Schnelle Veränderungen in der Arktis - Polarforschung in globaler Verantwortung - Forschung für ...

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Schnelle Veränderungen in der Arktis - Polarforschung in globaler Verantwortung - Forschung für ...
Schnelle Veränderungen in der Arktis
Polarforschung in globaler Verantwortung
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort                                                                                                                                                                                                                                                           2

Einleitung                                                                                                                                                                                                                                                        3

1. Strategische Ziele der Arktisforschung                                                                                                                                                                                                                         4

2. Die zentralen Fragen der Arktisforschung                                                                                                                                                                                                                       5
2.1. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Klimawandels in der Arktis.............................................................................................................................................5
2.2. Beitrag des grönländischen Inlandeises zur Meeresspiegelerhöhung.......................................................................................................................................6
2.3. Rückgang des arktischen Meereises..........................................................................................................................................................................................................................7
2.4. Permafrost und Gashydrate als unbekannte Größen im Klimasystem..................................................................................................................................8
2.5. Anpassung polarer Organismen an die arktische Umwelt im Wandel....................................................................................................................................9
2.6. Chancen und Risiken zunehmender wirtschaftlicher Nutzung der Arktis............................................................................................................................ 11

3. Stand der deutschen Polarforschung                                                                                                                                                                                                                         14
3.1. Partner der deutschen Arktis­forschung............................................................................................................................................................................................. 14
3.2. Regionale Schwerpunkte der deutschen Arktisforschung........................................................................................................................................................ 15
3.3. Positionierung im internationalen Umfeld....................................................................................................................................................................................... 16

4. Umsetzung der Arktisforschungsstrategie                                                                                                                                                                                                                    18
4.1. Forschung für Nachhaltigkeit................................................................................................................................................................................................................. 18
4.2. Wissenstransfer in die Gesellschaft.................................................................................................................................................................................................................. 19
4.3. Technologietransfer.................................................................................................................................................................................................................................... 20
4.4. Nachwuchsförderung................................................................................................................................................................................................................................. 22

Anmerkungen........................................................................................................................................................................................................................................................ 23

Impressum                                                                                                                                                                                                                                                     25
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Vorwort

Vor rund 150 Jahren gab der Geograf August Petermann           Die Eisschilde und polaren Sedimente sind ein wichtiges
auf einer Fachtagung in Frankfurt den Anstoß für die           Klimaarchiv für die Forschung. Nirgendwo sonst ist der
deutsche Arktisforschung. Eine seinerzeit verbreitete          gegenwärtige Klimawandel so sichtbar wie in der Arktis.
Theorie besagte, dass weite Bereiche im Nordpolarmeer          Aus den Sediment- und Eisproben der Tiefenbohrungen
vorwiegend eisfrei seien. Wenngleich sich die Annahme          kann die Wissenschaft in internationaler Zusammen­
des eisfreien Polarmeeres später als falsch herausstellen      arbeit Aussagen über Ursache-Wirkungs­beziehungen
sollte, so hat sie doch aufgrund der zahlreich durch­          für Klimaveränderungen ableiten. Deutschland setzt
geführten Expeditionen den Grundstein zur Erforschung          sich als Beobachter im Arktischen Rat stets für die
der Arktis gelegt.                                             staatenübergreifende Kooperation in der Forschung ein,
                                                               um zukunftsorientierte und nachhaltige politische
Seither hat sich Deutschland vielfältig engagiert, um der      Entscheidungen vorzubereiten. Und als Partner ohne
internationalen Staatengemeinschaft relevante Daten            Ansprüche auf ressourcenträchtige arktische Gebiete kann
zum Verständnis des Klimageschehens und Analysen               Deutschland mit seiner international anerkannten Polar­-
von zukünftigen Entwicklungen in den Polarregionen             forschung eine wichtige Rolle als neutraler Berater spielen.
bereitzustellen. Im Jahr 1980 wurde das Alfred-Wegener-
Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres­              In der Arktisforschung können die deutsche Wissenschaft
forschung (AWI) als nationales Polarforschungsinstitut         und das BMBF auf langjährige Kooperationen mit
im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für                 Arktischen Staaten zurückblicken. Diese enge internationale
Bildung und Forschung (BMBF) gegründet. Es betreibt            Zusammenarbeit ist für die Forschungszugänglichkeit
Polar- und Meeresforschung und koordiniert den                 arktischer Gebiete von sehr hoher Bedeutung. Mit ihren
deutschen Beitrag als Konsultativstaat des Antarktis­          Leitlinien deutscher Arktispolitik hat die Bundesregierung
vertrags. Neben dem Forschungs- und Versorgungs­               hierfür gute Voraussetzungen geschaffen.
schiff Polarstern unterhält das AWI auch Schiffe wie
Heincke und Mya für die Forschung in gemäßigten                In dem hier vorgelegten Strategiepapier formuliert die
Breiten, Stationen in Arktis und Antarktis sowie               deutsche Wissenschaft die wichtigsten Fragen, die die
Forschungsflugzeuge. Die Deutsche Forschungs­                  Arktisforschung in den kommenden Jahren beantworten
gemeinschaft (DFG) unterstützt die Polarforschung an           muss. Für ihre Bemühungen um ein besseres Verständnis
den Universitäten durch ihr Schwerpunktprogramm                der Abläufe in den polaren Regionen und der klimatischen
„Antarktisforschung mit vergleichenden Untersuchungen          Zusammenhänge wünsche ich den Forscherinnen und
in arktischen Eisgebieten“, das zuletzt 2012 für die Förder­   Forschern alles Gute und viel Erfolg.
periode bis 2018 aufgelegt wurde. Und im Rahmen des
2015 veröffentlichten Rahmenprogramms „Forschung
für nachhaltige Entwicklung – FONA3“ stellt das BMBF
250 Millionen Euro allein für die Arktisforschung
bereit.                                                        Prof. Dr. Johanna Wanka
                                                               Bundesministerin für Bildung und Forschung
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EINLEITUNG                                                                                                                    3

Einleitung
Die Erforschung der Polarregionen hat in Deutschland
eine lange und erfolgreiche Tradition. Die Arktis und
Antarktis haben eine einzigartige Entstehungsgeschichte
und sind Archive der Erdentwicklung. Die geologischen,
biologischen und klimatologischen Prozesse, die in
diesen Gebieten ablaufen, spielen eine entscheidende
Rolle für globale Entwicklungen.

Der rasche Klimawandel in Teilen der Antarktis und vor
allem der Arktis wirft eine Reihe drängender Fragen
auf. Dies haben in den vergangenen Jahren viele konzer­
tierte Forschungsarbeiten gezeigt, besonders während
des Internationalen Polarjahres 2007/ 2008. Das vorliegen­
de Strategiepapier greift die neuen Herausforderungen
durch die geänderten Umweltbedingungen in der Arktis
auf und richtet die deutsche Arktisforschung an den
Erfordernissen einer nachhaltigen Entwicklung aus.

Themen mit besonderer gesellschaftlicher Bedeutung
und globaler Ausstrahlung sind:

∙∙ Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Klima­
   wandels in der Arktis                                     Über Bohrungen in Meereis werden Eisdicken gemessen und Proben zur
                                                             Eisanalyse gewonnen.

∙∙ Beitrag des grönländischen Eisschildes zur Erhöhung
   des Meeresspiegels
                                                             Neue Aspekte der deutschen Arktisforschung sind die
∙∙ Rückgang des arktischen Meereises und Rück­               Entwicklung und der Einsatz innovativer Beobachtungs­
   kopplung auf Atmosphäre, Ozean und Ökosysteme             technologien, die Weiterentwicklung von Modellen
                                                             zur Verbesserung der Vorhersagbarkeit, ein Netzwerk
∙∙ Permafrost und Gashydrate als unbekannte Größen           zuverlässiger Datenarchive, die stärkere Einbeziehung
   im Klimasystem                                            sozioökonomischer Fragen im arktischen Raum und
                                                             ein wirksamer Wissenstransfer in die Gesellschaft F.
∙∙ Anpassung polarer Organismen an die arktische
   Umwelt im Wandel                                           Auch wenn es in diesem Strategiepapier und in den
                                                             folgenden Kapiteln schwerpunktmäßig um die Arktis
∙∙ Chancen und Risiken zunehmender wirtschaftlicher          geht, sollte nicht vergessen werden, dass die Erforschung
   Nutzung der Arktis                                        der Antarktis gleichermaßen bedeutend ist und von
                                                             Deutschland in ähnlichem Umfang wie die Arktis­
Das Strategiepapier formuliert die wichtigsten Fragen,       forschung betrieben wird. Die Bundesregierung hat
die sich aus der Verpflichtung der deutschen Arktis­         dies durch den Bau der Neumayer Station III in der
forschung auf Nachhaltigkeit ergeben. Es setzt zudem         Antarktis und ihre Inbetriebnahme im Jahr 2009
die Vorgaben des BMBF-Rahmenprogramms „Forschung             substanziell unterstützt.
für Nachhaltige Entwicklung“ A, der „EU-Arctic Commu­
nication“ B und der „Earth System Science for Global
Sustainability: The Grand Challenges“ sowie der „Future
Earth Initial Design Report“ des International Council
for Science (ICSU) C, D, E in Forschungsziele um.
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1. Strategische Ziele der Arktisforschung
Der Klimawandel und geopolitische Entwicklungen             Die deutsche Polarforschung verfügt durch ihre
rücken die Polargebiete zunehmend in den Mittelpunkt        jahrzehntelange exzellente Arbeit international über
des wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen    einen hervorragenden Ruf. Die vorhandene Expertise
Interesses. In besonderem Maße gilt das für die Arktis.     muss nun genutzt werden, um den aktuellen Heraus­
                                                            forderungen zu begegnen und die nationale Forschung
Der Rückgang des arktischen Meereises schreitet noch        noch enger mit den internationalen Partnern zu
schneller voran, als es Klimamodelle vorhergesagt haben.    vernetzen.
Welche Ursachen sind dafür verantwortlich, und welche
Folgen haben diese Veränderungen? Die Beantwortung          Um den großen Aufgaben gerecht zu werden, die
dieser Fragen ist für die Wissenschaft eine enorme          der rasche Wandel in der Arktis mit sich bringt, sind
Herausforderung, da die zentrale Arktis immer noch zu       zusätzliche Anstrengungen notwendig. Das Bundes­
den am wenigsten erforschten Regionen der Erde gehört.      ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat
Alle bisherigen Erkenntnisse zeigen außerdem, dass die      sie im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige
Arktis auf globale Änderungen nicht einheitlich reagiert,   Entwicklung – FONA 3“ A explizit aufgegriffen. Demnach
sondern regional und lokal sehr unterschiedlich.            ist es notwendig,

Der Klimawandel macht die Arktis zugänglich für eine        ∙∙ die Veränderungen in der Arktis genauer zu beobachten,
stärkere wirtschaftliche Nutzung. Das weckt weltweit
Begehrlichkeiten, die dringend ein abgewogenes              ∙∙ die Kopplungen von polaren und globalen Prozessen
geopolitisches Handeln erfordern. Voraussetzung für            im Erdsystem zu erfassen und
eine nachhaltige Entwicklung sind ein umfassendes
Grundlagenwissen und ein tiefes Verständnis der             ∙∙ die Vorhersagbarkeit zu verbessern.
wirksamen Schlüsselprozesse. Denn die Risiken, die
durch den Klimawandel und durch die wirtschaftliche
Nutzung für das arktische Ökosystem und die Gesell­
schaft entstehen, sind bislang kaum bekannt. Dasselbe
gilt für die Rückwirkungen auf das globale Klima.

In vielen Ländern werden derzeit neue Forschungs­
strategien entwickelt. Mit erheblichen finanziellen
Mitteln wird versucht, die nationalen Forschungs­
aktivitäten in der Arktis auszubauen. Dies trifft nicht
nur auf die arktischen Anrainerstaaten zu, sondern
auch auf ferne Länder wie China, Indien oder Südkorea.
Auch die Europäische Union („Arctic Communication“) B
und der International Council for Science („Earth
System Science for Global Sustainability: The Grand
Challenges“) C, D rücken die Arktis stärker in den
Mittelpunkt.

    Die Forschung soll der Gesellschaft und der Politik
    Wissen zur Verfügung stellen, um die lokalen und
    globalen Folgen des Wandels in der Arktis abschätzen
    zu können. Dadurch werden die Grundlagen für
    nachhaltige Entwicklungsstrategien auf nationaler
    und internationaler, vor allem europäischer, Ebene
    geschaffen.                                             Video-gesteuerter Greifer mit gezielt entnommener Probe an Bord der
                                                            Polarstern
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2. DIE ZENTRALEN FRAGEN DER ARKTISFORSCHUNG                                                                                         5

2. Die zentralen Fragen der Arktisforschung
Die Arktisforschung sieht sich sechs zentralen Fragen      ermöglichen. Diese Forschung muss im Einklang
gegenüber, denen zwei Hauptaufgaben zugrunde liegen.       mit den sozioökonomischen Interessen der Anrainer­
                                                           staaten und der lokalen Bevölkerung erfolgen.
Erstens: Seit einigen Jahrzehnten ist die Erwärmung in
der Arktis besonders hoch; die Eismassen an Land und
das Meereis gehen deutlich zurück. Das wirkt sich nicht
nur auf die arktischen Ökosysteme und die Lebens­
bedingungen von Menschen in arktischen Breiten aus,
sondern betrifft auch die Entwicklung des globalen
Klimas. Zusätzlich ist weltweit ein bedrohlicher Anstieg
des Meeresspiegels zu befürchten.

Ziel der Forschungen muss es daher sein, die Änderungen
zeitnah umfassend zu beobachten und zu quantifizieren.
Außerdem müssen die dabei wirksamen Prozesse und
Wechselwirkungen mit anderen Gebieten der Erde
erfasst und analysiert werden. Nur auf dieser Grundlage
wird es möglich sein, zukünftige Entwicklungen genau
vorhersagen zu können.

Zweitens: Die noch weitgehend unbekannten Gebiete
in der Arktis beherbergen unerschlossene natürliche
Ressourcen. Die Erforschung der Chancen und Risiken,
die mit der Nutzung dieser Ressourcen verbunden
sind, trägt dazu bei, eine nachhaltige Entwicklung im      Die Erwärmung in der Arktis führt zu Abbrüchen der gefrorenen Böden,
Sinne eines schonenden Umgangs mit der Umwelt zu           verstärkter Erosion und damit zur Zerstörung der Permafrostlandschaft.

2.1. Vergangenheit, Gegenwart und                          dass im nordpolaren Raum auch in der Vergangenheit
Zukunft des Klimawandels in der Arktis                     schnelle Klimaänderungen auftraten, die teilweise
                                                           bereits nach wenigen Jahren abgeschlossen waren.
                                                           Solche Entwicklungen verlaufen nicht isoliert, sondern
Die Klima- und Umweltbedingungen im arktischen             sind über Atmosphäre und Ozean mit der globalen
Raum und die daran angepassten Lebensgemein­               Entwicklung verknüpft und treffen damit auch den
schaften haben sich in den letzten drei Millionen          europäischen Raum.
Jahren im Wechsel von Kalt- und Warmzeiten heraus­
gebildet. Aber schon vorher hat es warme Perioden im       Vor dem Hintergrund des aktuellen Wandels ist es
hohen Norden gegeben, wie das ehemalige Vorkommen          erforderlich, die Dynamik der dabei wirksamen
von Laubwäldern bis zu 80 Grad nördlicher Breite           natürlichen Prozesse genau zu verstehen. Nur so ist es
belegt. Diese Klimaentwicklung ist in Ablagerungen         möglich, den anthropogenen Einfluss auf die heutige
auf dem Land und im Ozean dokumentiert. In Eisbohr­        Entwicklung richtig zu bewerten und künftige Ände­
kernen aus dem grönländischen Eisschild ist die Klima­     rungen genauer abschätzen zu können.
geschichte mindestens der vergangenen 120.000 Jahre
in hoher zeitlicher Auflösung archiviert.                  Dazu bedarf es umfassender Feldstudien, innovativer
                                                           Rekonstruktionsmethoden und Beobachtungssysteme
Der derzeitige rasche Klimawandel wird durch instru­       (zum Beispiel Satellitenfernerkundung), verbunden mit
mentelle Beobachtungssysteme erfasst. Es ist bekannt,      moderner Datenanalyse, sowie numerischer Modelle
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6                                  SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

für Prozessanalyse, Rekonstruktion und Vorhersage. Die           Forschungsziele:
Kopplung der Systeme Atmosphäre, Biosphäre, Ozean,
Meereis, Eisschilde und Landoberflächen spielt dabei             ∙∙ Verständnis der Variabilität des Klimasystems in
eine entscheidende Rolle.                                           Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus
                                                                    polarer Perspektive verbessern

                                                                 ∙∙ anthropogene Einwirkungen abschätzen

                                                                 Herausragende Fragestellungen:

                                                                 ∙∙ Wie sahen Klima und Umwelt im arktischen
                                                                    Raum unter vorherigen wärmeren Klimazuständen
                                                                    aus, und wie wirkte sich das auf die Atmosphären
                                                                    und Ozeanzirkulation aus?

                                                                 ∙∙ Was sind die Ursachen und Zeitskalen der heutigen
                                                                    Klimaschwankungen in der Arktis, und wie
                                                                    werden diese durch den Menschen beeinflusst?

                                                                 ∙∙ Unter welchen physikalischen und biogeo­
                                                                    chemischen Bedingungen werden Schwellen­
                                                                    werte („tipping points“) erreicht, die zu raschen
                                                                    Klimaumbrüchen führen?

                                                                 ∙∙ Wie wirken sich die Prozesse in den Polarregionen
                                                                    auf das globale Klima aus?

                                                                 ∙∙ Wie müssen Modelle entwickelt oder verbessert
                                                                    werden, um das arktische Klimasystem und die
                                                                    Wechselwirkungen mit dem globalen Klima
                                                                    besser zu verstehen?
Tiefwasserkoralle aus einer Bodenprobe vor Spitzbergen

2.2. Beitrag des grönländischen Inland­                        Während die Schmelzprozesse relativ gut berechnet
eises zur Meeresspiegelerhöhung                                werden können, sind die Ursachen für den rascheren
                                                               Ausfluss noch weitgehend unbekannt.

Der grönländische Eisschild und die arktischen                 Eine gängige Hypothese lautet, dass mehr Schmelz­
Gletscher und Eiskappen verzeichnen in den letzten             wasser von der Eisoberfläche an die Eisbasis gelangt
Jahren einen beschleunigten Massenverlust. Er trägt in         und dort die Eisbewegung verstärkt. Eine zweite macht
zunehmendem, aber schwer vorhersagbarem Maße                   subglaziales Abschmelzen der Gezeitengletscher beim
zum Meeresspiegelanstieg bei. Der Massenverlust ist            Kontakt mit warmen Meeresströmungen für die
zum einen auf verstärkte Schmelzprozesse an der                Beschleunigung verantwortlich.
Oberfläche der Eismassen zurückzuführen, zum
anderen auf eine höhere Fließgeschwindigkeit der
meisten Ausflussgletscher, die das Inlandeis drainieren.
Schnelle Veränderungen in der Arktis - Polarforschung in globaler Verantwortung - Forschung für ...
2. DIE ZENTRALEN FRAGEN DER ARKTISFORSCHUNG                                                                        7

Beide Hypothesen müssen überprüft und quantifiziert       2.3. Rückgang des arktischen Meereises
werden, um die bestehenden numerischen Modelle
zur Eisdynamik modifizieren zu können. Nur so wird        Der arktische Ozean ist das ganze Jahr über mit Meereis
eine zuverlässige Prognose der künftigen Entwicklung      bedeckt, dessen Ausdehnung und Dicke starken saisonalen
möglich. Dies erfordert auch ein besseres Verständnis     Schwankungen unterliegen. Seit den 1980er-Jahren
der Eisdynamik seit dem letzten eiszeitlichen Maximum     hat die sommerliche Ausdehnung um 35 Prozent
(vor etwa 18.000 Jahren) und nicht zuletzt einen Zugang   abgenommen. 2012 wurde das bisherige Rekordminimum
zur Eisbasis. Dies ist außerdem ein Lebensraum, der für   gemessen seit Beginn der Satellitenbeobachtungen.
die Erforschung bislang verschlossen war.                 Dieser Rückgang des Meereises zählt zu den stärksten
                                                          Klimasignalen weltweit. Man weiß, dass die erhöhte
  Forschungsziele:                                        ozeanische und atmosphärische Wärmezufuhr aus
                                                          mittleren Breiten und interne Rückkopplungen
  ∙∙ Massenbilanz und Dynamik des grönländischen          wesentlich dazu beitragen. Genaue Aussagen zu den
     Eisschildes durch Prozessstudien und Modell­         Ursachen und den zukünftigen Entwicklungen sind
     bildung analysieren mit dem Ziel, die künftige       jedoch noch nicht möglich.
     Entwicklung des Meeresspiegels zuverlässiger
     vorherzusagen                                        Das arktische Meereis hat durch die Reflexion des
                                                          Sonnenlichts einen großen Einfluss auf den Strahlungs­
  ∙∙ Regionen der Arktis ermitteln, die durch den         haushalt der Erde. Auch beim Austausch von Wärme
     Eisrückgang zukünftig für den Menschen               und Gasen zwischen Ozean und Atmosphäre spielt es
     nutzbar werden                                       eine wichtige Rolle. Die Abnahme des Meereises hat
                                                          daher Konsequenzen für die ozeanische und atmo­
  Herausragende Fragestellungen:                          sphärische Zirkulation weit über die Arktis hinaus.

  ∙∙ Welche Faktoren und Prozesse (zum Beispiel           Meereis bietet zudem Lebensraum für eine speziell
     subglaziale Geologie, Meeresströmungen)              angepasste Fauna und Flora. Es beeinflusst alle marinen
     beeinflussen die Dynamik des grönländischen          Ökosysteme, weil es auch die Nahrungszufuhr in den
     Inlandeises?                                         tiefen Ozean und zum Meeresboden steuert. Der
                                                          Schwund des dickeren, mehrjährigen Meereises führt
  ∙∙ Wie können die Modelle zur Dynamik des               schon jetzt zum Artenverlust und zu Änderungen der
     Inlandeises verbessert werden?                       Stoffkreisläufe im arktischen Ozean. Der prognostizierte
                                                          weitere Rückgang der Meereisbedeckung wird zusätz­liche
  ∙∙ Wie kann die Vorhersage der globalen und             Risiken für arktische Ökosysteme schaffen, beispiels­
     regionalen Veränderungen des Meeresspiegels          weise durch die Zunahme des Schiffsverkehrs und die
     zuverlässiger werden?                                Erschließung von Meeresgebieten und Ressourcen, die
                                                          bisher noch nicht kommerziell genutzt werden konnten.
  ∙∙ Wie vollzog sich der Eisrückgang seit der letzten
     Eiszeit, und was können wir daraus für die             Forschungsziele:
     heutige und zukünftige Eisdynamik lernen?
                                                            ∙∙ das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen
  ∙∙ Wie wirkt sich ein veränderter Süßwassereintrag           Meereis, Ozean und Atmosphäre vertiefen
     auf die ozeanischen Zirkulationssysteme aus?
                                                            ∙∙ die Entwicklung des Meereises und der Auswir­
                                                               kungen abnehmender Meereisbedeckung auf
                                                               Klima, Stoffkreisläufe und marine Ökosysteme
                                                               vorhersagen
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8                                  SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

    Herausragende Fragestellungen:                             2.4. Permafrost und Gashydrate als
                                                               unbekannte Größen im Klimasystem
    ∙∙ Welchen Anteil am Meereisrückgang hat die
       Wärme, die der Arktis aus mittleren Breiten
       durch Atmosphären und Ozeanströmungen                   Terrestrischer Permafrost unterlagert ein Viertel der
       zugeführt wird, im Vergleich zu Arktis-internen         globalen Landfläche. Der überwiegende Teil liegt in den
       Rückkopplungen?                                         polaren Regionen, vor allem in der Nordhemisphäre.
                                                               Zusätzlich werden weite Gebiete mit submarinem
    ∙∙ Wie kann man die saisonalen und langfristigen           Permafrost in der Arktis vermutet, deren Ausdehnung
       Vorhersagen für die Entwicklung des Meereises           jedoch noch nicht abschließend vermessen ist.
       durch Beobachtungen und Modelle verbessern?
                                                               In den ständig gefrorenen Böden lagern große Kohlen­
    ∙∙ Welche Konsequenzen hat der Meereisschwund              stoffmengen in Form von Methan, Kohlendioxid oder
       für den Kohlenstoffkreislauf und die Ökosysteme         organischem Kohlenstoff. Hinzu kommen die Kohlen­
       der Arktis und der Nordhemisphäre?                      stoffmengen, die in den marinen Gashydraten der
                                                               arktischen Kontinentalränder und in den terrestrischen
    ∙∙ Wie wirkt sich der Meereisschwund auf die Atmo­-        Gashydraten unter dem Permafrost gespeichert sind.
       sphäre, den biogeochemischen und hydrologischen         Tauen die Permafrostkörper auf, wird der Kohlenstoff
       Kreislauf in der Nordhemisphäre und auf die             mobilisiert, und Treibhausgase werden freigesetzt.
       Umwälzzirkulation im Nordatlantik aus?
                                                               Eine weitere mögliche Folge des Abtauens ist eine Zunahme
    ∙∙ Welche Auswirkungen hat der Meereisschwund              der Küstenerosion. Im schlimmsten Fall beeinträchtigt
       auf das Ökosystem der arktischen Tiefsee?               die Freisetzung der marinen Gashydrate die Stabilität
                                                               der Kontinentalränder. Das Auftauen des Permafrosts
    ∙∙ Welche sozioökonomischen Konsequenzen hat               verändert stark den Wasserhaushalt, die terrestrische
       der schnelle Wandel?                                    arktische Artenvielfalt und die marinen Ökosysteme.
                                                               Die Folgen dieser Veränderungen für das Klima- und
                                                               Erdsystem und für die Lebensbedingungen der Menschen
                                                               sind in ihrem Ausmaß bislang nur unzureichend bekannt.

Wasserschöpfer-Rosette an Bord der Polarster
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2. DIE ZENTRALEN FRAGEN DER ARKTISFORSCHUNG                                                                           9

                                                              Forschungsziel:

                                                              ∙∙ die Auswirkungen einer weiteren Erwärmung auf
                                                                 die Kohlenstoffflüsse aus dem terrestrischen und
                                                                 marinen Permafrost, die Stabilität von Gashydraten
                                                                 und die arktischen Lebensräume besser verstehen

                                                              Herausragende Fragestellungen:

                                                              ∙∙ Wie hat sich die natürliche Dynamik und Ausdeh­
                                                                 nung des arktischen Permafrostes in den letzten
                                                                 Jahrzehnten verändert?

                                                              ∙∙ Unter welchen Bedingungen werden die an den
                                                                 Permafrost gebundenen und die submarinen
                                                                 Gashydrate instabil?

                                                              ∙∙ Wie viel Methan, Kohlendioxid und Lachgas wird aus
                                                                 dem terrestrischen und submarinen Permafrost und
                                                                 aus den Gashydraten in die Atmosphäre freigesetzt,
                                                                 und wie können die dadurch bedingten Klima­folgen
Schollenstrom in der Arktis                                      durch geeignete Modelle abgeschätzt werden?

                                                              ∙∙ Wie verändern sich die mikrobiellen Lebens­
                                                                 gemeinschaften im Zuge des Auftauens des
                                                                 Permafrostes und des Abbaus von Gashydraten?
                                                                 Was bedeutet das für die Quellen und Senken
                                                                 von Klimagasen aus den Dauerfrostböden?

                                                              ∙∙ Wie wirkt sich das Auftauen des Permafrostes
                                                                 auf die regionalen Lebensbedingungen aus?

2.5. Anpassung polarer Organismen                           beeinflussen. Einwanderer aus südlichen Gebieten
an die arktische Umwelt im Wandel                           werden sich etablieren, und es kommt zu Verschiebungen
                                                            in den arktischen Nahrungsnetzen.

Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen haben sich über         Wie sich das auf die Leistungsfähigkeit der arktischen
mehrere Millionen Jahre an die von Kälte, Eis und starker   Ökosysteme auswirkt, zum Beispiel auf die biologische
Saisonalität geprägten extremen Umweltbedingungen           Produktivität des arktischen Ozeans oder auf die
der Arktis angepasst. Diese besonderen physiologischen      Stoffkreisläufe, ist bisher kaum abschätzbar. Dafür ist
und biologischen Anpassungen machen arktische               die arktische Biosphäre zu wenig erforscht. Vor allem
Organismen außerordentlich empfindlich für schnelle         mangelt es an Wissen über die Lebensgemeinschaften
und ungewöhnliche Veränderungen ihres Lebensrau­            und -prozesse der arktischen Tiefsee und die Lebens­
mes. Erwärmung, Versauerung und verstärkte mensch­          räume im und unter den Eisschilden.
liche Nutzung der Arktis werden die Funktion und
Biodiversität der betroffenen Ökosysteme daher stark
10                                 SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

     Forschungsziele:                                                          ∙∙ Gibt es Indikatorarten für den Wandel der
                                                                                  marinen und terrestrischen Umwelt?
     ∙∙ die genetischen und ökophysiologischen
        Anpassungen und Lebensstrategien arktischer                            ∙∙ Gibt es Schwellenwerte bei Temperatur, Versaue­
        Arten besser verstehen                                                    rung, Meereisbedeckung und Verschmutzung,
                                                                                  deren Überschreitung eine massive Veränderung
     ∙∙ die Auswirkungen von Umweltveränderungen                                  arktischer Lebensgemeinschaften auslöst?
        auf Biodiversität, Nahrungsnetze, Produktivität
        und Ökosystemleistungen vorhersagen                                    ∙∙ Wo in der Arktis ist die Biodiversität besonders
                                                                                  hoch? Welche Faktoren fördern oder gefährden
     Herausragende Fragestellungen:                                               die einheimische Lebensvielfalt?

     ∙∙ Wie können sich arktische Organismen an                                ∙∙ Welchen Einfluss hat die submarine vulkanische
        Umweltveränderungen anpassen, und wie groß ist                            Aktivität auf die Lebensräume der arktischen
        das Anpassungspotenzial?                                                  Tiefsee?

     ∙∙ Wo und mit welchen Konsequenzen finden
        Migrationen arktischer und einwandernder Arten
        statt?

Detailaufnahme eines Bohrkerns aus dem submarinen Permafrost: Der Kern zeigt typische Strukturen, wie sie auch von Permafrostböden an Land
bekannt sind.
2. DIE ZENTRALEN FRAGEN DER ARKTISFORSCHUNG                                                                                     11

2.6. Chancen und Risiken zunehmender
wirtschaftlicher Nutzung der Arktis

Der rasche klimatische Wandel in der Arktis wird die
wirtschaftliche Entwicklung der Region beschleunigen.
Dies betrifft die Erschließung neuer Transportwege
ebenso wie die Nutzung lebender und mineralischer
Ressourcen wie Fischbestände, Erze, Erdgas und Erdöl.

Um die Entwicklung nachhaltig gestalten zu können,
sind Kenntnisse über Lage, Zugänglichkeit und Umfang
der jeweiligen Ressourcen sowie über die sozioökono­
mischen und politischen Rahmenbedingungen nötig.

Der aktuelle Wissensstand ist aufgrund der schwierigen
Zugänglichkeit dieser Region unzureichend. Allerdings
tragen geowissenschaftliche, klimatologische, biologische
und sozioökonomische Basisuntersuchungen dazu bei,
diesen Mangel zu beheben. Sie liefern die Grundlage
für die Entwicklungen von Szenarien einer wirtschaft­
lichen Nutzung mit ihren Auswirkungen auf Ökosysteme
und Bevölkerung. Darauf aufbauend können die Chancen
und Risiken der Nutzung abgewogen und Handlungs­
empfehlungen formuliert werden.

Nachhaltige Nutzung bedeutet auch die Schlichtung
von Nutzungskonflikten. Daher muss verantwortungs­          Beispiel eines Sedimentkerns vom Billjach-See im ostsibirischen Wercho-
                                                            jansker Gebirge: Erkennbar ist der Kontaktbereich zwischen Sediment­
volle Forschung auch die politischen und juristischen
                                                            oberfläche und darüber liegendem Bodenwasser.
Vermittlungsmechanismen und ihre Wirksamkeit zum
Gegenstand machen.
12                                 SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

Am Eisrand des Kronprinz-Christian-Landes, Nordostgrönland, bei etwa 80 Grad Nord: Die streifenförmige Verfärbung des Eises hat ihren Ursprung im
hohen Staubgehalt, der während der Eiszeit durch Wind eingetragen wurde und der sich unter dem abschmelzenden Eis wiederfindet. Mit Messungen des
stabilen Isotops O-18 konnte nachgewiesen werden, dass der doppelte, braun gefärbte Saum die Grenze zwischen der heutigen Warmzeit und der letzten
Kaltzeit, also etwa die Zeit vor 11.000 Jahren, markiert.
2. DIE ZENTRALEN FRAGEN DER ARKTISFORSCHUNG                                                                                                                 13

  Forschungsziel:                                                                    ∙∙ Wann und unter welchen Umständen ist eine
                                                                                        wirtschaftliche Nutzung der nördlichen Seewege
  ∙∙ die Chancen und Risiken zukünftiger Nutzung                                        möglich?
     der Arktis durch den Menschen erforschen
                                                                                     ∙∙ Wie können bessere Beobachtungen und
  Herausragende Fragestellungen:                                                        Kurzfristvorhersagen das Risiko von Havarien
                                                                                        und Umweltbeeinträchtigungen minimieren?
  ∙∙ In welchen Gebieten der Arktis befinden sich
     die ökonomisch relevanten Ressourcen, und wie                                   ∙∙ Wie beeinflussen die klimatischen, wirtschaft­
     verändert sich ihre Zugänglichkeit durch die                                       lichen und politischen Veränderungen die
     schnelle klimatische Veränderung?                                                  Lebensbedingungen, die Gesundheit, die
                                                                                        ökonomischen Perspektiven und den Hand­
  ∙∙ Wie werden lokale und internationale gesell­                                       lungsspielraum der Bewohner der Arktis?
     schaftspolitische Prozesse eine mögliche
     Nutzbarmachung beeinflussen?                                                    ∙∙ Wie kann eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen
                                                                                        erreicht werden?
  ∙∙ Wie reagiert das Ökosystem auf diese menschlichen
     Eingriffe, und kann man hierzu Risikoanalysen
     erstellen?

Das Eis der Gletscher und Eisschilde wird mit zunehmender Bohr-Tiefe immer transparenter. Bis in 1.000 m Tiefe erscheint das Eis als Folge der Luftblasen
milchig grau. Unterhalb von 1.200 bis 1.300 m Tiefe ist das Eis transparent wie Plexiglas
14                              SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

3. Stand der deutschen Polarforschung
Polarforschung hat in Deutschland eine lange Tradition.       3.1. Partner der deutschen Arktis­
Sie wird durch ein gut koordiniertes Netzwerk verschie­       forschung
dener Institutionen getragen und findet sowohl in der
Arktis als auch in der Antarktis statt. Denn die klimati­
schen und ozeanografischen Prozesse beider Pole sind          Die deutsche Polarforschung ruht auf drei Säulen:
gekoppelt, und ihre Ökosysteme weisen ähnliche                Universitäten, außeruniversitäre Forschung und
Merkmale auf.                                                 Wirtschaft.

Polarregionen reagieren höchst sensibel auf klima­            Von zentraler Bedeutung ist das AWI in der Helmholtz-
tische Änderungen. Phänomene wie die abnehmende               Gemeinschaft. Im Rahmen der programmorientierten
Meereisbedeckung, schrumpfende Eisschilde oder                Forschung betreibt das AWI in Arktis und Antarktis
veränderte Ozeanströmungen haben wiederum erheb­              international hoch renommierte interdisziplinäre
lichen Einfluss auf die Entwicklung des gesamten              Forschung. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften
Erdklimas. Deshalb rücken das bessere Verständnis             und Rohstoffe (BGR) erforscht die Struktur und die
der Fluktuationen und Triebkräfte im regionalen und           geologische Entwicklung der Festlandgebiete und ihrer
globalen Klimageschehen immer mehr in den Mittel­             Ränder; außerdem befasst sie sich im Rahmen ihrer
punkt der deutschen Polarforschung.                           institutionellen Aufgabenstellung mit der Abschätzung
                                                              der polaren Ressourcen.

Kampagne zur Beprobung von Sedimenten am Noa-See, Grönland.
3. STAND DER DEUTSCHEN POLARFORSCHUNG                                                                                          15

Beide Einrichtungen unterhalten Forschungsstationen,
Schiffe und Flugzeuge und führen multidisziplinäre
marine und terrestrische Polarexpeditionen durch. Sie
verfügen damit über eine Infrastruktur, von der auch
die Hochschulforschung profitiert.

Bei spezifischen Forschungsthemen engagieren sich
Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-
Gemeinschaft. Darüber hinaus blicken zahlreiche
Universitätsinstitute auf eine lange Tradition in der
Polarforschung zurück.

Die Erforschung der Polarregionen wird in Deutsch­
land durch ein gut koordiniertes Netz verschiedener
Institute getragen. Das Präsidium der DFG richtete im
Januar 1992 den Landesausschuss SCAR / IASC (Scientific
Committee on Antarctic Research / International Arctic
Science Committee) ein. Er plant und koordiniert die
Aktivitäten der deutschen Hochschulen auf dem Gebiet
der Polarforschung zusammen mit dem AWI und den
betreffenden Bundeseinrichtungen.

In der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung sind
Forscher vieler Disziplinen vereinigt. Damit ist sie ein    Netzartige Strukturen aus Eiskeilpolygonen geben der Permafrostland-
                                                            schaft ein unverwechselbares Gepräge.
wichtiges Instrument interdisziplinärer Koordination
und Zusammenarbeit.

Das BMBF und das Bundesministerium für Wirtschaft           3.2. Regionale Schwerpunkte der
und Energie (BMWi) fördern die Polarforschung durch         deutschen Arktisforschung
insti­tutionelle Förderung, das BMBF speziell die Arktis-
­forschung zusätzlich durch Projektförderung. Die DFG
 fördert die Arktis­forschung vorwiegend im Rahmen der      Ein regionaler Schwerpunkt der deutschen Arktis­
 Normalförderung, in begrenztem Umfang auch unter           forschung ist die Region von Spitzbergen und der Fram­
 dem Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung,               straße zwischen Spitzbergen und Grönland; dort
 mit vergleichenden Untersuchungen in arktischen            erfolgt der Austausch zwischen dem Atlantischen und
 Eisgebieten“.                                              dem Arktischen Ozean. An der deutsch-französischen
                                                            Forschungsbasis AWIPEV in Ny Ålesund auf Spitzbergen
Die Ergebnisse der Polarforschung kommen auch               werden neben der Erforschung von terrestrischen
außerhalb der Wissenschaft zum Einsatz. Sie werden          und marinen Lebensräumen vor allem Langzeitunter­
von Wetterdiensten genutzt oder zur Beurteilung von         suchungen der Atmosphäre durchgeführt (AWIPEV
seerechtlichen Ansprüchen im Sinne des „Erweiterten         setzt sich zusammen aus den Abkürzungen für das
Festlandsockels“ herangezogen. Auch für die Ressourcen­     AWI und das Institut polaire français Paul Émile Victor,
abschätzung, den Deichbau (als Schutzmaßnahme vor           IPEV). In der Framstraße unternimmt das AWI seit
Meeresspiegelerhöhung) oder die Kalibrierung von            mehr als 10 Jahren regelmäßige ozeanographische
Satellitenmessungen werden die Daten verwendet. Sie         Untersuchungen sowie multidisziplinäre Experimente
fließen außerdem in die Vorhersage von regionalen           und Messungen am Meeresboden in Wassertiefen
Auswirkungen des Klimawandels ein.                          zwischen 1000 und 5500 m. Diese im „Hausgarten“-
                                                            Areal vor Spitzbergen durchgeführten Probenahmen
16                          SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

und Studien zeigen, dass die Erwärmung der Arktis und      3.3. Positionierung im internationalen
der Rückgang des Meereises sich nicht nur auf die oberen   Umfeld
Wasserschichten des Arktischen Ozeans auswirken,
sondern dass sich die Wassertemperaturen und die
Zusammensetzung der marinen Lebensgemeinschaften           Die Arktisforschung ist international aufgestellt. Deutsche
auch in der Tiefsee ändern. In 2007 wurden die Untersu­    Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in alle
chungen im „Hausgarten“ mit vergleichenden Studien in      relevanten internationalen Polarforschungsprogramme
Flachwasserbereichen entlang des Kongsfjords in            zum Teil in führender Position eingebunden. So ist das
Spitzbergen erweitert.                                     Sekretariat des International Arctic Science Committee
                                                           (IASC) am AWI angesiedelt. Deutsche Wissenschaftlerinnen
Ein Schlüsselgebiet für die Klima- und Permafrost­         und Wissenschaftler sind im European Polar Board, der
forschung ist die Laptew-See mit dem Lena-Delta            Permafrost Association und in den Arbeitsgruppen des
(Forschungsstation Samoylov) und den großen Fluss­         IASC vertreten.
systemen im sibirischen Hinterland. In der Laptew-See
wird ein Großteil des Meereises für den Arktischen         Mehrere Autorinnen und Autoren aus Deutschland waren
Ozean gebildet. Es gelangt mit der Transpolardrift bis     maßgeblich am 5. Sachstandsbericht des zwischen­
ins Europäische Nordmeer und beeinflusst somit auch        staatlichen Ausschusses für Klimaänderungen F beim
unser Klima.                                               Thema Kryosphäre und Biosphäre beteiligt. Deutsche
                                                           Forscherinnen und Forscher haben ebenso wesentliche
Im russisch-deutschen Forschungsverbund „System            Beiträge zum Internationalen Polarjahr 2007 / 2008
Laptew-See“ führen Wissenschaftlerinnen und Wissen­        geleistet.
schaftler beider Länder seit 1991 gemeinsame, multi­
disziplinäre Expeditionen und Projekte durch. Diese
erfolgreiche Zusammenarbeit ist in den vergangenen
20 Jahren zu einem wichtigen Standbein der deutschen
Arktisforschung geworden und soll durch weitere
Kooperationen ausgebaut werden. Auf der Zusammen­
arbeit mit russischen Institutionen beruht auch der
Zugang zu sibirischen Meeres- und Landgebieten.

Die Untersuchung geologischer Strukturen und magma­
tischer Aktivitäten ist zirkum-arktisch angelegt. Zu
den Untersuchungsgebieten von geophysikalischen
Expeditionen im Meer und an Land gehören Jakutien,
der polare Ural, Spitzbergen, das nördliche Grönland,
die kanadische Arktis und der zentrale arktische Ozean,
einschließlich des geografischen Nordpols.

Meteorologische und geophysikalische Messungen
sowie Beobachtungen zur Veränderung des Meereises
werden durch flugzeuggestützte Messkampagnen in
nordamerikanischen Meeresgebieten in enger Kooperation
mit kanadischen Partnern durchgeführt. Darüber
hinaus werden spezielle Fragestellungen durch multi­
disziplinäre Programme in verschiedenen anderen
Gebieten der Arktis untersucht, wie zum Beispiel im        Die Flügelschnecke Clione limacina (max. Länge: 70 – 85 mm)
                                                           kommt häufig in den oberen Wasserschichten des Arktischen
Bereich der Kamchatka-Halbinsel oder dem Meteoriten­
                                                           Ozeans vor.
krater Elgygytyn im nordöstlichen Sibirien.
3. STAND DER DEUTSCHEN POLARFORSCHUNG                                                                                              17

                                                                             einbringen. Der weitere Ausbau der internationalen,
                                                                             vor allem der europäischen, Kooperation ist zentral für
                                                                             die weitere Entwicklung der Arktisforschung.

                                                                             Geologische Dienste und Forschungsinstitute haben im
                                                                             Frühjahr 2010 die gemeinsame Erstellung einer
                                                                             „Tectonic Map of the Arctic“ (TeMAr) vereinbart. Die
                                                                             Initiative der beteiligten Länder Dänemark, Deutsch­
                                                                             land, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Norwegen,
                                                                             der Russischen Föderation, Schweden und den USA
                                                                             stellt im Rahmen der Initiative wichtige Impulse für
                                                                             die Bewertung des Potenzials an Ressourcen bereit.

                                                                             In den Zukunftsplanungen für das Integrated Ocean
                                                                             Drilling Program (IODP) wurde „Scientific Drilling in
                                                                             the Arctic Ocean: A challenge for the next decades“
                                                                             verankert. Damit sollen weitere Daten und Zeitreihen
                                                                             der Klimaentwicklung im arktischen Raum gewonnen
                                                                             werden. Das AWI betreibt eine von internationalen
                                                                             Forschungsprojekten genutzte Datenbibliothek mit
                                                                             über 70.000 zitierfähigen Datensätzen aus der Arktis.
Luftbild der polygonalen Tundra auf der Insel Samoylov (Lena-Delta,          Sie bietet damit gute Voraussetzungen für eine Beteili­
Sibirien), bei dem die Farben künstlich verfälscht wurden, um einige Land-   gung an den Datenmanagement-Aktivitäten im
schaftsstrukturen (orange/rötlich) und wasserbedeckte Gebiete (je nach
Wassertiefe lila bis grau) deutlicher sichtbar zu machen.                    Rahmen von großen, internationalen Projekten, wie
                                                                             zum Beispiel dem vom Arktischen Rat initiierten
                                                                             Aufbau eines „Sustaining Arctic Observing Networks“
Die Forschung in den extremen Polarregionen stellt                           (SAON).
hohe logistische Anforderungen. Aus diesem Grund
soll der internationale Schulterschluss weiter verstärkt
werden. In der Arktisforschung bestehen wichtige
Kooperationen zwischen deutschen und internationalen
Institutionen, die durch langfristige Zielsetzungen
getragen werden. Neben den europäischen Partnern
ist vor allem die Zusammenarbeit mit der Russischen
Föderation, mit Kanada und den USA von großer
Bedeutung.

Das European Polar Board der European Science
Foundation (ESF) bildet eine Plattform zur Abstimmung
der wichtigsten europäischen Akteure in der Polar­
forschung. Deutsche Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sind maßgeblich daran beteiligt. Bei
der Hinwendung Europas zur Arktis sollte die deutsche
Polarforschung eine Schlüsselrolle einnehmen und
zentrale Punkte in die Arbeitsprogramme des Rahmen­
programms für Forschung und Innovation Horizont 2020
18                          SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

4. Umsetzung der Arktisforschungsstrategie
Die raschen Änderungen in der Arktis haben die                adäquate Schutzmaßnahmen zu ergreifen, sind
nördliche Polarregion in den Mittelpunkt der wissen­          genauere Prognosen für den Beitrag der Eisschmelze
schaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Aufmerk­       zur Meeresspiegelerhöhung erforderlich.
samkeit gerückt. Es gilt aufzuklären, welche Risiken
und Chancen dieser klimatisch bedingte Wandel birgt.        ∙∙ Starke Veränderungen in den Permafrostregionen
Die EU hat dies als Zukunftsthema aufgegriffen. Das            führen zur Erosion der arktischen Küsten, zur Frei­-
BMBF hat die Arktis als eine der Zielregionen für die          setzung von Klimagasen aus Gashydraten und zu
künftige Forschung für Nachhaltigkeit identifiziert.           tiefgreifenden Umwandlungen der Lebensräume.
                                                               Bessere Methoden zur Beobachtung und Analyse der
Die aktuellen Fragen verlangen verstärkte Forschungs­          relevanten Umweltfaktoren erlauben es, Gefahren­
anstrengungen, die weit über die bisherigen Aktivitäten        potenziale (zum Beispiel die Destabilisierung von
hinausgehen. Dabei sollte vor allem das Engagement             Gashydraten) frühzeitig zu erkennen.
der universitären Forschungspartner gestärkt werden.
Die vom BMBF geförderte Arktisforschung stellt              ∙∙ Der zunehmende Meereisschwund kann neue
Projekte, die besonders zur Nachhaltigkeit im arktischen       Schifffahrtswege eröffnen. Zuverlässige Modelle zur
Raum beitragen, in den Vordergrund.                            Meereisvorhersage tragen zur Sicherung neuer
                                                               Schifffahrtsrouten bei.

4.1. Forschung für Nachhaltigkeit                           ∙∙ Das Potenzial des arktischen Ozeans für lebende oder
                                                               mineralische Ressourcen kann bisher nur unzureichend
Die deutsche Arktisforschung kann durch ihr exzellen­          abgeschätzt werden. Ein Ziel besteht darin, eine
tes Leistungspotenzial zu den genannten Themen                 belastbare Datenbasis zu erheben, die zur Ermittlung
wichtige Beiträge liefern und dabei mithelfen, die             von Risiken, zur nachhaltigen Nutzung und zum
neuen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen                Schutz der Umwelt eingesetzt werden kann.
Herausforderungen zu meistern. Dieser Aufgabe stellen
sich neue Projekte, die durch Drittmittelförderung im       ∙∙ Der Klimawandel und die wirtschaftliche Nutzung
Rahmen von BMBF-Verbundprojekten, DFG-Projekten,               des Arktischen Raumes verändern die biologische
Initiativen außeruniversitärer Einrichtungen, EU-Pro­          Vielfalt der polaren Lebensräume. Die Untersuchun­
grammen und weiterer Förderung unterstützt werden.             gen tragen dazu bei, Rückzugsgebiete für gefährdete
                                                               endemische Arten ausfindig zu machen und Schutz­
Mithilfe innovativer Beobachtungssysteme und ver­-             maßnahmen zu entwickeln. Damit wird auch eine
besserter Klima- und Ökosystemmodelle ist es möglich,          nachhaltige Bewirtschaftung lebender Ressourcen
zukünftige Entwicklungen genauer vorherzusagen. Die            (zum Beispiel Saibling, arktischer Kabeljau) möglich.
Daten bilden die Grundlage für geeignete Anpassungs­
strategien und für Leitlinien einer nachhaltigen Nutzbar­
machung des Arktischen Raumes. Besonders hervorzu­
heben sind dabei folgende Punkte:

∙∙ Die Erforschung der Veränderungen in der Arktis
   ermöglicht es, die Auswirkungen auf das regionale
   und globale Klima in den kommenden Jahrzehnten
   genauer einzuschätzen. Klimamodelle können wesent­
   lich verbessert und Unsicherheiten abgebaut werden.

∙∙ Der Beitrag der abschmelzenden Eismassen Grön­
   lands zum Meeresspiegelanstieg unterliegt großen
   Schwankungen. Um die Auswirkungen in verschie­           Ausrichten von Sensoren an einer automatischen MessStation in der
   denen Regionen der Erde zu ermitteln und um              Nähe der Samoylov-Station
4. UMSETZUNG DER ARKTISFORSCHUNGSSTRATEGIE                                                                        19

Meereisfläche

4.2. Wissenstransfer in die Gesellschaft                       Die Analysen zur Veränderung der Kryosphäre und des
                                                               Meeresspiegelanstiegs werden sowohl IPCC als auch
Im Internationalen Polarjahr 2007 / 2008 wurden viel­fältige   anderen Gremien zur Verfügung gestellt. Hierzu wurde
Aktionen unternommen, um die Polarforschung einer              ein Regionales Klimabüro am AWI eingerichtet, das
breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen G. So waren        die Daten aufbereitet und für Anfragen aus Politik,
zum Beispiel Schulklassen und Lehrer in die Forschung          Wirtschaft und Gesellschaft bereitstellt. Die Auswei­
eingebunden. Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen          tung dieser Bemühungen zu einer „Earth Knowledge
Schulen und Forschungsinstituten soll über die Einbin­         Platform“ im Forschungsbereich Erde und Umwelt der
dung in geeignete Projekte fortgeführt werden.                 Helmholtz-Gemeinschaft wird derzeit vorbereitet. Dies
                                                               erfolgt in Zusammenarbeit mit dem „Climate Service
Für die Forschungsinstitute an Universitäten und außer­­       Center“ des BMBF.
universitären Einrichtungen bleibt es wichtig, die
Öffentlichkeit wissenschaftlich fundiert und zugleich          Zu den Herausforderungen der nächsten Jahre gehört
allgemeinverständlich zu informieren. Nur so kann              es, die naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse
es gelingen, in der Gesellschaft ein Problembewusstsein        zu den sozioökonomischen Aspekten des Wandels in
für die derzeitigen klimatischen und damit verbundenen         Beziehung zu setzen. Für diese transdisziplinären
ökonomischen und ökologischen Veränderungen zu                 Arbeiten besteht in Deutschland noch Nachholbedarf.
wecken.                                                        Daher sollten mit Partnern im In- und Ausland
                                                               Kooperationen aufgebaut werden, die diese Themen
Die Ergebnisse der Polarforschung sind bedeutsam für           gemeinsam bearbeiten können.
die Analyse des globalen und regionalen Klimawandels.
Sie fanden Eingang in den 4. Sachstandsbericht des
Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen
(4. IPCC Report 2007) und liegen auch dem 5. Bericht,
der in 2013 / 2014 veröffentlicht wurde, zugrunde.
20                                 SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

4.3. Technologietransfer                                                     Geophysikalische Messungen in eisbedeckten Gebieten
                                                                             sind eine technologische Herausforderung und
Die Erforschung der Arktis unter den dortigen harschen                       erforderlich, um Ressourcen abschätzen zu können.
Bedingungen erfordert hervorragende Technologien
und hohe Sicherheitsstandards (siehe Box auf S. 21). Die                     Diese und andere Beiträge der Polarforschung für
Entwicklung automatischer Systeme zur Beobachtung                            eine nachhaltige und verantwortungsvolle Nutzung
und Beprobung unter polaren Bedingungen liefert                              müssen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
Impulse für den maritimen Sektor und die Offshore-                           verstärkt werden. Dafür muss auch eine bessere
Technologie. Darüber hinaus sind an die Entdeckung                           Kommunikation zwischen den Partnern aus Wissen­
von neuen, polaren Organismen, die für die Biotechno­                        schaft und Wirtschaft aufgebaut werden.
logie nützlich sein können, Erwartungen geknüpft.

Im Eis der grönländischen Eisschilde eingeschlossene Luftblasen speichern die Klimasignale vergangener Epochen. Bisher konnten anhand dieser Archive
die Klimaperioden bis zu 120.000 Jahren vor heute erforscht werden.
4. UMSETZUNG DER ARKTISFORSCHUNGSSTRATEGIE                                                                                          21

Rückschreitende Erosion durch tauenden Permafrost im Untergrund, Herschel Insel, Kanada

  Innovative Technologien, die zur Erforschung der                            ∙∙ Ozeanobservatorien und Unterwasserfahrzeuge
  Arktis benötigt werden                                                         für Arbeiten in der arktischen Tiefsee und unter
                                                                                 Eis
  ∙∙ eisbrechende Forschungsschiffe, die in allen
     Jahreszeiten eingesetzt werden können                                    ∙∙ Fernerkundung durch Satelliten und Flugzeuge
                                                                                 zur präzisen Bestimmung der arktischen
  ∙∙ Technologien zur Gewinnung von Bohrkernen                                   Inlandeismassen und des Meereises
     (aus dem Meeresboden, arktischen Eisschilden,
     tiefen Permafrostsedimenten, Gashydraten in                              ∙∙ komplexe, gekoppelte Modelle für die Berech­
     den Kontinentalrändern)                                                     nung und Vorhersage von Klima, Eisdynamik
                                                                                 und Meeresspiegelanstieg
  ∙∙ Technologien zur Untersuchung des subglazialen
     Milieus                                                                  ∙∙ hohe Rechnerkapazitäten für den Einsatz
                                                                                 numerischer Modelle
  ∙∙ autonome Messplattformen für die Erforschung
     der Atmosphäre und kleinskalige meteorolo­                               ∙∙ Analysentechnik für die genetische Charakteri­
     gische Messnetze                                                            sierung und Datenarchive für genetische
                                                                                 Informationen spezifischer arktischer Organismen
  ∙∙ ganzjährige autonome Beobachtungs- und
     Experimentalplattformen im Ozean mit Daten­                              ∙∙ pan-arktische multidisziplinäre Datenbanken
     übertragung                                                                 und geografische Informationssysteme
22                          SCHNELLE VERÄNDERUNGEN IN DER ARKTIS: POLARFORSCHUNG IN GLOBALER VERANTWORTUNG

4.4. Nachwuchsförderung                                   Weg deutschrussischer Polar- und Meeresforschung und
                                                          dient als Modell für eine neue Form internationaler
Der deutsch-russische Masterstudiengang für angewandte    Kooperationsvorhaben.
Meeres- und Polarwissenschaften (POMOR) ist das
Ergebnis einer gemeinsamen Initiative der Universitäten   Eine Ausbildung mit internationaler Ausrichtung und
St. Petersburg, Hamburg und Bremen, des AWI und des       mit direktem Zugang zur arktischen Umwelt bietet
Helmholtz-Zentrums für Ozean­forschung, Kiel (GEOMAR).    das von Norwegen betriebene University Centre in
POMOR wird seit 2002 in Kooperation mit den Univer­       Svalbard (UNIS) an. An der nördlichsten Hochschule
sitäten Kiel, Potsdam und Rostock, dem Leibniz-Institut   mit Sitz in Longyearbyen auf Spitzbergen können
für Ostseeforschung Warnemünde, dem „Arctic and           Diplomanden, Doktoranden und Postgraduierte
Antarctic Research Institute“ (AARI) und dem „Otto        qualitativ hochwertige Kurse in arktischer Biologie,
Schmidt Laboratory for Polar and Marine Research“         Geologie, Geophysik und Technologie besuchen. Auch
(OSL), beide in St. Petersburg, durchgeführt.             deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
                                                          sind daran beteiligt.
Die ersten beiden Semester absolvieren die Studierenden
in St. Petersburg, das dritte Semester an einer der       Interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit
deutschen Partneruniversitäten. POMOR schließt mit        wird beispielhaft im Permafrost Young Researchers
einem Master of Science in angewandten Polar- und         Network (PYRN) und in der Association of Polar Early
Meereswissenschaften ab.                                  Career Scientist (APECS) entwickelt. Beide Organisationen
                                                          fördern den internationalen Austausch und unterstützen
Das OSL ist ein modernes Forschungs- und Ausbildungs­     ausgewählte junge Wissenschaftlerinnen und Wissen­
labor für polare Geowissenschaften, das gemeinsam         schaftler. Die Nachwuchsförderung in der Polarforschung
von AARI, AWI und GEOMAR betrieben wird. Ein              erfordert eine besonders starke interdisziplinäre und
Stipendienprogramm unterstützt kleinere Forschungs­       internationale Ausrichtung. Daher ist es notwendig,
projekte junger Wissenschaftlerinnen und Wissen­          diese bereits gut entwickelte Kooperation in der
schaftler. Das OSL ist ein wichtiger Baustein auf dem     Ausbildung weiter auszubauen.
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