INNOVATIVE ARBEITSWELT - DKE

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INNOVATIVE ARBEITSWELT - DKE
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DEUTSCHE NORMUNGSROADMAP
KÜNSTLICHEARBEITSWELT
INNOVATIVE INTELLIGENZ
INNOVATIVE ARBEITSWELT - DKE
HERAUSGEBER

DIN e. V.                         DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik
                                  Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE
Burggrafenstraße 6                Stresemannallee 15
10787 Berlin                      60596 Frankfurt am Main
Telefon: +49 30 2601-0            Telefon: +49 69 6308-0
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Internet: www.din.de              E-Mail: standardisierung@vde.com
                                  Internet: www.dke.de

Bildnachweise:
Titelbild: fizkes – stock.adobe.com
Kapiteleingangsgrafiken: XuBing (S. 3), frender (S. 7), kras99 (S. 15), MH (S. 25),
Visual Generation (S. 35, 55), SIAMRAT.CH (S. 71) – stock.adobe.com
Fotos UseCases: Jevtic (S. 27), industryview (S. 29), Paul_Bradbury (S. 31) – istockphoto.com
opolja (S. 31), Gorodenkoff (S. 33) – stock.adobe.com

Die weibliche Form ist der männlichen Form in dieser Roadmap gleichgestellt;
lediglich aus Gründen der Vereinfachung wurde die männliche Form gewählt.

Stand: Januar 2021
INNOVATIVE ARBEITSWELT - DKE
INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    3

1            Gesellschaftspolitischer Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                               7
1.1          Beschreibung der Akteure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          8
1.2          Neue Entwicklungen und ­Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10

2            Unternehmensführung und Normung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15
2.1          Grenzen der Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16
2.2          Unternehmen und Organisationen als Gestaltungsraum der Arbeitswelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17
2.3          Unternehmensführung braucht gute Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19
2.4          Unternehmensführung ­bedeutet Management von Vielfalt und ­Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20
2.5          Rolle der Sozialpartnerschaft in der Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
2.6          Unternehmensführung in der ­Normung – Kritische B
                                                             ­ estands­aufnahmen nötig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22

3            Use Cases . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25
             Use Case 1: Produktion in der Agrarwirtschaft – Effiziente Bodennutzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27
             Use Case 2: Produktion in der ­Industrie – Digitale Assistenzsysteme in der manuellen Montage. . . . . . . . . . . . . 29
             Use Case 3: Call Center – Customer Service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  31
             Use Case 4: Sonstige Dienst­leistungen – Digitalisierung im ­Immobilienmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  33

4            Arbeitsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  35
4.1          Grundlagen und Rahmen­bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  36
4.2          Prozess der Gestaltung des ­Arbeitssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  39
4.4          Gestalten der Aufgaben und ­Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  43
4.5          Gestalten der Produkte, Arbeitsmittel und Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45
4.6          Gestalten der Arbeitsumgebung, A
                                            ­ rbeitsraum, Arbeitsplatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  46
4.7          Handlungs- und Anwendungs­empfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48

5            Wissen, Kompetenz und Lernen in der Innovativen Arbeitswelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  55
5.1          Darstellung der Ausgangssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  56
5.2          Handlungsempfehlungen zum ­Thema Wissen, Kompetenz und L
                                                                    ­ ernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  67

6            Künstliche Intelligenz und Daten im Rahmen der Innovativen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71
6.1          Sozio-technisches Arbeitssystem durch KI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  74
6.2          Herausforderungen auf Basis des ­sozio-technischen Arbeits­systems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80
6.3          Handlungsempfehlungen an die ­Normung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  82

7            Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  85

                                                                                                                                                                  Innovative Arbeitswelt – 1
EINLEITUNG

             3
EINLEITUNG

Motivation                                                      verstanden. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen
Der Wandel der Arbeitswelt wird von Faktoren, wie dem           und ­Umstände, unter denen die Generationen ­heranwachsen,
technologischen Fortschritt (Digitalisierung, Künstliche        können die Werte hinsichtlich der Lebensmodelle und
­Intelligenz), Nachhaltigkeit, demografischen Entwicklungen     Arbeitseinstellung beeinflussen. Zudem vollzieht sich der
und dem Wertewandel in der Gesellschaft oder der Globali­       Wertewandel nicht ausschließlich generationsübergreifend,
sierung, beeinflusst. Aber auch eine Pandemie, wie der          wodurch auch innerhalb einer Generation Veränderungen
­globale Ausbruch der Coronavirus-Erkrankung (Covid-19)         des Wertegefüges entstehen können.
zeigte, kann den Wandel der Arbeitswelt beeinflussen.
                                                                Die Globalisierung ist das weltweite Zusammenwachsen von
Technologien werden kontinuierlich weiterentwickelt. Die        Märkten. Dadurch steigt die Transparenz der Märkte, und
Digitalisierung der Prozesse in Unternehmen und anderen         neue internationale Verflechtungen sowie Kooperationserfor-
Organisationen schreitet voran, und es werden zunehmend         dernisse entstehen. In diesem Zusammenhang müssen auch
erste einfache KI-Lösungen in die Geschäftsprozesse ein­        neue Risikofaktoren in der Lieferkette gemanagt werden. Dies
gebunden.                                                       wirkt sich auf die Unternehmensstrukturen und somit auch
                                                                auf die Arbeitswelt aus.
Alle volkswirtschaftlichen Sektoren werden zunehmend
von digitalen Anwendungen unterstützt. Dadurch entstehen        Hintergrund und Ziel
zum einen neue Geschäftsmodelle für Unternehmen und             Die Normungsroadmap Innovative Arbeitswelt verfolgt einen
Organi­sationen, zum anderen verändert sich dadurch in          anthropozentrischen Ansatz. Das heißt, dass die Handlungs-
vielen Bereichen das Tätigkeitsfeld der Arbeitnehmer. Es wird   empfehlungen und Inhalte die Verbesserung der mensch-
daher immer wichtiger, dass die digitalen Fähigkeiten der       lichen Arbeit unter Berücksichtigung der zuvor genannten
Führungskräfte und Arbeitnehmer weiterentwickelt werden.        Faktoren fokussieren. Dabei ist es wichtig, dass sichergestellt
Dadurch verändern sich bestehende Ausbildungen und neue         wird, dass technologische Entwicklungen den Mensch bei
entstehen.                                                      seiner Arbeit unterstützen. Bei der Einführung neuer Techno-
                                                                logien, die die Arbeit der Mitarbeitenden beeinflusst, spielen
Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeits­           zudem betriebswirtschaftlich relevante Faktoren, wie Wettbe-
aspekte (3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit) können             werbsfähigkeit, Effizienz, Effektivität und Innovationsfähigkeit
Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle verändern. Sofern        eine entscheidende Rolle. Die Normungsroadmap richtet sich
ein Unternehmen oder eine Organisation diese drei Ebenen        gleichermaßen an Unternehmen und Organisationen, auch
der Nachhaltigkeit in die Geschäftsprozesse implementieren      wenn in den Kapiteln aufgrund der besseren Lesbarkeit nur
möchte, ist hierfür ein Umdenken und eine Restrukturierung      der Begriff Unternehmen verwendet wird.
bestehender Prozesse in vielen Unternehmensbereichen
erforderlich.                                                   Analog zu dem Begriff Arbeitswelt 4.0 wird in der vorliegen-
                                                                den Normungsroadmap der Begriff Innovative Arbeitswelt
Demografische Entwicklungen beeinflussen die Arbeitswelt        verwendet.
dahingehend, dass die sich ändernde Bevölkerungsstruktur
Auswirkungen auf die Gestaltung der Arbeitsorganisation und     Das Ziel dieser Normungsroadmap ist es, aufzuzeigen, in
der Arbeitssysteme haben.                                       welchen Bereichen die Entwicklung der zukünftigen Arbeits-
                                                                welt durch Normung und Standardisierung vorangetrieben
Unter dem Wertewandel werden die Veränderungen der              werden kann. Zudem soll herausgestellt werden, bei welchen
individuellen und gesellschaftlichen Wertevorstellungen         Themen Normung und Standardisierung eine ­unterstützende

4 – Innovative Arbeitswelt
EINLEITUNG

Rolle einnehmen kann. Des Weiteren wird aufgezeigt, wo            den aktuelle Entwicklungen in diesen Bereichen dargestellt
ein Vorrang von anderen Gestaltungssystemen (Gesetzgeber,         und Handlungsempfehlungen für die Normung und Standar-
Sozialpartner) existiert (siehe Abbildung 2).                     disierung aufgezeigt.

Kapitelübersicht                                                  Das Kapitel Künstliche Intelligenz (KI) und Daten im
Das Kapitel Gesellschaftspolitischer Rahmen beschreibt die        ­Rahmen der Innovativen Arbeitswelt erläutert die durch KI
relevanten Akteure, neue Entwicklungen und Auswirkungen           ­steigende Relevanz des soziotechnischen Arbeitssystems
durch die Digitalisierung auf die Arbeitswelt sowie damit         und zeigt die sich daraus ergebenden Herausforderungen
einhergehende Herausforderungen. Diese Entwicklungen              auf. ­Anschließend werden Handlungsempfehlungen für die
haben Auswirkungen auf die Führung von Unternehmen und            Normung und Standardisierung abgeleitet.
Organisationen. In dem Kapitel Unternehmensführung und
Normung wird dargestellt, welche Aspekte bei der Neuaus-          Die Normungsroadmap Innovative Arbeitswelt greift als
richtung der Unternehmensführung beachtet werden, um              Querschnittsthema auch Inhalte aus anderen Normungs­
den Anforderungen an das Unternehmen und die Organisa­            roadmaps (Normungsroadmap Industrie 4.0 – insbesondere
tion, die mit der Transformation der Arbeitswelt einhergehen,     das Kapitel Arbeitsgestaltung, Normungsroadmap Künst­
gerecht zu werden.                                                liche Intelligenz 1)) auf.

In dem anschließenden Kapitel Use Cases werden anhand             Ausblick
von Beispielen Arbeitsweisen aus dem produzierenden               Die vorliegende erste Version der Normungsroadmap Inno­
Gewerbe und der Dienstleistungsbranche in Form von                vative Arbeitswelt soll zunächst einen Überblick zu potenziell
Steck­briefen beschrieben. Diese Use Cases werden in den          relevanten Themenfeldern aufzeigen und Impulse sowie
darauffolgenden Kapiteln (4 Arbeitsgestaltung, 5 Wissen,          Grenzen für die Normung und Standardisierung in Form von
Kompetenz und Lernen in der Innovativen Arbeitswelt und           initialen Handlungsempfehlungen geben. Sämtliche Akteure
6 Künstliche Intelligenz und Daten im Rahmen der Inno­            sind aufgefordert, sich an der weiteren Gestaltung der Nor-
vativen Arbeitswelt) aufgegriffen, um die Kapitelinhalte          mungsroadmap zu beteiligen.
­anhand von beispielhaften Szenarien aus dem Produktions-
und Dienstleistungsbereich zu veranschaulichen.                   Mit jeder neuen Version der Normungsroadmap sollen
                                                                  die Kapitel kritisch geprüft, aktualisiert, konkretisiert und
Auch zukünftig werden in der Arbeitswelt Menschen eine            weiterentwickelt werden. Die vorliegende Version 1 der
zentrale Rolle einnehmen. Um Arbeit ergonomisch, effizient,       Normungsroadmap hat somit den Charakter einer ersten
flexibel, aber auch nachhaltig und wirtschaftlich zu gestalten,   Diskussionsgrundlage, die keine vollständige Betrachtung
ist es wichtig, den Menschen mit seinen Fähigkeiten, Fertig-      des Themas beinhaltet, sondern eine Einladung zur
keiten, seinem Leistungsvermögen und seinen Leistungsgren-        → kritischen Diskussion der vorliegenden Normungs­
zen in die Gestaltung mit einzubeziehen. Dies wird in dem                roadmap und
Kapitel Arbeitsgestaltung dargestellt.                            → Mitarbeit bei der Erstellung einer nächsten Version
                                                                  ist.
Durch den Wandel der Arbeitswelt ergeben sich neue Mög-
lichkeiten für das Wissensmanagement, die Entwicklung von
Kompetenzen, die Implementierung neuer Lernformen und
die lernförderliche Arbeitsgestaltung. In dem Kapitel Wissen,     1      Veröffentlichung der Normungsroadmap Künstliche Intelligenz
Kompetenz und Lernen in der Innovativen Arbeitswelt wer-                 in 12/2020

                                                                                                                  Innovative Arbeitswelt – 5
1
Gesellschaftspolitischer
Rahmen

                           7
KAPITEL 1 – GESELLSCHAFTSPOLITISCHER RAHMEN

Abbildung 1: Akteure                                                              Politik

                                      Regelsetzer und
                                                                  Sozialpartner         Technologieanbieter   Forschungsakteure
                                    Normungsinstitute

                                                    Arbeitgeber                                       Arbeitnehmer

Der technologische Fortschritt (Digitalisierung, Automati-           Wie diese Entwicklungen der zukünftigen Arbeitswelt
sierung, Künstliche Intelligenz), Nachhaltigkeitsaspekte,            mitgestaltet werden können, wird auch auf europäischer
demografische Entwicklungen, der Wertewandel bei Berufs-             Ebene diskutiert. Die beiden Generaldirektionen
tätigen oder die Globalisierung, werden zukünftig verstärkt          DG EMPL (DG ­Employment, Social Affairs and Inclusion) und
mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die zukünftige          DG CONNECT (DG Communications Networks, Content and
Arbeitswelt haben – quantitative wie qualitative. Dies betrifft      Technology) haben eine High Level Group gegründet, um
organisatorische Aspekte (Art der Zusammenarbeit, Arbeits-           die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Europäischen
zeit, Arbeitsort), inhaltliche Aspekte (weg von körperlicher,        Arbeitsmarkt zu diskutieren und Handlungsempfehlungen zu
repetitiver, hin zu wissensgetriebener, kreativer Arbeit) und        entwickeln [4]. Zudem werden im Rahmen der europäischen
kulturelle Aspekte (Art der Führungskultur, Motivation).             Forschungs­rahmenprogramme technologische Entwick­
                                                                     lungen ­gefördert, welche die Arbeitssysteme und Arbeits­
                                                                     organisationen beeinflussen.
1.1       Beschreibung der Akteure
                                                                     Vor dem Hintergrund der Innovativen Arbeitswelt ist das
Zunächst werden die relevanten Akteure dargestellt und               Vorschriften- und Regelwerk der DGUV (Deutsche Gesetzliche
­beschrieben, die diese Entwicklungen beeinflussen und von           Unfallversicherung) entscheidend.
den o. g. Entwicklungen betroffen sind (siehe Abbildung 1).
                                                                     Regelsetzer und Normungsinstitute
Politik                                                              Die Entwicklung von Normen und Standards findet auf
Die Politik schafft hinsichtlich der Innovativen Arbeitswelt in      unter­schiedlichen Ebenen (national, europäisch, internatio­
Form von Gesetzen und Verordnungen einen rechtlichen Rah-            nal) in verschiedenen Organisationen statt. Sogenannte
men. Dieser Rahmen bildet die Basis für die anderen Akteure          „interessierte Kreise“ (Unternehmen, Handel, Hochschulen,
in diesem System. Hier werden auf politischer Ebene die              ­Forschungseinrichtungen, Verbraucher, Handwerk, Prüf­
Grundlagen zu Themen, wie Arbeitszeitgestaltung, Arbeits­            institute, Behörden usw.) senden ihre Experten in Arbeits-
schutz, Qualifizierung und Weiterbildung, Entstehung und             gruppen einer Normungsorganisation oder eines technisch-­
Umgang mit neuen Märkten und Datenschutz erarbeitet.                 wissenschaftlichen Vereins. In diesen Gremien wird die
                                                                     Normungs- bzw. Regelsetzungsarbeit organisiert und durch-
Zudem werden durch europäische und nationale Fördermaß-              geführt.
nahmen Innovationen in dem Bereich „Zukunft der Arbeit“
auf politischer Ebene unterstützt und vorangetrieben.                Im Sinne der vollkonsensbasierten Normung sind die Inter-
                                                                     nationale Organisation für Normung (ISO), die Internationale
Auf nationaler Ebene beteiligen sich mehrere Ministerien, um         Elektrotechnische Kommission (IEC) und die Internationale
die Zukunft der Arbeit mitzugestalten. Während das BMAS              Fernmeldeunion (ITU) die maßgeblichen Normungsorgani­
(Bundesministerium für Arbeit und Soziales) bei seinen               sationen auf internationaler Ebene. Die zugehörigen auf
Diskussionen zu einer neuen Arbeitswelt die Sozialpolitik in         europäischer Ebene verantwortlichen Normungsorganisatio-
den Fokus stellt [1], fokussieren die Bundesministerien BMWi         nen sind das Europäische Komitee für Normung (CEN) sowie
(Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) und BMBF              das Europäische Komitee für Elektrotechnische Normung
(Bundesministerium für Bildung und Forschung) die Förde-             (CENELEC) und das Europäische Institut für Telekommunika-
rung technologischer, aber auch sozialer Innovationen zur            tionsnormen (ETSI). Mitglieder in ISO, IEC, CEN und CENELEC
Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt [2, 3].                       sind die jeweils nationalen Normungsorganisationen.

8 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 1.1 – Beschreibung der Akteure

Darüber hinaus gibt es noch weitere wichtige Institutionen,    Prozesse verändern. Ein Beispiel hierfür ist die Plattformöko-
die anerkannte Regeln der Technik veröffentlichen. In diesem   nomie. Die Entwicklung von Plattformen zu verschiedenen
Zusammenhang sind insbesondere der VDI, VDE, VDMA und          Produkten und Dienstleistungen hat bestehende Geschäfts-
DVGW als bekannte deutsche Regelsetzer zu nennen. Bei der      modelle verändert, und gänzlich neue Geschäftsmodelle sind
Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeits- und     entstanden. Die Bereitstellungen von Produkten und Dienst-
Sozialnormen spielt die ILO (Internationale Arbeitsorganisa­   leistungen über Online-Plattformen hat unmittelbare Auswir-
tion) zudem eine wichtige Rolle.                               kungen auf bestehende Arbeitsorganisationsstrukturen, da
                                                               hieraus anderweitige Beschäftigungsverhältnisse resultieren
Sozialpartner                                                  oder auch gänzlich neue Tätigkeitsfelder entstehen.
Die Sozialpartner, sprich Gewerkschaften und Arbeitgeber-
verbände, tragen als Tarifvertragsparteien entscheidend zur    Forschungsakteure
„Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedin-      Forschungsakteure sind Einrichtungen, die für die Koordi-
gungen“ bei, indem sie durch die gemeinsame Regelung von       nierung und Durchführung von Forschungsprojekten ver-
Lohn- und Arbeitsbedingungen über Tarifverträge die Soziale    antwortlich sind. Hierzu zählen insbesondere Universitäten,
Marktwirtschaft maßgeblich tragen und gestalten. Die Sozial-   außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (z. B. Fraunhofer-­
partner verhandeln Arbeits- und Entlohnungsbedingungen,        Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemein-
um daraus z. B. branchenspezifische Tarifverträge zu gestal-   schaft, Max-Planck-Gesellschaft), aber auch Unternehmen
ten. Die Sozialpartner tragen so gemeinsam zur Gestaltung      und Organisationen, die sich an öffentlichen oder privaten
des Wandels der Arbeitswelt bei.                               Forschungsprojekten beteiligen. Öffentliche Forschungs-
                                                               projekte auf nationaler Ebene werden in der Regel von dem
Neben der Mitwirkung an wirtschaftspolitischen Entscheidun-    entsprechenden Bundesministerium finanziell gefördert und
gen bringen sich die Sozialpartner bspw. durch die Begutach-   von den Projektträgern bei der organisatorischen Umsetzung
tung von Gesetzestexten auch in rechtliche Diskussionen und    unterstützt. Europäische Forschungsprojekte werden im
Entscheidungsfindungsprozesse ein.                             Rahmen von verschiedenen Forschungsprogrammen von der
                                                               Europäischen Kommission gefördert.
Technologieanbieter
Technologieanbieter sind Unternehmen und Institutionen,        Bezüglich der Innovativen Arbeitswelt sind insbesondere
die durch technologische Lösungen die Entwicklungen und        diejenigen Forschungsaktivitäten von großer Bedeutung, die
Trends der zukünftigen Arbeitswelt beeinflussen.               technologische Innovationen entwickeln und umsetzen, die
                                                               Einfluss auf die Arbeitsgestaltung und -organisation haben.
Neue Technologien können die Einhaltung von gesetzlichen
Vorgaben vereinfachen oder auch erschweren, Maßnahmen          Insbesondere im Arbeitsschutz ist es wichtig, dass die zuvor
zum Gesundheitsschutz unterstützen und Entwicklungen           beschriebenen Akteure gut zusammenarbeiten. Die nach-
und Trends vorantreiben oder auch bremsen. Die Entwick-        folgende Grafik verdeutlicht den Zusammenhang und die
lung von neuen Technologien kann die Veränderung von           Abgrenzung der Gesetze und Dokumente der zuvor beschrie-
Arbeitsweisen, Arbeitsaufgaben und der Arbeitsorganisation     benen Akteure:
nach sich ziehen. Somit haben die Entwicklungen und neuen
Produkte der Technologieanbieter wiederum Auswirkungen
auf die Politik, die Regelsetzung, die Forschung, aber auch
die betriebliche Ebene, da sich ggf. arbeitsorganisatorische

                                                                                                       Innovative Arbeitswelt – 9
KAPITEL 1 – GESELLSCHAFTSPOLITISCHER RAHMEN

Abbildung 2: Rechts­hierarchie
im Arbeitsschutz (in Anlehnung
an Dr. Horst Riesenberg-Mordeja –
­Riesenbergpyramide)

Zielgruppe: Arbeitgeber und Arbeitnehmer                        proben, gehört bereits heute für die überwiegende Mehrheit
Die zuvor beschriebenen Akteure sind für den Aufbau und         zum alltäglichen Teil ihres Arbeits-, Freizeit- und Familien­
die Pflege des Rahmenwerks und die Entwicklung technolo-        lebens. Die Bandbreite der Anwender umfasst sämtliche
gischer Lösungen sowie neuer Methoden und Instrumente           Altersgruppen.
verantwortlich, um die zukünftige Arbeitswelt zu gestalten.
                                                                Mit dem vermehrten Einsatz digitaler Technologien und
Im Fokus dieser Entwicklungen stehen die Arbeitnehmer und       weiteren damit verbundenen Innovationen sind viele Chan-
die Arbeitgeber. Einerseits sollen die Arbeitsbedingungen an    cen verbunden – für Wachstum, für Startups wie für etablierte
den technologischen Fortschritt, die geänderten Anforderun-     Unternehmen und Organisationen, zur Schaffung und zur
gen aber insbesondere an die Bedürfnisse der Beschäftigten –    Sicherung von Arbeitsplätzen, für Flexibilitätsgewinne auf der
wenn erforderlich und/oder gewünscht angepasst werden.          betrieblichen wie auf der individuellen Ebene. Doch es gibt
Andererseits sollen Arbeitgeber bei unternehmerischen           auch neue Herausforderungen und Risiken, die auf den ver-
Entscheidungen unterstützt werden, um die Arbeitsbedin-         schiedensten Ebenen und in teilweise völlig neuen Kontexten
gungen in den Unternehmen und Organisationen und deren          und Wirkungszusammenhängen entstehen können. Diese
wirtschaftlichen Erfolg weiterhin auf hohem Niveau zu halten.   werden in dem Abschnitt Herausforderungen dieses Kapitels
Somit sind die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugleich Ziel-      näher dargestellt.
gruppe und Hauptadressaten der von den Akteuren angebo-
tenen Lösungen, sowie auch selbst Akteure und handelnde         Die Aufgabe für eine gute Governance dieser Herausforde-
Subjekte und müssen entsprechendes Gewicht bei der              rungen besteht darin, diese Risiken systematisch zu erfassen,
Entwicklung derartiger Lösungsansätze haben.                    zu kategorisieren und nach Regulierungs-, Regelungs- und
                                                                Umsetzungsebenen zu ordnen.

1.2     Neue Entwicklungen und                                  Neben der Politik spielen die Sozialpartner eine entschei-
        ­ uswirkungen der Digitalisierung
        A                                                       dende Rolle, um die Chancen zu nutzen und die Herausfor-
        auf die Arbeitswelt                                     derungen zu meistern. Insbesondere bei technologischen
                                                                Entwicklungen, die die Arbeitswelt beeinflussen, spielen
Digitale Technologien gewinnen zurzeit rasant an Bedeutung      auch Normungsinstitute eine wichtige Rolle. Das Verhältnis
im Lebens- und Arbeitsalltag vieler Menschen. Sie – gezielt     der verschiedenen Akteure zueinander wird in Kapitel 1.1
oder notwendigerweise – zu benutzen bzw. mit ihnen umzu-        Beschreibung der Akteure dargestellt.
gehen oder aber auch aktiv neue Einsatzmöglichkeiten zu er-

10 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 1.2 – Neue Entwicklungen und ­Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Die damit verbundenen Herausforderungen sind vielfach           NEUE FORMEN DER ZUSAMMENARBEIT
nicht auf die Arbeitswelt beschränkt. Unternehmerische Ent-     („COLLABORATION“)
scheidungen können gesellschaftliche Auswirkungen haben.        Die Zusammenarbeit interner und externer Arbeit­
Welche weiteren Aspekte bei der Unternehmensführung zu          nehmer (Kernbelegschaft mit Werkvertragsnehmern,
berücksichtigen sind und wie Normung hierbei unterstützen       Free­lancern oder Crowdworkern) sowie neue Formen
kann, wird in Kapitel 2 Unternehmensführung und Normung         der Zusammenarbeit mit Kunden oder fachlich Inte­
dargestellt.                                                    ressierten, wie CROWDINNOVATION, CO-CREATION,
                                                                ­CO-PRODUCTION nehmen zu.
Nutzung digitaler Technologien, auch über die klassische
Arbeitswelt hinaus

                                                              Diese digitalen Technologien können von Normung und
  RÄUMLICHE BEZIEHUNG/VERFLECHTUNG/                           Standardisierung in folgenden Bereichen unterstützt
  VERKNÜPFUNG/VERBINDUNG                                      ­werden:
  Mobile Arbeit im öffentlichen Raum oder zu Hause            → gesicherte, anerkannte Methoden und Werkzeuge für
  (hier lassen sich nicht dieselben Anforderungen wie             eine prospektive Beurteilung von neuen (in der genauen
  in der Betriebsstätte umsetzen, Bsp. Lärmschutz,                Wirkung noch unbekannten) Arbeitsmitteln.
  Ergonomie)                                                  → Normung kann Beschaffenheitsanforderungen definie-
  ZEITLICHE BEZIEHUNG/VERFLECHTUNG/                               ren, sodass Arbeitsmittel für mobiles Arbeiten gesund-
  VERKNÜPFUNG/VERBINDUNG                                          heitsgerecht entwickelt und gestaltet werden können.
  Immer weniger Erwerbspersonen arbeiten zu „festen“          → Normen und Standards der erforderlichen Security (IT-­
  Zeiten; durch mobile Nutzungsmöglichkeiten ist eine             Security, Cyber-Security, Privacy), insbesondere um ab-
  klare zeitliche Trennung von Arbeit und Freizeit in             sichtlich oder unabsichtlich erzeugte Fehlfunktionen von
  vielen Bereichen erschwert, nicht immer möglich und             Maschinen oder Geräten, die zu einer Gefährdung von
  auch nicht immer gewünscht. Durch Möglichkeiten                 Bedienern oder Dritten (z. B. Patienten) führen können,
  von Home­office bzw. Mobilarbeit verschwimmen beruf­            zu verhindern. Diese tragen zur Umsetzung der europäi-
  liche und private Grenzen.                                      schen Maschinenrichtlinie (Richtlinie 2006/42/EG) bei.

  Die permanente Verfügbarkeit durch Smartphones,             In dem vorherigen Abschnitt wurden verschiedene ­Beispiele
  E-Mail- und Chatprogramme kann zu psychischen               aufgeführt, wie durch die Nutzung digitaler Medien die
  Belastungen bei den Arbeitnehmern führen.                   Grenzen der Arbeitswelt beeinflusst werden. Eines davon
  „BRING YOUR OWN DEVICE“                                     ist die räumliche Beziehung/Verflechtung/Verknüpfung/
  Es werden in einigen Bereichen dieselben Geräte bei         Verbindung. Auch hier ist es wichtig, dass sich die staatliche
  der Arbeit wie im Privatleben genutzt.                      Regelsetzung und die Normung sinnvoll ergänzen. Zwangs­
                                                              läufig ist hierbei der Arbeitsschutz relevant. Inwiefern hier
  Beispiel: Private Laptops oder Smartphones, die auch        Normung unterstützen kann, wird in dem Grundsatzpapier
  zum mobilen Arbeiten genutzt werden.                        zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz des
  Beispiel: Dienst-Laptop oder Smartphone, das teil­          BMAS ­beschrieben. Dieses Papier wurde von Vertretern der
  weise auch für private Kommunikation genutzt wird.          ­obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Bundes­
                                                              anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der Geschäfts­

                                                                                                       Innovative Arbeitswelt – 11
KAPITEL 1 – GESELLSCHAFTSPOLITISCHER RAHMEN

stelle der Kommission Arbeitsschutz und Normung, der            Permanentes Vermessen-und-Bewertet-Werden – Mit den
Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung,            Möglichkeiten der Digitalisierung haben auch die Varianten
der Sozialpartner, des DIN – Deutsches Institut für             der Performance-Messung zugenommen. Hier gilt wiederum,
Normung e. V. und des VDE Verband der Elektrotechnik            dass dies alle Lebensbereiche betrifft (insbes. Gesundheit,
Elektronik Infor­mationstechnik e. V. erarbeitet. [5]           Fitness, z. B. durch Wearables und durch Adaptive Computing
                                                                die Beobachtung des Gemütszustandes von Personen), eine
Herausforderungen                                               starke Zunahme aber auch in der Arbeitswelt zu beobachten
Auch die mit den neuen Technologien verbundenen Heraus­         ist. In der DIN ISO 30414:2018 werden bspw. Humankapital-­
forderungen sind vielfach nicht auf die Arbeitswelt be-         Bereiche und Humankapital-Kennzahlen dargestellt, die auf
schränkt. Sie können jedoch gerade für Erwerbstätige von        Unternehmensebene als technische Big-Data-Lösungen, wie
Bedeutung sein.                                                 People Analytics, umgesetzt werden. [8]

Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen:                   Das Kapitel hat aufgezeigt, dass bei vielen Themen der Inno-
                                                                vativen Arbeitswelt unterschiedliche Akteure eine wichtige
Datensouveränität – wer sich im Netz bewegt hinterlässt         Rolle spielen. Eine klare Abgrenzung untereinander, wie sie
­Datenspuren, unabhängig davon, ob jemand als Privatper-        in der Einleitung dargestellt wird, ist erforderlich. Dennoch
son, Arbeitnehmer oder Selbstständiger aktiv ist.               sollten sich die Akteure gegenseitig unterstützen und er-
                                                                gänzen. Normen und Standards können bspw. rechtliche
Die Datensouveränität besteht aus den beiden Komponenten        Anforderungen konkretisieren oder in Form von Guidelines
Datentransparenz und Datenkontrolle. Mit der Datenschutz-       oder DIN SPECs als praxisorientierte Leitfäden die Politik und
grundverordnung (DSGVO), welche am 25. Mai 2018 in Kraft        Sozialpartner unterstützen. Die Normungsaktivitäten sollten
getreten ist, wurden die rechtlichen Grundlagen zu diesem       ihren Fokus hauptsächlich auf die Beschreibung der techni-
Aspekt geschaffen.                                              schen Aspekte neuer und existierender Technologien legen.
                                                                Normen sind in ihrer Anwendung freiwillig und können der
Multitasking (Beziehung/Verflechtung/Verknüpfung/               Konkretisierung der verbindlichen Gesetzgebung dienen.
Verbindung) – Digitale Technologien können A
                                           ­ uswirkungen
auf die Psyche haben, die zwar vielfach im Kontext der
Arbeitswelt entstehen, jedoch über diese hinausgehen. Diese
Auswirkungen sind von Person zu Person unterschiedlich und
werden bspw. von individuellen Einstellungen, Haltungen
und Resilienzvermögen beeinflusst.

Zu psychischen Arbeitsbelastungen wurden bereits ergo-
nomische Grundlagen in der DIN EN ISO 10075-1:2017 und
DIN EN ISO 10075-2:2000 beschrieben [6, 7]. Diese sollten vor
dem Hintergrund neuer Entwicklungen und Trends in der
Arbeitswelt kontinuierlich auf Aktualität überprüft werden.

12 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 1.2 – Neue Entwicklungen und ­Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Literatur

[1]   BMAS: Weißbuch „Arbeiten 4.0“ (2017)

[2]   BMWi, BMAS: Arbeiten in der digitalen Welt (2016)

[3]   BMBF: Zukunft der Arbeit Innovationen für die Arbeit
      von morgen (2016)

[4]   High-Level Expert Group on the Impact of the Digital
      Transformation on EU Labour Markets (Zugriff am
      08.07.2020: https://ec.europa.eu/digital-single-market/
      en/high-level-expert-group-impact-digital-transforma-
      tion-eu-labour-markets)

[5]   BMAS Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im be-
      trieblichen Arbeitsschutz (2014): https://www.bmas.de/
      SharedDocs/Downloads/DE/normung-betrieblicher-­
      arbeitsschutz-2015.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[6]   DIN EN ISO 10075-1 Ergonomische Grundlagen bezüg-
      lich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgemeine
      Aspekte und Konzepte und Begriffe (ISO 10075-1:2017);
      Deutsche Fassung EN ISO 10075-1:2017

[7]   DIN EN ISO 10075-2 Ergonomische Grundlagen bezüg­
      lich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 2: Gestaltungs-
      grundsätze (ISO 10075-2:1996); Deutsche Fassung
      EN ISO 10075-2:2000

[8]   DIN ISO 30414 Personalmanagement – Leitlinien für
      das interne und externe Human Capital Reporting
      (ISO 30414:2018)

                                                                                                 Innovative Arbeitswelt – 13
2
Unternehmensführung
und Normung

                      15
KAPITEL 2 – UNTERNEHMENSFÜHRUNG UND NORMUNG

Die Gestaltung menschengerechter Arbeit in einer demo­           Arbeitsschutz oder auch im Bereich Personalmanagement
kratisch verfassten Gesellschaft ist durch Gesetze geregelt      (ISO/TC 260 Human resource management). Management-
und somit der Kontrolle des Menschen unterworfen. Unter-         normen dringen tief in die Entscheidungsprozesse von Unter-
nehmensführung kann dazu beitragen,                              nehmen und Organisationen ein und treffen dort auf andere
→ Innovationskraft in Unternehmen und Organisationen zu          maßgebliche Regulierungsebenen (Gesetze, Tarifpolitik,
      fördern und weiterzuentwickeln,                            Betriebsvereinbarungen). Eine wesentliche Notwendigkeit
→ Entscheidungswege transparent zu machen,                       liegt also in der Klärung des Verhältnisses der Normung mit
→ Vertrauensbildung durch Werteorientierung auszubilden,         anderen Regulierungsebenen und letztendlich auch das Auf-
→ Commitment, Engagement und Teilhabe sicherzustellen,           zeigen von Grenzen der Normung insbesondere im Kontext
→ (Handlungs-)kompetenzen gezielt zu stärken.                    sozialer Systeme.

Dies muss prozessual und unternehmensindividuell gestaltet       Der Vorrang von europäischen und nationalen Gesetzen, Vor-
sein. Unternehmen und Organisationen, die sich digitalisie-      schriften und Regeln auf tariflicher und betrieblicher Ebene
ren, können das nur durch eine wirksame Überprüfung ihrer        muss als klares Selbstverständnis der nationalen und inter-
Prozesse und ihrer Kultur, der Transparenz ihrer Entschei-       nationalen Normungsarbeit in besonderer Weise hervorge-
dungswege und durch eine konsequente Vertrauensbildung           hoben werden. Das betrifft sowohl die kritische Überprüfung
erreichen. Die Zukunft der Arbeitswelt wird in der Arbeitswelt   bereits vorliegender Standards als auch den Blick in die Zu-
entschieden, und durch Marktentwicklungen beeinflusst, d. h.     kunft. Parallel zur Europäisierung bleiben nationale, kulturell
in den Unternehmen und Organisationen und auch in unter-         deutlich unterschiedliche Ansätze wirksam. In Deutschland
nehmensnahen Wertschöpfungsketten.                               repräsentieren diese nationale Ebene die Unternehmens-
                                                                 verfassung, die Betriebsverfassung und das Tarifrecht. Das
                                                                 dualistische Modell der Unternehmensführung mit Vorstand
2.1      Grenzen der Normung                                     und Aufsichtsrat ist ebenfalls eine nationale Besonderheit,
                                                                 die für das „soziale System“ Unternehmen in Deutschland
Ergänzend zu den bereits zahlreich existierenden Aktivitäten     prägend ist.
in diesem Themenfeld, u. a. Aktivitäten der Bundesregie-
rung [1, 2, 3], der Sozialpartner (bspw. Kommission Arbeit       Diese eng mit dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft ver-
der Zukunft, INQA, IFAA, IW) und freier Institutionen, ist die   knüpften Steuerungselemente sind die strukturelle Grund-
Normungsroadmap Innovative Arbeitswelt als ergänzender           lage der Unternehmensführung. Insbesondere mit Blick auf
Debattenbeitrag aus der Normungsperspektive zu verstehen.        kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können zusätzliche,
Das betrifft vor allem die Normung der Terminologie oder         die Arbeitswelt betreffende Normen Einschränkungen der
auch die Normung von Produkten oder Verfahren. Im Bereich        unternehmerischen Freiheit bedeuten [5]. Ungewollter Zerti-
der Unternehmensführung ist der Gegenstand der Betrach-          fizierungsdruck kann z. B. dort entstehen, wo KMU versuchen,
tung aber das Management des sozialen Systems Unterneh­          als Zulieferer Aufträge zu erhalten oder sich an Ausschreibun-
men bzw. Organisation. Unternehmensführung nimmt v. a.           gen zu beteiligen.
auf den oben genannten Ebenen Bezug auf Normung, sollte
aber selbst kein Normungsgegenstand sein. [4]                    Weil diese Risiken nie völlig auszuschließen sind, muss ein
                                                                 Grundsatz der Normungssparsamkeit und Marktrelevanz
Hier liegt das zentrale Spannungsfeld dieser Normungs­           handlungsleitend sein und der Empfehlungscharakter von
roadmap sowie auch jüngerer Normungsaktivitäten, z. B. im

16 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 2.2 – Unternehmen und Organisationen als Gestaltungsraum der Arbeitswelt

Normen unmissverständlich deutlich gemacht werden. 2)                   Bei der Gestaltung der Arbeit (siehe Kapitel 4 Arbeitsgestal­
­Folgende Dokumente greifen diesen Grundsatz aus unter-                 tung) wird die Etablierung einer Präventionskultur immer
schiedlichen Perspektiven auf:                                          wichtiger. Kultur lässt sich nicht normen. Normung könnte
→ Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015):                     gegebenenfalls eine Hilfestellung leisten, indem sie wichtige
    Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen              Begriffe und Handlungsfelder im Bereich Präventionskultur
    Arbeitsschutz; Bek. d. BMAS v. 24. November 2014              3)
                                                                        definiert. Die Entwicklung und Etablierung einer Präventions­
→ EGB: Entschließung zur Begründung der Mitwirkung von                  kultur kann hingegen nur Sache der Unternehmen und
    Gewerkschaften an Normungsverfahren, 16.–17. Dezem-                 ­Organisationen mit Unterstützung durch DGUV sein.
    ber 2015   4)

→ KAN, eurogip, inrs (2014): Gemeinsame Erklärung
    zur Normungspolitik im Bereich des Arbeitsschutzes;                 2.2    Unternehmen und Organisationen
    Bonn 25. März 2014 5)                                                      als Gestaltungsraum der Arbeitswelt
→ CEN/CENELEC Leitfaden 17 (2010); Leitfaden für die
    Erstellung von Normen unter Berücksichtigung der                    Ein wichtiger Hebel für den Erfolg des unterstellten anstehen-
    ­Bedürfnisse und Belange von Kleinst-, kleinen und                  den technologischen Wandels liegt in der Unternehmensfüh-
    ­mittleren Unternehmen (KMU) 6)                                     rung. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Viele Unternehmen
→ Business-Plan des internationalen Normungskomitees                    verfügen über einen hoch- und ständig weiterentwickelten
    „Personalmanagement – Human resource management                     Werkzeugkasten zum Umgang mit strukturellen Verände-
    (ISO/TC 260)“ (Stichwort „Educational guidelines“)             7)
                                                                        rungsprozessen. Das haben beispielsweise die Montanindus-
                                                                        trie oder auch die ehemaligen Staatsunternehmen Bahn und
Aus verschiedenen Perspektiven wird hier der von den Nor-               Telekom im Umgang mit massivem Stellenabbau über ar-
mungsinstitutionen selbst nie angezweifelte Vorrang anderer             beitspolitisch wirksame Instrumente wie Qualifizierungs- und
Regulierungs- oder Entscheidungsebenen vor der Normung                  Transfergesellschaften, Interne Arbeitsmärkte und andere
herausgestellt. Dieses Prinzip muss auch für die unternehme-            arbeitspolitische Instrumente bewiesen. Auch der deutsche
rische Governance handlungsleitend sein.                                Mittelstand hat sich in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte als
                                                                        außerordentlich wandlungsfähig erwiesen.

                                                                        Dennoch spricht einiges dafür, dass die anstehende Trans-
                                                                        formation der Arbeitswelt im Vergleich zum Strukturwandel
2   nach höchstrichterlicher Einschätzung sind Normen „private Regel-   vorangegangener Epochen eine neue Dimension erreichen
    werke mit Empfehlungscharakter“; BGH Urteil vom 14. Juni 2007,      wird. Heute, da immer neue Formen und Ausgestaltungen
    Az. VII ZR 45/06.
                                                                        von Betrieben, Unternehmen und Beschäftigung zu beobach-
3   https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2015/grundsatzpapier-­
    normung-betrieblicher-arbeitsschutz.html                            ten sind, bedarf es auch einer Neuordnung des „Werkzeug-
4   https://www.etuc.org/sites/default/files/document/files/de-         kastens“ der Unternehmensführung.
    resolution-­standardisation.pdf
5   https://www.kan.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Basisdoku-         Diese Neudefinition vollzieht sich formell in unterschied­
    mente/de/EU/2014-03-25_declaration_de_final.pdf
                                                                        lichen Aushandlungsarenen – zunächst auf der politischen
6   ftp://ftp.cencenelec.eu/EN/EuropeanStandardization/Guides/17_
    CENCLCGuide17_EN.pdf
                                                                        und rechtssetzenden Ebene. Zugleich definiert sich die

7   https://www.iso.org/committee/628737.html und www.din.de/go/
                                                                        Arbeitswelt auch in den Aushandlungsarenen der Wirtschaft
    nadl                                                                neu; unterhalb der gesetzlichen Ebene auf der tarifpolitischen

                                                                                                                Innovative Arbeitswelt – 17
KAPITEL 2 – UNTERNEHMENSFÜHRUNG UND NORMUNG

Ebene, in betrieblichen Vereinbarungen und in i­ ndividuellen     ten, hinreichend flexiblen gesetzlichen Rahmen gestaltet. Sie
Arbeitsverhältnissen. Diese Aushandlungsebenen sind               sind dafür da, von der Individualperspektive in eine kollek­
­konstitutiv für die Soziale Marktwirtschaft und bilden ihre      tive Perspektive zu wechseln, um Machtungleichgewichte zu
natür­lichen „Experimentierräume“.                                vermindern und zugleich Menschen in der Organisation als
                                                                  handelnde (und damit auch innovationsfördernde) Akteure
Die Steuerungsinstrumente der Unternehmensführung sind            ins Spiel zu bringen. Vitale Arbeitsbeziehungen stellen damit
erprobt und entwickeln sich im sozialpartnerschaftlichen          auch eine „gesellschaftspolitische Rücklegitimation“ auf der
Dialog zurzeit in erhöhter Geschwindigkeit weiter. Über die       Unternehmensebene dar.
vielfältigen Instrumente der Unternehmensführung sind Un-
ternehmen und Organisationen in der Lage, ein Commitment          Unternehmensführung, mit einem ausgewogenen Verhältnis
über die Arbeitswelt der Zukunft herzustellen und in einem        der verschiedenen Entscheidungsebenen sowie Beteili-
iterativen Prozess immer wieder zu erneuern.                      gungsmöglichkeiten der Belegschaften und ihrer Interessen­
                                                                  vertretungen, steuert den Wandel in Unternehmen und
„Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten?“ ist die immer       Organisa­tionen.
wieder neu zu stellende Frage in einem Unternehmen bzw. in
einer Organisation der Zukunft. Dieses Commitment wird im
Kontext einer Staatsverfassung, aber auch einer Unterneh-         2.2.2    Innovationsfähigkeit durch eine
mensverfassung immer wieder aufs Neue ausgehandelt und                     fehler­tolerante Unternehmenskultur
überprüft. Diese kontinuierliche Aushandlung eines Commit-                 stärken
ments spendet Sicherheit und Vertrauen bei den Protago-
nisten dieses Prozesses und entfaltet integrative Wirkung in      Eine zukunftsorientierte Unternehmenskultur macht Unter­
einem zunehmend ungewissen Umfeld.                                nehmen und Organisationen innovationsfähig, sie stärkt
                                                                  Mitarbeitende im offenen Umgang mit Fehlern, sie stärkt das
Die vorhandenen Gestaltungsspielräume müssen erhalten             Vertrauen in die Organisation, sie fördert Beteiligung von Be-
bleiben und können, wie in den nachfolgenden Kapiteln skiz-       schäftigten und sie ist die Grundlage ständiger Verbesserung
ziert, durch Normung flankiert werden. In den Kernbereichen       und die Voraussetzung, selbst massive Veränderungen aktiv
der Unternehmensführung spielt Normung eine e
                                            ­ rgänzende           zu gestalten. [6, 7, 8]
Rolle. Die Instrumente der Unternehmensführung, ihre
individuellen Gestaltungsspielräume, aber auch ihre klaren        In einem verlässlichen und auf gemeinsam vereinbarten
regulatorischen, d. h. gesetzlichen und tarifpolitischen Anker-   Regeln aufbauenden Unternehmenskontext wird ein Arbeit-
punkte bilden in Zeiten der Unsicherheit und des Umbruchs         nehmer ermutigt, Fehler zu benennen, aus ihnen zu lernen
Vertrauen und Verbindlichkeit.                                    und sich in diesem Sinne aktiv einzubringen. Vertrauen nicht
                                                                  allein im Sinne von Safety und Security, sondern Vertrauen
                                                                  im Sinne von
2.2.1    Arbeitspolitik für Menschen in einer                     → transparenten und nachvollziehbaren Unternehmens-
         Organisation: Unternehmen sind Teil der                      strategien und daraus abgeleiteten Funktionalstrategien
         Gesellschaft                                                 (z. B. im Personalbereich) sowie
                                                                  → verlässlichen Kontroll- und Beratungsmechanismen
Arbeitsbeziehungen werden von den Interessenvertretungen              wie sie der dualen Unternehmensverfassung inne­
der Arbeitgeber und Beschäftigten in einem staatlich gesetz-          wohnen.

18 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 2.3 – Unternehmensführung braucht gute Entscheidungsgrundlagen

2.3     Unternehmensführung braucht gute                         Thema der Technologiebewertung ebenfalls aufgegriffen.
        Entscheidungsgrundlagen                                  Hier werden Handlungsempfehlungen für die Normung und
                                                                 Standardisierung vorgestellt.
Die Unternehmensführung ist gut aufgestellt, zukunftsfähig
und erneuert sich kontinuierlich in sozialpartnerschaftlich
organisierten Prozessen. Bei näherer Betrachtung finden sich     2.3.2    Unternehmensführung braucht ein pass­
Gestaltungsfelder, die Nahtstellen zu Standardisierungsaktivi-            genaues (Personal-)Risikomanagement
täten aufweisen können.
                                                                 Unternehmensführung muss Vertrauen durch ein adäquates
                                                                 Risikomanagement vor allem auf der Ebene der Personal-
2.3.1   Prospektive Technikgestaltung und                        politik herstellen. Sicherheit am Arbeitsplatz (Security und
        ­ echnologiebewertung
        T                                                        ­Safety) muss eine prospektive Komponente im oben genann-
                                                                 ten Sinne erhalten und Aspekte der Beschäftigungs- und
Unternehmen und ihre Arbeitnehmer befinden sich mitunter         Arbeitsfähigkeit integrieren. Eine integrierte Personalstrategie
zwischen den Polen der Fundamentalkritik an neuen Tech-          kann mit entsprechenden Kennzahlen und Controllingpro-
nologien und der Technikeuphorie. Die konstruktive Aus­ein­      zessen einen Beitrag zur Umsetzung der vielfältigen und
andersetzung mit den Chancen der Digitalisierung gelingt         komplexen Wirkungsziele im Kontext der Entwicklung von
nur teilweise. Unternehmensführung setzt Kenntnisse und          Organisationen leisten. Entscheidend ist hier aber, wie sich
Methoden voraus, die die Debatte objektivieren. Dabei ist vor    Kennzahlensysteme mit den entsprechenden Strukturen,
allem die Grundfrage handlungsleitend, welchen Einfluss          ­Prozessen und Zielen des Unternehmens oder der Organisa­
Automatisierung und Digitalisierung auf Unternehmen und          tion vereinbaren lassen.
Organisationen und ihre Beschäftigten haben (Marktposition,
unternehmerische Entscheidungsprozesse, Beschäftigungs-          Hier könnte eine geeignete Unterstützungsleistung der
fähigkeit, Beschäftigungssicherheit, Mitarbeiterzufriedenheit,   ­Normung liegen, allerdings nur auf Grundlage einer zielge­
Kompetenzen etc.).                                               richteten und zeitlich vorgelagerten wissenschaftlichen
                                                                 Unterstützung. Der „Stand der Technik“, d. h. das empirische
In den Unternehmen und Organisationen muss ein konstruk-         und theoretische Fundament im Bereich Personalrisiko­
tiver, transparenter und kompetenter Prozess stattfinden,        management, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch wenig
der Chancen und Risiken gleichermaßen in Betracht zieht.         ­konturiert. [10]
Zugleich muss es gelingen, eine stabile Brücke zwischen
ingenieurwissenschaftlicher, wirtschaftswissenschaftlicher       Vor einer Übertragung in Educational Guidelines für Manage-
und geisteswissenschaftlicher Sichtweise zu bauen und            mentprozesse ist hier vorab wissenschaftliche Grundlagen­
einen ethisch fundierten, kooperativen und damit verantwor-      arbeit zu leisten.
tungsvollen Umgang mit technischem Fortschritt zu finden.
Dies gilt für alle angesprochenen Regulierungsebenen. Für
Normung bieten sich Corporate Foresight, Szenario-Tech­          2.3.3     Neue Formen der Strategie- und
niken, InnovationLabs o. Ä. an [9], ebenso wie auch elaborier-            ­Kompetenzentwicklung
tere Risikomanagementansätze für den Personalbereich
als Educational Guideline. In dem Kapitel 4.6 Gestaltung         Technikfolgenabschätzung und Risikomanagement ­können
von Arbeitsumgebung, Arbeitsraum, Arbeitsplatz wird das          die Wirksamkeit strategischer Unternehmensführung

                                                                                                         Innovative Arbeitswelt – 19
KAPITEL 2 – UNTERNEHMENSFÜHRUNG UND NORMUNG

verbessern, vorausgesetzt, sie sind mit den Unternehmens­          2.3.4   Unterstützung der Unternehmensführung
zielen und den individuellen Möglichkeiten der B
                                               ­ eschäftigten              durch Technologie
­vereinbar. Auf Basis der Unternehmensvisionen erfolgt
die adäquate Ausrichtung von Unternehmenszielen und                Unternehmen und Organisationen nehmen in wachsendem
-­missionen (also die normativen Aspekte der Unternehmens-         Umfang Technologien in Anspruch, um die Entscheidungs-
führung).                                                          findung und auch die Kontrollsysteme zu optimieren und
                                                                   zu beschleunigen. Es zeigt sich, dass auch die Qualität der
Die Unternehmensstrategie verliert in Zeiten von steigender        Unternehmensführung zunehmend von der Eignung und
Volatilität‚ Unbeständigkeit, Unsicherheit und Komplexität         ­Ergonomie technischer Produkte, z. B. Collaboration-Soft-
(engl. Akronym VUCA – volatility, uncertainty, complexity,         ware, Digitalisierung von Mitbestimmungsprozessen etc.,
ambiguity) allerdings Teile ihrer langfristigen Verbindlichkeit.   bestimmt ist.
Emergente Strategieentwicklung im Sinne von Mintzberg
[11] dürfte heute die Praxis bestimmen. Der Versuch, Unter­        Hier erscheint Normung auf Grundlage gesicherter arbeits-
nehmen und wirtschaftliche Abläufe zahlenbasiert und               wissenschaftlicher Erkenntnisse sinnvoll. Ergonomie und
mathematisch exakt zu beschreiben, kollidiert häufig mit           menschengerechte Technikgestaltung muss mit der techno-
unerwartet konträren Zielsetzungen [12]. Unternehmen und           logischen Entwicklung Schritt halten. Sicherheit, Manipula­
Organisationen müssen sich immer häufiger neu ausrichten,          tionsanfälligkeit und auch Verfügbarkeit von Daten, Techno-
selbst hinterfragen und Korrekturen an der strategischen           logien und Systemen etc. sind immer wiederkehrende Fragen
Ausrichtung vornehmen. Dies setzt eine bewegliche und in           beim Einsatz neuer Kommunikationstechnologien.
ihren einzelnen Bestandteilen im Umgang mit beschleunigten
Datenströmen kompetente Organisation sowie die Stärkung            Die Entscheidung für oder gegen eine Technologie ist unter-
der Strategiekompetenz auf allen relevanten Entscheidungs-         nehmensindividuell zu treffen. Die Eignung und Güte ent-
ebenen voraus. Unternehmensstruktur, -größe und -zweck             sprechender Tools kann Normungsgegenstand sein. Insbe-
müssen bei solchen Fragestellungen allerdings berücksichtigt       sondere vor dem Hintergrund der europäischen Regeln zum
werden.                                                            Datenschutz ist das Produktentwicklungsprinzip „reift beim
                                                                   Kunden“ nicht hinreichend, wird den Kundenanforderungen
Strategieentwicklung und Controlling werden dadurch nicht          nicht gerecht und führt zu Folgeproblemen in den Unter­
„weicher“. In Zeiten von VUCA werden im Gegenteil noch ak-         nehmen und Organisationen.
kuratere Prozesse benötigt. Normung könnte Organisationen
bei der Entwicklung ihrer Strategiefähigkeit unterstützen. Die
oben genannten Aspekte der Methoden zur Technikfolgen­             2.4      Unternehmensführung ­bedeutet
abschätzung und auch das Personalrisikomanagement                          Management von Vielfalt und
können hier nach Schaffung der wissenschaftlichen Vorarbei-                ­Veränderung
ten vor allem für diese beiden Bereiche einen Beitrag leisten.
Auch die Standardisierung von Kennzahlensystemen im                Unternehmen und Organisationen sind Teil der Gesellschaft.
Bereich des HR-Managements (DIN ISO 30414:2019) kann hier          Unternehmerisches Handeln und das Führen von Unter-
ein erster, aber sicher noch überarbeitungsbedürftiger Ansatz      nehmen und Organisationen kann nicht isoliert von gesell-
sein (s. o.).                                                      schaftlichen Entwicklungen stattfinden. Weiter oben wurde
                                                                   bereits die Bedeutung der Unternehmens- bzw. Betriebs-
                                                                   verfassung für einen stabilisierenden, vertrauensfördernden

20 – Innovative Arbeitswelt
Kapitel 2.4 – Unternehmensführung ­bedeutet Management von Vielfalt und ­Veränderung

und ­zugleich innovationsfreundlichen Beteiligungsprozess       ­Kontinuierliche Personalentwicklung und Qualifizierung
beschrieben.                                                    ­werden weiter an Bedeutung zunehmen und können durch
                                                                standardisierte Prozesse, wie sie bereits heute in existieren-
Die Arbeitswelt verändert sich vor allem durch die veränder-    den Managementsystemnormen z. B. der ISO 9000er-Reihe
ten Anforderungen der Menschen. Der sogenannte Wertewan-        und auch spezifischen Normen (z. B. im Handlungsfeld
del hat aktuell erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung      des ISO/TC 260 Human Resource Management) unterstützt
von Arbeit. Unternehmen und Organisationen hinterfragen         ­werden.
ihre Hierarchien, passen ihr Managementinstrumentarium
(vor allem im HR-Bereich) an und setzen sich mit ihrer Außen­   In der Praxis kann es sein, dass Führung neu gestaltet werden
wirkung auseinander (sowohl im Kontext des Recruitings,         sollte. Hierbei sollten auch die grundsätzlichen Gegeben­
als auch im Bereich von Nachhaltigkeit und Corporate Social     heiten bei den Beschäftigten zur Übernahme von mehr
Responsibility).                                                Mitverantwortung mitgedacht werden. Zugleich kann das
                                                                eine wachsende Verantwortung und neue Aufgabenstellun-
Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Unterneh-       gen für die kollektive Interessenvertretung mit sich bringen.
mensführung.                                                    Unternehmen und Organisationen können im oben genann-
                                                                ten Sinne vitaler, beteiligungsorientierter, agiler und damit
                                                                sowohl innovativer als auch heterogener und selbstregulie-
2.4.1   Neues Verhältnis zwischen Führung                       render werden.
        und Selbstverantwortung –
        Unternehmensführung ohne Hierarchie
        ist teilweise möglich                                   2.4.2      Vielfältige Anforderungen organisieren
                                                                           und am Arbeitsmarkt attraktiv bleiben
Arbeit wird zunehmend ortsungebunden, flexibel und pro­
jektorientiert. Damit entstehen zwangsläufig auch Unsicher-     Die Anforderungen an Arbeit werden vielfältiger und müssen
heiten im Führungsverhältnis. Die Anforderungen an Führung      gemanagt werden. Insbesondere der Werkzeugkasten des
können sich dadurch grundlegend verändern. Immer wieder         Personalmanagements muss genauer und vielfältiger diesen
neu zusammengesetzte Arbeitsgruppen (aus Kern- sowie            Anforderungen kontinuierlich angepasst werden können.
Randbelegschaftsmitgliedern) müssen in unterschiedlichen
„Settings“ an gemeinsamen Zielen orientiert arbeiten. Klas-     Vor diesem Hintergrund schaffen die Aktivitäten des
sisch vertikal, in horizontalen Kooperationen, in hierarchie-   ISO/TC 260 8) hier erste Möglichkeiten, aber häufig können die
freien Räumen oder in der Matrix. Diese Arbeit mit „mehreren    regionalen und kulturellen Besonderheiten in diesem Kontext
Betriebssystemen“ setzt voraus, dass sich u. a. Führung, das    nicht hinreichend berücksichtigt werden. Internationale
Personalmanagement und auch die Interessenvertretungen          Normen sind angesichts spezifischer Anforderungen natio-
weiterentwickeln.                                               naler Arbeitsmärkte häufig sogar dysfunktional, da sie hier
                                                                speziell in Deutschland auf eine durch Gesetze regulierte und
Korrespondierend zu neuen Anforderungen an Führung in
agilen Prozessen oder auch in Matrixorganisationen kann
dies mit einer steigenden Selbstverantwortung e
                                              ­ inhergehen.
                                                                8   2011 gegründetes Internationales Normungskomitee (Technical
Unternehmen und Organisationen müssen hierzu die Arbeit­            Committee), ISO/TC 260 Human resource management. Zielsetzung:
nehmer mit den notwendigen Kompetenzen ausstatten.                  Entwicklung von Standards im Bereich des HR Management.

                                                                                                          Innovative Arbeitswelt – 21
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