Ratgeber Trauer Hansjörg Znoj - Amazon AWS

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Ratgeber Trauer Hansjörg Znoj - Amazon AWS
Hansjörg Znoj   Ratgeber
                Trauer
                Informationen für Betroffene
                und Angehörige

                2., überarbeitete Auflage
Ratgeber Trauer

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.
                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie
           Band 7

           Ratgeber Trauer
           Prof. Dr. Hansjörg Znoj

           Herausgeber der Reihe:
           Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln,
           Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

           Begründer der Reihe:
           Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

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                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
Hansjörg Znoj

        Ratgeber
        Trauer
        Informationen für Betroffene
        und Angehörige

        2., überarbeitete Auflage

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.
                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
Prof. Dr. Hansjörg Znoj, geb. 1957. 1980–1987 Studium der Psychologie in Bern. 1984–1993 Wissenschaft­
           licher Mitarbeiter in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. 1992 Promotion. 1993–1996
           Postdoc an der University of California, San Francisco (UCSF). 2001 Habilitation. Seit 2006 außerordentli­
           cher Professor für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der Universität Bern. Arbeitsschwer­
           punkte: Psychotherapieforschung, Emotionsregulation, Umgang mit kritischen Lebensereignissen.

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           Satz: Michael Kleine, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
           Format: PDF

           2., überarbeitete Auflage 2021
           © 2005 und 2021 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
           (E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2976-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2976-3)
           ISBN 978-3-8017-2976-9
           https://doi.org/10.1026/02976-000

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                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
Inhalt

        Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    7

        1           „Trauer“ – was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9
        1.1         Wie äußert sich Trauer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9
        1.2         Wer trauert wie und weshalb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12
        1.3         Wie entwickelt sich der Zustand der Trauer weiter? . . . . . . . . . . . . . . . . .  13
        1.4         Wie wirkt Trauer auf andere? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19

        2           Wie entsteht eine Trauerstörung und warum geht das Leiden
                    nicht von allein weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  23
        2.1         Der normale Verlauf der Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                         23
        2.2         Die Trauerarbeit erschwerende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                   25
        2.3         Die Entstehung der anhaltenden Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                  28
        2.4         Das Aufschaukelungsmodell der anhaltenden Trauer . . . . . . . . . . . . . . .                                                 29
        2.5         Leide ich an einer anhaltenden Trauerreaktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                         31
        2.6         Wann sollten Sie Hilfe beanspruchen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                 32
        2.7         Symptome der anhaltenden Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                33

        3           Was kann man dagegen tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            35
        3.1         Die Phasen der Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  35
        3.1.1       Der Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         35
        3.1.2       Aufbrechende Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   37
        3.1.3       Neuorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              39
        3.2         Wann ist eine Behandlung sinnvoll? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                               44
        3.3         Wie sieht die Behandlung aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                          44
        3.4         Was kann ich selbst dazu beitragen, den Trauerprozess
                    gut zu bewältigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               48
        3.5         Eine unverarbeitete Trauer – Die Geschichte des Herrn O. . . . . . . . . . . .                                                 49
        3.6         Ausblick – Der Verlust macht nicht immer Sinn! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                         52

        Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     54
        Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    54
        Beratungsangebote und Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                       56
        Arbeitsblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       61

                                                                                                                                                    5

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                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
Vorwort

        Wenn wir trauern, fühlen wir uns erst mal alleingelassen und verzweifelt. Das
        letzte, was wir brauchen, sind Menschen, die uns trösten wollen, obwohl wir
        uns gerade in diesem Moment nach Trost sehnen. Das Gefühl, verlassen wor­
        den zu sein, die fehlende Möglichkeit, sich mit seinem Partner1, Elternteil,
        Geschwister oder gar dem eigenen Kind austauschen zu können, tut weh und
        hinterlässt eine riesige Lücke. Oft kommen uns die Rituale, welche die Ge­
        sellschaft (Kirche, Staat, Bekannte) bereitstellt, den oder die Verstorbene zu
        verabschieden, ungenügend und sinnentleert vor. Aber auch die gut gemein­
        ten Ratschläge, wie „das Leben geht weiter“, oder reale Hilfsangebote schei­
        nen uns unnötig, schmerzen und lösen manchmal sogar aggressive Gefühle
        aus. Die eigene Trauer – so scheint es – ist kaum mitteilbar, sie ist einzigartig
        und fühlt sich auch gar nicht so an, wie sich Trauer anfühlen sollte. Darüber
        hinaus realisieren wir, dass andere Menschen nicht wirklich wissen wollen,
        wie es uns geht. Oder wir sehen, dass sie schmerzlich berührt sind und ver­
        zichten darauf, sie mit unserer Trauer zu belasten. Manchmal entschuldigen
        wir uns sogar für unseren Zustand. Oftmals empfinden wir gar nichts, sind
        gegenüber unseren eigenen und den Gefühlen anderer Menschen taub oder
        der Schmerz teilt sich roher mit, als wir erwartet haben. Oder wir werden von
        einer großen Unruhe gepackt. Auch das Gegenteil kann eintreffen, eine große
        Lethargie, die alles unendlich mühsam macht, die notwendigen Arbeiten er­
        schwert und verhindert, dass wir die Voraussetzungen schaffen, neu anzufan­
        gen. Trauer kann einen chronischen Zustand annehmen – wir sprechen dann
        von einer komplizierten oder anhaltenden Trauer.
        Der vorliegende aktualisierte Ratgeber soll Betroffenen und Angehörigen die
        notwendigen Informationen vermitteln, welche Bandbreite die Trauer haben
        kann und wann es angezeigt ist, professionelle Hilfe aufzusuchen. Dieser Rat-

        1 Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird im Text in der Regel das generische Maskulinum
          verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die
          verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

                                                                                                                           7

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                          Aus H. Znoj: Ratgeber Trauer (ISBN 9783840929762) © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen.
geber ist für alle geschrieben, die entweder selbst direkt betroffen sind oder
           sich Sorgen um jemanden machen, der eine wichtige Bezugsperson verloren
           hat.

           Bern, September 2020                                                                                  H. J. Znoj

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1             „Trauer“ – was ist das?

                      Wenn uns unvermutet eine Person wegstirbt, deren innige und verständige Teil-
                           nahme uns von Jugend an begleitete, deren ununterbrochene Neigung uns
                      gleichsam eine stille Bürgschaft für ein dauerndes Wohlergehen geworden war,
                                             so ist es immer, als stockte plötzlich unser eigenes Leben.

                                                                     Eduard Mörike (1804 – 1875), dt. Dichter

        Trauer ist kein Gefühl! Das mag zunächst etwas seltsam anmuten, denn wir
        alle kennen das Gefühl von Traurigkeit, wir alle kennen die Tränen, die da­
        zugehören. Diejenigen unter uns, die schon einen geliebten Menschen verlo­
        ren haben, wissen aber auch, dass sich die Trauer ganz anders äußern kann.
        So gibt es Phasen nach dem Ereignis, in denen überhaupt keine Gefühle mehr
        vorkommen, oder es gibt Zustände, in denen wir vor lauter Wut oder Bitter­
        keit das Glück anderer Menschen verwünschen, oder Momente, in denen wir
        plötzlich überwältigt werden und das Gefühl haben, durchzudrehen. Trauer
        oder sich in Trauer befinden ist ein Zustand, der uns von anderen Menschen
        trennt und manchmal auch von uns selbst. Trauer verläuft nicht nach einem
        bestimmten Schema, sondern kann sich ganz verschieden äußern.

        1.1           Wie äußert sich Trauer?
        Der Verlust einer nahestehenden Person löst Schmerz, Angst, Gefühle der
        Hilflosigkeit oder Entsetzen aus. Dies steht ganz im Gegensatz zum Bild der
        Trauer, wie es uns oft vermittelt wird. Trauer wird als Bild einer ruhigen Win­
        terlandschaft, eines Bächleins unter einer Eiskruste oder als entblätterter
        Baum umschrieben. Diese Bilder sollen die Kontinuität des Lebens und die
        Trauer als einen Teil des Sterbens und Werdens in der Natur versinnbild­
        lichen. Dieses „Trauern“ ist jedoch ein Mythos, der wenig Raum für indivi­
        duelle Gefühle zulässt.
        Die Trauer dauert oft länger und deren Ausdruck ist vielfältiger als allgemein
        angenommen. Aber die Trauer sollte auch nicht für immer andauern. Der
        Verlust muss einmal akzeptiert werden. Die Trauer beschränkt sich nicht nur

                                                                                                                           9

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auf den Verlust: Es müssen viele Dinge neu organisiert werden, unter Um­
           ständen stellen sich finanzielle Engpässe ein. Vorwürfe im Zusammenhang
           mit der Nachlassregelung können zusätzliche Schwierigkeiten bedeuten.
           Diese Vielzahl von Anforderungen erlaubt oft gar nicht, den verlorenen Men­
           schen richtig zu verabschieden.
           Die emotionale Belastung kann sich als Angst, Wut, Schuld und Trauer äu­
           ßern, und es kommen auch Gefühle emotionaler Leere, Kälte oder Zustände
           von Erleichterung oder Einsamkeit vor. Versuche, diese Gefühle mittels Be­
           täubungsmitteln (Medikamente, Alkohol, Drogen) oder Vermeidungsverhal­
           ten zu regulieren, sind meistens erfolglos oder können zu weiteren Störungen
           oder Einschränkungen führen. Gedankliche Ablenkung kann möglicherweise
           kurzfristig helfen, aber die wiederkehrenden Gefühle oder Bilder rufen den
           Verlust immer wieder ins Bewusstsein. Unrast und ein stetes Gefühl von Hilf­
           losigkeit können zu Überaktivität führen. Die innere Unrast hindert am Schla­
           fen und raubt dem Körper die notwendige Ruhe und Gelassenheit, die zur
           Verarbeitung des Verlustes notwendig wäre. Bei sehr intensiver Trauer kön­
           nen emotionale Regulationsvorgänge nachhaltig gestört werden. Die emoti­
           onale Regulation bewirkt, dass wir uns in sozialen Situationen wohlfühlen
           oder, wenn notwendig, auch emotional erregt zeigen können. Trauernde ver­
           halten sich nicht immer richtig in sozialen Situationen. Das kann sich bei­
           spielsweise darin äußern, in Gesprächen besonders kurz angebunden zu sein
           und damit andere zu verprellen. Langfristig kann dies zu zwischenmensch­
           lichen Schwierigkeiten und psychischen Problemen führen.

           Annahmen und Mythen

           Die wichtigsten (und oft irreführenden) Annahmen, die über die Bewältigung
           von Verlusten herrschen, sind im Folgenden aufgelistet:
           • Einem Verlust schließt sich unvermeidlich eine hohe emotionale Belastung
             an. Das stimmt nicht in allen Fällen: Seien Sie unbesorgt, wenn Sie Ihrem
             Schmerz unmittelbar noch keinen Ausdruck geben können oder wenn Sie
             emotional nicht so tief betroffen sind, wie Sie meinen, sein zu müssen!
           • Das Erleben intensiver emotionaler Belastung und eine depressive Ver­
             stimmung stellt eine notwendige Voraussetzung für den Heilungsprozess
             dar. Fehlt eine solche Reaktion, ist dies ein Zeichen einer krankhaften Ent­
             wicklung. Auch das stimmt so nicht: tatsächlich sind in der ersten Zeit die

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meisten Personen hoch belastet, oft verbunden mit Antriebsschwäche oder
          dem Gefühl, das Leben sei sinnlos geworden. Das Fehlen solcher Symp­
          tome bedeutet aber nicht, dass der Heilungsprozess nicht eingesetzt hat.
        • Nach erfolgter „Trauerarbeit“ kommt es zu einer vollständigen Erholung
          des psychischen Befindens. Trotz abgeschlossenem Trauerprozess ist eine
          vollständige Heilung oft nicht möglich: die verstorbene Person kommt nicht
          mehr wieder. Die Lücke bleibt und sie schmerzt auch nach Jahren noch.
        • Als Ergebnis erfolgreicher Trauerarbeit kann der Verlust nicht nur akzep­
          tiert werden, sondern er bekommt auch eine Bedeutung für das eigene
          Leben. Ein Verlust muss nicht unbedingt eine größere Bedeutung anneh­
          men – diese Forderung ist nicht für alle Personen sinnvoll.

        Viele dieser Annahmen konnten durch die Forschung nicht bestätigt werden;
        sie prägen aber immer noch unser Bild des „richtigen“ Trauerns. Umso wich­
        tiger ist es für Sie als betroffene Person, sich von diesen Mythen nicht beein­
        flussen zu lassen.

        Welche Trauerformen gibt es?

        Im westlichen Kulturkreis können zwei konkurrierende Trauerauffassungen
        gefunden werden. Die kontinuierliche oder „romantische“ Form der Trauer
        besteht gleichwertig neben einer anderen, manchmal auch als „modern“ be­
        zeichneten Art des Trauerns, bei der die Beziehung zur verstorbenen Person
        innerhalb relativ kurzer Zeit (wenige Monate bis höchstens wenige Jahre) auf­
        gelöst wird. In der romantischen Trauer wird die Beziehung zur verstorbenen
        Person nicht aufgelöst, sondern bleibt bestehen. Das bedeutet, dass Sie sich
        nicht unnötig Sorgen machen müssen, wenn Sie auch noch nach Jahren eine
        lebendige Beziehung zu Ihrem verstorbenen Partner, Ihrer Gattin oder An­
        gehörigen pflegen. Viel wichtiger ist, dass Sie sich in Ihren Gefühlen gegen­
        über der verstorbenen Person bewusst sind und dass diese Gefühle nicht mit
        Ihren Lebensplänen in Konflikt stehen.

        Der Verlust eines geliebten Menschen kann sehr unterschiedlich erlebt wer­
        den – bei manchen ist die erste Zeit nach dem Verlust schrecklich verwirrend –,
        dieser Zustand hält jedoch nicht lange an, sondern macht allmählich einer
        gefühlsmäßig klaren Traurigkeit Platz, die das Alltagsleben nur wenig ein­
        schränkt. Bei anderen wird die Trauer weniger als Trauergefühl erlebt. Sol­

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che Menschen ziehen sich vielleicht eher zurück, behalten den Schmerz für
           sich und möchten in ihren privaten Gefühlen nicht belästigt werden. Doch
           manchmal wird aus einer vorübergehenden Trauer eine lang andauernde Be­
           einträchtigung.
           Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die normale Trauerreaktion län­
           ger andauert als bisher angenommen. Menschen mit Partnerverlust leiden
           oft noch nach Jahren, wenn sie an den Verlust denken. Trotz der Unterschied­
           lichkeit der Trauerreaktionen nehmen normalerweise die Intensität, der
           Schmerz und die übrigen Anzeichen der Trauer über die Zeit ab. Langandau­
           ernde oder gar chronische Zustände der Trauer kommen selten vor und wer­
           den in diesem Ratgeber im zweiten Kapitel beschrieben. Es handelt sich dabei
           um eine eigentliche psychische Störung, die als solche auch diagnostiziert
           und psychologisch behandelt werden kann. Diese Reaktionen auf einen Ver­
           lust sind in den letzten Jahren genauer untersucht worden. Eine Störung liegt
           in der Regel nur dann vor, wenn weitere körperliche und psychische Symp­
           tome und Beeinträchtigungen auftreten, die mit den Gefühlen von Trauer in
           keinem direkten Zusammenhang stehen.

           1.2           Wer trauert wie und weshalb?
           Menschen, die an starken Trauerreaktionen leiden, sind dagegen gar nicht so
           selten. Der Verlust eines Lebenspartners im hohen Alter führt oft dazu, dass
           der überlebende Teil der Partnerschaft keinen Sinn im Leben mehr sehen
           kann und viel schneller gesundheitlich geschwächt wird, sodass der eigene
           Tod beschleunigt wird. In der Roland-Sage wird dieser „Liebestod“ besun­
           gen: Aus dem umfangreichen Inhalt sei nur angeführt, dass eine Armee von
           Heiden Rolands Nachhut überfällt. Hier findet sich die berühmte Szene, in
           der Roland mit letzter Kraft in sein Horn Olifant bläst, um Kaiser Karl zu Hilfe
           zu rufen. Als die Roland versprochene Alde von seinem Tod hört, sinkt sie
           selbst vor Schmerz tot nieder.
           Tod und Trauer gehören zusammen. Manchmal kommt es aber – wie in den
           folgenden Beispielen – zu Reaktionen, die nicht unmittelbar mit dem eigenen
           Verlusterleben zu tun haben: Der Tod prominenter Menschen, etwa Lady
           Diana, kann eine weltweite Trauer auslösen. Es ist zu vermuten, dass das Ge­
           fühl der Trauer benutzt werden kann, dem eigenen Leben Sinn und Bedeu­

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tung zu geben. Der Tod von prominenten Menschen kann aber auch zu wei­
        teren Todesfällen führen. Der Suizid von Kurt Cobain (einem einst populären
        Musiker) führte zu Nachahmungssuiziden – ähnlich wie nach dem Erschei­
        nen von Goethes Werther.
        Viele Menschen machen die Erfahrung, dass der Verlust einer nahen Person
        (Partner, Kind, Eltern) Angst oder auch Wut und Hilflosigkeit hervorruft.
        Manchmal kommt es auch zu einer Depression. Eine Depression kann als
        „Gefühlskälte“ wahrgenommen werden – vor allem positive Gefühle wie
        Freude werden kaum mehr erlebt. Chronische Trauer kommt oft als Depres­
        sion vor.

        1.3           Wie entwickelt sich der Zustand der Trauer weiter?
        Der Zustand der Trauer ist nicht, wie manchmal irrtümlich angenommen
        wird, konstant. Trauer gleicht vielfach einem gefühlsmäßigen Karussell oder
        einer Achterbahn. Herzzerreißender Schmerz wechselt sich ab mit Fröhlich­
        keit und dann wieder Wut auf die Umstände, die es dazu kommen ließen.
        Diese „Wechselbäder“ sind irritierend und weisen darauf hin, dass der Ver­
        lust noch nicht vollständig verarbeitet ist. Gedanklich sind wir oft schon wei­
        ter, meinen den Verlust akzeptiert zu haben, aber emotional dauert es länger
        als erwartet – oft kann es noch nach Jahren zu einer überraschenden emotio­
        nalen Reaktion kommen. Nicht wenige Menschen möchten schneller über
        den Verlust hinwegkommen, als ihnen das emotional möglich ist. Dieser
        Wunsch ist überhaupt nicht krankhaft und hat auch nichts mit Gefühlskälte
        zu tun – die Anforderungen des Alltags sind manchmal einfach so, dass wir
        uns „zusammennehmen“ müssen, damit die Arbeit nicht verloren geht oder
        weil wir unseren Kindern Halt geben müssen. Allerdings können wir nicht
        immer die „Abkürzung“ gehen. Es ist wichtig, Gefühle nicht zu verleugnen
        oder zu versuchen, diese aktiv zu unterdrücken. Solche Versuche schlagen
        meistens fehl und führen langfristig zu Problemen, die nicht mit der Trauer
        selbst zusammenhängen, sondern damit, wie wir mit den entsprechenden
        Gefühlen umgehen.
        Das Vermeiden von Situationen, die Erinnerungen und emotionale Irritation
        auslösen, kann im Moment sehr entlastend sein. Wir wissen aber nie genau,
        ob sich bei einer späteren Begegnung diese Gefühle mit gleicher – das heißt

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