Psychische Gesundheit und Flucht - Kurzvortrag Unterkunft Ukraine - Austauschabend für Gastgebende - GGG Benevol
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Psychische Gesundheit und Flucht Kurzvortrag Unterkunft Ukraine – Austauschabend für Gastgebende GGG Benevol Dipl.-Psych. Lalitha Chamakalayil, Institut Kinder- und Jugendhilfe, Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW M. Sc. Bettina Moser, Flüchtlingsberatung Caritas Aargau Dr. med. Serena Galli, Transkulturelle Sprechstunde ZPG Binningen
Ablauf heute Präsentation ►Psychische Gesundheit Geflüchteter ►Psychisches Trauma ►Traumafolgestörungen ►Ist ein Trauma unausweichlich? Nein! ►Welchen Beitrag können Helfende leisten? ►Welche Fachstellen können weiterhelfen? 2
Psychische Gesundheit Geflüchteter allgemein • Psychische Erkrankungen treten in Population von Menschen mit Fluchtgeschichte häufiger auf • Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Asylsuchenden in CH ca. 50- 60%, wovon in Deutschschweiz < 10% Behandlung erhalten (Müller et al. 2018) • Versorgungslücke in Bezug auf spezialisierte Therapieangebote (Oetterli et al. 2013) aufgrund vielfältiger Zugangsbarrieren (u.a. fehlende Deckung Dolmetscher*innenkosten durch Krankenkasse, Stigmatisierung auf Seiten der Betroffenen u.a.) • Diagnose von Traumafolgestörungen oft erst nach Jahren mit Chronifizierung und Generierung hoher gesellschaftlicher Folgekosten (Heiniger & Kaiser 2013) 3
Was ist ein psychisches Trauma? • Objektive Perspektive: «Ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.» (ICD 10 Version 2019, WHO 1992) • Subjektive Perspektive: «[…] ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis [und somit auch Beziehungsverständnis!] bewirkt.» (Fischer & Riedesser 2020) • Zwischenmenschliche Traumatisierungen (bspw. Gewalt im Kriegskontext) prognostisch ungünstiger 4
Traumafolgestörungen • Traumafolgestörung: Überbegriff für verschiedene psychische Erkrankungen, zurückführbar auf traumatische Erlebnisse • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist nicht die einzige Traumafolgestörung! • PTBS: Sich aufdrängendes Wiedererleben («Flashbacks») und Albträume; körperliche Übererregung mit Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit und Gereiztheit; Abspaltung des Bewusstseins («Dissoziation); Vermeidungsverhalten und Rückzug, emotionale Instabilität mit heftigen Emotionen oder emotionaler Abgestumpftheit und Interessensverlust • Schmerzstörungen, Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen u.a. können auch Traumafolgestörungen sein • Traumafolgestörungen können verzögert auftreten • Bspw. erst Monate nach Ankunft in der Schweiz (initial Beschäftigung mit eigenem „Überleben“, Erledigung administrativer Aufgaben u.a.) 5 • Aber…
… ein Trauma ist NICHT immer die Konsequenz! • Nicht jeder Mensch entwickelt nach einer traumatischen Erfahrung eine Traumafolgestörung! • Ob sich eine Traumafolgestörung entwickelt, ist von individuellen, zwischenmenschlichen und kontextuellen Faktoren abhängig (ist also ein variabler, beeinflussbarer Prozess)! • Akute Belastungsreaktion (nach einem traumatischen Ereignis) kann Wochen andauern und stellt ein gesunder Bewältigungsversuch der Psyche dar („normale“ Reaktion auf „abnormale“ Belastung) – keine (vorzeitige) Pathologisierung! • Die Akute Belastungsreaktion kann sich wie eine PTBS äussern 6
Was braucht es? • In der Phase nach dem traumatischen Ereignis (Akute Belastungsreaktion) ist die Vermittlung basaler Sicherheit und Stabilität essentiell (genügend Schlaf und gesunde Nahrung; räumliche Rückzugsmöglichkeiten; Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur; «angenehme» Tätigkeiten wie Kochen, Spazieren, Gespräche; kein bedrängendes Nachfragen u.a.) • Bei grossem Leidensdruck (bspw. schwere Beeinträchtigung im Alltag, schwere Schlafstörung) oder längerer Beschwerdedauer ist Inanspruchnahme professioneller Unterstützung empfohlen 7
Wie können wir alle unterstützend sein? I • Prozesshaftes Traumaverständnis: Traumatisierung als prozesshaftes Geschehen, welches massgeblich mitgeprägt wird durch Lebensbedingungen im Hier und Jetzt des Aufnahmelandes Schweiz («sequentielle Traumatisierung» n. Keilson 1979) • Stichwort Postmigrationsstressoren: Erfahrungen und Lebensrealitäten im Ankunftsland für posttraumatische Prozesse prognostisch wichtig (Li et al. 2016) • Gesellschaftspolitische Anerkennung des geschehenen Unrechts, aber auch der psychosozialen Schwierigkeiten im Aufnahmeland essentiell! (Varvin 2013) 8
Wie können wir alle unterstützend sein? II • Trauma als Beziehungsgeschehen: Hilfreiche Beziehungserfahrungen als zentraler Schutzfaktor, um die Entwicklung von Traumafolgestörungen zu verhindern (vgl. Keilson 1979) • Menschengemachte traumatische Erfahrungen als Erschütterung des Grundvertrauens ins menschliche Gegenüber (Trauma als «Beziehungsgeschehen») à zentrale Rolle halt- und sicherheitsgebender, empathischer Beziehungen! 9
Wie können wir alle unterstützend sein? III • Subjektstatus der Betroffenen: Kriegsgeflüchtete sind Menschen mit komplexen persönlichen Geschichten, die vor dem Krieg beginnen und nach dem Krieg weitergehen • Keine Reduktion auf «traumatisierte Geflüchtete» • Balanceakt zw. Anerkennung des geschehenen Unrechts einerseits und Unterstützung bei der Selbstermächtigung andererseits (Ermöglichung sinnstiftender Tätigkeiten und Übernahme von Selbstverantwortung) • Keine einseitige Viktimisierung/Schonung der Betroffenen; Reflektion eigener Unterstützungsimpulse in Hinblick auf deren Nachhaltigkeit 10
… und nicht vergessen: • Auch die Haltgebenden brauchen Halt: Selbstfürsorge, Vernetzung! 11
Weiterverweisung an Fachstellen • Transkulturelle Ambulanz der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel • Transkulturelle Sprechstunde Zentrum für psychische Gesundheit Binningen der Psychiatrie Baselland • Stationäre Behandlung in den Universitären Psychiatrischen Kliniken oder in der Psychiatrie Baselland • … 12
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Literatur Fischer G., Riedesser P. (2020). Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst Reinhardt Verlag, München. Li, S. S., Liddell, B. J., & Nickerson, A. (2016). The relationship between post-migration stress and psychological disorders in refugees and asylum seekers. Current psychiatry reports, 18(9), 82. Müller, F., Roose, Z., Landis, F., & Gianola, G. (2018). Psychische Gesundheit von traumatisierten Asylsuchenden: Situationsanalyse und Empfehlungen. Bericht zuhanden des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Interface Politikstudien Forschung Beratung, Luzern. Oetterli, M., Niederhauser, A., & Pluess, S. (2013). Ist-Analyse von psychosozialen Behandlungs-und Betreuungsangeboten für traumatisierte Personen im Asyl-und Flüchtlingsbereich. Kurzbericht zuhanden des Bundesamts für Migration BFM. Steel, Z., Chey, T., Silove, D., Marnane, C., Bryant, R. A., & Van Ommeren, M. (2009). Association of torture and other potentially traumatic events with mental health outcomes among populations exposed to mass conflict and displacement: a systematic review and meta-analysis. Jama, 302(5), 537-549. Varvin, S. (2013, September). Psychoanalyse mit Traumatisierten. In Forum der Psychoanalyse (Vol. 29, No. 3, pp. 373-389). Springer Berlin Heidelberg. 14
Sie können auch lesen