SCHRIFTENREIHE SCHIFFBAU - Festschrift anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Otto Grim
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März 2012 SCHRIFTENREIHE SCHIFFBAU Festschrift anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Otto Grim
Festschrift anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr.-Ing. E.h. Otto Grim © Technische Universität Hamburg-Harburg Schriftenreihe Schiffbau Schwarzenbergstraße 95c D-21073 Hamburg http://www.tuhh.de/vss
Otto Grim – Wissenschaftler und Ingenieur Prof. Dr.-Ing. Harald Keil Seite 3 Otto Grim und die Festigkeit der Schiffe Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing.E.h. Dr.h.c. Eike Lehmann Seite 8 Otto Grim und die Vibrationen Prof. Dr.-Ing. Heinrich Söding Seite 24 Dynamik des Seeverhaltens und statische Stabilitätsbetrachtungen - Versuch einer Synthese Prof. Dr.-Ing. Stefan Krüger Seite 37 Voraussage des Seeverhaltens von Schiffen in schwerer See mit RANSE Prof. Dr.-Ing. Ould el Moctar Seite 52 Das Grimsche Leitrad – Chronik einer Innovation Dipl.-Ing. Michael vom Baur, Dr.-Ing. Klaus Meyne Seite 69 Otto Grim und das Manövrieren Prof. Dr.-Ing. Andrés Cura Hochbaum Seite 81 Nicht verzagen, Otto fragen! Otto Grim und das Verhältnis von Theorie und Praxis Dipl.-Ing. Peter Schenzle Seite 83
Otto Grim – Wissenschaftler und Ingenieur von Harald Keil Wir wollen heute das Leben von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing.E.h. Otto Grim kurz skizzieren und einen Einblick in die wesentlichen Gebiete seines Schaffens geben. Otto Grim wurde am 22. Dezember 1911 in Groißenbrunn in Niederösterreich geboren. Um es vorweg zu sagen: Obwohl der Geburtsort mitten im damals mächtigen k.u.k.-Reich lag, vereinte Otto Grim in sich alle Eigenschaften, die man „preußische Tugenden“ nennt. Nach dem Besuch der Technisch-gewerblichen Bundesanstalt in Mödling bei Wien ab 1925 und der Reifeprüfung 1929 studierte er Schiffbau und Schiffsmaschinenbau an der Technischen Hochschule Wien. Das Studium schloß er im Dezember 1934 mit der zweiten Staatsprüfung ab und erhielt den Titel „Ingenieur“, was ihm später Probleme bereitete, da in Deutschland der entsprechende Titel „Diplom-Ingenieur“ hieß. Anschließend war er arbeitslos, bis er 1936 eine Anstellung bei der Kriegsmarinewerft Wilhelms- haven in der Abteilung für Messungen und wissenschaftliche Untersuchungen fand. 1937 wechsel- te er als Sachbearbeiter für Schwingungen und Vibrationen in das Oberkommando der Kriegs- marine in Berlin, wo er 1939 die Baumeister-Prüfung ablegte. 1940 wurde er Marinebaurat und Referent für den Entwurf kleiner Uboote. Das Kriegsende erlebte er unter Wasser in einem Uboot, kam nach dem Auftauchen in norwegi- sche und ab Oktober 1945 in französische Kriegsgefangenschaft. Von 1947 bis 1949 arbeitete er als Konstrukteur in einem Ingenieurbüro in Kressbronn am Bodensee für die französische Marine. 1950 trat er als Leiter der Forschungsabteilung und später stellvertretender Direktor in die Ham- burgische Schiffbau-Versuchsanstalt HSVA ein. Am 24. Juni 1953 promovierte er mit einer Arbeit über die „Berechnung der durch Tauchbewegungen eines prismatischen Körpers erzeugten hydro- dynamischen Kräfte“ als erster Schiffbauer in Deutschland nach dem Krieg mit Auszeichnung zum Doktor-Ingenieur. Prof. Weinblum sagte dazu: „Ich betrachte es als eines der besten Auspizien unse- rer neuen Schiffbau-Abteilung Hannover-Hamburg, daß sie mit einer so glanzvollen Arbeit ihr Le- ben begonnen hat.“ Mit dieser Arbeit wurden nicht nur in Deutschland Maßstäbe gesetzt; sie stand am Beginn einer weltweiten sprunghaften Entwiclung der Kenntnis über Bewegungen und Belastun- gen von Schiffen im Seegang. Am 16. Januar 1957 habilitierte er sich an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg und lehrte von da ab als Privatdozent am Institut für Schiffbau. 1962 wurde er nach einer Tätigkeit am Stevens Institute of Technology in Hoboken/USA als Nachfolger von Prof. Weinblum auf den Lehrstuhl für Schiffstheorie am Institut für Schiffbau berufen. Prof. We- hausen von der University of California in Berkley schrieb dabei in seinem Gutachten: „Ohne Zweifel ist Grim der geeigneteste Kandidat in Deutschland, wahrscheinlich auch in der ganzen Welt.“ Von 1969 bis 1974 übernahm er in wirtschaftlich sehr schwerer Zeit zusätzlich die Leitung der HSVA. Manche meinten, es wäre immer sein Traum gewesen, Direktor der HSVA zu sein. Dies halte ich für einen Irrtum. Es war pures Pflichtbewußtsein, das ihn dazu veranlaßte. Als ich ihn in der HSVA besuchte, um ihm meine Dissertation zu erklären und ihn zu bitten, sie in der Fakultät zu vertreten – eine intensive Betreuung, wie sie heute gefordert und praktiziert wird, gab es da- mals nicht; schließlich war ja eine selbständige Leistung verlangt. -, sagte er, nachdem wir zwei Stunden zusammen gesessen hatten: „Sehen Sie, das macht mir Spaß!“ 3
So hat er eine ganze Generation von Schiffbauern als Studenten begabt und an die Schiffstheorie herangeführt und als junge Wissenschaftler zur Blüte gebracht. Die von ihm verkörperte Verbin- dung von tiefen theoretischen Kenntnissen mit einem ausgeprägten Gefühl für die praktische Mach- barkeit, ja einer intuitiven Sicherheit für das Ergebnis machten ihn zum unerreichbaren Vorbild sei- ner Schüler. Dazu kam ein hohes Maß an Kreativität und Beharrlichkeit in der Umsetzung seiner Ideen. Überall waren sein Rat und seine Mitarbeit gefragt, nie hat er sich verweigert. So war er zwölf Jahre Mitglied des Forschungsrates der Freien und Hansestadt Hamburg, davon fünf Jahre als Prä- sident oder Vizepräsident. Sechs Jahre hat er als stellvertretender Sprecher den Sonderforschungs- bereich „Schiffstechnik und Schiffbau“ geleitet. 45 Jahre gehörte er der Schiffbautechnischen Ge- sellschaft an, zehn Jahre als Leiter eines Fachausschusses und sechzehn Jahre als Mitglied des Vorstandsrates. In keinem Verhältnis zu seinen Leistungen stand sein Habitus. Extreme Zurückhaltung und Be- scheidenheit zeichneten ihn aus. Nichts war ihm mehr zuwider als die erste Reihe und das Rampen- licht. Und dennoch hat er alle Auszeichnungen erhalten, die für einen Schiffbauer denkbar sind. Im November 1959 erhielt er die Silberne und 1986 die Goldene Denkmünze der Schiffbautechnischen Gesellschaft "Für Verdienste um den Deutschen Schiffbau". 1979 verlieh ihm die Hannoversche Hochschulgemeinschaft die Karmarsch-Gedenkmünze, die alle zwei Jahre für außerordentliche Ingenieurleistungen vergeben wird, und am 19. Dezember 1986 das Deutsche Institut für Erfin- dungswesen in Nürnberg die Diesel-Medaille in Silber. Dabei stand er in Hannover neben Prof. Wal- ter Bruch, dem Erfinder des PAL-Farbfernsehens, und in Nürnberg neben Dr. Felix Wankel und Prof. Artur Fischer. Ihm schien das zuviel der Ehre. Er schrieb an das Deutsche Institut für Erfin- dungswesen, als dies ihm die Ehrung ankündigte: „Natürlich würde ich mich über die Verleihung der Diesel-Medaille freuen und mich sehr geehrt fühlen; jedoch kenne ich viele Kollegen, die ebensoviel geleistet haben wie ich und nicht so hoch geehrt wurden.“ Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen hatte bereits am 29. Oktober 1982 das wissenschaftliche Gesamtwerk durch die Verleihung des Doktor-Ingenieurs Ehren halber gewür- digt. Die Gutachter in dem Verfahren waren die Professoren Wehausen in Berkley, Gerritsma in Delft und Pestel in Hannover, der zu der Zeit auch in Kalifornien weilte. Und der Bundespräsident hatte ihm im gleichen Jahr das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen, eine für einen hamburgischen Beamten außergewöhnliche Auszeichnung. Ende des Wintersemesters 1977/78 ließ er sich emeritieren, nicht weil er keine Lust mehr hatte, sondern aus Konsequenz. Er hielt den damals von uns betriebenen Hochschulübergreifenden Studiengang nicht für richtig und wollte ihn nicht mittragen. 1992 hat er angefangen, Gedanken über sein Leben und sein Verhältnis zur Moderne aufzu- schreiben. Leider hat ihn die Ende 1993 aufgetretene schwere Krankheit, gegen die er mit eiser- nem Willen angekämpft hat, auch hieran gehindert. Am 21. Juni 1994 verstarb er in seinem Haus in Meiendorf. "Sie sind ein Vertreter des Teiles unserer Gesellschaft, der durch Begabung sowie harte und aber- mals harte Arbeit und ewiges Lernen in Freiheit schöpferisch zum Fortschritt beigetragen hat." Diese Worte des Laudators Ludwig Bölkows bei der Übergabe der Diesel-Medaille charakterisieren den Wissenschaftler Grim. Vielen von uns bedeutete Otto Grim jedoch viel mehr. Seine Offenheit, sein Verständnis, seine Geduld und seine menschliche Wärme haben ihm einen festen Platz in un- seren Herzen gesichert. 4
Veröffentlichungen von Prof. Otto Grim 1951 Das Schiff in von achtern auflaufender See HSVA-Bericht 972 Jahrb. STG 45 Sept. 1952 Rollschwingungen, Stabilität und HSVA-Bericht 1002 Sicherheit im Seegang Schiffstechnik 1952 1952/53 Berechnung der Festigkeit eines Schiff + Hafen 1952 Schalenschiffes Schiff + Hafen 1953 Jan. 1953 Berechnung der durch Tauchschwingungen Dissertation TH Hannover eines prismatischen Körpers erzeugten hydrdynamischen Kräfte 1953 Über den Einfluß der mitschwingenden Wasser- Schiff + Hafen 1953 masse auf die Schwingungseigenschaften lokaler schwingungsfähiger Systeme 1953 Berechnung der durch Schwingungen eines Jahrb. STG 47 Schiffskörpers erzeugten hydrodynamischen Kräfte 1954 Zur Stabilität der periodischen erzwungenen Ing.-Archiv 1954, Heft 1 Rollschwingungen eines Schiffes 1955 Das Schiff und der Dalben Schiff+Hafen 1955 1956 Die hydrodynamischen Kräfte beim Rollversuch Schiffstechnik 1956 1956 Über das Eisbrechen HSVA-Bericht 1089 1956 Die Schwingungen von schwimmenden HSVA-Bericht 1090 zweidimensionalen Körpern Dez. 1956 Durch eine Oberflächenwelle erregte HSVA-Mitt. 298 Tauchbewegung Schiffstechnik 1957 Jan. 1957 Die Schwingungen von schwimmenden HSVA-Bericht 1117 zweidimensionalen Körpern Berechnung der hydrodynamischen Kräfte 1957 Durch Wellen an einem Schiffskörper Proc. Symposium on erregte Kräfte Behavior of Ships in a Seaway, Wageningen Sept. 1958 Erzwungene Querschwingungen des Jahrb. STG 52, Hansa 51/52 Schiffskörpers Schiff + Hafen, Heft 12 Jan. 1959 Die Berechnung von hydrodynamischen HSVA-Bericht 1122 Kräften an dreidimensionalen Schiffskörpern Sept. 1959 Die Schwingungen von schwimmenden zwei- HSVA-Bericht 1171 dimensionalen Körpern. Berechnung der hydrodynamischen Kräfte 1959 Untersuchung der Wasserbewegung in einem HSVA-Bericht 1119 Kesselwagen Okt. 1959 The Influence of Speed on Heaving and HSVA-Bericht 1197 Pitching Motions in Smooth Water and on the Forces Generated in Head Waves 5
-2- 1960 Eisbrechen in Helsinki HSVA-Bericht 1213 Febr. 1960 Elastische Querschwingungen des Schiffskörpers Schiffstechnik 35 Juni 1960 Eine Methode für eine genauere Berechnung der HSVA-Bericht 1217 Tauch- und Stampfbewegungen in glattem Wasser und in Wellen 1960 Reduktionsfaktor für die Berücksichtigung der Schiffstechnik 7 räumlichen Strömung bei der Berechnung der hydrodynamischen Masse Sept. 1960 A Method for a More Precise Computation of Third Symposium on Naval Heaving and Pitching Motions Both in Smooth Hydrodynamics, Water and in Waves Scheveningen 1960 Lagerung der Propellerwelle in einem Jahrb. STG 54 elastischen Stevenrohr 1961 Beitrag zum Problem der Sicherheit des Schiffes Schiff + Hafen Nr. 6 im Seegang 1961 The Influence of the Main Parameters of the Ship HSVA-Bericht 1253 Form on the Heaving and Putching Motions in Waves 1962 Die Deformation eines regelmäßigen, in Längs- IfS-Bericht 109, richtung laufenden Seegangs durch ein fahrendes Schiffstechnik 9, Nr. 46 Schiff 1963 Surging Motion and Broaching Tendencies in a Dt. Hydrogr. Zeitschrift, Severe Irregular Sea Heft 5 März 1965 Hydrdynamische Kräfte bei Quer- und Roll- IfS-Schrift 2054 bewegungen Juli 1965 Das Rollmoment in schräglaufenden Wellen IfS-Bericht 148, (gemeinsam mit Y. Takaishi) Schiffstechnik 10 Okt. 1965 Gutachterliche Stellungnahme zur Frage der IfS-Schrift 1074 Beeinträchtigung der Schiffahrt durch eine Doppel-S-Schlag-Ausbiegung einer „geraden“ Kanalstrecke (gemeinsam mit H. Thieme) Juli 1966 Propeller und Leitrad IfS-Bericht 164, Jahrb. STG 60 1967 Propeller und Leitrad – Weitere Ergebnisse Schiffstechnik 70 1967 Der Einfluß der hydrdynamischen Größen beim Schiff + Hafen 12 Rollversuch (gemeinsam mit H. Keil) 1967 Die Bewegungen und Belastungen des Schiffes IfS-Bericht 182, im Seegang Jahrb. STG 61 1968 Berechnung der Torsionsbelastung eines FDS-Bericht 5, Schiffes im Seegang (gemeinsam mit P. Schenzle) IfS-Bericht 236 1969 The Prediction of Torsional Moment, Horizontal IMAS 69, London Bending Moment, and Horizontal Shear Forces on a Ship in Waves (gemeinsam mit P. Schenzle) 6
1969 Der Einfluß der Fahrgeschwindigkeit auf die FDS-Bericht 7, Torsionsbelastung eines Schiffes im Seegang IfS-Bericht 237 (gemeinsam mit P. Schenzle) 1969 Untersuchung eines Vortriebsorgans Propeller FDS-Bericht 10 und Leitrad auf einer Barkasse (gemeinsam mit J.V. Chirila) 1970 Das Schiff im Seegang Interocean 70, Düsseldorf 1971 Schiffsschraubenanordnung Auslegeschrift 1756 889 1971 Propeller und Leitrad – Propulsionsversuche FDS-Bericht 22 mit einem völligen Modell 1971 Propeller und Leitrad – Einfluß und Flügelzahl HSVA-Bericht 1465 und Reynolds-Zahl 1971 Forces on a Two-Dimensional Body Jubiläumsschrift Excited ba an Oblique Wave W.P.A. van Lammeren, Wageningen 1975 Resistance Tests of Two Models with the 14. ITTC, Ottawa 1975 same Area Curve 1975 A Second Order Effect on Wave Bending Moment 14. ITTC Ottowa 1975 (gemeinsam mit P. Schenzle) März 1975 Elastische Schwingungen des Schiffes erregt durch IfS-Bericht 325 nichtlineare Kräfte des natürlichen unregelmäßigen Seegangs Sept. 1975 Hydrodynamische Masse bei lokalen Schwingun- Wiss. Zeitung der gen, insbesondere bei Schwingungen im Bereich Universität Rostock, des Maschinenraums Schiff + Hafen 11 Okt. 1975 Hydrodynamische Trägheits- und Dämpfungs- VIII. Kontaktstudium kräfte. Hydrodynamische schwingungserregende IfS – STG, Hamburg Kräfte Juni 1977 „Sea Troll“ – Grenzbedingungen eines Kran- IfS-Bericht 355 schiffs im Seegang Jan. 1978 Tauch- und Stampfbewegung 2: Bewegungen, IfS-Bericht 363 Kräfte und Druckverteilungen Juli 1978 Berechnung der hydrodynamischen Kräfte, die auf IfS-Bericht 372 einen eine Rollbewegung mit großer Amplitude ausführenden schwimmenden Körper wirken Juli 1978 Belastungen und Beanspruchungen der tragenden Sonderforschungsbereich 98 Schiffskonstruktion Abschlußbericht 1979 Propeller und Leitrad als mögliches Antriebsorgan 2. Georg-Weinblum- für Schiffe Gedächtnisvorleung, IfS-Bericht 388 1980 Ship Structure Loads and Stresses Ocean Engineering vol. 7, (gemeinsam mit anderen) Pergamon Press 1980 Forschungsschiff Gauss – Erprobung des Antriebs- BMFT-Statusseminar 1980, organs Propeller und Leitrad Hamburg 1980 Propeller and Vane Wheel Journal of Ship Research 24 7
Prof. Grim und die Festigkeit der Schiffe Vortrag zum Festkolloquium anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Otto Grim Eike Lehmann Vorwort Otto Grim gehört mit Recht zu der kleinen elitären Gruppe von exzellenten deutschen Schiffs- theoretikern, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit wesentlichen Beiträgen zur Schiffshydro- dynamik den Anschluss Deutschlands an die internationale Entwicklung der Schiffstheorie wieder ermöglicht hat. Es ist aber weitestgehend unbekannt, das Grim als junger Ingenieur sich nicht mit hydrodynamischen, sondern vorzugsweise mit Festigkeitsproblemen, vorzugs- weise mit Festigkeitsfragen des Ubootbaus, beschäftigt hat. So erklärt sich vielleicht, dass eine Reihe von späteren Arbeiten Grims eine auffallende Nähe zu Fragen der Fluid/Struk- tur-Interaktion besitzen. Ein Beispiel sind die Modellversuche Grims zum Verhalten von Stahldalben und sonstigen Hafenbauwerken bei Kollision mit Schiffen 1955 in der HSVA. Ich darf auch an die Grimsche Welle, deren Entwicklung eine vertiefte Kenntnis des Vibrations- verhaltens von Strukturen im Wasser voraussetzt, erinnern. Auch die Arbeiten zum Torsions- verhalten von Schiffen im Seegang mit Peter Schenzle gehören dazu. Otto Grim als Uboot-Konstrukteur Otto Grim war nach Studium an der TH Wien und vergeblicher Suche nach geeigneter Arbeit in das Amt für Kriegsschiffbau der Deutschen Kriegsmarine eingetreten, wo er etwa ab 1942 Referatsleiter KIUe geworden war. Das Referat war für die Entwicklung von Klein- und Kleinst- Ubooten sowie für allgemeine wissenschaftliche Fragen zuständig. Unter den wissen- schaftlichen Fragestellungen waren naturgemäß auch vorzugsweise solche die die Festigkeit der Boote betrafen. So war die gewünschte Erhöhung der Tauchtiefe des Typ VIIC durch Verwendung höherfes- ter Stähle und bestimmter struktureller Maßnahmen aber auch die Festigkeit der ungewöhnli- chen Rumpfform des Typs XXI mit schwierigen Fragen der Festigkeit verbunden, die Grim mit Hilfe der Schalentheorie bearbeitet hat1. Achtförmiger Druckkörpersektion des Ubootes vom Typ XXI 1 Über die Einzelheiten des Baues von Ubooten während des Zweiten Weltkrieges, insbesondere der Sektionsbauweise haben Kurt Arendt und Heinrich Oelfken unter dem Titel Die Baumethoden der deutschen U-Boote 1935-1945 in 100 Jahre Verbandsgeschichte des Verbandes der Deutschen Schiffbauindustrie 1984 berichtet. 8
Grim war an Bord der berühmten Testfahrt vor Hela mit dem Walter Uboot V 80, welches dem Großadmiral Reader 1941 vorgeführt worden war und 26 kn unter Wasser erreichte 2. Grim hat noch 1993 davon berichtet und dass er fasziniert von der Idee (des Unterwasser- schnellbootes von Walter) war und es immer bedauert hätte, das es nicht schneller reali- siert werden konnte, schrieb Grim Eberhard Rössler in einem Brief vom 11.9.19933. Walter Uboot vom Typ V80 auf der Testfahrt vor Hela 1941 Wie sorgfältig Grim bei allen seinen Berechnungen vorgegangen ist zeigt eine weitere Äuße- rung aus obigem Brief, in dem er berichtet, dass man die mittragende Breite der Haut, durch die das Trägheitsmoment des Spantprofiles verstärkt wird, erst ab 1942 zu 1,55 ⋅ s ⋅ R einge- setzt hat. Vorher wurde 5 ⋅ s eingesetzt. Grim schreibt weiter: Dieser Änderung lagen eine (offenbar eigene) wissenschaftliche Arbeit und Druckversuche bei den Deutschen Werken in Kiel mit Modellen von 2 m Durchmesser und 2,5 m Länge zugrunde. Die Formel Grims erschien mir nicht sehr zuverlässig, denn der Grenzwert der mittragenden Breite be zum Spantabstand b zu einem ungekrümmten Gurt wird 1, und nicht wie bei Grims Formel unendlich. Da ich in meinem Kolleg auch Ausdrücke für gekrümmte Gurte abgeleitet habe, erlaube ich mir einen Vergleich. Es stellt sich heraus, dass in dem für U Boote geltendem Bereich beide Formeln nahezu iden- tische Ergebnisse liefern. Mit b2 αb= 3 s⋅ R erhält man be 2 cosh α b − cos α b = b α b sinh α b + sin α b be/b 2 Grim hat zumindest auch einmal an einer Kriegsfahrt 1942 eines U-Tankers, U 459 vom Typ XIV, Kommandant Korv. Kpt von Wilamowitz-Möllendorf, südlich von Neufundland teilgenommen. Siehe Geschichte der U-Boote von E. Rößler. 3 Brief vom 11.9.1993 an E. Rößler 9
1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 1) 0,4 2) 0,3 0,2 0,1 0 0 5 10 15 20 25 30 35 b2 s⋅ R Von einer weiteren Aktion hat Grim mir selbst erzählt. Grims Berechnungen der ungewöhnli- chen achtförmigen Rumpfform des Typs XXI traute man nicht, zumal es für die Berechnung solcher Rumpfformen, insbesondere der unteren Rumpfschale, keine gesicherten Berech- nungsgrundlagen gab, und so führte man Tauchversuche vor der norwegischen Küste noch kurz vor Kriegsende durch4, denn es waren Zweifel aufgekommen, ob die Boote die erforder- liche Konstruktionstauchtiefe erreichen können. Als Konstruktionstauchtiefe waren 135 m vorgesehen; damit ergab sich eine Zerstörungstauchtiefe bei einer Sicherheit von 2,5 von 330 m und eine Prüftauchtiefe mit einer Sicherheit von 1,5 von 200 m5. Den letzten solcher Versuche hat Grim als Versuchsleiter am 8. Mai 1945 vor Christiansand mit U 2529 vom Typ XXI, Kommandant Olt. z. See Fritz Kallipke, durchgeführt. Nach meh- reren Tauchversuchen, bei denen zunächst 210 m erreicht wurden, hat Grim bei einem erneu- ten Tauchversuch 220 m erreicht, dann war der Krieg vorbei. In dem erwähnten Brief an Eberhard Rössler erinnert sich Grim: Es macht mich betroffen, zu lesen und erinnert zu werden, was sich 1945 abgespielt hat. Erstens, weil die Druckfestigkeit nicht ausreichend war6, und zweitens, weil ich vermutlich nicht vollständig informiert war, als ich den Tieftauchversuch am 8.5.1945 mitmachte. Hierzu: 1. Für die Berechnung war eine Streckgrenze von 3500 kg/cm2 sowie eine Zerstörungs- tauchtiefe von 135x2,5=337,5 m vorgegeben. In Ihrem Buch steht 330 m. Ich bin sicher, dass ich mich hier nicht irre und auch nichts vergessen habe. 2. Für die Berechnung der Zweikreisform lagen keine Unterlagen vor. Haut und insbe- sondere die Spanten konnten nicht wie für einen zylindrischen Druckkörper bestimmt werden; sie wurden zusätzlich auf Biegung berechnet. Zusätzlich waren da noch die Stütze zwischen den beiden Kreisschalen, die eine Druckkraft von rd. 9 000 kg/cm standhalten musste. Natür- lich wäre rechtzeitig ein Druckversuch notwendig gewesen. Der Versuch im Februar kam zu spät. Die erreichten 30 kg/cm2 (entsprechend 300 m Zerstörungstauchtiefe) waren um 9,4 % zu wenig. Was der KIU ( Min. Rat. Christof Aschmoneit) bei den folgenden Besprechungen Dönitz und dem K-Chef (Adm. Friedrich Ruge) erklärte, ist mir damals nicht bekannte gewor- den. 4 Das für solche Versuche von der Kriegsmarine betriebene Druckdock war für die XXI U-Boote zu klein. 5 Rößler, E.: Geschichte des deutschen U-Bootbaus, Bd.2, S. 432. Bernhard & Graefe Verlag, 1996. 6 Der Druckversuch mit einem Modell einer Sektion bei der Germaniawerft in Kiel im Feb. 1945 hatte gezeigt, das bei einem Druck von 30 kg/cm2, entsprechend 300 m Tauchtiefe, im Bereich der Schotte im unteren Schalenbereich Einbeulungen entstanden, die bei 31,5 kg/cm 2 zu Rissen führten, was eine Reduktion des Konstruktionstauchtiefe von 135 auf 120 bedeutet. 10
3. Über die Tieftauchversuche von Herrn Diestelmeier7 und über seine Ergebnisse war ich in etwa unterrichtet, ebenso über die sehr schweren Vorwürfe, die KIU gemacht wurden. 4. Als Herr Aschmoneit von seinem Tieftauchversuch zurückkehrte, war ich schon unter- wegs nach Kristiansand8. Ich wußte daher am 8. 5. nicht, dass Herr Aschmoneit 220 m er- reichte und daß Oberdecksbehälter implodierten. Die Oberdecksbehälter wurden nicht von mir und wahrscheinlich auch von keinem anderen in KIU dimensioniert. Die Schwierigkeiten beim Bau des Typs XXI, die geforderte Druckfestigkeit zu erreichen, ist aus heutiger Sicht nicht durch fehlerhafte Berechnung, sondern durch die Wirren am Ende des Krieges zu erklären. Änderungen während des Baus, wegen Zeitmangel unterlassene Festig- keitsteste sowie sehr begrenzte Möglichkeiten der numerischen Berechnung und mangelhafte Informationen sowie die ständige Bedrohung durch Bomben sind die Ursachen gewesen. Dennoch ist es fast unglaublich, dass es unter diesen Bedingungen innerhalb von wenigen Monaten gelungen ist, ein neues und zukunftweisendes Boot in größeren Serien zu bauen. Grims Referat war zuständig für Klein- und Kleinst-Uboote, die bis 1943 wenig Beachtung in der Kriegsmarine gefunden hatten, obwohl z. B. Heinrich Dräger in Lübeck bereits 1942 ge- naue Vorstellungen zum serienmäßigen Bau solcher Boote entwickelt hatte. Am 23. Sept. 1943 war es den zwei britischen Klein- Ubooten X6 und X7 in Norwegen gelungen, am Bo- den des Schlachtschiffes Tirpitz Sprengladungen anzubringen, die das Schiff schwer beschä- digten. Bei einem Angriff auf Bergen war dann wenig später der Kriegsmarine ein britisches Klein-U-Boot vom Typ WELMANcraft in die Hände gefallen. Beide Ereignisse bewogen nun das K- Amt, beschleunigt ebenfalls Klein-Uboote zu entwi- ckeln, und zwar unter der Leitung von Grim zunächst den Typ XXVII (Hecht) und 1944 mit der Bezeichnung Seehund9 den Typ XXVII B 5, von denen immerhin dann 285 Boote gebaut worden sind. Kleinst-Uboot XXVII B 5 später 127 Seehund Die Boote waren klassische Tauchboote mit einer Besatzung von 2 Mann und hatten eine Konstruktionstauchtiefe von 30 m. Mit dem Seehund wurde ein Druckversuch im Druckdock 7 Der MOBR Diestelmeyer hatte im März 1945 die ersten Tauchversuche durchgeführt und nach ver- schiedenen Verstärkungen Anfang April einen zweiten Versuch durchgeführt, der bei 170 m abgebro- chen werden musste. Daraufhin hat Aschmoneit selbst, offensichtlich nach erheblichen Vorwürfen von Dönitz und Ruge, am 14. April Tauchversuche mit einem weiter verstärken Boot durchgeführt, bei dem er bis auf 220m tauchte. Grim hatte dann den Auftrag von Aschmoneit, den Dönitz offensichtlich gefordert hatte, mit jedem Boot, welches in den Fronteinsatz gehen sollte, Tieftauchversuche durchzu- führen. Hierzu Einzelheiten in Wenzel, E.: U 2540 , S. 105, 143,199, Karl Müller Verlag, Erlangen 1996. 8 Grim war mit einem U-Boot von Kiel nach Kristiansand gelangt. 9 Mattes, K.: Die Seehunde, Klein-U-Boote, Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg, 1995. 11
durchgeführt. Der Versuch zeigte, dass das Versagen des Druckkörpers im mittleren Bereich mit dem Turm seinen Ausgang genommen hat. Bei welchem Druck, ist mir nicht bekannt. Er müsste bei etwa 8 bar gelegen haben. Druckversuch mit einem Seehund im Druckdock 12
Kleinst-Uboot XXVII B 5 später 127 Seehund Wie weit Grim bei der Entwicklung der zahlreichen anderen Kleinst-Uboote beteiligt gewesen ist, konnte nicht festgestellt werden. Grim kam nach dem Ende des Krieges zunächst in britische Gefangenschaft und ist von den Engländern als „belasteter“ Kriegsgefangener dem französischen Heer übergeben worden und zu Zwangsarbeit in Kohlengruben gezwungen worden. Eberhard Rößler schrieb mir, dass der Marinebaudirektor Heinrich Oelfken, von dem die Idee stammte, kurzfristig aus dem Walter Uboot Typ XVIII ein Elektroboot zu entwickeln, seit 1946 für die französische Marine in Kressbronn gearbeitet hat und den schwer erkrankten Grim aus der Gefangenschaft nach Kressbronn geholt hat. Dort hat Grim umfangreiche theoretische Berechnungen für Druckkör- per mit unterschiedlichen Aussteifungen durchgeführt. Das Beispiel der Berechnung der Beullast der Kreisplatte möge zeigen, wie ernsthaft Grim sich theoretisch beschäftigt hat. Für die genaue Berechnung des elastischen Beulversagens der ebenen, frei aufgelegten oder auch eingespannten Kreisplatte, und zwar nicht nur unter radia- ler, sondern auch tangentialer Belastung, hat Grim 1948 eine geschlossene Lösung erarbeitet und in dem Buch Drang und Zwang Bd. II von Prof. Ludwig Föppl - berühmter Ordinarius für Mechanik an der TU München - eine Formel entdeckt, die zu anderen Ergebnissen führt. Grim hat dann Föppl auf diesen Unterschied hingewiesen, nicht ohne eine umfangreiche theo- retische Ableitung seiner Formel zu geben. Föppl hat Grim dann umgehend geantwortet und seinen Fehler unumwunden auch eingeräumt, nicht ohne zu erwähnen, dass eine geschlossene analytische Lösung bereits von Bryan 189110 publiziert worden ist und auch von Nádai 191511 und von Timoshenko 1940. Es war nun reizvoll, die Ergebnisse von Föppl und Grim und die analytische Lösung mit modernen Mitteln der Numerik, sprich FE- Methode, zu überprüfen. Man kann die teilweise sehr anspruchsvollen Berechnungen, die auf die Lösung einer Bessel- schen Differenzialgleichung hinausläuft, in einfacher Weise vergleichen, da die kritische Beulspannung p ki außer vom E-Modul und der Querkontraktionszahl ν letztlich nur vom Quadrat des Verhältnisses der Plattendicke zum Radius der Platte abhängig ist. Die kritische Beulspannung ist dann für ν = 0,3 2 t pki = C ⋅ E ⋅ R Die unterschiedlichen Lösungen zeigen sich nur in den Konstanten C 10 Bryan: Proc. Math. Soc. Vol. 22, S. 45, London 1891 11 Nádai, A.: Das Ausbeulen von kreisförmigen Platten, Zeitschrift des VDI, 1915, S. 169 13
C frei gelagert fest eingespannt Föppl 0,222 0,778 Grim 0,316 1,42 analytisch 0,389 1,34 FE 0,389 1,35 Als grundsätzlicher Mangel haftet allen diesen Lösungen natürlich an, dass ein lineares Werk- stoffverhalten vorausgesetzt wird, denn mit der kritischen elastischen Beulspannung kann die Tragfähigkeit der Platte schon lange überschritten sein, beziehungsweise in einer realen Kon- struktion durch Lastumlagerungen bzw. bestimmte Konstruktive Randbedingungen der Un- verschieblichkeit noch lange nicht erreicht sein. Analytische Berechnungen, die ein nichtli- neares Werkstoffverhalten berücksichtigen, sind wegen unüberwindbarer mathematischer Schwierigkeiten damals und auch heute unmöglich. Hier helfen heute aber die Numerik und das in atemberaubender Vollkommenheit. Erstaunlich ist eigentlich, dass Grim die Lösungen von Bryan, Nádai und Timoshenko offen- sichtlich nicht gekannt hat. Ein Grund könnte gewesen sein, dass man im K- Amt nur geringes Interesse an theoretischen Arbeiten der Festigkeit besaß und demgemäß nicht über entspre- chende Literatur verfügte. Nach dem Krieg könnte der Grund die schlechte Zugangsmöglich- keit zu einschlägigen Lehrbüchern gewesen sein. Dennoch hat Grim sehr interessante Arbeiten z. B. über den Einfluss der Formänderung der Spanten auf den Einbeuldruck der Haut nach von Mises 1947 in Kressbronn angefertigt. Ver- anlassung war die Suche nach dem Grund, warum die Versuche der Kriegsmarine kleinere Beuldrücke, als nach von Mises zu erwarten gewesen sind, ergeben hatten. So untersucht Grim das Stabilitätsverhalten der Spanten und weist darauf hin, dass außer dem bekannten Kreisringbeulen auch ein Kippen der Spanten entstehen kann, insbesondere wenn das Spant- profil ein sehr kleines Flächenträgheitsmoment in Bezug auf die radial gerichtete Schwerach- se besitzt, was bei den Wulstprofilen der Spanten der Weltkriegs-Uboote gegeben war. Auch den meist nie untersuchten Fall des Dockens von Ubooten, bei dem unzulässige lokale Verformungen des Druckkörpers auf jeden Fall verhindert werden müssen, war Gegenstand einer Untersuchung von Grim 1949. Eine umfangreiche Arbeit hat Grim ebenfalls 1949 in Kressbronn zu der Frage einer Längs- versteifung des Druckkörpers durch Längsträger (Ballastkiel), Decks oder Aufbauten angefer- tigt. Er belegt mit umfangreichen Berechnungen die schädliche Wirkung auf das Beulen ei- nes Druckkörpers, der durch Längsträger oder ebene Decks und Aufbauten, beabsichtigt oder auch unbeabsichtigt, versteift ist. Hier werden die Erfahrungen beim UBoot Typ XXI Pate ge- standen haben. Insgesamt hat Grim mit Berechnungsmodellen auf der Basis der klassischen Elastizitätstheo- rie gekrümmter Strukturen wichtige Erkenntnisse zu sehr praktischen Problem, vorzugsweise des Ubootbaus, behandelt. Bewundern kann man nur Grims Fähigkeit, für geometrisch schwierige Festigkeitsprobleme entsprechende Gleichgewichtsdifferenzialgleichungssysteme aufzustellen, mit praktischem Sachverstand die relevanten Randbedingungen zu formulieren und das Ganze dann mathematisch glänzend zu lösen und - ganz wichtig - aus den Lösungen die prinzipiellen, ingenieurmäßigen Konsequenzen zu ziehen. In den Jahren der Vorbereitung der Wiederbewaffnung zwischen 1950 und 1955 war das Amt Blank für den ministeriellen Aufbau eines Verteidigungsministeriums tätig. Da dieses Interes- 14
se an U-Booten zum schnellen Aufbau einer akustischen Überwachung der westlichen Ostsee zeigte, schlugen die Atlas-Werke dem Amt Blank vor, ein kleines Jäger- und Aufklärungs- Uboot zu entwickeln, was in den Jahren 1955/56 dann auch geschah. Unter der Leitung des Torpedofachmannes Dipl.-Ing. Werner Thomsen12 und der Mitarbeit des erfahrenen Ortungs- spezialisten Dr. Howey und Sonarspezialist Dr. Maaß, sowie den schiff- und schiffsmaschen- baulichen Mitarbeitern des ehemaligen K-Amts des OKM Dipl.-Ing. Heinrich Waas und Dr.- Ing. Otto Grim und den erfahrenen U-Bootkommandanten wie Freg. Kpt. a. D. Reinhard Suh- ren und Kptl. a. D. Helmut Manseck wurde ein ↑ 50 t ↓ 58 t Boot für eine max. Tauchtiefe von 100 m und entworfen. Das 14,3 m lange und 2,35 m breite Boot sollte mit 2 Torpedos und einer dieselelektrische Antriebsanlage von 85 PS eine Geschwindigkeit von ↓ 10,5 kn er- reichen. Die Besatzung sollte sechs Mann betragen. Die eigentliche baureife Durcharbeitung war dann für das Ingenieurkontor Lübeck von Ulrich Gabler der erste Auftrag 1957 und wurde unter der internen Bezeichnung IK 6 in Lübeck be- arbeitet. Studie von Otto Grim für ein Jäger- U Boot für die Bundesmarine 1956 Dieses Boot sollte wesentlich kleiner als der Typ XXIII (kleines Walter UBoot), aber deutlich größer als der Typ XXVII B 5 (127, Seehund) werden. So wie beim Seehund sollte es aus dem Wasser gehoben werden, um das Boot mit Torpedos zu beladen. Durch die Anordnung außerhalb des Druckkörpers, dessen Berechnung wegen der nicht kreisförmigen Gestaltung ein besonderer Leckerbissen ist, war eine optimale Anordnung der Horchanlagen im Bug möglich. Die Gestaltung des Hinterschiffes sollte nach dem Ge- sichtspunkt möglichster Geräuschlosigkeit erfolgen. Der Antrieb des Propellers sollte über ein Keilriemengetriebe erfolgen, damit ein großer (1,4m Durchmesser), möglichst langsam dre- hender Verstellpropeller (200 Upm) verwendet werden kann. Das Sehrohr und der Schnorchel sind fest installiert, was eine strömungsgünstige Ausführung ermöglicht. Ein besonderer Turm ist nicht vorgesehen, da keine ↑ Fahrt vorgesehen ist. Auch ein vorderes Tiefenruder ist nicht vorgesehen, da das Fahrprofil ein solches entbehrlich macht. Interessant ist, dass man an den Einsatz einer Grimschen Welle dachte, um Geräusche erzeugende Vibrationen damit zu ver- meiden. Damit das Nachstromfeld möglichst gleichmäßig wird, ist keine Ruderhacke vorgese- hen, sondern ein an einem Arm befestigtes Ruder. 12 Rössler, E.: Die Torpedos der deutschen U-Boote, Koehler Verlagsgeselschaft, Herfort, 1984 15
Das IKL hat dann detaillierte Pläne angefertigt. Durch die Veränderung der politischen Ver- hältnisse des Eintritts der Bundesrepublik Deutschland in die Nato veränderte sich die Situati- on, so dass die junge Bundesmarine kein Interesse mehr an einer solchen Waffe hatte. Otto Grims Behandlung von Festigkeitsfragen des zivilen Schiffbaus Anfang der 50er Jahre kam Grim nach Hamburg zur HSVA, wo er sich mit verschiedenen Problemen des zivilen Schiffbaus beschäftigte. Bekannt wurde Grim damals mit der sog. Grimschen Welle. Heinrich Waas, den Grim gut aus der Zeit im K-Amt kannte und der im Bundesverkehrsministerium zuständig für die Vielzahl von Behördenfahrzeugen war, ermög- lichte eine Reihe von technischen Neuerungen in diesen Behördenfahrzeugen zu erproben, die später dann in größerem Umfang auch in den allgemein Schiffbau Eingang gefunden haben. So ließ er das kleine Messschiff Kugelbake auf der Teltow-Werft in Berlin bauen und zur Dämpfung von propellererregtem Drücken mit einer elastisch gelagerten Welle nach der Idee von Grim bauen. Waas, der selbst sich intensiv mit Vibrationen an Bord von Schiffen be- schäftigt hat, erkannte die weitreichende Idee von Grim und propagierte diese schon 195213. Die Funktionsweise der Grimschen Welle hat dieser dann selbst erst 1960 publiziert14. Elastische Propellerlagerung nach der Idee von Otto Grim 1952 Waas hat sich des Sachverstandes Grims auf dem Gebiet der Festigkeit noch bei einem ande- ren Neubau der Wasserstraßenverwaltung bedient15. Diese wünschte einen Prahm für Massen- gut, den man leicht mit einem Greifer entladen könne. Man erinnerte sich der Erfindung von Eberhard Westphal1617, dessen Lastrohrfloß ganz ohne Spanten auskam. Auf der Grundlage dieses Westpfahlrohres wurde ein 32 m langer und 4,50 breiter Prahm zum Transport von 200 13 Waas, H.: Technischer Fortschritt bei den Schiffsneubauten der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, J. STG. Bd. 46, Springer-Verlag, Berlin 1952. 14 Grim, O.: Die Lagerung der Propellerwellen in einem elastischen Rohr, J. STG. Bd. 54, Springer- Verlag, Berlin 1960. 15 Heinrich Waas schreibt dazu im J. STG, 46. Bd. 1952 sinngemäß: In der Zeit nach diesem Krieg, als es bei uns keinen nennenswerten Schiffbau gab, konnten wir, weil es keine Verbote für die Fahrzeu- ge der Wasserschiffahrtsverwaltung gab, bei unseren zahlreichen Fahrzeugen neuartige Ideen ver- wirklichen, um so den technischen Fortschritt und somit technische Fachkräfte zu fördern. 16 Westphal, E.: Das Westphal - Floss, Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn,1947. 17 Wessel. H.A.: Das Lastrohrfloss - Die Wurzel der Schub- und Containerschiffahrt, Deutsches Schif- fahrtsarchiv, Bd. 12, Kabel, 1989 16
t Massengütern entwickelt. Hierfür hat Grim dann mit der Schalentheorie die Festigkeitsrech- nung durchgeführt, die durch die Eleganz der Berechnung auch heute noch besticht. Schalenförmiger Prahm der Wasserschifffahrtsverwaltung des Bundes, gebaut bei der Hilger A.G. Rheinbroel Die Schalenkonstruktion war gewählt worden, damit ein bequemes Entladen mit dem Greifer ohne Trimmarbeit ermöglicht wird und der 39 t schwere Prahm mit einem Kran bewegt wer- den kann. Ohne in die Einzelheiten der Grimschen Berechnung einzusteigen, möchte ich aber doch seine Vorgehensweise skizzieren. Zunächst berechnet Grim ganz konventionell durch Integration der Belastung die Querkraft und die Biegemomente. Mit Hilfe der Widerstandsmomente un- ten und am Dennebaum erhält er die klassischen Längsfestigkeitsspannungen, wenn man den Schiffskörper als Bernoullibalken ansieht. Konventionelle Berechnung der Querkräfte und Biegemomente als Bernoulli-Balken Üblich ist nun eine Querfestigkeitsrechnung, die üblicherweise entkoppelt von der Längsfes- tigkeitsrechnung zweidimensional ausgeführt wird. 17
Belastung des Schalenschiffes durch Schüttgut und den Wasserdruck In dem vorliegenden Fall wird man aber der Natur des Schalenschiffes nur gerecht, wenn man ein räumliches Schalenmodell zugrunde legt. Damit gilt es, sowohl tangentiale als auch Längsspannungen, und bei der Art der nicht mehr rotationssymmetrischen Geometrie und Be- lastung durch Schüttgut und Wasserdruck, auch Schubspannungen zu berechnen. Hier orien- tiert sich Grim an der Vorgehensweise von Vater und Sohn Föppl in ihrem Lehrbuch Drang und Zwang Bd. II. Dort wird ein beidseitig eingespanntes Rohr mit einer Teilfüllung Wasser mit Hilfe der Membrantheorie der rotationssymmetrischen Schale behandelt. Der Ladungsdruck und Wasserdruck erzeugt eine tangentiale Umfangsspannung, die sich leicht berechnen lässt. p⋅ R σ T = s Dieser Zusammenhang zwischen Druck auf die Schale und Tangentialspannung gilt auch in guter Nährung für das hier vorliegende Problem. Mit den beiden Gleichgewichts-Differenzial- gleichungen eines differenziellen Schalenelements ∂σ T ∂τ ∂σ z ∂τ + = 0 und + = 0 ∂t ∂z ∂z ∂t erhält man sofort ∂σ T z ∂ ( p ⋅ R) z 2 ∂ 2 ( p ⋅ R) τ = − z⋅ + f ( z) = − + f ( z ) bzw. σ = + z ⋅ f ( z ) + f (t ) ∂t s ∂t z s ∂ t2 Die Konstante f(z) setzt Grim mit der Bedingung z=0 auf Mitte Laderaum zu Null. Die zweite Konstante f(t) wird so bestimmt, dass die aus der Längsfestigkeit ermittelten Momente mit einbezogen werden. Für die Schubspannung erhält Grim im Bereich der Unstetigkeiten des Drucks p und der Hautdicke s natürlich keine brauchbaren Ergebnisse, da die Tangentialspan- nung σ T unstetig wird. Um die Tangentialspannungen dennoch zu bestimmen, nimmt er in diesen Bereichen stetige Verläufe der Schubspannungen an, ohne diese in diesen Bereichen zu quantifizieren. Dennoch kann das Ergebnis sich sehen lassen, auch wenn die Spitzenwerte auf Mitte Schiff und an der unstetigen Stelle der Außenhaut, wo die Hautdicke bzw. der Druck sich ändert, nicht zuverlässig sind. 18
Ergebnisse der Berechnung als Membranschale Dieses unbefriedigende Ergebnis an den Störstellen lässt Grim nun nicht ruhen. Aus einer, wie er schreibt, ausführlichen Arbeit, die nicht veröffentlicht ist, zitiert er die Ergebnisse für rotationssymmetrische Schalen unter Berücksichtigung der Biegung der Haut. Da es sich nur um lokale Effekte handelt, verwendet Grim die Ergebnisse, um das vorliegende Problem zu lösen, wobei er die Geometriewerte am Kiel des Schalenschiffes und an der unstetigen Stelle der Außenhaut, wo die Hautdicke bzw. der Druck sich ändert, als rotationssymmetrische Schale annimmt. Durch die Biegetheorie der Schale korrigierte Normalspannungsverteilung Wir haben uns den Spaß gemacht und einmal diesen Prahm mit Hilfe der FE - Methode be- rechnet18. Natürlich kann man bequem die Randbedingungen am Schott durch Einmodellie- rung in das FE-Modell berücksichtigen. Auch kann man ohne Schwierigkeiten die exakte 18 Gäbler,H: Berechnung eines Schalenschiffes, Studienarbeit TUHH, 2012. 19
Schalengeometrie, einschließlich der unterschiedlichen Plattenstärken der Außenhaut, berück- sichtigen. Die ermittelten Spannungen lassen sich bequem als reine Normalspannungen ein- schließlich oder auch ohne Biegeanteil ermitteln. Die Ergebnisse bestätigen im Prinzip die Er- gebnisse von Grim qualitativ recht gut. Quantitativ erhielten wir durch die genauere Modellie- rung etwas abweichende Ergebnisse, die die prinzipiellen Aussagen von Grim aber durchaus bestätigen, so dass die höchsten Spannungen Unterkante Kielpunkt mit folgenden Ergebnissen entstehen. Spannungen auf der Innenseite der Schale Spannungen auf der Außenseite der Schale Z=0 Grim FE-Rechnung Längsfestigkeit 20
Normalspannungen N/mm2 +65 +80 +20 Biegespannungen N/mm2 ± 35 ± 40 - Max. Summe N/mm2 +100 +120 +20 Spannungen am Kielpunkt der Schale Es ist sofort festzustellen, dass die moderne Numerik die Ermittlung der Spannungen nicht nur wesentlich genauer ermöglicht, sondern dass es heutzutage wesentlich weniger Kenntnis- se der Elastizitätstheorie bedarf. Mit den klassischen Methoden war man gezwungen, sehr ge- naue Überlegungen anzustellen, um mit Hilfe der Mathematik auch mit sehr idealisierten Mo- dellen ein tiefes Verständnis für die Dinge zu erlangen. Dagegen hat man heute mit den Fini- ten Elementen ein Handwerkzeug zur Verfügung, welches zwar ermöglicht, leicht - um nicht zu sagen leichtsinnige - Ergebnisse zu erzeugen, der Mangel an mechanischer Durchdrin- gungsmöglichkeit der Ergebnisse aber eine große Gefahr für die Gewährleistung der Zuver- lässigkeit der Ergebnisse ist. Ich hatte selbst die Gelegenheit, bei der Diskussion einer Doktorarbeit Grims echte Verzweif- lung mitzuerleben, als der Doktorand eine nichtlineare FE - Rechnung einer Kabelschwin- gung im Wasser darlegte:" Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, ob das richtig ist, was Sie da gerechnet haben, es ist gar kein mathematisch-mechanisches Modell zu erkennen. Wenn Sie schon nur Numerik betreiben, dann müssen Sie auch ein Experiment machen, damit Sie erkennen können, ob das, was Sie da gerechnet haben, der Wirklichkeit nahe kommt oder nicht." Grim war immer besorgt, dass die Ergebnisse theoretischer Überlegungen auch die Wirklich- keit treffen oder nicht. Das hat mir damals an Grim sehr imponiert. Zum Schluss, gewissermaßen als Übergang zu der eigentlichen Würdigung Grims als Hydro- dynamiker, darf ich Grims Arbeit zum Verhalten von Stahldalben und sonstigen Hafenbau- werken bei Kollision mit Schiffen in der HSVA aus dem Jahr 1955 erwähnen. Die Bemessung der nunmehr stählernen Dalben und Leitwerke im Rahmen des Wiederauf- baus des Hamburger Hafens machten es notwendig die Beanspruchung durch Anlegestöße von Schiffen zu untersuchen. Da die Mannesmann Röhrenwerke A. G. ihre nahtlosen Rohre in Hamburg in Einsatz bringen wollte, erteilte diese der HSVA einen entsprechenden Untersuchungsauftrag zur Wechselwir- kung zwischen Dalben bzw. Leitwerken und Schiffen, den Grim als Projektleiter durchführ- te19. Die bodenmechanischen Einflüsse sollten dabei außerhalb der Betrachtung bleiben, weil diese modellversuchsseitig kaum realistisch durchzuführen waren. Auf der Grundlage des Froude- schen Gesetzes ergeben sich die Maßstäbe für die Längen mit λ , für die Kräfte λ 3 und für die Zeit und die Geschwindigkeit λ . Damit ergibt sich für die Federkonstante c ein Umrech- nungsmaßstab von λ 2 . Mit diesen Maßstäben wurden von Grim Modellversuche durchge- führt. 19 Grim, O.: Das Schiff und der Dalben, Schiff und Hafen, Jg. 7, 1955, S. 535 21
Modellversuch zur Ermittlung der Kollisionskräfte zwischen einem Schiff und einem Dalben Modellversuch zur Ermittlung der Kollisionskräfte zwischen einem Schiff und einem Leitwerk 22
Linien eines bei den Versuchen verwendeten Binnenschiffes Grim hat aber nicht nur Modellversuche durchgeführt, sondern auch theoretische Berechnun- gen der Kollisionskräfte unter Berücksichtigung der Formgebung von Schiffen angestellt und mit den Versuchsergebnissen verglichen. Eine auch heute noch anspruchsvolle Arbeit, die ich jedem empfehle, der sich mit solchen Problemen vertieft beschäftigen will. Jetzt werden Sie vielleicht auch verstehen, dass Grim so hohes Ansehen genoss und die Erin- nerung an ihn so lebhaft ist und mich zu dieser kleinen Würdigung bewegt hat. 23
Otto Grim und die Schiffsvibrationen von Heinrich Söding 1 Persönliches Ich gehörte zu den ersten Studenten, die bei Professor Grim Vorlesungen hörten, ja genossen. Deshalb lag es für mich nahe, Prof. Grim um Rat zu fragen, als ich während meiner Tätigkeit beim Germanischen Lloyd die Druckbelastung auf Schiffe im Seegang berechnen sollte. Grim hatte kurz zuvor eine Sondervorlesung über Schiffe im Seegang gehalten, die vor allem für Ingenieure aus der Praxis bestimmt war und zu der mir mein Studienfreund Hans Gutzke, der die Vorlesung besucht hatte, eine Mitschrift überließ. Sie hat mir sehr geholfen, mich in das Gebiet einzuarbeiten. Als ich Grim um Rat und Literatur zu dem Thema Druckbelastung im Seegang fragte, sagte er gleich ungefragt zu, sein Programm zur Berechnung der Bewegungen von Schiffen im Seegang, zusammen mit seiner Assistentin Dr. Maria Kirsch, entsprechend zu erweitern. Mit diesem Programm (und späteren Nachfolgeprogrammen) wurden die Querverbände etlicher Großtanker dimensioniert (Abb. 1). Wenig später wandte ich mich wieder an Grim, diesmal wegen der im Seegang auftretenden Torsionsmomente, die zuvor an etlichen der neu aufgekommenen Containerschiffe zu Rissen im Bereich der Lukenecken geführt hatten. Auch hier erstellte Grim, diesmal zusammen mit Peter Schenzle, in kurzer Zeit ein Programm [8,9], das dann viele Jahre lang zur Dimensionierung von Containerschiffen benutzt wurde. Wichtigstes Ergebnis dieser Arbeit war: Die Torsionsmomente waren zwischen 3 und 5 mal so groß, wie bis dahin angenommen worden war, und bildeten für Containerschiffe die wichtigste Belastungsart (Abb. 2). Für beide Probleme waren die von Grim ausgearbeiteten Berechnungsmethoden seinerzeit einmalig. Die heute besonders starke Position des Germanischen Lloyd bei der Klassifikation von Containerschiffen dürfte zum großen Teil auf Grims Arbeiten und Hilfestellung zurückzuführen sein. 2 Hydrodynamische Masse bei Plattenschwingungen Bei elastischen Platten, die Biegeschwingungen ausführen und von einer oder auch beiden Seiten mit Flüssigkeit benetzt sind, wirkt die erzwungene Bewegung der Flüssigkeit wie eine zusätzliche Masse. Zunächst behandelt Grim in [1] den Fall einer unendlich ausgedehnten ebenen Platte, deren Schwingungsform Knotenlinien in gleichmäßigem Abstand a in x-Richtung und b in y-Richtung hat (Abb. 3). Z.B. lassen sich ebene Boden- oder Seitenplatten von Schiffen durch diesen Fall gut approximieren; auch leichte Krümmungen der Platte haben kaum Einfluss, solange die Platte abwickeltbar bleibt. Grim schreibt in [1]: “Es ist mir nicht bekannt, dass in diesem Zusammenhang der Einfluss der mitschwingenden Wassermasse, der, wie gleich gezeigt wird, außerordentlich groß ist, beachtet wird.” Die Aussage erstaunt, denn das Problem ist praktisch relevant und leicht geschlossen lösbar. Grim schreibt: “Die entstehende Strömung besitzt ein Potenzial, das leicht angeschrieben wer- den kann.” Er schreibt es dann tatsächlich ohne Herleitung an, da – wenn man die Lösung sieht – die Richtigkeit leicht gezeigt werden kann. Ich habe versucht, frühere Arbeiten zu dem Thema zu finden; aber es scheint, dass Grim auch dies Problem als erster gelöst hat. Da Grims Arbei- ten zu Plattenschwingungen alle in deutscher Sprache veröffentlicht sind, werden seine Arbeiten 24
Abb. 1. Maximale dynamische Druckhöhen hi und ha für einen Tanker in Ballast (106 Amplituden im Nordatlantik; Fn = 0.1). Aus {1}. Abb. 2. Verteilung des Torsionsmoments MT über die Schiffslänge für ein 200m-Containerschiff (Regelmäßiger Seegang unter 60◦ von vorn; λ = 100m, h = 12m, Fn = 0.2. Nach de Wilde: Maximalwerte in natürlichem Seegang Aus {1}. 25
y b x a Abb. 3. Rechteckiges Feld in einer unendlich ausgedehnten schwingenden Platte außerhalb von Deutschland kaum wahrgenommen. Statt dessen wird international meist eine Untersuchung von Lamb {2} zitiert, die eine schwingende kreisförmige Platte (ein Hydrophon) in einer starren ebenen Wand behandelt. Dies ergibt ganz andere, komplizierte Ausdrücke. Grim kommt für den beschriebenen Fall zu einer einfachen Kennzeichnung des Masseneffekts der Flüssigkeit: Sie wirkt so, als ob die Massenbelegung der Platte vergrößert würde um die Masse in einer Flüssigkeitsschicht der Dicke d. Für den beschriebenen Fall findet Grim: 1 d= q . (1) π 1/a2 + 1/b2 Für den häufig vorliegenden Fall, dass ein Knotenlinienabstand (z.B. b) wesentlich größer ist als der andere, ergibt sich die unübertrefflich elegante Formel d = a/π. (2) In [1] wendet Grim die Lösung auch an auf den Fall eines Motors, der infolge von Drehmo- mentschwankungen an der Propellerwelle Kippschwingungen macht und dabei den Doppelbo- den und die Seitenplatten mit ihren Steifen verformt. Zur damaligen Zeit waren die Motoren meist im Mittelschiff angeordnet, so dass der Schiffsboden über die volle Schiffsbreite mit ver- formt wurde. Offensichtlich spielt dabei die unter dem Boden mitbewegte Wassermasse eine wichtige Rolle. In Resonanz kam bei dem untersuchten Fall aber die Seitenbeplattung. Auch für diesen Fall, also für Schwingungen von versteiften Plattenfeldern, ist (1) geeignet. 3 Reduktion hydrodynamischer Massen bei Schwingungen von Schiffsrümpfen Für Analysen des Schwingverhaltens ganzer Schiffe wurde seinerzeit – und wird manchmal auch heute noch – das von Lewis {3} entwickelte Verfahren angewendet: Die hydrodynami- schen Massen von Schiffsquerschnitten bei zweidimensionaler Umströmung werden mit einem Reduktionsfaktor J für dreidimensionale Umströmung (zwischen Halbwellen nach oben und nach unten sowie um Bug und Heck) multipliziert. Während Lewis diesen Reduktionsfaktor für zwei spezielle Biegeformen von Rotationsellipsoiden bestimmt und komplizierte Ausdrücke erhält, fand Grim ein elegantes Verfahren, indem er einen unendlich langen Kreiszylinder vom Durchmesser B untersuchte, der Querschwingungen der Wellenlänge λ ausführt. Dafür ergibt sich ein ganz einfacher Ausdruck für den Reduktionsfaktor, der – im Gegensatz zu dem von 26
Lewis berechneten Ergebnis – für beliebig hohe Schwingungsgrade gilt: 1 J= (1) (1) (3) 1− αH0 (α)/H1 (α) mit α = iπB/λ. (4) (1) (1) Dabei sind H0 und H1 die Hankelfunktionen (1. Gattung) nullter bzw. 1. Ordnung. Auch dies Ergebnis scheint international unbekannt zu sein. 4 Hydrodynamische Massen; andere Fälle In der Schrift [6] für einen ‘Kontakt-Kurs’ für Ingenieure aus der Praxis hat Grim die hy- drodynamische Massenwirkung für eine Vielzahl von Fällen untersucht und für weitere Fälle Arbeiten anderer Autoren zusammengefasst. Auch heute noch dürfte diese Schrift hilfreich sein, zumindest um abzuschätzen, ob aufwändige numerische Analysen notwendig sind. Die folgenden Fälle werden dort behandelt: • Eine Platte in seitlich begrenztem Flüssigkeitsraum (z.B. schwingendes Schott zwischen starren Seitenwänden) • Ein rechteckiges elastisches Feld umgeben von einer starren Platte (der von Lamb behan- delte Fall, jedoch für ein Rechteckfeld) • Der Einfluss endlicher Wassertiefe für Schwingungen des Schiffsbodens • Schwingungen (einschließlich Starrkörper-Verschiebungen) von zylindrisch gebogenen Platten (Abb. 4) • Wie oben, jedoch wenn nur einzelne Plattenfelder schwingen und der Rest starr bleibt • Verschiebungen von Kreiszylindern in Rohren (Welle im Stevenrohr). An diesem Bei- spiel zeigt sich ein allgemeines Prinzip in besonders krasser Weise: Je enger begrenzt der Flüssigkeitsraum ist, der einen schwingenden Körper umgibt, desto größer ist die Mas- senwirkung der Flüssigkeit. Der Grund ist, dass die Flüssigkeit, im Stevenrohr das die Welle umgebende Öl, weite Wege zurücklegen muss, um der schwingenden Welle Platz zu machen, wenn das Stevenrohr nicht mitschwingt. • Einfluss einer überlagerten konstanten Strömung (Fahrt voraus) auf ebene oder zylindri- sche Platten • Translation (vertikal und horizontal) und Rotation von Lewis-Spanten • Reduktionsfaktor für 3-dimensionale Umströmung • Schwingungen von starren, elastisch in einer Flüssigkeit gelagerten Platten und Trag- flügeln (Rudern), auch mit überlagerter konstanter Strömung • Schwingungen von Propellern und einzelnen Propellerflügeln 5 Schwingungserregung durch den Propeller Die Schrift [6] behandelt außerdem hydrodynamische Schwingungserregungen durch • Periodische Propellerkräfte, erregt durch ungleichförmigen Nachstrom • Druckschwankungen an der Außenhaut verursacht durch den Propeller, insbesondere durch Kavitation • Schwingungserregung durch den Seegang Ungewohnt könnte der von Grim häufig benutzte Ausdruck ‘Querschwingungen’ sein: Grim bezeichnet damit sowohl vertikale als auch horizontale Schwingungen z.B. eines Rumpfes oder einer Propellerwelle. 27
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