Reallabore zur Transformation urbaner Zentren Erfahrungen und kritische Reflexion TransZ Working Paper No. 2/2020 - Sascha Anders, Stefan Kreutz ...

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Reallabore zur Transformation urbaner Zentren Erfahrungen und kritische Reflexion TransZ Working Paper No. 2/2020 - Sascha Anders, Stefan Kreutz ...
Sascha Anders, Stefan Kreutz, Elisabeth Schaumann, Jaqueline Schmidt

Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
              Erfahrungen und kritische Reflexion
                  TransZ Working Paper No. 2/2020
Reallabore zur Transformation urbaner Zentren Erfahrungen und kritische Reflexion TransZ Working Paper No. 2/2020 - Sascha Anders, Stefan Kreutz ...
TransZ Working Paper 02|2020                          Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
                                                                 Erfahrungen und kritische Reflexion

Reallabore zur Transformation urbaner Zentren –
Erfahrungen und kritische Reflexion
Sascha Anders (HCU Hamburg)
Stefan Kreutz (HCU Hamburg),
Elisabeth Schaumann (HFT Stuttgart)
Jaqueline Schmidt (HAWK Holzminden)
Kontakt: kontakt@transz.de
Dieses Working Paper wurde im Kontext des Projekts ‚TransZ: Transformation urbaner
Zentren‘ verfasst, das vom BMBF in der Förderinitiative ‚Nachhaltige Transformation ur-
baner Räume‘ finanziert wird.

Kurzfassung                                        Abstract
Onlinehandel und Digitalisierung verän-            Online-shopping and digitization not only
dern nicht nur den Lebensalltag vieler             change our everyday life, they also affect
Menschen, sie wirken sich auch auf die             the spatial and functional structures of in-
baulichen und funktionalen Strukturen der          ner cities and neighbourhood centres. This
städtischen Zentren aus. Der Beitrag re-           article reflects the opportunities, chal-
flektiert die Möglichkeiten, Herausforde-          lenges and preliminary results of Real-
rungen und Zwischenergebnisse der Real-            world Laboratories for the transformation
labore, die im Rahmen des Forschungs-              of centres, which are implemented as part
vorhabens TransZ durchgeführt werden.              of the TransZ research project. The pro-
Projekt geht dabei davon aus, dass die Zu-         ject assumes that the future viability of
kunftsfähigkeit der Zentren unter anderem          urban centres depends, among other
davon abhängt, ob und wie es gelingt, die          things, on whether and how it is possible
relevanten Akteur*innen vor Ort in den             to integrate the relevant local stakehold-
Transformationsprozess zu integrieren und          ers into the process and to give them the
ihnen die Möglichkeit zu geben, sich über          opportunity to actively co-design the
die eigenen Interessen hinausgehend in             transformation. In particular, the article
den Umgestaltungsprozess einzubringen.             refers to established urban planning and
Der Beitrag stellt insbesondere einen Zu-          urban research, in which transdisciplinary
sammenhang zur Stadtplanung und Stadt-             research approaches with the participa-
forschung her, in denen transdisziplinäre          tion and activation of relevant planning
Forschungsansätze unter Beteiligung und            actors are largely established. It becomes
Aktivierung relevanter Planungsakteur*in-          clear that Real-world Laboratories can
nen weitestgehend etabliert sind. Dabei            meaningful complement established for-
wird deutlich, dass Reallabore eine sinn-          mal and informal urban planning pro-
volle Ergänzung abseits etablierter formel-        cesses.
ler und informeller Stadtplanungsprozesse
sein können.

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TransZ Working Paper 02|2020                         Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
                                                                Erfahrungen und kritische Reflexion

Inhalt
Kurzfassung                                                                                      2
Abstract                                                                                         2
1     Das Forschungsvorhaben „Transformation urbaner Zentren (TransZ)“                           4
    1.1    Hintergrund: Herausforderungen von Stadt(teil)zentren                                 4
    1.2    Forschungsansatz                                                                      5
2     Aktivierende Ansätze in Stadtplanung und Stadtforschung                                    6
3     Reallabore im Rahmen von TransZ: Kennzeichen und Vorgehen                                 11
4     Praktische Erfolge und Wirkungen vor Ort                                                  14
    4.1 Kreativhaus Hamburg-Eimsbüttel als Beispiel für das Handlungsfeld
        Treffpunkte, Soziales und Kultur                                                        14
    4.2 Bürgergenossenschaft Holzminden eG als Beispiel für das Handlungsfeld
        Immobilien und Leerstände                                                               15
    4.3 Bauwerkstatt Stuttgart-Wangen als Beispiel für das Handlungsfeld
        Öffentliche Räume und Grünanlagen                                                       16
5     Chancen und Herausforderungen der TransZ-Reallabore                                       18
6     Abschließende Bewertung                                                                   19
Literaturverzeichnis                                                                            22

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                                                                Erfahrungen und kritische Reflexion

1 Das Forschungsvorhaben                          1.1 Hintergrund: Herausforderun-
  „Transformation urbaner                             gen von Stadt(teil)zentren
  Zentren (TransZ)“                               Seit einigen Jahren ist in vielen, vor allem
Das Forschungsvorhaben TransZ beschäf-            größeren Städten ein Trend zur Reurbani-
tigt sich vor dem Hintergrund des Struktur-       sierung bzw. In-Wert-Setzung von inner-
wandels im Einzelhandel und der Digitali-         städtischen Wohn-, Arbeits- und Versor-
sierung unterschiedlicher Lebensbereiche          gungsstandorten zu beobachten. Dieser
mit der funktionalen und räumlichen               Prozess der Innenentwicklung urbaner
Transformation urbaner Zentren. Dafür             Strukturen wird politisch gefördert und
werden in lokal organisierten Reallaboren         planerisch unterstützt. Messbare und
innovative Projekte zur nachhaltigen Wei-         sichtbare Wirkungen der zunehmenden Sa-
terentwicklung städtischer Zentren initi-         nierungs- und Investitionstätigkeiten wa-
iert und unterstützt. Die Reallabore sollen       ren in den vergangenen Jahren wachsende
dazu dienen, in Wissenschaft und Gesell-          Bevölkerungszahlen, steigende Bodenprei-
schaft kreative und reflexive Fähigkeiten         se und Immobilienwerte sowie damit ver-
im Umgang mit Transformationsprozessen            bundene Aufwertungs- und Verdrängungs-
zu entwickeln. Die TransZ-Reallabore wer-         prozesse (Brake/Herfert 2012).
den bundesweit in sechs Zentren durchge-
führt und verfolgen einen akteursbezoge-          Zugleich gibt es aber auch Städte und städ-
nen, transdisziplinären Ansatz, in dem die        tische Teilräume, die von diesen räumlich
Forschenden im Sinne der Transforma-              selektiven Entwicklungen nicht profitieren
tionsforschung selbst Teil eines Entwick-         und vielmehr unter hohen Anpassungs- und
lungsprozesses zwischen Wissensproduk-            Erneuerungsdruck geraten. In Großstädten
tion und Wissensanwendung sind. Ziel ist          leiden insbesondere Nahversorgungs- und
es, konzeptionelles und praktisches Wissen        Stadtteilzentren sowie Randbereiche der
über die Initiierung, Umsetzung und Ver-          Innenstädte unter erheblichen Funktions-
stetigung von Transformationsprozessen in         verlusten. In Klein- und Mittelstädten sind
urbanen Zentren zu erlangen (Schäp-               häufig die Innenstädte selbst von diesen
ke/Stelzer/Bergmann et al. 2017: 1f;              Entwicklungen betroffen. Dieser Trend
Schneidewind 2014a: 2-6).                         wird durch den andauernden Strukturwan-
                                                  del im Einzelhandel verstärkt, welcher
TransZ wird vom Bundesministerium für             durch die zunehmende Filialisierung, Ver-
Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen            tikalisierung, größere Verkaufsflächen und
der Fördermaßnahme „Nachhaltige Trans-            eine Ausdünnung des Standortnetzes (An-
formation urbaner Räume“ gefördert und            ders/Krüger/Kreutz 2017) sowie durch die
ist ein Verbundprojekt der vier Hochschu-         Auswirkungen des stark wachsenden
len HafenCity Universität Hamburg (HCU),          E-Commerce deutlich wird (BBSR 2017).
Hochschule für Angewandte Wissenschaf-            Auch lokalspezifische Rahmenbedingungen
ten Hamburg (HAW), Hochschule für ange-           beeinflussen die Prozesse - hierzu zählen
wandte Wissenschaft und Kunst, Hildes-            beispielsweise die Lage und Erreichbarkeit
heim/Holzminden/Göttingen (HAWK) und              der Zentren, Konkurrenzstandorte in Ge-
der Hochschule für Technik Stuttgart              werbegebieten, nicht mehr marktgängige
(HFT). Kommunale Praxispartner sind die           (häufig zu kleine) Verkaufs- und Nutzflä-
Bezirksämter Hamburg-Altona und Ham-              chen, ungünstige Gebäudestrukturen und
burg-Eimsbüttel sowie die Stadtverwaltun-         rein renditeorientierte Vermietungsstrate-
gen von Holzminden, Höxter, Stuttgart und         gien von Eigentümer*innen. Zudem sind
Fellbach. TransZ wird seit Februar 2017           häufig die kommunalen Handlungsspiel-
gefördert und befindet sich seit April 2020       räume eingeschränkt (z. B. Ressourcen, In-
in der zweiten Förderphase (Anschlussvor-         strumente, Verfügungsrechte), um flexibel
haben), die im März 2022 enden wird.              und bedarfsgerecht auf die genannten
                                                  Herausforderungen reagieren zu können.
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TransZ Working Paper 02|2020                                Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
                                                                       Erfahrungen und kritische Reflexion

Hinzu kommen sozioökonomische Verän-                    Funktionen sowie den Akteur*innen zu er-
derungen wie der demografische und sozi-                kennen und zu nutzen (Anders/Krüger
ale Wandel und die daraus resultierende                 2018). Die Grundannahme des Forschungs-
zunehmende gesellschaftliche Diversifizie-              vorhabens ist deshalb, dass es zunehmend
rung mit verändertem Mobilitäts- und Ein-               vom gemeinsamen Handeln der verschie-
kaufsverhalten sowie differenzierten An-                denen Akteur*innen (Gewerbe, Immobi-
sprüchen an das Wohnen, die sich in sozial-             lien, Kultur/Bildung/Soziales, Zivilgesell-
räumlichen Segregationsprozessen zwi-                   schaft, Kommune) und ihrer Selbstorgani-
schen (groß)städtischen Teilgebieten,                   sation abhängt, ob und inwieweit eine so-
aber auch zwischen Stadt und Land ausdrü-               ziale, ökonomische und ökologische Trans-
cken. Im Ergebnis kommt es in gewachse-                 formation der Zentren gelingt. Das heißt,
nen Zentren zu Trading-down Prozessen.                  die lokal Beteiligten müssen ihre eigenen
Diese werden an gewerblichen Mindernut-                 Potenziale und Ressourcen erkennen, mo-
zungen wie Spielotheken und Wettbüros,                  bilisieren und organisieren, um zukunfts-
Laden- und Wohnungsleerständen, Immo-                   weisende und tragfähige Perspektiven ent-
bilien mit Sanierungsstau, brachliegenden               wickeln zu können. Dafür sind neben
Grundstücken und verwahrlosten öffentli-                Strukturinnovationen (neue Strukturen
chen Räumen sichtbar. Ehemals vitale                    und interorganisationale Kooperationen)
Zentren verlieren dadurch zunehmend an                  vor allem soziale Innovationen erforderlich
Bedeutung und Wertschätzung – nicht nur                 (Stein 2014; Zapf 1989). Diese sind durch
als Orte des Konsums und der Versorgung,                ihre Orientierung an einem gesellschaftli-
sondern auch als Wohn-, Kommunikati-                    chen Nutzen und Mehrwert gekennzeich-
ons-, Aufenthalts- und Identitätsorte für               net (Murray/Caulier-Grice/Mulgan 2010).
den Stadtteil oder die Gesamtstadt (Stadt-
baukultur NRW 2019: 8-27).1                             In TransZ geht es darum, akteursgetragene
                                                        Prozesse zu initiieren, in denen neue
Trotz Unterstützung durch Programme des                 Handlungsansätze und Innovationen entwi-
Bundes und der Länder, zum Beispiel durch               ckelt werden, die zur Attraktivitätssteige-
das Städtebauförderprogramm „Aktive                     rung der Zentren beitragen können
Stadt- und Ortsteilzentren“, können die                 (Vaudt/Reichenheim 2020: 2). Hier kom-
Kommunen die vielschichtigen Probleme                   men Innovationsakteur*innen ins Spiel
gewachsener Zentren nicht alleine lösen.                (Noack 2015 spricht von „Raumpionie-
Die Programme können zwar wichtige Im-                  ren“), die auf bestehende Problemlagen
pulse für Transformationsprozesse setzen,               mit Innovationen reagieren und verschie-
die Verstetigung des Erreichten ist jedoch              dene Akteur*innen zusammenzubringen.
nach Beendigung der Förderung oftmals                   TransZ geht davon aus, dass kollektives In-
nicht nachhaltig gesichert.                             novationshandeln durch Anreize (z. B. För-
                                                        derprogramme) stimuliert werden kann
1.2     Forschungsansatz                                und nicht unbedingt ein Zufallsprodukt
Das Forschungsvorhaben TransZ geht vor                  sein muss. Für eine nachhaltige Verände-
dem Hintergrund dieser skizzierten Trans-               rung der Strukturen und Funktionen sind
formationsprozesse davon aus, dass sich                 jedoch nicht nur diese Schlüsselakteur*in-
Stadt(teil)zentren nur dann zukunftsfähig               nen erforderlich, sondern auch diejenigen,
entwickeln können, wenn unterschied-                    die die Neuerung aufgreifen und verinner-
lichste Nutzungen und Funktionen in Ein-                lichen (Rogers (2003) spricht von „Change
klang gebracht werden und es gelingt, Sy-               Agents“ und „Adopters“). Diese Innovati-
nergien zwischen den Nutzungen und                      onsakteur*innen werden zwar auch durch

1 Aktuell werden die innerstädtischen Transforma-       Nutzungseinschränkungen diskutiert, die als Trend-
tionsprozesse vor allem im Zusammenhang der Co-         verstärker wirken.
vid 19-Pandemie und den sich daraus ergebenden

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                                                                        Erfahrungen und kritische Reflexion

Förderprogramme erreicht, allerdings kön-                die Nutzer*innen gestaltet und von ihnen
nen die inhaltlichen und organisatorischen               ohne (finanzielle) Gewinnorientierung ge-
Grenzen dieser Programme auch als Diffus-                pflegt werden (Vaudt/Reichenheim 2020:
sionsbarriere für Neuerungen wirken. Aus                 3; Kip/Bieniok/Dellenbaugh 2015).
diesem Grund zielen die TransZ-Realla-
bore darauf ab, Innovationsakteur*innen                  Als Grundlage für diesen anwendungsbezo-
zu identifizieren, die über Interessen und               genen Forschungsansatz dienen sechs Re-
Ressourcen verfügen, um Routinen zu ver-                 allabore in den Zentren in Hamburg-Ris-
lassen und Grenzen der üblichen Arbeits-                 sen, Hamburg-Eimsbüttel, Höxter, Holz-
zusammenhänge überschreiten, um neue                     minden, Stuttgart-Wangen und Fellbach.
Ideen anzustoßen und umzusetzen (Willi-                  Dabei wird untersucht, welche Möglichkei-
amson (2012) spricht von „Boundary Span-                 ten sich unter den gegebenen Rahmenbe-
ners“). Gleichzeitig soll die Idee von „Ur-              dingungen aus den spezifischen Akteurs-
ban Commons“ in den Arbeits- und Ent-                    konstellationen vor Ort ergeben und wie
wicklungszusammenhang von Stadt(teil)-                   die häufig unterschiedlichen Interessen,
zentren integriert werden. Dies sind der                 Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten
Allgemeinheit zugängliche Gemeingüter,                   für eine nachhaltige Entwicklung der Zen-
die durch Selbstbestimmung und Selbstor-                 tren genutzt werden können.
ganisation in einem offenen Prozess durch

Abb. 1: Vorgehen in den TransZ-Reallaboren

Quelle: Eigene Darstellung.
Grafische Umsetzung: D. Holthöfer, Editorial & Corporate Design, Hamburg

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2 Aktivierende Ansätze in                                  fenen, Einfluss auf die Inhalte der Planung
  Stadtplanung und Stadtfor-                               zu nehmen, bleiben hier verhältnismäßig
  schung                                                   gering.
Die TransZ-Reallabore sind als ein Ansatz
transformativer Forschung zu verstehen,                    Darüber hinaus haben sich seit den 1980er
mit dessen Hilfe neue Erkenntnisse über                    Jahren in der Stadtplanung sehr offen ge-
soziale Dynamiken und Prozesse im Kon-                     haltene Beteiligungsprozesse und auch in-
text der Transformation urbaner Zentren                    novative Formate etabliert, die nicht sel-
gewonnen werden sollen. Die Perspektive                    ten zu einer inhaltlich-konzeptionellen
transdisziplinärer Forschung unter Beteili-                Verbesserung der Planung führen. Einige
gung und Aktivierung relevanter Planungs-                  Kommunen haben z. B. standardisierte Be-
akteur*innen ist in der Stadtforschung und                 teiligungsmodelle oder Bürger*innendia-
auch in der Stadtplanungspraxis nicht neu                  loge eingerichtet.3 Außerdem ermöglicht
und ähnelt erprobten und etablierten Ak-                   der politisch-administrative Planungsap-
tivierungsformaten sowie transdisziplinär                  parat mittlerweile auch Experimente, wie
und partizipativ ausgerichteten For-                       beispielsweise temporäre Interventionen
schungsansätzen (Schäpke/Stelzer/Berg-                     im öffentlichen Raum (Schaumann/Simon-
mann et al. 2017). Dabei können im Kon-                    Philipp 2018).4 Trotz dieser mittlerweile
text von Akteurs- und Bewohner*innen-                      sehr offenen Beteiligungsprozesse, werden
beteiligung in der Stadtplanung und mit                    diese in der Forschung insbesondere im
Bezug zur anwendungsbezogenen Stadtfor-                    Kontext verschiedener Debatten zur Stadt-
schung grob die folgenden Zugänge unter-                   erneuerung kritisch diskutiert (Selle 2013,
schieden werden:2                                          Healey 2012), da es sich bei diesen Forma-
                                                           ten im weitesten Sinne lediglich um eine
a) In der kommunalen Planungspraxis gibt                   Information und Beteiligung Dritter han-
es verschiedene formale und informelle                     delt. Die eigentlichen Entscheidungen
Verfahren, die auf eine Aktivierung und                    über die Umsetzung der Planung bleiben
Beteiligung von Akteur*innen zielen. So                    nach wie vor dem politisch-administrati-
muss bei der Neuaufstellung von Bebau-                     ven Planungssystem bzw. der*m jeweiligen
ungsplänen nach §§ 3 und 4 BauGB eine for-                 Eigentümer*in unter Wahrung der pla-
male Beteiligung der Öffentlichkeit und                    nungsrechtlichen Vorgaben vorbehalten.
der Träger öffentlicher Belange stattfin-                  Wissenschaftliche Forschung findet dabei
den. Bei dieser Art der Beteiligung zielt                  meist begleitend oder auf der Basis von
das Planungsrecht grundsätzlich auf die                    Fallstudien statt (Brombach/Kurth/Simon-
Vermeidung von Beeinträchtigungen oder                     Philipp 2011; Bodenschatz 2005). In den ei-
Störungen Dritter. Es geht vom Grundsatz                   gentlichen Planungsprozess ist die For-
her weniger darum, betroffene Anwoh-                       schung üblicherweise nicht eingebunden,
ner*innen an der Konzeption von Plänen o-                  die Analyse findet (sehr häufig nur im Er-
der neuen Vorhaben mitwirken zu lassen,                    folgsfall) ex post statt.
sondern in der Regel nur um die Informa-
tion über die Planung und Realisierung ei-                 b) Die Förderprogramme der Städte-
nes (in den groben Grundzügen) bereits                     bauförderung (nach Artikel 104b GG) zie-
feststehenden bzw. projektierten Planvor-                  len auf Wohnquartiere und Zentren ab, die
habens. Die Möglichkeiten für die Betrof-                  von Funktionsverlusten und negativen

2 Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Voll-         und Wohnen, siehe: https://www.ham-
ständigkeit. Sie soll die unterschiedlichen Beteili-       burg.de/stadtwerkstatt/
                                                           4 Zum Beispiel wurden 2019/20 im Hamburger
gungsformate und Forschungszugänge exemplarisch
darstellen.                                                Stadtteil Ottensen für sechs Monate einige Straßen
3 In Hamburg erfolgt das zum Beispiel über die             für den Pkw-Durchgangsverkehr gesperrt, um zu er-
Stadtwerkstatt der Behörde für Stadtentwicklung            proben, wie der Straßenraum anders genutzt wer-
                                                           den kann. Siehe: https://ottensenmachtplatz.de/

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TransZ Working Paper 02|2020                             Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
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sozioökonomische Entwicklungen geprägt               und die regelmäßige Evaluation der einzel-
sind (siehe §§ 136 – 171e BauGB, Besonde-            nen Programme, in der Regel über Fallstu-
res Städtebaurecht). Ziel der Förderpro-             dienuntersuchungen (ex post). Der Ansatz
gramme ist es, in diesen Gebieten eine               verfolgt das Ziel, den Informationsfluss
baulich-räumliche und funktionale Erneu-             zwischen Wissenschaft und Praxis zu erhö-
erung anzustoßen. Die einzelnen Maßnah-              hen, um die Ergebnisse in die Weiterent-
men werden mit erheblichen finanziellen              wicklung der Programme und deren Um-
Mitteln gefördert. Grundlage für die                 setzung einfließen zu lassen.
Durchführung sind in der Regel integrierte
Entwicklungskonzepte, die unter Beteili-             c) Bei den Modellvorhaben der Raumord-
gung der Akteur*innen vor Ort (z. B. Be-             nung (MORO) 5 unterstützt das Bundesmi-
wohner*innen, Gewerbetreibende, Soziale              nisterium (BMI) die praktische Erprobung
und Kultur-Einrichtungen) entwickelt wer-            und Umsetzung innovativer, raumordneri-
den. Die Beantragung der Fördermittel                scher Handlungsansätze und Instrumente
und die Festlegung der Fördergebiete er-             in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft
folgt durch das politisch-administrative             und Praxis. Die Modellvorhaben dienen ei-
Planungssystem. Damit verbunden ist auch             ner aktions- und projektorientierten
die Festlegung der Handlungsfelder, die –            Raumentwicklungspolitik. Gefördert wer-
in Abhängigkeit des Förderprogramms – in             den beispielhafte Projekte und Untersu-
der Regel die Sanierung von Wohngebäu-               chungen, die neue Ansätze in der Raum-
den, die Instandsetzung öffentlicher Räu-            ordnung und der Regionalplanung verfol-
me, den Ausbau sozialer und kultureller              gen. Die Forschungsfelder der MORO lagen
Infrastruktur oder die Förderung des Ge-             bislang in den Bereichen Daseinsvorsorge,
werbes beinhalten.                                   regionale Landschaftsgestaltung, regiona-
                                                     les Risikomanagement und aktive Regio-
Die Integration der lokalen Akteur*innen in          nalentwicklung. Seit 2019 sind Modellvor-
den Prozess und deren Mitsprachemöglich-             haben zur Weiterentwicklung der Städte-
keiten sind fest im Förderprogramm veran-            bauförderung und zu Smart Cities hinzuge-
kert und in der Regel über verschiedene              kommen.
Beteiligungsformate wie Auftakt- und Ab-
schlussveranstaltungen, Befragungen so-              Ähnlich wie die MORO ist auch der Experi-
wie unterschiedliche Arbeitsgruppen ge-              mentelle Wohnungs- und Städtebau
währleistet. Hierdurch gibt es verschie-             (ExWoSt)6 ein Forschungsprogramm des
dene Teilhabemöglichkeiten bei der Fest-             BMI, das innovative Planungen und Maß-
legung und Gestaltung von umzusetzenden              nahmen zu städtebaulichen und woh-
Maßnahmen. Teilweise werden auch Stadt-              nungspolitischen Themen fördert. Ein we-
teilbeiräte eingerichtet, die institutionell         sentlicher Schwerpunkt ist dabei die
noch einmal wesentlich stärker in den Pla-           wissenschaftliche Begleitung von Pla-
nungsprozess eingebunden sind und denen              nungs- und Bauvorhaben. Aktuelle For-
über eigene Verfügungsfonds eine direkte             schungsfelder sind die Ausweitung des
Mitbestimmung bei der Umsetzung von                  kommunalen Wohnungsbestandes als woh-
kleineren Maßnahmen eingeräumt wird                  nungspolitische Strategie, klimaresilienter
(BBSR 2018; BMVBS 2012).                             Stadtumbau, Aktivierung von Innenent-
                                                     wicklungspotenzialen in wachsenden Kom-
Eine wissenschaftliche Prozessbegleitung             munen, Green Urban Labs sowie Mobilität
erfolgt im Rahmen der Städtebauförde-                in städtischen Quartieren.
rung vor allem über die Begleitforschung

5                                                    6
  Siehe: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/for-        Siehe:
schung/modellvorhaben/_node.html                     https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/FP/ExWoSt/F
                                                     orschungsfelder/forschungsfelder_node.html

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TransZ Working Paper 02|2020                             Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
                                                                    Erfahrungen und kritische Reflexion

Die Gemeinschaftsinitiative Nationale                 und ist somit institutionell verankert. Das
Stadtentwicklungspolitik (NSP) 7 zielt da-            BBSR finanziert Forschungen zu unter-
rauf ab, Strategien und Instrumente (z. B.            schiedlichen thematischen Schwerpunk-
Städtebauförderung) von Vertreter*innen               ten, die in der Regel aktuelle Bezüge ha-
aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wis-             ben bzw. in bundespolitische Programme
senschaft und Zivilgesellschaft kontinuier-           einbezogen sind. In aktuellen Studien geht
lich weiterzuentwickeln. Dafür werden in              es beispielsweise auch um globale urbane
Pilotprojekten innovative Ansätze in der              Transformationen (BBSR 2020a) und um
Praxis erprobt und von der Gemeinschafts-             Strategien der Innenentwicklung (BBSR
initiative gefördert. Ziel ist es, den Aus-           2020b). Die Forschungen erfolgen sehr
tausch und die Kooperation von öffentli-              häufig ex post auf der Grundlage von (ge-
chen, privaten und zivilgesellschaftlichen            lungenen) Fallbeispielen oder betrachten
Akteur*innen in ihrem Engagement für                  gegenwärtige Entwicklungen von nationa-
eine nachhaltige Stadtentwicklung zu un-              ler Bedeutung. Auch hier werden die rele-
terstützen. Außerdem unterstützt die NSP              vanten Akteur*innen in die Forschungen
verschiedene Forschungsprogramme und -                einbezogen, die Partizipation von Pla-
initiativen, um die Wirksamkeit vorhande-             nungsakteur*innen ist aber kein expliziter
ner Strategien und Instrumente zu über-               Forschungs- und Planungsschwerpunkt.
prüfen, neue Ansätze zu entwickeln und
politischen Handlungsbedarf zu ermitteln.             e) Darüber hinaus sind innerhalb der
Forschungsfelder sind hier beispielsweise             Stadtforschung verschiedene inter- und
„Bürger für ihre Stadt aktivieren – Zivilge-          transdisziplinär orientierte Forschungszu-
sellschaft“ oder „Innovative Stadt – Motor            gänge etabliert, die thematisch nicht an
der wirtschaftlichen Entwicklung“.                    Institutionen gebunden sind. Im Kontext
                                                      von Beteiligung, Stadtentwicklung und
Bei den ExWoSt- und MORO-Vorhaben so-                 Transformationsforschung wird dabei
wie bei den Projekten der NSP geht es                 häufig das Handeln neuer Akteur*innen in
hauptsächlich darum, den Wissenstransfer              den Fokus der Untersuchungen gestellt
zwischen Wissenschaft und Praxis zu un-               und deren Bedeutung für innovative stadt-
terstützen, um Förderprogramme bzw. -                 planerische Gestaltungsansätze herausge-
maßnahmen vorzubereiten. Die Partizipa-               arbeitet. Zu diesem neuen Forschungsbe-
tion relevanter Planungsakteur*innen ist              reich sind gerade in den vergangenen
zwar kein explizites Ziel dieser Vorhaben             Jahren einige Aufsätze publiziert worden,
und Projekte, sie ist aber häufig ein fester          die die besondere Innovationskraft dieser
Bestandteil.                                          neuen gestaltenden, intermediären Ak-
                                                      teur*innen     herausstellen    (Koch/Tri-
d) Die Evaluation und Begleitforschung zu             bble/Siegmund et al. 2018; Beck/Schnur
den unterschiedlichen Förderprogrammen                2016) oder neue Beteiligungsformate un-
der Städtebau-förderung, die Modellvorha-             tersuchen (Petrin 2016). Dabei werden
ben der Raumordnung, das Forschungspro-               partnerschaftliche Organisationsstruktu-
gramm ExWoSt und die Gemeinschaftsini-                ren im Kontext neuer Projekte des Stadt-
tiative NSP verdeutlichen, dass trans- und            gestaltens und des Stadtnutzens häufig im
interdisziplinäre Forschung in der Stadt-             Kontext von „Urban Commons“ diskutiert
planung mittlerweile weit verbreitet ist.             (Dellenbaugh/Kip/Bieniok et al. 2015). Im
Daneben wird ein großer Teil anwendungs-              Gegensatz zu den etablierten Forschungen
bezogener Stadtforschungen im Auftrag                 und Beteiligungsansätzen, die den Aus-
des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und              gangspunkt von Top-down-Planungen bei
Raumentwicklung (BBSR) durchgeführt                   staatlichen Aktiven sehen, gehen diese

7
 Siehe https://www.nationale-stadtentwicklungs-
politik.de/NSP/DE/Home/home_node.html

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Gestaltungsansätze und Forschungen häu-                   allem auf die Vorhaben zu, bei denen die
fig darüber hinaus. Hier stehen eigenstän-                Zusammenarbeit zwischen dem politisch-
dige privatwirtschaftliche oder zivilgesell-              administrativen Planungssystem und wei-
schaftliche Impulse und deren Wirkungen                   teren Planungsakteur*innen vor Ort bereits
auf die Stadtentwicklung im Mittelpunkt                   zu Beginn der Planung oder Forschung
des Interesses.                                           partnerschaftlich oder kooperativ organi-
                                                          siert ist. Eigenständigkeit in dem Sinne,
Diese beispielhafte Auswahl macht deut-                   dass die Aktiven außerhalb des politisch-
lich, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten                   administrativen Planungsapparates wirk-
von Praxisakteur*innen in den beschriebe-                 lich über Planungen bestimmen bzw. ei-
nen Ansätzen der Stadtplanungspraxis und                  gene Projekte im Rahmen der dargestell-
der Stadtforschung sehr unterschiedlich                   ten Formate entwickeln und umsetzen
sind. In vielen standardisierten, formellen               können, ist nur in Ausnahmefällen und im
Planungsprozessen beschränkt sich die                     kleinen Maßstab vorhanden und auch nur
Partizipation relevanter Akteur*innen le-                 insoweit möglich, wie es das hoheitliche
diglich auf eine reine Information über die               Planungsrecht zulässt (siehe Abbildung).
(bereits vorher erarbeitete) Planung. Im
besten Fall wird eine Aktivierung in dem                  Diese Beispiele verdeutlichen, dass eine
Sinne erreicht, dass auf die Ansprüche der                prozessbegleitende, thematisch weitest-
Beteiligten eingegangen wird. Es gibt dort                gehend offene, wissenschaftliche Beglei-
also Raum für einen Austausch und Dialog.                 tung von anwendungsbezogenen Planungs-
In den Programmen der Städtebauförde-                     und Beteiligungsprozessen in der räumli-
rung sowie im Rahmen von Modellvorhaben                   chen Stadtentwicklungsplanung nicht
der Raumordnung, ExWoSt-Vorhaben und                      gänzlich neu ist. Ganz im Gegenteil, die
NSP-Pilotprojekten sind auch partner-                     Stadtplanungsprofession kann sich auf eine
schaftliche und kooperative Planungs- und                 differenzierte Planungsgeschichte beru-
Forschungsansätze mit unterschiedlichen                   fen, in der die Integration von relevanten
Akteur*innen zu erkennen. Hier können                     Akteur*innen und ihre Beteiligung inner-
einzelne Beteiligtengruppen weitestge-                    halb formeller und informeller Planungs-
hend unabhängig agieren und über Teilbe-                  prozesse eine große Bedeutung besitzen.8
reiche sogar mitentscheiden. Das trifft vor

Abb. 2: Spektrum der Mitwirkungsmöglichkeiten

Quelle: Eigene Darstellung und Aktualisierung nach Lüttringhaus (2000)

8                                                         auseinandersetzt (Selle 2017; Nuissl/Heinrichs
  Hier lassen sich auch Bezüge zur Governance-De-
batte innerhalb der Stadtplanung herstellen, die          2011).
sich mit dem veränderten Stadtplanungsverständnis

                                                     10
TransZ Working Paper 02|2020                           Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
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3 Reallabore im Rahmen von                             die Transformation von urbanen Zen-
  TransZ: Kennzeichen und                              tren gezogen werden können.
  Vorgehen                                         ▪   Selbstorganisation:      Ein    weiterer
Die Reallabore im Rahmen von TransZ neh-               Schwerpunkt liegt auf der Befähigung
men diese Erfahrungen aus der trans- und               der Akteur*innen zur Selbstorganisa-
interdisziplinären Stadtforschung auf und              tion. Dabei wird ein Bezug zu For-
setzen sie in den Kontext zur aktuellen De-            schungsschwerpunkten hergestellt, wie
batte über die Transformation urbaner                  sie in den vergangenen Jahren vor allem
Zentren. Sie sind durch acht Merkmale ge-              im Kontext der „Urban Commons“ un-
kennzeichnet, die sich je nach lokalen                 tersucht wurden.
Rahmenbedingungen und dem spezifischen             ▪   Neutraler Impulsgeber: Die Hochschu-
inhaltlich-methodischen Ansatz teilweise               len nehmen als Impulsgeberinnen und
von den dargestellten Planungs- und For-               Beraterinnen mit wissenschaftlicher Ex-
schungsansätzen unterscheiden:                         pertise eine besondere Rolle ein. Sie
                                                       agieren als unabhängige „neutrale In-
▪ Transdisziplinarität: Die beteiligten                stanz“ ohne Eigeninteresse oder exter-
  Hochschulen arbeiten mit unterschied-                nen Auftrag. Sie handeln nicht im Auf-
  lichen Praxisakteur*innen zusammen.                  trag der Kommunen, sondern arbeiten
  Ziel ist es, das Wissen und die Kompe-               ergebnisoffen mit ihnen zusammen.
  tenzen von Forschung und Praxis direkt           ▪   Rolle der Kommune: Die Kommunen
  in die Prozesse vor Ort zu integrieren               nehmen, anders als in formellen Pla-
  (Rose/Warner/Hilger 2018: 2). Das me-                nungsprozessen, eine für sie unge-
  thodische Spektrum umfasst Interviews,               wohnte Rolle im Hintergrund ein. Sie
  partizipative Kartierungen, qualitative              können den Reallabor-Prozess inhaltlich
  Netzwerkanalysen sowie reflektierende                nicht steuern, sich aber (wie alle ande-
  Gruppendiskussionen und ist auf eine                 ren Akteur*innen auch) aktiv einbringen
  enge Kooperation zwischen Wissen-                    und dadurch zu einer mitgestaltenden
  schaft und Praxis ausgelegt.                         Akteurin werden.
▪ Thematische Offenheit: Die Realla-               ▪   Begleitende Forschung: Die prakti-
  bore sind thematisch offen konzipiert.               schen Erfahrungen und die Forschungs-
  Den inhaltlichen Fokus bestimmen aus-                erkenntnisse werden von den vier Hoch-
  schließlich die Praxisakteur*innen vor               schulen gesammelt, ausgewertet und
  Ort (Bewohner*innen, Immobilieneigen-                an die beteiligten Aktiven zurückge-
  tümer*innen, Gewerbetreibende, Kul-                  spielt. Dies erfolgt einerseits kontinu-
  turschaffende, soziale Institutionen).               ierlich und zusätzlich im Sinne einer
  Auf die Vorgabe von inhaltlichen                     wissenschaftlichen Reflexion über be-
  Schwerpunkten wurde bewusst verzich-                 stimmte Themen (Governance, gemein-
  tet. Der einzige thematische und räum-               schaftliches Handeln sowie öffentli-
  liche Bezugspunkt ist die Transforma-                chen- und Begegnungsräumen), die mit
  tion urbaner Zentren.                                den beteiligten Akteur*innen vor Ort
▪ Ergebnisoffen/Scheitern möglich: Der                 diskutiert werden (Kanning 2018).
  Output und die Wirkungen der Realla-             ▪   Eingeschränkte Projektmittel: Sach-
  bore sind vorab nicht planbar. Die Pra-              und Investitionsmittel sind nur begrenzt
  xisakteur*innen entscheiden über die                 verfügbar und beschränken sich auf An-
  Umsetzung der Projekte vor dem Hin-                  schubfinanzierungen in der Initial- und
  tergrund ihrer eigenen Interessen und                Umsetzungsphase der Projekte. Finanz-
  Ressourcen. Zudem gibt es Raum für ein               mittel für eine Verstetigung erfolgrei-
  Scheitern der angestoßenen und umge-                 cher Projekte müssen aus anderen
  setzten Projekte und Prozesse. Es wird               Quellen kommen.
  davon ausgegangen, dass auch aus ge-
  scheiterten Projekten Erkenntnisse für
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Trotz dieser gemeinsamen Merkmale sind              tungen und Workshops gestartet. Die
die Reallaborprozesse in den sechs TransZ-          TransZ-Ansätze verfolgten in unterschied-
Projektgebieten sehr unterschiedlich ver-           licher Form das Ziel, verschiedene Ak-
laufen. Durch den ergebnisoffenen Ansatz            teur*innengruppen zu erreichen und mitei-
war zu Beginn nicht klar bzw. nicht festge-         nander über die Zentren ins Gespräch zu
legt, was für Projektideen vor Ort entste-          bringen. Durch einen Austausch von Zivil-
hen würden und ob überhaupt Projekt-                gesellschaft, Gewerbetreibenden, kultu-
ideen von Akteur*innen vor Ort umgesetzt            rellen Akteur*innen, sozialen Akteur*inn-
werden können.                                      en, Eigentümer*innen und kommunalen
                                                    Vertreter*innen     sollten   verschiedene
In allen Projektgebieten wurden zu Beginn           Sichtweisen auf und Bedürfnisse an die
in der Analysephase (2017/2018) Exper-              Zentrenentwicklung diskutiert werden.
teninterviews zur Identifikation möglicher          Hier wurde bereits deutlich, dass die Zen-
Multiplikator*innen und Innovationsak-              tren und deren Potenziale von den Ak-
teur*innen im Zentrum geführt. In diesen            teur*innengruppen sehr unterschiedlich
Gesprächen wurden jeweils weitere Kon-              wahrgenommen werden und es entspre-
takte erfragt, die im Sinne des TransZ-An-          chend heterogene Interessenslagen gibt.
satzes interessant sein könnten. Im Detail          Während in Hamburg-Rissen, Holzminden
unterschieden sich die Ansätze in den Pro-          und Höxter für die Auftakttreffen öffent-
jektgebieten. Da in Holzminden und Höx-             lich geworben wurde und alle Interessier-
ter schnell deutlich wurde, dass die Be-            ten teilnehmen konnten, beschränkte sich
wohner*innen die relevante Zielgruppe im            in Hamburg-Eimsbüttel der Kreis der Teil-
Projekt sein würden, wurde in der Lokal-            nehmer*innen weitgehend auf die bereits
presse für das Projekt und interessierte            interviewten Personen zuzüglich mögli-
Mitstreiter*innen geworben. In Hamburg              cher weiterer Innovationsakteur*innen,
und Stuttgart wurden zum Start Interviews           die in den Gesprächen genannt wurden. Im
mit ausgewählten Akteur*innen geführt.              Rahmen der Auftaktveranstaltungen und
Durch ein „Schneeballsystem“ konnten im-            einer darauf aufbauenden Workshoprunde
mer weitere Multiplikator*innen identifi-           wurden in Hamburg mit den beteiligten
ziert werden. In Stuttgart waren Gesprä-            Aktiven mögliche Innovationsthemen in
che allgemein auf Akteur*innen gerichtet,           Kleingruppen herausgearbeitet. In Stutt-
die sich für den Stadtbezirk interessieren.         gart und Fellbach fanden zunächst aus-
So konnten diverse Institutionen, Vereine,          schließlich Treffen mit bereits bekannten
Organisationen und Anwohner*innen für               Akteur*innen statt. Zusätzlich wurde nach
den Prozess gewonnen werden. In Ham-                einem halben Jahr ein weiteres offenes
burg lag der Fokus auf bereits aktiven Per-         Treffen für alle Interessierten aus den je-
sonen in den Zentren. Die auf unterschied-          weiligen Projektgebieten organisiert.
liche Weise erreichten Schlüsselak-
teur*innen und Multiplikator*innen haben            In dieser Projektphase wurden in allen Re-
in allen Projektgebieten in der Anfangs-            allaboren Themengruppen gebildet, um
phase eine zentrale Rolle gespielt. Parallel        konkrete Projektideen (weiter) zu entwi-
zu diesen Interviews wurden statistische,           ckeln und selbstorganisiert zu gestalten.
räumliche und funktionale Daten ausge-              Diese wurden anschließend in der Umset-
wertet und in Zentrenprofilen9 zusammen-            zungsphase (2018/2019) durch Praxisak-
geführt, um ein umfassendes Bild der Ge-            teur*innen vor Ort mit Unterstützung der
biete zu erhalten.                                  Hochschulen in Projekte umgesetzt, mit
                                                    dem Ziel, sie dauerhaft und selbsttragend
Die Vorbereitungsphase (2018) wurde in              in den Zentren zu etablieren. Da es in
den Gebieten mit öffentlichen Veranstal-            Hamburg-Eimsbüttel bereits zu Beginn des

9
    Einsehbar unter: http://www.transz.de

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Prozesses konkrete Projektideen und für             Seit dem Start der Anschlussförderung im
deren Umsetzung engagierte Akteur*innen             April 2020 befindet sich TransZ mit einigen
gab, waren die Vertreter*innen der Hoch-            Projekten in der Verstetigungs- und Eva-
schulen hier vor allem als Moderator*innen          luationsphase, in der unterschiedliche Fi-
der weiteren Projektentwicklung tätig,              nanzierungs- und Fördermöglichkeiten ge-
haben inhaltlich-konzeptionelle Unterstüt-          prüft und angewendet werden. Im Idealfall
zung geleistet, finanzielle Fördermöglich-          sollen und können die durch TransZ initi-
keiten ausgelotet und mit den kommuna-              ierten Innovationen und Projekte dauer-
len Partner*innen Umsetzungsstrategien              hafte Beiträge zu einer Transformation der
diskutiert. In Hamburg-Rissen mussten zu-           Zentren leisten.
nächst erstmal Praxisakteur*innen identi-
fiziert werden, die bereit waren, eigen-            Zentrale Aufgabe der Hochschulen war die
ständig Projekte zu entwickeln und um-              Zusammenführung der unterschiedlichen
zusetzen. Auch in Holzminden und Höxter             Akteur*innen vor Ort. Die deutliche Tren-
gab es keine bestehenden Projektideen,              nung von präsenter und aktiver Hochschule
sodass mögliche thematische Ansätze zu-             und eher im Hintergrund unterstützender
sätzlich auf einer öffentlichen Auftaktver-         Kommune wurde im gesamten TransZ-Pro-
anstaltung durch die Vertreter*innen der            zess von den Projektakteur*innen sehr po-
Hochschule präsentiert wurden. Hierzu               sitiv wahrgenommen und hat sich in der
wurden weitere Gespräche geführt und                Mehrheit der Projektgebiete als hilfreich
eine Vortragsreihe mit externen Impulsen            herausgestellt. Gleichwohl war die part-
organisiert. Während der Umsetzung der              nerschaftliche Zusammenarbeit mit den
Projekte war die Rolle der Hochschule sehr          kommunalen Partner*innen für das Gelin-
stark durch organisatorische Aufgaben ge-           gen der Projekte von großer Bedeutung.
prägt. Auch in Stuttgart waren die betei-           Das Maß der praktischen Unterstützung
ligten Akteur*innen zu Beginn dazu aufge-           durch das Forschungsteam war sehr unter-
fordert, die benötigten Kompetenzen fest-           schiedlich. Die meisten Projekte wurden
zulegen und Verantwortliche für die ver-            über mehrere Monate hinweg sehr intensiv
schiedenen Aufgaben zu benennen. So war             von TransZ-Mitarbeiter*innen begleitet.
es möglich, fehlende Kompetenzen zu                 Nur sehr wenige Projektgruppen haben
identifizieren und Lücken zu füllen, gleich-        sich bereits nach einem Auftakttreffen
zeitig konnten auch Zuständigkeiten ge-             weitgehend selbstständig organisiert und
klärt und der organisatorische Aufwand re-          die entwickelten Ideen umgesetzt. Je nach
duziert werden. In allen Projektgebieten            Initiative, Engagement und Projektstand
waren die Hochschulen unterstützend bei             reichte die Zusammenarbeit von täglichen
Fragen zur Projektkonzeption, Genehmi-              bilateralen Abstimmungen über wöchentli-
gung, Finanzierung und Verantwortung tä-            che Arbeitstreffen bis zu eher loser Zusam-
tig.                                                menarbeit und unregelmäßigen Treffen.

Abb. 3: Beispielhafter Ablauf des TransZ-Reallabors in Hamburg-Eimsbüttel

Quelle: Eigene Darstellung

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Im Laufe der Projektphasen haben sich un-          4.1 Kreativhaus Hamburg-Eimsbüt-
terschiedliche Personen am Projekt betei-              tel als Beispiel für das Hand-
ligt. Während manche Interessierte von                 lungsfeld Treffpunkte, Soziales
Beginn an aktiv waren, haben andere le-                und Kultur
diglich in der Ideenentwicklung mitge-             Das Zentrum Osterstraße im Hamburger
wirkt. Andere konnten für die konkrete             Stadtteil Eimsbüttel ist durch seine Klein-
Umsetzung gewonnen werden bzw. haben               teiligkeit, Vitalität und ein attraktives Ein-
erst durch die Umsetzung zum Projekt ge-           zelhandelsangebot geprägt. Neben Filial-
funden und begleiten es seitdem. Auch die          betrieben befinden sich zahlreiche
Akteur*innenstruktur in den einzelnen Ge-          inhaber*innengeführte Geschäfte im Zent-
bieten und Gruppen ist sehr unterschied-           rum, die das Angebotsniveau mit teilweise
lich. In vielen Projekten sind Aktive aus          neuen Geschäftskonzepten bestimmen. In
der Zivilgesellschaft die treibende Kraft.         den vergangenen Jahren sind außerdem
In Abhängigkeit vom Thema werden die               zahlreiche Gastronomieangebote entstan-
Projekte aber auch von Gewerbetreiben-             den, die ein junges und urbanes Publikum
den, Immobilieneigentümer*innen, Kultur-           ansprechen. Das hochverdichtete Eimsbüt-
schaffenden oder institutionellen Ak-              tel ist ein vitaler Stadtteil mit wenigen
teur*innen vorangetrieben.                         Leerständen, vielfältigen Angeboten und
                                                   vielen engagierten und kreativen Men-
                                                   schen.
4 Praktische Erfolge und Wir-
  kungen vor Ort                                   Trotz der großen Vielfalt im Stadtteil
TransZ ist es während der bisherigen Pro-          wurde bereits zu Beginn des TransZ-Pro-
jektlaufzeit gelungen, kleine und große            zesses deutlich, dass es im Zentrum an ei-
Projekte in den sechs Projektgebieten an-
                                                   nem niedrigschwelligen Stadtteiltreff-
zustoßen, das heißt kreative Projekte mit          punkt fehlt, in dem Kreative und Nicht-
den Innovationsakteur*innen vor Ort zu ini-        Kreative arbeiten, zusammenkommen und
tiieren und umzusetzen. Das Spektrum der
                                                   sich ohne Konsumzwang austauschen kön-
entwickelten Projektideen reicht von kon-
                                                   nen. Zu Beginn des Reallabors im April
zeptionellen und baulich-räumlichen Vor-           2018 hat sich deshalb eine Gruppe von bis
schlägen für Immobilien und öffentliche            zu zehn ehrenamtlich engagierten Eims-
Räume bis hin zu neuen Kooperationen so-
                                                   bütteler*innen regelmäßig getroffen und
wie Trägerstrukturen und Finanzierungs-            diskutiert, wie ein offenes und nied-
ansätzen.                                          rigschwelliges Kulturzentrum in Eimsbüt-
                                                   tel aussehen könnte, wo es verortet sein
Drei zentrale Handlungsfelder der Trans-           müsste, wie es organisiert sein könnte und
formation urbaner Zentren wurden dabei             welche Angebote in welcher Form dort
deutlich:                                          stattfinden müssten. Für eine funktionie-
                                                   rende Organisationsstruktur wurde ein
1.    Treffpunkte, Soziales und Kultur,            Konzept erarbeitet, das die Zusammenar-
2.    Immobilien und Leerstände,                   beit in der kontinuierlich wachsenden
3.    Öffentliche Räume und Grünflächen.           Gruppe erleichtert hat. Nach mehr als 40
                                                   Gruppentreffen und zahlreichen Einzelge-
Im Folgenden wird zu diesen drei Hand-
                                                   sprächen ist es gelungen, einen zunächst
lungsfeldern jeweils ein TransZ-Projekt            temporären Standort in direkter Nähe zur
beispielhaft dargestellt.                          Osterstraße zu nutzen. Parallel dazu hat
                                                   sich der Stadtteil- und Kulturverein Eims-
                                                   büttel gegründet, der als eingetragener
                                                   und gemeinnütziger Verein dem Kreativ-
                                                   haus (KHE) einen formellen Rahmen gibt.

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Das Konzept des Kreativhauses sieht vor,            Projekte der Initiator*innen des Kreativ-
dass Engagierte hier Kurse, Treffpunkte o-          hauses sind unter anderem ein zweimal
der gemeinschaftliches und kreatives Ar-            wöchentlich stattfindender Stadtteiltreff
beiten für andere Personen aus dem Stadt-           (Klönschnack),     eine    Kunstaustellung,
teil anbieten. Zudem haben auch Externe             Chor-Singen, Flohmärkte und politische
die Möglichkeit, Projekte und Veranstal-            Stadtteilgespräche. Externe Angebote wa-
tungen durchzuführen und es wurde sich              ren bislang Fotokurse, Nähkurse, Seiden-
bewusst dafür entschieden, die möglichen            malerei und Yoga. Seit Sommer 2020 be-
Themen der Projekte und Veranstaltungen             findet sich das Kreativhaus in der Ver-
offen zu halten. Das KHE stellt Externen            stetigungsphase. Aufgrund der hohen An-
hierfür die Räume gegen einen geringen              gebotsnachfrage wird perspektivisch das
Kostenbeitrag zur Verfügung. Dieser soll            Ziel verfolgt, eine feste personelle Unter-
lediglich die laufenden Kosten decken, es           stützung zu sichern und Räume für das Kre-
werden keine gewinnorientierten Interes-            ativhaus zu finden, die dauerhaft genutzt
sen verfolgt.                                       werden können.

Herzstück der Organisation des KHE ist das          4.2 Bürgergenossenschaft Holzmin-
sogenannte Kernteam, das mittlerweile                   den eG als Beispiel für das
aus 15 Personen besteht und sich 14-täg-                Handlungsfeld Immobilien und
lich trifft, um aktuelle Themen und anste-              Leerstände
hende Arbeiten zu besprechen. Hierzu                Holzminden ist ein Mittelzentrum in Nie-
zählen hauptsächlich engagierte Eimsbüt-            dersachsen mit knapp 20.000 Einwoh-
teler*innen, die privat und beruflich in un-        ner*innen und liegt direkt an der Landes-
terschiedlichen Sphären tätig sind - von            grenze zu Nordrhein-Westfalen. Die Klein-
jungen und alten Kreativen über enga-               teiligkeit der Altstadt macht ihren Charme
gierte Eltern, interessierte Musiker*innen,         aus, begrenzt allerdings gleichzeitig die
Künstler*innen bis hin zu motivierten Eims-         einzelhandelsspezifischen und gewerbli-
bütteler*innen der älteren Generation. Die          chen Entwicklungsmöglichkeiten. Der Han-
Innovationsakteur*innen des KHE sind im             del in der Altstadt wird durch zwei größere
Stadtteil gut vernetzt, sodass es zahlrei-          Kaufhäuser dominiert. Dieses Angebot
che Unterstützer*innen bei Aktionen und             wird durch kleinteiligen Einzelhandel er-
speziellen Angeboten gibt. Es ist dem KHE           gänzt, der in Summe allerdings kaum eine
gelungen, über verschiedene Kommunika-              größere Anziehungskraft besitzt. Als be-
tionswege Aufmerksamkeit zu erzielen.               deutende Konkurrenzstandorte sind das in-
Dazu trugen neben einer eigenen Internet-           nerstädtische Gewerbegebiet Bülte mit
seite10 auch Flyer, ein Imagefilm und die           mehreren Fachmärkten, sowie die neun Ki-
Nutzung verschiedener Social Media-Platt-           lometer entfernte und gut frequentierte
formen bei. Besondere Aufmerksamkeit                Altstadt Höxters zu nennen. Das Zentrum
konnte das Kreativhaus durch seine öffent-          ist durch eine hohe Leerstandsquote ge-
lichkeitswirksame Eröffnungsparade an               werblicher Flächen gekennzeichnet.
drei aufeinanderfolgenden Tagen im Sep-
tember 2019 erreichen.11                            Im Rahmen des Reallabors hat sich eine
                                                    Themengruppe „Immobilien und Finanzie-
Bis zum Frühjahr 2020 sind bei den Organi-          rungsmöglichkeiten“ gebildet, die die Idee
sator*innen des KHE über 50 Projektideen            zur Gründung einer Bürgergenossenschaft
eingegangen, die zu einem großen Teil be-           aufgegriffen hat, die bereits vor Beginn
reits umgesetzt werden konnten. Eigene              von TransZ innerhalb der Stadt diskutiert

10
  Siehe: www.kreativhauseimsbuettel.de              Eimsbuettel-oeffnet-seine-Tue-
11
  Siehe: https://www.ndr.de/fernsehen/sen-          ren,hamj87296.html
dungen/hamburg_journal/Das-Kreativhaus-

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wurde, aber aus unterschiedlichen Grün-            Abb. 4: Sitzung zur Vorbereitung der
den nicht weiterverfolgt werden konnte.            Gründungsversammlung der Bürgergenos-
Den entscheidenden Impuls hat ein Vortrag          senschaft Holzminden
der Bürgergenossenschaft Hann. Münden
im Rahmen der TransZ-Vortragsreihe im
Herbst 2018 geliefert. Nachfolgend wur-
den mit Unterstützung von TransZ eine In-
formationsveranstaltung und zwei Info-
stände auf dem Wochenmarkt durchge-
führt, um auch die Bewohner*innen über
die Notwendigkeit und die Potenziale ei-
ner Bürgergenossenschaft zu informieren.
Durch den positiven Zuspruch aus der Be-
völkerung und den gut vernetzten Initiato-
                                                   Quelle: Täglicher Anzeiger Holzminden
ren konnten in der Folge potenzielle Auf-
sichtsrats- und Vorstandsmitglieder aus
                                                   Anfang Juni 2020 hatte die Bürgergenos-
relevanten Bereichen (Finanz-, Bank-,
                                                   senschaft 117 Mitglieder aus ganz Deutsch-
Steuer-, und Rechtswesen) benannt wer-
                                                   land (darunter auch die Stadt Holzminden)
den. Schließlich fand im September 2019
                                                   und ca. 1.000 gezeichnete Anteile im Wert
die Gründungsversammlung der Bürgerge-
                                                   von knapp 100.000 Euro. Vor dem Hinter-
nossenschaft Holzminden statt.
                                                   grund der niedrigen Immobilienpreise in
                                                   der Altstadt steht die Genossenschaft im
Die Bürgergenossenschaft Holzminden eG12
                                                   Sommer 2020 kurz vor dem Erwerb einer
verfolgt das Ziel, durch Erwerb, Sanierung
                                                   ersten Immobilie, um deren Sanierung und
und Wiedernutzung leerstehender oder
                                                   Wiedernutzung starten zu können.
mindergenutzter Gebäude die Wohnfunk-
tion in der Altstadt zu stärken und das
                                                   4.3 Bauwerkstatt Stuttgart-Wangen
kleinteilige Gewerbe zu unterstützen. Dies
                                                       als Beispiel für das Handlungs-
soll perspektivisch zur innerstädtischen
                                                       feld Öffentliche Räume und
Belebung beitragen. Es ist den Initiatoren
                                                       Grünanlagen
der Genossenschaft ein wichtiges Anlie-
                                                   Stuttgart-Wangen ist mit knapp 9.400 Ein-
gen, Teile der Sanierungsarbeiten in ge-
                                                   wohner*innen einer der kleineren Stadtbe-
meinschaftlicher Eigenleistung zu erbrin-
                                                   zirke Stuttgarts. Die sozioökonomische
gen und dadurch auch den Gemeinschafts-
                                                   Struktur Wangens ist eher schwach. Die Ul-
sinn innerhalb der Stadt zu stärken. Die
                                                   mer Straße bildet das Zentrum des ge-
Genossenschaft soll auch dazu dienen,
                                                   wachsenen Stadtbezirks, allerdings ist der
weitere Teile der Bewohner*innen für die
                                                   Einzelhandel dort auf dem Rückzug. Ledig-
Entwicklung der Altstadt zu sensibilisieren
                                                   lich im nördlichen Bereich des Zentrums
und aktiv an der Weiterentwicklung des ei-
                                                   befinden sich zwei bedeutende Nahversor-
genen Wohnumfeldes und des eigenen
                                                   ger, die eine stärkere Anziehungskraft für
Zentrums zu beteiligen.
                                                   das Zentrum besitzen. Punktuell sind ent-
                                                   lang der Ulmer Straße gastronomische und
                                                   soziale bzw. städtische Einrichtungen vor-
                                                   handen, allerdings wird fast ein Drittel der
                                                   Erdgeschossnutzungen mittlerweile als
                                                   Wohnraum genutzt. Anlässe, die Ulmer
                                                   Straße aufzusuchen, haben sich deutlich
                                                   vermindert, attraktive öffentliche Flächen

12
     Siehe: www.bg-hol.de

                                              16
TransZ Working Paper 02|2020                                      Reallabore zur Transformation urbaner Zentren
                                                                             Erfahrungen und kritische Reflexion

sind im Zentrum nicht vorhanden. Der Kel-                   der öffentliche Raum gewissermaßen als
tervorplatz13, der zentrale Platz an der Ul-                Labor für Experimente genutzt werden
mer Straße, lädt durch seine Gestaltung                     konnte      (Oswalt/Overmeyer/Misselwitz
und die wenigen angrenzenden Funktionen                     2014: 14). Dadurch wurden Erlebnisräume
kaum zum Verweilen ein. Die Stadt Stutt-                    geschaffen, um neue Impulse für die Ge-
gart plant deshalb, den Platz in den nächs-                 staltung des Platzes anzustoßen. Die Er-
ten Jahren umzugestalten.                                   gebnisse wurden mit den Bewohner*innen
                                                            diskutiert und werden von der Stadt Stutt-
Der TransZ-Initiative StadtGerüst ist es ge-                gart in die Planungen zur Neugestaltung
lungen, Möglichkeiten zur Umgestaltung                      des Keltervorplatzes einbezogen. Die Bau-
des Keltervorplatzes im Rahmen einer of-                    werkstatt selbst wurde mit einem Image-
fenen Bauwerkstatt zu erproben und inte-                    film14 dokumentiert, außerdem wurde eine
ressierte Bewohner*innen in den Prozess                     Bauanleitung des entstandenen Sitzmö-
einzubinden. Die Bauwerkstatt am 29. Juni                   bels15 produziert, um auch in anderen
2019 wurde von der Projektgruppe mit Un-                    Stadtbezirken eine solche Aktion zu er-
terstützung von TransZ eigenständig vor-                    möglichen.
bereitet. Ziel war es, mögliche Nutzungen
durch einfache konstruktive Elemente aus-                   Abb. 5: Bauwerkstatt Stuttgart-Wangen
zuprobieren. Konkrete Fragen zur Geneh-
migung wurden direkt mit der Bezirksvor-
steherin geklärt. Die Unterstützung durch
TransZ bestand im größten Teil darin, dass
die verschiedenen Interessierten zu Beginn
miteinander vernetzt wurden und somit
die Möglichkeit geschaffen wurde, ein ge-
meinsames Bauprojekt umzusetzen. Au-
ßerdem wurde die Bauwerkstatt finanziell
bei der Beschaffung der Baumaterialien,
der Organisation und Durchführung sowie                     Quelle: Natalie Brehmer
der Dokumentation unterstützt.
                                                            Die Umsetzung des Projektes war dank der
Nach einer Begrüßung und Einführung                         engen und partnerschaftlichen Zusammen-
durch die TransZ-Initiative bauten interes-                 arbeit mit der Bezirksverwaltung Stutt-
sierte Anrainer*innen und Helfer*innen un-                  gart-Wangen während des gesamten Real-
ter professioneller Anleitung eines Anwoh-                  labors möglich. Die Bauwerkstatt als urba-
ners mit Holzpaletten, einfach zu trans-                    ne Intervention und temporäres Experi-
portierende Sitzgelegenheiten und Pflanz-                   ment soll einen kreativen Impuls für die
beete, die auf dem Platz variabel angeord-                  Stadtentwicklung in Wangen geben und
net werden konnten. Mit der Sitzland-                       dazu beitragen, den Planungsprozess zur
schaft ist es gelungen, eine neue Organi-                   Umgestaltung des Keltervorplatzes durch
sation des Platzes temporär zu erproben.                    co-kreative Formen zu ergänzen (Schau-
Dadurch konnte den Beteiligten und den                      mann/Simon-Philipp 2018). Die niedrig-
Passant*innen ein Eindruck von den Umge-                    schwellige Initiierung des Prozesses hat
staltungsmöglichkeiten des Platzes ver-                     auch dazu beigetragen, die beteiligten Ak-
mittelt werden. Vor und während der ei-                     teur*innen und die Stadtteilöffentlichkeit
gentlichen Bauwerkstatt wurde auspro-                       von Wangen für Planungsprozesse allge-
biert und ergebnisoffen diskutiert, sodass                  mein zu sensibilisieren.

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  Die Kelter ist in Schwaben ein Press- oder Kelter-             Siehe: https://vimeo.com/348536945
haus, in dem Früchte für die Verwendung als Saft            15   Verfügbar über www.transz.de
oder Wein gepresst werden/wurden

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