Psychosomatik I Klassische Psychosomatik, Enuresis, Enkopresis, chronische Erkrankungen - Prof. Dr. med. Michael Günter Klinik für Kinder- und ...

 
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Psychosomatik I
Klassische Psychosomatik, Enuresis,
Enkopresis, chronische Erkrankungen

Prof. Dr. med. Michael Günter
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
Psychotherapie

 Wintersemester 2021/2022
Psychosomatik I Klassische Psychosomatik, Enuresis, Enkopresis, chronische Erkrankungen - Prof. Dr. med. Michael Günter Klinik für Kinder- und ...
Definition
 Psychosomatik –
 - Bezeichnung für die Wechselwirkung von Körper und
 Seele (Heinroth 1818)
 - Spezialgebiet der Medizin mit eigener
 Facharztbezeichnung und spezialisierten diagnostischen
 und therapeutischen Methoden
 - grundsätzliche Haltung in der Medizin, die biologische wie
 psychosoziale Einflüsse auf die Entstehung, den Verlauf
 und die Endzustände von Krankheiten als gleichermaßen
 wichtige Probleme der Heilkunde ansieht und daher einen
 ganzheitlich integrativen Ansatz verfolgt (von Uexküll)

                                     Prof. Dr. Michael Günter 2021
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Bereiche der Psychosomatik

1. Klassische psychosomatische Erkrankungen bei denen ein Einfluss
   psychischer Faktoren auf Auslösung, Verlauf, Rezidive, Endzustand
   etc. der Erkrankung gesehen wird (Alexanders „klassische“ sieben) >
   heute relativ geringe Bedeutung.

2. Psychische Erkrankungen mit ausgeprägter somatischer Symptomatik
   oder Erkrankungen aufgrund von dysfunktionalem Verhalten

3. Chronische somatische, schwere und lebensbedrohliche
   Erkrankungen, deren individuelle und familiäre Bewältigung mit dem
   Risiko psychischer Folgeerkrankungen und Belastungsreaktionen

                                          Prof. Dr. Michael Günter 2021
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Besonderheiten der Psychosomatik
   im Kindes- und Jugendalter
1. Engere Verzahnung somatischer und psychischer
   Funktionen > Kinder zeigen schneller Körpersymptome

2. Entwicklungspsychopathologie! Altersgebundenheit von
   Symptomen

3. Entwicklungsbeeinträchtigung durch psychosomatische
   Erkrankungen (s.u.)

4. Häufig weniger chronifiziert > frühzeitige Diagnose +
   Behandlungschance

5. Abhängigkeit von Eltern, komplexe Systeme

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Eingangsdiagnosen (Hauptdiagnose)

                                                                            Somatisierungsstörungen
                                                                            Anorexie
                                                                            Sonst. Essstörungen
                    4
                3            4   4                                          Bulimie
                                              30
        8                                                                   Angststörungen
    9
                                                                            Depressive Störungen
            8                                      15
                        10
                                                                            Emot. Störungen d. KA
                                     2   6
                                                                            Anpassungsstörungen
                                                                            primär nur somat. D.
                                                                            Enkopresis
                                                                            Enuresis
                                                                            St. d. SV+ Emotionen

   N = 113 Patienten
   * Somatisierungsstörungen in der Regel nur in stationäre Behandlung, wenn
   ausgeprägte Schulphobie

                                                        Prof. Dr. Michael Günter 2021
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Bereiche der Psychosomatik
1. Klassische psychosomatische Erkrankungen (Alexanders „klassische“
   sieben) bei denen ein Einfluss psychischer Faktoren auf Auslösung,
   Verlauf, Rezidive, Endzustand etc. der Erkrankung gesehen wurde
- Ulcus duodeni
- Colitis ulcerosa
- Asthma bronchiale
- Essenzielle Hypertonie
- Dermatitis atopica
- Hyperthyreose
- Rheumatoide Arthritis
Früher: Annahme psychogener Verursachung (Persönlichkeitsstruktur, Postulat spez. Konflikte)
Heute: Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie → somatische Ursachen (Genetik,
    Umweltfaktoren etc.) + teilweise stressbedingte Auslösung + sekundäre psychische
    Belastungen und Erkrankungen im Zuge der Krankheitsverarbeitung.
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Bereiche der Psychosomatik

  2. Psychische Erkrankungen mit ausgeprägter somatischer
     Symptomatik oder Erkrankungen aufgrund von
     dysfunktionalem Verhalten
  - Somatoforme Störungen (→ Schulphobie, → Depressive
     Störungen)
  - Exkurs: Psychosozialer Minderwuchs und Münchhausen-by-
     proxy
  - Enuresis, Enkopresis
  - Regulationsstörungen, Gedeihstörungen, Anorexie etc. beim
     Säugling (Eltern-Kind-Behandlung) Essensverweigerung im
     Kleinkindesalter
  - Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
  - Adipositas

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Somatoforme Störungen

 Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen
    Forderungen nach med. Untersuchungen trotz unauff.
    Ergebnisse
 F45.0 Somatisierungsstörung
 -   Jedes mögliche Körperteil, gastrointestinal, Haut, sexuell,
     menstruell, Schmerz, Kinder rez. Bauchschmerzen, Übelkeit
 F45.2 Hypochondrische Störung Jugendliche: Dysmorphophobie,
    Aussehen
 F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung
 -   Herz, Gastrointestinaltrakt, resp. System, urogenit. System,
     Schwitzen Kinder: Colon irritabile, Diarrhoe
 F45.4 anhaltende psychogene Schmerzstörung bei Kindern
    seltener als bei Erwachsenen

                                        Prof. Dr. Michael Günter 2021
Comorbidität bei erwachsenen
psychosomatischen Patienten
      30 nur A/D

                                                   70
                                                comorbid

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Bereiche der Psychosomatik
  2. Psychische Erkrankungen mit ausgeprägter somatischer
     Symptomatik oder Erkrankungen aufgrund von
     dysfunktionalem Verhalten

  -   Somatoforme Störungen (→ Schulphobie, → Depressive
      Störungen)
  -   Exkurs: Psychosozialer Minderwuchs und Münchhausen-by-
      proxy
  -   Enuresis, Enkopresis
  -   Regulationsstörungen, Gedeihstörungen, Anorexie etc. beim
      Säugling (Eltern-Kind-Behandlung), Essensverweigerung im
      Kleinkindesalter
  -   Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
  -   Adipositas
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Münchhausen-Syndrom (Asher 1951)
Im engeren Sinne definiert durch die Trias:
    - Vortäuschen oder simulieren von Krankheiten
    - Pseudologia phantastica
    - Pathologisches Behandlungswandern

Im weiteren Sinne gleichgesetzt mit:
    - Artifizieller Störung (= absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen von
    körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen, ICD 10:
    F68.1)

Münchhausen-by-proxy-Syndrom (Meadow 1977)

    - Vortäuschen oder Erzeugen einer Krankheit beim Kind durch die
    Behandlung (meist) der Eltern

„Hinterland of child abuse“ (Meadow 1977; in ICD 10 eingeordnet unter F74.8 =
     Kindesmisshandlung)

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Bereiche der Psychosomatik

 2. Psychische Erkrankungen mit ausgeprägter somatischer
    Symptomatik oder Erkrankungen aufgrund von
    dysfunktionalem Verhalten

 -   Somatoforme Störungen (→ Schulphobie, → Depressive
     Störungen)
 -   Exkurs: Psychosozialer Minderwuchs und Münchhausen-by-
     proxy
 -   Enuresis, Enkopresis
 -   Regulationsstörungen, Gedeihstörungen, Anorexie etc. beim
     Säugling (Eltern-Kind-Behandlung), Essensverweigerung im
     Kleinkindesalter
 -   Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
 -   Adipositas
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Systematik der Enuresis
                                                 monosympt.                     biologische
                                                                                Faktoren?
                                                   nicht
                                  primär
                                                 monosympt.
              Enuresis
              nocturna                             monosympt.
                                sekundär
                                                     nicht
                                                   monosympt.
              Enuresis
               diurna                                                           Seltene
                                             Idiopath.                          Formen
psychosoziale                              Dranginkontin.
Faktoren?     Inkontinenz bei
               Miktionsaufschub             Detrusor-Sphincter-
                                             Dyskoordination

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Enuresis Prävalenz

Enuresis nocturna (ca. 85%)          Enuresis diurna = funtionelle
                                     Harninkontinenz (ca. 25%)
Verhältnis ♂ : ♀    1,5-2 : 1        Verhältnis ♂ : ♀     1 : 1-1,5
Spontane Rückbildungsrate            Kulturelle Unterschiede
13%/Jahr                             - (16-47% bei 3jährigen)
- (45% bei 3jährigen)                - (2-12% bei 4jährigen)
- (20% bei 4jährigen)
                                     - 2% bei 5jährigen
- 16% bei 5jährigen                  - 3% bei 6jährigen
- 13% bei 6jährigen                  - 4% bei 7jährigen
- 10% bei 7jährigen (5% primär, 5%
sek.) (Häufigkeitsgipfel der         - 4% bei 8jährigen
sekundären E.n.)                     - >1% bei Jugendlichen
- 7% bei 8jährigen                   - wieder höher bei älteren
- 1-2% bei Jugendlichen              Erwachsenen
- ca. 1% bei Erwachsenen
                                         Prof. Dr. Michael Günter 2021
Enuresis Behandlung
  Diagnostik:
  - Ausschluss organischer Erkrankungen (Abdomensono, evtl. EEG)
  - Psychopathologischer Befund, familiäre Belastungen

  Dann stufenweises Vorgehen (je nach Befund!)

  - Vorstellung beim Kinderarzt, evtl. Plazebo (hat bereits gewissen therap.
  Effekt)
  - Sonne- und Wolkenkalender
  - Klingelhose
  - keine Weckprogramme im ambulanten Setting
  - Psychotherapie und Arbeit mit der Familie bzgl. familiärer
  Belastungsfaktoren
  - medikamentös (Adiuretin) z.B. bei Schullandheim, jedoch keine
  anhaltende Wirkung nach Absetzen

                                               Prof. Dr. Michael Günter 2021
Enkopresis Prävalenz
Enkopresis (überwiegend tagsüber)

Verhältnis ♂ : ♀    3-4 : 1

- 2% bei 5-10jährigen
- danach leichter Anstieg auf ca. 3%
- ab 13 Jahre wieder Abfall der Prävalenz,
- im Jugendalter selten, jedoch z.T. sehr
hartnäckig und oft mit schwerer Störung
assoziiert

- Primäre : Sekundäre E.      1:1

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Enkopresis Behandlung

 Diagnostik:
 - Ausschluss organischer Erkrankungen
 - Psychopathologischer Befund, familiäre Belastungen

 Dann in der Regel parallel:
 - Stuhlregulierung (Laxantien, Klysma) lange genug!
 - Toilettentraining
  -Behandlung der antisozialen Tendenz und der zugrunde
 liegenden depressiven/Selbstwertproblematik
 - Arbeit mit der Familie bzgl. familiärer Belastungsfaktoren
 - häufig stationäre Behandlung erforderlich, zumal starke Tendenz
 zur Chronifizierung besteht

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Bereiche der Psychosomatik
 3. Psychische Folgeerkrankungen, Komplikationen und
 Belastungsreaktionen bei somatischen Erkrankungen

 -   Typ-I-Diabetes mellitus
 -   Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
 -   Stoffwechselerkrankungen
 -   Missbildungen, Behinderungen
 -   maligne Erkrankungen
 -   rheumatoide Arthritis
 -   Mukoviszidose

                                      Prof. Dr. Michael Günter 2021
Belastung durch chronische Erkrankungen

                        Peer Group
                        Integration
                                                               ꞏ Selbstwertgefühl
                                                             • Selbstwertgefühl
                                                               ꞏ Autonomieentwicklung
                                                             • Autonomieentwicklung
                                                               ꞏ Körpergefühl
                             psychosoziale                   • Körpergefühl
chronische                                                     ꞏ
                             Entwicklung                     • Fantasien über sich selbst
Erkrankung                                                     ꞏ Schulisch-berufliche
                                                             • Schulisch-berufliche
                                                             • Leistungsfähigkeiteit

                                                        • Selbstwerterleben der Eltern
                         Familie                        • "Overprotection"
                                                        • Schuldgefühle
                                                        • Soziale Kontakte
                                                        • Finanziell
               Reaktion
              familiärer
             Funktionsstil
                                             Prof. Dr. Michael Günter 2021
Risikofaktoren und protektive Faktoren
Risikofaktoren                             ꞏ Krankheitscharakteristika
                                                    - schlechte Prognose
                                                    - rezidivierender Verlauf
                                                    - nicht sichtbare Beeinträchtigung
                                                    - komplexe Therapien
                                                    - chronische Schmerzen

                                           ꞏ Risikofaktoren beim Kind
                                                     - männliches Geschlecht
                                                     - Temperamentsfaktoren
                                                     - kognitive Beeinträchtigung

Protektive Faktoren                        ꞏ Familiäre Faktoren
                                                     - familiäre Flexibilität
                                                     - adaptive Copingmechanismen
                                                     - soziale Integration
                                                     - positive Zuschreibungen
                                                     - gute Kommunikation

                                           ꞏ Soziale Unterstützung
(modifiziert nach Patterson et al. 1996)                             Prof. Dr. Michael Günter 2021
Ursachen für Empowerment-/
Compliancestörungen
 ꞏ Autonomiestreben (v.a. bei Jugendlichen)
 ꞏ Psychische Vorerkrankung
 ꞏ Krankheitsbedingte Depression
 ꞏ Familiäre/soziale Situation
 ꞏ Akute psychosoziale Krisen
 ꞏ Prognose
 ꞏ Ausdruck eines Anliegens/Problems (Hilferuf)
 ꞏ Berechtigte Kritik am Behandlungssetting (informierte Patienten)
 ꞏ Probleme im Management seitens der Zentren
          - mangelnde Konstanz der ärztlichen
            Ansprechpartner
          - Haltung der Ärzte
          - Kooperation zwischen den Ärzten

 (modifiziert nach Köllner et al. 1999)

                                                 Prof. Dr. Michael Günter 2021
Prof. Dr. med. Michael Günter

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Klinikum Stuttgart

Zentrum für Seelische Gesundheit
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin - Olgahospital

Prießnitzweg 24
70374 Stuttgart

E-Mail: m.guenter@klinikum-stuttgart.de

                                       Prof. Dr. Michael Günter 2021
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