RISKWA-STATUSPAPIER METHODEN ZUR (ÖKO-)TOXIKOLOGISCHEN BEWERTUNG VON SPURENSTOFFEN IM WASSERKREISLAUF
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BMBF-Fördermaßnahme RiSKWa-Statuspapier Methoden zur (öko-)toxikologischen Bewertung von Spurenstoffen im Wasserkreislauf Ergebnisse des Querschnittsthemas „(Öko-)Toxikologie“ Tamara Grummt, Rita Triebskorn, Jörg Oehlmann, Thomas Braunbeck, Oliver Happel
Fazit RiSKWa hat gezeigt, dass wirkungsbasierte (öko)toxikologische Tests essentielle Elemente im Risikomanage- ment von Spurenstoffen im Wasserkreislauf sind. Das vorliegende Statuspapier dokumentiert in diesem Zusam- menhang ausführlich die am besten etablierten toxikologischen und ökotoxikologischen Verfahren zur Risiko- bewertung im Bereich Trinkwasser, Oberflächenwasser und Abwasser im Kontext von gesetzlichen Bezügen. Die vorgestellten Verfahren erlauben die wirkungsbasierte Erfassung sowohl allgemeiner als auch spezifisch wir- kender stofflicher Belastung in den genannten Medien. Sie stellen damit auch eine wichtige Grundlage für eine wirkungsbasierte Bewertung der Effizienz von Abwasserreinigungsanlagen dar. Die Tests können unter anderem für die Bewertung der Wirksamkeit weitgehender Abwasserreinigungstechniken sowie von technischen Verfah- ren für Misch- und Regenwasserbehandlung eingesetzt werden. In RiSKWa konnte mit Hilfe wirkungsbasierter ökotoxikologischer Tests belegt werden, dass die vierte Reinigungsstufe auf Kläranlagen zusätzlich zu der ana- lytisch erwiesenen Reduktion von stofflichen Belastungen zu einer deutlichen Verbesserung des ökologischen Gewässerzustandes im Vorfluter führt. Neben einer ausführlichen Betrachtung von Grundlagen zur Vor- und Aufbereitung von Umweltproben für wir- kungsbasierte Tests werden Biotests und Biomarker im Sinne einer Tool-Box für verschiedene Anwendungsfel- der vorgestellt und ihre Vor- und Nachteile beschrieben. In einer abschließenden detaillierten Tabelle sind schließ- lich die in RiSKWa eingesetzten wirkungsbasierten Methoden zusammengefasst. Damit liefert das Statuspapier wichtige Grundlagen und eine Entscheidungshilfe für die Auswahl wirkungsbasierter Tests in der wasserwirt- schaftlichen Praxis. Titelbilder v.l.: © Universität Heidelberg, E. Leist; © Umweltbundesamt, Dessau, E. Dölling
Inhalt 1 Vorwort 2 2 Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren 3 2.1 Probenvorbereitung 3 2.2 Anreicherungsverfahren 6 2.3 Zusammenfassung wichtiger Randbedingungen 10 3 Toxikologische Testverfahren für die Trinkwasserbewertung 11 3.1 Der gesundheitliche Orientierungswert (GOW) als Ausgangspunkt 11 3.2 Endpunkte der Bewertung 11 3.3 Ausblick zur Bewertung von Trinkwasser 13 3.4 Ausblick zur Bewertung technischer Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung 14 4 Ökotoxikologische Testverfahren 16 4.1 Laborbasierte In-vitro- und In-vivo-Testsysteme 16 4.2 Biomarker 21 5 Methodenübersicht in RiSKWa 24 5.1 Eingesetzte Methoden – Toxikologie 24 5.2 Eingesetzte Methoden – Ökotoxikologie 27 6 Literatur 25 7 Tabellarische Methodenübersicht unter anwendungsbezogenen Aspekten 26 Impressum 37 1
1 Vorwort Wirkungsbezogene Daten sind essentielle Vorausset- Im Querschnittsthema (Öko-)Toxikologie wurde aus zungen für eine Bewertung des Risikos, das von Spu- diesem Grund eine Gesamtübersicht des Methoden- renstoffen im Wasserkreislauf ausgehen kann. Mit Hilfe spektrums erstellt, das im Rahmen der BMBF-För- (öko-)toxikologischer Wirktests erfolgt eine stoffbezo- dermaßnahme Risikomanagement von neuen Schad- gene Bewertung relevanter Chemikalien hinsichtlich stoffen und Krankheitserregern im Wasserkreislauf ihrer Toxizität für Mensch und Umwelt. Ökotoxikolo- (RiSKWa) zum Einsatz kam. Der Arbeitsgruppe war es gische Wirkstudien dienen darüber hinaus auch dazu, ein Anliegen, die Methoden und Verfahren, die zur wir- retrospektiv eine Bewertung von mehrfach durch Spu- kungsbasierten Bewertung eingesetzt werden, nach renstoffe belasteten Umweltmatrices, wie Abwasser, einem einheitlichen Schema zu dokumentieren. Dabei Oberflächenwasser oder Sediment, hinsichtlich ihrer sind die Methoden mit ihren gesetzlichen Bezügen Qualität zu beurteilen. Sowohl toxikologische als auch und matrixbezogenen Verknüpfungen dargestellt. ökotoxikologische Wirktests liefern dadurch die not- wendige wissenschaftliche Grundlage für ein erfolgrei- Diese Auflistung erlaubt im Vergleich der Methoden ches Risikomanagement. untereinander zu entscheiden, welche Verfahren prob- lembezogen eingesetzt und inwieweit entsprechende Für die Risikocharakterisierung im Bereich der Trink- Bewertungen abgeleitet werden können. Gleichzeitig wasserbewertung kommen vorwiegend In-vitro-Bio- wird deutlich, welche Harmonisierungen beim Einsatz testsysteme zum Einsatz. Darüber hinaus werden der Methoden in der Praxis und in der wissenschaft- ökotoxikologische Wirkungen mit Hilfe laborbasierter lichen Weiterentwicklung der Teststrategie notwendig und meist standardisierter In-vivo-Biotests als auch sind. Die vorliegende Zusammenstellung ist ein Schritt, durch Biomarker nachgewiesen, welche den Ge- den toxikologischen Testverfahren einen klar begrün- sundheitszustand der Organismen beschreiben. deten Platz im Risikomanagement zu geben. In-vitro-Tests werden in der ökotoxikologischen Wir- kungscharakterisierung zusätzlich für den Nachweis Im Folgenden werden zunächst Grundlagen zur spezifischer Wirkungsmechanismen (mode of action – Vor- und Aufbereitung von Umweltproben für labor- MoA) von Einzelsubstanzen, in Substanzmischungen basierte toxikologische und ökotoxikologische Wirk- oder komplexen Umweltproben eingesetzt. In beiden tests beschrieben. Danach werden Informationen zu Fällen steht ein sehr breites Methodenspektrum zur toxikologischen Testverfahren für die Beurteilung von Verfügung, wobei zunehmend zellbiologische und Trinkwasser sowie zu laborbasierten ökotoxikologi- molekularbiologische Ansätze zum Einsatz kommen. schen Testverfahren und zum Einsatz von Biomarkern Die Vielfalt der Methoden und die Interpretation der Er- zur Gesundheitsdiagnostik exponierter Organismen gebnisse in verschiedenen Kontexten führen mitunter vorgestellt. In der abschließenden Tabelle sind die in auch zu unterschiedlichen Bewertungen, was für die RiSKWa eingesetzten wirkungsbasierten Methoden risikoregulierenden Behörden und die Öffentlichkeit oft zusammengefasst. nicht nachvollziehbar ist. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf Kosten-Nutzen-Aspekte sowie die künf- tige Akzeptanz wirkungsbasierter Analysen für Maß- nahmen zur Minimierung anthropogener Spurenstoffe haben die Transparenz der Ergebniserhebung und de- ren Bewertung eine zentrale Rolle im Gesamtprozess des Risikomanagements. 2
Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren 2 2.1 Probenvorbereitung 2) Auswahl geeigneter Testmethoden: Durch die Auswahl des geeigneten Testsystems Die toxikologische Untersuchung von wasserlöslichen (z.B. chronische Toxizität statt akuter Toxizität) Einzelchemikalien, die als Reinstoffe verfügbar sind, kann sich die Ansprechempfindlichkeit erhöhen, stellt in der Regel keine speziellen Anforderungen an aber auch der Endpunkt bzw. die resultierende die Probenvorbereitung. Durch die Herstellung von Aussage verändern. Standards und Verdünnungen können die gewünsch- ten Testkonzentrationen reproduzierbar und genau er- 3) Verbesserte Empfindlichkeit der halten werden. In der Literatur sind zu den etablierten toxikologischen Verfahren: toxikologischen Testverfahren ausführliche Arbeitsan- Bei einigen toxikologischen Testsystemen kann weisungen oder Normen vorhanden, die eine verein- über eine Veränderung des Versuchsprotokolls heitlichte Arbeitsweise ermöglichen. Für schwerwas- eine verbesserte Empfindlichkeit erzielt werden serlösliche Substanzen geben DIN EN ISO 5667-16 (z.B. Vorinkubation, verlängerte Inkubationszeit). (1999) sowie OECD (2000) Hinweise zum Einsatz von Ein Beispiel ist die Untersuchung von Azofarbstof- Lösungsvermittlern und zur Probenvorbereitung. fen im Ames-Test nach Prival et al. (1984), die eine reduktive Aktivierung der Azofarbstoffe ermöglicht. Für Umweltproben können mitunter spezielle Vorberei- Welche Möglichkeiten der Empfindlichkeitsstei- tungsschritte erforderlich werden, um eine Kompatibi- gerung genutzt werden können, hängt von den lität mit toxikologischen Verfahren herzustellen. Sofern jeweiligen Testsystemen ab. Ist die strikte Ein- bei den Untersuchungen eine Konzentrationslücke haltung gesetzlicher/normativer Vorgaben in der zwischen der vorhandenen Konzentration bekannter Versuchsdurchführung erforderlich, kann dies ein Schadstoffe und den Wirkschwellen im Testsystem Ausschlusskriterium für empfindlichere Varianten besteht, können prinzipiell vier Lösungswege verfolgt sein. Prinzipiell ist die Änderung eines etablierten werden: Versuchsprotokolls aber kritisch zu sehen, da hie- rüber die Vergleichbarkeit verloren gehen kann. 1) Eingesetzte Stoffgehalte in den Toxizitätstests erhöhen: 4) Verwendung von Anreicherungsverfahren: Diese Möglichkeit bietet sich bei Versuchen an, Über Anreicherungsverfahren werden die in der bei denen nicht mit den tatsächlichen Gehal- Probe enthaltenen Schadstoffe soweit aufkon- ten im Spurenbereich, sondern durch Dotierung zentriert, dass deren Wirkschwelle im Testsystem mit deutlich erhöhten Gehalten (Milligramm-pro- erreicht wird. Anreicherungsverfahren der che- Liter-Bereich) in Laborversuchen gearbeitet wer- mischen Analytik gehören zur täglichen Praxis in den kann. Es ist aber zu prüfen, inwieweit noch der Spurenstoffbestimmung und können auch die Praxisnähe der veränderten Verfahren gege- für die Methodenentwicklung bei toxikologischen ben ist. Die maximale Dotierung hängt stark von Fragestellungen als Vorlagen dienen. Im Gegen- den Randbedingungen des technischen Verfah- satz zur chemischen Analytik ist bei der toxiko- rens ab und muss fallspezifisch ermittelt werden. logischen Testung jedoch auf die Kompatibilität Im Fall der toxikologischen Bewertung nativer der eingesetzten Materialien mit den biologischen Wasserproben scheidet diese Möglichkeit aus. Testsystemen zu achten. So ist z.B. ein Konzen- trat in reinem Dichlormethan oder Acetonitril für toxikologische Tests ungeeignet, und es muss ein 3
2 Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren Lösungsmittelwechsel zu einem geeigneten Löse- transformiert, so liegen in den meisten Fällen kei- mittel wie Methanol, Ethanol, Aceton oder DMSO ne umfassenden analytischen und toxikologischen erfolgen. Daten zu den Transformationsprodukten vor. Aus diesem Grund ist die toxikologische Testung der Bevor näher auf die Möglichkeiten und Grenzen Gesamtprobe wünschenswert, da hierüber falsch- unterschiedlicher Anreicherungsverfahren einge- negative Aussagen aufgrund nicht beachteter gangen wird, sollen einige Informationen zu den Transformationsprodukte minimiert werden. Bei möglichen Probeformen gegeben werden. Es der Durchführung der Experimente ist es oft mög- können grob drei Schwierigkeitsgrade unterschie- lich, erhöhte Ausgangsgehalte der Testsubstanzen den werden, die ein unterschiedliches Vorgehen einzusetzen, so dass die Wirkschwellen in den toxi- erfordern. Dabei sind unabhängig von den toxi- kologischen Testsystemen erreicht werden. Sofern kologischen Testsystemen die allgemeinen Krite- die erforderlichen Mindestgehalte zur Überschrei- rien Stoffkonzentration, Matrixzusammensetzung, tung der Wirkschwelle nicht in der Probe vorlie- repräsentative Blindprobe, Positivprobe über das gen, muss ein passendes Anreicherungsverfahren Gesamtverfahren zu beachten. eingesetzt werden. Generell sollten die Versuche auch in reiner Wassermatrix (d.h. ohne Stoffdo- Stufe I: Testsubstanz ist als Einzelstoff erhältlich tierung) durchgeführt werden, so dass über diese Die einfachste Variante ist die Testung eines als Blindprobe durch das Verfahren bedingte falsch- Reinsubstanz vorliegenden Einzelstoffs. In die- positive Effekte ausgeschlossen werden können. sem Fall können die Stoffkonzentration und die Diese Arbeitsweise wird auch normalerweise in verwendete Matrix dem jeweiligen toxikologi- den Prüfrichtlinien bzw. in OECD (2000) gefordert. schen Verfahren optimal angepasst werden. Bei Die Bewertung der Testergebnisse ist im Vergleich Einzelstofftestungen werden in den Richtlinien zur Einzelstofftestung anspruchsvoller, da über mitunter sehr hohe Gehalte (z.B. bis zu 5 mg/ den angewandten Prozess oft eine Mischung Platte im Ames-Test) vorgeschrieben. Blind- aus mehreren unbekannten Transformationspro- Kontrollen sind leicht durch die Untersuchung dukten generiert wird, und es können bei tech- der Matrix ohne Stoffdosierung durchzuführen. nischen Prozessen vielfältige Versuchsvarianten Die Bewertung bei Einzelstofftestungen kann bei vorliegen. Für das Gesamtverfahren sollte durch den etablierten Testsystemen nach den vorhan- Mitführen geeigneter Referenzsubstanzen und denen Richtlinien/Normen durchgeführt werden. Negativkontrollen eine Qualitätskontrolle erfolgen. Stufe II: Testsubstanz bzw. Substanzgemisch Stufe III: Toxikologische Untersuchung nativer wird über einen Prozess generiert Wasser- oder Abwasserproben Soll untersucht werden, wie sich toxikologische Ef- Soll beispielsweise Abwasser oder ein Oberflä- fekte einzelner Wasserinhaltsstoffe während eines chengewässer toxikologisch bewertet werden, Prozesses (physikalisch, chemisch und biologisch) kann dies bei einigen Toxizitätstests eine umfas- verändern, so kann dies mittels Versuchen in La- sende Probenvorbereitung erfordern. So liegen die bor- oder Pilotanlagen durchgeführt werden. Die Stoffgehalte (gen-)toxischer Verbindungen in den Ausgangsverbindung kann in der Regel analytisch nativen Proben oft im Spurenbereich (< 1 µg/L), erfasst und toxikologisch per Einzelstofftestung die erforderliche Wirkschwelle eines Tests (z.B. bewertet werden. Wird dieser Einzelstoff jedoch Gentoxizität) kann jedoch auch für bekannte Re- 4
Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren 2 ferenzsubstanzen im Milligramm-pro-Liter-Bereich schen Analytik eingesetzten Methoden wird deut- liegen. Obwohl die Testsysteme unterschiedliche lich, dass es auch in der toxikologischen Testung Wirkschwellen besitzen, ist davon auszugehen, nicht die perfekte Einzelmethode geben kann, die dass Tests zur Gentoxizität einen um drei bis fünf alle Anforderungen erfüllt. Zusammenfassend lässt Größenordnungen höheren Stoffgehalt zur Über- sich sagen, dass der Erfolg der Anreicherungs- schreitung ihrer Wirkschwelle in Bezug auf die na- methode über die analytische Bestimmung der tive Probe benötigen. Soll die Gentoxizität solcher Wiederfindungen von Modellsubstanzen und der Proben untersucht werden, müssen Anreiche- toxikologischen Testung von angereicherten Posi- rungsverfahren mit großen Anreicherungsfaktoren tivsubstanzen überprüft werden sollte. angewandt werden. Ähnliches gilt für die Erfas- sung zytotoxischer Effekte. Im Gegensatz dazu 2) Matrixeinfluss können aber auch Beispiele genannt werden, die Sollen z.B. Untersuchungen zur Gentoxizität bereits bei Spurengehalten einen toxikologischen durchgeführt werden, so werden aufgrund der Effekt anzeigen können (z.B. endokrine Wirkungen). Wirkschwellen im Milligramm-pro-Liter Bereich große Anreicherungsfaktoren (100-fach bis 1000- Bei der Anwendung von Anreicherungsverfahren für fach) notwendig. In diesem Zusammenhang muss Proben der Stufe II und III müssen primär folgende beachtet werden, dass beispielsweise der Gehalt Punkte berücksichtigt werden: des toxischen Spurenstoffs von 1 µg/L auf 1 mg/L gebracht wird, gleichzeitig aber auch der Gehalt an 1) Wiederfindung anderen Matrixkomponenten (z.B. Huminstoffen) Die genaue Zusammensetzung und die Stoff- stark erhöht wird (z.B. von 1 mg/L auf 1000 mg/L). eigenschaften potenzieller Schadstoffe sind in Liegt zudem eine umfassende Anreicherung vor, veränderten oder nativen Proben nicht bekannt, werden auch die anorganischen Wasserinhalts- weshalb die Anreicherungsmethode umfassend stoffe angereichert. In diesem Fall können leicht sein muss. Dies bedeutet, dass für möglichst alle Salzgehalte im Gramm-pro-Liter-Bereich im Kon- Verbindungsklassen eine sehr gute Wiederfindung zentrat auftreten. In den Konzentraten kann es zu erzielt werden muss. Als Verbindungsklassen sind Ausfällungen kommen, die anorganische Salze beispielsweise unpolare, polare, anionische und (z.B. Calciumcarbonat) und organische Verbindun- kationische, aromatische, flüchtige, nichtflüchti- gen betreffen können. Es besteht dann die Gefahr ge und makromolekulare Verbindungen zu nen- eines Substanzverlustes durch Ausfällung oder nen. Weiterhin ist zu beachten, dass sich unter Mitfällung. Aufgrund einer starken Aufkonzentra- diesen Randbedingungen die Wiederfindungen tion der Wassermatrix kann es in den toxikologi- und Anreicherungsfaktoren nur über Modellsub- schen Testsystemen zu unerwünschten Effekten stanzen abschätzen lassen. In der chemischen kommen (z.B. Empfindlichkeitsveränderungen Spurenanalytik von Wasserkontaminanten sind durch Matrixbestandteile, Überschreitung der zu- Anreicherungsverfahren etablierte Werkzeuge zur lässigen Osmolalität durch den hohen Salzgehalt). Empfindlichkeitssteigerung und zur Entfernung unerwünschter Matrixbestandteile. Die Anzahl der unterschiedlichen Methoden und Materialien resul- Bei der Untersuchung nativer Wasserproben in Kom- tiert aus den vielfältigen Substanzeigenschaften bination mit Anreicherungsversuchen kann die Gene- der Analyte. Aus der Vielzahl der in der chemi- rierung von Blindproben problematisch sein: 5
2 Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren ■■ Es ist zu klären, welches Wasser als Referenz 2.2 Anreicherungsverfahren (Blindprobe) verwendet werden kann (z.B. Trink- wasser, Reinstwasser, spezielles Modellwasser). Im folgenden Abschnitt werden die Grundzüge von Anreicherungsverfahren näher beschrieben. Es wer- ■■ Für die Charakterisierung des Gesamtverfahrens den auch Randbedingungen aufgeführt, die in der ist zur Generierung einer Blindprobe eine Was- Kombination mit toxikologischen Testsystemen be- sermatrix notwendig, die keine positiven Effekte achtet werden müssen. in den toxikologischen Testsystemen verursacht (kein falsch-positives Ergebnis). Anreicherung per Festphasen-Extraktion (SPE) ■■ Nach einer Dotierung dieser Matrix mit bekannten Praktisches Vorgehen: Referenzsubstanzen und dem Durchlaufen des Die Probe (z.B. 1000 mL) mit definiertem pH-Wert wird Gesamtverfahrens muss die Wirkung im Testsys- langsam durch eine vorkonditionierte Kartusche gege- tem dem Anreicherungsfaktor gemäß entspre- ben, in der sich ein Adsorptionsmaterial (z.B. 500 mg) chen, d.h. ein richtig positives Ergebnis mit korrek- befindet, an dem die Analyte adsorbieren. Es handelt ter Wirkhöhe ergeben. sich hierbei oft um ein oberflächenfunktionalisiertes Polymermaterial. Die Auswahl des richtigen Adsor- 3) Kompatibilität der Materialien bermaterials hat einen großen Einfluss auf den Erfolg Neben der erfolgreichen Anreicherung muss auch der Anreicherung und muss auf die zu erwartenden die Kompatibilität der Anreicherungsmethodik mit Analyte (unpolar, polar, sauer, basisch) und den vor- den toxikologischen Testsystemen gegeben sein. liegenden pH-Wert abgestimmt sein. Sind die Stoffei- Es dürfen keine Materialien und Chemikalien ein- genschaften unklar oder stark unterschiedlich, so ist gesetzt werden, die zu einem falsch-positiven oder die Verwendung von mehreren Materialien zu prüfen. falsch-negativen Resultat führen. Insbesondere In diesem Fall kann die Toxizität der einzelnen Frakti- muss der Einfluss von organischen Lösungsmit- onen auch separat bestimmt werden (vgl. auch das teln kritisch geprüft werden (z.B. im Extrakt nach Konzept der TIE = Toxicity Identification Evaluation, Festphasenanreicherung). Die maximal zulässigen z.B. Markle, 2005). Anschließend werden nach einem Lösungsmittelanteile variieren je nach Testsystem Trocknungsschritt die adsorbierten Verbindungen mit- und müssen ggf. in Vorversuchen ermittelt werden. tels weniger Milliliter eines organischen Lösungsmit- Akzeptable Lösungsmittel für toxikologische Test- tels (z.B. 5 mL) oder eines Puffers mit bestimmtem systeme sind beispielsweise Methanol, Ethanol, pH-Wert wieder vom Austauschermaterial eluiert. Mit Aceton und DMSO, wobei deren zulässige Maxi- dem hier gewählten Elutionsvolumen wird eine 200-fa- malgehalte oftmals im unteren einstelligen Prozent- che Anreicherung erzielt. An dieser Stelle kann ein bereich liegen. In offenen Systemen ist bei längeren Lösungsmittelwechsel erfolgen. Das organische Kon- Expositionsdauern auf die Flüchtigkeit der Löse- zentrat muss nun so weit verdünnt werden, bis dass mittel zu achten. In Ökotoxizitätstests empfiehlt die kein Störeinfluss auf das nachfolgende Testsystem OECD (2000) eine maximale Lösemittelkonzentra- mehr besteht. Beispielsweise toleriert der Ames-Test tion von einem Zehntel der NOEC (no observed einen Ethanolgehalt von bis zu 4 %, was bedeutet, effect concentration) oder alternativ, wenn ent- dass das Konzentrat 25-fach verdünnt werden muss. sprechende Toxizitätsdaten fehlen, von 0,1 mL/L. Nach diesem notwendigen Schritt bleibt ein 8-facher Gesamtanreicherungsfaktor übrig. 6
Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren 2 Um den Anreicherungsfaktor zu verbessern, kann gen möglich. Auch die vielfältigen SPE-Methoden der nach der Elution das Lösungsmittel unter Stickstoff- chemischen Analytik zeigen, dass es nicht das eine strom eingeengt werden. Auf diese Weise werden perfekte Festphasenmaterial für alle Stoffgruppen gibt. höhere Anreicherungsfaktoren erhalten. Wird das Lö- sungsmittelextrakt im obigen Beispiel von 5 mL auf Um das anreicherbare Substanzspektrum zu erhöhen, 1 mL gebracht, so liegt nun ein 40-facher Gesamt- können auch mehrere Austauschermaterialien zur An- anreicherungsfaktor vor. Für eine transparente Metho- reicherung (sequenziell oder als Mischung) eingesetzt denbeschreibung ist der Gesamtanreicherungsfaktor werden. Über die Kombination von unterschiedlichen grundsätzlich zu nennen, um die Relevanz der Be- Adsorbern kann ein breites Spektrum an Substanzen funde nachvollziehen zu können, die bei sehr hohen erfasst werden. Für eine erfolgreiche Anreicherung Anreicherungsfaktoren stark eingeschränkt ist. Sofern müssen die adsorbierten Substanzen jedoch auch die Analyte flüchtig sind, können beim Abblasen des wieder vom Festbettaustauscher eluiert werden, was Lösungsmittels Verluste auftreten, was zu falsch-ne- mitunter der kritische Schritt bei dieser Vorgehenswei- gativen Testergebnissen führen kann. Das Einengen se sein kann. Zur Elution unpolarer Verbindungen wer- bis zur Trockene und die Wiederaufnahme in einem den Lösungsmittel, für Anionen und Kationen werden anderen Lösungsmittel bzw. Wasser ist eine weite- Salzlösungen mit definierten pH-Werten (sauer oder re Option (= kompletter Lösungsmittelwechsel). Es basisch) benötigt. Hierbei müssen Wechselwirkungen ist darauf hinzuweisen, dass die Verwendung reinen der Elutionsmittel untereinander, sowie deren Einfluss Wassers oft nicht zur quantitativen Rücklösung führt auf die nachfolgenden toxikologischen Testsysteme (z.B. bei unpolaren Molekülen). In diesen Fällen ist ein berücksichtigt werden. gewisser Anteil an Lösungsmittel im Wasser bzw. zu- nächst die Vorlösung mit einer gewissen Menge an or- Als großer Vorteil der SPE-Technik ist neben der An- ganischem Lösungsmittel notwendig. Alternativ kann reicherung der Analyte die gleichzeitige Abreicherung auch in das SPE-Extrakt ein schwerflüchtiger Keeper oder Entfernung der anorganischen Salzfracht zu nen- zugegeben werden (z.B. DMSO oder Wasser), der ein nen (Standardionen aus der Wassermatrix). Dieses Ar- definiertes Endvolumen einstellt und weitgehend ei- gument ist jedoch nur dann zulässig, wenn auf diese nen Substanzverlust durch Wandsorption verhindert. Stoffgruppen bei der toxikologischen Untersuchung verzichtet werden kann, d.h. wenn nicht mit stark po- Weitere Randbedingungen der Festphasen laren oder ionischen Schadstoffen gerechnet werden anreicherung: muss (z.B. Bromat, Chromat, Azid, Cyanid, Arsenspe- Unpolare Verbindungen können sehr gut mit Hilfe der zies, Schwermetalle). SPE-Technik angereichert werden. Deutlich schlech- tere Wiederfindungsraten werden bei stark polaren Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für oder ionischen Verbindungen erhalten. In diesen Fäl- die nachfolgenden toxikologischen Testverfahren len kann die Nutzung einer Festphase mit polaren der notwendige Einsatz von Lösungsmitteln zur Elu- oder ionischen Gruppen von Vorteil sein. Dieses wie- tion der Analyte vom Festphasenmaterial kritisch zu derum wird jedoch wieder schlechtere Eigenschaften sehen ist. Die üblicherweise im analytischen Bereich für nicht-ionische Verbindungen aufweisen. Da die zu bewährten Lösungsmittel sind für die Kopplung mit erwartenden Analyte zu unterschiedlichen Stoffklas- toxikologischen Testsystemen ungeeignet oder nur sen gehören können, ist mit einem einzigen Festpha- in Grenzen einsetzbar. Hier sind in gewissem Umfang senmaterial nur ein Kompromiss in den Wiederfindun- z.B. Methanol, Ethanol, Aceton oder DMSO tolerier- 7
2 Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren bar. Weiterhin muss beachtet werden, dass über den auch in großtechnischen Prozessen erfolgreich einge- Lösungsmittelwechsel (Abblasen des Elutions-/Lö- setzt. Es handelt sich um einen schonenden Prozess, sungsmittels und Wiederaufnahme in DMSO/Wasser) der für empfindliche Verbindungen geeignet ist. Als flüchtige oder stark adsorptive Komponenten verloren Nachteil der Gefriertrocknung ist die geringe Sublima- gehen können. tionsgeschwindigkeit des Wassers zu nennen. Damit eine größere Wassermenge in einer überschaubaren Anreicherung per Vakuumkonzentration Zeit entfernt werden kann, wird die Probe über eine möglichst große Oberfläche verteilt. Zur Anreicherung Eine weitere Möglichkeit der Anreicherung von Ver- von Proben im Literbereich sind große Schalen erfor- bindungen ist die Entfernung des Wassers über seine derlich. Wird in einer solchen Schale bis zu einer ge- Flüchtigkeit. Als prinzipielle Verfahren können hier das ringen Restmenge oder bis zur Trockene die Gefrier- Verdunsten, Kochen, Verdampfen im Unterdruck und trocknung durchgeführt, muss das Konzentrat bzw. die Gefriertrocknung (Sublimation) genannt werden. der Rückstand wieder zurückgewonnen werden. Mit Eine Wasserentfernung über eine Verdunstung dauert zunehmender Oberflächengröße steigt jedoch die Ge- in der Praxis zu lange und das schnellere Verfahren fahr des Substanzverlustes durch Adsorptionseffekte. über das Kochen des Wassers unter Normaldruck stellt eine hohe thermische Beanspruchung für die Weitere Randbedingungen der Probe dar. Aus diesem Grund sind Vakuum-Verfahren Vakuumkonzentration zielführender, da bereits bei niedrigen Temperaturen Die Vakuumkonzentration hat den Vorteil, dass alle der Dampfdruck des Wassers erreicht wird. Typische Komponenten der Probe im Konzentrat enthalten blei- Ausführungsformen dieser Technik sind Rotations- ben, sofern sie nicht leicht flüchtig sind. Insbesondere verdampfer und Vakuumzentrifugen, bei denen im können stark polare und ionische Verbindungen quan- Unterdruck und bei moderaten Temperaturen eine titativ angereichert werden, was über SPE-Techniken zügige Entfernung des Wassers erreicht wird. Beim nur mit Spezialmaterialien bzw. großem Aufwand Rotationsverdampfer wird über eine Drehbewegung möglich ist. Als weiterer Vorteil kann angeführt werden, des Probenkolbens eine erhöhte Oberfläche für die dass bei Nutzung eines Rotationsverdampfers oder Verdampfung erzeugt, was zudem Siedeverzüge ver- einer Vakuumzentrifuge keine kritischen Chemikalien hindert. Der Wärmeeintrag erfolgt über ein beheiztes und Materialien mit der Probe in Kontakt kommen. In- Wasserbad. Im Falle der Vakuumzentrifuge werden folgedessen liegt auch ein rein wässriges Konzentrat Siedeverzüge über die Zentrifugalkraft unterbunden. vor, weshalb keine negativen Effekte durch organische Der Wärmeeintrag erfolgt bei dieser Technik beispiels- Lösungsmittel auftreten. Wird beispielsweise eine Pro- weise über Infrarotstrahler. Durch Nutzung einer Kälte- be von 1000 mL auf ein Endvolumen von 20 mL ge- falle und einer leistungsstarken Vakuumpumpe lässt bracht, kann ein 50-facher Anreicherungsfaktor erzielt sich eine zügige Wasserentfernung selbst bei Proben- werden. Im Gegensatz zur Festphasenextration ent- temperaturen unter 10 °C erreichen, weshalb dieses fällt der weitere notwendige Verdünnungsschritt, und Verfahren als sehr schonend eingestuft werden kann. die Probe kann direkt in das toxikologische Testsys- tem gegeben werden. Eine verwandte Technik ist die Gefriertrocknung, bei der die Wasserentfernung über den Prozess der Su- Neben den bislang genannten positiven Eigenschaften blimation erfolgt. Die Gefriertrocknung wird sowohl in der Vakuumkonzentration muss aber auch erwähnt der Probenvorbereitung zur chemischen Analytik, als werden, dass es über die Anreicherung der Salze in 8
Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren 2 der Probe zu Ausfällungen kommen kann. Besonders des Wassers anzupassen, um nicht mit einer Über- bei stark kalkhaltigen Wässern tritt mit zunehmender kapazität ungewollt einen Substanzverlust zu verursa- Aufkonzentration eine Trübung und Ausfällung von z.B. chen. Calciumcarbonat auf. Sofern die Salze aus der Probe ausfallen, verringert dies die Salzfracht in der Lösung. Anreicherung per Membranfiltration Als unerwünschter Nebeneffekt können jedoch auch Mitfällungen auftreten, die zu einem Substanzverlust Neben der SPE- und Vakuumtechnik soll auf die Mög- führen. Wenn Löslichkeitsprodukte überschritten wer- lichkeit der Anreicherung per Membranverfahren hin- den, kann es auch zu einer direkten Ausfällung von gewiesen werden. Bei Nutzung von Umkehrosmose- Verbindungen kommen (z.B. kann Oxalsäure als typi- membranen (RO) wird im Idealfall nur Wasser durch sches Ozonungsprodukt mit Calcium zu schwerlösli- die Membran gelassen. Größere Moleküle und Ionen chem Calciumoxalat reagieren und ausfallen). werden hingegen zurückgehalten. Der Prozess wird großtechnisch zur Entsalzung von Wasser eingesetzt, Leicht lösliche Salze (z.B. Chloride und Nitrate) ver- wobei in diesem Fall das Permeat das Produkt ist. bleiben im Konzentrat und führen zu einer deutlichen Wird die Technik für die Anreicherung genutzt, wird Erhöhung der Ionenstärke. Wird der Anreicherungs- hingegen das Konzentrat verwendet und das Permeat faktor zu hoch gewählt, kann dies zu einer so großen verworfen. Um eine erhöhte Anreicherung zu erzielen, Osmolalität im Konzentrat führen, dass dieses bei bio- wird die Anlage im Kreislaufprozess geführt, wobei logischen Testsystemen nicht mehr angewandt wer- das Konzentrat wieder zurück in den Probenbehälter den kann. Der tolerierbare Wert ist vom Testsystem geleitet wird. Theoretisch sind hierbei Anreicherungen abhängig und muss bei der Methodenentwicklung bis zum Totvolumen der Anlage möglich. In einer für ein experimentell bestimmt werden. Zur Verringerung der Forschungsvorhaben entwickelten Laboranlage konn- Salzfracht des Konzentrats können Mischbett-Ionen- ten beispielsweise 10 Liter Wasserprobe bis zum An- austauscher eingesetzt werden, die über ihre H+- und lagentotvolumen von 300 mL eingeengt werden, was OH--Form im Austausch Wasser abgeben. Die Nut- einer 33-fachen Anreicherung entspricht (Happel et al. zung dieses Verfahrens ist jedoch nur dann zulässig, 2013). Mit zunehmender Wasserentfernung steigt der wenn sichergestellt werden kann, dass keine Testver- Salzgehalt im Konzentrat deutlich an. Dies kann zu bindungen über den Ionenaustauschprozess entfernt Ausfällungen von z.B. Calciumcarbonat und Calcium- werden. Aus der Nutzung von Ionentauschern für die sulfat führen, was eine Verblockung der Membran zur chemische Analytik ist bekannt, dass die auf Polyme- Folge hat. Zur Verhinderung dieses Effektes kann vor ren basierenden Austauscherharze über sekundäre der Membrananreicherung ein Kationentausch durch- Wechselwirkungen auch mit aromatischen Verbindun- geführt werden. Speth et al. (2008) nutzten eine sol- gen interagieren; zusätzlich können Hilfsstoffe (Plas- che Technik, um mit der entsalzten, aufkonzentrierten ticiser) und verbliebene Oligo- bzw. Monomere aus Probe toxikologische Tests durchzuführen. dem Produktionsprozess der Polymere abgegeben werden, die toxikologisch relevant sein können und Die drei vorgestellten Konzepte der Festphasenanrei- daher das Testergebnis beeinflussen können. Aus cherung, Vakuum-Konzentration und Umkehrosmose diesem Grund ist der Einsatz dieses Verfahrens zur wurden in dem Forschungsvorhaben „Entstehung, Entsalzung von Wasserproben mit unbekannten Test- Vorhersage und Bewertung von Transformationspro- substanzen als kritisch einzustufen. In jedem Fall ist es dukten anthropogener Spurenstoffe bei der oxidativen ratsam, die Austauscherkapazität an den Salzgehalt Trinkwasseraufbereitung am Fallbeispiel PSM-Me- 9
2 Probenvorbereitung und Anreicherungsverfahren taboliten“ für kleine Laborversuche etabliert und auf und sollte standardmäßig durchgeführt werden. Für ihre Eignung hin untersucht. Im Verlaufe der Versu- Proben der Stufe III (z.B. native Wasserprobe) sind che hat sich gezeigt, dass die Anreicherung mittels direkte Blindproben (d.h. mit der identischen Wasser- Umkehrosmose bei einigen Substanzen zu geringen matrix ohne die toxische Substanz) nicht verfügbar. In Wiederfindungen führt, wobei Adsorptionsprozesse diesen Fällen müssen andere repräsentative Blindpro- an der RO-Membran als Ursache vermutet wurden. ben gefunden werden (d.h. mit vergleichbarer Matrix, Auch die Entsalzung an stark sauren Kationenaus- aber ohne effektauslösende Substanzen). Werden ge- tauschern wurde getestet. Hier hat sich gezeigt, dass eignete Blindproben über das Gesamtverfahren mit- einige Substanzen durch den Ionentauscher entfernt geführt, können falsch positive Resultate aufgedeckt wurden, obwohl es sich um keine Kationen handel- werden. Ergänzend hierzu sind für Tests der Stufen II te. Es müssen daher noch andere Wechselwirkungen und III geeignete Positivkontrollen über das Gesamt- vorgelegen haben. Im Fortgang dieses Projekts wurde verfahren mitzuführen, über die Matrixeffekte in der daher beschlossen, als Anreicherungsmethoden die Konzentrations-Wirkungs-Kurve oder falsch-negative Festphasenextraktion und die Vakuum-Konzentration Resultate festgestellt werden können. parallel bei allen Proben einzusetzen. 2.3 Zusammenfassung wichtiger Randbedingungen Zur erfolgreichen Durchführung toxikologischer Tests müssen oft mehrere Randbedingungen berücksich- tigt werden. Bereits die Form der Proben kann aus- schlaggebend für das Methodendesign des Tests, aber auch für die Belastbarkeit der Ergebnisse sein. Zur Verbesserung der Übersichtlichkeit wurden drei Stufen eingeführt, wobei Reinsubstanzen der Stu- fe I, Transformationsprodukte aus Anlagen der Stufe II und native Wasserproben der Stufe III zugeordnet wurden. Werden Wirkschwellen der Testsysteme in Proben nicht erreicht, müssen zusätzliche Proben- vorbereitungsschritte (z.B. Anreicherung) oder me- thodische Veränderungen (z.B. verlängerte Inkubati- onszeiten) am Testsystem vorgenommen werden. In diesen Fällen muss von standardisierten Vorschriften abgewichen werden, was ggf. die Aussagekraft der Ergebnisse mindert. Bei Anreicherungsverfahren ist zu beachten, dass es zu Substanzverlusten kommen kann und über Lösungsmittel oder Adsorbermateria- lien unerwünschte Effekte auftreten können. Das Mit- führen von Blindproben über das Gesamtverfahren ist für die Stufen I und II vom Versuchsdesign möglich 10
3 Toxikologische Testverfahren 3 für die Trinkwasserbewertung 3.1 Der gesundheitliche Orientierungs- Da sich aus der Höhe des GOW (abhängig von der wert (GOW) als Ausgangspunkt Datenlage und dem Wirkmechanismus in einer Spannbreite von 0,01 µg/L bis 3 µg/L) auch die je- Die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) fordert ein Was- weiligen Maßnahmen im Risikomanagement ergeben, ser für den menschlichen Gebrauch, das durch seinen wurde im Verbundprojekt TOX-BOX ein methodisches Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der mensch- Instrumentarium zur Erhebung toxikologischer Daten lichen Gesundheit nicht besorgen lässt. Darin kommt mittels hierarchischer Teststrategien für die jeweiligen ein Qualitätsanspruch zum Ausdruck, der nicht allein Endpunkte entwickelt. auf die Abwehr bekannter und wissenschaftlich quan- tifizierbarer Gefährdungspotenziale abstellt, sondern Für die bewertungsrelevanten Endpunkte im GOW- zugleich die Vorsorge gegen solche Gefährdungspo- Konzept wurden In-vitro-Teststrategien entwickelt. tenziale einfordert. Teststrategien müssen zum Nachweis von Gefähr- dungspotenzialen hierarchisch strukturiert sein, weil Eine toxikologische Bewertung von anthropogenen man davon ausgeht, dass ein Testsystem allein nicht Spurenstoffen im klassischen Sinne kann aufgrund ausreicht, das mögliche toxikologische Potenzial einer der mangelnden Datenlage nicht vorgenommen wer- Substanz ausreichend sicher voraussagen zu kön- den. Mit der Empfehlung des Umweltbundesamtes nen. Mit zwei bis drei In-vitro-Testverfahren innerhalb (UBA) „Bewertung der Anwesenheit teil- oder nicht eines Endpunktes sollen primäre Wirkmechanismen bewertbarer Stoffe im Trinkwasser aus gesundheitli- hinreichend sicher identifiziert werden. In Bezug zum cher Sicht” (2003) existiert ein theoretischer Ansatz zur theoretischen GOW-Konzept werden experimentelle Ableitung des gesundheitlichen Orientierungswertes Daten zum entsprechenden Endpunkt erhoben. Die (GOW), der auf den verfügbaren Daten für spezifische Festlegung des GOW erhält dadurch eine höhere wis- Wirkmechanismen (u. a. Gentoxizität, Neurotoxizität, senschaftliche Basis. Immuntoxizität) basiert. Der GOW ist ein Vorsorgewert zum Schutz der menschlichen Gesundheit und wird 3.2 Endpunkte der Bewertung immer so niedrig festgelegt, dass eine zunehmende Vervollständigung der toxikologischen Daten in der Endpunkt Gentoxizität Regel zu demselben oder zu einem höheren, aber nie zu einem niedrigeren Wert führt. Abbildung 1 zeigt die Für den Endpunkt Gentoxizität werden der Einsatz der hierarchische Festlegung des GOW. Auch bei Fehlen bakteriellen Testsysteme umu-Test, Ames-Test und toxikologischer Daten genügt der GOW = 0,1 µg/L Mikrokerntest empfohlen. Die Testverfahren folgen der Mindestanforderung in § 6 (1) TrinkwV 2001, dem- in ihrer Durchführung ISO-Vorschriften bzw. OECD- gemäß selbst von lebenslangem Genuss eines mög- Prüfrichtlinien. Besonderes Augenmerk wird auf die licherweise belasteten Trinkwassers kein Anlass für Berücksichtigung eines adäquaten Metabolismus ge- eine gesundheitliche Besorgung ausgehen darf. legt, um eine Aussage hinsichtlich der Humanrelevanz erhobener Befunde treffen zu können. Das heißt in der Es gilt heute als anerkannt, dass die Kombination von Anwendung der Einsatz von spezifischen Teststäm- Ames-Test und Mikrokerntest nahezu 90 % der in vivo men in den bakteriellen Testverfahren und humanifi- gentoxischen Nagetierkanzerogene sicher erfasst. zierter Säugerzellkulturen im Mikrokerntest. Für den Mikrokerntest gilt, dass die Durchführung im mikros- 11
3 Toxikologische Testverfahren für die Trinkwasserbewertung kopischen Verfahren und im Durchflusszytometer als dung über die Reihenfolge der Versuche in Bezug auf gleichwertig zu betrachten ist. die metabolische Aktivierung der Probe (z. B. mit S9) vereinfachen. Die Rezeptor-vermittelten Tests werden Endpunkt endokrine Wirkungen vorgeschlagen, da sie einen hohen Probendurchsatz und eine schnelle Durchführung gewährleisten, aber Für den Endpunkt endokrine Wirkungen wird eine dennoch einen möglichen Effekt der Substanz sensitiv Teststrategie empfohlen, die aus Rezeptor-vermit- nachweisen können. Sofern die Einzelsubstanzen in telten Tests (z. B. CALUX oder Yeast Screen) und dem Testsystem nicht metabolisiert werden, wird zu- dem H295R-Steroidogenesis-Assay bestehen. Vor sätzlich die metabolische Aktivierung der Probe durch Durchführung der ersten Schritte sollte die Testsubs- einen S9-Mix empfohlen. So können auch zusätzliche tanz, sofern die chemische Struktur bekannt ist, mit- Informationen zu einer möglichen humantoxikologi- tels ihrer Strukturmerkmale über QSAR-Programme schen Relevanz erhalten werden. Parallel dazu wird ein bewertet werden. Diese können Voraussagen über nicht Rezeptor-vermittelter Test empfohlen. Substan- (potenziell) aktive Metabolite treffen und die Entschei- zen, die ihre endokrine Aktivität nicht über Rezeptoren Gentoxisch & relevanter JA NEIN NEIN NEIN NEIN NEIN Metabolismus? JA / Gentoxisch? NEIN NEIN NEIN NEIN keine Daten Immun- und/oder JA / NEIN NEIN NEIN Neurotoxisch? keine Daten JA / Subchronische Toxizität? NEIN NEIN keine Daten JA / Chronische Toxizität? NEIN keine Daten 3,0 µg/L > 3,0 µg/L (GOW5) Orientierungswert: µg/L Besorgnisbereich 1,0 µg/L Gesundheitlicher (GOW4) 0,3 µg/L (GOW3) 0,1 µg/L Vorsorgebereich (GOW1) ≤ 0,01 µg/L (GOW0) Abb. 1: Bewertung teil- oder nicht-bewertbarer Stoffe im Trinkwasser nach dem GOW-Prinzip. (Gemäß Empfehlung des Umweltbundesamtes 2003) 12
Toxikologische Testverfahren für die Trinkwasserbewertung 3 vermitteln, können über diesen Test trotzdem noch, Gleichgewichts durch ROS-Nachweis und Verände- z. B. durch die Beeinflussung der Steroidogenese, rungen des Anteils an reduziertem Glutathion sowie nachgewiesen werden. Diese Tests bieten zudem die weiterer Apoptoseparameter wie MMP-Verlust und Möglichkeit, tiefergehende Mechanismus-spezifische Caspasenaktivierung erfasst. Veränderungen dieser Wirkweisen aufzuklären. sogenannten Vorläuferereignisse („precursor events“) ermöglichen eine erste Abschätzung des toxischen Mit den jeweiligen Testsystemen sollten Konzentra- Potenzials und auffälliger toxischer Mechanismen. tions-Wirkungs-Beziehungen sowie minimal wirksa- me Konzentrationen (LOEC) ermittelt werden können, In der zweiten Teststufe werden vergleichende Un- die dann in das GOW-Konzept einfließen. Sofern die tersuchungen zur Zellmorphologie und Nekrose mit angehängten Arbeitsanweisungen keine genaueren SH-SY5Y-Neuroblastomzellen und mit Hep G2-Le- Angaben machen, sollten die zytotoxischen Effekte berkarzinomzellen durchgeführt. Untersuchungen zur der Proben in den getesteten Konzentrationen jeweils Apoptose, der Induktion von oxidativem Stress und nicht über 20 % liegen. von Veränderungen des GSH-Gehaltes in Zellen lie- fern weitere Daten zur Beurteilung stärkerer oder auf- Endpunkt Neurotoxizität fälliger Wirkungen der chemischen Substanzen auf Neuroblastomzellen und damit Hinweise auf mögliche Für den Endpunkt Neurotoxizität wurde eine dreistu- neurotoxische Wirkungen. fige Teststrategie entwickelt. Dabei besteht die erste Stufe aus relativ einfachen und unspezifischen Verfah- In der dritten Teststufe werden weiterführende Unter- ren zur Toxizitätsprüfung und zum Nachweis von Vor- suchungen an SH-SY5Y-Zellen sowie an primären läuferereignissen („precursor events“). Die dritte Stufe humanen Astrozyten durchgeführt. In die In-vitro-Test- bestätigt oder verwirft die in der zweiten Stufe ange- strategie werden deshalb Untersuchungen an primären zeigten neurotoxischen Verdachtsmomente durch humanen Astrozyten zu zytotoxischen und morphologi- spezifische Nachweisverfahren. Nachfolgend werden schen Veränderungen einbezogen. An den Neuroblas- die wesentlichen In-vitro-Testsysteme benannt. Die tomzellen der SH-SY5Y-Zelllinie werden Untersuchun- detaillierte Beschreibung der umfangreichen Testpro- gen zur Beeinflussung der Neuritendifferenzierung und tokolle kann im TOX-BOX-Leitfaden „Gefährdungs- der intrazellulären Signaltransduktion untersucht. basiertes Risikomanagement für anthropogene Spu- renstoffe zur Sicherung der Trinkwasserversorgung“ Ableitung eines GOW eingesehen werden. Zur Ableitung eines GOW werden die endpunktbe- Die in der ersten Teststufe durchgeführten Testverfah- zogenen Testergebnisse im Sinne einer Ja-/Nein- ren an den Blutzelllinien Jurkat und U-937 zum Nach- Entscheidung herangezogen und in seiner Höhe als weis der Zytotoxizität der chemischen Substanzen, numerischer Wert festgelegt (s. Abb. 1). differenziert in Nekrose und Apoptose, liefern durch Ermittlung von EC10- bzw. EC50-Werten und der nied- 3.3 Ausblick zur Bewertung von rigsten apoptotisch wirksamen Konzentrationen Infor- Trinkwasser mationen zur Stärke der Zytotoxizität. Zur Charakteri- sierung der ablaufenden zytotoxischen Mechanismen Eine direkte (gen-)toxikologische Bewertung von werden in dieser Teststufe Veränderungen des Redox- Trinkwasser bzw. von behandeltem Wasser ist mit 13
3 Toxikologische Testverfahren für die Trinkwasserbewertung den im PRiMaT-Projekt entwickelten Methoden aus Für die Art der Blindproben können zwei Fälle unter- Sicht der Autoren nicht möglich. Es handelt sich hier schieden werden: um Proben der Stufe III. Es wird davon ausgegangen, dass typischerweise die Gehalte organischer Was- a) Bei technischen Prozessen, in denen Transforma- serkontaminanten unter 1 µg/L liegen. Durchläuft ein tionsprodukte erwartet werden, jedoch keine Sub- solches Wasser eine Aufbereitung und bilden sich stanzgehalte dotiert werden (z.B. reale großtech- hierdurch mehrere Transformationsprodukte, liegen nische Anlagen), kann als Blindprobe das Wasser die Einzelgehalte nochmals niedriger. Auch mit den im vor der Wasserbehandlung verwendet werden. Projekt erarbeiteten beiden Anreicherungsverfahren werden maximal nur ca. 50 µg/L erreicht. Im Vergleich b) Steht nur eine Wasserprobe zur Verfügung (z.B. zu den einzusetzenden Gehalten an Positivsubstan- Leitungswasser) und zeigt diese Probe eine Wir- zen in (gen-)toxikologischen Testsystemen im unteren kung in den Tests, steht keine perfekte Blindpro- Milligramm-pro-Liter-Bereich ist zu bezweifeln, dass be zur Verfügung. Es muss dann auf eine andere Gehalte von < 50 µg/L die Wirkschwellen überschrei- Wassermatrix ausgewichen werden, die ähnlich in ten. Insofern ist mit falsch-negativen Aussagen zu ihrer Zusammensetzung ist, jedoch keine Wirkung rechnen. Ein Auswege zur Schließung dieser Konzen- zeigt. trationslücke ist die Anwendung von Probenvorbe- reitungsverfahren mit großen Anreicherungsfaktoren Treten bei Blindproben in stark angereicherten Proben (1000-fach und höher). Die Herausforderung an das in allen Fällen Wirkungen auf, kann die Ursache des Anreicherungsverfahren besteht darin, eine umfassen- Effekts ggf. auch aus der aufkonzentrierten Wasser- de 1000-fache Anreicherung aller möglichen Wasse- matrix, dem Anreicherungsmaterial oder den verwen- rinhaltsstoffe zu erreichen (unpolare, polare, neutrale, deten Lösungsmitteln stammen. Hier ist zu bedenken, kationische und anionische Verbindungen). Zudem dass bei einer umfassenden 1000-fachen Anreiche- muss das erhaltene Konzentrat dann auch kompatibel rung ein DOC-Gehalt von ca. 1000 mg/L und ein Salz- zu den nachfolgenden toxikologischen Testsystemen gehalt von rund 200 g/L erzielt werden. sein (Lösungsmittelanteil, Salzgehalt). 3.4 Ausblick zur Bewertung technischer Abschließend soll noch auf die Problematik der Blind- Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung und Positivkontrollen über das Gesamtverfahren bei Untersuchungen nach Stufe III eingegangen werden. Sollen die Transformationsprodukte einer bekannten Positivkontrollen lassen sich, so wie bei der Durch- Wasserkontaminante, die in einer Wasserbehand- führung in Stufe II, durch Dotieren in die zu prüfende lungsanlage auf einem biologischen, chemischen Wassermatrix generieren. Es ist dann ein positiver Be- oder physikalischen Weg gebildet wurden, untersucht fund zu erwarten, der eine dem Anreicherungsfaktor werden, können die Konzepte der Stufen I und II an- entsprechende Wirkung aufweist. In diesem Fall darf gewandt werden: das Wasser ohne Dotierung keine oder nur eine ge- ringe Wirkung im toxikologischen Test zeigen. Liegen ■■ Bei bekannten und als Reinsubstanzen zugängli- hier erhöhte Wirkungen vor, muss eine andere Was- chen Transformationsprodukten kann eine Einzel- sermatrix verwendet werden. stofftestung bzw. Stoffbewertung aus Literatur- daten durchgeführt werden (Stufe I). Als Beispiel sei die Bewertung von N,N-Dimethylnitrosamin 14
Toxikologische Testverfahren für die Trinkwasserbewertung 3 (NDMA), einem Transformationsprodukt des PSM- Metaboliten N,N-Dimethylsufamid (DMS) im Pro- zess der Ozonung angeführt. Aus den vorhanden toxikologischen Daten zu diesem Stoff konnte ein GOW-Wert von 0,01 µg/L abgeleitet werden. Die Bewertung der Aufbereitungsstufe in Bezug auf das NDMA-Bildungspotenzial erfolgt hier über chemische Analytik. ■■ In vielen Fällen sind die gebildeten Transformations- produkte von Wasserkontaminanten nicht in ihrer Zusammensetzung und in ihren Gehalten bekannt. Eine umfassende Aufklärung und Quantifizierung aller Transformationsprodukte ist in den meisten Fällen nicht möglich. Insofern kann die Bewertung der technischen Anlage nicht über Konzepte der Stufe I durchgeführt werden. Bei unbekannten Substanzgemischen wird daher die toxikologi- sche Testung der gesamten Wasserprobe emp- fohlen. Um Wirkschwellen zu erreichen, müssen über Dotierungen erhöhte Konzentrationen erzielt werden. Es ist dabei fallabhängig zu prüfen oder abzuschätzen, ob der Aufbereitungsprozess bei erhöhten Stoffgehalten noch die gleichen Trans- formationsprodukte in gleichen relativen Anteilen bildet. Mit den im PRiMaT-Projekt erarbeiteten Kombinationen aus Wasserbehandlung, optionaler Anreicherung und anschließender toxikologischer Testung liegt nun eine Methodik vor, die Bewer- tungen technischer Anlagen für Proben der Stufe II durchführen zu können. 15
4 4 Ökotoxikologische Testverfahren 4.1 Laborbasierte In-vitro- und In-vivo- tung grundsätzlich nicht für die Ableitung von siche- Testsysteme ren Konzentrationen von Einzelstoffen für die Umwelt herangezogen. Sie spielen jedoch eine wichtige Rolle, Ähnlich wie in der Humantoxikologie werden auch in der wenn es darum geht, unerwünschte Stoffeigenschaf- Ökotoxikologie laborbasierte und oft standardisierte ten, wie beispielsweise bei den CMR-Stoffen (carcino- Biotestverfahren eingesetzt, um prospektiv das mit genic, mutagenic and toxic to reproduction), zu de- der Präsenz von Chemikalien in der Umwelt verbun- nen auch endokrine Disruptoren zählen, zu erfassen. dene Risiko zu bewerten. Hierzu existieren standar- Daneben ermöglichen sie eine zielgerichtete Auswahl disierte Protokolle im Bereich von z. B. REACH, dem von In-vivo-Tests, wenn zuvor mit In-vitro-Assays spe- Arzneimittelgesetz oder dem Pflanzenschutzgesetz, zifische Wirkmechanismen ermittelt wurden. Dieses nach denen die Ökotoxizität eingestuft wird. Die Test- Vorgehen wird auch als intelligent testing strategy (ITS) substanz wird dabei als Einzelstoff geprüft (entspricht bezeichnet. Stufe I gemäß der im Kapitel 2 eingeführten Systema- tik). Grundlage der ökotoxikologischen Umweltrisi- Die retrospektive Umweltbewertung hebt sich von kobewertung sind die Konzentrationen, bei denen in der humantoxikologischen Vorgehensweise ab. Hier laborbasierten In-vivo-Tests Veränderungen bei den werden komplexe Umweltmatrices, wie Abwasser, erfassten Parametern (sogenannte Endpunkte) im Oberflächenwasser oder Sedimente, die bereits stoff- Vergleich zu einer unbelasteten Kontrolle auftreten. Als lich belastet sind, auf der Basis der u.a. in Tabelle 1 ge- Effektkonzentrationen werden bei Akuttests mit einer listeten Biotests hinsichtlich des Gefährdungspotenzi- maximalen Dauer von 96 h die LC50 (letale Konzentra- als bewertet, dem exponierte Organismen ausgesetzt tion für 50% der geprüften Individuen) oder die EC50 sind. Die Ergebnisse der Biotests werden vergleichend (Konzentration, bei der 50% der geprüften Individuen relativ zu Positiv- bzw. Negativstandards, Positiv- bzw. einen Effekt zeigen), bei chronischen Tests die NOEC Negativkontrollproben oder Referenzproben beurteilt. (no observed effect concentration als höchste im Test Neben der Bewertung von Einzelstoffen (Stufe I) kön- eingesetzte Konzentration ohne signifikanter Abwei- nen mit Hilfe der Biotests Substanzen bzw. Substanz- chung von der unbelasteten Kontrolle) oder alternativ gemische analysiert werden, die über einen Prozess die EC10 (Konzentration, bei der 10% der geprüften generiert werden (Stufe II), z.B. Transformationspro- Individuen einen Effekt zeigen) ermittelt. Zur Ableitung dukte, die bei der Ozonung von Abwasser gebildet von sicheren Konzentrationen für die Umwelt (z.B. werden, und es ist eine Wirksamkeits- und Effizienz- PNEC – predicted no effect concentration oder UQN bewertung von Technologien möglich, wie beispiels- – Umweltqualitätsnorm für Gewässer) werden die weise die vergleichende ökotoxikologische Bewertung Effektkonzentrationen mit Sicherheitsfaktoren (as- von weitergehenden Abwasserbehandlungsverfahren sessment factors) verrechnet, die, abhängig von der über die Untersuchung nativer Abwasserproben (Stufe Testdauer und dem Testdesign, zwischen 1000 und III), wie sie im Rahmen der RiSKWa-Projekte Schussen- 10 variieren. Bei sogenannten Higher-tier-Tests, z.B. Aktivplus und TransRisk erfolgte (vgl. hierzu Kapitel 5). Mesokosmen als Modellökosysteme mit komplexen Lebensgemeinschaften, sind niedrigere Sicherheits- Für die ökotoxikologische Bewertung weitergehender faktoren üblich. Abwasserbehandlungsverfahren können sowohl die Ergebnisse von In-vitro- als auch von In-vivo-Tests Die Ergebnisse aus In-vitro-Tests (Assays) werden herangezogen werden. Als Referenz zur Beurteilung bisher in der ökotoxikologischen Umweltrisikobewer- der Effizienz des weitergehenden Verfahrens dient 16
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