Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft

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Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft
Im Spiegel des
Neandertalers
Sie haben es getan. Und die ganze Welt weiß es jetzt, wenn auch mit einigen zehntausend
Jahren Verspätung. Natürlich haben alle Medien weltweit berichtet: Menschen und Neandertaler
hatten Sex! Doch für Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie in Leipzig, ist das keineswegs das Wichtigste an seiner Entdeckung.

TEXT MARCUS ANHÄUSER

S
         vante Pääbo sitzt entspannt im
         Sessel in seinem Büro und
         grinst. „Viele Menschen finden
         dieses Thema mit der Vermi-
         schung von Mensch und Nean-
dertaler einfach cool“, sagt er. Er neh-
me sich da gar nicht aus, aber: „Auf
Dauer ist es natürlich viel wichtiger,
dass wir jetzt ein Genom des engsten
Verwandten des Menschen haben.“ In
seinem Rücken steht die lebensgroße
Rekonstruktion eines Neandertaler-Ske-
letts. Ob der Urmensch ihm recht gäbe?
Wie auch immer.
    Pääbo hat allen Grund, entspannt
zu sein, denn der Schwede hat inner-
halb von fünf Jahren ein Projekt zum
Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie

                     Von Angesicht zu Angesicht: Svante Pääbo
                     mit dem Schädel eines unserer nächsten
                     Verwandten, des Neandertalers.
Foto: Frank Vinken
Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie

»     Die mtDNA zeigte so viele Unterschiede zu der des Menschen, dass es unwahrscheinlich
      war, dass der Neandertaler im Stammbaum auf demselben Ast wie Homo sapiens saß.

Ziel geführt, von dem man zuvor nur         seiner Entdeckung sogar auf dem Titel         schlüsseln will. Das hatten die Vertre-
hätte träumen können. Zum ersten Mal        des Magazins. Der perfekte Start für          ter der Zunft in den 1990er-Jahren
liegt das Genom eines ausgestorbenen        eine wissenschaftliche Laufbahn.              schmerzhaft lernen müssen. Eines der
Vertreters der Gattung Homo vor. Die            Nach einer Zwischenstation in Ber-        Hauptprobleme: Eine Probe aus einem
letzten Individuen des Neandertalers        keley bekam Pääbo 1990 ein eigenes            zehntausende Jahre alten Neandertaler-
lebten vor etwa 30 000 Jahren. Jetzt        Labor an der Ludwig-Maximilians-Uni-          Knochen kann zwar eine Menge Gen-
kann man in ihrer Gensequenz lesen          versität München. Dort untersuchte er         material enthalten, doch mehr als 95
und lernen – nicht nur wer oder was die     Mitte der 1990er-Jahre erstmals DNA           Prozent stammen gar nicht vom Urmen-
Neandertaler waren: „Wir erfahren vor       vom Neandertaler und lieferte erste           schen. „Das ist DNA von Bakterien oder
allem, welche Veränderungen wir in          stichhaltige Belege dafür, dass der „gro-     Pilzen, die den Knochen nach seinem
unserem Genom haben, die uns einzig-        be Klotz“ kein direkter Vorfahre des          Tod besiedelt haben“, erklärt Pääbo.
artig machen“, sagt Pääbo. Darauf weist     Menschen gewesen ist. Die Forscher hat-
er in allen Interviews immer wieder         ten die DNA aus Mitochondrien extra-          BUCHSTABENTAUSCH IN DER
hin. Es geht nicht nur um den Neander-      hiert, den Energiekraftwerken der Zelle.      NEANDERTALER-SEQUENZ
taler, es geht immer auch um uns.           Dieses Zellorganell liefert, da es vielfach
                                            in der Zelle vorkommt, mehr DNA als           Und das zweite Problem: Der DNA-
DIE PALÄOGENETIK WIRD AUS                   der Zellkern – mitochondriale DNA             Strang zerfällt mit der Zeit in immer
DER TAUFE GEHOBEN                           (mtDNA) lässt sich daher einfacher ana-       kleinere Bruchstücke – wie ein Puzzle,
                                            lysieren als Kern-DNA.                        dessen Teile verstreut in der Kiste liegen.
Die Präsentation des Neandertaler-Ge-           Die mtDNA zeigte so viele Unter-          Einige Teile hängen noch zusammen,
noms im Fachblatt SCIENCE am 7. Mai         schiede zu der des Menschen, dass es          aber das Gesamtbild (die Sequenz) ist
2010 ist ein Höhepunkt in der Karriere      unwahrscheinlich war, dass der Nean-          längst nicht mehr zu erkennen. Hinzu
des 55-Jährigen, Sohn einer Chemike-        dertaler im Stammbaum auf demselben           kommt, dass einige Bausteine chemisch
rin und des Nobelpreisträgers und Bio-      Ast wie Homo sapiens saß.                     verändert sind. Pääbo und sein Team
chemikers Sune Bergström. Aber nicht            Svante Pääbo wechselte 1997 als ei-       fanden heraus, dass eine der vier Basen
nur für ihn, auch für seine Kollegen und    ner von fünf Direktoren ans neue Max-         des genetischen Codes mit der Zeit ihre
die gesamte Forschungsrichtung – die        Planck-Institut für evolutionäre Anthro-      Identität eintauscht. In einem Großteil
Paläogenetik –, die er als Pionier in den   pologie in Leipzig. Zu diesem Zeitpunkt       der Sequenz-Bruchstücke steht anstatt
1980er-Jahren mit aus der Taufe geho-       war die internationale Forschergemein-        eines „C“ für Cytosin ein „U“ für Ura-
ben hat. Pääbo, der Ägyptologie und         de gerade mit der Sequenzierung des           cil, weil das Cytosin eine Aminogruppe
dann Medizin studierte, hatte neben         menschlichen Genoms befasst. Das              verliert. Beim Sequenzieren wird das U,
seiner Doktorarbeit in Immunologie          1990 mit öffentlichen Mitteln in den          das es in der DNA eigentlich nicht gibt,
noch ein anderes Forschungsinteresse:       USA gestartete Projekt bekam 1998 Kon-        sondern nur in der RNA, als T für Thy-
Er wollte die DNA von Mumien entzif-        kurrenz durch die private Biotech-Firma       min gelesen. „Wenn man also an der
fern. Das hatte vorher noch niemand         Celera Genomics des US-Genetikers             ersten Position einer Sequenz ein T fin-
gemacht. Es war nicht einmal klar, ob       Craig Venter. Der Wettstreit trieb die        det, war es in 40 Prozent der Fälle ei-
es überhaupt noch DNA in den Mumi-          Forschungsarbeiten voran. Im Jahr 2001        gentlich mal ein C“, erklärt Pääbo.
en zu finden gab.                           konnten die beiden Forschungsgruppen               Ein entscheidendes Problem berei-
    Nachts machte er sich an die Arbeit,    parallel eine erste Version des Human-        ten sich die Wissenschaftler selbst. Sie
unbemerkt von seinem Doktorvater.           genoms präsentieren. An eine Rekonst-         verunreinigen die Proben mit ihrer ei-
„Ich hatte ein bisschen Angst vor ihm;      ruktion des Neandertaler-Genoms, für          genen DNA. Denn wo Menschen leben
er hätte es vielleicht verboten“, erzählt   das man eben DNA aus dem Zellkern             und arbeiten, hinterlassen sie geneti-
Pääbo. Als er dann tatsächlich DNA          und nicht aus Mitochondrien benötigt,         sche Spuren – ob bei der Ausgrabung
fand, diese färben und sogar extrahie-      war zu diesem Zeitpunkt überhaupt             am Fundort oder beim Vorbereiten der
                                                                                                                                        Fotos: Frank Vinken (3)

ren konnte, war die Sensation perfekt.      noch nicht zu denken.                         Gen-Schnipsel im Labor. Was am Tatort
„Da musste ich es auch meinem Profes-           Im Vergleich zur Sequenzierung            eines Verbrechens hilft, den Täter zu
sor erzählen“, sagt er mit einem ironi-     von DNA lebender Individuen gilt es           überführen, verdirbt den Paläogeneti-
schen Lächeln. Er reichte die Ergebnis-     eine ganze Reihe von Hürden zu über-          kern die Arbeit. Gelangt ihre DNA –
se bei NATURE ein und landete 1985 mit      winden, wenn man „alte DNA“ ent-              oder die der Putzfrau – in die Probe, ver-

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    1   Tomislav Maricic begutachtet das Knochenfragment eines Neandertalers im Reinstraum.
    2   Bevor die Forscher den Reinstraum betreten dürfen, müssen sie umfangreiche Vorkehrungen treffen.
    3   Für die Analyse benötigen die Forscher tatsächlich nur 400 Milligramm Knochenpulver,
        das aus dem Knochenfragment herausgebohrt wird.

                                                                                                           2 | 10 MaxPlanckForschung   57
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    1    Eine sogenannte Illumina GAII flow cell, mit deren Hilfe mehrere Proben gleichzeitig im Illumina-Genomanalysegerät
         analysiert werden können.
    2    DNA-Cluster auf dem Ausgabebildschirm des Roche/454 Genomanalysegeräts.
    3    Johannes Krause und Anne Butthof aus dem Team von Svante Pääbo beim Beladen der Illumina Cluster Station.

    fälscht sie das Bild, vor allem bei einer         dem Identitätswechsel des Cytosins zu              nur etwa ein Prozent Verunreinigungen,
    Art wie dem Neandertaler, dessen Ge-              begegnen, schrieben die Forscher bio-              tatsächlich waren es aber 14 Prozent“,
    nom unserem sehr stark ähnelt.                    informatische Programme, mit denen                 sagt Pääbo. Was war passiert?
        Für alle diese Hindernisse haben              sie ihre Computeralgorithmen für die
    Pääbo und sein Team Lösungen gefun-               Sequenzierung um die Wahrscheinlich-               EINE NEUE GENERATION
    den, ohne die es wohl nie zum erfolg-             keit korrigierten, mit der ein „T“ eigent-         VON SEQUENZIERMASCHINEN
    reichen Abschluss des Projekts gekom-             lich ein „C“ ist. „Das ermöglicht es uns,
    men wäre. Vor allem gelang es den                 bei einem 50 Basenpaare langen Stück               Die Leipziger hatten ihre Proben in die
    Forschern, die Ausbeute an Neanderta-             sicher zu entscheiden, ob es von einem             USA geschickt zum Hersteller der neues-
    ler-DNA um den Faktor 300 zu stei-                Neandertaler oder von einem Bakteri-               ten Generation von Hochdurchsatz-Se-
    gern. Ein ganz wichtiger Schritt, denn            um stammt“, so Pääbo.                              quenziermaschinen. Dort gab es aber
    zeitweise hatte es so ausgesehen, als ob              Die Kontamination mit der eigenen              kein Reinstlabor. „Wir wussten, dass das
    die Sequenzierung noch zwei Jahrzehn-             DNA war ein Problem, an dem die                    problematisch werden könnte, wollten
    te dauern und 60 Millionen Euro kos-              Gruppe ziemlich zu knabbern hatte.                 aber die neuen Maschinen testen, bevor
    ten könnte.                                       Zahlreiche Vorkehrungen waren getrof-              wir in sie investieren“, erklärt der Max-
                                                      fen worden. So gehörte es seit Länge-              Planck-Direktor. Und genau dort ge-
    FEIN SÄUBERLICHER UMGANG                          rem zur Routine, die Proben wie in der             langte fremde DNA in die Proben. „Das
    MIT ALTER DNA                                     Chipindustrie in einem Reinstraum zu               ärgert einen. Aber im Nachhinein war
                                                      bearbeiten. Die Luft wird hier laufend             es gut, weil wir auf diese Weise ein Pro-
    Die Wissenschaftler reichern die Nean-            gefiltert und die Wissenschaftler arbei-           blem entdeckten, das wir lösen muss-
    dertaler-DNA an, indem sie etwa mole-             ten nur mit Schutzkleidung. Wenn der               ten. So macht man in der Wissenschaft
    kulare Scheren nutzen, die bevorzugt              Raum nicht genutzt wird, ist er von UV-            Fortschritt, man kann es nicht beim ers-
    mikrobielles Genmaterial und nicht                Licht blau erleuchtet, um DNA-Reste zu             ten Mal perfekt machen.“
                                                                                                                                                     Fotos: Frank Vinken (3)

    humanes Erbgut zerschneiden. „Auf                 zerstören. Doch für eine Arbeit, die das               Mittlerweile stehen die Maschinen
    diese Weise reichern wir die Proben auf           Team im Jahr 2006 im Fachmagazin                   in Leipzig und jedes Stück Neandertaler-
    bis zu 20 Prozent an, was die Sequenzi-           NATURE veröffentlichte, genügten all               sequenz wird mit einem Etikett aus vier
    erung überhaupt erst ökonomisch er-               diese Vorkehrungen nicht. „Wir dach-               Basen markiert und ist damit zweifelsfrei
    schwinglich macht“, sagt Pääbo. Um                ten, wir hätten dank dieser Maßnahmen              von nicht markierter, menschlicher

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         »     Und wieder einmal ermöglichte eine technische Entwicklung
               einen wissenschaftlichen Durchbruch.

DNA zu unterscheiden. So reiht sich           Mal daran, das es möglich sein könnte,       Pääbos Mitarbeiter Adrian Briggs, der
eine Verbesserung an die nächste. Die         das gesamte Genom des Neandertalers          erst kürzlich seine Doktorarbeit im
neue Generation von Hochdurchsatz-            zu sequenzieren“, so Svante Pääbo.           Leipziger Labor abgeschlossen hat:
Sequenziermaschinen der US-Firma 454              Und wieder einmal ermöglichte            „Wir mussten mehr als eine Milliarde
Life Science war ein technologischer          eine technische Entwicklung einen wis-       Bruchstücke sequenzieren. Das wäre
Quantensprung. Erst diese Entwicklung         senschaftlichen Durchbruch. Die Be-          mit Maschinen auf dem Stand von
rückte eine Rekonstruktion der drei Mil-      deutung dieser neuen Generation von          2004 schlicht unmöglich gewesen.“
liarden langen Basensequenz in greifba-       Sequenziermaschinen könne man gar            Briggs rechnet vor: „Eine solche Ma-
re Nähe: „Damals dachte ich zum ersten        nicht hoch genug einschätzen, sagt           schine hätte dafür um die 10 000 Jahre

  DER UNBEKANNTE DRITTE

  Nur wenige Wochen bevor das Leipziger       kurz, und zugleich gibt es mehrere 100       es beim Fingerknochen aus der südsibi-
  Labor wegen des Neandertaler-Genoms         Kopien in jeder Zelle. Als sich der For-     rischen Denisova-Höhle 385 Positionen.
  im weltweiten Fokus stand, hatten Svan-     scher die ersten Ergebnisse der Sequen-      Anhand der Mutationsrate, der moleku-
  te Pääbo und sein Mitarbeiter Johannes      zierung ansah, traute er seinen Augen        laren Uhr, errechneten Krause und sein
  Krause schon einmal mit einem Ansturm       nicht. „Das war ein ganz aufregender Mo-     Team, dass dieser vermeintliche Homi-
  der Presse zu kämpfen. Krause hatte         ment. Da stimmte irgendetwas nicht“,         nidenzweig sich vor rund einer Million
  Ende März in Nature von einem aufre-        sagt der 29-Jährige. Entdeckung oder Ar-     Jahren von dem Ast trennte, auf dem
  genden Fund aus einer Höhle im Altai-       tefakt? Er war misstrauisch. War etwas       später Neandertaler und Homo sapiens
  Gebirge in Südsibirien berichtet: Dort      bei der Analyse schiefgegangen? Hatte        entstanden.
  lebte offenbar vor etwa 40 000 Jahren       sich ein Fehler in die komplexen bioinfor-       Aufregend ist der Fund auch, weil er
  ein bisher unbekannter Hominide – zu        matischen Programme und Algorithmen          einen Beitrag zu einem neuen Bild von
  einem Zeitpunkt also, da der Homo sapiens   eingeschlichen, mit denen die Paläogen-      der Evolution der Hominiden leistet. Der
  schon lange seinen Siegeszug um die         tiker die Genschnipsel rekonstruieren?       moderne Mensch hat offenbar über viele
  Welt begonnen, die Neandertaler aber            Doch viele Kontrolltests bestätigten     10000 Jahre die Erde mit anderen Men-
  noch einige 1000 Jahre vor sich hatten.     das ungewöhnliche Ergebnis. Krause hat       schenarten bewohnt, die alle irgend-
      Bestätigen sich die Ergebnisse der      jede Position der Sequenz mehr als 150-      wann ausstarben, während Homo sapiens
  Max-Planck-Forscher, wäre das die ers-      mal sequenziert. „Ich habe sogar noch        die Welt eroberte. Schon der Fund des
  te Menschenart, die nicht anhand von        die Kollegen zu einem Meeting um halb        „Hobbits“, des kleinen Homo florisiensis
  Fossilien, sondern allein durch eine Gen-   sieben am Freitagabend einberufen, um        auf der indonesischen Insel Flores, liefert
  analyse entdeckt wurde. Die Genprobe        mit ihnen die Ergebnisse zu bespre-          seit 2004 Stoff für diese These.
  stammte aus einem kirschkerngroßen          chen“, sagt der Wissenschaftler. Aber            Doch bevor die Leipziger Max-Planck-
  Glied eines kleinen Fingers, den die rus-   auch den Kollegen fiel keine andere Er-      Forscher sich definitiv festlegen, wollen
  sischen Forscher aus Nowosibirsk, mit       klärung ein: Diese Sequenz stammte           sie erst die DNA des Zellkerns sequenzie-
  denen das Pääbo-Labor seit einigen Jah-     nicht von einem Menschen und nicht           ren und analysieren. „Im Moment gibt es
  ren zusammenarbeitet, eigentlich einem      von einem Neandertaler, sondern von ei-      ständig neue Ergebnisse, die auch Bishe-
  Menschen zugeordnet hatten.                 nem unbekannten Dritten.                     riges wieder in Frage stellen. Es ist alles
      Johannes Krause sequenzierte das            Die Abweichung ist deutlich: Wäh-        viel komplexer, als wir zunächst dach-
  Genom der Mitochondrien, jener Zellor-      rend sich die mtDNA des Neandertalers        ten“, sagt Johannes Krause. Hat es wie
  ganellen, die eine eigene DNA besitzen      an durchschnittlich 202 Positionen von       beim Neandertaler vielleicht sogar eine
  (mtDNA). Der Vorteil: Die Sequenz ist       der des Menschen unterscheidet und die       Vermischung gegeben? Bis Ende des Jah-
  mit rund 16000 Basenpaaren nur sehr         des Schimpansen an mehr als 1400, sind       res hofft er auf eine endgültige Antwort.

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Die nachgebaute Neandertaler-Szenerie zeigt, dass die Forscher der Abteilung Pääbo auch mit Spielwitz an ihre Arbeit gehen.

gebraucht oder 10 000 Maschinen ein               und die Mittel zur Verfügung gestellt              Analyse arbeiteten die Leipziger For-
Jahr – was bei einem Preis von mehre-             haben“, sagt Pääbo.                                scher mit weiteren Laboren, vor allem
ren 100 000 Dollar unmöglich zu finan-                Der Aufwand an Zeit, Geld und Ar-              in den USA, in einem mehr als 50 Per-
zieren gewesen wäre.“                             beit hat sich gelohnt. Im Februar 2009             sonen umfassenden internationalen
                                                  verkündete das Team, dass das Ziel er-             Konsortium zusammen.
DATENANALYSE DAUERTE                              reicht sei. Allerdings blieb es erst ein-              Dass sich Neandertaler und Mensch
FAST EIN JAHR                                     mal dabei, veröffentlicht wurde die Se-            in geringem Maße vermischt haben, war
                                                  quenz noch nicht: „Wir hatten einfach              die eine Überraschung – und weltweit zu
Den Unterschied zwischen alter und                das Gefühl, wir müssten der Welt sagen:            lesen und zu hören. Ein bis vier Prozent
neuer Generation dieser ansonsten un-             Wir haben es gemacht“, sagt Pääbo.                 der DNA der Menschen außerhalb Afri-
scheinbaren Kästen verdeutlicht viel-             Eine erste Analyse der Daten dauerte               kas stammen vom Neandertaler. Noch
leicht am besten ein Blick auf die etwa           dann noch einmal ein knappes Jahr.                 überraschender für die Forscher war
handtellergroßen Trägerplatten mit                Und das Ergebnis kann sich sehen las-              aber, dass der bullige Eiszeitmensch
Vertiefungen, in denen die DNA-Frag-              sen: ein echter Meilenstein in der Erfor-          nicht nur in Europa, sondern auch in
mente sequenziert werden: Auf den                 schung der menschlichen Evolution.                 China und Papua-Neuguinea seine ge-
alten Maschinen gibt es 96 Einbuch-               Pääbo und seine Mitarbeiter haben vier             netischen Spuren hinterlassen hat.
tungen pro Platte, bei der 454 Life Sci-          Milliarden Basenpaare sequenziert, aus             „Das haben wir nicht erwartet“, sagt
ence-Maschine sind es 1,6 Millionen.              denen sie mehr als 60 Prozent der Ne-              Pääbo. Denn bis heute gibt es keinerlei
„Das bedeutet, dass man mehr als eine             andertaler-Sequenz durch den Ver-                  Hinweise, dass in diesen Regionen je-
Millionen DNA-Fragmente pro Platte                gleich mit dem Genom des Menschen                  mals Neandertaler gelebt haben. Folg-
parallel sequenzieren kann, im Ver-               und dem des Schimpansen rekonstru-                 lich muss es zu sexuellen Kontakten ge-
gleich zu 96 pro Platte bei der alten Ge-         ieren konnten.                                     kommen sein, bevor der frühe moderne
neration“, sagt Briggs.                               „Manche Positionen in der Sequenz              Mensch sich von Afrika kommend über
    Dass sich die Forscher den neuesten           haben wir mehrmals sequenzieren kön-               Eurasien ausgebreitet hat.
Schrei der Sequenziertechnik leisten              nen, andere dafür überhaupt nicht“,                    Die einfachste Erklärung wäre ein
konnten, verdanken sie einer zusätzli-            sagt Johannes Krause, der seit 2005 im             Zusammentreffen der beiden im Mitt-
chen Finanzspritze aus dem strategi-              Labor von Pääbo arbeitet. Mehr als 80              leren Osten. In einem Zeitraum zwi-
                                                                                                                                                Foto: Frank Vinken

schen Innovationsfonds des Präsiden-              Prozent des Neandertaler-Genoms wer-               schen 80 000 und 50 000 Jahren vor
ten. „Das muss man auch mal sagen: Es             den die Forscher rekonstruieren kön-               heute lebten die beiden Menschenty-
gab in der Max-Planck-Gesellschaft ein-           nen: „Für den Rest sind die Fragmente              pen in derselben Region – das belegen
fach Leute, die das Potenzial erkannt             einfach zu klein“, so Krause. Für die              paläontologische Funde. Noch ist aller-

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Neandertalers Im Spiegel des - Max-Planck-Gesellschaft
BIOLOGIE & MEDIZIN_Evolutionäre Anthropologie

                     Sie haben den Neandertaler-Code geknackt. Vordere Reihe von links: Hernán Burbano, Anja Buchholz, Svante Pääbo,
                     Janet Kelso, Qiaomei Fu und Martin Kircher; hintere Reihe von links: Adrian Briggs, Jesse Dabney, Matthias Meyer,
                     Tomislav Maricic, Johannes Krause, Udo Stenzel und Kay Prüfer.

                     dings nicht ganz ausgeschlossen, dass             kognitiver Entwicklung zu tun haben.
                     die genetischen Spuren nicht schon auf            Mutationen in diesen Genen stehen                     GLOSSAR
                     anderem Wege vor etwa 200 000 bis                 beim Menschen im Zusammenhang mit
                     300 000 Jahren irgendwo in Afrika in              Schizophrenie und Autismus. „Das heißt                Mitochondrien
                     die Abstammungslinie gelangten. Es                jetzt aber nicht, dass Neandertaler diese             Von einer Doppelmembran umschlossene
                                                                                                                             Zellorganellen mit eigener Erbsubstanz
                     wäre nur ein deutlich komplizierteres             Krankheiten hatten“, warnt Svante Pää-
                                                                                                                             (mtDNA), deren Aufgabe es ist, die Zelle
                     Szenario notwendig.                               bo. Aber es gibt auch das Gen RUNX2.                  mit Energie in Form von ATP zu versor-
                                                                       In seiner mutierten Variante führt es                 gen. Mitochondrien werden nicht neu
                     WAS MACHT UNS EINZIGARTIG?                        beim Menschen zu Cleidocranialer Dysos-               gebildet, sondern gehen durch Teilung
                                                                       tose, bestimmten Verformungen im Ske-                 auseinander hervor. Sie sind vermutlich
                                                                                                                             in einem frühen Stadium der Evolution
                     Für Svante Pääbo sind aber noch ganz              lett: Der Brustkorb wird glockenförmig,               entstanden, indem sich eukaryotische,
                     andere Dinge wichtig: „Wir können                 die Schulterknochen verändern sich                    also kernhaltige Zellen Bakterien einver-
                     jetzt einen Katalog erstellen, in dem             und – der Augenbrauenwulst verdickt                   leibt und diese umfunktioniert haben
                     jene Veränderungen unseres Genoms                 sich. Sieht fast aus wie das Skelett, das             (Endosymbiose).
                     zu finden sind, die uns wirklich einzig-          hinter Svante Pääbo steht. Doch der Pa-               Nukleobasen
                     artig machen. Die uns nicht nur vom               läogenetiker wiegelt ab: „Nein, das wäre              Die Grundbausteine der DNA und RNA
                                                                                                                             sind die Nukleotide. Sie setzen sich aus
                     Schimpansen unterscheiden, sondern                zu einfach“, sagt er und lacht.
                                                                                                                             einem Phosphatrest, einem Zuckerbau-
                     auch von unserem nächsten Verwand-                    So leicht kann es nicht sein, die                 stein sowie einer der fünf Nukleobasen
                     ten.“ Die Alleinstellungsmerkmale der             Unterschiede zwischen Mensch und                      Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C), Thy-
                     Spezies Homo sapiens sozusagen, all die           Neandertaler zu offenbaren. Manchmal                  min (T) oder Uracil (U) zusammen. Letz-
                     genetischen Einzigartigkeiten, die sich           vielleicht doch? Die Hauptsache ist, dass             tere sind die Buchstaben des genetischen
                                                                                                                             Codes und bilden die jeweilige Sequenz.
                     in den vergangenen 300000 Jahren in               es jetzt überhaupt möglich ist. Wir wer-
                     unserem Genom fixiert haben. Mehr                 den dem genetischen Geheimnis wieder                  Hochdurchsatz-Sequenzierung
                                                                                                                             Innerhalb kurzer Zeit kann die Buchsta-
                     als 200 solcher Bereiche haben die For-           ein Stück näherkommen, das uns zum                    benfolge von immer mehr genetischen
                     scher schon gefunden. Die wichtigsten             Homo sapiens macht – indem wir uns in                 Abschnitten ausgelesen werden. Das führt
                     20 finden sich auch im SCIENCE-Artikel.           unserem nächsten Verwandten spie-                     zu einem enormen Anstieg bei der Erzeu-
                     „Das sind die Bereiche, die mich am               geln. Die Wissenschaftler haben mit                   gung von Sequenzdaten und gleichzeitig
Foto: Frank Vinken

                                                                                                                             zur Reduktion von Kosten. Ganze Genome
                     meisten faszinieren“, sagt Pääbo.                 ihrer Arbeit gerade erst begonnen.
                                                                                                                             werden sich in absehbarer Zeit für einige
                         Noch ist es zu früh, um konkrete                                                                    tausend Euro sequenzieren lassen.
                     Aussagen zu machen; es sind eher vage                   www.filme.mpg.de
                     Andeutungen. Da gibt es Gene, die mit             www.youtube.com/user/MaxPlanckSociety

                                                                                                                                         2 | 10 MaxPlanckForschung       61
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