Saison 2018 / 2019 BASF-Kulturprogramm - Kammermusik - BASF.com

Die Seite wird erstellt Hein-Peter Engel
 
WEITER LESEN
Saison 2018 / 2019 BASF-Kulturprogramm - Kammermusik - BASF.com
Saison 2018 / 2019
  BASF-Kulturprogramm

Kammermusik

Fazıl Say, Klavier
casalQuartett

Dienstag, 19. März 2019, 20.00
BASF-Feierabendhaus
Programm

Joseph Haydn
(1732 – 1809)

Streichquartett G-Dur Hob. III: 81 op. 77/1

Allegro moderato
Adagio
Menuett
Finale. Presto

Fazıl Say
(*1970)

Yürüyen Köşk.
Hommage à Atatürk für Klavierquintett op. 72b

Enlightenment
Struggle against Darkness
Believing in Life
Plane Tree

1. Teil: ca. 45 min

Pause
Ludwig van Beethoven
(1770 – 1827)

Klaviersonate C-Dur op. 2 Nr. 3

Allegro con brio
Adagio
Scherzo. Allegro
Allegro assai

Robert Schumann
(1810 – 1856)

Klavierquintett Es-Dur op. 44

Allegro brillante
In modo d‘una Marcia. Un poco largamento - Agitato
Scherzo
Finale. Allegro ma non troppo

2. Teil: ca. 60 min

                                                     3
Fazıl Say
  Mit seinem außergewöhnlichen pianistischen Ver-
mögen berührt Fazıl Say Publikum wie Kritik seit nun-
mehr 25 Jahren in einer Weise, wie sie rar geworden ist.
Seinen ersten Klavierunterricht erhielt Say bei Mithat
Fenmen, einem Pianisten, der noch bei Alfred Cortot
studiert hatte. Vielleicht ahnend, wie groß das Talent
des Jungen war, bat Fenmen seinen Schüler, jeden
Tag erst einmal über Themen des Alltags zu improvi-
sieren, bevor er sich mit klavieristischen Übungen
und Studien beschäftigte. Als Komponist hat Fazıl
Say unter anderem Auftragswerke für die Salzburger
Festspiele, den WDR, das Schleswig-Holstein Musik
Festival, die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern,
das Wiener Konzerthaus, die Dresdner Philharmonie,
die Fondation Louis Vuitton, das Orpheus Chamber
Orchestra und die BBC geschrieben. Sein Schaffen
umfasst u. a. vier Sinfonien, zwei Oratorien, verschie-
dene Solokonzerte sowie zahlreiche Klavier- und
Kammermusikwerke.
  Den Feinschliff als klassischer Pianist erhielt Fazıl
Say ab 1987 bei David Levine, zunächst an der Musik-
hochschule Düsseldorf, später dann in Berlin. Daneben
besuchte er bei Menahem Pressler regelmäßig
Meisterkurse. 1994 gewann er den „Young Concert
Artists“-Wettbewerb in New York. In der Folge spielte
Say mit allen renommierten amerikanischen und
europäischen Orchestern und zahlreichen großen
Dirigenten zusammen. Dabei trat Fazıl Say auch
immer wieder als Kammermusiker in Erscheinung,
etwa im Duo mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja
oder mit Maxim Vengerov, dem Minetti Quartet, Nicolas
Altstaedt und Marianne Crebassa.
  2016 erhielt Fazıl Say den Internationalen Beethoven-
preis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armuts-
bekämpfung und Inklusion in Bonn. 2017 wurde ihm
der Musikpreis der Stadt Duisburg verliehen.

4
casalQuartett
Felix Froschhammer · Rachel Späth, Violine
Markus Fleck, Viola · Andreas Fleck, Violoncello
   Seit seiner Gründung 1996 entwickelte sich das
Zürcher casalQuartett in über 1. 500 Konzerten in
aller Welt zu einem der international renommiertesten
Schweizer Quartette. Seine stilistische Vielfalt und vitale
Bühnenpräsenz sind außergewöhnliche Merkmale.
Ausgebildet beim Carmina-Quartett in Zürich, dem
Alban-Berg-Quartett in Köln und bei Walter Levin in
Basel kamen wichtige künstlerische Impulse durch
die Zusammenarbeit mit Martha Argerich, Clemens
Hagen, Patricia Kopatchinskaya, Sol Gabetta, Emma
Kirkby, Benjamin Schmid, Maurice Steger, Christoph
Prégardien, Khatia Buniatishvili, Nuria Rial, Regula
Mühlemann und vielen anderen. Neben der Pflege
des Kernrepertoires sind dem Quartett die Nähe
zum Publikum, die Einbindung künstlerischer Partner
aus verschiedenen Bereichen und die konzeptionelle
Ausgestaltung der Programme wichtig.
   Die Mitglieder des Ensembles setzen auch in eigenen
Festivals und Konzertreihen in der Schweiz und
Deutschland die Vision von innovativem, lebendigem
und emotionalem Konzertieren um. Das Streichquartett
ist eine der wandlungsfähigsten Gattungen, dem sowohl
stilistische Ausflüge in die Musik des 17. Jahrhunderts,
die Welt des Tango Nuevo, des Jazz und neuester
Kompositionen ebenso gelingen, wie die Erweiterung
der klanglichen und inhaltlichen Dimension durch
Gastmusiker, Schauspieler, Tanz und Literatur.
  Durch die Beschäftigung mit dem Instrumentarium
des Tiroler Geigenbauers Jacobus Stainer und der
faszinierenden, großteils unbekannten Musik des
18. Jahrhunderts, hat sich das Quartett nicht nur eine
internationale Fangemeinde erspielt, sondern auch
einen einzigartigen Quartettklang und -stil entwickelt.

                                                         5
Joseph Haydn
  Wien 1799. Der 27-jährige Fürst Franz Joseph
Maximilian von Lobkowitz, einer der umtriebigsten
Mäzene der Zeit, vergibt zwei Kompositionsaufträge.
Streichquartette sollen es sein, sechs Stück. Mag sein,
dass ihn die Besetzung interessiert hat, weil er selbst
Geige und Violoncello spielte. Wahrscheinlicher ist
jedoch, dass es die Gattung war, die ihn interessierte.
Denn Haydn hatte das Quartett zu einer Blüte geführt,
die Goethe später zu seinem berühmten Aperçu
veranlassten: „Man hört vier vernünftige Leute sich
unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzuge-
winnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente
kennen zu lernen.“
   In der Tat beschreibt Goethe hier wesentliche Merk-
male des Streichquartetts, die Haydn in seiner Aus-
einandersetzung mit dem noch neuen Besetzungs-
typ entwickelt hatte. Ausgehend von Quartett-
Divertimenti, die, wie der Name schon andeutet,
formal unbestimmt und musikalisch kurzweilig waren,
experimentierte Haydn mit einem solistisch besetzten
Ensemble von zwei Violinen, einer Bratsche und
Violoncello. Weil insbesondere das Violoncello von
seiner begleitenden Funktion, die es in der Musik
des Barock stets innehatte, befreit wurde, und auch
die Mittelstimme, die Bratsche, ins musikalische Ge-
schehen eingreift, spricht Goethe von „vier vernünf-
tigen“, gleichberechtigten „Leuten“. Hand in Hand mit
der Emanzipation der Begleitinstrumente ging die
Entdeckung ihrer klanglichen Qualitäten: wie sonor
kann eine Bratsche klingen, wie ausdrucksvoll und
lieblich kann das Violoncello singen, gerade in seiner
hohen Lage. Aus der Quartettbesetzung formte Haydn
eine musikalische Gattung, deren Anspruch es ist,
der Sinfonie ebenbürtig zu sein. Wie diese ist das
Streichquartett viersätzig, mit einem schnellen ersten
Satz in Sonatenhauptsatzform, einem kontemplativen
zweiten Satz, einem Menuett oder Scherzo als dritten
6
Satz und einem Finalsatz in Sonatenhauptsatzform
oder Rondoform. Die Diskurse, die Goethe erwähnt,
betreffen häufig die Auseinandersetzung mit der
Sonatenhauptsatzform. Und 1799 lebten in Wien
zwei Meister, die von der Sonatenhauptsatzform
in völlig unterschiedlicher Weise inspiriert waren,
und die jeder von ihnen auf höchst individuelle Weise
vorantrieb: Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven.
So lag es auf der Hand, an wen Lobkowitz seine
Kompositionsaufträge vergab: An Haydn, dem Schöpfer
der Gattung, seit vielen Jahren mit dem Streichquartett
befasst, von dem er sich eine Folge reifer Werke für
die Besetzung erwarten konnte, und an Beethoven,
der sich mit der Gattung noch nicht beschäftigt hatte,
und von dem Revolutionäres zu erwarten war.
  Umso überraschender ist es, dass Haydn mit
seinem Quartett Opus 77 Nr. 1 die Tonsprache des
18. Jahrhunderts neuerlich erweitert. Wie ein Marsch
beginnt der erste Satz, der sich auf das Divertimento
zurückzubesinnen scheint und zahlreiche musikalische
Einfälle in allen Instrumenten aufblitzen lässt. Das
Adagio atmet die Innigkeit der Romantik und deutet
mit seinen Modulationen, melodischen Entwicklungen
und in der Variabilität der Stimmverteilung voraus.
Haydn beließ es bei zwei anstatt der gewünschten
sechs Quartette – so mag man dieses Werk als
Haydns krönenden Abschluss mit der Gattung hören,
der gleichzeitig die Tür für die nachfolgende Generation
weit aufstößt.

Fazıl Say
  Mustafa Kemal Pascha gilt als Gründer der moder-
nen Türkei, deren erster Präsident er von 1923 bis 1938
war. Unter seiner Regierung wurden Kalifat und Sultanat
abgeschafft, aus dem Osmanischen Reich wurde eine
Republik nach westlichem Vorbild. Den Beinamen
„Atatürk“, Vater der Türken, trug er seit 1934.

                                                       7
Bis heute ist er eine Symbolfigur der türkischen
Identität und wird vor ganz unterschiedlichen Hinter-
gründen verehrt. Gegenwärtig stehen die „Kemalisten“
als Anhänger eines säkularisierten Staats einer
religiös motivierten Staatsführung der Türkei eher
kritisch gegenüber.
   Für die Musikalisierung seines Lands war Atatürk,
der 1923 mit umfangreichen gesellschaftlichen Re-
formen begann, zweifellos von größter Bedeutung.
Diese Reformen betrafen auch die Ausbildung der
Musiker, die nach deutschem Vorbild gestaltet werden
sollte. Cevat Bey, der türkische Regierungsbeauftragte
in Berlin, konnte Ende 1934 Paul Hindemith, der in
Berlin die Gründung einer der ersten deutschen
Musikschulen mitkonzipiert und unterstützt hatte,
für diese Aufgabe gewinnen – nicht zuletzt, weil dieser
fortgesetzten Anfeindungen durch die Nationalsozia-
listen ausgesetzt war. So schrieb der Komponist am
13. Februar 1934 an seinen Verlag: „Ich habe nicht
abgelehnt, [Cevat Bey] hat nach dort berichtet und
ich werde vielleicht bald hinfahren, um mir alles
einmal anzusehen. Für dauernd möchte ich nicht
hingehen, aber einige Monate im Jahr gern.“ Insge-
samt vier Reisen unternahm Hindemith in die Türkei,
brachte in mehreren Berichten seine Vorschläge für
den Aufbau des türkischen Musiklebens zu Papier,
entwarf ein Konzept für die Ausbildung von Musik-
lehrern und Musikern, schrieb eine Satzung für das
Konservatorium und erstellte eine Prüfungsordnung
für das Lehrerseminar.
  Die Früchte dieser Arbeit konnte der Komponist
und Pianist Fazil Say während seiner musikalischen
Ausbildung in der Türkei ernten. In seiner „Hommage
an Atatürk“ stellt er eine Begebenheit in den Vorder-
grund, die den Staatspräsidenten als Naturfreund zeigt.
Sein Haus, das er sich im Schatten einer Platane hatte
errichten lassen, ließ Atatürk um mehrere Meter
versetzen, als das Wurzelwerk des Baums dessen

8
Fundamente bedrohte. Yürüyen Köşk, die Geschichte
vom verschobenen Baum, ist gleichsam eine Parabel
auf das Wirken Kemal Atatürks, der die gewachsene
Natur respektierte und in etwas Neues überführte.
So beschreibt der erste Satz „Enlightenment“ den
im Schatten der Platane ruhenden Protagonisten,
von Natur und einer sanften Brise umfangen, die den
frischen Wind, der nun durch das Osmanische Reich
weht, versinnbildlichen mag. Ganz im Sinne Hindemiths,
der sich bei aller Reform für die Pflege und den Erhalt
türkischer Musik einsetzte, tritt ein zweites, orien-
talisch geprägtes Thema hinzu. Der zweite Satz,
„Struggle against Darkness“ beginnt bedrohlich und
meint nicht nur die Bedrohung des Hauses durch
den Baum und die des Baums durch den Menschen.
Dunkelheit und alte Seilschaften bedrohen die Ideen
des Staatsgründers. Im dritten Satz, „Believing in Life“,
ist die Dunkelheit überwunden, eine Lösung gefunden
und das Überleben aller Beteiligten gesichert. Der
letzte Satz, „Plane Tree“, nimmt die Perspektive des
Baums ein und erzählt von der Versetzung des Hauses
und einer einträchtigen Koexistenz von Natur und
Mensch.

Ludwig van Beethoven
   Beethovens Auseinandersetzung mit dem Sonaten-
hauptsatz als Kompositionsform fand zunächst in der
Klaviersonate statt. Opus 2 Nr. 3 wurde im Septem-
ber 1795 beim Fürsten Lichnowsky in Anwesenheit
Haydns, dem die Sonate auch gewidmet ist, vom
virtuosen Komponisten selbst uraufgeführt. Zweifel-
los wollte Beethoven sich mit der Komposition dieser
Sonate in der musikalischen Welt Wiens positionieren,
sie strotzt geradezu vor Energie und Selbstbewusst-
sein. Die große, viersätzige Anlage des Werks und
der thematische, an Überfluss grenzende Reichtum
eines jeden Satzes, erklärt sich aus diesem Ehrgeiz.
In diesem Sinne ist auch die Gegenüberstellung

                                                        9
musikalischer Stilmittel zu verstehen, die in der zeit-
genössischen Komposition üblicherweise nicht mit-
einander verbunden wurden wie Virtuosität und Pathos,
strenge Kontrapunktik und Passagen freien Fantasie-
rens oder unvermittelte Charakterwechsel innerhalb
der Sätze. Modulationen in entfernte Tonarten und
komplexe technische Anforderungen überführen die
Beethovensche Klaviersonate aus der beschaulichen
Welt des privatim musizierenden Dilettanten in die
musikalischen Zirkel von Kennern. Die Klaviersonate
wird exklusiv, inhaltlich wie formal.
   Seinen jugendlichen Übermut beim Schreiben
dieser Sonate erinnert Beethoven später: „Sie [die
drei Sonaten op. 2] sind nicht so gedruckt, wie ich
sie zuerst geschrieben hatte; als ich meine ersten
Manuscripte, einige Jahre nachdem ich sie geschrie-
ben, ansah, habe ich mich gefragt, ob ich nicht toll war,
in ein einziges Stück zu bringen, was dazu hinreichte,
zwanzig Stücke zu componieren. Ich habe diese
Manuscripte verbrannt, damit man sie niemals sehe,
und ich würde bei meinem ersten Auftreten als
Componist viele Thorheiten begangen haben ohne
die guten Ratschläge von Papa Haydn und Albrechts-
berger.“ Welche Koketterie!

Robert Schumann
   Wer über das Klavierquintett als kammermusika-
lische Gattung nachdenken möchte, findet dessen
Ausgangspunkt bei Robert Schumann. 1842 notiert
Clara Schumann in ihrem Tagebuch: „Die letzte Woche
des Septembermonats ist, was unser äußeres Leben
betrifft, sehr still hingegangen, umsomehr aber hat
mein Robert mit dem Geist gearbeitet! er hat ziemlich
ein Quintett vollendet, das mir nach dem, was ich
erlauscht, wieder herrlich scheint – ein Werk voll Kraft
und Frische!”

10
Ein Werk, das nach den letzten goldenen Strahlen
der Herbstsonne klingt, nach sanften Windböen
im reifen Getreide, erstem Raureif und Frühnebel –
zumindest in den ersten beiden Sätzen. In den letzten
beiden Sätzen hingegen scheint Schumanns Ver-
ehrung für Mendelssohn durch. Uraufgeführt wurde
Schumanns Klavierquintett am 8. Januar 1843 in
Leipzig mit Clara Schumann am Klavier und dem
Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Ferdinand
David, an der ersten Geige. Das mit dem Streichquartett
kombinierte Klavier und die orchestralen Wirkungen
dieser Besetzung wurden zum Vorbild für viele andere
Komponisten: Johannes Brahms, Antonín Dvořák oder
Gabriel Fauré sind nur einige, die sich seinen groß-
artigen Wurf gerne zum Beispiel nahmen. Und hier
schließt sich der Kreis: Wenn Haydn der Vater des
Streichquartetts ist, so ist Schumann – inspiriert
von Beethoven – der des Streichquintetts. Opus 44
ist das erste Kammermusikwerk mit Klavier, das
Schumann öffentlich vorstellte und im Druck ver-
öffentlichen ließ. Er war sich seiner Sache sicher.
                                           Heike Fricke

Veranstaltungshinweis
26. März 2019, 20.00, BASF-Feierabendhaus
Isabelle Faust, Violine
Orchestre des Champs-Élysées
Philippe Herreweghe, Dirigent
Werke von Johannes Brahms und
Robert Schuman
BASF SE
FHG/TC – Z 24 · Kunst & Kultur
Tel.: 0621- 60 99911 · Email: basf.konzerte@basf.com
www.facebook.de/BASF.Kultur · Twitter: @BASF−Kultur
www.basf.de/kultur
Sie können auch lesen