Queere Begriffe erklärt - by Rafael Meier - QueerBienne

 
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Queere Begriffe erklärt
by Rafael Meier
Queere Begriffe erklärt - by Rafael Meier - QueerBienne
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung                                                                3
2. LGBTIQ+                                                                   4
3. Die Regenbogenfahne                                                       4
4. Was bedeutet queer?                                                       5
5. Was bedeutet questioning?                                                 5
6. Was ist Gender?                                                           5
7. Was ist ein Coming-out?                                                   6
8. Rechtliche Situation in Europa                                            6
9. Gay Pride, Stonewall und Christopher Street Day                           7
10. Was ist sexuelle Orientierung?                                           8
11. Was bedeutet Sexualität für die Menschen?                                9
12. Welche sexuellen Orientierungen gibt es?                               10
13. Wie entsteht sexuelle Orientierung?                                    11
14. Wie häufig kommen die unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in der
Bevölkerung vor?                                                         12
15. Was ist Geschlecht?                                                    15
16. Was bedeutet Geschlecht für einen Menschen?                            15
17. Welche spezifischen Geschlechter gibt es?                              17
18. Wie entsteht Geschlecht?                                               18
19. Wie häufig kommen die unterschiedlichen Geschlechter in der
Bevölkerung vor?                                                           20
20. Transvestitismus                                                       21
21. Flaggen und Symbole                                                    22
22. Quellenverzeichnis                                                     25

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Queere Begriffe erklärt - by Rafael Meier - QueerBienne
1. Einleitung
„Am Anfang jeder Tat steht eine Idee. Nur was gedacht wurde, existiert.“

- Konfuzius (551-479 v. Chr.)1

Queere Menschen wollen…

…so leben und akzeptiert werden, wie sie sind.
…sich nicht verstecken oder verstellen müssen.
…sich sicher fühlen und Anschluss in der Gesellschaft finden.
…sich gleichwertig fühlen, von anderen Menschen als gleichwertig behandelt werden und vor dem
Gesetz gleichgestellt sein.

Für diese Bedürfnisse von (queeren) Menschen stehen wir ein.

Doch leider werden queere Menschen selbst in liberalen Gesellschaften noch immer diskriminiert.
Zum Beispiel Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Coming-out verdeutlichen dies. In ande-
ren Gesellschaften werden queere Menschen zusätzlich kriminalisiert, als krankhaft eingeordnet
oder sogar als Feinde der Gesellschaft hingestellt. Die Rechte von queeren Menschen haben sich
in den letzten 50 Jahren in vielen Ländern der westlichen Kultur wesentlich verbessert. Es bleibt zu
hoffen, dass sich ihre Situation allgemein auf der Welt noch verbessert. Mit mehr Sichtbarkeit und
Aufklärung wollen wir gegen die Stigmatisierung von queeren Menschen vorgehen.

Dieses Dokument dient in erster Linie der Aufklärung. Wir wollen uns an wissenschaftlichen Er-
kenntnissen orientieren, weswegen wir laufend Quellen angeben, wissenschaftliche insbesondere
im Zusammenhang mit der Definition, der Entstehung und der Häufigkeit von sexuellen und ge-
schlechtlichen Minderheiten. Wir tun dies mit besonderer Sorgfalt, weil viele Menschen orientieren
sich an wissenschaftlichen Fakten, um ihre politischen, sozialen und ethischen Schlussfolgerungen
zu begründen. Dies gibt auch Politiker*innen und Aktivist*innen ein Werkzeug in die Hand.

Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen
Entscheiden, wie ein Beispiel aus Uganda zeigt. Dort hat ein Präsident einen homophoben Geset-
zesentwurf in Kraft gesetzt, weil er sein Wissen über die Vererbbarkeit von Homosexualität zwar
aus einer wissenschaftlichen, aber qualitativ ungenügenden Quelle bezogen hat.2

Damit wir uns für queere Menschen einsetzen können, ist es wichtig, dass die Gesellschaft für un-
sere Themen sensibilisiert wird. Doch was sind überhaupt queere Themen? Diese und weitere
Fragen und Begriffe erklären wir mit folgendem Dokument.

Wir wünschen eine spannende Lektüre!

Euer QueerBienne Team

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2. LGBTIQ+
LGBT, LGBT+, LGBTQ, LGBTIQ+, LGBTQQIAAP, etc. sind Abkürzungen, welche die sexuelle Ori-
entierung resp. das Geschlecht von Menschen beschreiben. Sexuelle und geschlechtliche Minder-
heiten haben sich zu Interessengruppen zusammengeschlossen, um von der Gesellschaft mehr
Aufmerksamkeit zu erhalten und um sichtbarer zu werden (z. B. an Pride Events). Deswegen wer-
den diese Begriffe auch im Zusammenhang mit diesen Interessengruppen verwendet. Wir haben
hier das Beispiel LGBTIQ+ herausgenommen, um die Bedeutung der einzelnen Buchstaben zu er-
klären.1, 2

L esbisch
G ay (schwul)
B isexuell
T ransgender
I ntergeschlechtlich
Q ueer (oder Questioning)
+ alle anderen Menschen, die nicht heterosexuell oder cisgender sind

Die Bedeutung der einzelnen Begriffe wird weiter unten erklärt.

3. Die Regenbogenfahne

Die Regenbogenfahne oder Regenbogenflagge ist eine Fahne, die einen Regenbogen darstellt.
Welche Farben darin enthalten sind und wie viele Streifen sie hat, ist nicht klar definiert. Jedoch ist
jene mit den 6 Streifen (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett - von oben nach unten wie beim
echten Regenbogen) heutzutage am meisten verbreitet. Die Regenbogenfahne steht in zahlreichen
Kulturen weltweit für Aufbruch, Veränderung und Frieden. Sie gilt als Zeichen der Toleranz und Ak-
zeptanz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht.1

Seit 1978 ist die Regenbogenfahne ein internationales LGBT Symbol. In diesem Zusammenhang
wird sie auch als (LGBT) pride flag bezeichnet.2

Unter Kapitel 21 stellen wir weitere Flaggen der LGBT+ Gemeinschaft vor. Die Liste ist aber nicht
komplett und die Flaggen können sich im Laufe der Zeit ändern.

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4. Was bedeutet queer?
Queer ist ein Fremdwort aus der englischen Sprache und bezeichnet als Adjektiv jene Dinge,
Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen. Ursprünglich drückte es meist eine ne-
gative Einstellung zu der Abweichung oder der abweichenden Person aus. Ab 1980 wurde queer
als Geusenwort benutzt.1 Als Geusenwort oder Trotzwort wird in der Linguistik ein Wort bezeich-
net, das ursprünglich eine Personengruppe beschimpfen sollte, von dieser jedoch mit einer durch-
weg positiven Bedeutung besetzt wurde.2

Queer ist ein Begriff, mit dem sich Menschen bezeichnen, die einer sexuellen oder geschlechtli-
chen Minderheit angehören (die also nicht heterosexuell oder cisgender sind).3

Queer kann auch von Menschen verwendet werden, die sich ausserhalb der binären Vorstellungen
von Mann/Frau oder homosexuell/heterosexuell befinden oder die sich nicht nur über ihre sexuel-
len Aktivitäten definieren wollen.4

5. Was bedeutet questioning?
Das Wort questioning kommt aus der englischen Sprache und bedeutet „fragend“. Es wird für Men-
schen verwendet, die für ihre sexuelle Orientierung und/oder ihr Geschlecht (noch) kein passendes
Label gefunden haben.1

6. Was ist Gender?
Gender kommt aus der englische Sprache und bedeutet Geschlecht. Damit ist die Zugehörigkeit
zu einem der beiden Geschlechter weiblich oder männlich gemeint. Es gibt auch Menschen, die
sich weder als (ausschliesslich) weiblich noch männlich definieren. Gender kann je nach Kontext
unterschiedliche Bedeutungen haben:1

! das biologische Geschlecht eines Menschen
! geschlechtsbezogene Verhaltensweisen eines Menschen in der Gesellschaft (Geschlechterrol-
  len, siehe „Doing Gender“)
! die Geschlechtsidentität eines Menschen

Nach heutigem Wissensstand hat auch das Gehirn bereits bei der Geburt ein Geschlecht, was sich
auf die Geschlechtsidentität auswirkt. Deshalb sollte man bei der Trennung zwischen dem ersten
(körperlichen) und dem letzten (psychologischen) Punkt vorsichtig sein. Lese dazu mehr unter
„Wie entsteht Geschlecht?“.

Doing Gender: Geschlechtliches Verhalten ist auch eine gesellschaftliche Konstruktion. Ge-
schlechtsrollenverhalten wird von klein auf gelernt und durch die Rollenerwartungen des Umfelds
bestärkt. Das Denken in zwei Geschlechtern hat in jedem Menschen Vorstellungen und Erwartun-
gen zur Folge, wie das eigene oder das andere Geschlecht zu sein oder sich zu verhalten hat.
Diese Vorstellungen sind ein gestaltendes und prägendes Element in der Interaktion und Kommu-
nikation. So wird Gender als soziale Konstruktion im Alltag auch ständig hergestellt. Dieser Pro-
zess wird auch als „Doing Gender“ bezeichnet.2

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7. Was ist ein Coming-out?
Der Begriff Coming-out ist ein zentraler Begriff für LGBT+ Menschen. Er ist eine Abkürzung für
come out of the closet, was auf Deutsch bedeutet, dass man aufhört, sich zu verstecken.1 Im Zu-
sammenhang mit LGBT+ ist damit gemeint, dass man seinem Umfeld etwas ganz Persönliches
mitteilt, das man bis zu diesem Zeitpunkt geheim gehalten hat (z. B. eben, dass man homosexuell
oder transgender ist). Das Coming-out beinhaltet also auch eine empfundene Angst oder eine Un-
sicherheit bei denen Menschen, die sich „outen“ wollen. Sie haben zum Beispiel Angst, dass sie
ihre Familie, Freunde oder Arbeit verlieren, wenn sie ihnen die Wahrheit über sich mitteilen. Sie
machen sich Sorgen, weil zum Beispiel Homosexualität in weiten Teiler der Gesellschaft noch stig-
matisiert wird. Dazu kann auch gehören, dass nicht oder in einem abwertenden Kontext darüber
gesprochen wird. Deswegen ist es auch sehr wichtig, dass betroffene Menschen von staatlicher
Seite her Unterstützung bekommen. Siehe dazu auch das nächste Kapitel über die rechtliche Situ-
ation von LGBT+ Menschen in Europa.

Der Coming Out Day am 11. Oktober ist ein jährlicher Feiertag, an dem die queere Gemeinschaft
das Coming-out feiert.2 Dabei wird auch gefeiert, dass man seine eigene Angst überwunden hat
und im Einklang mit seinem Inneren leben kann. Denn das Versteckspiel vor dem Coming-out und
die Aufrechterhaltung der „normalen“ Fassade in allen Lebensbereichen erfordert von den Be-
troffenen sehr viel Energie.

8. Rechtliche Situation in Europa
Zusammen sind wir stärker, als wenn jeder Mensch alleine für sich kämpft! Dies haben sich wohl
auch die Mitglieder der Schwulen- und Lesbenorganisationen aus Europa, Amerika und Australien
gedacht, als sie sich im August 1978 in England zu einer Konferenz trafen, wo es um die Gleichbe-
rechtigung von homosexuellen Menschen ging. Dies war der Beginn von ILGA World, dem heuti-
gen Dachverband von über 1600 LGBT+ Vereinen aus über 150 Ländern. ILGA setzt sich für die
Interessen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und intergeschlechtlichen Men-
schen ein und geniesst beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (UNO) einen Son-
derstatus.1
ILGA hat die die Rechte, welche LGBTI Menschen von staatlicher Seite her erhalten, in folgende
Bereiche eingeteilt:2

                                                              Die Rainbow Map von ILGA Europe 3

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!   Gleichberechtigung und Schutz vor Diskriminierung
!   Familie
!   Verfolgung von Verbrechen und Hassreden gegen LGBT+ Menschen
!   Legale Anerkennung vom Gender und körperliche Integrität
!   Möglichkeit von LGBTI Anlässen in der Zivilgesellschaft
!   Asyl

Wenn du noch genaueres über diese Kategorien wissen willst, kannst du folgende Seite besuchen.

Die rechtliche Situation von LGBTI Menschen in europäischen Ländern schwankt von Land zu
Land zum Teil enorm und kann auf folgender Seite nachgeschaut werden. Es gibt eine Rangliste
der Länder in Bezug auf LGBTI Freundlichkeit und einen Jahresbericht für jedes Land, der auch
interessante Informationen enthält. Im Ranking belegt die Schweiz aktuell Platz 23 von 49.3

9. Gay Pride, Stonewall und Christopher Street Day
In der Nacht vom 28. Juni 1969 kam es im Stonewall Inn in New York zu einer Polizeirazzia. Der
Grund dafür war, dass sich dort queere Menschen versammelten. Die Betreiber*innen des Lokals
und Besucher*innen wehrten sich aber heftig gegen die Verhaftung von Teilnehmenden. Es kam
im Anschluss an die Stonewall Vorkommnisse in der Stadt mehrere Nächte lang zu grossen Aus-
schreitungen zwischen Polizei und Mitgliedern der LGBT+ Bewegung.1

Stonewall gilt wegen seiner symbolischen Bedeutung als der Beginn der LGBT+ Bewegung. Jedes
Jahr wird am letzten Samstag des Juni weltweit der Christopher Street Day gefeiert. Der Name
kommt daher, dass das Stonewall Inn an der Christopher Street liegt. Es wird für Demonstrationen
und Umzüge anlässlich dieses Events auch von Gay Pride oder ganz allgemein von Pride gespro-
chen.2

Im Jahr 2019 wurde weltweit das 50. Jubiläum von Stonewall gefeiert. Alleine in Manhattan, dem
Geburtsort der Bewegung, nahmen nach Angaben der Behörden über das Wochenende 5 Millio-
nen Menschen an den Umzügen teil.3

                                                          New York Pride 2019 4

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10. Was ist sexuelle Orientierung?
Es gibt vier verwandte Phänomene, die unter sexuelle Orientierung fallen:1

! Sexuelles Verhalten, bei dem es darum geht, ob jemand sexuelles Verhalten (d. h. Petting, Sex,
  etc.) mit Menschen vom gleichen Geschlecht (homosexuell), dem anderen Geschlecht (hetero-
  sexuell) oder beiden Geschlechtern (bisexuell) hat.
! Sexuelle Identität, bei der es um die Selbstwahrnehmung geht, inwieweit jemand sich selbst als
  homosexuelle, heterosexuelle oder bisexuelle Person wahrnimmt (manchmal wird diese Identität
  anderen mitgeteilt, manchmal auch nicht). Nicht mit Geschlechtsidentität zu verwechseln!
! Sexuelle Anziehung, die beschreibt, wie stark sich jemand vom eigenen (homosexuell), vom
  anderen (heterosexuell) oder von beiden Geschlechtern (bisexuell) sexuell angezogen fühlt.
! Physische sexuelle Erregung, bei der es darum geht, wie stark jemand körperlich auf Stimulatio-
  nen von Frauen und Männern reagiert.

In diesen Definitionen werden transgeschlechtliche, nichtbinäre und intergeschlechtliche Men-
schen sowie gewisse sexuelle Orientierungen (wie die Pansexualität) ausgeklammert. Dies liegt
daran, dass die Studie, von der wir die Informationen bezogen haben, diese Phänomene nicht mit-
einbezieht und nur cisgender Menschen erwähnt. Natürlich kann man die oberen Punkte und die
Erklärungen weiter unten auch auf diese Geschlechter resp. sexuellen Orientierungen anwenden.

Obschon die vier obengenannten Phänomene dazu tendieren, bei einem Menschen Hand in Hand
zu gehen, tun sie es nicht immer. Homosexuell orientierte Menschen tendieren beispielsweise
dazu, sich als schwul oder lesbisch zu identifizieren und haben Partner*innen vom gleichen Ge-
schlecht. Dies muss aber nicht immer der Fall sein. Zum Beispiel gibt es auch Männer, die sich als
heterosexuell identifizieren, gleichgeschlechtlichen Sex haben und sich am meisten zu Männern
hingezogen fühlen. Manche Jugendliche machen homosexuelle Erfahrungen, jedoch ändert sich
ihr Verhalten beim Erwachsenwerden zu heterosexuellem Sexualverhalten. Ebenfalls gibt es Men-
schen, welche nur gleichgeschlechtlichen Sex haben, wenn nur Menschen vom gleichen Ge-
schlecht verfügbar sind wie z. B. im Gefängnis oder im Militärdienst und sobald sie wieder unter
Menschen vom anderen Geschlecht kommen, nehmen sie heterosexuelles Verhalten an. In ande-
ren Kulturen und Gemeinschaften wiederum finden solche Muster weniger Verbreitung und Män-
ner, die sich von Männern angezogen fühlen, müssen sich als homo- oder bisexuell identifizieren,
um einen Partner zu finden.1

Im Folgenden werden wir sexuelle Orientierung nur in Bezug auf die sexuelle Anziehung gegen-
über anderen Menschen definieren. Die meisten Wissenschaftler, welche sich mit sexueller Orien-
tierung beschäftigen, konzentrieren sich auf Muster im Zusammenhang mit der sexuellen Anzie-
hung und nicht etwa dem sexuellen Verhalten oder der Identität, weil letztere noch eher durch die
Kultur beeinflusst werden und weil die sexuelle Anziehung eher die Identität und das Verhalten be-
einflusst als umgekehrt.1 Wenn es wiederum darum geht, die Häufigkeit von sexuellen Orientierun-
gen herauszufinden, werden wir uns auf die sexuelle Identität beziehen. Warum, erklären wir wei-
ter unten.

Wir haben die sexuelle Orientierung hier rein vom sexuellen Standpunkt her definiert. Es gibt na-
türlich auch Definitionen, die eine romantische Beziehung miteinschliessen.

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11. Was bedeutet Sexualität für die Menschen?
Sexualität ist Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie trägt zum Wohlbefinden eines Menschen
bei. Ebenso können psychische Probleme das Verlangen und das Sexualleben beeinträchtigen.
Manche Personen verzichten auf Sexualität und entfalten sich in anderen Lebensbereichen. An-
dere leiden, weil sie Probleme mit ihrem Sexualleben haben, keine intimen Beziehungen unterhal-
ten oder wegen ihrer sexuellen Orientierung auf Ablehnung stossen. Seine Sexualität auszuleben
ist nicht immer einfach – doch man sollte sich trauen, darüber zu sprechen.1

Es fällt doch gerade queeren Menschen nicht immer leicht, über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Da-
für gibt es Anlaufstellen wie zum Beispiel die LOS (Lesbenorganisation Schweiz) für homosexuelle
Frauen und Pink Cross für homosexuelle Männer. Die Milchjugend richtet sich speziell an Jugend-
liche. Es gibt auch lokale queere Vereine wie die hab queer bern (Bern), Juragai (Kanton Jura),
Togayther (Neuenburg), Solesch (Solothurn), Sarigai (Freiburg), Le Refuge Genève (Genf), Vogay
(Lausanne/Kanton Waadt), etc.

Sexualität ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen und ein zentraler Bestandteil seiner
Identität und Persönlichkeitsentwicklung. Sexualität umfasst sowohl biologische als auch psycho-
soziale und emotionale Tatbestände und Vorgänge. Die Ausgestaltung von Sexualität deckt ein
breites Spektrum von positiven bis zu negativen Aspekten ab, von Zärtlichkeit, Geborgenheit, Lust-
empfinden, Befriedigung, bis hin zu Gewaltanwendung und Machtausübung. Menschen leben und
erleben Sexualität unterschiedlich. Sie ist ein wichtiges Element der individuellen Lebensweise.2

Bei Sexualität muss es nicht zwingend um Sex gehen. Sexualität hat auch andere (äussere) Berei-
che, wie folgendes Modell zeigt:

                                                                     Die verschiedenen Bereiche der Sexualität 2

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12. Welche sexuellen Orientierungen gibt es?
Zu den sexuellen Grundorientierungen zählen die Heterosexualität, Homosexualität und Bisexuali-
tät sowie für viele Sexualwissenschaftler auch die Pansexualität und Asexualität.1 Es kann auch
sein, dass sich jemand als „questioning“ identifiziert (siehe Kapitel 5). Wir wollen jetzt noch auf die
Wortherkunft und die Definition der einzelnen sexuellen Orientierungen eingehen.

Heterosexualität

Heterosexualität ist ein zusammengesetztes Wort, das aus der griechischen und lateinischen
Sprache kommt. Der Teil hetero ist griechisch und Bedeutet „ungleich“. Der Teil Sexualität kommt
aus dem Lateinischen sexus und bedeutet „Geschlecht“.2 Zusammen ist damit gemeint, dass sich
Heterosexualität auf Menschen (resp. Sexualpartner*innen) mit unterschiedlichem Geschlecht be-
zieht.

Damit gemeint sind also Frauen, die sich von Männern sexuell angezogen fühlen und Männer, die
sich von Frauen sexuell angezogen fühlen. Es gibt Definitionen, die eine romantische Beziehung
miteinschliessen.

Homosexualität

Homosexualität ist ein zusammengesetztes Wort, das aus der griechischen und lateinischen Spra-
che kommt. Der Teil homo ist griechisch und Bedeutet „gleich“. Der Teil Sexualität kommt aus dem
Lateinischen sexus und bedeutet „Geschlecht“.2 Zusammen ist damit gemeint, dass sich Homose-
xualität auf Menschen (resp. Sexualpartner*innen) mit dem gleichen Geschlecht bezieht.3

Damit gemeint sind also Frauen, die sich von Frauen sexuell angezogen fühlen und Männer, die
sich von Männern sexuell angezogen fühlen. Es gibt Definitionen, die eine romantische Beziehung
miteinschliessen.

Bisexualität

Das zusammengesetzte Wort Bisexualität kommt aus der lateinischen Sprache. Der Teil bi Bedeu-
tet „beide“.4 Der Teil Sexualität kommt aus dem Lateinischen sexus und bedeutet „Geschlecht“.2
Zusammen ist damit gemeint, dass sich Bisexualität auf Menschen (resp. Sexualpartner*innen)
beider Geschlecht bezieht.

Damit gemeint sind also Menschen, die sich von Frauen und Männern sexuell angezogen fühlen.
Es gibt Definitionen, die eine romantische Beziehung miteinschliessen.

Pansexualität

Pansexualität ist ein zusammengesetztes Wort, das aus der griechischen und lateinischen Spra-
che kommt. Der Teil pan ist griechisch und Bedeutet „alles“ (alles, weil sie alle Geschlechter einbe-
zieht).5 Der Teil Sexualität kommt aus dem Lateinischen sexus und bedeutet „Geschlecht“.2 Zu-
sammen ist damit gemeint, dass sich Pansexualität auf Menschen (resp. Sexualpartner*innen) bei-
der Geschlechter bezieht. Im Unterschied zu bisexuellen Menschen fühlen sich pansexuelle Men-
schen auch von transgender, nichtbinären und intergeschlechtlichen Menschen sexuell angezo-
gen.

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Damit gemeint sind also Menschen, die sich von Menschen sexuell angezogen fühlen, wobei das
Geschlecht meine Rolle spielt. Es gibt Definitionen, die eine romantische Beziehung miteinschlies-
sen.

Asexualität

Der zusammengesetzte Begriff asexuell oder Asexualität kommt aus dem Lateinischen. Die Vor-
silbe a steht demnach für „nichts“, Sexualität kommt von sexus und bedeutet „Geschlecht“.2 Zu-
sammen ist damit gemeint, dass sich Asexualität auf Menschen ohne sexuelle Orientierung be-
zieht.

Asexuelle Menschen werden hier zum Kapitel der sexuellen Orientierungen zugeordnet. Dies ist
aber möglicherweise nicht ganz korrekt. Denn asexuelle Menschen haben keine sexuelle Anzie-
hung gegenüber anderen, ein fehlendes Interesse an Sex oder ein nicht vorhandenes Verlangen
danach.6 Da Sexualität sich aber je nach Definition nicht alleine auf Sex beziehen muss, können
auch asexuelle Menschen eine sexuelle Orientierung haben.

13. Wie entsteht sexuelle Orientierung?
Wir haben unser Wissen aus einer Studie mit Schwerpunkt auf die Homosexualität bezogen. Wir
denken, diese Studie ist geeignet, da zu diesem Thema am meisten geforscht wurde. Es ist anzu-
nehmen, dass die unten aufgezählten Erkenntnisse auf die Entstehung von anderen Formen von
sexuellen Orientierungen hindeuten können. Darin steht, es gibt in Bezug auf die Entstehung von
Homosexualität hauptsächlich zwei Theorien, welche verbreitet sind. Keine der Theorien hat bis
heute die Zustimmung aller Wissenschaftler erhalten. Die meisten Wissenschaftler bleiben dem
Thema gegenüber offen eingestellt. Das bedeutet aber nicht, dass beide dieser Theorien nach An-
sicht der Wissenschaftler gleich wahrscheinlich sind.1

Die erste Theorie lautet, dass ein kleiner Teil von Menschen aus bis heute ungeklärten, natürlichen
Gründen nicht heterosexuell ist. Von sozialen Einflüssen wird dabei weniger ausgegangen.

Die zweite Theorie geht davon aus, dass Homosexualität zu einem gewissen Grad sozial „anste-
ckend“ ist und sich verbreitet, entweder durch sexuelle Rekrutierungen oder durch die moralische
und gesetzliche Lockerung von Regeln, die nicht-heterosexuelle Aktivitäten verbieten.

Bailey et al. glauben, dass wissenschaftliche Erkenntnisse die erste Theorie am ehesten unterstüt-
zen. Es gibt mehrere zuverlässige Tatsachen, welche die Theorie, dass die sexuelle Orientierung
angeboren ist, unterstützen:1

! Menschen, die sich als homosexuell identifizieren, unterscheiden sich im Kindesalter in bemer-
  kenswertem Umfang von Menschen, die sich als heterosexuell identifizieren. Dabei geht es um
  Unterschiede im Geschlechtsverhalten (Kinder, die sich später als homosexuell identifizieren,
  sind lieber unter Kindern vom anderen Geschlecht und zeigen mehr Interesse an Aktivitäten vom
  anderen Geschlecht). Dies wird im Englischen als childhood gender nonconformity bezeichnet.
  Diese Unterschiede tauchen auf, lange bevor die Kinder so etwas wie eine Sexualität entwi-
  ckelt haben. Eine weitere Tatsache ist, dass diese Unterschiede auftreten TROTZ und nicht
  WEIL die Gesellschaft Gendernormen versucht zu erzwingen.

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! Es wurde und wird immer noch versucht, intergeschlechtliche Menschen nach der Geburt körper-
  lich durch Operationen und später auch sozial durch Erziehung in Frauen zu „verwandeln“. Dies
  ist die grösstmögliche soziale Manipulation. Trotzdem haben diese Menschen später heterosexu-
  elle Orientierungen angenommen (was mit grosser Wahrscheinlichkeit auf ein männliches Ge-
  schlecht hinweist).
! Es gibt überzeugende Argumente dafür, dass sexuelle Orientierung durch Vererbung und nicht-
  soziale Umwelteinflüsse beeinflusst wird. Die wenigen evidenzbasierten Daten, die von verschie-
  denen Kulturen und Zeitabschnitten zur Verfügung stehen, sprechen dafür, dass der Anteil an
  nicht-heterosexuellen Menschen nicht mit mehr Toleranz in der Gesellschaft zunimmt. Dass aber
  das Verhalten der Menschen durch soziale Gegebenheiten beeinflusst werden kann.

Wir fügen hier hinzu:

! Homo- und Bisexualität kommt auch bei verschiedensten Naturvölkern vor.2
! Es ist beachtlich, dass bei über 1’500 Tierarten homo- und bisexuelles Verhalten beobachtet
  wird. Es gibt Tierarten, bei denen der Anteil heterosexueller Individuen wesentlich geringer ist als
  beim Menschen.3

Eine Theorie, wie Homosexualität vererbt wird, geht von der Vererbung von Gynäphilie (=Anzie-
hung gegenüber Frauen) und Androphilie (=Anziehung gegenüber Männern) aus. Dabei würde der
heterosexuelle Vater bei homosexuellen Frauen seine Gene, die die Anziehung gegenüber Frauen
codieren, an seine Tochter weitervererben. Bei homosexuellen Männern wäre es umgekehrt die
Mutter.4

14. Wie häufig kommen die unterschiedlichen sexuellen
Orientierungen in der Bevölkerung vor?
Die viel zitierten 10% Homosexuellen der Kinsey Reports der 1950er Jahre stimmen nicht mehr mit
dem heutigen Stand der Sexualforschung überein. Deswegen schätzen aber auch noch heute
viele Menschen den Anteil homosexueller Menschen als zu hoch ein. Dabei sind die Ergebnisse
dieser Studie an und für sich schon korrekt. Jedoch geht es um die Definition von Homosexualität,
die bei den Kinsey Reports eher „locker“ gewählt wurde. Wir erklären weiter unter, warum die 10%
überholt sind, doch als erstes wollen wir noch auf Schwierigkeiten eingehen, die sich bei oben ge-
nannter Fragestellung ergeben.

Die Frage, wie viele Menschen die sexuelle Orientierung xy haben, ist wesentlich schwieriger zu
beantworten als zum Beispiel die Frage „Wie viele Menschen leben in der Schweiz?“. Denn zu den
sexuellen Vorlieben der Menschen gibt es kein offizielles Register. Bailey et al. schreiben, es ist
unmöglich, hierzu genaue Zahlen zu nennen. Dafür sind mehrere Gründe verantwortlich:1

! Dadurch, dass sich sexuelle Orientierung wie oben beschrieben aus mehreren Phänomenen zu-
  sammensetzt, erhält man je nachdem, auf welches man sich bezieht, unterschiedliche Ergeb-
  nisse. Zum Beispiel können Menschen, die sich als heterosexuell identifizieren, trotzdem gleich-
  geschlechtlichen Sex haben und gleichgeschlechtliche Anziehung haben (diese Unterschiede
  sind bei Befragungen eine Realität).
! Die verschiedenen Phänomene, die mit sexueller Orientierung zusammenhängen, können sich
  während des Lebens ändern. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Momentaufnahme einer Stu-
  die für das ganze Leben eines Menschen sprechen kann. Zum Beispiel ist der Prozentsatz der
  Menschen, die ein Mal im Leben homosexuellen Sex hatten, grösser als jener der Menschen, die

Queere Begriffe erklärt                           12                                        Version 2021
im letzten Jahr homosexuellen Sex hatten, welche wiederum einen höheren Prozentsatz ausma-
  chen als jene, die in ihrem Leben ausschliesslich homosexuellen Sex hatten.
! Sexuelle Minderheiten bleiben selbst in den liberalsten Ländern stigmatisiert, weswegen Men-
  schen bei Befragungen verfälscht tiefe Werte für nicht-heterosexuelle Orientierungen angeben.
! Nicht-heterosexuelle Orientierungen, insbesondere in Bezug auf die Identität und Anziehung,
  sind selten, weshalb präzise Ergebnisse umso grössere Stichproben erfordern, was Studien
  teuer und schwierig zu überblicken macht.

Weil es dazu noch nicht genügend statistischen Erhebungen gibt, können wir leider keine Angaben
zum Anteil pansexueller und asexueller Menschen in der Bevölkerung machen. Es ist eine Tatsa-
che, dass diese sexuellen Orientierungen von wissenschaftlicher Seite her noch zu wenig Auf-
merksamkeit erhalten haben.2 Es beliebt zu hoffen, dass sich dies in der Zukunft noch ändert. Die
unten genannten 1.1% der Menschen, die bei einer Studie im Jahr 2014 „kann mich homosexuell,
bisexuell und heterosexuell nicht zuordnen“ oder „keine Ahnung“ angegeben haben, könnten ein
Hinweis auf die sexuellen Orientierungen pansexueller, asexueller oder auch „questioning“ Men-
schen sein.

Studien, welche sich mit der Häufigkeit von homosexuellen, bisexuellen und heterosexuellen Men-
schen befasst haben, gibt es jedoch ausreichend und die Ergebnisse der Studien stimmen mehr-
heitlich überein. Zu diesem Schluss kommt eine Studie aus dem Jahr 2011:3

                                                                 Die Ergebnisse mehrerer Studien zu der
                                                                 sexuellen Orientierung der Bevölkerung   3

Es wurden bei der Auswertung der Studien keine Unterschiede in Bezug auf Ort und Zeit festge-
stellt. Die einzige seriöse nicht-westliche Studie aus dem Jahr 2013, die das Forschungsteam ein-
beziehen konnte, stimmt auch mit den Ergebnissen überein.

Eine weitere grosse Studie wurde 2014 veröffentlicht. Dabei wurden 34’577 Amerikaner*innen be-
fragt. Die Ergebnisse ergaben 96.6% heterosexuelle, 1.6% homosexuelle und 0.7% bisexuelle
Menschen. Weitere 1.1% gaben an, sich nirgendwo zuordnen zu können oder die Antwort nicht zu
wissen.

Queere Begriffe erklärt                         13                                             Version 2021
Es muss dazu gesagt werden, dass diese neuen Studien von der älteren Kinsey Studie mit den
10% Homosexuellen abweichen, denn es wurden nur Menschen als homo- oder bisexuell gezählt,
wenn sie sich so identifizieren. Zwar definieren wir die sexuelle Orientierung über die sexuelle An-
ziehung, jedoch erhalten wir so zu hohe Zahlen. Die Häufigkeit beim homosexuellen Verhalten der
Menschen sind auch weit unterhalb von 10%. Auch ist es wahrscheinlicher, dass jemand anhand
seiner sexuellen Identität lebt und dies über einen längeren Zeitraum. Wissenschaftler sagen des-
halb, um die sexuelle Orientierung der Menschen zu messen, sollte man sie nach deren sexueller
Identität befragen.

Bei den Studien war auffallend, dass Frauen eher zur Bisexualität, Männer eher zur Homosexuali-
tät neigen. Bailey et al. schreiben weiter, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung
eine Minderheit sind und es keinen Grund zur Annahme gibt, dass ihre Häufigkeit sich ortsabhän-
gig oder im Laufe der Zeit verändert (hat).

Queere Begriffe erklärt                          14                                       Version 2021
15. Was ist Geschlecht?
Der Duden definiert das Geschlecht folgendermassen:

„Gesamtheit der Merkmale, wonach ein Lebewesen in Bezug auf seine Funktion bei der Fortpflan-
zung meist eindeutig als männlich oder weiblich zu bestimmen ist.“1

Diese Definition ist nicht so leicht verständlich. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass mehrere Aus-
sagen auf einmal gemacht werden. Deswegen wollen wir die Kernaussagen dieser Definition noch
einmal getrennt anschauen:

! Das Geschlecht wird anhand von Merkmalen bestimmt
! Geschlecht hat die Funktion der Fortpflanzung
! Ein Lebewesen ist meist eindeutig männlich oder weiblich

Weil wir ein queerer Verein sind und uns deswegen auch für geschlechtliche Minderheiten einset-
zen, stellen wir uns in Bezug auf oben genannte Punkte aber folgende Fragen:

Punkt 1: Welche Merkmale bestimmen unser Geschlecht? Wer darf überhaupt unser Geschlecht
bestimmen? Und wird unser Geschlecht immer richtig bestimmt? (Siehe Kapitel 18)

Punkt 2: Was kann Geschlecht für einen Menschen sonst noch bedeuten ausser seine Fortpflan-
zungsfähigkeit? (Siehe Kapitel 16)

Punkt 3: Welches Geschlecht hat dann ein Mensch, der weder eindeutig männlich noch weiblich
ist? (Siehe Kapitel 17 und 18)

Diese und weitere Fragen versuchen wir mit den folgenden Kapiteln über das Geschlecht zu be-
antworten.

16. Was bedeutet Geschlecht für einen Menschen?
Wie oben schon das Duden definiert hat, dient Geschlecht der Fortpflanzung. Doch lässt sich ein
Mensch auf die Keimzellen, die er produziert, reduzieren? Was ist mit Menschen, die keine Kinder
bekommen können oder haben wollen? Was ist mit queeren Menschen, denen der Kinderwunsch
mit dem/r gleichgeschlechtlichen Partner*in eventuell verwehrt bleibt? Ausserdem gibt es Men-
schen, bei denen die Frage nach dem Geschlecht nicht so einfach zu beantworten ist resp. die von
der etablierten entweder-Frau-oder-Mann-Unterscheidung abweichen (siehe nächstes Kapitel). All
diese Menschen haben aber auch ein Geschlecht.

Unser Geschlecht erhalten wir von unseren Eltern. Deswegen ist es so etwas wie unsere Haar-
farbe oder die Grösse unserer Hände: Wir werden damit geboren. Es ist also etwas, das wir uns
nicht ausgesucht haben, sondern das angeboren ist und uns zugeteilt wurde.

Wir können das eigene Geschlecht als eine Gelegenheit sehen, bestimmte Dinge tun zu können,
die dem anderen Geschlecht vielleicht eher verwehrt bleiben. Umgekehrt kann das Geschlecht für
einen aber auch eine Einschränkung bedeuten. Es können positive und negative Gefühle mit dem
eigenen Geschlecht im Zusammenhang stehen. Es kann auch der Wunsch entstehen, einmal in

Queere Begriffe erklärt                          15                                        Version 2021
die Rolle des anderen Geschlechts zu schlüpfen oder die Grenzen des eigenen Geschlechts aus-
zukundschaften. Eine besondere Herausforderung kann das eigene Geschlecht für Menschen
sein, die nicht cisgender sind. Die Gefühle und Erwartungen, die man dem eigenen Geschlecht
entgegenbringt, haben auch soziokulturelle Hintergründe (siehe Kapitel 6). Für die meisten Men-
schen ist das eigene Geschlecht ein zentraler Bestandteil ihrer Identität.

Unsere Umwelt schätzt uns anhand von unserem Geschlecht ein. Es ist eines unserer auffallends-
ten und wichtigsten Merkmale. Überall muss man in Formularen angeben, ob man männlich oder
weiblich ist. Die Gesellschaft hat bestimmte Erwartungen an die Geschlechter, was das Einneh-
men der jeweils zugeteilten Rolle angeht. In der Familie kann es für einen Mann zum Beispiel be-
deuten, dass er in der Rolle des Beschützers auftritt und stark sein muss. Für eine Frau kann es
bedeuten, dass sie einen BH trägt. Dies sind nur Beispiele, aber genau darum geht es. Die Erwar-
tungen, die die Gesellschaft an uns hat, haben wir auch an uns, damit wir uns als Frau oder als
Mann integrieren können. Entsprechend kann es für transgender Menschen schwieriger sein, sich
zu integrieren. Es kann zum Beispiel schwieriger sein, eine Anstellung zu finden.

Stefanie Hetjens, ehemalige Präsidentin des Schweizer Vereins für transgender Menschen
(TGNS), hat dazu ein spannendes Video auf Youtube hochgeladen:1

Weitere Beispiele für die Bedeutung des Geschlechts können sein: Im Mannschafts- und Leis-
tungssport sowie auf öffentlichen Toiletten werden Männer und Frauen getrennt. Männer tendieren
eher dazu, einen männlichen Freundeskreis auszuwählen, Frauen eher einen weiblichen Freun-
deskreis. Die Körper von Männern und Frauen sind von Grund auf verschieden. Die meisten Men-
schen sind heterosexuell, weshalb vor allem das Geschlecht die sexuelle Orientierung bestimmt.
Männer verdienen mehr als Frauen. Frauen haben ganze Abteilungen in Einkaufszentren für
Pflege- und Schönheitsartikel. Die Liste könnte man immer weiter fortführen…

Diese Beispiele zeigen, dass die Gesellschaft darauf basiert, Menschen in die zwei Kategorien
Frau/Mann zu unterteilen, wobei jene Menschen benachteiligt werden, die entweder nicht in dieses
binäre Muster passen oder die transgender sind. Lese dazu gleich mehr.

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17. Welche spezifischen Geschlechter gibt es?
Es ist schwierig bis unmöglich, eine einzige korrekte Liste der existierenden Geschlechter zu er-
stellen. Es gibt wahrscheinlich so viele Geschlechtsidentitäten, wie es Menschen gibt. Eine mögli-
che Liste könnte lauten: männlich, weiblich, transgender, genderneutral, nichtbinär, agender, pan-
gender, genderqueer, two-spirit und third gender.1 Es kann auch zu einer Kombination der ver-
schiedenen Geschlechter kommen. Es kann auch sein, dass sich jemand als „questioning“ identifi-
ziert (siehe Kapitel 5). Unser Ziel hier ist weniger, eine komplette Liste vorzulegen - was aus den
oben genannten Gründen keinen Sinn macht -, sondern eine Übersicht von bekannten Ge-
schlechtsidentitäten zu geben.

cisgender Menschen

Cisgender ist ein zusammengesetztes Wort. Cis ist Lateinisch und bedeutet „diesseits“, gender ist
Englisch und bedeutet „Geschlecht“. Mit cisgender werden Menschen bezeichnet, deren Ge-
schlecht mit dem ihnen zugewiesenen Geburtsgeschlecht übereinstimmt.2 Damit ist also die über-
wiegende Mehrheit der Bevölkerung gemeint. Man spricht in der Alltagssprache auch einfach von
Frauen und Männern. Cisgender unterteilt sich also eigentlich in zwei Geschlechter. Man spricht
deswegen auch von binären (binary) Geschlechtern.

transgender Menschen

Transgender ist das Gegenteil von Cisgender. Es ist ein zusammengesetztes Wort, welches sich
aus den Wörtern trans (Lateinisch für „gegenüber/hinüber“ oder „auf der anderen Seite“) und gen-
der (Englisch für „Geschlecht“) besteht. Mit transgender werden Menschen bezeichnet, deren Ge-
schlecht nicht mit dem ihnen zugewiesenen Geburtsgeschlecht übereinstimmt.3 Man spricht auch
von einem Transmann resp. Einer Transfrau.

Dabei wird meistens noch zwischen transgender, nichtbinären, genderfluiden und agender Men-
schen unterschieden. Transgender bezieht sich dabei auf Menschen, die entweder männlich oder
weiblich sind. Man spricht deswegen auch von binären (binary) Geschlechtern. Je nach Definition
zählen auch nichtbinäre/genderqueere Menschen zu den transgender Menschen.

Transgender Menschen können sich für geschlechtsangleichende Massnahmen entscheiden. Da-
mit sind Hormontherapien oder Operationen gemeint.4 Dies muss aber nicht der Fall sein, wie wir
im Kapitel 19 erklären.

Der Begriff „transsexuell“ gilt als veraltet, weil er auf eine Pathologisierung hinweist. Damit wird
aber dasselbe gemeint wie mit transgender.

intergeschlechtliche Menschen

Das Wort intergeschlechtlich besteht aus zwei Wörtern. Inter kommt aus dem Lateinischen und be-
deutet „zwischen“ oder „dazwischen“.5 Mit intergeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, deren
Körper bei der Geburt anhand der körperlichen Geschlechtsmerkmale nicht klar als männlich oder
weiblich eingeteilt werden können.6 Es gibt aber auch Arten der Intergeschlechtlichkeit, die erst in
der Pubertät auftreten oder die auch später körperlich nicht sichtbar werden.7

Queere Begriffe erklärt                            17                                         Version 2021
Intergeschlechtliche Menschen können, wie alle Menschen, eine männliche, weibliche, transgen-
der oder nicht-binäre Identität haben.8

Der Begriff „Intersexualität“ gilt als veraltet. Damit ist aber dasselbe gemeint wie mit Interge-
schlechtlichkeit.

nichtbinäre Menschen

Mit nichtbinär, nonbinary oder genderqueer werden Menschen bezeichnet, deren Geschlecht nicht
ausschliesslich männlich oder weiblich ist. Das bedeutet, dass eine nichtbinäre Person zugleich
männlich und weiblich ist oder sich stattdessen mit einem dritten Geschlecht identifiziert.9

genderfluide Menschen

Genderfluid ist ein zusammengesetztes Wort. Gender ist das englische Wort für „Geschlecht“ und
mit fluid, also „flüssig“/„fliessend“ ist gemeint, dass das Geschlecht wechseln kann. Dabei kann
das Geschlecht von genderfluiden Menschen zum Beispiel binär, das heisst männlich oder weib-
lich, nichtbinär oder agender sein und sich zeitlich oder situationsbedingt ändern.10

agender Menschen

Mit Agender (a für „kein/ohne“ und gender für „Geschlecht“) oder auch genderless, genderneutral,
neuter oder neutrois werden Menschen bezeichnet, die kein Geschlecht haben, sich keinem Ge-
schlecht zugehörig fühlen oder mit dem Konzept vom Geschlecht nichts anfangen können.11

18. Wie entsteht Geschlecht?
Das Geschlecht eines Menschen wird in erster Linie durch seine Gene, genauer gesagt durch
seine Geschlechtschromosomen, bestimmt. Damit entscheidet sich das Geschlecht in den meisten
Fällen bereits bei der Befruchtung der Eizelle mit einer Samenzelle. Die neu entstandene Zelle
(Zygote) erhält von der Mutter ein „X“ Geschlechtschromosom und vom Vater ein „X“ oder „Y“ Ge-
schlechtschromosom. Daraus entwickelt sich eine Frau (XX) oder ein Mann (XY).1 Eine solche
klare Abgrenzung (in entweder Frau oder Mann) ist in dem meisten Fällen anhand der Ge-
schlechtschromosomen gegeben. Man spricht dabei auch von cisgender Menschen. Es gibt aber
auch Ausnahmen, was wir im übernächsten Textabschnitt erklären.

Es gibt viele Merkmale, bei denen sich Frauen von Männern körperlich unterscheiden: Körper-
grösse und Körperproportionen, Gewicht, Skelett, Muskelmasse und Kraft, Fettmasse, Atmungs-
system, Haut und Haare, Fruchtbarkeit, Geschlechtsorgane, Gehirn, Kehlkopf, Immunsystem,
Prostata, Brust, etc.2

So einfach ist die Frage nach dem Geschlecht aber nicht bei allen Menschen gelöst. Es gibt auch
Menschen, die auf die Welt kommen, ohne klare Geschlechtsmerkmale in die eine oder andere
Richtung (weiblich oder männlich) zu haben. Diese Menschen bezeichnet man als intergeschlecht-
lich (englisch „intersex“). Warum der Körper von intergeschlechtlichen Menschen weder klar männ-
lich noch klar weiblich ist, kann verschiedene Gründe haben wie zum Beispiel unklare Ge-
schlechtsmerkmale in Bezug auf Chromosomen, Keimdrüsen, Sexualhormone oder die Genita-
lien.3, 4

Queere Begriffe erklärt                            18                                         Version 2021
Es gibt eine weitere Gruppe von Menschen, bei denen das Geschlecht bei der Geburt nicht einfach
an den Geschlechtsmerkmalen „abgelesen“ werden kann. Gemeint sind Menschen, deren Ge-
schlecht vom zugewiesenen Geburtsgeschlecht abweicht. Das können transgender, nichtbinäre,
genderfluide oder agender Menschen sein, um mögliche Beispiele zu nennen. Dabei wird das Ge-
fühl dieser Menschen manchmal auch als „im falschen Körper geboren“ beschrieben. Diese Be-
zeichnung hat aber einen negativen Beiklang und ist an und für sich in Bezug auf den Körper nicht
korrekt. Denn auch unser Gehirn hat bereits ab dem Zeitpunkt unserer Geburt ein Geschlecht. Die-
ses kann vom restlichen äusserlich sichtbaren Körpergeschlecht abweichen. Ein Grund dafür kann
sein, dass sich das Gehirn und die Genitalien während der Schwangerschaft nicht zur gleichen
Zeit entwickeln, so dass bei Schwankungen im Testosteronspiegel oder bei Unempfindlichkeit der
Rezeptoren auf das Sexualhormon ein Embryo männliche Genitalien entwickelt und bei einer spä-
teren Senkung des Testosteronspiegels eine Hirnfeminisierung stattfindet (hier das Beispiel einer
Transfrau).5, 6

Weil intergeschlechtliche und transgender Menschen physiologische, anatomische und messbare
Unterschiede zu cisgender Menschen aufweisen, wird von Experten empfohlen, beide Phänomene
zusammen unter dem Begriff Varianten der Geschlechtsentwicklung zusammenzufassen. So
könnte verhindert werden, dass Transgeschlechtlichkeit als rein psychologische Identität betrachtet
wird, die man sich aussuchen kann.4 Es ist von betroffenen Menschen und ihrer Community der
Wunsch vorhanden, dass diese Varianten der Geschlechtsabweichung nicht als Krankheiten be-
trachtet werden. Denn nur weil ein Mensch transgeschlechtlich oder intergeschlechtlich ist, ist er
nicht zwangsläufig benachteiligt oder behandlungsbedürftig.6, 7

Somit stellt sich für uns die Frage: Wer darf überhaupt unser Geschlecht bestimmen? Wir glauben,
die ärztliche Beurteilung bei der Geburt und der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister
sind ein Eingriff in unsere Freiheit. Gerade, wenn das Geschlecht nach den äusseren Merkmalen
nicht beurteilt werden kann, ist dies besonders fatal. Im Falle von intergeschlechtlichen Personen
sollten keine Geschlechtsanpassungen gemacht werden dürfen, ohne dass die betroffene Person
das selber entscheiden kann. Diese Verstümmelungen an Kleinkindern werden von medizinischen
und juristischen Expert*innen und Organisationen für intergeschlechtliche Menschen scharf kriti-
siert.6, 7 Das letzte Wort zum eigenen Geschlecht sollte jeder Mensch selber haben. Zum einen,
weil die ärztliche Beurteilung nicht immer korrekt ist. Zum anderen, weil ein Mensch durch die
fremdbestimmte Zuteilung zu einem Geschlecht in seiner freien Entfaltung unnötig eingeschränkt
wird. Wir haben in diesem Kapitel beschrieben, dass das Geschlecht etwas Komplexes ist, dass
sich aus verschiedenen Faktoren zusammensetzt und nicht immer einfach in A oder B eingeteilt
werden kann oder muss. Dann gibt es ja noch jene Menschen, die sich keinem Geschlecht oder
mehreren Geschlechtern zugehörig fühlen oder die sich in Bezug auf ihr Geschlecht nicht festle-
gen wollen. Bei der Wahl des eigenen Geschlechts sollten einem Menschen keine Steine in den
Weg gelegt werden.

Psychologische Tests wie zum Beispiel jene für die Diagnose Gender Dysphoria pathologisieren
und psychologisieren das Geschlecht eines Menschen unnötig, stellen für Betroffene ein grosses
Hindernis dar, sind ermüdend und erniedrigend.6 Ausserdem werden sie dem Menschen als Gan-
zes nicht gerecht.8

Bei den Tieren kommt Zwittrigkeit übrigens auch vor. Es gibt sogar Tierarten, welche ihr Ge-
schlecht abhängig von den Umwelteinflüssen anpassen können. Dazu gibt es unzählige Beispiele.
Wenn es dich interessiert, kannst du es im Internet nachschauen oder folgende Links besuchen.9,
10

Queere Begriffe erklärt                         19                                       Version 2021
19. Wie häufig kommen die unterschiedlichen Ge-
schlechter in der Bevölkerung vor?
Im Kapitel 14 haben wir uns bereits mit der Frage beschäftigt, wie oft die verschiedenen sexuellen
Orientierungen in der Bevölkerung vorkommen. Wie auch dort gibt es hier einige Schwierigkeiten
bei der Beantwortung der oben genannten Fragestellung:

! Wie definiert man die einzelnen Geschlechter? Ab wann gilt jemand zum Beispiel als transge-
  schlechtlich? Studien verwenden verschiedene Daten aus der Bevölkerung, wie zum Beispiel die
  Anzahl durchgeführter geschlechtsangleichender Hormontherapien und Operationen, psycholo-
  gische Diagnosenstellungen einer Gender Dysphoria (Unzufriedenheit mit dem eigenen Ge-
  schlecht also der Wunsch nach einem „Geschlechtswechsel“) oder Befragungen der Bevölke-
  rung nach deren Geschlechtsidentität. Die von uns verwendete Metaanalyse hat Ergebnisse aus
  Studien mit all diesen Messinstrumenten versucht zu vergleichen. Im Idealfall würde man jedoch
  standardisierte Studien verwenden, stünden sie zur Verfügung.1
! Geschlechtliche Minderheiten bleiben selbst in den liberalsten Ländern stigmatisiert, weswegen
  Personen bei Befragungen über ihre Geschlechtsidentität verfälscht tiefe Werte für nicht-cisgen-
  der Geschlechter angeben.
! Der Anteil der nicht-cisgender Menschen an der Gesamtbevölkerung ist sehr klein. Folglich ist es
  schwierig, verlässliche Zahlen zu erhalten. Präzise Ergebnisse erfordern umso grössere Stich-
  proben, was entsprechende Studien teuer und schwierig zu überblicken macht.

Wir werden uns für eine Schätzung zur Häufigkeit der verschiedenen Geschlechter nur auf Befra-
gungen nach der Geschlechtsidentität konzentrieren, mit Ausnahme der Intergeschlechtlichkeit, bei
der sie sich leichter durch medizinische Beurteilungen herausfinden lässt. Der Grund dafür ist,
dass geschlechtsangleichende Massnahmen (Hormontherapien und Operationen) unserer Mei-
nung nach keine Bedingung sind, damit ein Mensch als z. B. als transgender gilt. Das gleiche gilt
auch für psychologische Diagnosen, die Transgeschlechtlichkeit als solches nicht nur pathologisie-
ren und psychologisieren, sondern oftmals für Betroffene ein grosses Hindernis darstellen, für
Menschen in „Behandlung“ ermüdend und erniedrigend sind und dem Menschen als Ganzes nicht
gerecht werden können.2 Deswegen überrascht es nicht, dass man von allen drei Kategorien
(Identität/Diagnosen/Therapien) bei den Befragungen nach der Geschlechtsidentität die höchsten
Zahlen für die Häufigkeit von nicht-cisgender Menschen erhält. Bei Studien zur Häufigkeit der Än-
derung vom Geschlechtseintrag oder Namensänderungen im Personenstandsregister sind die
Häufigkeiten ausserdem auch wesentlich geringer.1

Diese Studien drehten sich hauptsächlich um die Frage, ob jemand cis- oder transgender ist. Es
gibt in den Resultaten auch Hinweise auf nichtbinäre, genderfluide und agender Menschen. Deren
Häufigkeit zu schätzen dürfte aber mangels aussagekräftiger Studien noch schwieriger zu schät-
zen und die Schätzungen noch ungenauer sein.

Unsere gewählte Metaanalyse aus dem Jahr 2016 hat sechs frühere Studien berücksichtigen kön-
nen. Im Vergleich der Studien erhält man ziemlich unterschiedliche Häufigkeiten von 0.1 bis 0.8
Prozent für transgeschlechtliche Menschen.

Eine Schätzung über den Anteil an cisgender Menschen zu machen ist ähnlich schwierig. Jedoch
kann man anhand der obigen und unteren Daten davon ausgehen, dass sie etwa 96% bis 99% der
Gesamtbevölkerung ausmachen.

Queere Begriffe erklärt                         20                                       Version 2021
Wie häufig Intergeschlechtlichkeit auftritt, kommt darauf an, wie man sie definiert. Dies macht es
zusätzlich schwierig, hierzu Zahlen zu nennen.3 Es gibt verschiedene Faktoren, mit denen be-
stimmt wird, ob jemand intergeschlechtlich ist. Nach heutigem Wissensstand beträgt der Anteil von
intergeschlechtlichen Menschen an der Gesamtbevölkerung etwa 1.7%. Nimmt man z. B. nur un-
klare Genitalien als Indikator, erhält man eine Häufigkeit von 0.06%.4 Es gibt viele Menschen, die
nicht wissen, dass sie intergeschlechtlich sind, weil sie keine entsprechende Diagnose erhalten ha-
ben.

20. Transvestitismus
In diesem Zusammenhang wird auch von Transvestit*in oder Cross-Dresser*in resp. Cross-Dres-
sing gesprochen. Der Begriff Transvestit*in gilt jedoch als veraltet. Es wird heute eher der moder-
nere Begriff Cross-Dressing verwendet.1

Cross-Dressing wird in manchen Kulturen auch aus religiösen, traditionellen oder zeremoniellen
Gründen praktiziert.1, 2

Wir behandeln diesen Begriff hier auch, weil er nicht mit dem weiter oben erklärten Begriff „trans-
gender“ vertauscht werden sollte. Transvestitismus besteht aus den Wörtern trans, was Lateinisch
ist für „gegenüber/hinüber“ und vestitus für „Kleiden“. Also ist damit das „Hinüber-kleiden“ gemeint.
Im Kontext bedeutet es, dass sich eine Frau als Mann kleidet oder ein Mann als Frau. Es wird da-
bei das typisch Männliche resp. Weibliche Äussere betont. Es kann aber auch das geschlechtstypi-
sche Verhalten miteinschliessen. Mehr zum geschlechtstypischen Verhalten findest du im Kapitel 6
und 16.

Mit Cross-Dressing verwandt sind auch die Begriffe „Drag“ resp. Dragqueen oder Dragking. Damit
sind Menschen gemeint, die Weiblichkeit resp. Männlichkeit spielen. Auch dort wird Cross-Dres-
sing angewandt.2

Im Theater gibt es zusätzlich noch den Begriff Travesti (-Künstler*in). Früher wurde es Frauen zum
Teil verboten, in Theaterstücken zu spielen, weswegen Männer die Frauenrollen übernommen ha-
ben.3 Es können aber auch heute noch Frauen Männerrollen spielen und umgekehrt.

                                                      Indem man sich wie das andere Geschlecht
                                                      kleidet, hat man die Möglichkeit, aus seiner ge-
                                                      wohnten Rolle als Frau oder Mann hinauszuge-
                                                      hen. Vielleicht fühlt man sich in dieser Kleidung
                                                      auch einfach wohl, man will etwas anderes aus-
                                                      probieren oder damit Menschen unterhalten (z.
                                                      B. mit Drag-Shows oder im Theater). Marie-
                                                      Thérèse Porchet ist ein gutes Beispiel dafür:1

Queere Begriffe erklärt                          21                                          Version 2021
21. Flaggen und Symbole

 Name                     Flagge/Symbol   Bedeutung der Farben

 Regenbogenflagge                         Vielfalt von Lebensformen

 Lesben-Flagge

 Homosexualität-Symbol
 (Frauen)

 Homosexualität-Symbol
 (Männer)

 Bisexuellen-Flagge                       ! Blau -> Heterosexualität
                                          ! Pink -> Homosexualität
                                          ! Lila -> Bisexualität

Queere Begriffe erklärt             22                           Version 2021
Name                     Flagge/Symbol   Bedeutung der Farben

 Pansexuellen-Flagge                      ! Magenta -> Anziehung ge-
                                            genüber (trans-)Frauen
                                          ! Gelb -> Anziehung gegen-
                                            über (trans-)Männern
                                          ! Cyan -> Anziehung gegen-
                                            über nichtbinären Menschen

 Pansexuellen-Symbol

 Asexuellen-Flagge                        ! Schwarz -> Asexualität
                                          ! Grau -> Spektrum zwischen
                                            Sexualität und Asexualität
                                          ! Weiss -> Sexualität
                                          ! Violett -> Gemeinschaft

 Transgender-Flagge                       ! Hellblau -> männlich
                                          ! Rosa -> weiblich
                                          ! Weiss -> intergeschlechtli-
                                            che, transgender, nichtbi-
                                            näre und agender Menschen

 Transgender-Symbol

Queere Begriffe erklärt             23                        Version 2021
Name                     Flagge/Symbol   Bedeutung der Farben

 Intergeschlechtlichen-                   !   Gelb und Violett -> ungeschlechtliche

 Flagge                                       Farben
                                          !   der violette Kreis -> die Unversehrtheit,
                                              das Ungebrochene, das „Schnörkel-
                                              lose/Unbeschmückte“, die Ganzheit
                                              und die Potentiale von intergeschlecht-
                                              lichen Menschen

 Intergeschlechtlichen-
 Symbol

 Nonbinary-Flagge                         ! Gelb -> ausserhalb der binären
                                            Geschlechtsvorstellung
                                          ! Weiss -> mehrere oder alle
                                            Geschlechter
                                          ! Violett -> männlich-weibliches
                                            Geschlecht
                                          ! Schwarz -> kein Geschlecht

 Genderfluid-Flagge                       ! Pink -> Weiblichkeit
                                          ! Blau -> Männlichkeit
                                          ! Violett -> Weiblichkeit und
                                            Männlichkeit
                                          ! Schwarz -> Geschlechtslo-
                                            sigkeit
                                          ! Weiss -> alle Geschlechter

 Agender-Flagge                           ! Weiss und Schwarz -> Ge-
                                            schlechtslosigkeit
                                          ! Grau -> Spektrum zwischen
                                            Geschlechtszugehörigkeit
                                            und Geschlechtslosigkeit
                                          ! Grün -> nichtbinär

Queere Begriffe erklärt             24                                    Version 2021
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