Schrumpfung von EU-Mitteln nach 2020: Herausforderungen für die sächsische Förderpolitik - ifo Institut
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AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE David Bauer und Joachim Ragnitz* Schrumpfung von EU-Mitteln nach 2020: Herausforderungen für die sächsische Förderpolitik Der Freistaat Sachsen hat in der Vergangenheit erheblich von Fördermitteln des Bundes und der Europä- ischen Union profitieren können. Diese dürften in den kommenden Jahren aber deutlich zurückgehen. In diesem Beitrag erarbeiten wir für den Freistaat Sachsen auf Basis einer Abschätzung zur künftigen Fördermittelausstattung aus den ESI-Fonds und einer SWOT-Analyse Handlungsstrategien zur Priorisie- rung politischer Ausgabenfelder. Im Ergebnis sollte die künftige sächsische Förderpolitik insbesondere die Stärken und Chancen der sächsischen Wirtschaft in den Fokus nehmen. Besonders bedeutsam dürf- ten demnach Ausgaben für Bildung, Forschung, Innovation und Infrastrukturinvestitionen sein. In der künftigen Förderperiode dürften die Zuweisungen für schaft (wie die eher kleinbetriebliche Struktur und die daraus den Freistaat Sachsen drastisch zurückgehen. Auch wenn der resultierend immer noch niedrige Innovations- und Export- künftige finanz- und förderpolitische Rahmen bislang nur in leistung). Zudem ist die Wirtschaft Sachsens weiterhin risiko- Umrissen erkennbar ist, sind die grundlegenden Tendenzen anfällig gegenüber den sich abzeichnenden „Megatrends“ der offenkundig und bedürfen im Sinne einer vorausschauenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (wie Demographie, Glo- Politik schon heute sachgerechter Antworten. Vor diesem balisierung, Digitalisierung und Urbanisierung). Hieraus resul- Hintergrund dürfte eine Priorisierung förderpolitisch relevan tieren auch in Zukunft Handlungsbedarfe in der Wirtschafts- ter Ausgabenbereiche unvermeidlich sein. und Förderpolitik. In den letzten Jahren wurden dem Freistaat Sachsen in Darauf basierend nehmen wir im Rahmen dieser Arbeit1 hohem Umfang Zuweisungen von Seiten des Bundes und eine Abschätzung der künftigen Förderbedarfe zur Sicherung der Europäischen Union gewährt. Einen wesentlichen Beitrag und weiteren Stärkung der sächsischen Wirtschaft vor. Zu- leisteten bspw. die Mittel aus dem Solidarpakt II, die zur dem ermitteln wir, in welchem Umfang finanzielle Mittel Finanzierung von Investitionsausgaben des Freistaates und des Bundes und insbesondere der EU künftig überhaupt zur zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft Finanzierung von Förderprogrammen zur Verfügung stehen verwendet wurden. Zudem wurde der wirtschaftliche Auf- und welche Optionen bestehen, auf die künftige Mittelver holprozess in Sachsen in erheblichem Maße durch die ge- teilung Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus erarbeiten wir meinsam mit dem Bund bzw. der EU aufgelegten Förderpro- förderpolitische Strategien, die mit Blick auf die fortbeste- gramme unterstützt. Zu nennen sind hier insbesondere die henden strukturellen Schwächen der sächsischen Wirtschaft Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirt- sinnvoll sein können und die auch zur Erreichung nationaler schaftsstruktur“ (GRW), die von Bund und Ländern jeweils und europäischer Zielsetzungen beitragen können. hälftig finanziert wird (Haushaltsplanansatz 2017: 242 Mill. Euro), und die verschiedenen kohäsionspolitischen Förder- FÖRDERMITTELAUSSTATTUNG KÜNFTIG DEUTLICH programme, die aus dem Europäischen Fonds für Regionale GERINGER Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) mitfinanziert werden (Haushaltsplanansatz 2017: 198,1 Mill. Sachsen erhält derzeit in erheblichem Umfang Mittel aus den Euro). Diese EU-Mittel stehen im Fokus der vorliegenden verschiedenen Europäischen Struktur- und Investitionsfonds Untersuchung. (ESI), d. h. dem EFRE, dem ESF und dem Europäischen Land- Nicht zuletzt aufgrund der gezielt auf bestehende Pro wirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums blemlagen ausgerichteten Förderstrategie wurden in den (ELER). In der laufenden Förderperiode 2014–2020 belaufen vergangenen 27 Jahren in Sachsen große Fortschritte erzielt sich diese insgesamt auf rd. 3,63 Mrd. Euro. Kohäsions – nicht nur im Vergleich zur Ausgangslage 1991, sondern auch politisch relevant sind dabei insbesondere die ESI-Mittel aus im Vergleich zu anderen strukturschwachen Regionen in dem EFRE bzw. dem ESF, da der ELER in erster Linie sek Deutschland und Europa. Im Sinne der kohäsionspolitischen torspezifische Zielsetzungen verfolgt. In der gegenwärtigen Ziele der Europäischen Union haben sich die sächsische Wirt- schaftskraft und die Beschäftigungssituation erheblich ver- * David Bauer ist Doktorand und Prof. Joachim Ragnitz ist stellvertretender bessert. Nicht zu verkennen sind allerdings die nach wie vor Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo Instituts – Leibniz-Institut für bestehenden strukturellen Schwächen der sächsischen Wirt- Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. 14 ifo Dresden berichtet 3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE Förderperiode (2014-2020) erhält der Freistaat Sachsen mit Angesichts dieser Perspektiven wäre es eine Möglichkeit, etwa 2,75 Mrd. Euro gut 0,85 % der in der EU insgesamt ver- durch Veränderung des Kriterienrasters einen höheren Mit ausgabten Fördermittel aus EFRE und ESF (Angaben in Prei- telanteil für Sachsen zu generieren. Hier wäre z. B. an die Ein- sen von 2011). Hiervon entfallen rd. 2,44 Mrd. Euro, damit beziehung von Indikatoren zur alternden (Erwerbs-)Bevölke- 88,5 % der von der EU zur Verfügung gestellten Fördermittel rung zu denken. Zwar würde eine solche Modifikation des auf die Übergangsregionen Dresden und Chemnitz. Die ver- Indikatorensystems Sachsen begünstigen; die Effekte sind bleibenden 11,5 % sind für die stärker entwickelte Region jedoch verhältnismäßig klein und reichen auf keinen Fall aus, Leipzig vorgesehen.2 Die Infobox gibt hierbei einen groben den zu erwartenden Verlust an Fördermitteln zu kompen Umriss über die konkrete Verteilung der Mittelzuweisungen; sieren. Vermutlich gar nicht profitieren dürfte Sachsen von eine detaillierte Darstellung geben Bauer et al. (2018). einer Berücksichtigung anderer demographischer Indikatoren (wie z. B. die Veränderung der Bevölkerungs- bzw. Erwerbs- Infobox: Methodik zur Verteilung der ESI-Mittel in der personenzahl), da andere Regionen in Europa diesbezüglich aktuellen Förderperiode noch stärker betroffen sind. Es ist insoweit kaum damit zu rechnen, dass sich die Die Verteilung der ESI-Mittel ist in Anhang VII bzw. VIII zu Position Sachsens im Hinblick auf die künftige Verfügbarkeit Artikel 91 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäi- von EU-Mitteln grundlegend bessern dürfte. Will der Frei- schen Parlaments und Rates zur gemeinsamen Bestim- staat die bislang über EU-Mittel finanzierten Programme mung über die ESI-Fonds geregelt. Unterschieden wird da- fortsetzen, müssten hierfür also in erheblichem Maße eigene bei zwischen drei Regionstypen, die ausschließlich an- Mittel eingesetzt werden – was angesichts eines geringen hand des Bruttoinlandsprodukts (BIP) je Einwohner in Anteils nicht durch Pflichtaufgaben gebundener Gelder im Kaufkraftstandards (KKS) verglichen zum EU-Durchschnitt Landeshaushalt wenig realistisch erscheint. Wahrschein abgegrenzt werden: Weniger entwickelte Regionen sind licher ist es daher, dass die Fördermöglichkeiten insgesamt NUTS-2-Gebiete, die ein Pro-Kopf-BIP von weniger als eingeschränkt werden müssen. Eine „Priorisierung“ von För- 75 % des EU-Durchschnitts aufweisen. Insgesamt werden dermitteln erscheint daher notwendig und wird nachfolgend 52,5 % der verfügbaren ESI-Mittel im Ziel „Investitionen in diskutiert. Wachstum und Beschäftigung“ auf diese Regionen verteilt, wobei der auf eine Region entfallende Anteil in Abhängig- AUSGABEN IN BILDUNG UND INFRASTRUKTUINVESTITI- keit vom Abstand ihres BIP je Einwohner zum EU-Durch- ONEN PRIORISIEREN schnitt festgelegt wird. Als Übergangsregionen werden Ge- biete angesehen, in denen das Pro-Kopf-BIP mindestens Die Wirtschafts- und Förderpolitik kann grundsätzlich zwei bei 75 %, maximal aber bei 90 % des EU-Durchschnitts liegt. verschiedene Strategien verfolgen, nämlich die Schwächen Die Übergangsregionen erhalten insgesamt 10,2 % der einer Region zu verringern oder die bereits vorhandenen ESI-Mittel, die Verteilung erfolgt auch hier in Abhängigkeit Stärken auszubauen. Zukunftsgerichtete Politik muss dar von der Wirtschaftskraft der jeweiligen Region. Als stärker über hinaus versuchen künftige Entwicklungen der Rahmen entwickelte Regionen werden schließlich NUTS-2-Regio- bedingungen zu antizipieren, um potenzielle Chancen auszu nen mit einem Pro-Kopf-BIP von mehr als 90 % des EU- loten bzw. etwaige Risiken zu vermeiden. Auch wenn dieses Durchschnitts klassifiziert. Das für diese Regionen verfüg- Idealbild „rationaler“ Wirtschaftspolitik in seiner Reinform bare Fördervolumen beläuft sich derzeit auf 15,7 % aller im selten realisiert werden dürfte, haben wir im Rahmen dieser Ziel „Investitionen in Wachstum und Beschäftigung“ ver- Arbeit eine SWOT-Analyse zur sächsischen Wirtschaft durch- teilten ESI-Mittel; die Aufteilung auf die einzelnen Regio- geführt. Die Kernergebnisse unserer Analyse werden in Ta- nen orientiert sich an einer Reihe (sozio-)ökonomischer belle 2 zusammengefasst; eine ausführliche Darstellung ge- Indikatoren, die in Zusammenhang mit den Europa-2020- ben Bauer et al. (2018). Zielen stehen. Tabelle 2 zeigt hierbei die Stärken und Schwächen der sächsischen Wirtschaftsstruktur auf und stellt diese den Unter der Annahme, dass auch künftig die in der laufenden Chancen und Risiken durch die den Freistaat Sachsen be Förderperiode angewendeten Kriterien und Indikatoren her- treffenden globalen Megatrends gegenüber. Hieraus werden angezogen werden, simulieren wir das Volumen der ESI-För- den einzelnen Handlungsstrategien („Forcieren“, „Aufholen“, derung für Sachsen in der Förderperiode 2021–2027.3 Es zeigt „Absichern“ und „Meiden“) jene Politikfelder zugeordnet, die sich, dass Sachsen ab 2021 deutlich weniger ESI-Mittel erhal- für die künftige Förderpolitik besonders relevant sein dürften. ten wird als aktuell (vgl. Tab. 1). Das verfügbare Mittelvolu- Als prioritär erweist sich die Strategie „Forcieren“ als An- men in der kommenden Förderperiode (2021–2027) beträgt satz, die Stärken zu fördern und dabei gleichzeitig die Chan- den Simulationsergebnissen zufolge nur noch ca. 400 Mill. Euro cen der globalen Megatrends zu nutzen. Es zeigt sich, dass ins- (ebenfalls in Preisen von 2011). Damit erhält der Freistaat besondere Investitionen in das Bildungssystem im Rahmen Sachsen nur noch 14 % des für 2014–2020 bereitgestellten dieser Strategie vorteilhaft sind; auch die Wirtschaftsförde- Betrags. Hierfür sind vornehmlich die gegenüber dem EU- rung kann hierfür einen Beitrag leisten. Auf der Gegenseite Durchschnitt günstigere Entwicklung der sächsischen Regio- steht mit der Strategie „Meiden“ der Ansatz, die Reduktion nen sowie der Austritt Großbritanniens als bisheriger Netto- von Schwächen mit der Begrenzung von Risiken zu koppeln. zahler aus der EU ursächlich (für detaillierte Ergebnisse vgl. Bei einer solchen Strategie würde man im Wesentlichen die Bauer et al. 2018).4 Anpassungsnotwendigkeiten sozialpolitisch flankieren. ifo Dresden berichtet 3 / 2018 15
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 1 Ergebnisse aus der Simulationsrechnung zur künftigen Fördermittelausstattung Sachsens und deren Veränderung im Zuge eines „Brexit“ (in Mill. Euro, in Preisen von 2011) Förderperiode Dresden Chemnitz Leipzig Sachsen Anteil Sachsen an EFRE und ESF insgesamt 2014–2020 2 436a 316 2 752 0,85 % 2021–2027 (exkl. UK) 113 199 68 380 0,10 % Effekt der positiven Wirtschaftsentwicklung in Sachsen 2 036a 239 2 275 – Effekt des Austritts Großbritanniens aus der EU („Brexit“) Insgesamt 16 72 9 97 – davon: Statistischer Effekt 8 58 5 71 – Ausbleibende Nettobeiträge aus UK 8 13 5 26 – Anmerkungen: UK = Großbritannien. a) Angaben für die Übergangsregionen Dresden und Chemnitz nicht gesondert verfügbar. Quelle: Eurostat, SMWA (2014a, b), Verordnung (EU) Nr. 1303/2013, Art. 90, 91 sowie Anhang VII; Berechnungen und Darstellung des ifo Instituts. © ifo Institut Tab. 2 Ergebnisse aus der SWOT-Analyse der sächsischen Wirtschaft und daraus abgeleitete prioritäre Politikfelder Chancen Risiken • Neue Konsummärkte durch Verschiebung • Alterung der Gesellschaft und dadurch der Altersstrukturen Schrumpfung des Arbeitskräftepotenzials • Neue Absatzmärkte durch eine global • Zunahme des Anteils von Menschen mit wachsende Mittelschicht Migrationshintergrund und dadurch • Wachstumschancen durch die Generierung, steigende Herstellung und Anwendung neuer Techno- Herausforderungen der Integration logien • Überalterung ländlicher Räume und den • Urbane Zentren als kreative Räume der damit einhergehenden Disparitäten Vernetzung (Netzwerke/Cluster) • Exklusion einzelner Gesellschaftsschichten • Innovative Lösungsansätze zur Anpassung • Forcierter Strukturwandel aufgrund der an Umwelt- und Klimawandel Digitalisierung • Nutzung neuer Energiequellen und • Verschärfung umweltbezogener Regularien Antriebssysteme (Strukturwandel in den betroffenen • Gesellschaftliche Veränderungen Sektoren) Stärken • Hohe Wachstums- und Beschäftigungs dynamik bei geringer regionaler Ungleichheit • Agglomerierte Siedlungsstruktur Strategie „Forcieren“: Stärken fördern, Strategie „Absichern“: Stärken fördern, • Hohe öffentliche FuE-Aufwendungen Chancen nutzen Risiken begrenzen • Gefestigte Industriestruktur mit • Wirtschaftsförderung • Wirtschaftsförderung Innovationspotenzial • Bildung • Sozialpolitische Leistungen • Hohe Qualität der Bildungsabschlüsse • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen • Solide Staatsfinanzen (hohe Investitions ausgaben, niedrige Staatsverschuldung) Schwächen • Unverändert niedrige Wirtschafts- und Steuerkraft bei hoher Arbeitslosigkeit • Kleinteiligkeit der Wirtschaft (damit verbunden: schwächere Exportorientie- Strategie „Aufholen“: Schwächen Strategie „Meiden“: Schwächen rung, geringere Aufstiegsperspektiven, reduzieren, Chancen nutzen reduzieren, Risiken begrenzen geringere private FuE-Aufwendungen) • Wirtschaftsförderung • Gesundheitswesen • Hohes Durchschnittsalter der Beschäftigten • Bildung • Sozialpolitische Leistungen und der Bevölkerung • Förderung privater FuE • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen • Nichtausschöpfen der Bildungspotenziale • Mangelnde Verfügbarkeit von Hoch geschwindigkeits-Breitbandverbindungen Anmerkungen: FuE = Forschung und Entwicklung Quelle: Darstellung des ifo Instituts. © ifo Institut 16 ifo Dresden berichtet 3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE Die beiden anderen Strategien („Aufholen“ und „Absichern“) konstatieren hierbei einen stabilen negativen Zusammen- sind zwar nicht als prioritär anzusehen, würden sich aber hang von Staatsquote und Wirtschaftswachstum (für einen vornehmlich an den gleichen Fördergegenständen orientie- Literaturüberblick vgl. Thöne und Krehl 2015). Dem steht ren wie die bevorzugte Strategie „Forcieren“. Insoweit kann nach Fournier und Johansson (2016) eine zumindest mode- eine insbesondere auf Bildung und Innovation ausgerichtete rate ungleichheitsreduzierende Wirkung gegenüber. Abbil- Förderpolitik verschiedene strategische Felder abdecken. dung 1 illustriert diese Studienergebnisse durch den schwarz Es ist angesichts des erwartbar starken Rückgangs von gefüllten Kreis im unteren Darstellungsbereich. Eine pau- ESI-Mitteln indes anzunehmen, dass auch innerhalb der in schale Erhöhung sämtlicher staatlichen Ausgaben dürfte der SWOT-Analyse identifizierten Strategie „Forcieren“ eine daher regelmäßig sowohl Wachstums- als auch Verteilungs- Priorisierung von Verwendungszwecken vorzunehmen ist. wirkungen verfehlen. Hierfür ist ein ergänzendes Kriteriensystem notwendig, Eine zielgerichtete Ausgabenpolitik sollte daher eine Ge- mit dem Schwerpunkte einer künftigen Förderstrategie für wichtung einzelner Ausgabenkategorien vornehmen. Abbil- Sachsen ermittelt werden können. Vor dem Hintergrund der dung 1 zeigt, dass eine Priorisierung bestimmter Maßnahmen Europa-2020-Ziele, aber auch der allgemeinen politischen zu deutlich anderen Ergebnissen als eine pauschale Erhöhung Diskussion im Freistaat Sachsen sind hierbei insbesondere der Gesamtausgaben führen kann. Gegeben bestehender Un- zwei Wirkungsdimensionen zu berücksichtigen: Gesamt tersuchungen fand eine Einordnung der Ausgabenkategorien wirtschaftliche Prosperität (Wachstum) und gesellschaftliche gemäß ihrer vorwiegend bestimmten Wirkung auf Wachstum Kohäsion bzw. Teilhabe auf regionaler und/oder gesellschaft- und Ungleichheit statt; im Detail diskutieren dies Bauer et al. licher Ebene (Ungleichheit). Hierzu werten wir Ergebnisse der (2018). So besteht zwischen Bildungsausgaben und Wirt- relevanten Literatur aus. schaftswachstum ein klar positiver und langfristiger Zusam- Zwar erlauben die vorliegenden Untersuchungen zum menhang (Thöne und Krehl 2015; Gemmell et al. 2016). Zu- Zusammenhang von staatlichen Ausgaben und gesellschaft- gleich können Bildungsinvestitionen eine ungleichheitsredu- lich definierten Zielen im Regelfall keine kausale Interpreta- zierende Wirkung entfalten, z. B. wenn höhere Bildungsaus- tion. Jedoch sind die nachfolgend abgeleiteten Ergebnisse gaben zu einer Verbesserung der sozialen oder beruflichen geeignet für eine Diskussion zur Priorisierung von Maßnah- Mobilität führen (Johansson 2016). Ähnliche, wenngleich men. Eine große Zahl von Studien befasst sich mit dem nicht unbedingt ungleichheitsreduzierende Befunde sind für Zusammenhang zwischen den staatlichen Gesamtausgaben Gesundheitsausgaben zu konstatieren. Sozialpolitische Leis- bzw. deren Anteil an der Wirtschaftsleistung (Staatsquote) tungen dürften hingegen lediglich die Ungleichheit senken und dem Wirtschaftswachstum. Nahezu sämtliche Studien (siehe z. B. Fournier und Johansson 2016; Gemmell et al. 2016). Abb. 1 Evidenz zu Wachstums- und Verteilungswirkungen staatlicher Ausgaben Ungleichheit Erhöhung Kein Effekt/unklar Reduktion Wachstum Erhöhung davon: Verkehr und Bildung Kommunikation Gesundheit Kein Effekt/unklar Infrastruktur- investitionen und öffentl. FuE Wirtschafts- förderung, Förderung Sozial- priv. FuE politische Leistungen Reduktion Gesamt- ausgaben Quelle: Darstellung des ifo Instituts. © ifo Institut ifo Dresden berichtet 3 / 2018 17
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE Zu öffentlichen Infrastrukturinvestitionen sowie öffentlichen rangige Strategiefeld „Forcieren“ wurde dabei neben den Bil- Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) zielt die dungsausgaben vor allem die Wirtschaftsförderung identi Empirie lediglich auf Wachstumswirkungen ab, die vorwie- fiziert. Letztere wirkt jedoch vornehmlich ungleichheitsredu- gend einen positiven Zusammenhang vermuten lassen zierend (vgl. Tab. 3), ist aber nur bedingt wirksam zur Wachs- (Thöne und Krehl 2015). Hierbei stechen nochmals deut- tumsstimulation. Vor diesem Hintergrund sind innerhalb der lich die Ausgaben für Verkehrs- und Kommunikationsinfra- Strategie „Forcieren“ Maßnahmen im Bereich der Bildung struktur heraus, für die Gemmell et al. (2016) die höchsten besonders hervorzuheben, da diese sowohl mit Blick auf Wachstumswirkungen sämtlicher staatlichen Ausgabeberei- Wachstums- als auch auf Ungleichheitsaspekte eine hohe che konstatieren. Untersuchungen zu Verteilungswirkungen Wirksamkeit entfalten. Öffentliche Infrastrukturinvestitionen von öffentlichen FuE-Ausgaben fehlen bis dato. wiederum, denen nach den Ergebnissen der Literaturauswer- Ungleichheitsreduzierend wirken hingegen staatliche tung eine hohe Wachstumswirksamkeit zugeschrieben wird, Wirtschaftsfördermaßnahmen bzw. die Förderung privater scheinen mit Blick auf die Strategie „Forcieren“ weniger be- FuE (Fournier und Johansson 2016); die Wachstumswirkun- deutsam, insbesondere, weil Sachsen hier bereits einen gen sind jedoch nicht eindeutig. Nicht zu vernachlässigen ist hohen Ausbauzustand erreicht hat. 5 allerdings die Rolle staatlicher Institutionen und des Human- Nicht zu vernachlässigen sind indes auch die Strategien kapitals bei der Transmission staatlicher Ausgaben in ökono- „Absichern“ und „Aufholen“, die die in den vergangenen Jah- mische Wirkungen. Wirtschaftsförderung kann dann Wachs- ren erreichte Entwicklung festigen und gegen externe Risiken tumswirkungen entfalten, wenn sie in einen Ordnungsrah- absichern sollen. Diese beiden Strategien sind insbesondere men eingebettet ist, der Missbrauch und Mitnahmeeffekte mit sozialpolitischen Leistungen und Ausgaben für die Wirt- möglichst reduziert und Innovation und Entwicklung forciert schaftsförderung verbunden, die eine Ungleichheitsreduk- (Becker et al. 2013; Fournier und Johansson 2016). tion, jedoch keine größeren Wachstumswirkungen entfalten Auf Basis der empirischen Befunde der einschlägigen dürften (vgl. wiederum Tab. 3). Eine entsprechende Priorisie- Literatur kann eine Priorisierung öffentlicher Ausgaben vor- rung von Mitteln erscheint in diesem Zusammenhang riskant. genommen werden. Hierbei verdeutlicht Tabelle 3 für die Eine Vernachlässigung spezifischer Ausgabenfelder, so z. B. meisten Ausgabenbereiche den Trade-Off zwischen Wachs- die Förderung privater FuE, könnte allerdings zu Einbußen tums- und Ungleichheitszielen. Öffentliche Investitionen in bei wichtigen Zielgrößen (Wachstums- oder Umverteilungs- die Infrastruktur, insbesondere in Verkehrs- und Kommunika- zielen) und notwendigen Handlungsbedarfen führen. Vor tionsinfrastruktur, sind bspw. geeignet, Wachstumswirkun- diesem Hintergrund bedarf jede Priorisierung einer außer gen zu entfalten, wirken aber weitgehend neutral bezüglich ordentlich sorgsamen Abwägung, um die in den vergangenen der gesellschaftlichen Ungleichheit. Umgekehrt sind sozial- Jahren erreichten wachstums- und kohäsionspolitischen Er- politische Leistungen mit neutralen bis leicht negativen folge in Sachsen nicht zu gefährden. Wachstumswirkungen verbunden, vermindern jedoch deut- lich die Ungleichheit. Die einzige Ausnahme bilden Bildungs- SCHLUSSFOLGERUNGEN und teilweise auch Gesundheitsausgaben, die gleichzeitig einen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum wie auch zur Der Freistaat Sachsen hat in der Vergangenheit in erheb Reduktion der Ungleichheit beitragen können (sogenanntes lichem Umfang von der finanziellen Unterstützung des Bun- „inklusives Wachstum“). Insgesamt bietet Tabelle 3 einen des und der Europäischen Union profitieren können. Künftig Ansatzpunkt zu einer – je nach gewünschter Wirkungsrich- dürfte sich die sächsische Mittelausstattung jedoch deutlich tung – möglichen Priorisierung für die bestmögliche Nutzung reduzieren. Zudem wird der Freistaat aufgrund seiner beson- von Fördermitteln. deren wirtschaftlichen Charakteristika sowie der sich ver- Die dargestellten Priorisierungsmöglichkeiten können stärkenden globalen Megatrends wie dem demographischen nunmehr vor dem Hintergrund der skizzierten Handlungs- Wandel, der Globalisierung, der Digitalisierung und der Urba- strategien zur Festigung und Verstetigung der Entwicklung in nisierung vor völlig neue und zusätzliche Herausforderungen Sachsen gesehen werden. Als prioritär mit Blick auf das vor- gestellt. Diese Herausforderungen könnten ohne aktive poli- Tab. 3 Priorisierung von Ausgabenfeldern nach intendierter Wirkungsrichtung Wachstum Ungleichheit Hohe Priorität • Bildung • Sozialpolitische Leistungen • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen • Bildung (insbesondere Ausgaben für Verkehrs- und • Wirtschaftsförderung, Förderung privater FuE Kommunikationsinfrastruktur), öffentliche FuE • Gesamtausgaben • Gesundheit • Gesundheit • Wirtschaftsförderung, Förderung privater FuE • Öffentliche Infrastrukturinvestitionen • Sozialpolitische Leistungen (insbesondere Ausgaben für Verkehrs- und Geringere Priorität • Gesamtausgaben Kommunikationsinfrastruktur), öffentliche FuEa Anmerkungen: FuE = Forschung und Entwicklung. – a) Bisher keine empirische Evidenz vorhanden. Ungleichheitswirkungen werden analog öffentlicher Infrastrukturinvestitionen angenommen. Quelle: Darstellung des ifo Instituts. © ifo Institut 18 ifo Dresden berichtet 3 / 2018
AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE tische Begleitung die erfolgreiche Entwicklung der vergange- Gemmell, N., R. Kneller und I. Sanz (2016), „Does the Composition of Govern nen Jahre zusätzlich infrage stellen. ment Expenditure Matter for Long-Run GDP Levels? “, Oxford Bulletin of Econo- mics and Statistics 78 (4), S. 522–547. Eine Priorisierung von Mitteln ist daher unvermeidlich. Johansson, Å. (2016), Public Finance, Economic Growth and Inequality: A Survey Wie genau diese aussehen kann, ist indes allein eine Entschei- of the Evidence, OECD Economics Department Working Paper Nr. 1346, OECD dung der Politik. Im Ergebnis sind vor allem Maßnahmen im Publishing. Bereich der Bildung besonders zu priorisieren. Diese dürften SMWA (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr) sowohl mit Blick auf die empfohlene Handlungsstrategie (Hrsg.) (2014a), Operationelles Programm des Freistaates Sachsen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Förderperiode „Forcieren von Stärken“ als auch mit Blick auf die von der EU 2014–2020, Dresden. vorgegebenen Wachstums- und Ungleichheitsziele eine hohe SMWA (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr) Wirksamkeit entfalten. Trotz dieser Priorisierung müssen (Hrsg.) (2014b), Operationelles Programm des Freistaates Sachsen für den ESF auch andere Ausgabenfelder im Blick behalten werden, um im Förderzeitraum 2014–2020, Dresden. Einbußen bei wichtigen Zielgrößen und notwendigen Hand- Thöne, M. und F. Krehl (2015), Zukunftsinvestitionen. Empirische Befunde zur lungsbedarfen zu vermeiden. Auch Ausgaben für Infrastruk- Wirkung öffentlicher Ausgaben auf inklusives Wachstum, Inklusives Wachstum für Deutschland 03/2015, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. turinvestitionen (einschließlich der Förderung öffentlicher FuE) sowie Maßnahmen im Bereich der Wirtschaftsförderung (einschließlich der Unterstützung privater FuE) dürfen in sofern nicht vernachlässigt werden. Jede Priorisierung bedarf im Ergebnis einer außerordentlich sorgsamen Abwägung, um 1 Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung der sich im Erscheinen die in den vergangenen Jahren erreichten wachstums- und befindlichen Studie von Bauer et al. (2018), die im Auftrag der Sächsischen kohäsionspolitischen Erfolge in Sachsen nicht zu gefährden. Staatskanzlei durchgeführt wurde. 2 In Sachsen sind in der aktuellen Förderperiode die beiden NUTS-2-Regionen Dresden und Chemnitz als Übergangsregion klassifiziert, weil das BIP je REFERENZEN Einwohner in Kaufkraftstandards (KKS) im Zeitraum 2007 2009 hier deutlich unterhalb des relevanten Grenzwerts von 90 % des EU-27-Durchschnitts lag. Die Region Leipzig wurde hingegen (wegen eines Bruttoinlandsprodukt (BIP) Bauer, D., Ochsner, C. und J. Ragnitz (2018), Strategien für die bestmögliche je Einwohner von 90,02 % des EU-27-Durchschnitts) als stärker entwickelte Ausstattung mit und Nutzung von Fördermitteln nach 2020, ifo Dresden Studie Region eingestuft. 82, ifo Institut, München/Dresden. 3 Nicht betrachtet wird dabei die zukünftige Ausstattung mit Fördermitteln Becker, S., P. Egger und M. von Ehrlich (2013), „Absorptive Capacity and the aus ELER und EMFF, da diese nach anderen (sektoralspezifischen) Kriterien Growth and Investment Effects of Regional Transfers: A Regression Discontinuity verteilt werden. Design with Heterogeneous Treatment Effects“, American Economic Journal: 4 Gegeben der Annahmen wird zur Feststellung der Regionstypen das mittlere Economic Policy 5 (4), S. 29–77. BIP je Einwohner in KKS relativ zum Durchschnitt der EU-27 (ohne Großbritan- nien) im Zeitraum zwischen 2014 und 2016 angesetzt. Die NUTS-2-Regionen Europäische Kommission (Hrsg.) (2017), My Region, My Europe, Our Future. Dresden bzw. Leipzig dürften demnach mit einem Pro-Kopf-BIP von ca. 96,1 % Seventh Report on Economic, Social and Territorial Cohesion, Publications bzw. 101,5 % des EU-27-Mittels als stärker entwickelte Regionen eingestuft Office der Europäischen Union, Brüssel, Luxemburg. werden. Chemnitz würde mit 88,6 % des EU-27-Durchschnitts weiterhin als Fournier, J. und Å. Johansson (2016), The Effect of the Size and the Mix of Pub- Übergangsregion klassifiziert werden. lic Spending on Growth and Inequality, OECD Economics Department Working 5 Allerdings bestehen zum Teil noch Nachholbedarfe mit Blick auf den Ausbau Papers Nr. 1344, OECD Publishing. qualitativ hochwertiger Breitbandinfrastrukturen für gewerbliche Nutzer. ifo Dresden berichtet 3 / 2018 19
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