Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung
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ePaper Christoph Straub, Uwe Repschläger Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung Ausgangssituation stationären Leistungen, ohne dass sich diese mit der Morbidität der Bevölkerung erklären ließen. Gleichzei- Die stationäre Versorgung in Deutschland ist durch ein tig beklagen kleine wie große Krankenhäuser, dass die umfangreiches, ausdifferenziertes und ortsnahes Ver- unterschiedlichen regionalen Kostenstrukturen nicht sorgungsangebot geprägt. Dabei zeigen sich jedoch berücksichtigt werden und ihre Vorhaltekosten unzu- strukturelle Probleme. Aufgrund der hohen Kranken- reichend refinanziert seien. hausdichte konkurrieren die Krankenhäuser sowohl um Personal als auch um Betriebs- und Investitionsmittel. Hinzu kommt, dass die Fördermittel der Bundesländer Andererseits fehlt vielen kleinen Krankenhäusern die bereits seit Langem den Investitionsbedarf der Kliniken nötige technische und personelle Ausstattung und nicht mehr abdecken. Dies hat zur Folge, dass in gro- Routine, um lebensbedrohliche Notfälle oder bestimm- ßem Umfang die Mittel der Krankenkassen für die Pa- te planbare Leistungen adäquat behandeln zu können. tientenversorgung für die Refinanzierung notwendiger Investitionen zweckentfremdet werden. Die Krankenhausplanung der Bundesländer hat sich in diesem Zusammenhang als zu undifferenziert erwie- Bei der Digitalisierung der Krankenhauslandschaft gibt sen. Bestehende Strukturen werden fortgeschrieben, es erhebliche Defizite. Nach dem internationalen es fehlen klare Versorgungsaufträge an die Kranken- EMRAM-Score haben im Jahr 2017 38 % der 167 teil- häuser. Das Leistungsangebot der Kliniken wird aus nehmenden Krankenhäuser nicht einmal die Stufe 1 betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht erreicht (Stephani et al., 2019). Deutschland belegt mit Blick auf den tatsächlichen Versorgungsbedarf zusammen mit Österreich den letzten Platz in dieser festgelegt. Es kommt zu Mengenausweitungen bei den Untersuchung, deutlich abgeschlagen nicht nur zu füh- Krankenhaus · Strukturreform · Krankenhausfinanzierung · Krankenhausvergütung · Versorgungsstufen
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung renden Ländern im Bereich der Digitalisierung wie Dä- Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hatte die Dis- nemark, sondern auch zur Türkei oder Spanien. kussion um eine Strukturreform des stationären Sek- tors einen Höhepunkt erreicht. Der Sachverständigen- rat Gesundheit und der Sachverständigenrat zur Handlungsbedarf Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung forderten unisono in ihren Gutachten eine Strukturbe- Die aufgezeigten Probleme belegen die Notwendigkeit reinigung der Krankenhauslandschaft, die Umstellung einer grundlegenden Strukturreform im Krankenhaus- der Investitionsfinanzierung (Monistik), mehr pauschale bereich. Dabei stehen die folgenden Handlungsfelder Vergütungselemente und eine stärkere Ambulantisie- im Vordergrund (vgl. z. B. OECD, 2019; Kumar & rung sowie die Überwindung der sektoralen Trennung Schoenstein, 2013; SVR-G, 2014, RWI, 2012; Leopoldi- (SVR-G, 2018). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft na, 2016; Vogel et al., 2020): forderte daraufhin gar einen „Pakt für eine bedarfs- gerechte Krankenhausversorgung“ (DKG, 2019). Darin • Steigerung von Qualität und Patientensicherheit forderte die DKG den „Abbau von nachweisbar nicht be- durch stärkere Spezialisierung und Konzentration darfsnotwendigen Kapazitäten, Standortzusammen- • Entwicklung einer sektorenübergreifenden, führungen und im konkreten Einzelfall auch Standort- qualitäts- und bedarfsorientierten Versorgungs- schließungen“. strukturplanung unter Berücksichtigung von Erreichbarkeit und Wirtschaftlichkeit Aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie kam es • Vermeidung nicht medizinisch-demografisch bekanntermaßen nicht zu einer Krankenhausreform, begründbarer Mengendynamiken umso dringlicher wird nun der Handlungsbedarf für die • Abbau der im internationalen Vergleich erheblichen neue Bundesregierung. Dieser Artikel soll die entschei- Überkapazitäten denden Reformmaßnahmen zur Neuausrichtung der • Stärkung der sektorenübergreifenden Kooperation Krankenhausstrukturen sowie ihrer Planung und Fi- und Patientenorientierung nanzierung aufzeigen. Der Krankenhaussektor ist weiterhin von Doppelstruk- turen, zu wenig Spezialisierung und einer übermäßigen Reform der Versorgungsplanung Inanspruchnahme teurer stationärer Behandlungen ge- und Qualitätsvorgaben prägt. Die Versorgungsstrukturen müssen deshalb drin- gend aus Sicht der Patientinnen und Patienten weiter- entwickelt werden. Nur solche Krankenhäuser sollten Planung nach Versorgungsstufen Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankun- gen behandeln, die über die entsprechende technische Der zukünftigen Krankenhausplanung sollte ein Kon- und personelle Ausstattung verfügen. Notwendig ist zept mit gestuften Versorgungsstrukturen aus Regel-, daher eine Konzentration von Leistungen: Insbesondere Grund- und Maximalversorgern zugrunde liegen. Dafür die Behandlung von seltenen und schweren Erkrankun- werden die Leistungen auf Bundesebene den einzel- gen sowie die Durchführung von komplexen Eingriffen nen Versorgungsstufen verbindlich zugeordnet. Die sollten an ausgewählten Standorten mit entsprechen- Vorgaben müssen dabei durch den Gemeinsamen Bun- der Spezialisierung konzentriert werden. Leistungen der desausschuss (G-BA) unter Berücksichtigung leis- Grundversorgung können beispielsweise in intersekto- tungsbezogener Mindestanforderungen an Strukturen ralen Gesundheitszentren erbracht werden. und Prozesse konkretisiert werden. Die Länder legen anschließend einzelne Regionen fest und bestimmen Eine solche Anpassung der Krankenhauslandschaft ist auf Grundlage des Versorgungsbedarfs und der Vorga- gleichzeitig die Grundlage für eine Fortentwicklung des ben des Bundes die dortigen Krankenhausstandorte. DRG-Vergütungssystems, das sich grundsätzlich be- Diese werden konkreten Versorgungsstufen zugeord- währt hat. 2
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung net, mit der Folge, dass nicht mehr jedes Krankenhaus ortnahe Grundversorgung gewährleisten. Dafür kann jede Leistung erbringen kann. auch die Umwandlung in ein intersektorales Gesund- heits- oder Pflegezentrum eine sinnvolle Lösung sein. Instrumente zur Qualitätssicherung rücken bei der Krankenhausplanung stärker in den Mittelpunkt. So Bei einer derartigen Neuordnung der Krankenhaus- müssen bestehende bundesweite Qualitätsvorgaben landschaft stünde gerade nicht die Anzahl der Kliniken stringent umgesetzt werden. Die Einhaltung von Min- und deren Reduktion im Fokus, sondern die Qualität destmengen ohne Ausnahmen wird verpflichtend, da- der Versorgung und die Patientensicherheit. Darüber mit bei diesen risikoreichen Eingriffen eine „Gelegen- hinaus ist eine Zuordnung zu Versorgungsstufen öko- heitsversorgung“ unterbunden wird. Die Folge ist eine nomisch relevant, da in Abhängigkeit von Versorgungs- stärkere Spezialisierung einzelner Krankenhäuser. Klei- stufen unterschiedliche Sach- und Personalkosten an- ne Krankenhausstandorte werden dabei weiterhin be- fallen. nötigt, jedoch in anderer Funktion: Sie sollen die wohn- Tabelle 1: Ganzjahreskosten je betreibbares Bett nach Krankenhausgröße in Tausend Euro Universitäts- restliche Häuser mit mehr als restliche Häuser mit weniger kliniken 1.000 Betten als 1.000 Betten Sachkosten je Bett 215 157 78 Personalkosten je Bett 292 226 129 Anmerkung: Bruttokosten ohne Abzüge Quelle: Statistisches Bundesamt, 2021 Perspektiven für eine sektorenüber- nationalen Vergleich (Quentin et al., 2020; SVR-G, greifende Versorgungsplanung 2018). Ziel ist eine Orientierung am prospektiven regionalen Versorgungsbedarf der Bevölkerung Mittelfristig sollten die derzeitige Krankenhausplanung unter Berücksichtigung demografischer, medizin- und die Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Ver- technischer und vor allem digitaler Möglichkeiten sorgung zu einer qualitäts-, bedarfs- und erreichbar- („empirischer Anker“). keitsorientierten sowie sektorenübergreifenden Ver- 3. Weiterentwicklung bestehender regionaler Ver- sorgungsstrukturplanung weiterentwickelt werden. sorgungsstrukturen unter Berücksichtigung der auf Dazu ergeben sich folgende Zielsetzungen: Bundesebene festgelegten stationären Versorgungs- stufen und der dazugehörenden Leistungen. Mittel- 1. Entwicklung von gestuften Versorgungsstrukturen fristiges Ziel ist eine sektorenübergreifende Ver- aus Regel-, Grund- sowie Maximal- und Spezial- sorgungsplanung unter Berücksichtigung digitaler versorgung auf Bundesebene. Zuordnung von und prozessualer Optimierungsmöglichkeiten. indikations- und eingriffsbezogenen Leistungen 4. Bestimmung von indikations- und eingriffs- zu den Versorgungsstufen inkl. der Konkretisie- bezogenen Versorgungsclustern, für die eine rung leistungsbezogener Mindestanforderungen sektorenübergreifende Konzentration und Schwer- an Strukturen und Prozesse (strukturbezogenes punktbildung mit Blick auf die G-BA-Mindestvor- Stufenmodell). gaben geboten ist (Prioritätensetzung bei der An- 2. Entwicklung eines Instrumentariums zur sektoren- passung der Versorgungsstrukturen). Hierfür eignet übergreifenden Bedarfsermittlung auf Basis von sich etwa die Endoprothetik, die onkologische Ver- Routine- und weiteren Daten auch im inter- sorgung oder die Versorgung von Schlaganfall- und 3
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung Herzinfarktpatienten. Ziel ist die Verbesserung der zogene Konzentration dieser Leistungen im Sinne einer Versorgungsqualität durch auf Versorgungscluster Zentrenbildung angestrebt. Zahlreiche regulatorische bezogene medizinische Schwerpunktbildungen. Maßnahmen, insbesondere die Festlegung von Min- 5. Definition von speziellen Versorgungsaufträgen der destmengen sowie Strukturvorgaben für ausgewählte Krankenhäuser für den Fall weiterer Pandemien Leistungsbereiche durch den G-BA, wurden in jüngerer bzw. Pandemiewellen oder anderer Katastrophen Zeit mit dieser Zielsetzung ergriffen.“ (Albrecht et al., (Versorgungskaskade). Dabei steht vor allem ein 2021) schnelles Zusammenwirken der Beteiligten (v. a. niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser und Öffent- Mindestmengenregelungen sollen gewährleisten, dass licher Gesundheitsdienst) im Vordergrund. So kön- medizinische Eingriffe nur dort stattfinden, wo Be- nen die vorhandenen personellen und Aus- handlungsteams über die erforderliche Erfahrung ver- stattungskapazitäten im Krisenfall optimal genutzt fügen und die Abläufe eingespielt sind. Trotzdem ver- werden. Die Versorgungsaufträge für Maximal- fehlen zahlreiche Krankenhäuser die Mindestmengen und Spezialversorger müssen künftig mit den bislang deutlich. Dies ist für Patientinnen und Patien- Katastrophenplänen der Länder abgestimmt wer- ten problematisch, die Eingriffe in dafür nicht geeigne- den. Dies gilt auch für die Wartung und Vorhaltung ten Häusern vornehmen lassen. Es ist sinnvoll, dass der Reservekapazitäten an Intensivbetten, die für der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz im zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung Rahmen der Corona-Pandemie von der GKV finan- (GVWG) die Vorgaben für Mindestmengen geschärft ziert wurden. hat und die Landesbehörden Ausnahmeentscheidun- 6. Der Aufbau des DIVI/RKI-Registers zu Beginn der gen zukünftig nur noch im Einvernehmen mit den Kran- Corona-Krise war ein wichtiger Schritt hin zu mehr kenkassen treffen können. Die Kostenträger erhalten Transparenz über das Versorgungsgeschehen in den damit zudem ein verbindliches Mitspracherecht im Bundesländern. Register wie das DIVI-Intensivregis- Rahmen der Krankenhausplanung. ter sollten verstetigt und weiterentwickelt werden. Freie und verfügbare Kapazitäten sollten differen- Neben den Regelungen zu Mindestmengen müssen ziert nach Leistungen (bzw. zunächst nach Fachab- weitere verbindliche Anforderungen an die Struktur- teilungen und Schwerpunkten) für einweisende und Prozessqualität festgelegt werden. Leistungen Ärzte und Rettungspersonal transparent gemacht sollten grundsätzlich nur dann vergütet werden, wenn und für die regionale Versorgungssteuerung genutzt Mindestanforderungen an Strukturen und Prozesse werden. Ebenfalls können klinische Daten zu ande- eingehalten werden. Krankenhäuser, die Leistungen ren Krankheitsentitäten so zur Verfügung gestellt erbringen, ohne etwa eine festgelegte Mindestmenge werden, dass diese zur Versorgungsplanung und zu erreichen, dürfen künftig keine Vergütung mehr er- von der Versorgungsforschung barrierefrei genutzt halten. werden können (Augurzky et al., 2020, S. 29 f.). Reform der Volume-Outcome-Zusammenhang Krankenhausfinanzierung stärker berücksichtigen „Ein positiver Volume-Outcome-Zusammenhang, wo- Weiterentwicklung des DRG-Systems nach Klinikstandorte mit höheren Fallzahlen bei kom- plexeren Eingriffen bessere Behandlungsergebnisse Eine solche Anpassung der Krankenhauslandschaft erzielen als Klinikstandorte mit niedrigeren Fallzahlen, bildet die Grundlage für eine Weiterentwicklung des ist mittlerweile durch Studien vielfach statistisch be- DRG-Vergütungssystems, das sich als Finanzierungs- legt. Zur Sicherung und Steigerung der Qualität in der instrument aufgrund seiner Leistungsorientierung Krankenhausversorgung wird daher eine standortbe- grundsätzlich bewährt hat. Dabei sollten zuerst die 4
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung Pflegekosten in die DRG wiedereingegliedert werden. der medizinischen Erkenntnisse zu ambulant durch- Denn die Ausgliederung setzt Fehlanreize, da sie zur führbaren Operationen, stationsersetzenden Eingrif- teilweisen Wiedereinführung des Selbstkostende- fen und stationsersetzenden Behandlungen unter- ckungsprinzips geführt hat und die Diffenzierung sucht sowie Maßnahmen zur Differenzierung der Fälle nicht-ärztlicher Berufe behindert. Da die Vorhaltekos- nach dem Schweregrad herausgearbeitet werden. Das ten in den Versorgungsstufen stark variieren, müssen Gutachten muss bis zum 4. Januar 2022 fertiggestellt diese vom Institut für das Entgeltsystem im Kranken- werden und die Grundlage für eine Anpassung des haus (InEK) unter Einbezug von Wirtschaftlichkeitsan- AOP-Katalogs werden: Im Sinne des Grundsatzes „am- reizen neu kalkuliert werden. Die DRG werden nach bulant vor stationär“ sollen bestehende ambulante Be- Versorgungsstufen differenziert. Die Leistungen wür- handlungsmöglichkeiten in den Krankenhäusern bes- den somit besser abgebildet und künftig angemessen ser genutzt und ausgebaut werden. Dies wäre eine finanziert und die Vorhaltekosten je Versorgungsstufe wichtige Basis, um eine einheitliche Vergütung für defi- besser bei der Kalkulation berücksichtigt. Der Leis- nierte Leistungen an der Schnittstelle zwischen ambu- tungsbezug der Fallpauschalen bleibt erhalten. lanter und stationärer Versorgung zu schaffen. Durch die parallel bestehenden Vergütungssysteme im stationären und vertragsärztlichen Bereich werden zu- Auskömmliche Investitionsfinanzierung sätzlich zahlreiche Fehlanreize gesetzt. „Seit mehreren sicherstellen Jahrzehnten bereits versucht der Gesetzgeber, die Sek- torenbarrieren entlang der ambulanten und stationä- Unverzichtbar für die wirtschaftliche Überlebensfähig- ren Versorgung zu überwinden. Ein wesentlicher Kern keit der Kliniken ist eine auskömmliche Investitions- der Fragmentierung blieb davon jedoch bislang voll- kostenfinanzierung durch die Bundesländer. Der Inves- ständig unberührt: die Koexistenz von EBM und DRG“ titionsbedarf sollte objektiv und nach einheitlichen (vgl. Bock et al., 2017, S. 9). Auch seitens der Länder Kriterien, etwa über die Investitionsbewertungsrelatio- wird „die Angleichung der Honorierungssysteme“ für nen aus der Kalkulation des InEK, abgebildet werden. die sektorenübergreifende Versorgung spätestens seit der 90. Gesundheitsministerkonferenz als gesund- Aktuell bleibt diese Finanzierung hinter den Erforder- heitspolitisches Ziel verfolgt (Gesundheitsministerkon- nissen zurück. So zeigt eine Aufstellung des bifg ferenz, 2017). Hier liegt also der grundsätzliche ge- (BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung), sundheitspolitische Reformansatz auf der Hand: die dass die Investitionsmittel der Länder 1991 bei Entwicklung eines neuen sektorenübergreifenden Ver- 3,6 Mrd. € lagen, 2019 jedoch nur noch bei 3,2 Mrd. €. gütungssystems. Die Investitionsmittel waren in absoluten Zahlen also rückläufig. Werden Krankenhausleistungen, -ausga- Ein erster Schritt ist dabei der mit dem MDK-Reform- ben und -kosten einbezogen, zeigt sich der gleiche gesetz erteilte Auftrag an DKG, KBV und GKV-Spitzen- Befund. Während die Mittel in diesem Zeitraum um verband, ein gemeinsames Gutachten zu den Leistun- 13 % gesunken sind, stiegen sowohl die GKV-Ausgaben gen des sog. AOP-Vertrags (nach § 115 b Abs. 1 SGB V) als auch die Gesamtausgaben um 171 %. Im gleichen zu erarbeiten. Dieses soll in einer Überarbeitung des Zeitraum stiegen die Betriebskosten der Krankenhäu- AOP-Katalogs münden. Im Gutachten sollen der Stand ser um 164 %. 5
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung Abbildung 1: Vergleich von Investitionsmitteln, Ausgaben und Kosten 1991 bis 2019 300 Veränderungen in Prozent zur Basis 1991 = 100 240 180 120 60 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Jahr Krankenhausinvestitionen der Länder Krankenhausausgaben GKV Kosten der Krankenhäuser Krankenhausausgaben gesamt Anmerkung: Krankenhausinvestitionen der Länder, Krankenhausausgaben GKV, Krankenhausausgaben gesamt und Kosten der Krankenhäuser 1991 bis 2019, 1991 = 100 Quelle: Statistisches Bundesamt, KJ1, KV45, vdek – Basisdaten des Gesundheitswesens, eigene Berechnung Die Lücke zwischen Investitionsbedarf und verfügbaren allem aber entstehen Defizite bei Qualität und Patien- Mitteln treibt Krankenhäuser in eine negative Investiti- tensicherheit, weil zahlreiche Krankenhäuser aus fi- onskostenspirale. Sie sehen sich gezwungen, die feh- nanziellen Gründen in großem Umfang Eingriffe vor- lenden Investitionsmittel der Länder über zusätzliche nehmen, für die sie nicht entsprechend ausgestattet Betriebserlöse mittels weiterer Fälle auszugleichen. sind (Nimptsch & Mansky, 2017). Auch ohne eine Re- Somit entsteht ein ungesunder Mengenwettbewerb. form wird es demnach zum Wandel in der Kranken- Krankenhäuser weiten die Fallzahlen und Indikationen hauslandschaft kommen, allerdings nicht zu einer qua- bei für sie lukrativen DRG-Fallpauschalen aus, wie der litativen Verbesserung der Versorgung. hohe Anstieg verschiedener operativer Eingriffe in den letzten Jahren zeigt (Schreyögg et al., 2014). Dieser un- Für eine auskömmliche Investitionsfinanzierung müs- gesunde Mengenzuwachs belastet auch das Pflege- sen die Länder deshalb eine Mindestinvestitionsquote personal. Dessen Personalstärke ist zwischen 1991 von 8 % gewährleisten. Statt einer Investitionsfinan- und 2016 nahezu gleichgeblieben, während sich die zierung der Krankenkassen durch die Hintertür sollte Fallzahl je Pflegenden um 34 % erhöht hat (Deutsche alternativ der Bund stärker an der Investitionskosten- Stiftung Patientenschutz, 2017; Leopoldina, 2016). finanzierung beteiligt werden. Die Krankenkassen sollten ein verbindliches Mitspracherecht in der Kran- Die Folge der unzureichenden Investitionsfinanzierung kenhausplanung mit dem Ziel einer langfristig sekto- ist zum einen ein ständig wachsender Investitionsbe- renübergreifenden Planung erhalten. Solange struk- darf einer ungesteuerten Krankenhauslandschaft. Vor tureller Optimierungsbedarf im Krankenhaussektor 6
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung herrscht, müssen vor allem jene Häuser von der In- diese Weise könnten zudem medizinisch unangemes- vestitionskostenförderung profitieren, die einen wich- sene Mengenausweitungen vermieden werden, die tigen Beitrag zur Berücksichtigung qualitativer Ver- sonst ggf. zum Ausgleich geringer Deckungsbeiträge sorgungsziele leisten, Kapazitäten bündeln oder drohen“ (SVR-G, 2014). Insoweit handelt es sich um Kooperationen sicherstellen. eine Investition in die Zukunft, von der alle Beteiligten profitieren. Mit dem Krankenhaus-Strukturfonds stehen in den nächsten Jahren GKV-Beitragsmittel zur Verfügung, um Konsolidierungsprozesse zu unterstützen. Wichtig Corona-Krise unterstreicht ist, dass sie in erster Linie für die Konzentration von Reformnotwendigkeit Versorgungskapazitäten oder die Umwandlung in an- dere bedarfsnotwendige Versorgungsstrukturen ver- wendet werden. Mit einer an Qualität orientierten Krankenhausplanung, die auf Spezialisierung und Konzentration setzt, dürfen Darüber hinaus ist es denkbar, dass der Bund Investiti- nur noch die Krankenhäuser eine Leistung erbringen, onsmittel für übergreifende Ziele und zeitlich begrenz- die bestimmte Qualitätsvoraussetzungen erfüllen. Da- te Vorhaben wie die Digitalisierung der medizinischen mit wird Über-, Unter- und Fehlversorgung entgegen- Infrastruktur oder den Strukturwandel entlang der Ver- gewirkt und gleichzeitig die Patientensicherheit erhöht. sorgungsstufen trägt und die Länder dadurch mit klar Mit der aufgezeigten Strukturreform wird auch die Ver- abgrenzbaren Bereichen bei der Investitionsfinanzie- sorgung im ländlichen Raum gestärkt. So wird eine flä- rung entlastet. Die Mittelvergabe und die Prüfung der chendeckende Basisversorgung sichergestellt, gleich- Verwendung müssen dabei streng an die Umsetzung zeitig werden Patientinnen und Patienten mit der Ziele der neuen Versorgungsstrukturplanung ge- komplexeren Behandlungsbedarfen über strukturierte knüpft werden. Hierzu wird v. a. auf vom Gemeinsamen Zuweisungswege in hochleistungsfähige, gut ausge- Bundesausschuss (G-BA) zu entwickelnde Instrumen- stattete Krankenhausstandorte geführt. te und Methoden abgestellt. Auch in der Versorgung von COVID-19-Patientinnen Oberstes Ziel der Konzentration der Leistungserbrin- und -Patienten spielen Maximal- und Spezialversorger gung im stationären Bereich ist es, die Versorgungs- mit der notwendigen intensivmedizinischen Ausstat- qualität für die Patientinnen und Patienten zu verbes- tung und entsprechend geschultem Personal eine her- sern. Es geht nicht um den schlichten Abbau von ausragende Rolle. Nach den bisherigen Erfahrungen Kapazitäten, sondern um den Aufbau moderner und sind die vorhandenen Kapazitäten im stationären Sek- bedarfsgerechter Versorgungsstrukturen. Mit dem tor ausreichend. Bei Bedarf können zudem schnell Krankenhausstrukturfonds sollen vor Ort Chancen er- zusätzliche Kapazitäten mobilisiert werden, um alle öffnet werden, „die notwendige Marktbereinigung zu Patientinnen und Patienten in qualifizierteren Kran- unterstützen. Ebenfalls sollten Krankenhausbetreiber kenhäusern zu behandeln und damit Verlegungen zu zeitlich befristete Übergangszahlungen dazu nutzen vermeiden. Die Erfahrungen zeigen grundsätzlich, dass können, um sich aus Geschäftsfeldern zurückzuziehen, es sinnvoll ist, Patientinnen und Patienten mit komple- in denen sie absehbar weder die erforderlichen De- xen Erkrankungen vor allem in großen Krankenhäusern ckungsbeiträge noch Qualitätsniveaus erreichen. Auf mit entsprechender intensivmedizinischer Ausstat- 7
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung tung und Vorhaltung zu versorgen. Kleine Häuser der Deutsche Stiftung Patientenschutz (2017). Entwicklung der Grundversorgung sind damit zumeist strukturell über- Pflegekräfte und Fallzahlen 1991 bis 2016. Verfügbar unter: https://www.stiftung-patientenschutz.de/uploads/docs/ fordert. Entwicklung_Pflegekraefte_und_Fallzahlen_Krankenhaus_ 1991-2016.pdf [06.08.2021]. Die Pandemie bestätigt die Notwendigkeit einer Re- form hin zu mehr Konzentration, Kooperation und Spe- DKG – Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (2019). Pakt für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Verfügbar zialisierung. Was in der Krise deutlich wird, gilt auch in unter: https://www.bibliomedmanager.de/fileadmin/user_ normalen Zeiten. Nur solche Krankenhäuser sollten upload/BibMan/Dokumente/Oeffentlich/Eckpunktepapier_ Patientinnen und Patienten behandeln, die über die Krankenhausstruktur-_und_Kapazitaetsentwicklung.pdf entsprechende technische Ausstattung und personelle [07.09.2021]. Expertise verfügen. Für gute Behandlungsergebnisse Gesundheitsministerkonferenz (2017). Beschlüsse der 90. ist nicht die Nähe, sondern die Ausstattung der Kran- GMK (2017) – TOP: 11.2, Kodierrichtlinien in der vertrags- kenhausstandorte ausschlaggebend. ärztlichen Versorgung. Verfügbar unter: https://www.gmkon- line.de/Beschluesse.html?id=552&jahr=2017 [07.09.2021]. Zwingende Voraussetzung für eine Neuordnung der Kumar, A. & Schoenstein, M. (2013). Managing Hospital Vo Krankenhauslandschaft ist eine klare Rollenverteilung lumes, Germany and Experiences from OECD countries. zwischen Bund, Land und Kostenträgern. Den Kompe- OECD Health Working Papers No. 64. Verfügbar unter: https:// tenzen und Finanzierungsverantwortungen im Kran- dx.doi.org/10.1787/5k3xwtg2szzr-en [07.09.2021]. kenhaussektor liegt bislang kein ordnungspolitisch Leopoldina (2016). Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie stringentes Konzept zugrunde, dies haben die Erkennt- im deutschen Gesundheitssystem. Verfügbar unter: https:// nisse der Corona-Pandemie noch einmal deutlich ge- www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/Leo_Dis- zeigt. kussion_Medizin_und_Oekonomie_2016.pdf [07.09.2021]. Nimptsch, U. & Mansky, T. (2017). Hospital volume and mortality for 25 types of inpatient treatment in German Literatur hospitals: observational study using complete national data from 2009 to 2014. In: BMJ open 7 (9), e016184. Verfüg- Albrecht, M., Loos, S. & Irps, S. (2021). Qualitätsverbesserung bar unter: https://doi.org/10.1136/bmjopen-2017-016184 durch Leistungskonzentration in der stationären Ver- [07.09.2021]. sorgung – Bestandsaufnahme, Erfolgsfaktoren und Hemm- nisse. Ergebnisbericht für den Verband der Ersatzkassen e. V. OECD/EOHSP – Organisation for Economic Cooperation and Verfügbar unter: https://www.vdek.com/content/dam/vdek- Development / European Observatory on Health Systems site/vdek/verband/zukunftsforum/2021/IGES_Gutachten_ and Policies (2019). State of Health in the EU. Deutschland: 2021.pdf [07.09.2021]. Länderprofil Gesundheit 2017. OECD Publishing. Paris / European Observatory on Health Systems and Policies. Brus- Augurzky, B., Busse, R., Gerlach, F. & Meyer, G. (2020). sels. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/health/sites/ Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise health/files/state/docs/chp_de_german.pdf [07.09.2021]. 2020: Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren. Hrsg. v. BARMER Institut für Gesundheitssystem- Quentin, W., Busse, R., Vogt, V., Czihal, T., Offermanns, M., forschung, Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung Grobe, T. & Focke, K. (2020). Entwicklung eines Systems GmbH. Verfügbar unter: https://doi.org/10.30433/ePGSF. zur Klassifikation des morbiditätsbezogenen Versorgungs- 2020.001 [07.09.2021]. bedarfs (PopGroup). Verfügbar unter: https://doi.org/10.30 433/GWA2020-78 [07.09.2021]. Bock, J.-O., Focke, K. & Busse, R. (2017). Ein einheitliches Ver- gütungssystem für ambulante und stationäre ärztliche Leis- RWI – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschafts- tungen – Notwendigkeit und Entwicklung. In: Gesundheits- forschung (2012). Mengenentwicklung und Mengen- und Sozialpolitik, Ausgabe 6/2017, S. 9–15. Verfügbar unter: steuerung stationärer Leistungen – Endbericht. Forschungs- https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/1611-5821-2017- projekt im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes. Essen. 6-9/ein-einheitliches-verguetungssystem-fuer-ambulante- Verfügbar unter: https://www.rwi-essen.de/media/content/ und-stationaere-aerztliche-leistungen-notwendigkeit-und- pages/publikationen/rwi-projektberichte/PB_GKV_Menge_ entwicklung-jahrgang-71-2017-heft-6 [07.09.2021]. stat_Leistung.pdf [07.09.2021]. 8
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