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Reflexion eines Mathematik-Vorkurses aus
        Teilnehmer- und Dozentenperspektive
                      Marcel Klinger, marcel.klinger@uni-due.de
             Fakultät für Informatik, Technische Universität Dortmund
               Didaktik der Mathematik, Universität Duisburg-Essen
                                          30. April 2014
         Das vorliegende Schriftstück basiert auf den Erfahrungen im Rahmen eines Mathematik-
      Vorkurses zur Überbrückung der Diskrepanz zwischen schulischer und universitärer Ma-
      thematik, welcher vom 10. bis 28. März 2014 an der Fakultät für Informatik der Tech-
      nischen Universität Dortmund stattfand. Der 15-tägige Brückenkurs bestand aus einem
      Vorlesungsteil sowie einer freien Lernumgebung mit anschließender Frontalbesprechung.
      Im Rahmen mehrerer anonymer Evaluationen wurden dabei neben personenbezogenen
      Grunddaten Einstellungen und Beliefs der Teilnehmer zur Mathematik sowie zum spezi-
      ellen Vorkurs-Curriculum erhoben.

1 Beschreibung der                                       straktionsgrad, welcher in Anfängervorlesungen
  Veranstaltung                                          üblicherweise erwartet wird.
                                                         Das Curriculum lässt sich insgesamt wie folgt
Der Kurs fand vom 10. bis 28. März an der               zusammenfassen:
Fakultät für Informatik der Technischen Uni-            (1) Grundlagen (erste Woche):
versität Dortmund an insgesamt 15 Werkta-                    Aussagen und Logik, Mengenlehre, Zah-
gen (ohne Samstage) statt. Strukturell zeichne-               lenbereiche, Rechenregeln und übliche No-
te er sich durch einen etwa 90-minütigen Vor-                tationsweisen, Beweiskonzepte (einschl.
lesungsteil sowie durch eine etwa ebenso lange                Induktion), Abbildungen
freie Lernumgebung einschließlich einer gemein-
samen Besprechung im Frontalstil aus. Letz-               (2) Algebra (zweite Woche):
tere wurde durch klassische Übungszettel mit                 Lineare Gleichungssysteme (einschl. Gauß-
auf den jeweiligen Vorlesungstag inhaltlich abge-             Algorithmus), algebraische Gruppen,
stimmten Übungsaufgaben moderiert. Die Teil-                 Körper und Vektorräume (auf abstrakter
nehmerschaft bestand vollständig aus Personen,               Ebene), der Rn als Spezialfall, Matrizen-
die zum Sommersemester 2014 das Studium                       kalkül
im Bachelor-Studiengang Informatik an der TU
                                                          (3) Analysis (dritte Woche):
Dortmund aufnehmen wollten. Durchschnittlich
                                                              Folgen und Grenzwerte, Grenzwerte von
waren täglich knapp 15 Studierende anwesend.
                                                              Funktionen, Nullstellen, Stetigkeit, Diffe-
                                                              renzierbarkeit, schulische Kurvendiskussi-
1.1 Inhalt                                                    on, besondere Funktionen (natürliche Ex-
                                                              ponentialfunktion, trigonometrische Funk-
Ziel war der Aufbau einer stofflichen Brücke zwi-            tionen, etc.), Integralrechnung
schen schulischer und universitärer Mathematik.
Dabei wurden einerseits aus der Schule wohlbe-
                                                         1.2 Veranstaltungsstruktur und
kannte Inhalte aufgegriffen und in universitärer
                                                             Sozialformen
Weise neu präsentiert (Prinzip Definition, Satz,
                                ”
Beweis“), andererseits neue Begriffe eingeführt,        Die Gesamtveranstaltung ergab sich aus einem
an dieser Stelle jedoch noch oft ohne jenen Ab-          Vorlesungsteil (etwa 90 Minuten), einer daran

                                                     1
anschließenden freien Lernumgebung mit tutori-           punkt der Studienaufnahme im mathematisch-
eller Unterstützung (etwa 75 Minuten) und ei-           naturwissenschaftlichen Bereich (Daten aus dem
ner anschließenden Frontalbesprechung (etwa 30           WS2011/12, vgl. Scheller et al. [3, S. 51]).
Minuten). Vorlesungsbegleitend wurden jeweils
                                                                                        18-19
ein ausführliches Skriptum am Nachmittag nach
                                                                      20-21
der Veranstaltung sowie ein Lösungsblatt mit
                                                                                                >23
Endergebnissen der Übungsaufgaben veröffent-
licht und online bereitgestellt.
Der Vorlesungsteil fand klassisch als Tafelvortrag                              22-23

statt. Hierbei wurden die wichtigsten Inhalte
des Skriptums angeschrieben und erläutert. Zwi-
schenfragen waren jederzeit zugelassen und will-         Abbildung 1: Altersverteilung der Teilnehmer am zwei-
kommen. Dabei fand eine Orientierung des Vor-                         ten Tag in Jahren
lesungstempos bewusst oberhalb des schulischen           Dies lässt sich leicht durch den vergleichswei-
Niveaus statt. Schaubilder wurden in der Regel           se unüblichen Studienbeginn zum Sommerse-
an der Tafel entwickelt, mitunter in komplizier-         mester erklären, welcher sich für Abiturientin-
teren Fällen aber auch projeziert und erläutert.       nen und Abiturienten des Jahrgangs 2014 nicht
Der Übungsteil (Lernumgebung und Frontal-               realisieren lässt. Entsprechend gaben 89,5 Pro-
besprechung) basierte auf einen etwa ein- bis            zent der Teilnehmer an, das Studium nicht di-
zweiseitigen, auf den Vorlesungsstoff des Tages          rekt nach dem Abitur aufgenommen zu haben.
abgestimmten Übungszettel, welcher in Grup-             36,8 Prozent hatten bereits ein anderes Studi-
pen bearbeitet werden sollte. Hierbei stand die          um begonnen, ohne dieses zu einem Abschluss
Diskussion und das Kommunizieren mathema-                zu führen; 41,2 Prozent hatten nach dem Abitur
tischer Inhalte und Lösungswege im Mittel-              eine Ausbildung aufgenommen und diese über-
punkt. Der Tutor griff nur nach expliziter An-           wiegend (94,4 Prozent) erfolgreich abgeschlos-
frage der Teilnehmer ein, gab Impulse, jedoch            sen. Alle Befragten wurden über die Allgemeine
keine vollständigen Lösungswege. Die Bespre-           Hochschulreife zum Studium an der TU Dort-
chung fand punktuell statt und richtete sich dy-         mund zugelassen. Davon erhielten 89,5 Prozent
namisch nach dem diagnostizierten Bedarf der             ihr Abitur in neun Jahren (G9), 5,3 Prozent in
Teilnehmer. Sie hatte nicht den Anspruch ei-             acht Jahren (G8) und weitere 5,3 Prozent über
ne vollständige Musterlösung des Übungsblattes        den zweiten Bildungsweg.
bereitzustellen.
                                                           26
Am letzten Veranstaltungstag wurde der Vorle-              24
sungsanteil auf etwa 30 Minuten reduziert. In              22
der so gewonnenen Zeit wurde ein umfassen-                 20
des Übungsblatt, welches einen Querschnitt des            18
                                                           16
gesamten Vorlesungsstoffs abbildete, zur Bear-
                                                           14
beitung gegeben. Diese Abwandlung wurde zu-                12
vor mit den Teilnehmern im Gruppenkonsens be-              10
schlossen.                                                  8
                                                            6
                                                            4
1.3 Teilnehmerschaft                                        2

                                                                1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Die Daten der Teilnehmer wurden am zweiten
Kurstag – dem teilnehmerreichsten Tag (vgl. Ab-          Abbildung 2: Anzahl der Teilnehmer zu Beginn des
                                                                      Vorlesungsteils im Mathematik-Vorkurs
bildung 2) – erhoben. Dabei wurden insgesamt                          (grüne Säulen) sowie Regressionsgerade
21 Personen erfasst, sechs davon weiblichen Ge-                       (dunkelgrün) und Mittelwert (orange).
schlechts (28,6 Prozent).                                             Zum Verghleich ist jeweils die Anzahl der
Abbildung 1 zeigt, dass das Alter der Teil-                           Teilnehmer im anschließenden Informatik-
                                                                      Vorkurs dargestellt (rote Säulen).
nehmer zu einem überwiegenden Anteil deut-
lich höher war als das durchschnittliche Alter          Die Anwesenheit ist in Abbildung 2 dargestellt
von 20,6 Jahren von Studierenden zum Zeit-               und zeigt im Wesentlichen den für Hochschul-

                                                     2
veranstaltungen typischen monoton fallenden                      verbundenen subjektiven Verhältnis zur Mathe-
Verlauf, der schließlich auf das Plateau des har-                matik befragt. Dabei zeigte sich zusammenfas-
                                             ”
ten Kerns“ trifft (etwa ab dem siebten bis achten                send ein relativ stark Mathematik-affines Bild
Veranstaltungstag).                                              der Studierenden. Dies lässt sich u.a. durch die
Durchschnittlich waren an jedem Veranstal-                       durchschnittlichen Reaktionen auf die in Abbil-
tungstag 14,9 Personen zu Vorlesungsbeginn an-                   dung 3 gezeigten Items entnehmen.
wesend. Gemessen an der später von der Fach-                    Dabei wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit
schaft Informatik abgehaltenen Orientierungs-                    einzelne Items umgepolt. Die Stichprobengröße
phase, bei welcher 47 Personen anwesend waren,                   lag entsprechend der Anwesenheit am zweiten
entspricht dies einer Beteiligungsquote von 31,7                 Kurstag zwischen 18 und 20.
Prozent der ernsthaft am Studium interessierten
immatrikulierten Studierenden1 .
Die Datenausrisse lassen sich ebenfalls sachlich                 1.4 Dozent
begründen: Am ersten Tag waren vergleichwei-                    Die gesamte Veranstaltung wurde von einer Per-
se wenig Studierende anwesend, was sich auf ei-                  son betreut. Es handelte sich um einen im Un-
ne suboptimale Eigenwerbung der Veranstaltung                    terrichten von Nebenfachstudierenden, d.h. Stu-
zurückzuführen ist (vgl. Abschnitt 2.4). Erst ei-              dierende, welche kein Fachmathematikstudium
ne weitere Veranstaltungsankündigung im zeit-                   aufnehmen, erfahrenen Dozenten. Durch das in
lich versetzt laufenden Informatik-Vorkurs der                   etwa gleiche Alter des Dozenten, die vereinbar-
Fakultät führte am zweiten Tag zu einer höher-                te Du-Form als pronominale Anrede und eine
en Anwesenheit. Der Abfall am siebten Tag lässt                 Vorstellungsrunde wurde unmittelbar zu Beginn
sich auf einen Streik im öffentlichen Personen-                 der Veranstaltung ein für schulische Maßstäbe
nahverkehr zurückführen (vgl. Thiel [6]). Außer-               unüblich persönliches Betreuungsverhältnis be-
dem fanden am 13. und 14. Tag Streiks statt.                     gründet.
Im Vergleich zum jeweils am gleichen Tag im
Anschluss an den Mathematik-Vorkurs abgehal-
tenen Informatik-Vorkurs zeigt sich eine deutlich                2 Reflexionen
erhöhte Anwesenheit. Am 15. Tag fand dieser
Kurs jedoch nicht mehr statt.                                    Wir möchten nun einzelne Aspekte des Vorkur-
                                                                 ses aufgreifen und diese bewerten. Wichtig ist
 Mathematik habe ich noch nie
 gemocht.                           0   1   2   3    4   5
                                                                 hierbei, dass auf der einen Seite die Meinung
 Ich habe mich noch nie sehr für
                                                                 der Teilnehmer, auf der anderen Seite jene des
 Mathematik interessiert.           0   1   2   3    4   5       Dozenten Gehör findet.
 Mathematik ist ein notwendiges
 Übel.                             0   1   2   3    4   5

 Mathematik liegt mir nicht.                                     2.1 Themenfelder
                                    0   1   2   3    4   5

 Ich bin mathematisch unbe-                                      Wir beginnen zunächst mit der Betrachtung und
 gabt.                              0   1   2   3    4   5       Reflexion inhaltlicher Aspekte, d.h. der einzelnen
 In der Schule fiel mir die Ma-                                  Themenfelder der Veranstaltung, welche sich in
 thematik nicht leicht.             0   1   2   3    4   5
                                                                 die drei Oberbegriffe Grundlagen, Algebra und
Abbildung 3: Arithmetisches Mittel der Selbsteinschät-          Analysis gliedern (vgl. oben).
             zung der mathematischen Begabung der                Die einzelnen Unterbereiche dieser Themen-
             Kursteilnehmer, erhoben anhand verschie-
             dener Skalenitems mit möglichen Werten
                                                                 blöcke wurden anhand von Skalenitems am letz-
             von 0 bis 5 und den Polen trifft überhaupt         ten Veranstaltungstag erhoben. Das Resultat
                                       ”
             nicht zu“ (0) und trifft voll und ganz zu“
                               ”
                                                                 wurde in Abbildung 4 aufbereitet.
             (5)                                                 Zu bemerken ist, dass das gesamte curricula-
                                                                 re Spektrum auf einem sehr positivem Niveau
Ferner wurden die Teilnehmer des Vorkurses zu                    liegt. Mit einem Mittel von etwa 3,3 wird das
ihrer persönlichen Einstellung und dem damit                    Minimum beim Thema Beweise angenommen,
 1
     Die Zahl der tatsächlich immatrikulierten Studierenden erweist sich als Metrik ungeeignet, da es sich beim Studien-
      gang Informatik um eines der wenigen zulassungsfreien Fächer an der TU Dortmund handelt, welche auch zum
      Sommersemester belegt werden können.

                                                             3
jedoch liegt dies immer noch näher am positi-                                                                      Damit steht das Thema in krassem Gegensatz
ven Pol als am negativen. Auch das arithmeti-                                                                       zur Beweisthematik, wo ein festes Vorgehens-
sche Mittel aller Einzelfelder fällt mit 3,92 sehr                                                                 schema der Natur nach i.d.R. nicht existiert. Es
positiv aus. Dabei ist keine Tendenz bezüglich                                                                     bleibt zu betonen, dass es sich hierbei nur um
einer der drei Kategorien spürbar: Wird hier je-                                                                   eine Deutung unsererseits handelt, die wir ge-
weils das arithmetische Mittel gebildet, ergeben                                                                    genwärtig nicht empirisch untermauern können.
sich ähnliche Werte (3,93, 3,89, 3,92).
5.0                                                                                                                 2.2 Kompetenzen
4.8
4.6                                                                                                                 Im Rahmen der Lernumgebung wurden auch sol-
4.4                                                                                                                 che Aufgaben gestellt, bei denen das direkte Ra-
4.2                                                                                                                 ten einer ersten Nullstelle nicht möglich war, d.h.
4.0                                                                                                                 die Nullstellen nicht in Z enthalten, tatsächlich
3.8
                                                                                                                    sogar irrational waren. Nach Beobachtungen des
3.6
3.4                                                                                                                 Tutors stellte dies die Studierenden teils vor er-
3.2                                                                                                                 hebliche Probleme. An einer gewissen mathema-
3.0                                                                                                                 tischen Improvisationsfähigkeit, d.h. etwa hier
      Aussagen
       Mengen
                          Zahlen
                 Rechenr./Notat.
                                       Beweise
                                   Abbildungen
                                                          LGS
                                                     Gruppen
                                                 Vektorräume
                                                    Matrizen
                                                  Grenzwerte
                                                   Nullstellen
                                                    Stetigkeit
                                                                   Differenzierbarkeit
                                                                   Weit. Eig. v. Fkt.
                                                                                         Bes. reelle Fkt.
                                                                                                Integrale
                                                                                                                    die Entwicklung eines geeigneten heuristischen
                                                                                                                    Näherungsverfahrens, mangelte es den Teilneh-
                                                                                                                    menden zum Teil. Im Sinne des Kompetenzmo-
                                                                                                                    dells der KMK (vgl. wieder KMK [5]) entspricht
                                                                                                                    dies dem Bereich K2 Probleme mathematisch
                                                                                                                                             ”
                                                                                                                    lösen“.
      |            {z                      }|       {z      }|      {z                                      }
          Grundlagen                              Algebra        Analysis
                                                                                                                    Bezüglich der reinen Rechenkompetenz, d.h.
Abbildung 4: Arithmetisches Mittel der persönlichen
             Empfindungen der Themenfelder der Ver-
                                                                                                                    fehlerfreies Rechnen ohne Verrechnen (vgl. hier-
             anstaltung, erhoben anhand eines Skaleni-                                                              zu auch Altieri [1]), lässt sich qualitativ-fundiert
             tems je Feld mit möglichen Werten von 0                                                               wenig sagen. Bemerkenswert war jedoch, dass
             bis 5 und den Polen sehr negativ“ (0) und                                                              ein Großteil der Studierenden (10 von 15) be-
                                 ”
              sehr positiv“ (5) sowie Mittel der Mittel
             ”
             (orange)
                                                                                                                    reits für einfachste Zwischenrechnungen (bei-
                                                                                                                    spielsweise im Rahmen des Gauß-Algorithmus)
Negativer Ausreißer ist das bereits erwähn-                                                                        einen Taschenrechner heranzog bzw. heranzie-
te Thema der mathematischen Beweisführung.                                                                         hen musste. Diese Zahlen basieren jedoch auf
Dies lässt sich möglicherweise anhand seiner Un-                                                                  Momentaufnahmen des Tutors und wurden nicht
terrepräsentiertheit im schulischen Lehrplan er-                                                                   repräsentativ über die gesamte Veranstaltungs-
klären: In den von der Kultusministerkonferenz                                                                     dauer erhoben. Tatsächlich existieren jedoch
definierten Bildungsstandards im Fach Mathe-                                                                        Studien, die belegen wollen, dass erhöhter Ta-
matik für die Allgemeine Hochschulreife (vgl.                                                                      schenrechnereinsatz im schulischen Umfeld nicht
KMK [5]) etwa ist der Begriff Beweis“ ledig-                                                                        schädlich für händische Rechenkompetenzen ist
                                   ”
lich zweimal aufzufinden (das Dokument hat 95                                                                       (vgl. etwa Bichler [2]).
Seiten). Dies geschieht nur in einem von sechs
Kompetenzbereichen und in diesem lediglich im
                                                                                                                    2.3 Veranstaltungsbewertung
höchsten Anforderungsbereich, d.h. auf maxima-
lem Vernetzungsniveau (man könnte – wohlge-                                                                        Am Ende der letzten Vorlesung wurde ein ge-
merkt etwas zynisch – auch sagen, in Aufgaben                                                                       nerelles Meinungsbild der Teilnehmer bzgl. al-
für Einser-Kandidaten“).                                                                                           ler Veranstaltungskomponenten evaluiert. In die-
     ”
Das einzig positive Ausreißerdatum ist das The-                                                                     sem Rahmen wurde insbesondere der subjektive
ma Nullstellen. Möglicherweise liegt dies an der                                                                   Lernfortschritt der Studierenden erhoben, wobei
Kalkülhaftigkeit dieses Bereichs: Im schulischen                                                                   nach Veranstaltungskomponenten unterschieden
Rahmen werden Nullstellen meist nur bei Poly-                                                                       wurde. Das Resultat ist in Abbildung 5 zusam-
nomfunktionen von niedrigem Grad bestimmt.                                                                          mengefasst.
Dabei wird geraten, dann Polynomdivision und                                                                        Die Werte entsprechen unserer Einschätzung
schlussendlich die pq-Formel angewandt. Andere                                                                      nach dem didaktischen Konstruktionsprinzip des
Vorgehen finden kaum Einzug in den Unterricht.                                                                      Vorlesungs-Übungs-Konzeptes: Der Erstkontakt

                                                                                                                4
mit einer Thematik erfolgt in der Vorlesung,                      • Gute Wiederholung des Schulwissens.
                                                                    ”
während Festigung und sicherer Umgang des                          Auch ein paar wenige neue Themen wie
vermittelten Wissens durch wiederholte Nut-                         Induktion.“
zung sowie kritische Auseinandersetzung in den
Übungsteil verlagert wird, d.h. es besteht insbe-                • Die Fähigkeit des Dozenten auch kom-
                                                                    ”
sondere nicht der Anspruch an die Studierenden-                     plizierte Inhalte anschaulich und auf den
schaft, das gesamte potentiell im Rahmen eines                      Punkt zu erklären.“
Vortrags enthaltene Wissen adhoc zu Beherr-                    An der Veranstaltung gefiel mir nicht:
schen. Tatsächlich ist meist das Gegenteil der
Fall: Am Ende einer Vorlesung bleiben bei vielen                  • Das Tempo war teilweise zu schnell.
                                                                    ”
Studierenden Wissenlücken zurück ( Das heute                      Beispiele aus der Vorlesung hatten oft
                                      ”                             einen leichteren Schwierigkeitsgrad als die
in der Vorlesung habe ich nicht verstanden“),
jedoch gelingt es häufig mittels des Übungsteils                  Übungsaufgaben.“
diese Fragmente zu strukturiertem Wissen zu
                                                                  • Die Vorlesung war teilweise etwas zu ab-
ordnen und zu festigen.                                             ”
                                                                    strakt. Eventuell könnten noch mehr kon-
                                                                    krete Beispiele eingebracht werden.“
                Lernfortschritt
    Gesamtveranstaltung (Ø=4)      0   1   2   3   4   5
                                                                  • Dass wir fast immer da sein mussten. Für
       Lernfortschritt Vorlesung                                    ”
                       (Ø=3,82)    0   1   2   3   4   5
                                                                    drei Wochen ist es wirklich viel Stoff.“
  Lernfortschritt Lernumgebung
                                                                   • Das Tempo. Uhrzeit.“
    und Besprechung (Ø=4,27)       0   1   2   3   4   5             ”
Abbildung 5: Arithmetisches Mittel der Selbsteinschät-            • Sie war zu früh am Morgen!“
             zung des persönlichen Lernfortschritts der
                                                                     ”
             Kursteilnehmer nach Veranstaltungskom-                • Gesamte Vorlesung an der Tafel.“
             ponente, erhoben anhand verschiedener
                                                                     ”
             Skalenitems mit möglichen Werten von 0           Besonders das Übungskonzept wurde von den
             bis 5 und den Polen sehr schlecht“ (0)            Teilnehmern positiv bewertet. Hingegen war das
                                   ”
             und sehr gut“ (5)                                 zu schulischen Verhältnissen deutlich erhöhte
                  ”
                                                               Vermittlungstempo sowie das hohe Abstrakti-
Anhand von offenen Items hatten die Teilneh-                   onsniveau ungewohnt und wurde daher teils ne-
mer die Möglichkeit zu formulieren, was Ihnen im              gativ empfunden. Auch der bis heute in der
Laufe der – oder an der – Veranstaltung beson-                 Hochschulmathematik vorherrschende Tafelvor-
ders gefallen bzw. missfallen hat. Wir möchten                trag stoß zumindest in einem Fall auf Kritik.
dies an dieser Stelle vollständig wiedergeben.                In einem weiteren Freifeld hatten die Studie-
                                                               renden die Möglichkeit, etwas anzumerken, was
An der Veranstaltung gefiel mir besonders:                     sie noch erwähnen möchten, was jedoch noch
                                                               nicht abgefragt wurde. Hierbei fielen die folgen-
    • Dass wir Übungsaufgaben gemacht ha-                     den Kommentare:
      ”
      ben, so konnten wir Aufgeschriebenes aus
      der Vorlesung anwenden.“                                    • Eigentlich fand ich die Veranstaltung gut,
                                                                    ”
                                                                    jedoch waren fünf Tage am Stück zu viel
    • Die Übungen, die das vermittelte Wissen                      des Guten, um eine vernünftige Gewähr-
      ”                                                             leistung des Nacharbeitens zu stellen. Der
      der Vorlesung noch zusätzlich gefestigt
      haben. Auch das online gestellte Skript                       Mittwoch frei hätte viel gebracht, um Stoff
      fand ich sehr gut.“                                           von zwei Tagen vernünftig zu wiederholen.
                                                                    Habe leider nur die Hälfte verstanden.“
    • Dass wir auch die Möglichkeit hatten,                      • Insgesamt fand ich den Vorkurs sehr hilf-
      ”                                                             ”
      selber Übungen zu machen und die dann                        reich.“
      später verglichen haben.“
                                                                  • Im Großen und Ganzen hat der Kurs mir
                                                                    ”
    • Die Motivation des Dozenten uns                               persönlich vieles beigebracht. Der Dozent
      ”
      bestmöglich vorzubereiten. Die Schrift des                   war eine sehr nette und hilfsbereite Per-
      Dozenten war gut leserlich.“                                  son.“

                                                           5
• Der Vorkurs hat meine Mathematik-                          In einem weiteren Freifeld konnten Befragte
        ”
        Schul-Vorkenntnisse aufgefrischt.“                         nicht aufgeführte Begründungen formulieren:
                                                                   Hierbei stach besonders die sachlich korrekte2
      • Gut so, mach so weiter!“                                   Argumentation hervor, dass der Vorkurs vor dem
        ”
                                                                   eigentlichen Studiensemester stattfand. Dies hat
      • Insgesamt eine hervorragende Veranstal-                    zur Folge, dass potentielle Teilnehmer zum Ver-
        ”
        tung, besonders gut, dass an den nöti-                    anstaltungsbeginn formal noch keinen Studie-
        gen Stellen ausführlichst hergeleitet und                 rendenstatus besitzen und sie somit über kein
        erklärt wurde, um stets alle mit ins Boot                 Monatsticket für die Benutzung des öffentlichen
        zu holen.“                                                 Personennahverkehrs verfügen. Dies war für zu-
                                                                   mindest zwei potentielle Teilnehmer ein Grund,
Wir möchten an dieser Stelle einen positiven Te-                  den Kurs nicht zu besuchen.
nor festhalten, jedoch wurden mehrfach Tempo                       Über Studierende, welche den Kurs mindestens
bzw. lange Phasen andauernder Belastung, wel-                      einmal besuchten, jedoch nicht regelmäßig, lies
che mit zu wenig Pausen einhergingen, kritisiert.                  sich mit Hilfe besagter Erhebung keine fundierte
                                                                   Begründung ableiten.
2.4 Unterauslastung
Bedauernswert war die geringe Teilnahmequote                       3 Fazit
von 31,7 Prozent (s.o.) aus der eine deutliche
Unterauslastung des Kurses resultierte. Zur Ur-                    Generell wurde die Veranstaltung sehr positiv
sachenforschung wurde eine Nacherhebung im                         aufgenommen. Kritische Meinungsäußerungen
Rahmen der Vorlesung Mathematik für Infor-                        lassen sich meist auf das allgemeine (und gera-
                         ”                                         de im MINT-Bereich gängige) universitäre Lehr-
matiker II“, welche für die Vorkurs-Teilnehmer
eine obligatorische Mathematikveranstaltung im                     Lern-Konzept Vorlesung und Übung“ übertra-
                                                                                  ”
ersten Fachsemester ist, durchgeführt.                            gen und sind nicht der abgehaltenen Veranstal-
Abbildung 6 zeigt mögliche Begründungen für                     tung im Speziellen vorbehalten. Aus Dozenten-
ein Fernbleiben des Vorkurses anhand vorgege-                      sicht war es nicht nur Aufgabe des Kurses, not-
bener Skalenitems unter den Teilnehmern der                        wendiges Wissen für den Start ins Studium zu
genannten Umfrage. Der Begriff Nichtteilneh-                       vermitteln, sondern auch auf den universitären
                                  ”                                Alltag aus lehrmethodischer Sicht vorzuberei-
mer“ meint dabei eine Person, an welche sich
der Vorkurs formal richtete, die aber dennoch                      ten. Da das Lehr-Lern-Konzept Vorlesung und
                                                                                                    ”
keinen einzigen Tag teilnahm.                                      Übung“ jedoch gegenwärtig insbesondere in den
                                                                   ersten Semestern den status quo darstellt, soll in
Ich habe nicht am Mathematik-Vorkurs teilgenommen, . . .           diesem Resümee nicht weiter auf seine generelle
 da ich nichts davon wusste.
                                                                   Sinnhaftigkeit eingegangen werden. Wir verwei-
                                     0   1   2   3   4     5       sen stattdessen auf einschlägige Literatur zum
 da ich es für unnötig hielt.                                    Thema, etwa Schmidt & Tippelt [4].
                                     0   1   2   3   4     5
 da es mir zeitlich nicht möglich
 war.                                0   1   2   3   4     5
                                                                   3.1 Organisation
 da ich die Mathematik bereits
 ausreichend beherrsche.             0   1   2   3   4     5
                                                                   Hauptkritikpunkt aus organisatorischer Sicht ist
 da ich keine Lust hatte.                                          sicherlich die suboptimale bis unzureichende Ei-
                                     0   1   2   3   4     5
 da ich im Urlaub war.                                             genwerbung: Unwissenheit über das Stattfin-
                                     0   1   2   3   4     5
                                                                   den eines Vorkurses in Mathematik ist der
 da ich arbeiten musste.
                                     0   1   2   3   4     5       zweithäufigste Grund für eine Nichtteilnahme.
Abbildung 6: Arithmetisches Mittel möglicher Be-                  An dieser Stelle muss die Kommunikation zwi-
             gründungen    des   Fernbleibens   der               schen Studienanfängern und Hochschule verbes-
             Nichtteilnehmer, erhoben anhand ver-
             schiedener Skalenitems mit möglichen                 sert werden und ein Weg gefunden werden, um-
             Werten von 0 bis 5 und den Polen trifft               fangreicher zu informieren. Leider stößt dies er-
                                               ”
             überhaupt nicht zu“ (0) und trifft voll
                                           ”
                                                                   fahrungsgemäß oft aus rechtlichen Gründen (et-
             und ganz zu“ (5)                                      wa Datenschutzprobleme) auf Probleme.
 2
     Semester- und somit Geltungsbeginn des Studierendentickets ist der 1. April.

                                                               6
Ferner scheint es notwendig, geeignete Regelun-        Berichtet wurde von einem guten bis sehr guten
gen für eine Benutzung des öffentlichen Per-         Lernerfolg, jedoch kam auch Kritik bezüglich der
sonennahverkehrs zu studentisch-vertretbaren           stofflichen Belastung auf, wenngleich keine Be-
Preisen für die Zeitdauer des Kurses zu finden.       denken der Teilnehmer aufkamen, dass es sich
                                                       nicht um studienrelevantes Wissen handele.
                                                       Zur Reduktion der Belastung wurde von einem
3.2 Kursstruktur und Lernerfolg
                                                       Teilnehmer vorgeschlagen, einen freien Tag (et-
Das positive Meinungsbild stützt die These            wa der Mittwoch) einzurichten, welcher gleich-
einer sinnvollen strukturellen Einteilungen in         sam zur Nacharbeitung genutzt werden könne.
die unterschiedlichen Veranstaltungsteile Vorle-       Zweifelsohne handelt es sich hierbei um einen er-
                                         ”
sung“, Lernumgebung“ und gemeinsame Be-                folgsversprechenden Vorschlag, der jedoch moti-
        ”                     ”
sprechung“. Auch die strikte Aufteilung der drei       vierte wie disziplinierte Teilnehmereinstellungen
Hauptthemengebiete Grundlagen“, Algebra“,              voraussetzt. Ferner ist auch der Verlust von ins-
                       ”             ”
 Analysis“in jeweils eine Veranstaltungswoche          gesamt 270 Vorlesungsminuten gegen die Vor-
”
stieß auf positives Resonanz.                          teile eines freien Mittwochs abzuwägen.

Kontakt
Marcel Klinger
Universität Duisburg-Essen
Didaktik der Mathematik
Thea-Leymann-Str. 9
D-45127 Essen

marcel.klinger@uni-due.de
www.klinger.ruhr

Literatur
[1] Altieri, Mike: Entwicklungsforschungsprojekt zur Implementierung diagnostischer Bausteine
    mit IRT-basierten Elementen zur Binnendifferenzierung in die mathematische Grundausbildung
    der INT-Studiengänge. 2014. – Promotionsvorhaben (noch nicht erschienen)

[2] Bichler, Ewald:        Explorative Studie zum langfristigen Taschencomputereinsatz im
    Mathematikunterricht: Der Modellversuch Medienintegration im Mathematikunterricht (M 3 ) am
    Gymnasium. Verlag Dr. Kovač, 2010. – ISBN 9783830053064

[3] Scheller, Percy ; Isleib, Sören ; Sommer, Dieter: Studienanfängerinnen und Studienanfänger
    im Wintersemester 2011/12. (2013). http://www.his.de/pdf/pub_fh/fh-201306.pdf.
    ISBN 9783864260292. – Tabellenband

[4] Schmidt, Bernhard ; Tippelt, Rudolf: Besser Lehren – Neues von der Hochschuldidak-
    tik? In: Teichler, Ulrich (Hrsg.) ; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Hochschullandschaft im Wandel
    (Zeitschrift für Pädagogik, 50. Beiheft). Beltz, 2005, S. 103–114

[5] Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesre-
    publik Deutschland:       Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine
    Hochschulreife (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012).        2012
    http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_
    10_18-Bildungsstandards-Mathe-Abi.pdf

[6] Thiel, Thomas: Warnstreik: Verdi legt am Dienstag öffentliches Leben in Dortmund lahm. In:
    RuhrNachrichten (14. März 2014)

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