#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...

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#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
Mareike Fenja Bauer
#HambacherForst
Polizeiliche Social-Media-Nutzung im Kontext von Protesten

                                   ipb working paper 1/2020
#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
ipb working papers | Berlin, Dezember 2020           Autorin

Die ipb working paper werden vom Verein für          Mareike Fenja Bauer, Institut für Protest- und
Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus-         Bewegungsforschung (ipb)
gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver-     E-mail: mareike.bauer@posteo.de
ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des-
sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti-
tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb-
working paper sind Jannis Grimm, Dieter Rucht
und Sabrina Zajak verantwortlich.

Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe
sind online abrufbar unter:

https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/

„#HambacherForst. Polizeiliche Social-Media-
Nutzung im Kontext von Protesten“ von Ma-
reike Fenja Bauer ist lizenziert unter einer Crea-
tive Commons Namensnennung International
Lizenz (CC-BY 4.0).

Die vorgestellten Ergebnisse beruhen auf der im
Februar 2019 an der Freien Universität Berlin
abgeschlossenen Bachelorarbeit „Polizeiliche
Social-Media-Nutzung im Kontext von Protes-
ten“. Die Arbeit wurde betreut von Prof. Dr.
Sven Chojnacki und Prof. Dr. Christian Volk.

Die Titelseite wurde unter Verwendung eines
Fotos von Flickr-User „Aktion Unterholz“ er-
stellt. Das Foto ist lizensiert mit einer Creative
Commons CC-0 Lizenz (CC BY-NC-ND 2.0) und
wird bereitgestellt von https://www.flickr.com.

Bauer, Mareike Fenja. 2020. #HambacherForst. Polizeiliche Social-Media-Nutzung im Kontext von Pro-
testen, ipb working paper series, 1/2020. Berlin: Institut für Protest- und Bewegungsforschung, ipb.
#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
Zusammenfassung1                                      Inhaltsverzeichnis

Das working paper befasst sich mit der polizeili-
                                                      Einleitung                                       4
chen Nutzung sozialer Medien im Kontext von
                                                      Protestakteur*innen und Hegemonie                5
Protesten. Die qualitative Inhaltsanalyse unter-
sucht anhand von Beiträgen der Polizei Aachen         Social Media: Ort hegemonialer Aushandlung 6
im Kurznachrichtendienst Twitter, wie die Poli-
zei durch Verwendung sozialer Medien die Dar-         Polizeiliche Social-Media-Nutzung                7
stellung der Proteste rund um den Hambacher           Die Polizei, Twitter und der Hambacher Forst     9
Forst im öffentlichen Diskurs prägte. Die Fallstu-    Methode                                          9
die erstreckt sich über den Zeitraum von August       Ergebnisse                                      10
bis Oktober 2018, in dem vermehrt Polizeiein-         Die Erzählung des Gefahrengebietes              10
sätze im Hambacher Forst stattfanden. Die un-         Binäre Gegenüberstellung: Positive Eigen- und
tersuchten 190 Tweets wiesen eine binäre Ge-          negative Fremdbilder                            12
genüberstellung der Polizei als besorgter Be-         Fernab des Protestes                            16
schützer*in und der Aktivist*innen als gedan-         Schuldzuweisungen                               16
kenlosen Gewaltakteur*innen auf. Diese Dar-           Umgang mit Fehlinformationen                    17
stellung wird aus einer Gramscianischen Per-
spektive als polizeilicher Versuch zur Herstel-       Diskussion                                      18
lung und Wahrung hegemonialer Deutungsho-             Fazit                                           19
heit über umstrittene Ereignisse gedeutet. Die
Fallstudie weist zudem auf eine strategische          Literaturverzeichnis                            21
Nutzung von Twitter hin, die in einem Span-
nungsfeld zur gesellschaftlichen Vertrauens-
und Autoritätsposition sowie zum Neutralitäts-
anspruch der Polizei als Institution steht. Die Po-
lizei trat im Kontext des Hambacher Forsts im-
mer wieder als meinungsprägende Akteurin in
Erscheinung. Diese Rolle wird auch im Hinblick
auf die Schnelligkeit, Aktualität und Reichweite
sozialer Medien kritisch bewertet. Denn die po-
lizeiliche Darstellung erreichte über Twitter in
kürzester Zeit ein breites Publikum und zemen-
tierte so eine spezifische Lesart der Ereignisse
im Hambacher Forst.

1
    Ich danke Jannis Grimm für seine kritischen und konstruktiven Anmerkungen.
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Einleitung                                              Twitter nichts – staatliche Informationen. Die Po-
                                                        lizei ist weiterhin als Teil der vollziehenden Ge-
Im Kontext von Protesten spielen soziale Medien,        walt rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet;
wie Twitter und Facebook, eine zentrale Rolle.          insoweit unterliegt auch sie bei der Verbreitung
Nicht nur Aktivist*innen nutzen diese im Protest-       von Informationen den Geboten der Neutralität,
zusammenhang, auch für die Polizei gewinnen so-         Sachlichkeit und Richtigkeit“ (Wissenschaftliche
ziale Medien an Bedeutung (Bayerl und Rüdiger           Dienste des Deutschen Bundestages 2015, 9).
2017, 928; Michaelsen 2013, 12). Die polizeiliche       Weiter heißt es in der Ausarbeitung: „Insoweit
Social-Media-Nutzung im Kontext von Protesten           kann (auch bei in 140 Zeichen erfolgenden twit-
spielt vor allem bei der Kommunikation mit den          ternden Verhalten) das Gebot der Richtigkeit und
beteiligten Akteur*innen eine Rolle. Der Einsatz        Sachlichkeit verletzt sein oder die Polizei gegen
von sozialen Medien im Protestzusammenhang              ihre Neutralitätspflicht verstoßen, soweit sie über
ermöglicht unter anderem eine direkte und               Twitter unsachliche Äußerungen über Protestfor-
schnelle Kommunikation zwischen Polizei und Öf-         men tätigt“ (Wissenschaftliche Dienste des Deut-
fentlichkeit, sowie zwischen Polizei und anderen        schen Bundestages 2015, 9).
beteiligten Gruppen, wie zum Beispiel Protestie-           Ob diese Neutralitätspflicht auf Twitter ge-
renden und Anwohner*innen. Diese können so              wahrt wird, wurde in der Vergangenheit bereits
im Sinne einer taktischen Kommunikation, auf die        öfter diskutiert. Unter anderem stellt sich die
nachfolgend eingegangen wird, angesprochen              Frage, ob sich die für soziale Medien kennzeich-
werden (Bayerl und Rüdiger 2017, 926-928). In           nenden stilistischen Mittel wie Ironie und Humor
Bezug auf Proteste kommt vor allem dem Micro-           mit den polizeilichen Geboten zu Neutralität und
Blogging-Dienst Twitter eine besondere Rolle zu,        Sachlichkeit in Einklang bringen lassen. Während
da dieser sich durch eine große Reichweite,             der Protest- und Polizeiforscher Peter Ullrich und
Schnelligkeit und Aktualität auszeichnet. In Pro-       auch der Rechtswissenschaftler Felix Hansch-
testsituationen kann über Twitter in Echtzeit auf       mann den üblichen Kommunikationsstil inner-
ein Protestgeschehen reagiert werden, welches           halb sozialer Medien vor allem im Kontrast zur
sich ebenfalls oft durch schnelle Dynamiken aus-        Neutralitätspflicht sehen (siehe Bartlau 2015),2
zeichnet. Indem sie Handlungsanweisungen öf-            erkennt beispielsweise die Juristin Heike Krischok
fentlich über Twitter kommuniziert, kann die Po-        nicht per se ein Problem bei der polizeilichen Ver-
lizei auf das Verhalten von Beteiligten einwirken.      wendung dieser stilistischen Mittel, solange es
Weiterhin kann sie über Twitter unmittelbar auf         dabei nicht zu Bewertungen und Missverständ-
die mediale Berichterstattung des jeweiligen Er-        nissen kommt (siehe Bröckling 2018). Dass es in
eignisses Einfluss nehmen (Kern 2017, 170; Reu-         der Vergangenheit jedoch durchaus zu missver-
ter et al. 2018). Der vorliegende Artikel beschäf-      ständlichen Bewertungen von Protestsituationen
tigt sich vor diesem Hintergrund mit den Charak-        durch polizeiliche Social-Media-Aktivitäten kam,
teristiken, Zielen und Problematiken von polizeili-     belegt zum Beispiel die Studie „Eskalation: Dyna-
cher Twitter-Nutzung im Protestkontext.                 miken der Gewalt im Kontext der G20-Proteste in
    Die Polizei ist als staatliches Organ der Neutra-   Hamburg 2017“ (Malthaner et al. 2018, 76-78).
litätspflicht unterworfen. Ihre Außenkommunika-            Das vorliegende working paper befasst sich,
tion unterliegt damit den Geboten der Sachlich-         vor dem Hintergrund dieser Kritik und Bedenken
keit und Richtigkeit. Dies sollte sich auch in der      über die zunehmende polizeiliche Social-Media-
Twitter-Nutzung widerspiegeln.1 In einer Ausar-         Nutzung, mit der Darstellung von Protesten und
beitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bun-        Protestierenden durch polizeiliche Social-Media-
destages heißt es dazu: „Auch die an die Öffent-        Beiträge im Kontext der Proteste um den Hamba-
lichkeit gegebenen (Selbst)Darstellungen der Po-        cher Forst. Dabei bildet die Frage, welche Muster
lizei sind – und hieran ändert die Freigabe über        sich bei der polizeilichen Nutzung sozialer Medien
_____
 1                                                       2
  Die Neutralitätspflicht ist unter anderem im Bun-       Peter Ullrich im Interview mit dem Norddeutschen
 desbeamtengesetz §60 geregelt. Nachzulesen hier:        Rundfunk: https://www.pressepor-
 https://dejure.org/gesetze/BBG/60.html                  tal.de/pm/6561/4052873 [22.10.2020]

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#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
im Kontext von Protesten identifizieren lassen,         nungsfeld hinsichtlich ihrer Vertrauens- und Au-
das zentrale Erkenntnisinteresse. Um die polizei-       toritätsposition sowie hinsichtlich ihres Gebots
liche Darstellung von Protesten und Protestieren-       zur politischen Neutralität.
den durch soziale Medien anhand eines konkre-
ten empirischen Beispiels zu untersuchen, wurde
die polizeiliche Twitter-Nutzung rund um die Pro-       Protestakteur*innen und
teste im Hambacher Forst in der Zeit von August
bis Oktober 2018 als Analysegegenstand heran-           Hegemonie
gezogen. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse
wurden polizeiliche Twitter-Aktivitäten dieses          Gramscis integralem Staatsverständnis nach sind
Zeitraumes näher untersucht, die sich thematisch        Staaten nicht als starre Gebilde zu verstehen, son-
mit den Protesten rund um den Hambacher Forst           dern vielmehr als umkämpfte Kräfteverhältnisse
befassten. Die Analyse erfolgte dabei vor dem           (Becker et al. 2013, 69 f.). Ausdruck dieser Kräfte-
Hintergrund eines integralen Staatsverständnis-         verhältnisse stellt die Hegemonie dar. Selbig darf
ses nach Gramsci. Diesem staatstheoretischen            jedoch nicht als bloße Vormachtstellung verstan-
Ansatz folgend ist „der Staat“ nicht mit Regierung      den werden (Becker et al. 2013, 19 f.). Hegemonie
oder Parlament gleichzusetzen, sondern gliedert         ist vielmehr das Herrschen mit Zustimmung der
sich in die zwei Sphären der politischen und der        Beherrschten. Sie ist in Gramscis Verständnis
zivilen Gesellschaft. Hierauf wird nachfolgend          zentral für den Erhalt einer stabilen Herrschaft
noch differenzierter eingegangen (Gramsci 1991,         (Gramsci 1991, 102 f.). Denn Herrschaft kann nie
102 f.).                                                durch Gewalt allein aufrechterhalten werden,
                                                        sondern muss immer hegemonial abgesichert,
    Bevor der Artikel sich den Ergebnissen der Un-      das heißt in den Lebens- und Denkweisen der
tersuchung zuwendet, folgt zunächst eine Einfüh-        Menschen verankert sein (Langemeyer 2009, 75).
rung in Gramscis integrales Staatsverständnis und
seinen Hegemoniebegriff. Der Begriff der Hege-              Proteste, verstanden als im öffentlichen Raum
monie wird dabei im Zusammenhang mit Protes-            stattfindende kollektive Akte des politischen Wi-
ten erklärt. Weiterhin wird auch auf die Bedeu-         derspruchs, streben einen gesellschaftlichen
tung sozialer Medien für die Hegemonie, hier ver-       Wandel an (Michaelsen 2013, 47; Volk 2014, 138-
standen als fluider Prozess der Herausbildung von       139). Sie fordern demnach hegemoniale Erzäh-
Einverständnis und Zufriedenheit, eingegangen.          lung immer wieder heraus und können durch ihr
Anschließend folgt eine kurze Einführung in die         Wirken Hegemonie zu ihren Gunsten verändern
Merkmale und Funktionen polizeilicher Twitter-          (Mullis et al. 2016, 51; Haunss 2009, 31; Michael-
Nutzung im Kontext von Protesten. In einem              sen 2013, 93). Proteste können zugleich aber
nächsten Schritt wendet sich der Artikel der em-        auch zur „Vitalisierung und Stärkung bestehen-
pirischen Untersuchung am Beispiel des Hamba-           der Herrschafts- und Ungleichheitsmuster“ (Bab-
cher Forstes zu. Im Zuge dessen wird der Protest        acan 2020, 66) beitragen und so zu staatstragen-
kurz umrissen und der methodische Ansatz der            den Akteur*innen werden. Dies wird etwa am
Analyse beschrieben.                                    Beispiel des Aufstiegs und Machterhalts der AK
                                                        Parti (AKP) in der Türkei deutlich. So ging die AKP
    Daran anschließend werden die identifizierten       einerseits zwar aus einer breiten gegenhegemo-
Muster normativ eingeordnet und mit dem Neut-           nialen Bewegung her und stieß durch ihre Ver-
ralitätsanspruch der Polizei als Institution abgegli-   schiebung des hegemonialen Herrschaftskonsen-
chen. Im Anschluss an diese Auswertung erfolgt          ses etwa weitreichende Reformen des politischen
eine Diskussion, in der die Ergebnisse unter Rück-      Systems an. Andererseits zementierte der traditi-
bezug auf den Hegemoniebegriff gedeutet wer-            onalistisch-religiöse Herrschaftsdiskurs der AKP
den. Der Artikel schließt mit einem zusammenfas-        aber in Kürze selbst die hegemoniale Herrschaft
senden Fazit, welches darauf hindeutet, dass die        der Partei und ihrer Vertreter*innen. Regelmä-
Polizei Twitter in Protestsituation strategisch ein-    ßige öffentliche Mobilisierungen von AKP Sympa-
setzt, um Ereignisse zu ihren Gunsten zu rahmen.        thisant*innen stützen diese hegemoniale Stel-
Damit bewegt sich die Polizei in einem Span-            lung im türkischen politischen System.

                                                                                                          5
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Neben zivilgesellschaftlichen Akteur*innen          Ebene aber oft kaum voneinander zu trennen, da
stützen üblicherweise aber vor allem institutio-        erstere die letztere zum Beispiel über gesetzli-
nelle Akteur*innen bestehende Machtverhält-             chen Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftli-
nisse, indem sie durch ihr Wirken die bestehende        ches Handeln durchdringt. Gleichzeitig kann auch
Ordnung reproduzieren. Der Polizei kommt dabei          die Zivilgesellschaft die politische Ebene beein-
als Institution eine besondere Rolle zu, da sie im      flussen, zum Beispiel durch erfolgreiche Proteste,
Zweifelsfall Gewalt zur Aufrechterhaltung von           die in eine Gesetzesänderung münden. Auch
Machtstrukturen anwenden kann. Um verschie-             weitreichendere gesellschaftliche Veränderun-
dene soziale Akteur*innen hinsichtlich ihrer stüt-      gen lassen sich nicht allein durch militärische oder
zenden oder herausfordernden Haltung gegen-             politische, sondern vor allem über parallele ideo-
über hegemonialen Strukturen zu differenzieren,         logische und gesellschaftliche Kämpfe auf der
unterscheidet Gramsci Staat und Gesellschaft in         Ebene der Zivilgesellschaft vollziehen. Zur Erhal-
zwei Sphären: Gesellschaft umfasst in seinem            tung einer stabilen Herrschaft, muss der politi-
staatstheoretischen Ansatz die societa civile, die      schen Machterlangung die Herstellung kultureller
zivile Gesellschaft oder Zivilgesellschaft. Ihr ge-     Hegemonie vorangehen (Vey 2015, 44 f.).
genüber steht die politische Gesellschaft, die          Gramsci spricht daher auch vom Staat als Hege-
societa politica (Ladwig 2013, 133; Gramsci 1996,       monie, gepanzert mit Zwang (Gramsci 1992, 783).
1502-1503).                                             Kulturelle Hegemonie reproduziert sich dabei
                                                        durch das Alltagshandeln der Menschen (Haber-
    Letztere ist als Staat im engeren Sinne zu ver-
                                                        mann 2012, 23). Hegemonie ist somit vor allem
stehen und umfasst zum Beispiel Polizei und Mili-
                                                        eine Praxis, deren zentraler Aushandlungsort in
tär. Im Zweifelsfall ist die politische Gesellschaft,
                                                        der Zivilgesellschaft liegt (Vey 2015, 44 f.). Pro-
wie angedeutet, in der Lage und rechtlich dazu le-
                                                        teste werden diesem Verständnis nach nicht als
gitimiert, Gewalt zu Gunsten und Aufrechterhal-
                                                        externe Faktoren, die „den Staat“ adressieren be-
tung bestehender Machtstrukturen anzuwenden
                                                        griffen, sondern selbst als hegemoniale Aushand-
– Machtstrukturen, die Gramsci in ihrem Ur-
                                                        lungsorte (Vey 2015, 50). Im Protestzusammen-
sprung als ökonomisch verortet begreift (Becker
                                                        hang treffen Akteur*innen der zivilen und der po-
et al. 2013, 68 f.). Die politische Ebene bildet so-
                                                        litischen Gesellschaft aufeinander. Als Akteurin
mit die Sphäre des Zwangs. Die Sicherstellung von
                                                        der politischen Gesellschaft tritt dabei vor allem
Einverständnis und Zufriedenheit – d.h. der Be-
                                                        die Polizei in Erscheinung.3
wahrung von Hegemonie – ist hingegen in der zi-
vilen Ebene verortet. Sie ist die Sphäre des Kon-
senses (Ladwig 2013, 133 f.; Gramsci 1996, 1502         Social Media: Ort hegemonialer Aus-
f.). Hier werden moralische Werte und Normen            handlung
herausgebildet, die das reale kollektive Leben          Nach Gramsci sind vor allem Medien als zentrale
strukturieren (Demirovic 2012, 144-145). In der         Austragungsorte hegemonialer Konflikte zu ver-
zivilen Ebene wird die Kultur herausgebildet, die       stehen. Sie bilden den dynamischsten Teil der zi-
Gramsci als Lebens-, Denk- und Fühlweisen der           vilen Gesellschaft und spielen eine entscheidende
Menschen definiert (Langemeyer 2009, 75). Zur           Rolle bei der Legitimierung von Machtverhältnis-
Zivilgesellschaft, also zum Staat im weiteren           sen (Gramsci 1991a, 373 f.; siehe auch Süß 2015
Sinne, zählen zum Beispiel Interessensverbände,         und Vey 2015). Medien beeinflussen direkt und
Gewerkschaften oder die Medien – also insbe-            indirekt die öffentliche Meinung (Becker et al.
sondere „private“ Organisationsformen und Initi-        2017, 72). Diese bilden sozusagen den Berüh-
ativen (Becker et al. 2013, 68 f.). Hierunter fallen    rungspunkt zwischen der Zivilgesellschaft und der
auch soziale Bewegungen und Proteste.                   politischen Gesellschaft (Gramsci 1992, 916). Öf-
   Faktisch sind die politische und die zivile
_____
 3
  Auch wenn die Polizei als Institution die föderale     lungsrahmen der jeweiligen Polizei festlegen, be-
 Struktur der BRD widerspiegelt und die Landespoli-      handelt dieser Artikel „die Polizei“ als Akteurin der
 zei jeweils eigene Organisationseinheiten mit lan-      politischen Gesellschaft (Kern 2018, 223).
 desgesetzlichen Grundlagen besitzt, die den Hand-

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fentliche Meinungsbildung findet indes zuneh-           Beispiel um diese über Gebiete zu informieren,
mend auch über soziale Medien statt. Auch sie re-       die gemieden werden sollten. Der Einsatz sozialer
präsentieren zentrale Schauplätze für das zivilge-      Medien ermöglicht es der Polizei zudem, einen
sellschaftliche Ringen um die Einordnung um-            Überblick über die Protestsituation zu erlangen
kämpfter Ereignisse (Malthaner et al. 2018, 73).        (Bayerl und Rüdiger 2017, 926-928). Dabei
                                                        kommt dem Micro-Blogging-Dienst Twitter eine
    Aktivist*innen nutzen soziale Medien vor die-
                                                        besondere Rolle zu, da er sich durch Schnelllebig-
sem Hintergrund nicht nur zu Mobilisierungszwe-
                                                        keit und damit verbunden durch Aktualität aus-
cken, sondern auch zur strategischen Herstellung
                                                        zeichnet. Zudem verfügt Twitter über eine große
von Deutungshoheit über politische Entwicklun-
                                                        Reichweite, insbesondere unter Journalist*innen
gen (Michaelsen 2013, 12). Die Polizei nutzt sozi-
                                                        und Politiker*innen (Kern 2017, 170; Reuter et al.
ale Medien wiederum zur Einschätzung der Lage.
                                                        2018). Nachrichtenagenturen sehen Twitter-Ac-
Gleichzeitig bespielt sie vermehrt auch selbst
                                                        counts der Polizei als seriöse, verifizierte und be-
Social-Media-Plattformen mit Inhalten (Markus
                                                        deutende Informationsquelle an, die in der Be-
2016, 23). Zudem dienen soziale Medien im Kon-
                                                        richterstattung zitiert werden kann (Kern 2017,
text von Protestgeschehen sowohl Aktivist*innen
                                                        168-170). Oft dienen polizeiliche Tweets Journa-
als auch Beobachter*innen, Journalist*innen und
                                                        list*innen als Grundlage und werden ungeprüft
der Polizei als Informationsquelle und Kommuni-
                                                        übernommen (Reuter et al. 2018).
kationsplattform. Das Geschehen auf digitalen
sozialen Plattformen bildet eine Grundlage zur              Die polizeiliche Twitter-Nutzung soll im Kon-
Einschätzung volatiler Situationen und prägt            text von Protesten zudem klassische Mittel der
dadurch auch Handlungsoptionen – sowohl auf             taktischen Kommunikation, wie zum Beispiel An-
aktivistischer Seite als auch auf Seiten der Polizei.   sagen über Lautsprecherwagen, ergänzen. Unter
Dies wirkt sich auch auf das Protestgeschehen           taktischer Kommunikation lässt sich ein polizeili-
selbst aus.                                             ches Mittel zur Ansprache von einzelnen Perso-
                                                        nen oder Gruppen verstehen (Kern 2017, 32-34,
    Diese Verquickung bedeutet nicht, dass Aktivi-
                                                        165). Soziale Medien sollen demzufolge unter an-
täten innerhalb sozialer Medien als direktes Ab-
                                                        derem der Ansprache und dem Kontaktaufbau zu
bild des Protestgeschehens zu verstehen sind.
                                                        Aktivist*innen oder anderen an Protesten Betei-
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Diskurs
                                                        ligten dienen, sowie die Öffentlichkeit adressie-
in sozialen Medien und das Protestgeschehen vor
                                                        ren (Bayerl und Rüdiger 2017, 926-928; Kern
Ort in einem wechselseitigen Verhältnis stehen
                                                        2017, 170). Durch soziale Medien kann die Polizei
und sich gegenseitig beeinflussen (Malthaner et
                                                        zudem schon im Vorfeld einer Demonstration, ei-
al. 2018, 72 f.). Akteur*innen der zivilen und der
                                                        ner Mahnwache oder einer Kundgebung Kontakt
politischen Gesellschaft treffen in Form von Pro-
                                                        zu den betreffenden Personengruppen herstellen
testierenden und Polizei also nicht nur physisch
                                                        (Kern 2017, 170). Die taktische Kommunikation
am Protestgeschehen aufeinander, sondern auch
                                                        über soziale Medien kann dabei der Informations-
digital über soziale Medien wie Twitter.
                                                        vermittlung dienen, etwa, wenn über Ankunfts-
                                                        wege oder eingerichtete Pressestellen informiert
Polizeiliche Social-Media-Nutzung                       wird (Krischok 2018, 242; Kern 2017, 170). Ziel
Soziale Medien haben sich im Kontext von Protes-        taktischer Kommunikation kann es aber auch
ten für die Polizei als wirksames Kommunikati-          sein, Transparenz über polizeiliches Handeln her-
onsmittel bewährt. Durch die Verwendung sozia-          zustellen und so das Verhalten anwesender Per-
ler Medien wird eine direkte und schnelle Kom-          sonen zu beeinflussen. Dies ist zum Beispiel der
munikation zwischen der Polizei und einer inte-         Fall, wenn Aktivist*innen über die Konsequenzen
ressierten Öffentlichkeit sowie zwischen der Poli-      ihres Verhaltens in Kenntnis gesetzt werden (Kern
zei und am Protestgeschehen beteiligten Grup-           2017, 32-34, 167 f.).
pen ermöglicht. Dabei handelt es sich nicht nur             Soziale Medien können im Sinne einer takti-
um Protestteilnehmer*innen. Twitter wird inner-         schen Kommunikation auch zur Koordination von
halb von Protestsituationen vielmehr auch zur           Hilfsanstrengungen eingesetzt werden, zum Bei-
Kommunikation mit Bürger*innen genutzt, zum             spiel, um über Rettungswege zu informieren

                                                                                                          7
#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
(Bayerl und Rüdiger 2017, 928). Des Weiteren          Felix Hanschmann und der Protest- und Polizei-
können soziale Medien aber auch der Lageein-          forscher Peter Ullrich, die beide anmerken, dass
schätzung dienen und dabei helfen, einen Über-        der polarisierende und emotionalisierende Kom-
blick über die Situation vor Ort herzustellen, bei-   munikationsstil innerhalb sozialer Medien im
spielsweise durch digitale Landkarten auf Grund-      starken Kontrast zum Gebot der Sachlichkeit und
lage verfasster Tweets (Bayerl und Rüdiger 2017,      zur Neutralitätspflicht stehe (Bartlau 2015).4
928; Malthaner et al. 2018, 72). Nicht zuletzt kann
                                                          Neben dem verwendetem Kommunikations-
die polizeiliche taktische Kommunikation im All-
                                                      stil steht auch das weitere polizeiliche Verhalten
gemeinen, und über soziale Medien im Besonde-
                                                      in sozialen Medien in einem rechtlichen Span-
ren, aber auch der Gewinnung von Deutungsho-
                                                      nungsfeld. Der Kriminologe Tobias Singelnstein
heit über die laufenden Ereignisse dienen (Kern
                                                      weist beispielsweise darauf hin, dass das Blockie-
2017 32-34, 165). Dies ist grundsätzlich nicht
                                                      ren von Twitter-Nutzer*innen durch die Polizei ei-
problematisch, solange Deutungshoheit nicht
                                                      nen Eingriff in die Informationsfreiheit darstellt
über manipulative Effekte erzielt wird: Die Polizei
                                                      (Bröckling 2018). Weiterhin stellen Arzt und Ull-
unterliegt als staatliche Institution der Neutrali-
                                                      rich (2016) fest, dass die Polizei vermehrt soziale
tätspflicht sowie den Geboten der Sachlichkeit
                                                      Medien einsetzt, um auf Kritik an polizeilichen
und Richtigkeit. Ihre Deutungshoheit soll daher
                                                      Einsätzen zu reagieren. Sind solche polizeilichen
vor allem über Transparenz und Ehrlichkeit be-
                                                      Reaktionen allerdings von wertendem Charakter
gründet werden (Wissenschaftliche Dienste des
                                                      und nehmen inhaltlich Einfluss auf Versammlun-
Deutschen Bundestages 2015, 9; Kern 2017, 168).
                                                      gen und Demonstrationen so stehen sie dem
Die polizeilichen Tweets sollen vor diesem Hinter-
                                                      Recht auf Versammlungsfreiheit problematisch
grund nicht wertend, sondern möglichst neutral
                                                      gegenüber (Arzt und Ullrich 2016, 55).
verfasst sein (Kern 2017, 168).
                                                          Zudem wird kritisiert, dass die polizeiliche Dar-
    Ob dies in der Praxis jedoch tatsächlich umge-
                                                      stellung von Protesten über Dienste wie Twitter
setzt wird oder überhaupt praktisch umsetzbar
                                                      vermeintliche Grenzüberschreitungen und ge-
ist, wurde in der Vergangenheit bereits kontro-
                                                      walttätige Handlungen in den Fokus rücke und so
vers diskutiert. Die Juristin Heike Krischok betont
                                                      potenziell friedliche Teilnehmer*innen abschre-
beispielsweise, dass es der Polizei grundsätzlich
                                                      cken können (Bayerl und Rüdiger 2017, 934 f.). In
nicht zustehe, Proteste und Protestierende über
                                                      der Studie „Eskalation: Dynamiken der Gewalt im
soziale Medien zu bewerten. Gleichzeitig ver-
                                                      Kontext der G20-Proteste in Hamburg 2017“ hal-
deutlicht sie aber auch, dass eine neutrale Ver-
                                                      ten Malthaner et al. (2018) fest, dass die Polizei
wendung sozialer Medien im Protestzusammen-
                                                      auf Twitter die „Gewaltfrage“ zu ihren Gunsten
hang nur schwer machbar ist. Krischok verweist
                                                      auslegte und sich so an der diskursiven Eskalation
zur Untermauerung dieser These auf Präzedenz-
                                                      in Bezug auf die Proteste beteiligte (Malthaner et
fälle wie die Blockupy-Proteste und den G7-Gip-
                                                      al. 2018, 72, 76-77). Hartmann und Lang schlie-
fel, bei denen die Polizei durchaus inhaltliche Be-
                                                      ßen an diese Kritik an und sprechen von einer an-
wertungen über soziale Medien vornahm
                                                      tagonistischen Diskursdynamik, die sich auf Twit-
(Krischok 2018, 244 f.). In den für soziale Medien
                                                      ter parallel zum Protestgeschehen auf der Straße
typischen Kommunikationsstilen sieht die Juristin
                                                      herausbildete. Der Twitter-Diskurs rund um die
jedoch nicht per se eine Gefahr für die Neutrali-
                                                      G20-Proteste begünstige so „sich selbst verstär-
tätspflicht, solange es dadurch nicht zu politi-
                                                      kende Spiralen aus Solidarisierung und Feindbild-
schen Wertungen und Missverständnissen
                                                      konstruktion“ (Hartmann und Lang 2020, 8).
kommt (Bröckling 2018). Andere Stimmen sehen
den für soziale Medien typischen Gebrauch von
Ironie und Humor seitens der Polizei deutlich kri-
tischer. Darunter auch der Rechtswissenschaftler
_____
 4
  Peter Ullrich im Interview mit dem Norddeutschen
 Rundfunk: https://www.pressepor-
 tal.de/pm/6561/4052873 [22.10.2020]

                                                                                                         8
#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
Die Polizei, Twitter und der                         volvierten Akteur*innen prägen. In Protestsitua-
                                                     tionen können die eingesetzten Narrative und
Hambacher Forst                                      Charaktere eine mobilisierende Wirkung entfal-
                                                     ten (Jasper et al. 2020, 8f). Dabei geht es vor al-
Auch der vorliegende Artikel untersucht das          lem darum die eigene öffentliche Repräsentation
Spannungsfeld polizeilicher Social-Media-Nut-        mit positiven Attributen zu besetzen und den
zung bei Protesten und stellt die Frage, welche      Charakter der Gegenseite im Kontrast dazu nega-
Narrative die Polizei wie über soziale Medien pro-   tiv einzuordnen, um beim entsprechenden Publi-
duzierte und kommunizierte. Hierfür wurden po-       kum Emotionen auszulösen. Emotionen prägen,
lizeiliche Twitter-Aktivitäten mit Bezug auf die     wie Ereignisse und Akteur*innen eingeordnet
Proteste rund um den Hambacher Forst unter-          und verstanden werden. Narrative mit impliziten
sucht. Die Proteste gegen den Braunkohleabbau        Charakterisierungen setzen Emotionen frei, die
im Gebiet des Hambacher Forstes blicken auf eine     sich zum Beispiel in Ablehnung oder Zustimmung
lange Geschichte zurück. Seit 2012 zählt die Be-     für Geschehnisse und Akteur*innen ausdrücken
setzung des verbliebenen Waldes dazu. Immer          können (Jasper et al. 2020, 7; Jasper 2018, 190).
wieder kam es infolgedessen zu Räumungen und         Narrative werden zudem in einen größeren Sinn-
polizeilichen Einsätzen. Seit jeher ringen das       zusammenhang eingeordnet und lassen weiter-
Energieunternehmen RWE, das im Tagebau Ham-          gehende Schlussfolgerungen zu. Sie vermitteln so
bach Braunkohle abbaut, die Polizei und Akti-        deutlich mehr aus als auf direktem Wege ausge-
vist*innen um die Deutungshoheit (Dalkowksi          drückt wurde (Jasper et al. 2020, 22 f.). Wird zum
2018). Auch 2018 kam es kurz vor Beginn der Ro-      Beispiel darüber berichtet, unter welchen schwe-
dungssaison (Oktober bis März) zu polizeilichen      ren Bedingungen ein Polizeieinsatz erfolgte, so
Einsätzen. Eine Analyse der Narrative und Prakti-    lässt dies Rückschlüsse auf die beteiligten Poli-
ken polizeilicher Twitter-Nutzung im Kontext die-    zist*innen zu, die trotz erschwerter Kontextbe-
ser Einsätze schien im Vorfeld dieser Studie be-     dingungen im Einsatz waren. Sie erscheinen so
sonders vielversprechend, da die mediale Be-         beispielsweise besonders stark und widerstands-
richterstattung (auch in eher konservativen Me-      fähig.
dien und Leitmedien) den Protesten im Hamba-
cher Forst durchaus positiv gegenüberstand. Wei-     Methode
terhin lehnte ein Großteil der Bevölkerung die Ro-
dung des Hambacher Forstes im Untersuchungs-         Um die polizeiliche Twitter-Nutzung rund um die
zeitraum ab (Cwiertnia 2018; Petrowskaja 2018;       Proteste des Hambacher Forstes zu untersuchen,
Parth 2018; Wichmann, 2018).                         wurden die Tweets der Polizei Aachen analysiert
                                                     (abrufbar unter dem Twitter-Profil @Poli-
   Der Begriff Narrativ bezieht sich in diesem Zu-   zei_NRW_AC), die bei den Ereignissen im Einsatz
sammenhang auf die normative Erzählung eines         war. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich
Ereignisses oder Phänomens. Narrative ordnen         auf den Zeitraum von August 2018 bis Ende Okto-
die beschriebenen Ereignisse oder Phänomene in       ber 2018. Innerhalb dieses Zeitraumes intensi-
einen Sinnzusammenhang ein und konstruieren          vierten sich die Polizeieinsätze und die mediale
dabei Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Diese            Aufmerksamkeit.5 Es gab mehrere Räumungen
Kausalzusammenhänge müssen dabei nicht not-          und Protestaktionen, sowie Großdemonstratio-
wendigerweise auf Tatsachen beruhen oder sich        nen und Hausbesetzungen im nahegelegenen
durch den Rückgriff auf Logik erschließen lassen     Manheim, welche im Zusammenhang mit den
(Polletta 2006, 10-12). Narrative transportieren     Protesten rund um den Hambacher Forst stan-
zudem bestimmte Charaktere, die das Bild der in-     den.6 Der vom Oberverwaltungsgericht Münster
                                                     ausgesprochene vorläufige Rodungsstopp fällt
_____
 5                                                    6
  Überblick über die Proteste im Hambacher Forst       Weitere Informationen zur Besetzung in Manheim:
 im Oktober 2018: https://hambacher-                  https://hambacherforst.org/blog/2018/10/12/man-
 forst.org/blog/2018/10/02/ticker-ab-2-okto-          heim-besetzung/
 ber/#more-9317.

                                                                                                      9
#HambacherForst Mareike Fenja Bauer - Institut für Protest- und ...
ebenfalls in diesen Zeitraum.7
    Berücksichtigt wurden alle polizeilichen
Tweets, die durch einen entsprechenden Hashtag
(#HambacherForst, #Hambi0610, #hambibleibt,
#Hambilebt, #EndeGelände, #endegelaende,
#EndeGelaende, #Manheimlebt und #hambach-
erforst) gekennzeichnet waren. Die Recherche er-
folgte manuell über die erweiterte Suchfunktion
von Twitter. Nach Ausschluss von Duplikaten ver-
blieben 190 Tweets der Polizei Aachen. Im An-
                                                     Abbildung 2: Tweet an Medienvertreter*innen
schluss an die Datensammlung wurden die
Tweets einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzo-
gen (Mayring 2010, 48 f.). Dabei wurde sowohl        Die Erzählung des Gefahrengebietes
mittels induktiver als auch deduktiver Codes ge-     Die polizeilichen Einsätze im Hambacher Forst
arbeitet. Die deduktiven Codes ergaben sich aus      wurden in den Tweets unter anderem damit ge-
der zuvor gesichteten Literatur zur polizeilichen    rechtfertigt, dass es sich bei dem betroffenen Ein-
Social-Media-Nutzung im Kontext von Protesten.       satzgebiet um ein Gefahrengebiet handle. Auffäl-
                                                     lig ist, dass die Kennzeichnung des Hambacher
Ergebnisse                                           Forstes als Gefahrengebiet erst mit dem vermehr-
                                                     ten Aufkommen von Polizeieinsätzen und der
Bevor sich die Analyse den verwendeten Narrati-
                                                     zeitgleichen verstärkten Twitter-Nutzung Ende
ven, also der normativen Erzählung und Etikettie-
                                                     August/Anfang September erfolgte: Während
rung des Protestes und der Protestierenden wid-
                                                     Einsätze Anfang August noch als Aufklärungsar-
met, soll vorweg angemerkt werden, dass unter
                                                     beiten gerechtfertigt wurden, wich diese Begrün-
den Tweets auch solche vorzufinden waren, die
                                                     dung bald vollständig dem Bild des Gefahrenge-
lediglich informativen Charakter aufwiesen.8 Da-
                                                     bietes. Das Markieren eines Ortes als Gefahren-
bei handelte es sich um Tweets, die allgemeine
                                                     gebiet erlaubt der Polizei einen größeren Hand-
Verkehrsmeldungen sowie Informationen zu An-
                                                     lungsspielraum. So kann sie in diesem Gebiet
und Abreisemöglichkeiten enthielten (Abbildung
                                                     etwa ohne vorherigen gerichtlichen Beschluss
1), oder sich direkt an Medienvertreter*innen
                                                     Personenkontrollen und Durchsuchungen durch-
richteten und über Presseanlaufstellen informier-
                                                     führen (Ullrich und Tullney 2012, 3f.). Auch im
ten (Abbildung 2).
                                                     vorliegenden Fall kam es im Anschluss an die
                                                     Kennzeichnung als Gefahrengebiet zu weitreich-
                                                     enden Durchsuchungen, die die Polizei zum Teil
                                                     auch auf Twitter dokumentierte. So twitterte die
                                                     Polizei am 31. August 2018 um 9:01 Uhr, „Strafta-
                                                     ten und massive Angriffe auf Polizeibeamte“ hät-
                                                     ten dazu geführt, dass der Hambacher Forst und
                                                     seine Umgebung von der Polizei Aachen als „ge-
                                                     fährlicher Ort“ eingestuft wurden. Im zweiten Teil
Abbildung 1: Verkehrsmeldung                         des Twitter-Threads erklärte die Polizei zudem
                                                     welche Auswirkungen sich durch die Benennung
                                                     als Gefahrengebiet für den Handlungsspielraum

_____
 7                                                    8
  Zur Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts      Anzumerken ist hier, dass Informationen immer
 NRW: https://www.ovg.nrw.de/beho-                    aus einer bestimmten Perspektive also nie vollstän-
 erde/presse/pressemitteilungen/01_ar-                dig objektiv oder neutral erfolgen. Die hier genann-
 chiv/2018/46_181005/index.php                        ten informativen Tweets weisen jedoch keine offen-
                                                      sichtlichen Narrative auf und verfügen über als
                                                      sachlich einzuordnende Formulierungen.

                                                                                                       10
der Polizei ergeben, nämlich die Feststellung von     Ortes der Proteste, fand auch eine Versicherheit-
Personalien und die Durchsuchung anwesender           lichung ihrer Teilnehmer*innen statt. Neben der
Personen und ihrer Fahrzeuge (Abbildung 3).9          Kennzeichnung als Gefahrengebiet wurden Ende
                                                      August/Anfang September die Protestteilneh-
                                                      mer*innen innerhalb Twitters vermehrt als ge-
                                                      waltbereit markiert. Das Motiv der gewaltberei-
                                                      ten Aktivist*innen trat auch als Erklärung für Eins-
                                                      ätze auf, wie in der folgenden Abbildung 4 zu se-
                                                      hen ist.

Abbildung 1: Gefahrengebiet

Den erweiterten polizeilichen Handlungsspiel-
raum, der durch die Einstufung als Gefahrenge-
biet ermöglicht wurde, rechtfertigte die Polizei
durch den Verweis auf die „Verhinderung weite-
rer Straftaten“. In den darauffolgenden Wochen
fand sich die im Tweet genannte Bezeichnung des
Hambacher Forstes als gefährlicher Ort auch in
den Medien wieder, so zum Beispiel in einem im
Stern veröffentlichten Artikel oder in der Welt,
die die Erzählung des Gefahrengebiets übernah-
men (Wüstenberg 2018; Die Welt 2018 ). Aber
auch die Aktivist*innen reagierten auf die Etiket-
tierung als gefährlicher Ort. Ein Aktivist erklärte
im Presseinterview, dass die Polizei versuche
durch die Kennzeichnung des Hambacher Forstes
als Gefahrengebiet „die komplette Bewegung zu
kriminalisieren und zu diffamieren“ (Zeit Online
2018).
   Die Polizei legitimierte ihr Handeln hier also
nicht nur rechtlich, indem sie das Gebiet als Ge-
fahrenort kennzeichnete, sondern trug dieses          Abbildung 4: Einsatzerklärung
Narrativ auch in den öffentlichen Diskurs. Hier
wird deutlich, dass die Polizei Twitter auch zur      Der polizeiliche Einsatz wurde in dem Twitter-
Herstellung von Deutungshoheit einsetzte. So          Thread mit „dem Auffinden und Sicherstellen von
kann argumentiert werden, dass das entspre-           Beweismitteln sowie Gegenständen, die zur Vor-
chende Gebiet bewusst vor allem zu Beginn des         bereitung oder Durchführung von Straftaten und
Polizeieinsatzes als Gefahrengebiet markiert          Ordnungswidrigkeiten geeignet sind“ begründet.
wurde, um alle folgenden polizeilichen Handlun-       Angenommen wurde also, dass die Aktivist*innen
gen nicht nur rechtlich abzusichern, sondern auch     Straftaten und Ordnungswidrigkeiten planten.
in der öffentlichen Wahrnehmung zu legitimie-         Das Narrativ der gewaltbereiten Aktivist*innen
ren.                                                  wurde dadurch verstärkt. Auch der Appell im drit-
                                                      ten Tweet des Threads: „Seien sie friedlich und
   Zeitgleich zu dieser Versicherheitlichung des
_____
 9
  In einem Twitter-Thread werden mehrere Tweets
 desselben Accounts miteinander verbunden.

                                                                                                       11
leisten Sie den Anweisungen der Polizeibeamt*in-    ermöglichte der Polizei einen größeren Hand-
nen Folge!“, suggerierte eine mögliche Gefahr,      lungsspielraum.
die von den Aktivist*innen ausging.
                                                    Binäre Gegenüberstellung: Positive Ei-
    Anfang August waren die Einsätze der Polizei
                                                    gen- und negative Fremdbilder
demgegenüber noch mit dem Verweis auf „Auf-
klärungsmaßnahmen“ begründet worden, wie im         Die Andeutung von Gewaltbereitschaft unter den
Folgenden zu sehen ist. In dem Tweet (Abbildung     Aktivist*innen stand indes im direkten Gegensatz
5), der Anfang August veröffentlicht wurde, er-     zur positiven Selbstdarstellung der Polizei über
klärte die Polizei, dass sie „aktuell für Aufklä-   Social Media. So setzte die Polizei Aachen inner-
rungsmaßnahmen kurzfristig im #Hambacher-           halb ihrer Tweets auf ein klassisches Opfer-Täter-
Forst“ sei. Erst Ende August/ Anfang September      Framing. Indem die Einsatzkräfte als von Gewalt
tauchten schließlich die beiden Narrative gewalt-   Betroffene hervorgehoben wurden, wurden Akti-
bereite Aktivist*innen und des Hambacher Forsts     vist*innen implizit als gewaltbereit gekennzeich-
als Gefahrengebiet auf. Diese versicherheitli-      net. Tweets, die dieses Narrativ transportierten,
chenden Narrative traten auch am 13. September      waren zumeist emotional aufgeladen, wie im Fol-
in Erscheinung. An diesem Tag begann die Räu-       genden Beispiel an der Formulierung „Das geht zu
mung des Hambacher Forstes. Dies schlug sich        weit“ ersichtlich ist (Abbildung 6).
auch in einer größeren polizeilichen Twitter-Nut-
zung nieder.

                                                    Abbildung 6: Polizei als Betroffene von Gewalt

 Abbildung 5: Aufklärungseinsatz                       Der abgebildete Tweet thematisierte den Ein-
                                                    satz von Molotowcocktails gegen ein Einsatzfahr-
Durch die Etikettierung der Protestierenden und     zeug: „Im #HambacherForst wurde ein Polizei-
des Protestes als Gefahr für die Sicherheit wurde   fahrzeug aus dem Wald heraus mit zwei Molo-
das Bild einer Ausnahmesituation konstruiert. Si-   towcocktails beworfen. Nur mit Glück wurde nie-
cherheit wird hier verstanden als Ergebnis sozia-   mand verletzt. Hierdurch werden leichtfertig
ler Aushandlungsprozesse und stellt keinen ob-      Menschenleben gefährdet“. Thematisiert wurde
jektiven Zustand dar. Was als Bedrohung gilt wird   hier also ein Ereignis, bei dem die Aktivist*innen
also zwischen Sicherheitsakteur*innen und Publi-    als leichtsinnige und gewalttätige Akteur*innen
kum ausgehandelt (Ketzmerick 2019, 65). Durch       agierten und die Polizei als Opfer dieser Gewalt
Versicherheitlichungsprozesse werden die „nor-      auftrat. An dieser Stelle kann angenommen wer-
malen“ politischen Spielregeln ausgesetzt (Belina   den, dass die Beschreibung des Vorfalls bei den
2010, 192). Im Sinne einer solchen „Versicher-      Adressaten vor allem Sympathie mit den Einsatz-
heitlichung“ wurde auch der Protest im Forst öf-    kräften erzeugen sollte. Durch die Emotionalisie-
fentlich als eine Bedrohung gekennzeichnet. Poli-   rung wurde ein positives Bild der Polizei als Ziel-
zeiliches Handeln außerhalb des „normalen“ Ein-     scheibe von Gewalt bestärkt. Diese Darstellung
satzrahmens wurde so nicht nur rechtlich durch      trat im Kombination einer pauschalen Markie-
die Deklarierung des Gebietes als Sonderzone le-    rung der Aktivist*innen als leichtsinnig und grenz-
gitimiert, sondern auch im öffentlichen Diskurs.    überschreitend auf. Formulierungen wie „Nur mit
Das Einsetzen versicherheitlichender Narrative      Glück wurde niemand verletzt“ und „Hierdurch
entpolitisierte sowohl den Protest als auch den     werden leichtfertig Menschenleben gefährdet“
polizeilichen Einsatz zu seiner Eindämmung und      (Abbildung 6) suggerierten, dass die Aktivist*in-
                                                    nen sich über die Konsequenzen ihres Handelns

                                                                                                     12
keine Gedanken machten. Im selben Tweet er-            wurde hierdurch, dass die Aktivist*innen sich der
folgte auch der kollektive Appell: „Distanzieren       möglichen Konsequenzen ihres Handelns nicht
Sie sich von gewalttätigen Aktionen“. Diese Auf-       bewusst seien und dadurch nicht nur sich, son-
forderung richtete sich zunächst an die Protestie-     dern auch andere Personengruppen, wie Polizei
renden und versuchte so das Verhalten der Akti-        und Anwohner*innen, in Gefahr bringen könn-
vist*innen zu beeinflussen. Gleichzeitig trat die      ten. Im Gegensatz zu diesem vermeintlich unver-
Polizei durch den Appell in Verknüpfung mit der        antwortlichen Handeln stand die verantwor-
Hervorhebung des Leichtsinns der Aktivist*innen        tungsbewusste Polizei, die demnach die Gefahr
als „Stimme der Vernunft“ in Erscheinung. So war       erkannte und sich besorgt zeigte, wie an Formu-
es die Polizei, die sich über ihre Opferrolle erhob    lierungen wie „Die #Polizei #Aachen möchte
und als besonnene Kraft auf mögliche Konse-            nicht, dass Personen zu Schaden kommen!“ deut-
quenzen wie das Gefährden von Menschenleben            lich wird. Zugleich bat die Polizei den Protestie-
hinwies und zur Distanzierung aufforderte. Über        renden ihre Hilfe beim Verlassen der Dächer an;
Twitter wurden aber nicht nur die Protestieren-        trat hier also als Retterin der vermeintlich leicht-
den erreicht, sondern auch eine breitere Öffent-       sinnig und unverantwortlich handelnden Akti-
lichkeit. Die direkte Aufforderung zur Distanzie-      vist*innen in Erscheinung. Auch hier lag eine bi-
rung sprach somit auch andere Personengrup-            näre Gegenüberstellung von Polizei und Akti-
pen, wie zum Beispiel Anwohner*innen, an. An-          vist*innen vor, die ein Eingreifen der Polizei öf-
genommen werden kann, dass der Appell somit            fentlich legitimierte und an das weitverbreitete
auch für andere Personengruppen als Aufforde-          Bild der Polizei als „Freund und Helfer“ an-
rung verstanden werden konnte sich vom Protest         knüpfte. Während die Aktivist*innen zu Beginn
zu distanzieren. In Bezug auf die polizeiliche Nut-    der Polizeieinsätze vor allem als gewaltbereit ge-
zung sozialer Medien im Kontext von Protesten          kennzeichnet wurden, setzte sich im späteren
wird in diesem Zusammenhang kritisiert, dass die       Verlauf diese Beschreibung der Aktivist*innen als
polizeiliche Darstellung von Protesten vermeintli-     leichtsinnig zunehmend durch.
che Grenzüberschreitungen und gewalttätige
Handlungen in den Fokus rücken und so potenzi-
elle friedliche Teilnehmer*innen abschrecken
könnte (Bayerl und Rüdiger 2017, 934 f.). Auch in
diesem Fall ist eine solche abschreckende Wir-
kung denkbar.
   Weiterhin trat die Erzählung der leichtsinnigen
Aktivist*innen zusammen mit der Darstellung der
Polizei als „besorgt“ in Erscheinung. Im Beispiel in
Abbildung 7 ist diese Gegenüberstellung zu se-
hen. Der abgebildete Tweet nimmt Bezug auf
eine Reihe von Hausbesetzungen im nahegelege-
nen Manheim, die als Solidaritätsaktionen im
Zuge der Proteste rund um den Hambacher Forst
stattfanden.10 In dem Tweet wies die Polizei da-
rauf hin, dass das Besteigen von Hausdächern der
besetzen Häuser aufgrund der Witterung und des
unbekannten Zustandes unkalkulierbare Risiken
für die Hausbesetzer*innen mit sich bringe. Wei-
terhin appellierte sie an die Protestierenden, sich     Abbildung 7: Besorgte Polizei/leichtsinnige Aktivist*innen
und andere nicht in Gefahr zu bringen. Suggeriert
_____
 10
   Zum Protesthintergrund der Hausbesetzungen in
 Manheim: https://hambacher-
 forst.org/blog/2018/10/12/manheim-besetzung/

                                                                                                                13
Diese Narrativveränderung lässt sich auch darin       positive Züge an, während der Polizeieinsatz und
begründen, dass sich im Laufe der zunehmenden         die Rodung größtenteils abgelehnt wurden
Mediatisierung des Protestes die kollektiven Akti-    (Wichmann 2018).
onen im Hambacher Forst diversifizierten. An ei-
                                                          Der 6. Oktober 2018, der „Aktionstag“ gegen
nigen Protestaktionen, wie etwa am Aktionstag
                                                      die Rodung des Hambacher Forsts, verzeichnete
des 6. Oktobers 2018, beteiligte sich eine Vielzahl
                                                      eine verstärkte polizeiliche Twitter-Nutzung, bei
von Menschen, die nicht zwingend zum nahen
                                                      der es vor allem zu der beschriebenen Gegen-
Umfeld der Waldbesetzer*innen zählten. Unter
                                                      überstellung von besorgter Polizei und leichtsin-
den Teilnehmenden fanden sich zivilgesellschaft-
                                                      nigen Aktivist*innen kam. Abgeleitet werden
liche Gruppen wie Greenpeace,11 aber auch Ver-
                                                      kann daher, dass die Polizei die zuvor beschriebe-
treter*innen politischer Parteien wie die Grü-
                                                      nen Bilder des Gefahrengebietes und der gewalt-
nen.12
                                                      bereiten Aktivist*innen nicht als hegemoniale
   Der Protest beschränkte sich also nicht länger     Lesart der Proteste etablieren konnte. Um ihr Ein-
nur auf eine bestimmte klar abgrenzbare „Szene“,      greifen in das Protestgeschehen nicht nur recht-
sondern wurde von einer breiten Öffentlichkeit        lich, sondern auch weiterhin öffentlich zu legiti-
getragen. Dazu passte, dass Umfragen zufolge          mieren, musste sie auf andere tragfähigere Nar-
auch ein immer größer werdender Teil der Bevöl-       rative ausweichen. In diesem Sinne sind also nicht
kerung die Rodung des Hambacher Forstes ab-           nur die Proteste und die polizeilichen Gegenmaß-
lehnte (Wichmann 2018).13 Auch der am 5. Okto-        nahmen selbst als zentrale Aushandlungsorte von
ber 2018 durch das Oberverwaltungsgericht             Hegemonie zu verstehen, sondern auch die pro-
Münster verkündete vorläufige Rodungsstopp            testbegleitende und sich an das materielle Ge-
kann als ein Faktor gewertet werden, der die Ab-      schehen anpassende Twitter-Nutzung.
schwächung des Gefährder*innennarrativs be-
                                                         Eine weiteres wiederkehrendes Narrativ war
günstigte. Das Oberverwaltungsgericht verkün-
                                                      das der beschützenden Polizei, welches auch in
dete den vorläufigen Rodungsstopp mit Verweis
                                                      Gegenüberstellung mit dem Bild leichtsinniger
auf eine zu diesem Zeitpunkt noch laufende
                                                      Aktivist*innen auftrat und sich ebenfalls vor al-
Klage, die der Bund für Umwelt und Naturschutz
                                                      lem auf Tage konzentrierte, an denen besondere
e.V. Nordrhein-Westfalen (BUND NRW) gegen die
                                                      Ereignisse stattfanden. An Tagen also an denen
Rodung des Hambacher Forstes eingereicht
                                                      Aktivist*innen und Polizei in besonderem Maße
hatte. Der BUND NRW klagte gegen die Rodung
                                                      aufeinandertrafen und die medial stark begleitet
mit Verweis auf Umwelt- und Artenschutz. Das
                                                      wurden, wie zum Beispiel zu Beginn der Räumung
Oberverwaltungsgericht kam zu dem Entschluss,
                                                      am 13. September, am Tag der Großdemonstra-
dass eine Rodung des Forstes durch die Schaffung
                                                      tion am 6. Oktober oder auch bei der Räumung
vollendeter Tatsachen einer Überprüfung dieser
                                                      der Hausbesetzungen in Manheim am 25. Okto-
Bedenken unmöglich mache. Die Überprüfung
                                                      ber. Dabei inszenierte sich die Polizei nicht zwin-
auf Umwelt- und Artenschutz müsse erst erfol-
                                                      gend als Beschützerin einer bestimmten Gruppe.
gen, bevor eine eventuelle Rodung fortgesetzt
                                                      In einigen Fällen trat sie jedoch explizit als Be-
werden könnte.14
                                                      schützerin der RWE-Mitarbeitenden, behördli-
   Im Zuge der wachsenden Unterstützung für           cher Vertreter*innen sowie als Beschützerin der
die Besetzer*innen des Hambacher Forstes nahm         Aktivist*innen auf.
die mediale Darstellung der Proteste durchaus

_____
 11                                                    13
    Aufruf von Greenpeace zur Demonstration am 6.         Umfrage zur Rodung des Hambacher Forstes:
 Oktober: https://www.greenpeace.de/ter-               https://www.campact.de/wp-content/uplo-
 mine/hambacher-wald-grossdemo-am-6-okto-              ads/2018/10/Emnid-Umfrage-NRW-Hambacher-
 ber/06102018-kerpen-buir                              Forst.pdf
 12                                                    14
    Aufruf der Partei „Die Grünen NRW“ zur De-            Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts
 monstration am 6. Oktober: https://gruene-            NRW zum vorläufigen Rodungsstopp:
 nrw.de/termin/grossdemo-am-hambacher-wald/            https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/presse-
                                                       mitteilungen/01_archiv/2018/46_181005/index.php

                                                                                                      14
In dem beschriebenen Fall vermischte sich das
                                                           Ziel der Verhaltensbeeinflussung mit der Kon-
                                                           struktion bestimmter demoralisierender/emotio-
                                                           nalisierender Narrative, beziehungsweise von
                                                           Werturteilen. Dies mag auch bei klassischen Mit-
                                                           teln der taktischen Kommunikation, wie Ansagen
                                                           über Lautsprecher, der Fall sein, jedoch erreicht
                                                           Twitter nicht nur Personen vor Ort, sondern auch
                                                           weitere Teile der Öffentlichkeit. Die Twitter-U-
                                                           ser*innen, ob nun Journalist*innen oder Bür-
Abbildung 8: Appell / Infragestellung der Aktivist*innen   ger*innen, bekamen so eine ganz bestimmte Per-
                                                           spektive geboten, welche auf Fehlverhalten der
In den Tweets, in denen die Aktivist*innen als ge-         Aktivist*innen schließen ließ und zugleich die ge-
waltbereit und leichtsinnig markiert wurden,               nannten Narrative transportierte, ohne dabei
konnte auch beobachtet werden, wie Appelle an              selbst vor Ort gewesen zu sein. Zwar bringen auch
die Aktivist*innen formuliert wurden. So rief die          Aktivist*innen bei Protesten ihre Perspektive
Polizei Aachen via Twitter etwa dazu auf, den po-          über Twitter an die Öffentlichkeit, jedoch ist zu
lizeilichen Anweisungen zu folgen und sich fried-          bedenken, dass die Polizei über Jahre hinweg auf
lich zu verhalten, wie in Abbildung 8 zu sehen ist.        hohe Vertrauenswerte innerhalb der deutschen
In dem Beispiel ist der appellative Charakter des          Bevölkerung zurückschauen kann und so eine
Tweets und die Kennzeichnung der Aktivist*innen            machtvolle Sprechposition einnimmt (Jarolimek
als gewaltbereit an der Formulierung „Wir appel-           2019, 181). Mit der Infragestellung der Glaubwür-
lieren: Verzichten Sie auf jegliche Gewalt“ zu er-         digkeit der Protestform und der Protestziele
kennen. Weiterhin wird in dem Tweet auch die In-           nahm die Polizei Aachen eine eindeutige politi-
fragestellung der Glaubwürdigkeit und der Ziele            sche Wertung der Ereignisse vor. Damit erfüllte
der Aktivist*innen durch die Formulierung „Die             die Polizei hier, nach Gramsci, klassische Funktio-
Natur schützen zu wollen, aber Menschen zu ver-            nen der zivilen Gesellschaft, die über ihren nor-
letzen, passt nicht zusammen“ deutlich.                    mativen Charakter als Teil der politischen Gesell-
                                                           schaft hinausgehen.

    Abbildung 9: Positive Eigendarstellung

                                                                                                           15
Fernab des Protestes                                     vergessen, lasst Ihr alles stehen und liegen, hockt
                                                         Euch hin und beantwortet ihm all seine Fragen,
Die positive Eigendarstellung der Polizei auf Twit-
                                                         stillt seine Neugier und unterhaltet Euch mit ihm
ter erfolgte zudem auch durch Posts, die nicht im-
                                                         und als wäre das alles nicht schon großartig ge-
mer in direktem Zusammenhang mit dem Pro-
                                                         nug, bekommt er einen Teil Eurer Verpflegung ge-
testgeschehen standen. So zitierte die Polizei auf
                                                         schenkt“ wurde das Narrativ der Polizei in der Op-
Twitter etwa einen Facebook-Post, der nicht das
                                                         ferrolle gestärkt. Zugleich wurden Polizist*innen
Protestgeschehen selbst beschrieb, sondern ei-
                                                         als Bürger*innen-nahe Held*innen präsentiert,
nen privaten Meinungsbeitrag zum Polizeieinsatz
                                                         die sich trotz ihrer hohen Belastung Zeit für die
und den Protesten im Hambacher Forst dar-
                                                         Anwohner*innen nahmen. Dieses Bild der Polizei
stellte. Versehen wurde dieser Tweet mit dem
                                                         setzte der Kritik am Polizeieinsatz eine positive Er-
Hashtag #HambacherForst. Bei dem Tweet han-
                                                         zählung gegenüber. Die Anwohner*innen wurden
delte es sich um einen Facebook-Post, in dem
                                                         durch den Post als Verbündete der Polizei skiz-
eine Anwohnerin eine Begegnung mit Polizist*in-
                                                         ziert und der Einsatz so indirekt als Wahrneh-
nen beschrieb (Abbildung 9). Die Anwohnerin
                                                         mung bürgerlicher Interessen legitimiert.
schilderte darin, wie sie mit ihrem Sohn beim Bä-
ckereibesuch auf einige Polizist*innen traf und
                                                         Schuldzuweisungen
diese sich Zeit nahmen, ihrem Kind seine Fragen
zu beantworten. Weiterhin beschrieb sie, dass die
Polizist*innen dem Kind ein Brötchen schenkten
– ein echtes „Polizeibrötchen“ wie sie es im Post
nannte. Der Post war emotional stark aufgeladen,
wie an Formulierungen wie „dass Ihr trotz all
dem, was Ihr jeden Tag aushalten müsst, es im-
mer noch schafft, kleine Menschen so glücklich zu
machen“ deutlich wird. Dies diente weder der
Verbreitung von Informationen zum Protestge-             Abbildung 11: polizeilicher Tweet wenige Minuten später
schehen noch der Verhaltensbeeinflussung von
Beteiligten, sondern der positiven Hervorhebung          Auch zu dem Unfall am 19. September 2018, bei
der Polizeiarbeit selbst. Zudem kann angenom-            dem der Journalist Steffen Meyn tödlich verun-
men werden, dass die Polizei sich durch diese            glückte, informierte die Polizei (Kreuzfeldt 2018).
Darstellung und den entsprechenden Retweet als           Bezüglich des Unfalls veröffentlichte die Polizei
Bürger*innen-nah präsentieren wollte. Auch               aber nicht nur informierende und wertfreie
wenn der Tweet nicht das Protestgeschehen be-            Tweets, wie zum Beispiel über die Ankunft des
schreibt, wurde er durch den Hashtag #Hambach-           Rettungshubschraubers, sondern auch wertende
erForst gekennzeichnet, die Verbindung zum po-           Tweets. So kam es kurz nach dem Unfall zu An-
lizeilichen Einsatz wurde also bewusst hergestellt.      schuldigungen gegenüber der Polizei, gegen die
                                                         sie sich unter anderem auf Twitter zur Wehr
   Der Tweet reihte sich so in die positive Eigen-
                                                         setzte (Abbildung 10).
beschreibung des polizeilichen Einsatzes ein.
Durch Beschreibungen wie „und als hättet Ihr all             In einem Tweet vom 19. September erklärte
den Stress, all den Ärger, all die Angriffe und Be-      die Polizei, dass zum Zeitpunkt des Unfalles keine
schimpfungen und all die langen Tage und Nächte          polizeilichen Maßnahmen am entsprechenden
                                                         Baumhaus, in dem sich der Verunglückte aufhielt,
                                                         stattgefunden hatten. Aber die Polizei demen-
                                                         tierte die Anschuldigungen nicht nur, sondern
                                                         veröffentlichte nur wenige Augenblicke später ei-
                                                         nen weiteren Tweet (Abbildung 11), in dem sie
                                                         die Protestierenden zur Besonnenheit aufrief, da
                                                         diese sich und andere in Lebensgefahr bringen
Abbildung 10: Polizei zum Unfall am 19. September 2018   würden. Im Kontext des Unfalles und des zuvor

                                                                                                                   16
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