Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft
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Im Spiegel des Neandertalers Sie haben es getan. Und die ganze Welt weiß es jetzt, wenn auch mit einigen zehntausend Jahren Verspätung. Natürlich haben alle Medien weltweit berichtet: Menschen und Neandertaler hatten Sex! Doch für Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, ist das keineswegs das Wichtigste an seiner Entdeckung. TEXT MARCUS ANHÄUSER S vante Pääbo sitzt entspannt im Sessel in seinem Büro und grinst. „Viele Menschen finden dieses Thema mit der Vermi- schung von Mensch und Nean- dertaler einfach cool“, sagt er. Er neh- me sich da gar nicht aus, aber: „Auf Dauer ist es natürlich viel wichtiger, dass wir jetzt ein Genom des engsten Verwandten des Menschen haben.“ In seinem Rücken steht die lebensgroße Rekonstruktion eines Neandertaler-Ske- letts. Ob der Urmensch ihm recht gäbe? Wie auch immer. Pääbo hat allen Grund, entspannt zu sein, denn der Schwede hat inner- halb von fünf Jahren ein Projekt zum
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie Von Angesicht zu Angesicht: Svante Pääbo mit dem Schädel eines unserer nächsten Verwandten, des Neandertalers. Foto: Frank Vinken
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie » Die mtDNA zeigte so viele Unterschiede zu der des Menschen, dass es unwahrscheinlich war, dass der Neandertaler im Stammbaum auf demselben Ast wie Homo sapiens saß. Ziel geführt, von dem man zuvor nur seiner Entdeckung sogar auf dem Titel schlüsseln will. Das hatten die Vertre- hätte träumen können. Zum ersten Mal des Magazins. Der perfekte Start für ter der Zunft in den 1990er-Jahren liegt das Genom eines ausgestorbenen eine wissenschaftliche Laufbahn. schmerzhaft lernen müssen. Eines der Vertreters der Gattung Homo vor. Die Nach einer Zwischenstation in Ber- Hauptprobleme: Eine Probe aus einem letzten Individuen des Neandertalers keley bekam Pääbo 1990 ein eigenes zehntausende Jahre alten Neandertaler- lebten vor etwa 30 000 Jahren. Jetzt Labor an der Ludwig-Maximilians-Uni- Knochen kann zwar eine Menge Gen- kann man in ihrer Gensequenz lesen versität München. Dort untersuchte er material enthalten, doch mehr als 95 und lernen – nicht nur wer oder was die Mitte der 1990er-Jahre erstmals DNA Prozent stammen gar nicht vom Urmen- Neandertaler waren: „Wir erfahren vor vom Neandertaler und lieferte erste schen. „Das ist DNA von Bakterien oder allem, welche Veränderungen wir in stichhaltige Belege dafür, dass der „gro- Pilzen, die den Knochen nach seinem unserem Genom haben, die uns einzig- be Klotz“ kein direkter Vorfahre des Tod besiedelt haben“, erklärt Pääbo. artig machen“, sagt Pääbo. Darauf weist Menschen gewesen ist. Die Forscher hat- er in allen Interviews immer wieder ten die DNA aus Mitochondrien extra- BUCHSTABENTAUSCH IN DER hin. Es geht nicht nur um den Neander- hiert, den Energiekraftwerken der Zelle. NEANDERTALER-SEQUENZ taler, es geht immer auch um uns. Dieses Zellorganell liefert, da es vielfach in der Zelle vorkommt, mehr DNA als Und das zweite Problem: Der DNA- DIE PALÄOGENETIK WIRD AUS der Zellkern – mitochondriale DNA Strang zerfällt mit der Zeit in immer DER TAUFE GEHOBEN (mtDNA) lässt sich daher einfacher ana- kleinere Bruchstücke – wie ein Puzzle, lysieren als Kern-DNA. dessen Teile verstreut in der Kiste liegen. Die Präsentation des Neandertaler-Ge- Die mtDNA zeigte so viele Unter- Einige Teile hängen noch zusammen, noms im Fachblatt SCIENCE am 7. Mai schiede zu der des Menschen, dass es aber das Gesamtbild (die Sequenz) ist 2010 ist ein Höhepunkt in der Karriere unwahrscheinlich war, dass der Nean- längst nicht mehr zu erkennen. Hinzu des 55-Jährigen, Sohn einer Chemike- dertaler im Stammbaum auf demselben kommt, dass einige Bausteine chemisch rin und des Nobelpreisträgers und Bio- Ast wie Homo sapiens saß. verändert sind. Pääbo und sein Team chemikers Sune Bergström. Aber nicht Svante Pääbo wechselte 1997 als ei- fanden heraus, dass eine der vier Basen nur für ihn, auch für seine Kollegen und ner von fünf Direktoren ans neue Max- des genetischen Codes mit der Zeit ihre die gesamte Forschungsrichtung – die Planck-Institut für evolutionäre Anthro- Identität eintauscht. In einem Großteil Paläogenetik –, die er als Pionier in den pologie in Leipzig. Zu diesem Zeitpunkt der Sequenz-Bruchstücke steht anstatt 1980er-Jahren mit aus der Taufe geho- war die internationale Forschergemein- eines „C“ für Cytosin ein „U“ für Ura- ben hat. Pääbo, der Ägyptologie und de gerade mit der Sequenzierung des cil, weil das Cytosin eine Aminogruppe dann Medizin studierte, hatte neben menschlichen Genoms befasst. Das verliert. Beim Sequenzieren wird das U, seiner Doktorarbeit in Immunologie 1990 mit öffentlichen Mitteln in den das es in der DNA eigentlich nicht gibt, noch ein anderes Forschungsinteresse: USA gestartete Projekt bekam 1998 Kon- sondern nur in der RNA, als T für Thy- Er wollte die DNA von Mumien entzif- kurrenz durch die private Biotech-Firma min gelesen. „Wenn man also an der fern. Das hatte vorher noch niemand Celera Genomics des US-Genetikers ersten Position einer Sequenz ein T fin- gemacht. Es war nicht einmal klar, ob Craig Venter. Der Wettstreit trieb die det, war es in 40 Prozent der Fälle ei- es überhaupt noch DNA in den Mumi- Forschungsarbeiten voran. Im Jahr 2001 gentlich mal ein C“, erklärt Pääbo. en zu finden gab. konnten die beiden Forschungsgruppen Ein entscheidendes Problem berei- Nachts machte er sich an die Arbeit, parallel eine erste Version des Human- ten sich die Wissenschaftler selbst. Sie unbemerkt von seinem Doktorvater. genoms präsentieren. An eine Rekonst- verunreinigen die Proben mit ihrer ei- „Ich hatte ein bisschen Angst vor ihm; ruktion des Neandertaler-Genoms, für genen DNA. Denn wo Menschen leben er hätte es vielleicht verboten“, erzählt das man eben DNA aus dem Zellkern und arbeiten, hinterlassen sie geneti- Pääbo. Als er dann tatsächlich DNA und nicht aus Mitochondrien benötigt, sche Spuren – ob bei der Ausgrabung fand, diese färben und sogar extrahie- war zu diesem Zeitpunkt überhaupt am Fundort oder beim Vorbereiten der Fotos: Frank Vinken (3) ren konnte, war die Sensation perfekt. noch nicht zu denken. Gen-Schnipsel im Labor. Was am Tatort „Da musste ich es auch meinem Profes- Im Vergleich zur Sequenzierung eines Verbrechens hilft, den Täter zu sor erzählen“, sagt er mit einem ironi- von DNA lebender Individuen gilt es überführen, verdirbt den Paläogeneti- schen Lächeln. Er reichte die Ergebnis- eine ganze Reihe von Hürden zu über- kern die Arbeit. Gelangt ihre DNA – se bei NATURE ein und landete 1985 mit winden, wenn man „alte DNA“ ent- oder die der Putzfrau – in die Probe, ver- 56 MaxPlanckForschung 2 | 10
1 2 3 1 Tomislav Maricic begutachtet das Knochenfragment eines Neandertalers im Reinstraum. 2 Bevor die Forscher den Reinstraum betreten dürfen, müssen sie umfangreiche Vorkehrungen treffen. 3 Für die Analyse benötigen die Forscher tatsächlich nur 400 Milligramm Knochenpulver, das aus dem Knochenfragment herausgebohrt wird. 2 | 10 MaxPlanckForschung 57
1 2 3 1 Eine sogenannte Illumina GAII flow cell, mit deren Hilfe mehrere Proben gleichzeitig im Illumina-Genomanalysegerät analysiert werden können. 2 DNA-Cluster auf dem Ausgabebildschirm des Roche/454 Genomanalysegeräts. 3 Johannes Krause und Anne Butthof aus dem Team von Svante Pääbo beim Beladen der Illumina Cluster Station. fälscht sie das Bild, vor allem bei einer dem Identitätswechsel des Cytosins zu nur etwa ein Prozent Verunreinigungen, Art wie dem Neandertaler, dessen Ge- begegnen, schrieben die Forscher bio- tatsächlich waren es aber 14 Prozent“, nom unserem sehr stark ähnelt. informatische Programme, mit denen sagt Pääbo. Was war passiert? Für alle diese Hindernisse haben sie ihre Computeralgorithmen für die Pääbo und sein Team Lösungen gefun- Sequenzierung um die Wahrscheinlich- EINE NEUE GENERATION den, ohne die es wohl nie zum erfolg- keit korrigierten, mit der ein „T“ eigent- VON SEQUENZIERMASCHINEN reichen Abschluss des Projekts gekom- lich ein „C“ ist. „Das ermöglicht es uns, men wäre. Vor allem gelang es den bei einem 50 Basenpaare langen Stück Die Leipziger hatten ihre Proben in die Forschern, die Ausbeute an Neanderta- sicher zu entscheiden, ob es von einem USA geschickt zum Hersteller der neues- ler-DNA um den Faktor 300 zu stei- Neandertaler oder von einem Bakteri- ten Generation von Hochdurchsatz-Se- gern. Ein ganz wichtiger Schritt, denn um stammt“, so Pääbo. quenziermaschinen. Dort gab es aber zeitweise hatte es so ausgesehen, als ob Die Kontamination mit der eigenen kein Reinstlabor. „Wir wussten, dass das die Sequenzierung noch zwei Jahrzehn- DNA war ein Problem, an dem die problematisch werden könnte, wollten te dauern und 60 Millionen Euro kos- Gruppe ziemlich zu knabbern hatte. aber die neuen Maschinen testen, bevor ten könnte. Zahlreiche Vorkehrungen waren getrof- wir in sie investieren“, erklärt der Max- fen worden. So gehörte es seit Länge- Planck-Direktor. Und genau dort ge- FEIN SÄUBERLICHER UMGANG rem zur Routine, die Proben wie in der langte fremde DNA in die Proben. „Das MIT ALTER DNA Chipindustrie in einem Reinstraum zu ärgert einen. Aber im Nachhinein war bearbeiten. Die Luft wird hier laufend es gut, weil wir auf diese Weise ein Pro- Die Wissenschaftler reichern die Nean- gefiltert und die Wissenschaftler arbei- blem entdeckten, das wir lösen muss- dertaler-DNA an, indem sie etwa mole- ten nur mit Schutzkleidung. Wenn der ten. So macht man in der Wissenschaft kulare Scheren nutzen, die bevorzugt Raum nicht genutzt wird, ist er von UV- Fortschritt, man kann es nicht beim ers- mikrobielles Genmaterial und nicht Licht blau erleuchtet, um DNA-Reste zu ten Mal perfekt machen.“ Fotos: Frank Vinken (3) humanes Erbgut zerschneiden. „Auf zerstören. Doch für eine Arbeit, die das Mittlerweile stehen die Maschinen diese Weise reichern wir die Proben auf Team im Jahr 2006 im Fachmagazin in Leipzig und jedes Stück Neandertaler- bis zu 20 Prozent an, was die Sequenzi- NATURE veröffentlichte, genügten all sequenz wird mit einem Etikett aus vier erung überhaupt erst ökonomisch er- diese Vorkehrungen nicht. „Wir dach- Basen markiert und ist damit zweifelsfrei schwinglich macht“, sagt Pääbo. Um ten, wir hätten dank dieser Maßnahmen von nicht markierter, menschlicher 58 MaxPlanckForschung 2 | 10
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie » Und wieder einmal ermöglichte eine technische Entwicklung einen wissenschaftlichen Durchbruch. DNA zu unterscheiden. So reiht sich Mal daran, das es möglich sein könnte, Pääbos Mitarbeiter Adrian Briggs, der eine Verbesserung an die nächste. Die das gesamte Genom des Neandertalers erst kürzlich seine Doktorarbeit im neue Generation von Hochdurchsatz- zu sequenzieren“, so Svante Pääbo. Leipziger Labor abgeschlossen hat: Sequenziermaschinen der US-Firma 454 Und wieder einmal ermöglichte „Wir mussten mehr als eine Milliarde Life Science war ein technologischer eine technische Entwicklung einen wis- Bruchstücke sequenzieren. Das wäre Quantensprung. Erst diese Entwicklung senschaftlichen Durchbruch. Die Be- mit Maschinen auf dem Stand von rückte eine Rekonstruktion der drei Mil- deutung dieser neuen Generation von 2004 schlicht unmöglich gewesen.“ liarden langen Basensequenz in greifba- Sequenziermaschinen könne man gar Briggs rechnet vor: „Eine solche Ma- re Nähe: „Damals dachte ich zum ersten nicht hoch genug einschätzen, sagt schine hätte dafür um die 10 000 Jahre DER UNBEKANNTE DRITTE Nur wenige Wochen bevor das Leipziger kurz, und zugleich gibt es mehrere 100 es beim Fingerknochen aus der südsibi- Labor wegen des Neandertaler-Genoms Kopien in jeder Zelle. Als sich der For- rischen Denisova-Höhle 385 Positionen. im weltweiten Fokus stand, hatten Svan- scher die ersten Ergebnisse der Sequen- Anhand der Mutationsrate, der moleku- te Pääbo und sein Mitarbeiter Johannes zierung ansah, traute er seinen Augen laren Uhr, errechneten Krause und sein Krause schon einmal mit einem Ansturm nicht. „Das war ein ganz aufregender Mo- Team, dass dieser vermeintliche Homi- der Presse zu kämpfen. Krause hatte ment. Da stimmte irgendetwas nicht“, nidenzweig sich vor rund einer Million Ende März in Nature von einem aufre- sagt der 29-Jährige. Entdeckung oder Ar- Jahren von dem Ast trennte, auf dem genden Fund aus einer Höhle im Altai- tefakt? Er war misstrauisch. War etwas später Neandertaler und Homo sapiens Gebirge in Südsibirien berichtet: Dort bei der Analyse schiefgegangen? Hatte entstanden. lebte offenbar vor etwa 40 000 Jahren sich ein Fehler in die komplexen bioinfor- Aufregend ist der Fund auch, weil er ein bisher unbekannter Hominide – zu matischen Programme und Algorithmen einen Beitrag zu einem neuen Bild von einem Zeitpunkt also, da der Homo sapiens eingeschlichen, mit denen die Paläogen- der Evolution der Hominiden leistet. Der schon lange seinen Siegeszug um die tiker die Genschnipsel rekonstruieren? moderne Mensch hat offenbar über viele Welt begonnen, die Neandertaler aber Doch viele Kontrolltests bestätigten 10000 Jahre die Erde mit anderen Men- noch einige 1000 Jahre vor sich hatten. das ungewöhnliche Ergebnis. Krause hat schenarten bewohnt, die alle irgend- Bestätigen sich die Ergebnisse der jede Position der Sequenz mehr als 150- wann ausstarben, während Homo sapiens Max-Planck-Forscher, wäre das die ers- mal sequenziert. „Ich habe sogar noch die Welt eroberte. Schon der Fund des te Menschenart, die nicht anhand von die Kollegen zu einem Meeting um halb „Hobbits“, des kleinen Homo florisiensis Fossilien, sondern allein durch eine Gen- sieben am Freitagabend einberufen, um auf der indonesischen Insel Flores, liefert analyse entdeckt wurde. Die Genprobe mit ihnen die Ergebnisse zu bespre- seit 2004 Stoff für diese These. stammte aus einem kirschkerngroßen chen“, sagt der Wissenschaftler. Aber Doch bevor die Leipziger Max-Planck- Glied eines kleinen Fingers, den die rus- auch den Kollegen fiel keine andere Er- Forscher sich definitiv festlegen, wollen sischen Forscher aus Nowosibirsk, mit klärung ein: Diese Sequenz stammte sie erst die DNA des Zellkerns sequenzie- denen das Pääbo-Labor seit einigen Jah- nicht von einem Menschen und nicht ren und analysieren. „Im Moment gibt es ren zusammenarbeitet, eigentlich einem von einem Neandertaler, sondern von ei- ständig neue Ergebnisse, die auch Bishe- Menschen zugeordnet hatten. nem unbekannten Dritten. riges wieder in Frage stellen. Es ist alles Johannes Krause sequenzierte das Die Abweichung ist deutlich: Wäh- viel komplexer, als wir zunächst dach- Genom der Mitochondrien, jener Zellor- rend sich die mtDNA des Neandertalers ten“, sagt Johannes Krause. Hat es wie ganellen, die eine eigene DNA besitzen an durchschnittlich 202 Positionen von beim Neandertaler vielleicht sogar eine (mtDNA). Der Vorteil: Die Sequenz ist der des Menschen unterscheidet und die Vermischung gegeben? Bis Ende des Jah- mit rund 16000 Basenpaaren nur sehr des Schimpansen an mehr als 1400, sind res hofft er auf eine endgültige Antwort. 2 | 10 MaxPlanckForschung 59
Die nachgebaute Neandertaler-Szenerie zeigt, dass die Forscher der Abteilung Pääbo auch mit Spielwitz an ihre Arbeit gehen. gebraucht oder 10 000 Maschinen ein und die Mittel zur Verfügung gestellt Analyse arbeiteten die Leipziger For- Jahr – was bei einem Preis von mehre- haben“, sagt Pääbo. scher mit weiteren Laboren, vor allem ren 100 000 Dollar unmöglich zu finan- Der Aufwand an Zeit, Geld und Ar- in den USA, in einem mehr als 50 Per- zieren gewesen wäre.“ beit hat sich gelohnt. Im Februar 2009 sonen umfassenden internationalen verkündete das Team, dass das Ziel er- Konsortium zusammen. DATENANALYSE DAUERTE reicht sei. Allerdings blieb es erst ein- Dass sich Neandertaler und Mensch FAST EIN JAHR mal dabei, veröffentlicht wurde die Se- in geringem Maße vermischt haben, war quenz noch nicht: „Wir hatten einfach die eine Überraschung – und weltweit zu Den Unterschied zwischen alter und das Gefühl, wir müssten der Welt sagen: lesen und zu hören. Ein bis vier Prozent neuer Generation dieser ansonsten un- Wir haben es gemacht“, sagt Pääbo. der DNA der Menschen außerhalb Afri- scheinbaren Kästen verdeutlicht viel- Eine erste Analyse der Daten dauerte kas stammen vom Neandertaler. Noch leicht am besten ein Blick auf die etwa dann noch einmal ein knappes Jahr. überraschender für die Forscher war handtellergroßen Trägerplatten mit Und das Ergebnis kann sich sehen las- aber, dass der bullige Eiszeitmensch Vertiefungen, in denen die DNA-Frag- sen: ein echter Meilenstein in der Erfor- nicht nur in Europa, sondern auch in mente sequenziert werden: Auf den schung der menschlichen Evolution. China und Papua-Neuguinea seine ge- alten Maschinen gibt es 96 Einbuch- Pääbo und seine Mitarbeiter haben vier netischen Spuren hinterlassen hat. tungen pro Platte, bei der 454 Life Sci- Milliarden Basenpaare sequenziert, aus „Das haben wir nicht erwartet“, sagt ence-Maschine sind es 1,6 Millionen. denen sie mehr als 60 Prozent der Ne- Pääbo. Denn bis heute gibt es keinerlei „Das bedeutet, dass man mehr als eine andertaler-Sequenz durch den Ver- Hinweise, dass in diesen Regionen je- Millionen DNA-Fragmente pro Platte gleich mit dem Genom des Menschen mals Neandertaler gelebt haben. Folg- parallel sequenzieren kann, im Ver- und dem des Schimpansen rekonstru- lich muss es zu sexuellen Kontakten ge- gleich zu 96 pro Platte bei der alten Ge- ieren konnten. kommen sein, bevor der frühe moderne neration“, sagt Briggs. „Manche Positionen in der Sequenz Mensch sich von Afrika kommend über Dass sich die Forscher den neuesten haben wir mehrmals sequenzieren kön- Eurasien ausgebreitet hat. Schrei der Sequenziertechnik leisten nen, andere dafür überhaupt nicht“, Die einfachste Erklärung wäre ein konnten, verdanken sie einer zusätzli- sagt Johannes Krause, der seit 2005 im Zusammentreffen der beiden im Mitt- chen Finanzspritze aus dem strategi- Labor von Pääbo arbeitet. Mehr als 80 leren Osten. In einem Zeitraum zwi- Foto: Frank Vinken schen Innovationsfonds des Präsiden- Prozent des Neandertaler-Genoms wer- schen 80 000 und 50 000 Jahren vor ten. „Das muss man auch mal sagen: Es den die Forscher rekonstruieren kön- heute lebten die beiden Menschenty- gab in der Max-Planck-Gesellschaft ein- nen: „Für den Rest sind die Fragmente pen in derselben Region – das belegen fach Leute, die das Potenzial erkannt einfach zu klein“, so Krause. Für die paläontologische Funde. Noch ist aller- 60 MaxPlanckForschung 2 | 10
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie Sie haben den Neandertaler-Code geknackt. Vordere Reihe von links: Hernán Burbano, Anja Buchholz, Svante Pääbo, Janet Kelso, Qiaomei Fu und Martin Kircher; hintere Reihe von links: Adrian Briggs, Jesse Dabney, Matthias Meyer, Tomislav Maricic, Johannes Krause, Udo Stenzel und Kay Prüfer. dings nicht ganz ausgeschlossen, dass kognitiver Entwicklung zu tun haben. die genetischen Spuren nicht schon auf Mutationen in diesen Genen stehen GLOSSAR anderem Wege vor etwa 200 000 bis beim Menschen im Zusammenhang mit 300 000 Jahren irgendwo in Afrika in Schizophrenie und Autismus. „Das heißt Mitochondrien die Abstammungslinie gelangten. Es jetzt aber nicht, dass Neandertaler diese Von einer Doppelmembran umschlossene Zellorganellen mit eigener Erbsubstanz wäre nur ein deutlich komplizierteres Krankheiten hatten“, warnt Svante Pää- (mtDNA), deren Aufgabe es ist, die Zelle Szenario notwendig. bo. Aber es gibt auch das Gen RUNX2. mit Energie in Form von ATP zu versor- In seiner mutierten Variante führt es gen. Mitochondrien werden nicht neu WAS MACHT UNS EINZIGARTIG? beim Menschen zu Cleidocranialer Dysos- gebildet, sondern gehen durch Teilung tose, bestimmten Verformungen im Ske- auseinander hervor. Sie sind vermutlich in einem frühen Stadium der Evolution Für Svante Pääbo sind aber noch ganz lett: Der Brustkorb wird glockenförmig, entstanden, indem sich eukaryotische, andere Dinge wichtig: „Wir können die Schulterknochen verändern sich also kernhaltige Zellen Bakterien einver- jetzt einen Katalog erstellen, in dem und – der Augenbrauenwulst verdickt leibt und diese umfunktioniert haben jene Veränderungen unseres Genoms sich. Sieht fast aus wie das Skelett, das (Endosymbiose). zu finden sind, die uns wirklich einzig- hinter Svante Pääbo steht. Doch der Pa- Nukleobasen artig machen. Die uns nicht nur vom läogenetiker wiegelt ab: „Nein, das wäre Die Grundbausteine der DNA und RNA sind die Nukleotide. Sie setzen sich aus Schimpansen unterscheiden, sondern zu einfach“, sagt er und lacht. einem Phosphatrest, einem Zuckerbau- auch von unserem nächsten Verwand- So leicht kann es nicht sein, die stein sowie einer der fünf Nukleobasen ten.“ Die Alleinstellungsmerkmale der Unterschiede zwischen Mensch und Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C), Thy- Spezies Homo sapiens sozusagen, all die Neandertaler zu offenbaren. Manchmal min (T) oder Uracil (U) zusammen. Letz- genetischen Einzigartigkeiten, die sich vielleicht doch? Die Hauptsache ist, dass tere sind die Buchstaben des genetischen Codes und bilden die jeweilige Sequenz. in den vergangenen 300000 Jahren in es jetzt überhaupt möglich ist. Wir wer- unserem Genom fixiert haben. Mehr den dem genetischen Geheimnis wieder Hochdurchsatz-Sequenzierung Innerhalb kurzer Zeit kann die Buchsta- als 200 solcher Bereiche haben die For- ein Stück näherkommen, das uns zum benfolge von immer mehr genetischen scher schon gefunden. Die wichtigsten Homo sapiens macht – indem wir uns in Abschnitten ausgelesen werden. Das führt 20 finden sich auch im SCIENCE-Artikel. unserem nächsten Verwandten spie- zu einem enormen Anstieg bei der Erzeu- „Das sind die Bereiche, die mich am geln. Die Wissenschaftler haben mit gung von Sequenzdaten und gleichzeitig Foto: Frank Vinken zur Reduktion von Kosten. Ganze Genome meisten faszinieren“, sagt Pääbo. ihrer Arbeit gerade erst begonnen. werden sich in absehbarer Zeit für einige Noch ist es zu früh, um konkrete tausend Euro sequenzieren lassen. Aussagen zu machen; es sind eher vage www.filme.mpg.de Andeutungen. Da gibt es Gene, die mit www.youtube.com/user/MaxPlanckSociety 2 | 10 MaxPlanckForschung 61
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