder zurück in Weimar, lernte er Christiane Vulpius kennen, die bald ein Kind nach dem anderen von ihm bekam. Goethe erhielt das Haus am Frauenplan nun sogar geschenkt, offiziell, weil er den Herzog auf zwei Feldzügen begleitet hatte. Im Ge‐ genzug unterstützte der einflussreiche Dichter seinen herzoglichen Brotgeber bei dessen au‐ ßerehelichen Eskapaden und kümmerte sich um die Versorgung mehrerer unehelicher Kin‐ der und deren Mütter. Dass Goethe sich selbst als Kind des Olymp ansah, beschenkt mit gottgleicher Schrankenlo‐ sigkeit und ebensolcher Schaffenskraft, zeigt sich nicht zuletzt im Spiegel seines „Faust“. Wie wäre es wohl ohne die schützende Hand der Mächtigen um ihn bestellt gewesen? Das würde mich sehr interessieren. Die meisten Künstler, von denen ich weiß, hingen und hängen le‐ benslang in dem Dilemma zwischen Brotberuf und künstlerischer Selbstverwirklichung fest. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 2/3
30.6.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 Schon die Sammlung von Friedrich Schillers Bitt- und Bettelbriefen „Gnädigster Herr, ich habe Familie“ (München, 2009) ist hierfür ein bedrückendes Bespiel. Goethes Privilegien indessen stehen einem im Park an der Ilm in Weimar bis heute vor Au‐ gen: Noch immer zeigt dieses Stück Land am Rand der Altstadt dasselbe Erscheinungsbild, wie es unter des Dichters Anleitung angelegt wurde. Jedem Impuls seiner dichterischen, gärt‐ nerischen oder naturwissenschaftlichen Phantasie konnte er ungehindert nachgeben, Zeit und Geld standen ihm ohne Ende zur Verfügung. Er war ein von der Obrigkeit und den litera‐ rischen Salons gehätschelter Zeitgenosse, der immer nur gerade so viel provozierte, wie es die feine Gesellschaft ertrug. Weshalb er die heftigsten Sexstellen aus der Walpurgisnacht-Szene entfernte, ehe ihm ein öffentlicher Shitstorm daraus erwachsen konnte. Am Ende siegt der Konsens Ein Erkunder der dunklen Abgründe menschlicher Existenz war Goethe nicht, auch sein Faust schreckt vor diesen immer wieder zurück, und am Ende siegt der Konsens, die Aussöh‐ nung mit sich selbst und den Anforderungen der Gesellschaft – soweit die wenig innovative Moral von der Geschicht’. Goethe war ein Staatsmann. Grenzüberschreitungen gab es nur, wenn es um Frauen ging. Gegen die Zwangsrekrutierung von jungen Männern für die preußi‐ sche Armee, gegen die Fronlasten der Bauern, die Todesstrafe von ledigen Kindsmörderinnen wäre er niemals eingetreten. Schiller ging da viel weiter. Aber die Identifikationsfigur des deutschen Bürgertums bleibt Goethe. Der Beamte. C. Juliane Vieregge ist Autorin und unterrichtet Kreatives Schreiben. Sie lebt in Tübingen. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937972/16-17 3/3
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