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Roboterethik Sie sind stark, klug, selbstständig. Und was wird aus uns? Öffentliche Tagung | 24.11.2015 Karl Storz Besucher- und Schulungszentrum Berlin ceres cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health
Einführung Roboterethik Sie sind stark, klug, selbstständig. Und was wird aus uns? Immer eigenständigere Roboter halten Einzug Je komplexer autonome Systeme handeln, desto in unseren Alltag. Bereits heute übernehmen sie dringlicher stellt sich für uns die Grundfrage nach eine Vielzahl von Aufgaben in der produzierenden der moralischen Fundierung und Rechtfertigung Industrie, aber auch im Finanzsektor, im Verkehrs der von Maschinen getroffenen Entscheidungen. wesen, in Landwirtschaft und Bergbau sowie in Wie vermag die „Moral der Maschine“ sicher der Medizin. Diese maschinellen Systeme werden gestellt, wie weit kann sie ihr von Beginn an in atemberaubendem Tempo autonomer und „einprogrammiert“ werden? Wer trägt die Verant können unabhängig von menschlicher Steuerung wortung für die Entscheidungen der Maschine? agieren und reagieren. In zunehmendem Maße Und wie gehen wir mit „lernfähigen“ Systemen sind sie in der Lage, auch komplexe Entscheidun um, die zunehmend in der Lage sind, Entschei gen selbst zu treffen. dungsprozesse eigenständig zu erlernen? Der allgegenwärtige Einsatz solcher Maschinen Auf der Tagung wird aus dem Blickwinkel der bringt vielfältige Herausforderungen für die verschiedenen betroffenen wissenschaftlichen Gesellschaft mit sich. Denkbar ist, dass autonome Disziplinen beleuchtet, wie autonome Systeme Systeme zu einer Steigerung des Wohlstands und unser Leben und auch unser Selbstverständnis der sozialen Gerechtigkeit beitragen, zugleich verändern werden und welche Herausforderungen aber auch, dass sie Arbeitsplätze vernichten und dies für unterschiedliche Lebensbereiche mit sich sich die Schere zwischen Arm und Reich gar bringt. Neben dem aktuellen Entwicklungsstand, noch vergrößert. Auch die Selbstbestimmung des den Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten auto Einzelnen ist betroffen: Während der Einsatz von nomer Systeme wird ihr Einsatz in den Bereichen autonomen Pflegerobotern in der Altenpflege die Gesundheit, Wirtschaft und Politik insbesondere Autonomie älterer Menschen im Alltagsleben aus technischer, philosophischer und sozialwis deutlich erhöhen kann, besteht andererseits die senschaftlicher Perspektive betrachtet und dis Gefahr, dass eine verstärkte Technisierung zu kutiert. Wir stellen uns der Frage, wie zukünftig neuen Abhängigkeiten, zu mehr Überwachung mit den rasant anwachsenden und stetig neuen und dem Verlust eigener Kompetenzen führt. Möglichkeiten einer robotifizierten Gesellschaft umgegangen werden soll. 3
Grundlagen autonomer Systeme Prof. Dr. Alin Albu-Schäffer Autonomie und Kognition für menschzentrierte Robotik Prof. Dr. Alin Im Vortrag werden Aspekte adressiert, die aus dem Grundsatz resultieren, den Albu-Schäffer Menschen in den Mittelpunkt der Roboterentwicklung zu stellen. ist seit 2012 Direktor am Institut Da Assistenzroboter eng mit Menschen interagieren werden, müssen sie für Robotik und Mechatronik am bezüglich Größe und Gewicht, aber auch Kraft und Geschwindigkeit mit ihm Deutschen Zentrum für Luft- und Raum- kompatibel sein. Um die Sicherheit während der Interaktion mit Menschen fahrt (DLR). Außerdem ist er Professor an zu gewährleisten, müssen humanoide Roboter feinfühlig und „nachgiebig“ der Technischen Universität München und sein, im Gegensatz zu den heute noch weitestgehend starren und schweren leitet dort den Lehrstuhl für „Sensorbasierte Industrierobotern. Zugleich müssen sie in der Lage sein, menschliche Bewe robotische Systeme und intelligente gungen und schnell veränderliche Umgebungen in Echtzeit zu erfassen sowie Assistenzsysteme“ (Fakultät für Informatik). Entscheidungen, Reaktionen und Bewegungen in entsprechender Geschwin Seine Forschungsgebiete sind die robotische digkeit durchzuführen. Dies stellt die heutige Robotik und die dazu benötigte Assistenz von der Raumfahrt über die indus- Computertechnik vor gewaltige Herausforderungen, was gleichermaßen die trielle Produktion, Medizin und Health-Care Hardware, die Algorithmenentwicklung und die Systemintegration betrifft. bis hin zu persönlichen Assistenzsystemen. Albu-Schäffer studierte Elektrotechnik an Der Vortrag gibt eine Übersicht über aktuelle Robotik-Trends von der dreh der Technischen Universität Timisoara, momentgeregelten Leichtbauroboter-Technologie bis hin zu biologisch inspi Rumänien, und promovierte 2002 an der rierten, intrinsisch nachgiebigen Systemen, die dem antagonistischen Wir TU München. Er erhielt zahlreiche Auszeich- kungskonzept menschlicher Muskeln nachempfunden sind. Weiterhin werden nungen im Bereich Robotik, unter anderem die derzeitigen Ergebnisse und künftigen Herausforderungen in der Perzep den „IEEE Transactions on Robotics King-Sun tion, Kognition und autonomen Planung für die Assistenzrobotik besprochen. Fu Memorial Best Paper Award“ (2011 und Den Menschen in den Mittelpunkt der Roboterentwicklung zu stellen be 2013), Preise für Publikationen in den führen- deutet aber auch, die Methoden und Werkzeuge der Robotik zu nutzen, um den Robotik-Zeitschriften und -Konferenzen die menschliche Bewegung und Intelligenz durch einen synthetisierenden sowie den DLR-Wissenschaftspreis. Ansatz besser zu verstehen. Dieser Ansatz wird beispielhaft am Zusammen spiel von Biomechanik und neuronaler Steuerung mit dem Entwurf und der Steuerung humanoider Roboter vorgestellt. Wir werden in Zukunft von dieser Entwicklung auch insofern profitieren können, als durch sie bessere Mensch- Maschine-Schnittstellen, robotische medizinische Verfahren, Prothesen und Rehabilitationsgeräte entwickelt werden können. 4 Daimler und Benz Stiftung
Autonome Systeme und die Selbstbestimmung des Menschen Prof. Dr. Oliver Bendel Die Moral in der Maschine Denkende, entscheidende, handelnde Maschinen sowie gute und böse künst- Prof. Dr. Oliver liche Kreaturen faszinieren uns von alters her. Denken wir an Talos, den Bendel Wächter der Insel Kreta, an Pandora, die künstliche Frau mit der Büchse, beide ist Philosoph und Literatur erschaffen von Hephaistos, Gott des Feuers und der Schmiede, denken wir wissenschaftler sowie an die Skulpturen des Daidalos und des Pygmalion oder an den Golem, die Informationswissenschaftler. Homunculi und Frankensteins Monster. Im 18. Jahrhundert wurden Automa Er hat an der Universität St. Gallen in Wirt- ten erfunden, die Menschen zum Verwechseln ähnlich sahen und die schrei schaftsinformatik über anthropomorphe ben, zeichnen und musizieren konnten. Heutige Roboter vermögen selbststän Agenten promoviert und wurde im Jahre dig Entscheidungen zu treffen, die erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen, 2009 zum Professor an der Hochschule für in sozialer wie moralischer Hinsicht. Diese (teil-)autonomen oder autonomen Wirtschaft der Fachhochschule Nordwest- Maschinen sollen von sozialer Robotik und Maschinenethik gezähmt, dressiert schweiz (FHNW) ernannt. Dort unterrichtet und zivilisiert werden. Autos erkennen Menschen und Tiere und bremsen er innerhalb von Wirtschaftsinformatik und rechtzeitig vor ihnen ab. Industrieroboter bewegen sich mit schlafwandle Betriebsökonomie u. a. Informationsethik, rischer Sicherheit durch Fabrikhallen und behandeln in Arbeitszellen ihre Wirtschaftsethik und Wissensmanage- menschlichen Kollegen wie rohe Eier. ment. Zu Bendels aktuellen Forschungs- Serviceroboter bringen Nahrungsmittel und Medikamente und sind „nett“ zu schwerpunkten zählen Informations- und uns. Chatbots nennen uns eine Notfallnummer, die wir anwählen können, um Maschinenethik. Vor allem widmet er sich menschliche Hilfe zu erhalten. Es ist damit zu rechnen, dass manche Roboter den Entscheidungen und Handlungen von und (teil-)autonome Maschinen angesichts der Fülle dieser Aufgaben auch Chatbots, Servicerobotern, Fotodrohnen falsche Entscheidungen treffen werden. Oder solche, die interessengeleitet und selbstständig fahrenden Autos. Er stellt sind. Autos, die Kinder schonen und Rentner umfahren, oder Drohnen, die den in diesen Bereichen theoretische (philo- unbescholtenen Zwilling des Terroristen eliminieren, werden für Diskussionen sophische und technische) Überlegungen sorgen. an, entwickelt Ansätze und Konzepte und initiiert Projekte wie den GOODBOT und Das „Moralisieren“ der Maschinen bringt Vorteile, aber es lädt auch zum den CLEANINGFISH. Manipulieren ein. Zu den Nachteilen gehört nicht zuletzt der zumindest Weitere Informationen unter partielle Verlust menschlicher Autonomie, ausgerechnet im Sittlichen und www.informationsethik.net und Sozialen. Im Vortrag geht Bendel auf die Disziplin der Maschinenethik ein www.maschinenethik.net. und stellt einfache moralische Maschinen vor, mitsamt den annotierten Ent scheidungsbäumen für ihre Umsetzung. Er plädiert dabei nicht nur für eine Erweiterung, sondern auch für eine Beschränkung der Handlungsspielräume von Maschinen. Roboterethik Sie sind stark, klug, selbstständig. Und was wird aus uns? 5
Autonome Systeme und die Gestaltung unserer Gesellschaft Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen Autonome Systeme in der industriellen Arbeitswelt Prof. Dr. Hartmut Der Vortrag fokussiert die Folgen des Einsatzes intelligenter Produktions Hirsch-Kreinsen systeme für die industrielle Arbeitswelt. Angesprochen wird damit eine tech ist seit 1997 Professor an der nologische Vision, die in der deutschen produktionswissenschaftlichen und Technischen Universität Dortmund, innovationspolitischen Debatte unter dem prominenten Label „Industrie 4.0“ Lehrstuhl Wirtschafts- und Industrie thematisiert wird. In Hinblick auf den Wandel industrieller Arbeit werden im soziologie. Nach seinem Studium des Vortrag folgende Thesen zur Diskussion gestellt: Wirtschaftsingenieurwesens promovierte und habilitierte er an der Technischen Uni- 1 | Es ist mit einem weitreichenden, bislang jedoch kaum prognostizierbaren versität Darmstadt. Zudem war er u. a. als Wandel von Arbeit zu rechnen. Zum einen sind die möglichen Automatisie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut rungs- und Freisetzungseffekte der neuen Technologien derzeit schwerlich für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V., endgültig abzuschätzen. Negativen Prognosen zu den Auswirkungen auf den München (ISF München) tätig. Seine Arbeitsmarkt stehen positive über Arbeitsplatzgewinne gegenüber. Arbeitsschwerpunkte sind wirtschaftlicher Zum anderen ist ein breites Spektrum denkbarer Konsequenzen für Tätig Strukturwandel, Entwicklungstendenzen keiten und Qualifikationen zu erwarten, das von einer fortschreitenden Polari von Produktionsarbeit sowie Technologie- sierung von Qualifikationen bis hin zu einer generellen Aufwertung entwicklung und industrielle Innovations- von Qualifikationen reicht. prozesse. Bereits seit Längerem befasst er sich 2 | Es ist davon auszugehen, dass der Wandel von Arbeit grundsätzlich intensiv mit dem Konzept Industrie 4.0 arbeitspolitischer und gesellschaftspolitischer Gestaltung zugänglich ist. Es und seinen personalwirtschaftlichen darf nicht vorausgesetzt werden, dass Industrie 4.0 „technikdeterministisch“ Konsequenzen. Er ist Visiting Professor an eindeutige Konsequenzen nach sich zieht; vielmehr sind die neuen Technolo verschiedenen ausländischen Universitäten gien konzeptionell im Anschluss an die Arbeitsforschung als sozio-technische und Mitglied hochrangiger nationaler und Systeme zu begreifen. internationaler innovationspolitischer Bera- tungsgremien. Seit 2013 ist er sozialwissen- 3 | Insgesamt verbinden sich mit dem absehbaren Technologieschub sowohl schaftliches Mitglied im wissenschaftlichen Risiken als auch Chancen für die künftige Entwicklung industrieller Arbeit. Beirat der Plattform Industrie 4.0 bei der Als Risiken sind beispielsweise die Gefahr einer zunehmenden Entgrenzung Deutschen Akademie der Technikwissen- von Arbeit oder ein deutlich erhöhtes Kontrollpotenzial von Arbeit anzusehen. schaften acatech. Demgegenüber bietet die aktuelle Situation vor allem die Chance, einen neuen gesellschaftspolitischen Diskurs über die Frage zu führen, welche Formen von Arbeit in Zukunft wünschenswert sind. 6 Daimler und Benz Stiftung
Prof. Dr. Norbert Lammert Zur Rolle der Politik Der zunehmende Einsatz von Robotern bzw. sich selbst steuernden Systemen Prof. Dr. Norbert wird unsere Gesellschaft verändern. Dies betrifft sämtliche Lebensbereiche Lammert wie etwa das Arbeits- und Wirtschaftsleben, das Verkehrswesen, die Kranken- studierte von 1969 bis 1975 und Altenpflege, die innere und äußere Sicherheit sowie das direkte Wohn Politikwissenschaft, Sozio- umfeld. Viele Veränderungen durch den Einsatz von Robotern können von logie, Neuere Geschichte großem Nutzen für die Menschen sein. So ist es denkbar und zum Teil bereits und Sozialökonomie an den Universitäten Realität, dass autonome Systeme körperlich beschwerliche oder sogar gefähr Bochum und Oxford (England); 1975 pro- liche Arbeiten übernehmen, Entscheidungsprozesse unterstützen und zu einer movierte er im Fachbereich Sozialwissen- steigenden Effizienz beispielsweise in der Krankenversorgung führen. Dem schaften. Danach war er zunächst Lehr gegenüber stehen jedoch absehbare und nicht absehbare Probleme, die ein beauftragter für Politikwissenschaft an den zunehmender Einsatz von Robotern mit sich bringen kann. So wird befürch Fachhochschulen Bochum und Hagen; seit tet, dass hierdurch in naher Zukunft ein Verlust von Arbeitsplätzen droht, 2005 ist er Lehrbeauftragter an der Fakultät neue Abhängigkeiten von Maschinen generiert werden und die Entwicklung für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität letztendlich in einen Mangel an menschlicher Empathie und Kommunikation Bochum, die ihn 2008 zum Honorarprofes- mündet. Trotz der genannten Probleme ist davon auszugehen, dass der techni sor ernannte. sche Fortschritt im Bereich autonom agierender Roboter sich weiter fortsetzen Seit 1986 ist Lammert Mitglied des Landes- und sogar noch beschleunigen wird. vorstandes der CDU Nordrhein-Westfalen, 1986 bis 2008 war er Vorsitzender des CDU- Die Förderung von technischer Innovation und ihren positiven Folgen sowie Bezirksverbandes Ruhr. Von 1989 bis 1998 die Regulierung der Rahmenbedingungen für Innovationen zur Vermeidung war er parlamentarischer Staatssekretär in negativer Folgeerscheinungen fallen in den Verantwortungsbereich der verschiedenen Bundesministerien. Seit 1980 Politik. Sie hat letztlich mittels legitimierender Verfahren zu entscheiden, ist er Mitglied des Deutschen Bundestags, welche Interessen und Bedürfnisse einer Gesellschaft höher zu gewichten sind dem er seit 2005 als Präsident vorsitzt. (z. B. wirtschaftliche vor sozialen Interessen und Bedürfnissen), welche Ziele Er veröffentlichte zahlreiche Schriften zur kurz- und mittelfristig erstrebenswert sind, und dies durch Regulierungs- oder Parteienforschung sowie zu gesellschafts-, Förderungsmaßnahmen um- und durchzusetzen und entgegengesetzte Bestre wirtschafts- und kulturpolitischen Themen. bungen gegebenenfalls auch zu untersagen. Die Frage, wie und in welchem Ausmaß die Politik regulierend eingreifen darf oder muss, führt zu der Frage, inwiefern sie es auch kann. Dabei ist zu disku tieren, welche Maßnahmen der Politik gerade in der heutigen Zeit globalisier ter Unternehmen für eine wirksame Gestaltung guter Rahmenbedingungen im eigenen Staat zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Interessen der Bürgerinnen und Bürger bezüglich autonomer Systeme und Roboter angemessen politisch vertreten sind. Schließlich stellt sich auch die Frage, ob die Demokratie selbst in Gefahr gerät. Zum einen sofern politische Entscheidungen an Expertensysteme und Roboter delegiert würden, zum anderen angesichts wirtschaftlich und ideologisch mächtiger Monopole mit ihrem Anspruch, die ganze Welt zu verändern – am liebsten an politischen Entscheidungsprozessen vorbei. Roboterethik Sie sind stark, klug, selbstständig. Und was wird aus uns? 9
Autonome Systeme und die Selbstbestimmung des Menschen Prof. Dr. Catrin Misselhorn Maschinen mit Moral? Theoretische Grundlagen und eine Roadmap für autonome Assistenzsysteme in der Pflege Prof. Dr. Catrin Mit zunehmender Autonomie geraten künstliche Systeme in Situationen, die Misselhorn moralische Entscheidungen verlangen. Bereits heute existieren Assistenz ist seit 2012 Inhaberin des Lehr- systeme, die in der Altenpflege eingesetzt werden. In Prognosen zur Bevölke stuhls für Wissenschaftstheorie rungsentwicklung wird unter dem Stichwort „Pflegenotstand“ davon ausge und Technikphilosophie sowie Direktorin gangen, dass bis zum Jahr 2030 in Deutschland bis zu 500.000 Pflegekräfte des Instituts für Philosophie der Universität fehlen. Der Einsatz von Assistenzsystemen bietet eine Möglichkeit, um dem Stuttgart. Sie studierte an der Universität Pflegenotstand entgegenzuwirken. Doch dieses Anwendungsgebiet künstli Tübingen und der University of North cher Systeme erweist sich als im moralischen Sinn hochgradig problematisch. Carolina at Chapel Hill. 2003 erfolgte die Selbst wenn wir darauf bestehen, dass Menschen in der Pflege nicht vollstän Promotion und 2010 die Habilitation im dig durch Assistenzsysteme ersetzt werden dürfen, bleibt doch eine Vielfalt Fach Philosophie an der Universität Tübin- von Situationen, in denen das Verhalten von künstlichen Systemen in einem gen. Von 2007 bis 2008 war sie als Feodor bestimmten Umfang von den Pflegebedürftigen selbst kontrolliert werden Lynen-Stipendiatin am Center of Affective muss. Daher ist es erforderlich, Maschinen zu entwickeln, die über ein gewis Sciences in Genf sowie am Collège de France ses Maß an eigenständiger Entscheidungsfähigkeit verfügen und auf mora und am Institut Jean Nicod für Kognitions- lisch relevante Situationen in angemessener Art und Weise reagieren können. wissenschaften in Paris tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Im Vortrag sollen die Grundlagen der Implementation moralischer Fähigkeiten die emotionale Mensch-Maschine-Inter- und des moralischen Lernens in künstlichen Systemen reflektiert werden. Im aktion, moralisches Lernen und Moral Rahmen eines innovativen Forschungsdesigns werden an der Schnittstelle von implementation in künstlichen autonomen Philosophie und Informatik theoretische Modelle der Moralimplementation Systemen, Roboterethik allgemein sowie und des moralischen Lernens in künstlichen Systemen vorgestellt und eine die ethische Bewertung von Assistenz- und Roadmap für die Konstruktion eines moralisch lernfähigen Systems im Be Pflegerobotern. Sie leitet eine Reihe von reich Altenpflege entwickelt. Dessen Aufgabe ist es, im Kontext der Altenpflege Projekten, etwa Ethische Bewertung von zunächst bestimmte ethisch relevante Merkmale einer Situation zu erkennen. Systemen zur Effizienzsteigerung und Assis- Schließlich soll das künstliche System in der Interaktion mit Pflegebedürfti tenz bei Produktionsprozessen im Rahmen gen lernen, unterschiedliche moralische Werte individuell auf das Wertprofil von motionEAP (gefördert vom BMWi); der Pflegebedürftigen abgestimmt zu gewichten und sein Verhalten dement ethische Bewertung von Systemen zur sprechend anzupassen. ambienten Unterstützung in der heimischen Pflege im Rahmen von DAAN (gefördert vom BMBF); das DFG-Projekt „Simulating Collective Agency and Decision Processes im Exzellenzcluster SimTech (Simulation Tech- nology“ der Universität Stuttgart sowie das DFG-Projekt „Meta-Cognition in Distributed Intelligent Systems“ an der Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engi- neering (GSaME) der Universität Stuttgart. 10 Daimler und Benz Stiftung
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Autonome Systeme und die Selbstbestimmung des Menschen Prof. Dr. Jochen Steil Roboterlernen ohne Grenzen? Prof. Dr. Jochen Steil Was und wie können technische Systeme lernen? Wie sozial müssen Roboter studierte Mathematik und sein, um effektiv zu lernen? Wie wirken sich Fortschritte in der künstlichen Slawistik. Er promovierte Intelligenz aus? Derzeit entstehen mächtige und neuartige Robotertechnolo 1999 in Neuroinformatik und gien. Deshalb stellen sich diese Fragen mit großer Dringlichkeit. Dies gilt habilitierte sich 2006 an der vor allem, wo die Lernaufgaben für Teilfähigkeiten gut definierbar sind und Universität Bielefeld mit einer Arbeit über mithilfe großer Datenmengen bewältigt werden können. Es gibt jedoch fun Lernarchitekturen für Roboter. Im Jahr 2006 damentale Unterschiede zwischen rein datenbezogenen Lernsystemen, der war er am Honda Research Institute Europe virtuellen Welt und lernenden Robotern in der physikalischen Welt. GmbH tätig, wo er mit dem humanoiden Roboter ASIMO arbeiten konnte. Seit 2007 Der Blick in die aktuelle Roboterforschung zeigt, dass Lernen nicht automa ist Steil Geschäftsführer des Bielefelder tisch Autonomie erzeugt oder erfordert und in vielen Formen auftritt. Diese Forschungsinstituts für Kognition und Vielfalt kennzeichnet auch das menschliche Lernen, das parallel auf vielen Robotik (CoR-Lab) und Projektleiter im Ebenen operiert. Diese reichen von der Wahrnehmung über Handlungsabläufe DFG-Exzellenzcluster „Kognitive Interakti- bis hin zur Sprache. Dementsprechend benötigt künstliches Lernen komplexe onstechnologie“. Dabei verbindet er den Vorbedingungen, so dass Roboterlernen heute ganz überwiegend nur unab Forschungsbereich Kognitive Robotik mit hängige Teilfähigkeiten realisiert. Damit soziale Roboter, die mit Menschen Anwendungen von Mensch-Maschine-Inter- interagieren, autonom entscheidungsfähig werden könnten, ist deutlich mehr aktion für Produktionsassistenz, insbeson- erforderlich. Mindestens wäre zusätzlich eine Bewertung und Koordination dere im BMBF-Spitzencluster „Intelligente von Entscheidungen im Rahmen eines Handlungssystems notwendig. Dieses Technische Systeme“. Er war von 2010 bis müsste zudem an die konkreten physischen Möglichkeiten des Roboters ange 2014 Koordinator des integrierten EU-Robo- passt sein und eigene Ziele beinhalten. tikprojektes „FP7-AMARSi“ zum Bewegungs- lernen und leitet das EU-H2020-Projekt Solche Kontrollarchitekturen, die sämtliche relevanten Ebenen flexibel und „CogIMon“ zur Kraftinteraktion. Seit 2015 lernend miteinander verbinden, sind jedoch ungeheuer komplex und bis dato ist Steil Visiting Professor an der Oxford weitgehend unverstanden. Anwendungen gelingen typischerweise in abgrenz Brookes University, wo er den Aufbau eines baren Teilwelten, beispielsweise bei der Navigation in Gebäuden oder für Robotikschwerpunkts unterstützt. flexible Produktionstechnik. In solchen Bereichen werden Roboter viele Aufga ben übernehmen, die heute noch dem Menschen vorbehalten sind. Dennoch kann ein Roboter, der Besucher im Museum herumführt, eben nicht einfach so entscheiden bzw. lernen, das Museum stattdessen etwa zu reinigen. Der vollständig autonome lernende Roboter bleibt vorläufig Fiktion. Roboterethik Sie sind stark, klug, selbstständig. Und was wird aus uns? 13
Autonome Systeme und die Gestaltung unserer Gesellschaft Prof. Dr. Johannes Weyer Autonome Technik außer Kontrolle? Möglichkeiten und Grenzen der Echtzeitsteuerung komplexer Systeme Prof. Dr. Johannes Weyer Im Laufe nur eines Jahrzehnts hat die Wissensgesellschaft einen massiven geb. 1956, ist seit 2002 Professor Technisierungsschub erlebt, der in Durchschlagskraft und Geschwindigkeit für Techniksoziologie an der Techni- seinesgleichen sucht. Mittlerweile sind nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche schen Universität Dortmund. Er hat (bis hin zur Privatsphäre) in einem zuvor unvorstellbaren Maße von Technik in Marburg promoviert (1983) und durchdrungen, die immer stärker autonom agiert und zum Knoten umfassen in Bielefeld habilitiert (1991). Seine Arbeits- der Datennetze wird. Neben der – bislang dominierenden und auch weiterhin schwerpunkte sind die Steuerung komplexer wichtigen – Debatte über Sicherheitsrisiken, den Verlust der Privatsphäre etc. sozio-technischer Systeme (sowie deren sind die neuartigen Möglichkeiten der Echtzeitsteuerung komplexer Systeme Umsteuerung), die Mensch-Maschine- bislang noch kaum in den Blickpunkt der öffentlichen und akademischen Interaktion in hochautomatisierten Ver- Debatte gerückt. kehrssystemen sowie die Netzwerkanalyse. In den letzten Jahren hat er verstärkt die In der Echtzeitgesellschaft stehen massenhaft Daten zur Verfügung, die teils Methode der agentenbasierten Modellie- die User (meist sogar freiwillig), teils deren autonome Assistenten (oftmals rung und Simulation (ABMS) eingesetzt, um hinter deren Rücken) an die großen Datendienstleister übermitteln – und zwar die genannten Themen experimentell zu unmittelbar zum Zeitpunkt ihres Entstehens. Moderne Techniken des Big Data untersuchen. ermöglichen diesen Dienstleistern wiederum, praktisch ohne Zeitverzug und Seine wichtigsten Buchpublikationen sind: hochautomatisiert aus diesen Daten Lagebilder zu generieren, die Prognosen „Soziale Netzwerke. Konzepte und Metho- über den künftigen Systemzustand („predictive analysis“) enthalten, und den der sozialwissenschaftlichen Netzwerk- diese Informationen zudem an die User (bzw. deren Assistenten) zurückzu forschung“, München 2014; „Management spielen. Auf diese Weise ist es möglich, das Verhalten einzelner Personen wie komplexer Systeme. Konzepte für die Bewäl- auch komplexer Systeme in Echtzeit zu steuern. tigung von Intransparenz, Unsicherheit und Chaos“, München 2009; „Techniksoziologie. Der Vortrag beleuchtet diese Thematik auf mehreren Ebenen: Er präsentiert Genese, Gestaltung und Steuerung sozio- einige Fallbeispiele und legt dar, mit welchen theoretischen Konzepten und technischer Systeme“, Weinheim 2008. methodischen Verfahren die Soziologie sich diesem Themenfeld nähert. Eine große Aufgabe besteht darin zu verstehen, wie die Echtzeitsteuerung kom plexer Systeme funktioniert, die nicht mehr nur von menschlichen Entschei dern, sondern auch von autonomen technischen Agenten bevölkert sind, die zunehmend an Entscheidungen beteiligt sind. Der Vortrag thematisiert die Chancen und Risiken dieser Entwicklungen. Zudem stellt er die Frage, ob diese Entwicklungen einer von technischen Algorithmen getriebenen Echt zeitsteuerung noch kontrollierbar sind und wie moderne Instrumentarien und institutionelle Mechanismen einer Regulierung der Echtzeitgesellschaft aussehen könnten. 14 Daimler und Benz Stiftung
ceres cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health Die operativ tätige und gemeinnützige Stiftung ceres, das Cologne Center for Ethics, Rights, zählt zu den großen wissenschaftsfördernden Economics, and Social Sciences of Health, ist Stiftungen Deutschlands. ein Zentrum für die interdisziplinäre For Leitprojekt der Stiftung ist das Förderpro schung, Aus- und Fortbildung sowie Beratung gramm „Villa Ladenburg“, das internationale zu gesellschaftsrelevanten Fragen im Bereich Wissenschaftler rund um das Thema Mobilität der Gesundheit. Es wird getragen von fünf und Gesellschaft an einen Tisch bringt. In Fakultäten und dem Rektorat der Universität ihrem Postdoktorandenprogramm fördert die zu Köln. Die gezielt inter- und transdisziplinäre Stiftung herausragende junge Wissenschaftler. Ausrichtung von ceres ermöglicht die Bün In den Forschungsprogrammen „Ladenburger delung bislang kaum verknüpfter Forschung Diskurse“ und „Ladenburger Kollegs“ wird die und damit einen übergreifenden wie praxisre Durchdringung des täglichen Lebens mittels levanten Erkenntnisgewinn. ceres stellt sich moderner Technologien untersucht. drängenden Fragen unserer Zeit, sucht jenseits Die „Berliner Kolloquien“ sowie die ebenfalls disziplinärer Grenzen Lösungen und erarbeitet in Berlin stattfindenden „Innovationsforen“ Konzepte zur gerechten und guten Gestaltung verstehen sich als Schnittstelle zwischen unserer Zukunft. Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Einmal jährlich vergibt die Stiftung den mit Kontakt: 10.000 Euro dotierten „Bertha Benz-Preis“ an Prof. Dr. Christiane Woopen, eine junge Ingenieurin, die sich durch eine Geschäftsführende Direktorin wissenschaftlich hervorragende Doktorarbeit ceres – Cologne Center for Ethics, Rights, ausgezeichnet hat. Economics, and Social Sciences of Health Universitätsstr. 91 Kontakt: 50931 Köln Dr. Jörg Klein, Geschäftsführer Tel. +49 221 - 470 - 891 10 Daimler und Benz Stiftung Fax +49 221 - 470 - 891 01 Dr.-Carl-Benz-Platz 2 68523 Ladenburg Ansprechpartner: Dipl. Jur. Anna Genske, M. mel. Tel. +49 6203 - 1092 - 0 Tel. +49 221 - 470 - 891 36 Fax +49 6203 - 1092 - 5 Marc Jannes, M. Sc. Kommunikation: Tel. +49 221 - 470 - 891 09 Dr. Johannes Schnurr Tel. +49 176 - 216 446 92 Patricia Piekenbrock Tel. +49 152 - 289 093 77 ceres-info@uni-koeln.de www.ceres.uni-koeln.de info@daimler-benz-stiftung.de www.daimler-benz-stiftung.de Bildnachweise Titelbild: Composing unter Verwendung von fotolia ©Alexander Pekour und fotolia©sarah5 Porträtsfotos: privat Sonstige: Daimler und Benz Stiftung/ Oestergaard
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