Schrumpfung von EU-Mitteln nach 2020: Herausforderungen für die sächsische Förderpolitik - ifo Institut

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AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

     David Bauer und Joachim Ragnitz*

     Schrumpfung von EU-Mitteln nach 2020:
     Herausforderungen für die sächsische
     ­Förderpolitik

     Der Freistaat Sachsen hat in der Vergangenheit erheblich von Fördermitteln des Bundes und der Europä-
     ischen Union profitieren können. Diese dürften in den kommenden Jahren aber deutlich zurückgehen.
     In diesem Beitrag erarbeiten wir für den Freistaat Sachsen auf Basis einer Abschätzung zur künftigen
     Fördermittelausstattung aus den ESI-Fonds und einer SWOT-Analyse Handlungsstrategien zur Priorisie-
     rung politischer Ausgabenfelder. Im Ergebnis sollte die künftige sächsische Förderpolitik insbesondere
     die Stärken und Chancen der sächsischen Wirtschaft in den Fokus nehmen. Besonders bedeutsam dürf-
     ten demnach Ausgaben für Bildung, Forschung, Innovation und Infrastrukturinvestitionen sein.

     In der künftigen Förderperiode dürften die Zuweisungen für       schaft (wie die eher kleinbetriebliche Struktur und die daraus
     den Freistaat Sachsen drastisch zurückgehen. Auch wenn der       resultierend immer noch niedrige Innovations- und Export-
     künftige finanz- und förderpolitische Rahmen bislang nur in      leistung). Zudem ist die Wirtschaft Sachsens weiterhin risiko-
     Umrissen erkennbar ist, sind die grundlegenden Tendenzen         anfällig gegenüber den sich abzeichnenden „Megatrends“ der
     offenkundig und bedürfen im Sinne einer vorausschauenden         gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (wie Demographie, Glo-
     Politik schon heute sachgerechter Antworten. Vor diesem          balisierung, Digitalisierung und Urbanisierung). Hieraus resul-
     Hintergrund dürfte eine Priorisierung förderpolitisch relevan­   tieren auch in Zukunft Handlungsbedarfe in der Wirtschafts-
     ter Ausgabenbereiche unvermeidlich sein.                         und Förderpolitik.
            In den letzten Jahren wurden dem Freistaat Sachsen in           Darauf basierend nehmen wir im Rahmen dieser Arbeit1
     hohem Umfang Zuweisungen von Seiten des Bundes und               eine Abschätzung der künftigen Förderbedarfe zur Sicherung
     der Europäischen Union gewährt. Einen wesentlichen Beitrag       und weiteren Stärkung der sächsischen Wirtschaft vor. Zu-
     leisteten bspw. die Mittel aus dem Solidarpakt II, die zur       dem ermitteln wir, in welchem Umfang finanzielle Mittel
     ­Finanzierung von Investitionsausgaben des Freistaates und       des Bundes und insbesondere der EU künftig überhaupt zur
      zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft        ­Finanzierung von Förderprogrammen zur Verfügung stehen
      verwendet wurden. Zudem wurde der wirtschaftliche Auf-           und welche Optionen bestehen, auf die künftige Mittelver­
      holprozess in Sachsen in erheblichem Maße durch die ge-          teilung Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus erarbeiten wir
      meinsam mit dem Bund bzw. der EU aufgelegten Förderpro-          förderpolitische Strategien, die mit Blick auf die fortbeste-
      gramme unterstützt. Zu nennen sind hier insbesondere die         henden strukturellen Schwächen der sächsischen Wirtschaft
      Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirt-          sinnvoll sein können und die auch zur Erreichung nationaler
      schaftsstruktur“ (GRW), die von Bund und Ländern jeweils         und europäischer Zielsetzungen beitragen können.
      hälftig finanziert wird (Haushaltsplanansatz 2017: 242 Mill.
      Euro), und die verschiedenen kohäsionspolitischen Förder-        FÖRDERMITTELAUSSTATTUNG KÜNFTIG DEUTLICH
      programme, die aus dem Europäischen Fonds für Regionale         ­GERINGER
      Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF)
      mitfinanziert werden (Haushaltsplanansatz 2017: 198,1 Mill.     Sachsen erhält derzeit in erheblichem Umfang Mittel aus den
      Euro). Diese EU-Mittel stehen im Fokus der vorliegenden         verschiedenen Europäischen Struktur- und Investitionsfonds
      Unter­suchung.                                                  (ESI), d. h. dem EFRE, dem ESF und dem Europäischen Land-
            Nicht zuletzt aufgrund der gezielt auf bestehende Pro­    wirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums
      blemlagen ausgerichteten Förderstrategie wurden in den          (ELER). In der laufenden Förderperiode 2014–2020 belaufen
      ­vergangenen 27 Jahren in Sachsen große Fortschritte erzielt    sich diese insgesamt auf rd. 3,63 Mrd. Euro. Kohäsions­
       – nicht nur im Vergleich zur Ausgangslage 1991, sondern auch   politisch relevant sind dabei insbesondere die ESI-Mittel aus
       im Vergleich zu anderen strukturschwachen Regionen in          dem EFRE bzw. dem ESF, da der ELER in erster Linie sek­
       Deutschland und Europa. Im Sinne der kohäsionspolitischen      torspezifische Zielsetzungen verfolgt. In der gegenwärtigen
       Ziele der Europäischen Union haben sich die sächsische Wirt-
       schaftskraft und die Beschäftigungssituation erheblich ver-
                                                                      * 
                                                                        David Bauer ist Doktorand und Prof. Joachim Ragnitz ist stellvertretender
       bessert. Nicht zu verkennen sind allerdings die nach wie vor     Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo Instituts – Leibniz-Institut für
       bestehenden strukturellen Schwächen der sächsischen Wirt-        Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.

14   ifo Dresden berichtet   3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

Förderperiode (2014-2020) erhält der Freistaat Sachsen mit       Angesichts dieser Perspektiven wäre es eine Möglichkeit,
etwa 2,75 Mrd. Euro gut 0,85 % der in der EU insgesamt ver-      durch Veränderung des Kriterienrasters einen höheren Mit­
ausgabten Fördermittel aus EFRE und ESF (Angaben in Prei-        telanteil für Sachsen zu generieren. Hier wäre z. B. an die Ein-
sen von 2011). Hiervon entfallen rd. 2,44 Mrd. Euro, damit       beziehung von Indikatoren zur alternden (Erwerbs-)Bevölke-
88,5 % der von der EU zur Verfügung gestellten Fördermittel      rung zu denken. Zwar würde eine solche Modifikation des
auf die Übergangsregionen Dresden und Chemnitz. Die ver-         Indikatorensystems Sachsen begünstigen; die Effekte sind
bleibenden 11,5 % sind für die stärker entwickelte Region        jedoch verhältnismäßig klein und reichen auf keinen Fall aus,
Leipzig vorgesehen.2 Die Infobox gibt hierbei einen groben       den zu erwartenden Verlust an Fördermitteln zu kompen­
Umriss über die konkrete Verteilung der Mittelzuweisungen;       sieren. Vermutlich gar nicht profitieren dürfte Sachsen von
eine detaillierte Darstellung geben Bauer et al. (2018).         einer Berücksichtigung anderer demographischer Indikatoren
                                                                 (wie z. B. die Veränderung der Bevölkerungs- bzw. Erwerbs-
Infobox: Methodik zur Verteilung der ESI-Mittel in der           personenzahl), da andere Regionen in Europa diesbezüglich
aktuellen Förderperiode                                          noch stärker betroffen sind.
                                                                        Es ist insoweit kaum damit zu rechnen, dass sich die
 Die Verteilung der ESI-Mittel ist in Anhang VII bzw. VIII zu    ­Position Sachsens im Hinblick auf die künftige Verfügbarkeit
 Artikel 91 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäi-        von EU-Mitteln grundlegend bessern dürfte. Will der Frei-
 schen Parlaments und Rates zur gemeinsamen Bestim-               staat die bislang über EU-Mittel finanzierten Programme
 mung über die ESI-Fonds geregelt. Unterschieden wird da-         fortsetzen, müssten hierfür also in erheblichem Maße eigene
 bei zwischen drei Regionstypen, die ausschließlich an-           Mittel eingesetzt werden – was angesichts eines geringen
 hand des Bruttoinlandsprodukts (BIP) je Einwohner in             ­Anteils nicht durch Pflichtaufgaben gebundener Gelder im
 Kaufkraftstandards (KKS) verglichen zum EU-Durchschnitt           Landeshaushalt wenig realistisch erscheint. Wahrschein­
 abgegrenzt werden: Weniger entwickelte Regionen sind              licher ist es daher, dass die Fördermöglichkeiten insgesamt
 NUTS-2-Gebiete, die ein Pro-Kopf-BIP von weniger als              eingeschränkt werden müssen. Eine „Priorisierung“ von För-
 75 % des EU-Durchschnitts aufweisen. Insgesamt werden             dermitteln erscheint daher notwendig und wird nachfolgend
 52,5 % der verfügbaren ESI-Mittel im Ziel „Investitionen in       diskutiert.
 Wachstum und Beschäftigung“ auf diese Regionen verteilt,
 wobei der auf eine Region entfallende Anteil in Abhängig-       AUSGABEN IN BILDUNG UND INFRASTRUKTUINVESTITI-
 keit vom Abstand ihres BIP je Einwohner zum EU-Durch-           ONEN PRIORISIEREN
 schnitt festgelegt wird. Als Übergangsregionen werden Ge-
 biete angesehen, in denen das Pro-Kopf-BIP mindestens           Die Wirtschafts- und Förderpolitik kann grundsätzlich zwei
 bei 75 %, maximal aber bei 90 % des EU-Durchschnitts liegt.     verschiedene Strategien verfolgen, nämlich die Schwächen
 Die Übergangsregionen erhalten insgesamt 10,2 % der             einer Region zu verringern oder die bereits vorhandenen
 ESI-Mittel, die Verteilung erfolgt auch hier in Abhängigkeit    Stärken auszubauen. Zukunftsgerichtete Politik muss dar­
 von der Wirtschaftskraft der jeweiligen Region. Als stärker     über hinaus versuchen künftige Entwicklungen der Rah­men­
 entwickelte Regionen werden schließlich NUTS-2-Regio-           bedin­gungen zu antizipieren, um potenzielle Chancen auszu­
 nen mit einem Pro-Kopf-BIP von mehr als 90 % des EU-­           loten bzw. etwaige Risiken zu vermeiden. Auch wenn dieses
 Durchschnitts klassifiziert. Das für diese Regionen verfüg-     Idealbild „rationaler“ Wirtschaftspolitik in seiner Reinform
 bare Fördervolumen beläuft sich derzeit auf 15,7 % aller im     selten realisiert werden dürfte, haben wir im Rahmen dieser
 Ziel „Investitionen in Wachstum und Beschäftigung“ ver-         Arbeit eine SWOT-Analyse zur sächsischen Wirtschaft durch-
 teilten ESI-Mittel; die Aufteilung auf die einzelnen Regio-     geführt. Die Kernergebnisse unserer Analyse werden in Ta-
 nen orientiert sich an einer Reihe (sozio-)ökonomischer         belle 2 zusammengefasst; eine ausführliche Darstellung ge-
 ­Indikatoren, die in Zusammenhang mit den Europa-2020-­         ben Bauer et al. (2018).
  Zielen stehen.                                                      Tabelle 2 zeigt hierbei die Stärken und Schwächen der
                                                                 sächsischen Wirtschaftsstruktur auf und stellt diese den
Unter der Annahme, dass auch künftig die in der laufenden        Chancen und Risiken durch die den Freistaat Sachsen be­
Förderperiode angewendeten Kriterien und Indikatoren her-        treffenden globalen Megatrends gegenüber. Hieraus werden
angezogen werden, simulieren wir das Volumen der ESI-För-        den einzelnen Handlungsstrategien („Forcieren“, „Aufholen“,
derung für Sachsen in der Förderperiode 2021–2027.3 Es zeigt     „Absichern“ und „Meiden“) jene Politikfelder zugeordnet, die
sich, dass Sachsen ab 2021 deutlich weniger ESI-Mittel erhal-    für die künftige Förderpolitik besonders relevant sein dürften.
ten wird als aktuell (vgl. Tab. 1). Das verfügbare Mittelvolu-        Als prioritär erweist sich die Strategie „Forcieren“ als An-
men in der kommenden Förderperiode (2021–2027) beträgt           satz, die Stärken zu fördern und dabei gleichzeitig die Chan-
den Simulationsergebnissen zufolge nur noch ca. 400 Mill. Euro   cen der globalen Megatrends zu nutzen. Es zeigt sich, dass ins-
(ebenfalls in Preisen von 2011). Damit erhält der Freistaat      besondere Investitionen in das Bildungssystem im Rahmen
Sachsen nur noch 14 % des für 2014–2020 bereitgestellten         dieser Strategie vorteilhaft sind; auch die Wirtschaftsförde-
Betrags. Hierfür sind vornehmlich die gegenüber dem EU-­         rung kann hierfür einen Beitrag leisten. Auf der Gegenseite
Durchschnitt günstigere Entwicklung der sächsischen Regio-       steht mit der Strategie „Meiden“ der Ansatz, die Reduktion
nen sowie der Austritt Großbritanniens als bisheriger Netto-     von Schwächen mit der Begrenzung von Risiken zu koppeln.
zahler aus der EU ursächlich (für detaillierte Ergebnisse vgl.   Bei einer solchen Strategie würde man im Wesentlichen die
Bauer et al. 2018).4                                             Anpassungsnotwendigkeiten sozialpolitisch flankieren.

                                                                                                          ifo Dresden berichtet   3 / 2018   15
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Tab. 1
     Ergebnisse aus der Simulationsrechnung zur künftigen Fördermittelausstattung Sachsens und deren Veränderung im Zuge eines „Brexit“
     (in Mill. Euro, in Preisen von 2011)

     Förderperiode                                            Dresden                Chemnitz                 Leipzig                Sachsen             Anteil Sachsen
                                                                                                                                                        an EFRE und ESF
                                                                                                                                                           insgesamt
     2014–2020                                                             2 436a                                316                   2 752                0,85 %
     2021–2027 (exkl. UK)                                         113                    199                       68                    380                0,10 %
     Effekt der positiven Wirtschaftsentwicklung in Sachsen
                                                                2 036a                   239                   2 275                        –
     Effekt des Austritts Großbritanniens aus der EU („Brexit“)
     Insgesamt                                                     16                     72                        9                     97                   –
     davon:
     Statistischer Effekt                                            8                     58                       5                     71                   –
     Ausbleibende Nettobeiträge aus UK                               8                    13                        5                     26                   –
     Anmerkungen: UK = Großbritannien. a) Angaben für die Übergangsregionen Dresden und Chemnitz nicht gesondert verfügbar.
     Quelle: Eurostat, SMWA (2014a, b), Verordnung (EU) Nr. 1303/2013, Art. 90, 91 sowie Anhang VII; Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts.              © ifo Institut

     Tab. 2
     Ergebnisse aus der SWOT-Analyse der sächsischen Wirtschaft und daraus abgeleitete prioritäre Politikfelder

                                                               Chancen                                                  Risiken
                                                               • Neue Konsummärkte durch Verschiebung                   • Alterung der Gesellschaft und dadurch
                                                                 der Altersstrukturen                                     Schrumpfung des Arbeitskräftepotenzials
                                                               • Neue Absatzmärkte durch eine global                    • Zunahme des Anteils von Menschen mit
                                                                 wachsende Mittelschicht                                  Migra­tionshintergrund und dadurch
                                                               • Wachstumschancen durch die Generierung,                  steigende
                                                                 Herstellung und Anwendung neuer Techno-                  Herausforderungen der Integration
                                                                 logien                                                 • Überalterung ländlicher Räume und den
                                                               • Urbane Zentren als kreative Räume der ­                  damit einhergehenden Disparitäten
                                                                 Vernetzung (Netzwerke/Cluster)                         • Exklusion einzelner Gesellschaftsschichten
                                                               • Innovative Lösungsansätze zur Anpassung                • Forcierter Strukturwandel aufgrund der
                                                                 an Umwelt- und Klimawandel                               Digita­lisierung
                                                               • Nutzung neuer Energiequellen und                       • Verschärfung umweltbezogener Regularien
                                                                 Antriebs­systeme                                         (Strukturwandel in den betroffenen
                                                               • Gesellschaftliche Veränderungen                          Sektoren)

      Stärken
      • Hohe Wachstums- und Beschäftigungs­
        dynamik bei geringer regionaler Ungleichheit
      • Agglomerierte Siedlungsstruktur                        Strategie „Forcieren“: Stärken fördern,                  Strategie „Absichern“: Stärken fördern,
      • Hohe öffentliche FuE-Aufwendungen                      Chancen nutzen                                           Risiken begrenzen
      • Gefestigte Industriestruktur mit                       • Wirtschaftsförderung                                   • Wirtschaftsförderung
        ­Inno­vationspotenzial                                 • Bildung                                                • Sozialpolitische Leistungen
      • Hohe Qualität der Bildungsabschlüsse                                                                            • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen
      • Solide Staatsfinanzen (hohe Investi­tions­
         ausgaben, niedrige Staatsver­schuldung)

      Schwächen
      • Unverändert niedrige Wirtschafts- und
        Steuerkraft bei hoher Arbeitslosigkeit
      • Kleinteiligkeit der Wirtschaft (damit
        verbunden: schwächere Exportorientie-                  Strategie „Aufholen“: Schwächen                          Strategie „Meiden“: Schwächen
        rung, geringere Aufstiegsperspektiven,                 redu­zieren, Chancen nutzen                              reduzieren, Risiken begrenzen
        geringere private FuE-Aufwendungen)                    • Wirtschaftsförderung                                   • Gesundheitswesen
      • Hohes Durchschnittsalter der Beschäftigten             • Bildung                                                • Sozialpolitische Leistungen
        und der Bevölkerung                                    • Förderung privater FuE                                 • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen
      • Nichtausschöpfen der Bildungspotenziale
      • Mangelnde Verfügbarkeit von Hoch­
        geschwindigkeits-Breitbandverbindungen

     Anmerkungen: FuE = Forschung und Entwicklung
     Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                                                       © ifo Institut

16   ifo Dresden berichtet   3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

Die beiden anderen Strategien („Aufholen“ und „Absichern“)        konstatieren hierbei einen stabilen negativen Zusammen-
sind zwar nicht als prioritär anzusehen, würden sich aber         hang von Staatsquote und Wirtschaftswachstum (für einen
vornehmlich an den gleichen Fördergegenständen orientie-          Literaturüberblick vgl. Thöne und Krehl 2015). Dem steht
ren wie die bevorzugte Strategie „Forcieren“. Insoweit kann       nach Fournier und Johansson (2016) eine zumindest mode-
eine insbesondere auf Bildung und Innovation ausgerichtete        rate ungleichheitsreduzierende Wirkung gegenüber. Abbil-
Förderpolitik verschiedene strategische Felder abdecken.          dung 1 illustriert diese Studienergebnisse durch den schwarz
      Es ist angesichts des erwartbar starken Rückgangs von       gefüllten Kreis im unteren Darstellungsbereich. Eine pau-
ESI-Mitteln indes anzunehmen, dass auch innerhalb der in          schale Erhöhung sämtlicher staatlichen Ausgaben dürfte
der SWOT-Analyse identifizierten Strategie „Forcieren“ eine       ­daher regelmäßig sowohl Wachstums- als auch Verteilungs-
Priorisierung von Verwendungszwecken vorzunehmen ist.              wirkungen verfehlen.
Hierfür ist ein ergänzendes Kriteriensystem notwendig,                  Eine zielgerichtete Ausgabenpolitik sollte daher eine Ge-
mit dem Schwerpunkte einer künftigen Förderstrategie für           wichtung einzelner Ausgabenkategorien vornehmen. Abbil-
Sachsen ermittelt werden können. Vor dem Hintergrund der           dung 1 zeigt, dass eine Priorisierung bestimmter Maßnahmen
­Europa-2020-Ziele, aber auch der allgemeinen politischen          zu deutlich anderen Ergebnissen als eine pauschale Erhöhung
 Diskussion im Freistaat Sachsen sind hierbei insbesondere         der Gesamtausgaben führen kann. Gegeben bestehender Un-
 zwei Wirkungsdimensionen zu berücksichtigen: Gesamt­              tersuchungen fand eine Einordnung der Ausgabenkategorien
 wirtschaftliche Prosperität (Wachstum) und gesellschaftliche      gemäß ihrer vorwiegend bestimmten Wirkung auf Wachstum
 Kohäsion bzw. Teilhabe auf regionaler und/oder gesellschaft-      und Ungleichheit statt; im Detail diskutieren dies Bauer et al.
 licher Ebene (Ungleichheit). Hierzu werten wir Ergebnisse der     (2018). So besteht zwischen Bildungsausgaben und Wirt-
 relevanten Literatur aus.                                         schaftswachstum ein klar positiver und langfristiger Zusam-
      Zwar erlauben die vorliegenden Untersuchungen zum            menhang (Thöne und Krehl 2015; Gemmell et al. 2016). Zu-
 Zusammenhang von staatlichen Ausgaben und gesellschaft-           gleich können Bildungsinvestitionen eine ungleichheitsredu-
 lich definierten Zielen im Regelfall keine kausale Interpreta-    zierende Wirkung entfalten, z. B. wenn höhere Bildungsaus-
 tion. Jedoch sind die nachfolgend abgeleiteten Ergebnisse         gaben zu einer Verbesserung der sozialen oder beruflichen
 geeignet für eine Diskussion zur Priorisierung von Maßnah-        Mobilität führen (Johansson 2016). Ähnliche, wenngleich
 men. Eine große Zahl von Studien befasst sich mit dem             nicht unbedingt ungleichheitsreduzierende Befunde sind für
 ­Zusammenhang zwischen den staatlichen Gesamtausgaben             Gesundheitsausgaben zu konstatieren. Sozialpolitische Leis-
  bzw. deren Anteil an der Wirtschaftsleistung (Staatsquote)       tungen dürften hingegen lediglich die Ungleichheit senken
  und dem Wirtschaftswachstum. Nahezu sämtliche Studien            (siehe z. B. Fournier und Johansson 2016; Gemmell et al. 2016).

Abb. 1
Evidenz zu Wachstums- und Verteilungswirkungen staatlicher Ausgaben

                         Ungleichheit     Erhöhung                Kein Effekt/unklar                  Reduktion

   Wachstum

Erhöhung

                                                                        davon:
                                                                      Verkehr und                    Bildung
                                                                    Kommunikation

                                                                                  Gesundheit

Kein Effekt/unklar                                                       Infrastruktur-
                                                                      investitionen und
                                                                         öffentl. FuE       Wirtschafts-
                                                                                           förderung,
                                                                                           Förderung               Sozial-
                                                                                            priv. FuE             politische
                                                                                                                 Leistungen

Reduktion

                                                                                           Gesamt-
                                                                                          ausgaben

Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                          © ifo Institut

                                                                                                               ifo Dresden berichtet   3 / 2018   17
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Zu öffentlichen Infrastrukturinvestitionen sowie öffentlichen                 rangige Strategiefeld „Forcieren“ wurde dabei neben den Bil-
     Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) zielt die                        dungsausgaben vor allem die Wirtschaftsförderung identi­
     ­Empirie lediglich auf Wachstumswirkungen ab, die vorwie-                     fiziert. Letztere wirkt jedoch vornehmlich ungleichheitsredu-
      gend einen positiven Zusammenhang vermuten lassen                            zierend (vgl. Tab. 3), ist aber nur bedingt wirksam zur Wachs-
      (Thöne und Krehl 2015). Hierbei stechen nochmals deut-                       tumsstimulation. Vor diesem Hintergrund sind innerhalb der
      lich die ­Ausgaben für Verkehrs- und Kommunikationsinfra-                    Strategie „Forcieren“ Maßnahmen im Bereich der Bildung
      struktur heraus, für die Gemmell et al. (2016) die höchsten                  ­besonders hervorzuheben, da diese sowohl mit Blick auf
      Wachstumswirkungen sämtlicher staatlichen Ausgabeberei-                       Wachstums- als auch auf Ungleichheitsaspekte eine hohe
      che kon­statieren. Untersuchungen zu Verteilungswirkungen                     Wirksamkeit entfalten. Öffentliche Infrastrukturinvestitionen
      von öffentlichen FuE-Ausgaben fehlen bis dato.                                wiederum, denen nach den Ergebnissen der Literaturauswer-
              Ungleichheitsreduzierend wirken hingegen staatliche                   tung eine hohe Wachstumswirksamkeit zugeschrieben wird,
      Wirtschaftsfördermaßnahmen bzw. die Förderung privater                        scheinen mit Blick auf die Strategie „Forcieren“ weniger be-
      FuE (Fournier und Johansson 2016); die Wachstumswirkun-                       deutsam, insbesondere, weil Sachsen hier bereits einen
      gen sind jedoch nicht eindeutig. Nicht zu vernachlässigen ist                 ­hohen Ausbauzustand erreicht hat. 5
      allerdings die Rolle staatlicher Institutionen und des Human-                        Nicht zu vernachlässigen sind indes auch die Strategien
      kapitals bei der Transmission staatlicher Ausgaben in ökono-                   „Absichern“ und „Aufholen“, die die in den vergangenen Jah-
      mische Wirkungen. Wirtschaftsförderung kann dann Wachs-                        ren erreichte Entwicklung festigen und gegen externe Risiken
      tumswirkungen entfalten, wenn sie in einen Ordnungsrah-                        absichern sollen. Diese beiden Strategien sind insbesondere
      men eingebettet ist, der Missbrauch und Mitnahmeeffekte                        mit sozialpolitischen Leistungen und Ausgaben für die Wirt-
      möglichst reduziert und Innovation und Entwicklung forciert                    schaftsförderung verbunden, die eine Ungleichheitsreduk-
      (Becker et al. 2013; Fournier und Johansson 2016).                             tion, jedoch keine größeren Wachstumswirkungen entfalten
              Auf Basis der empirischen Befunde der einschlägigen                    dürften (vgl. wiederum Tab. 3). Eine entsprechende Priorisie-
      ­Literatur kann eine Priorisierung öffentlicher Ausgaben vor-                  rung von Mitteln erscheint in diesem Zusammenhang riskant.
       genommen werden. Hierbei verdeutlicht Tabelle 3 für die                       Eine Vernachlässigung spezifischer Ausgabenfelder, so z. B.
       meisten Ausgabenbereiche den Trade-Off zwischen Wachs-                        die Förderung privater FuE, könnte allerdings zu Einbußen
       tums- und Ungleichheitszielen. Öffentliche Investitionen in                   bei wichtigen Zielgrößen (Wachstums- oder Umverteilungs-
       die Infrastruktur, insbesondere in Verkehrs- und Kommunika-                   zielen) und notwendigen Handlungsbedarfen führen. Vor
       tionsinfrastruktur, sind bspw. geeignet, Wachstumswirkun-                     ­diesem Hintergrund bedarf jede Priorisierung einer außer­
       gen zu entfalten, wirken aber weitgehend neutral bezüglich                     ordentlich sorgsamen Abwägung, um die in den vergangenen
       der gesellschaftlichen Ungleichheit. Umgekehrt sind sozial-                    Jahren erreichten wachstums- und kohäsionspolitischen Er-
       politische Leistungen mit neutralen bis leicht negativen                       folge in Sachsen nicht zu gefährden.
       Wachstumswirkungen verbunden, vermindern jedoch deut-
       lich die Ungleichheit. Die einzige Ausnahme bilden Bildungs-                SCHLUSSFOLGERUNGEN
       und teilweise auch Gesundheitsausgaben, die gleichzeitig
       ­einen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum wie auch zur                   Der Freistaat Sachsen hat in der Vergangenheit in erheb­
        Reduktion der Ungleichheit beitragen können (sogenanntes                   lichem Umfang von der finanziellen Unterstützung des Bun-
        „inklusives Wachstum“). Insgesamt bietet Tabelle 3 einen                   des und der Europäischen Union profitieren können. Künftig
        ­Ansatzpunkt zu einer – je nach gewünschter Wirkungsrich-                  dürfte sich die sächsische Mittelausstattung jedoch deutlich
         tung – möglichen Priorisierung für die bestmögliche Nutzung               reduzieren. Zudem wird der Freistaat aufgrund seiner beson-
         von Fördermitteln.                                                        deren wirtschaftlichen Charakteristika sowie der sich ver-
              Die dargestellten Priorisierungsmöglichkeiten können                 stärkenden globalen Megatrends wie dem demographischen
         nunmehr vor dem Hintergrund der skizzierten Handlungs-                    Wandel, der Globalisierung, der Digitalisierung und der Urba-
         strategien zur Festigung und Verstetigung der Entwicklung in              nisierung vor völlig neue und zusätzliche Herausforderungen
         Sachsen gesehen werden. Als prioritär mit Blick auf das vor-              gestellt. Diese Herausforderungen könnten ohne aktive poli-

     Tab. 3
     Priorisierung von Ausgabenfeldern nach intendierter Wirkungsrichtung

                                               Wachstum                                          Ungleichheit
     Hohe Priorität                            • Bildung                                         •   Sozialpolitische Leistungen
                                               • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen          •   Bildung
                                                 (insbesondere Ausgaben für Verkehrs- und        •   Wirtschaftsförderung, Förderung privater FuE
                                                 Kommunikationsinfrastruktur), öffentliche FuE   •   Gesamtausgaben
                                               • Gesundheit                                      •   Gesundheit
                                               • Wirtschaftsförderung, Förderung privater FuE    •   Öffentliche Infrastrukturinvestitionen
                                               • Sozialpolitische Leistungen                         (insbesondere Ausgaben für Verkehrs- und
     Geringere Priorität                       • Gesamtausgaben                                      Kommunikationsinfrastruktur), öffentliche FuEa
     Anmerkungen: FuE = Forschung und Entwicklung. – a) Bisher keine empirische Evidenz vorhanden. Ungleichheitswirkungen werden analog
     öffentlicher Infrastrukturinvestitionen angenommen.

     Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                               © ifo Institut

18   ifo Dresden berichtet   3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

tische Begleitung die erfolgreiche Entwicklung der vergange-                       Gemmell, N., R. Kneller und I. Sanz (2016), „Does the Composition of Govern­
nen Jahre zusätzlich infrage stellen.                                              ment Expenditure Matter for Long-Run GDP Levels? “, Oxford Bulletin of Econo-
                                                                                   mics and Statistics 78 (4), S. 522–547.
     Eine Priorisierung von Mitteln ist daher unvermeidlich.
                                                                                   Johansson, Å. (2016), Public Finance, Economic Growth and Inequality: A Survey
Wie genau diese aussehen kann, ist indes allein eine Entschei-                     of the Evidence, OECD Economics Department Working Paper Nr. 1346, OECD
dung der Politik. Im Ergebnis sind vor allem Maßnahmen im                          Publishing.
Bereich der Bildung besonders zu priorisieren. Diese dürften                       SMWA (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr)
sowohl mit Blick auf die empfohlene Handlungsstrategie                             (Hrsg.) (2014a), Operationelles Programm des Freistaates Sachsen für den
                                                                                   Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Förderperiode
„Forcieren von Stärken“ als auch mit Blick auf die von der EU
                                                                                   2014–2020, Dresden.
vorgegebenen Wachstums- und Ungleichheitsziele eine hohe
                                                                                   SMWA (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr)
Wirksamkeit entfalten. Trotz dieser Priorisierung müssen                           (Hrsg.) (2014b), Operationelles Programm des Freistaates Sachsen für den ESF
auch andere Ausgabenfelder im Blick behalten werden, um                            im Förderzeitraum 2014–2020, Dresden.
Einbußen bei wichtigen Zielgrößen und notwendigen Hand-                            Thöne, M. und F. Krehl (2015), Zukunftsinvestitionen. Empirische Befunde zur
lungsbedarfen zu vermeiden. Auch Ausgaben für Infrastruk-                          Wirkung öffentlicher Ausgaben auf inklusives Wachstum, Inklusives Wachstum
                                                                                   für Deutschland 03/2015, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
turinvestitionen (einschließlich der Förderung öffentlicher
FuE) sowie Maßnahmen im Bereich der Wirtschaftsförderung
(einschließlich der Unterstützung privater FuE) dürfen in­
sofern nicht vernachlässigt werden. Jede Priorisierung bedarf
im Ergebnis einer außerordentlich sorgsamen Abwägung, um
                                                                                   1 Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung der sich im Erscheinen
die in den vergangenen Jahren erreichten wachstums- und                              befindlichen Studie von Bauer et al. (2018), die im Auftrag der Sächsischen
kohäsionspolitischen Erfolge in Sachsen nicht zu gefährden.                          Staatskanzlei durchgeführt wurde.
                                                                                   2 In Sachsen sind in der aktuellen Förderperiode die beiden NUTS-2-Regionen
                                                                                     Dresden und Chemnitz als Übergangsregion klassifiziert, weil das BIP je
REFERENZEN                                                                           Einwohner in Kaufkraftstandards (KKS) im Zeitraum 2007 2009 hier deutlich
                                                                                     unterhalb des relevanten Grenzwerts von 90 % des EU-27-Durchschnitts lag.
                                                                                     Die Region Leipzig wurde hingegen (wegen eines Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Bauer, D., Ochsner, C. und J. Ragnitz (2018), Strategien für die bestmögliche
                                                                                     je Einwohner von 90,02 % des EU-27-Durchschnitts) als stärker entwickelte
Ausstattung mit und Nutzung von Fördermitteln nach 2020, ifo Dresden Stu­die
                                                                                     Region eingestuft.
82, ifo Institut, München/Dresden.
                                                                                   3 Nicht betrachtet wird dabei die zukünftige Ausstattung mit Fördermitteln
Becker, S., P. Egger und M. von Ehrlich (2013), „Absorptive Capacity and the         aus ELER und EMFF, da diese nach anderen (sektoralspezifischen) Kriterien
Growth and Investment Effects of Regional Transfers: A Regression Discontinuity      verteilt werden.
Design with Heterogeneous Treatment Effects“, American Economic Journal:           4 Gegeben der Annahmen wird zur Feststellung der Regionstypen das mittlere
Economic Policy 5 (4), S. 29–77.                                                     BIP je Einwohner in KKS relativ zum Durchschnitt der EU-27 (ohne Großbritan-
                                                                                     nien) im Zeitraum zwischen 2014 und 2016 angesetzt. Die NUTS-2-Regionen
Europäische Kommission (Hrsg.) (2017), My Region, My Europe, Our Future.
                                                                                     Dresden bzw. Leipzig dürften demnach mit einem Pro-Kopf-BIP von ca. 96,1 %
Seventh Report on Economic, Social and Territorial Cohesion, Publications
                                                                                     bzw. 101,5 % des EU-27-Mittels als stärker entwickelte Regionen eingestuft
Office der Europäischen Union, Brüssel, Luxemburg.
                                                                                     werden. Chemnitz würde mit 88,6 % des EU-27-Durchschnitts weiterhin als
Fournier, J. und Å. Johansson (2016), The Effect of the Size and the Mix of Pub-     Übergangsregion klassifiziert werden.
lic Spending on Growth and Inequality, OECD Economics Department Working           5 Allerdings bestehen zum Teil noch Nachholbedarfe mit Blick auf den Ausbau
Papers Nr. 1344, OECD Publishing.                                                    qualitativ hochwertiger Breitbandinfrastrukturen für gewerbliche Nutzer.

                                                                                                                                    ifo Dresden berichtet   3 / 2018   19
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