Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm - Sinfoniekonzerte
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Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm Sinfoniekonzerte Jean Rondeau, Cembalo Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Marie Jacquot, Dirigentin Mittwoch/Donnerstag, 04./05. Dezember 2019, 20.00 BASF-Feierabendhaus
Programm Johann Sebastian Bach Maurice Ravel (1685 – 1750) (1875 – 1931) Fuga (Ricercata) a 6 voci. Le Tombeau de Couperin Nr. 5 aus dem „Musikalischen Opfer“ BWV 1079 Prélude. Vif für Orchester gesetzt von Anton von Webern Forlane. Allegretto Menuet. Allegro moderato Rigaudon. Assez vif Francis Poulenc (1899 – 1963) Johann Sebastian Bach Concert champêtre FP 49 Allegro molto Ouvertüre Nr. 3 D-Dur BWV 1068 Andante Ouvertüre Finale. Presto Air Gavotte Bourrée 1. Teil: ca. 40 min Gigue Pause 2. Teil: ca. 45 min 3
Marie Jacquot Jean Rondeau Marie Jacquot zeichnet sich durch ihre Freude an Bereits vor seinem Studium am Pariser Konserva- der Erforschung eines breit gefächerten Repertoires, torium hatte Jean Rondeau zehn Jahre Cembalo- ihre konsequente Probenarbeit und ihre inspirierende unterricht bei Blandine Verlet. Neben Cembalo studierte Freude am Musizieren aus. Ihre musikalische Aus- er Generalbass, Orgel, Klavier, Jazz und Improvisation, bildung begann in Paris, wo sie Posaune studierte, Komposition sowie Dirigat. Nachdem er am Conserva- gefolgt von einem Dirigierstudium an der Universität toire National Supérieur de Musique in Paris mit Aus- für Musik und Darstellende Kunst Wien bei Uroš zeichnung abschloss, setzte er seine Studien an der Lajović, weiteren Studien bei Nicolas Pasquet und Guildhall School of Music and Drama in London fort. Ekhart Wycik in Weimar und mehreren Meister- Mit 21 Jahren war Rondeau einer der jüngsten kursen, unter anderen bei Simon Rattle, Fabio Luisi Gewinner des Cembalowettbewerbs des Musica und Zubin Mehta. Nach mehreren renommierten inter- Antiqua Festivals 2012 in Brügge sowie Träger des nationalen Stipendien ist sie seit 2016 Stipendiatin European Union Baroque Orchestra Development des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats. Trust Awards, der an die vielversprechendsten jungen Noch während ihres Studiums machte Jacquot Künstler in der Europäischen Union vergeben wird. auf sich aufmerksam, etwa als Assistentin von Peter 2013 ernannten ihn die Radios Francophones Publiques Rundel für Karlheinz Stockhausens „Michaels Reise zum „Jungen Solisten 2014“ und im Januar 2015 um die Erde“ im Rahmen des Lincoln Center Festivals verliehen ihm die Victoires de la musique classique in der Avery Fisher Hall New York mit dem Ensemble den Titel „Offenbarung des Jahres“ in der Kategorie musikFabrikKöln. Nach ihrem Diplomkonzert im Wiener Instrumentalsolist. Musikverein 2014 weitete Marie Jacquot ihre Dirigier- Seine Engagements als Kammermusiker und Solist tätigkeit aus. Sie war Assistentin von Simeon Pironkoff führen ihn regelmäßig in die großen Konzerthäuser mit dem Ensemble PHACE bei einer Kooperation Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens. Er ist zwischen den Bregenzer Festspielen und Wien Gründungsmitglied des Barockensembles Quatuor Modern, dirigierte beim Ö1-Musiksalon-Kompositions- Nevermind und Mitgründer des Ensembles Jasmin preis der Österreichischen Nationalbank, assistierte Toccata, ein Aufeinandertreffen der Welt des Barock beim Wiener Klangforum und debütierte mit dem mit jener der orientalischen Modalität. Rondeau Wiener Kammerorchester im Wiener Konzerthaus. arbeitet mit Ensembles wie Les Violons du Roy, 2016 war sie Assistentin von Kirill Petrenko bei der Kammerorchester Basel, Stuttgarter Kammerorchester, Uraufführung von „South Pole“ an der Bayerischen Orchestre National de Lille und dem hr-Sinfonie- Staatsoper, wo sie auch die musikalische Leitung für orchester zusammen und gastiert in Konzerthäusern das Festspielprojekt „Tonguecat“ übernahm. wie Barbican Center London, Théâtre des Champs- 2016 wurde Jacquot Erste Kapellmeisterin und stell- Élysées Paris, Elbphilharmonie Hamburg, Alte Oper vertretenden Chefdirigentin am Mainfranken Theater Frankfurt und Carnegie Hall New York. Würzburg. Seit der Spielzeit 2019/20 ist Marie Jacquot Sein Debüt als Filmkomponist feierte Rondeau 2016 Kapellmeisterin an der Deutschen Oper am Rhein. mit dem Soundtrack für Christian Schwochows Film „Paula“ über die Malerin Paula Modersohn-Becker. 4 5
Deutsche Staatsphilharmonie Johann Sebastian Bach/ Rheinland-Pfalz Anton von Webern Im Schatten des Ersten Weltkriegs kamen 1919 enga- Bachs Einfluss auf die Nachwelt ist seit beinahe gierte Bürger in Landau zusammen, um die Gründung 300 Jahren spürbar und kaum zu überschätzen. Seit eines reisenden Landes-Sinfonieorchesters zu be- Felix Mendelssohn 1829 die Matthäuspassion in Leipzig schließen. Nach dem Gründungskonzert am 15. Februar aufführte und Johann Sebastian Bach wieder ins 1920 brach das Orchester zu einer ersten Konzert- Bewusstsein der Menschen rief, zählt er zu den hellsten reise durch die Pfalz und das Saarland auf. Damit Sternen der Musikgeschichte – jedenfalls für die Men- begann die Geschichte der Deutschen Staatsphil- schen, die den Himmel von Europa aus betrachten. harmonie Rheinland-Pfalz, die mittlerweile auf eine Werke von ihm haben wir sogar im Weltall hinterlegt, 100-jährige Tradition zurückblicken kann. falls etwaige Schwestern und Brüder ferner Galaxien Schon früh erregte das Orchester unter dem Dirigat mal reinhören wollen, um sich einen Eindruck von uns von Richard Strauss und Hermann Abendroth über- Menschen zu machen. regionale Aufmerksamkeit. Chefdirigenten wie Christoph Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzen sich zeitge- Eschenbach und Leif Segerstam verhalfen dem Klang- nössische Komponisten vermehrt mit dem Schaffen körper zu internationaler Beachtung. Auch Michael Johann Sebastian Bachs auseinander, indem sie einige Francis, seit dieser Saison Chefdirigent des Orchesters seiner bekanntesten und beliebtesten Stücke für wird zahlreiche neue Impulse geben. Orchester bearbeiteten. Anton von Webern folgte 1935 Als Orchester ohne festes Haus ist die sinfonische dem Beispiel seines Lehrers Arnold Schönberg, der Versorgung des Landes bis heute die wichtigste Auf- sich zwischen den beiden Weltkriegen intensiv mit gabe der Staatsphilharmonie. Mit über 100 Konzerten Bachs Musik auseinandersetzte. Den Vorteil einer pro Saison bringt sie die Musik zu den Menschen. Gast- Orchestrierungen sah er darin, dass so der Verlauf spiele im In- und Ausland sowie die Zusammenarbeit der kontrapunktisch verwobenen Stimmen nachvoll- mit bedeutenden Dirigenten und Solisten bezeugen ziehbarer gestalten werden könne. „Das Recht zur das hohe Ansehen. Vermittlungs- und Familienformate Transkription wird hier zur Pflicht.“ schrieb er dem bereichern das Angebot für junge Menschen. Mit befreundeten Dirigenten Fritz Striedry. Probenbesuchen und Krabbelkonzerten werden bereits Den Idealen seines Lehrers folgend, instrumentierte die Kleinsten an die klassische Musik herangeführt. Anton von Webern das „Ricercata“ aus Bachs „Musi- Reiselust und Aufbruch prägen das Orchester nicht kalischem Opfer“. Das Original entstand 1747 während nur in geografischer Hinsicht. Die Staatsphilharmonie Bachs letztem Berlinbesuch, wo er bei einer könig- macht sich auch im übertragenen Sinne immer wieder lichen Soirée vor Friedrich dem Großen musizierte. auf den Weg. Musik zu den Menschen zu bringen, Der König selbst spielte ihm ein Thema auf dem bedeutet für sie nicht nur vor Ort zu sein, sondern Hammerklavier vor und bat Bach darüber eine sechs- auch die Menschen unmittelbar zu erreichen. So ist stimmige Fuge zu schreiben. Das sogenannte „König- das Orchester auch 100 Jahre nach der Gründung liche Thema“ (Thema regium) ist Kernstück der ge- fester Bestandteil des Kulturlebens und ein kultureller samten Sammlung aller Sätze, die das „Musikalische Leuchtturm für Rheinland-Pfalz und darüber hinaus. Opfer“ beinhaltet. 6 7
Francis Poulenc ment konzipierte. Das „Landowska-Modell“ ging einige Jahre später in Serie und löste zu Beginn des 20. Jahr- Jede Party hat einen Löwen, jede Kirche ihren hunderts einen Hype um das altertümliche Instru- Pfarrer. Um 6 Uhr morgens gibt es Frühstück und um ment aus. Obwohl es sich mit Metallrahmen, Pedalen 22 Uhr beginnt die Nachtruhe. Für eine so formelhaft und einem um 16’-Register erweiterten Tonumfang verkürzte Welt, die in einen Schuhkarton passt, war stark vom Klang der historischen Instrumente aus Francis Poulencs’ Fantasie zu groß. Er wollte alles sein: dem 17. und 18. Jahrhundert unterschied, spielt Intellektueller und Taugenichts, traurig und heiter, Poulencs „Concert champêtre“ ganz deutlich auf Salonlöwe und Pope. Er wollte rauschhaft arbeiten den barocken Ursprung des Cembalos an. Scarlatti, und ebenso feiern. Eigenschaften, die er nach eigenen Couperin oder Händel sind Namen, die schwer auf Aussagen der Familie seiner Mutter verdankte. jeder Note des Konzerts lasten. Aber auch heitere Groß- Poulenc wuchs behütet in einer gut situierten Pariser stadtmusik aus dem Paris der Goldenen Zwanziger ist Familie auf. Der Vater war ehrgeiziger Firmendirek- zu hören. Wie Poulenc selbst schwankt sein „Concert tor eines pharmazeutischen Familienunternehmens. champêtre“ unentschlossen zwischen Nonsens, Seine Mutter, mit ausgeprägter Ader für Ulk, Klamauk Nightclub und Notre Dame. und alles Musische, weckte in ihrem Sohn den Sinn Der Anfang ist ungewöhnlich: Das Orchester be- für geistreiche Heiterkeit. Als Heranwachsender ent- ginnt mit einer archaisch klingenden Harmoniefolge, wickelter er sich zu einem virtuosen Pianisten und die wie aus der Ferne von den Hörnern beantwortet erhielt Unterricht bei Ricardo Viñès, einem der bedeu- wird. Daraufhin setzt das Cembalo mit spannungs- tendsten Klavierinterpreten der Epoche. Sein Lehrer reichen Akkorden ein. Da man den Klang des Instru- prägte ihn nicht nur im Fach Klavier, sondern unter- ments so stark mit dem barocken Zeitalter verbindet, stütze auch Poulencs Wunsch, selbst schöpferisch stehen die Dissonanzen in starkem Kontrast zu der tätig zu werden. So stellte Ricardo Viñès den Kontakt Klangvorstellung, die man zunächst erwarten würde. zu Komponisten wie Milhaud, de Falla und Satie her. Nach der Einleitung löst sich die anfängliche Irritation Im Dezember 1917 debütierte der Autodidakt Francis auf und es entwickelt sich ein sprunghaft-vergnügtes Poulenc mit seiner „Rapsodie nègre“ für Gesang Szenario im barocken Duktus. Doch Poulenc fertigt und Kammerensemble. Für Aufsehen sorgten die keine neobarocke Stilkopie an, sondern führt uns Nonsenstexte, die aus seiner eigenen Feder stamm- auf eine kontrastreiche Zeitreise mit musikalischen ten. Mit seinem Humor und dem kultiviertem Dilettan- Umdeutungen und Überraschungen. tismus ohne akademischen Hintergrund entsprach er geradezu archetypisch dem von Jean Cocteau Das zart ausgearbeitete Thema des Andante er- proklamierten Bild des modernen französischen innert an Mozart und die Klangwelt der Wiener Klassik, Komponisten. Erst zwischen 1921 und 1924 studierte während das Finale wieder die barocke Couleur des Poulenc Komposition bei Charles Koechlin. ersten Satzes aufgreift. Nach einer privaten Aufführung, bei der Poulenc die Orchesterpartien am Klavier spielte, Die Cembalistin und Pianistin Wanda Landowska wurde das Stück am 3. Mai 1929 in der Salle Pleyel in überredete Poulenc 1928 dazu, ihr ein Konzert zu Paris uraufgeführt. Am Cembalo interpretierte Wanda schreiben. Seit 1903 spielte sie auf einem moderni- Landowska die Solopartie, während sie das Orchestre sierten Cembalo der französischen Firma Pleyel, die für Symphonique de Paris unter der Leitung von Pierre die Weltausstellung 1889 in Paris ein neues Instru- Monteux begleitete. 8 9
Maurice Ravel Johann Sebastian Bach Gemeinsam mit Claude Debussy wurde Ravel zu Die Ouvertüre BWV 1068 ist vor allem wegen ihrer seinen Lebzeiten als Avantgarde der französischen weltberühmten „Air“ bekannt und beliebt. Der besinn- Musik und als Hauptvertreter des musikalischen liche Streichersatz ist magisch: Über einer stetigen Impressionismus wahrgenommen. Nur wenige seiner Pendelbewegung im Bass entfaltet sich eine zärtliche Kompositionen folgen einer klassischen Gattungs- Melodie, die eine meditative, beinahe hypnotische tradition, vielmehr schrieb Maurice Ravel Einzelstücke, Wirkung ausübt. die für sich stehen und, ähnlich wie man Personen Die Gattung der Orchestersuiten geht auf die fran- Namen gibt, poetische Titel tragen. „Le Tombeau de zösische Hofmusik des 17. Jahrhunderts zurück – Couperin“, also „Das Grabmal des Couperin“ war insbesondere der Komponist Jean-Baptiste Lully ursprünglich eine Klaviersuite, die Ravel 1919 orches- prägte sie. Da der prachtvolle Kopfsatz besonders trierte. Die gewählte Überschrift lässt verschiedene anspruchsvoll und umfangreich ist, werden die Interpretationen zu: François Couperin, dem dieses Orchestersuiten „Ouvertüren“ genannt. Insgesamt komponierte Grabmal gelten sollte, war Hofkomponist vier Orchestersuiten sind von Bach überliefert, wobei von Ludwig XIV. und einer der wichtigsten musika- nicht auszuschließen ist, dass es auch mehr gewesen lischen Persönlichkeiten Frankreichs zwischen Lully sein könnten. Die Besetzung mit Pauken und Trom- und Rameau – darüber hinaus war er der Lieblings- peten in der Orchestersuite Nr. 3 erinnert an den komponist von Maurice Ravel, der das 18. Jahrhundert ursprünglich zeremoniellen Charakter der Ouvertüre. verehrte und mit „Le Tombeau de Couperin“ eine neoklassizistische Stilkopie anfertigte. Als Felix Mendelssohn im Mai 1830 seinen Mentor Goethe in Weimar besuchte, spielte er ihm den ersten Das Stück ist ein Denkmal für die klassische Form, Satz aus der Orchestersuite Nr. 3 vor. Mendelssohn deren Klarheit keinen sentimentalen Ausdruck kennt. berichtete in einem Brief: „Über die Ouvertüre von Und doch steckt die Komposition voller wehmütiger Seb. Bach aus D-Dur mit den Trompeten, die ich ihm Erinnerungen an die unwiederbringliche musikalische auf dem Klavier spielte, so gut ich konnte und wußte, Welt des 18. Jahrhunderts und ganz unmittelbar an die hatte er eine große Freude; ‚im Anfange gehe es so im Ersten Weltkrieg gefallenen Freunde des Kompo- pompös und vornehm zu, man sehe ordentlich die nisten, denen er die einzelnen Sätze widmete. Hinter Reihe geputzter Leute, die von einer großen Treppe der hellen, spielerischen Oberfläche der vier Tanz- herunterstiegen‘.“ sätze liegt etwas Dunkles, das der fantastischen, zauberhaften Klangwelt der Komposition eine emp- Beginnt echte Kunst nicht dort, wo sie zu wirken findsame Tiefe verleiht. Viele Herzen schlugen in beginnt? Strengen Sie Ihre Fantasie an und lassen Maurice Ravels Brust, auch wenn er für sich den Aus- Sie sich wie der alte Goethe von dieser wunderbaren spruch proklamierte: „Man muß Kopf und Unterleib Musik inspirieren. Was sehen Sie? Eine große Frei- haben, aber kein Herz“. Er trug die Maske eines treppe vor einem Schloss, ein großes Fest, vielleicht gewieften Spielers, den es niemals zu unterschätzen Feuerwerk? galt – und so fußt auch seine Musik stets auf dop- peltem Boden. Judith Schor 10 11
Künstlergespräch 04./05. Dezember 2019, 19.00, Kammermusiksaal Michael Kube im Gespräch mit Jean Rondeau Veranstaltungshinweise 06. Dezember 2019, 20.00, BASF-Feierabendhaus Jean Rondeau, Cembalo & Ensemble „Bach-Dynastie“ Werke von Johann Sebastian, Johann Christoph, Johann Christian und Wilhelm Friedemann Bach 07. Dezember 2019, 20.00, Cinema Paradiso & Arte Jean Rondeau, Cembalo Thomas Dunford, Laute Keyvan Chemirani, Schlagzeug „Jasmin Toccata“. Barock trifft Orient
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