Rote Listen Sachsen-Anhalt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes 69 Kriebelmücken für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Diptera: Simuliidae) Halle, Heft 1/2020: 853–856 Bearbeitet von Doreen Werner der kollinen Stufe am Harzrand bis in die hochmonta- [Nachdruck der 1. Fassung unter Hinzufügung von nen Lagen stark wechselt. Abbildungen aus Werner (2006), Stand: Februar 2004] Simuliiden haben eine geringe Körpergröße, die ca. 2 bis 5mm beträgt. Besonders charakteristisch ist Einführung die starke Ausbildung des Mesothorax, der die buck- lige Gestalt der Mücken bedingt. Der Kopf ist rundlich Die Erfassung und Bearbeitung der medizinisch und und trägt die 9- bis 11-, seltener 13- gliedrigen, kur- veterinärmedizinisch relevanten Familie der Kriebel- zen Antennen, die Mundwerkzeuge mit dem kom- mücken (Simuliidae, Diptera) wurde bisher im Land pliziert gebautem kurzen Rüssel sowie die sexualdi- Sachsen-Anhalt aufgrund ihrer schwierigen Bestimm- morph gestalteten Facettenaugen. Ocellen fehlen. Die barkeit und aus Problemen der Probennahme völlig hyalinen Flügel sind rundlich bis oval und werden im vernachlässigt. Aus diesem Grund erfolgte bisher Ruhezustand horizontal übereinander gelegt. Beine ebenfalls keine Einordnung innerhalb der Roten Liste. und Abdomen sind im Verhältnis zu anderen Nemato- Die vorliegende Zusammenstellung soll erstmalig ceren kurz und kräftig ausgebildet. eine Diskussionsgrundlage für die Zugehörigkeit der In fließenden, sauerstoffreichen Gewässern er- Arten dieser Familie zur Roten Liste in Sachsen-Anhalt folgt die Entwicklung der präimaginalen Stadien. Die darstellen. morphologische Anpassung der Larven und Puppen Weltweit sind ungefähr 1.787 Kriebelmücken wurde bereits von Eichhorn (1775 zitiert nach Wilhelmi (Crosskey 2002) bekannt, von denen bisher 48 Arten in 1920) bei den Larven in Form des caudalen Haftap- Deutschland nachgewiesen wurden (Zwick & Werner perates und bei den Puppen in der Fertigung eines 1998 unter Berücksichtigung von Werner 2003) und Kokons gesehen. Kennzeichnend für Simuliidenlarven ungefähr 50–60 morphologisch unterscheidbare ist ihre wurmartige Gestalt und die kompliziert ge- Arten zu erwarten sein könnten. Die Artenzahl dürfte bauten Kopffächer, die dem Nahrungserwerb dienen. real jedoch noch wesentlich höher liegen. Für Simulii- Suspendierende Nahrungsartikel wie z.B. Algen, Bak- den ist die Ausbildung von Komplexarten charakteris- terien, Detritus werden mittels dieser Fächer gefiltert tisch, die unter Einbeziehung zytotaxonomischer und und durch Abknicken zur Mundöffnung geführt. molekularbiologischer Techniken trennbar sind. Es ist Meist werden 7 Larvenstadien durchlaufen, bis allgemein akzeptiert, dass diese Komplexarten Ge- die ausgewachsene Larve mit Hilfe eines Spinnsekrets schwisterarten darstellen, die sich hinsichtlich ihrer einen arttypischen, auf unterschiedliche Weise am Einnischung im Ökosystem und ihrer Wirtsspezifität Substrat angehafteten Kokon webt, dessen Öffnung unterscheiden können. in Strömungsrichtung liegt. Die Atmung der Puppe Auf das Bundesland Sachsen-Anhalt entfallen erfolgt über paarig angelegte Atemfäden, die bei den hiervon nach aktuellen Erhebungen (Werner & Adler, i. meisten Arten aus dem Kokon herausragen und sub- Dr.) 24 morphologisch trennbare Arten. Diese Arten- und emers fungieren. Vor dem Schlupf reichern die zahl erscheint auf den ersten Blick sehr gering, doch Puppen Sauerstoff im Kokon an, mit dessen Hilfe sie der überwiegende Teil des Bundeslandes ist durch beim Schlupf an die Oberfläche steigen. altpleistozäne Strukturen, d.h. durch weitflächige Durch die spezifische Lebensweise der Präimagi- Bereiche des Norddeutschen Tieflandes mit geringen nalstadien der Simuliiden gekoppelt mit ihrer Fähig- Reliefunterschieden gekennzeichnet, die die Brutha- keit, alle Fließgewässertypen vom Quellbereich bis hin bitate der Simuliiden prägen und somit ein verarm- zum Strom im Potamal zu besiedeln, sind die Arten tes Arteninventar in diesem Bereich bedingen. Diese diese Familie geradezu prädestiniert, als Bioindikatoren landschaftlich relative Gleichförmigkeit wird abge- bei der biologischen Gewässeranalyse zu fungieren. löst durch das Vorhandensein hügliger Abschnitte Begünstigend kommt hinzu, dass an die Aufsamm- im Gegensatz zu der im Westen des Landes einset- lung der Arten keine speziellen methodischen Anfor- zenden Mittelgebirgsschwelle mit dem nördlichsten derungen gestellt werden. Die Bestimmung der Arten deutschen Mittelgebirge, dem östlichen Harz. Die gestaltet sich jedoch schwierig. Für die Schaderreger Geologie des Harzes mit den Hochebenen, steilen sind die Verbreitung und Ökologie meist gut unter- Bergrücken und seichten Tälern prägt den Land- sucht. Für die selteneren Arten sind ihre Biologie und schaftscharakter. Diese geologische Besonderheit hat ihre ökologische Bedeutung kaum geklärt. Ein großes extreme Auswirkungen auf die Ausbildung der Fließ- Problem stellt die Einschätzung einiger Arten hinsicht- gewässerstrukturen und somit auf das Simuliiden- lich ihrer Bestandsentwicklung und Ansprüche an das spektrum in diesem Gebiet und rückt die für die Rote Ökosystem dar, weil gerade auf ihrer Grundlage die Liste interessante Arten ins Blickfeld, da die Fauna mit Erarbeitung der Roten Listen erfolgen sollte. 853
Kriebelmücken Hinsichtlich ihrer medizinischen Bedeutung dürfen der Abgabe eines toxischen Speicheldrüsensekrets die Simuliiden nicht unerwähnt bleiben. Neben den bei der Blutaufnahme der Weibchen. Bevorzugte Culicidae, Ceratopogonidae, Tabanidae, Muscidae Stichstellen sind meist dünnhäutige Körperpartien und Calliphoridae erlangt gerade diese Familie als der Wirte. Das bei Aufnahme der Blutmahlzeit in die Blutsauger und Krankheitsüberträger eine nicht zu Wunde injizierte Speicheldrüsensekret verhindert unterschätzende soziale und wirtschaftliche Bedeu- die Gerinnung des Blutes und übt gleichzeitig eine tung. Bedingt durch die Lebensweise der meisten anästhesierende Wirkung aus. Außerdem stellt es Weibchen als blutsaugende Ektoparasiten spielen die ein stark hämolytisches Gift dar, welches zu Gewebs- Kriebelmücken eine wesentliche Rolle als Überträger schwellungen und Blutergüssen sowie Infiltrationen von Krankheitserregern, insbesondere von Filarien, in den verschiedensten Organen führt (Gräfner 1977). Plasmodien und Nematoden bei Säugern und von Nach einem Befall bleiben meist schwere physiologi- Haemosporidien bei Vögeln. sche Schädigungen zurück oder die Tiere sterben in Überall, wo die blutsaugenden Arten der Familie kürzester Zeit. zur massenhaften Entwicklung kommen, können sie u.a. am Weidevieh beträchtliche Verluste hervorrufen. Datengrundlagen Größere Schäden werden verursacht, wenn es durch geeignete Umweltfaktoren zu Massenentwicklun- Aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt liegen bereits gen der Kriebelmücken kommt. Insbesondere in den Meldungen über Simuliiden von verschiedenen Au- Frühjahrsmonaten sind starke Verluste an Weidevieh toren vor, die bis auf das Jahr 1870 zurückgehen. In hierauf zurückführbar. Der Anflug der einzelnen Krie- diesen Veröffentlichungen wird jedoch ausschließlich belmückenarten ist stark wirtsspezifisch (Rühm 1983). über das Schad- und Plageauftreten von Simuliiden im Fast alle Säugetierarten und Vögel sind potentiell ge- untersuchten Gebiet berichtet (Gräfner & Betke 1982). eignet für die Aufnahme einer Blutmahlzeit. Die Erfassung der Familie der Kriebelmücken Allgemeinerkrankungen bis hin zu Todesfällen mit adulten Tieren gestaltet sich sehr schwierig und (Simuliotoxikose) sind in bestimmten Schadgebieten ist mit dem Ziel einer flächendeckenden Bearbei- des Flachlandes ‒ auch im Bundesland Sachsen-An- tung nicht realisierbar. Aus diesem Grund wurden halt – periodisch an den Wirten zu verzeichnen (Rühm die präimaginalen Stadien, die an fließendes Wasser 1982, 1983; Werner 2003; Werner & Adler i. Dr.). Die gebunden sind, erstmals im gesamten Bundesland Ursache hierfür liegt in den Stichverletzungen und von Werner & Adler (i. Dr.) erfasst. In ausgewählten 2 1 3 Abb. 1: Weibchen von Simulium spec. (Länge ca. 3,5 mm). Abb. 2: Kopf einer Larve von Simulium nigrum (Meigen) in Frontalansicht. Die Palm- wedel-artigen seitlichen Strukturen dienen zum Filtern des Wassers. Abb. 3: Puppenhüllen (Puparien) von Simulium reptans (Linnaeus); in der rechten Hülle ist die Puppe fast ausgefärbt, die Imago steht kurz vor dem Schlupf. Man beachte die fadenförmigen, verzweigten Atmungs- organe, die aus den Puparien herausragen (Länge der Puppenhüllen ca. 3 mm) [Fotos: A. Stark; aus Werner (2006)]. 854
Kriebelmücken Fließgewässern des Bundeslandes Sachsen-Anhal- in Gattung und Untergattungen betrifft, soll in der tes wurden in den Frühjahrs-, Sommer- und Herbst- vorliegenden Arbeit konsequent das Gattungs- und monaten von 1996–2003 präimaginale Stadien der Untergattungssystem nach Crosskey & Howard (1997), Simuliiden an allen in Frage kommenden Substraten worin die in den meisten mitteleuropäischen Veröf- (Steinen, Holz, pflanzlichem Material, anorganischen fentlichungen verwendeten Gattungsbezeichnungen Materialien – vor allem Kunststoffsubstraten) ge- wie Boophthora, Nevermannia, Eusimulium und Wil- sammelt. Die Verteilung der Entnahmestellen wurde helmia zum Untergattungsstatus erhoben werden, bestimmt durch die Struktur der Fließgewässer und Anwendung finden. In der Übersicht des nachgewie- seiner ufernahen Abschnitte. In die Bearbeitung senen Arteninventars sind zum besseren Verständnis wurden ebenfalls Proben aus dem Staatlichen Amt die Bezeichnungen unter Berücksichtigung der Unter- für Umweltschutz Dessau/ Wittenberg und der Uni- gattungen angegeben. versität Leipzig einbezogen. Insgesamt konnten somit präimaginale Stadien von 206 Bruthabitaten berück- Gefährdungsursachen sichtigt werden. Als Gefährdungsursachen kommen in erster Linie die Nomenklatur Verschmutzung von Fließgewässern durch Einleitung von Abwässern vorrangig aus Haushalten und Indus- Die Nomenklatur der einzelnen Bestimmungsschlüs- trie in Betracht. Die dadurch entstehende organische sel ist verwirrend und wird sehr unterschiedlich Belastung der Gewässer unterdrückt das Vorkom- gehandhabt. Da dies auch die Zuordnung der Arten men der Arten, die klare, belastungsfreie Gewässer als Entwicklungshabitat benötigen und begünstigt von Stickstoff (Euthrophierung) im Einzugsbereich gleichzeitig das Auftreten von verschmutzungsto- intensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen in Form leranten Arten, die somit ohne jegliche Konkurrenz der Auswaschung von Dünge- und Pflanzenschutz- zur Entfaltung von Massenpopulationen neigen und mittel beobachtet. ein Schad- bzw. Plageauftreten hervorrufen können. Dieses Phänomen wird ebenfalls durch den Eintrag Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Kriebelmücken Sachsen-Anhalts Gefährdungskategorie Rote Liste Gesamt 0 R 1 2 3 Artenzahl (absolut) - 3 - - 2 5 24 Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - 12,5 - - 8,3 20,8 Der Ausbau und die Begradigung der Fließgewässer Danksagung und damit die Unterdrückung der natürlichen Struktu- ren hat ebenfalls einen beträchtlichen Einfluß auf das Dank sollte in erster Linie dem unnachgiebigen Vorkommen der anspruchsvolleren Arten. Zum einen Drängen zur Bearbeitung der Simuliidenfauna des bedingen Meliorationsmaßnahmen die Absenkung des Gebietes Dr. P. Sacher (Nationalpark Hochharz) gelten. Grundwasserspiegels, zum anderen verändern künst- Für die Überlassung von Literaturdaten sowie für liche Maßnahmen die Struktur des Gewässergrundes Informationen und Material Sachsen-Anhalts möch- und die aquatische Flora, die der Anhaftung der prä- te ich folgenden Personen danken: Dr. J. Bass (CEH imaginalen Stadien der Simuliiden dient. Dorset Winfrith Technology Centre Dorchester, UK), Dr. P. Betke (Freie Universität Berlin), Frau P. Martin (Landesamt für Verbraucherschutz Stendal), Dr. F. Pfeifer (Landesamt für Verbraucherschutz Halle), Dr. R. Schmäschke (Universität Leipzig) und Herrn E. Stackfleth (Landesamt für Verbraucherschutz Stendal). Art (wiss.) Kat. Simulium (Nevermannia) crenobium (Knoz, 1961) R Simulium (Nevermannia) cryophilum (Rubzov, 1959) complex R Simulium (Obuchovia) auricoma Meigen, 1818 R Simulium (Simulium) argyreatum Meigen, 1838 3 Simulium (Simulium) monticola Friederichs, 1920 3 Nomenklatur nach Crosskey & Howard (1997) 855
Kriebelmücken Literatur Crosskey, R.W. (2002): Second Update to the Taxonomic Werner, D. (2003): Die aktuelle taxonomische Situa- and Geographical Inventory of World Blackflies tion der Simuliidae (Diptera) in Deutschland mit (Diptera: Simuliidae). – The Natural History Mu- einem kurzen geschichtlichen Abriß des Beginns seum, London: 1–10. der Simuliidenforschung in Europa. – D.G.a.a.E.- Crosskey, R.W. & Howard, T.M. (1997): A new taxonomic Nachrichten (Bayreuth) 17(4): 142–144. and geographical inventory of world Blackflies Werner, D. (2006): Kriebelmücken (Simuliidae). Infor- (Diptera: Simuliidae). – The Natural History Mu- mationsbroschüre zur Morphologie, Lebensweise seum, London: 1–144. und Verbreitung der Kriebelmücken unter Berück- Gräfner, G. (1977): Zur Artenfauna, Verbreitung, Taxo- sichtigung der Schadregionen in Deutschland nomie, Biologie, Schadwirkung und Bekämpfung sowie des Krankheitsbildes Simuliose und des von Kriebelmücken (Diptera; Simuliidae) Im Bezirk Schadbildes Simulitoxikose. – Studia dipterologica Schwerin mit besonderer Berücksichtigung ihrer 13(2): 337–358. Bedeutung für die Jungrinderaufzucht. – Habilita- Werner, D. & P. H. Adler (2004): A faunistic review of tionsschrift, Humboldt-Universität zu Berlin, 202 S. the black flies (Simuliidae, Diptera) of the federal Gräfner, G. & Betke, P. (1982): Zur Bedeutung des state of Sachsen-Anhalt, Germany. – Abhandlun- Kriebelmückenbefalls bei Weidetieren mit einem gen und Berichte für Naturkunde, Magdeburg 27: geschichtlichen Überblick über das Vorkommen 205–245. von Kriebelmücken (Diptera; Simuliidae) auf dem Wilhelmi, J. (1920): Die Kriebelmückenplage. – Verlag Territorium der DDR.- Mh. Vet.-Med. 37: 448–450. Gustav Fischer, Jena: 1–246. Rühm, W. (1982): Spätes Schadauftreten von Booph Zwick, H. & D. Werner (1998): Simuliidae. In: Schumann, thora erythrocephala De Geer (Simuliidae, Dipt.). H. Bährmann, R. & A. Stark (Hrsg.)(1998): Checkliste Ein Beitrag zur Theorie der Schadentstehung bei der Dipteren Deutschlands. – Studia dipterologica Weidetieren. – Anzeiger für Schädlingskunde, (Halle/Saale), Suppl. 2: 1–354. Pflanzenschutz, Umweltschutz 55(4): 49–55. Rühm, W. (1983): Kriebelmücken (Simuliidae, Diptera) als Plage- und Schaderreger. – Veterinär-Medizini- sche Nachrichten 1: 38–50. Anschrift der Autorin Dr. rer. nat. Doreen Werner Arbeitsgruppe Biodiversität aquatischer und semi- aquatischer Landschaftselemente Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. Eberswalder Straße 84 15374 Müncheberg E-Mail: doreen.werner@zalf.de 856
Sie können auch lesen