Prüfung und Lehre online - Die Zulässigkeit alternativer Hochschulveranstaltungen zu Zeiten von Corona - Ostfalia
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BEITR ÄGE Prüfung und Lehre online Die Zulässigkeit alternativer Hochschulveranstaltungen zu Zeiten von Corona VON A SS. JUR. DR. CHRIS TIA N LE W KE, LL.M. „Außergewöhnliche Situationen erfor- anderen ist dies die besondere Ge- hier gesundheits- beziehungsweise dern außergewöhnliche Maßnahmen“ fährlichkeit des Virus, zumindest für seuchenrechtliche Vorgaben durch das besagt ein deutsches Sprichwort. Das bestimmte Risikogruppen – zudem Infektionsschutzgesetz des Bundes scheint ebenso banal wie zutreffend kann die Erkrankung letztlich bei je- sowie landesrechtliche Vorgaben, zu sein. Aber inwieweit sind besonde- dem einen tödlichen Verlauf nehmen, hier vor allem die Niedersächsische re Maßnahmen zu Zeiten eines aktuell auch beim jungen und gesunden Men- Verordnung zur Bekämpfung der Co- weltweit grassierenden, aggressiven schen.1 Kommt also eine große Zahl rona-Pandemie vom 8. Mai 2020 iFv Corona-Virus SARS-CoV-2 auf dem von Menschen zusammen, bedeutet 11.5.2020. Diese sieht eine Reihe von Feld der Hochschulverwaltung indi- dies ein großes Risiko der gegenseiti- Restriktionen bezüglich öffentlicher ziert? Das Corona-Virus ist durch eine gen Ansteckung mit einer potenziell Veranstaltungen beziehungsweise des Reihe von Besonderheiten gekenn- tödlichen Krankheit – sei es für die Sich-Bewegens im öffentlichen Raum zeichnet, die es besonders bedrohlich Infizierten selbst oder Dritte, an die vor, wobei für Bildungsveranstaltun- erscheinen lassen: Dies sind zum das Virus weitergegeben wird. Die gen relativ großzügige Regelungen einen die extrem leichte Übertrag- Hochschule bietet damit einen gera- gelten. Nach § 2h der Verordnung ist barkeit und die lange Inkubationszeit dezu idealen Nährboden für die Aus- die Wahrnehmung von Bildungsan- von bis zu 14 Tagen, während der der breitung des Corona-Virus. geboten regelmäßig zulässig, wenn Krankheitsträger nichts von der ei- die Abstandsregeln von 1,5 Metern genen Erkrankung bemerkt und eine Wie dürfen oder müssen nun die eingehalten sind. Im Übrigen fallen Vielzahl anderer Menschen in seinem Hochschulen auf diese Bedrohungs- die notwendigen Vorkehrungen den Umfeld unwissentlich ansteckt. Zum lage reagieren? Zum einen gibt es Hochschulen im Rahmen ihrer Selbst- BELS-Report | 16
nicht unproblematisch war – angeb- bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auch lich konnten sich Unberechtigte in neue Techniken zu erproben und ein- eine Veranstaltung einloggen. Diese zusetzen. Dies muss umso mehr gel- Anfangsprobleme sind wohl nach ten in Zeiten einer gesundheitlichen Nachbesserungen des Anbieters mitt- Pandemie-Krise, wobei auch zu be- lerweile behoben. In jedem Fall dürf- rücksichtigen ist, dass die Hochschule ten damit bei der Online-Lehre häufig als Vertreterin staatlicher Gewalt eine lediglich die datenschutzrechtlichen besondere Schutzpflicht gegenüber Belange des Dozenten oder der Do- der Studentenschaft – und der Allge- zentin, nicht jedoch der Studierenden meinheit – trifft.4 Die Grenze dürfte betroffen sein. Dem Lehrpersonal lediglich dort liegen, wo die Präsenz- aber wird es möglicherweise gar nicht lehre dauerhaft aufgegeben wird und weiter wichtig sein, ob es von Drit- damit eine in Artikel 5 III GG auch ten im Netz gesehen werden kann, enthaltene Institutsgarantie im Sinne sodass man unter Umständen von der Aufrechterhaltung des klassischen einer Einwilligung ausgehen kann. In Lehrbetriebs gefährdet würde.5 jedem Fall besteht die Möglichkeit, auf Online-Unterrichtssoftware wie die BigBlueButton-Software zurück- II. D I E O N L I N E - P RÜ F U N G zugreifen, die insofern als weitgehend unbedenklich eingestuft wird. Angesichts der aktuellen Pandemie- Situation erscheint es naheliegend, Die Frage, ob eine dauerhafte Ge- auch mündliche oder schriftliche fährdung des Lehrbetriebs und damit Prüfungen online durchzuführen. Die möglicherweise eine Institutsgarantie Online-Prüfung ist wie in § 17 des des Artikel 5 III S. 1, 4. Alt. GG be- niedersächsischen Landeshochschul- steht, wenn die traditionelle Form gesetzes (NLHSG) gefordert, in der des Präsenzunterrichts aufgegeben Prüfungsordnung ausdrücklich vorge- wird, stellt sich dabei (zunächst) nicht sehen (§7a VII, § 7 c I). Einschlägig ist ernsthaft. Es ist gegenwärtig nicht hier zunächst das Datenschutzrecht. geplant, die Präsenzlehre abzuschaf- Bei der Übermittlung der während der fen. Denn die Möglichkeit, in der Prüfung anfallenden Daten handelt verwaltung zu, das heißt, dass diese Vorlesung nachzufragen, und der di- es sich um eine Verarbeitung perso- die maßgeblichen Regelungen für ihre rekte Kontakt zwischen DozentInnen nenbezogener Daten, die nach den wesentlichen gesetzlichen Aufgaben und Studierenden wirkt motivierend Artikel 5 ff DSGVO beziehungsweise wie Forschung, Lehre und Studium und intensivieren die Lernerfahrung. landesgesetzlicher Spezialnormen nur (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 NLHSG) selbst Die Präsenzlehre steht dabei in einer unter bestimmten Voraussetzungen treffen dürfen. langen, westlichen wie orientalischen zulässig ist. Tradition. Die Lehrvermittlung durch anwesende HochschullehrerInnen I. D E R O N L I N E - U N T E R R I C H T fand bereits in den frühen Universitä- II.I. E I N W I L L I G U N G ten des 12. bis 15. Jahrhunderts statt. Verhältnismäßig unproblematisch ist Denn die gleichzeitige Anwesenheit Zulässig ist regelmäßig die Daten- zunächst der Online-Unterricht der der Interagierenden schafft Raum für verarbeitung bei einer freiwilligen Hochschulen. Gegenwärtig finden freie geistige Entfaltung und soziales Einwilligung, das heißt diese muss zum Beispiel an der BELS nahezu Zusammenspiel im wissenschaftlichen ohne äußeren Zwang erfolgen. Dabei 100 Prozent der Lehrveranstaltun- Austausch.2 Insofern erscheint es sind gerade an die Freiwilligkeit von gen online statt. Theoretisch zur fernliegend, dass das E-learning tradi- Erklärungen gegenüber einem Ho- Verfügung stehen verschiedene tionelle Formen der Lehre verdrängen heitsträger strenge Anforderungen zu Anbieter wie Skype, BigBlueButton sollte.3 Andererseits muss es im Rah- stellen.6 Es muss echte Freiwilligkeit oder Zoom, wobei letzteres Angebot men der Selbstverwaltung der Hoch- bestehen, in dem Sinne, dass dem Ein- wohl zunächst datenschutzrechtlich schule grundsätzlich gestattet sein, willigenden keine Nachteile aufgrund BELS-Report | 17
eines öffentlich-rechtlichen Sonder- die Frage, ob ein legitimes Ziel auch der Selbstverwaltung begrenzt durch verhältnisses drohen, wenn er seine mit einem milderen Mittel erreicht den Gedanken der Wahrung der Ein- Einwilligung verweigert.7 Von einem werden könnte (und keine unzumut- heitlichkeit und Gleichwertigkeit von Nachteil aufgrund öffentlich-recht- bare Härte darstellt).9 Eine Verhältnis- Prüfungsanforderungen, der letztlich licher Monopolstellung wird man mäßigkeitsprüfung läuft daher immer im Gleichbehandlungsgrundsatz indessen im Hochschulbereich auszu- auf eine Gesamtabwägung der wider- des Artikel 3 GG wurzelt. – So muss gehen haben, wenn der Proband durch streitenden Interessen hinaus – des sichergestellt sein, dass ein absolvier- seine Verweigerung einer Online- Datenschutzes der Studentin oder des ter Hochschulabschluss Aussagekraft Prüfung zumindest ein Semester Studenten auf der einen, der Interes- zur wissenschaftlichen Befähigung „verliert“. Eine „Einwilligung“ kommt sen der Hochschule an einer funktio- des Absolventen und der Absolven- somit nicht als Rechtsgrundlage in- tin besitzt, was unter anderem eine frage (anders läge es nur, wenn der zweifelsfreie Identitätsfeststellung, Studentenschaft ein echtes Wahlrecht den weitgehenden Ausschluss von zwischen Online- und Präsenzprüfung » Letztlich überwiegt Täuschungen und gleichwertige Prü- gewährt würde.). fungsmaßstäbe gebietet.10 das Anliegen des Daher werden gerade im Online- II.II. H O C H S C H U L R EC H T Gesundheitsschutzes Bereich intensive Prüfpflichten der Hochschulen gefordert, um Zweifel an Infrage kommt aber eine Zulässigkeit gegenüber dem der Selbstständigkeit der Erbringung unter Gesichtspunkten der Wahr- der Prüfungsleistung auszuschlie- nehmung der öffentlichen Aufgabe Datenschutz. « ßen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Hochschule, wobei datenschutz- Online-Prüfungen per se unzulässig rechtliche und hochschulrechtliche sind.11 Die Frage der Zulässigkeit von Aspekte ineinandergreifen. Artikel 6 Online-Prüfungen beurteilt sich auch DSGVO Absatz 1e bestimmt, dass die nalen Prüfungsausgestaltung auf der hier wiederum über eine Gesamtab- Verarbeitung für die Wahrnehmung anderen Seite. Hier ist zu berücksich- wägung der Umstände. Dabei spricht einer Aufgabe „erforderlich“ ist, die tigen, dass der Datenschutz und das zunächst gegen deren Zulässigkeit die im öffentlichen Interesse liegt oder in allgemeine Persönlichkeitsrecht der Täuschungsanfälligkeit. Andererseits Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, Studierenden auf der einen Seite ein zeigen Beispiele aus den USA, dass die dem Verantwortlichen übertragen hohes Gut darstellen. Dem gegenüber eine effektive Überwachung mittels wurde; eine entsprechende Aufgabe stehen das Selbstverwaltungsrecht Beobachtung der Probandinnen und folgt insbesondere aus § 3 Absatz 1 der Hochschule, ihre öffentliche Auf- Probanden durchaus möglich ist.12 NLHSG, wonach Aufgaben der Hoch- gabe und das Erfordernis der Möglich- Dabei ist auch die Möglichkeit zu schulen unter anderem in Pflege keit des Einsatzes neuer Techniken zu beachten, Klausuren so zu konzi- und Entwicklung der Wissenschaften medizinischen Krisenzeiten unter dem pieren, dass ein rascher Blick in ein und Künste durch Forschung, Lehre, Gesichtspunkt des Schutzes von Leib verbotenes Hilfsmittel keinen echten Studium und Weiterbildung beste- und Leben der Studierenden und Drit- Vorteil bietet, weil es bei der Leis- hen. Dabei legt das NLHSG fest, dass ter. Dabei muss auch berücksichtigt tungsbeurteilung am Ende vor allem der „berufsqualifizierende Abschluss werden, dass die Gefahr der Verlet- auf die Wissensanwendung und nicht durch eine Hochschulprüfung“ statt- zung datenschutzrechtlicher Vorgaben den schlichten Abruf von Wissen an- findet. Wie dies durchzuführen ist, auch im regulären Hochschulbetrieb kommt. fällt grundsätzlich in das sogenannte besteht und Fehler und Indiskretio- Selbstverwaltungsrecht der Hoch- nen nie vollständig ausgeschlossen Schließlich sind die besonderen Um- schule (vgl. § 15 NLHSG) das letztlich werden können. Letztlich überwiegt stände der gegenwärtigen Pandemie aus der Wissenschaftsfreiheit des das Anliegen des Gesundheitsschutzes zu bedenken. Diese bringt äußerst Grundgesetzes folgt. gegenüber dem Datenschutz. virulente Gefährdungen mit sich, was sich nicht zuletzt an den allgemein Entscheidender Punkt bei der Prüfung Fraglich ist, ob sonstige rechtliche als zulässig angesehenen, ungewöhn- ist dabei die Frage der „Erforderlich- Erwägungen entgegenstehen könn- lichen und historisch einmaligen keit“ im Sinne einer Verhältnismäßig- ten. So wird das grundsätzlich allein Einschränkungen bürgerlicher Frei- keitsprüfung,8 das bedeutet letztlich den Hochschulen zustehende Recht heitsrechte beweist. Das Schreiben BELS-Report | 18
von Klausuren in räumlicher Nähe zu 7 Gierschmann, ZD 2016, 51,54; vgl. den KommilitonInnen bringt erhebli- Verordnung (EU) 2016/679 des Europä- che Gefährdungen für die individuelle 1 Instruktiv die Darstellung des ischen Parlaments und des Rates vom Gesundheit und möglicherweise das Robert-Koch-Instituts, vgl. https:// 27. April 2016 - DSGVO, Erw.Gr. 43. Leben der Studierenden sowie die all- www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ 8 vgl. Frenzel in: Paal/Pauly, DS-GVO gemeine Gesundheit der Bevölkerung Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. BDSG,2. Auflage 2018 , Rn. 23 mit sich. Demgegenüber erscheint html#doc13776792bodyText1 (zuletzt 9 vgl. EuGH v. 16.12.2008, Rs. C–73/07, die Möglichkeit, dass es zu einzelnen abgerufen am 16.05.20). Rn. 56 – Satakunnan Markkinapörssi unbemerkten Täuschungshandlungen 2 R. A. Müller, Geschichte der Univer- 10 Ehlers/Fehling/Pünder Bes. Verwal- kommt, als das bei weitem geringere sität, 1990, S. 9. tungsR, Bd. 3 § 85, Rn.90. und ergo hinzunehmende Übel. Ent- 3 Zwickel: Jurastudium 4.0? – Die 11 NRW LT-Drs. 17/4668, 179; Birn- sprechend ist die Durchführung von Digitalisierung des juristischen Leh- baum in HG NRW, BeckOK, Hoch- Online-Prüfungen unter den gegebe- rens und Lernens, JA 2018, 881, 884ff. schulrecht Nordrhein-Westfalen, von nen Umständen auch nach allgemei- 4 Dorf, JA 2011, 116, 124. Coelln/Schemmer, 13. Edition, Stand: nen hochschulrechtlichen Grundsät- 5 GG Art. 5 Starck/Paulus von Man- 01.12.2019, Rn. 51–52.1. zen zulässig. Zu bedenken bleibt, dass goldt/Klein/Starck, Grundgesetz 12 vgl.: https://www.washingtonpost. die Ausnahme nicht zur Regel werden 7. Auflage 2018, Rn. 503. com/technology/2020/04/01/on- darf und historisch gewachsene Struk- 6 Jan Erik Klement in: Simitis Simitis/ line-proctoring-college-exams-corona- turen des von sozialer Interaktion und Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, virus/ gedanklicher Freiheitlichkeit gepräg- 2019, Rn. 50. ten Lehrbetriebs nicht zerstört werden dürfen. Die Online-Universität muss die Ausnahme bleiben – aus Gründen der aktiven Beteiligung der Studie- renden, der Individualität des Lehrbe- triebs und der Gefahr der Nivellierung und Gleichschaltung der Inhalte. Zugleich bietet die Online-Lehre aber auch Chancen, etwa Vorlesungen in Nischenfächern anzubieten, an de- nen nur eine sehr geringe Zahl von Studierenden ein Interesse zeigt. Hier besteht die realistische Möglichkeit, online Vorlesungen anzubieten, die zwar nicht an einer einzelnen Hoch- schule, aber hochschulübergreifend einen nennenswerten Interessen- tenkreis finden. So gesehen lässt sich in der Corona-Krise wie in jeder C H R IS T I A N L E W K E Herausforderung auch eine Chance promovierte zum öffentlich-recht zur Optimierung eingefahrener und lichen Rundfunk. Er war Justiziar überkommener Strukturen des Lehr- des hr (ARD) und des BZV. Seit betriebs sehen. Dezember 2016 ist er wissenschaft licher Mitarbeiter an der BELS. Sein Interessensschwerpunkt ist Medien- verfassungsrecht. BELS-Report | 19
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