Stammzellen in der Zahnheilkunde - Kann man Zähne im Labor züchten?
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Wissenschaft und Fortbildung BZB April 12 57 Stammzellen in der Zahnheilkunde Kann man Zähne im Labor züchten? E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. We r n e r G ö t z , B o n n Nachwachsende „dritte Zähne“ sind seit Menschen- gedenken ein Wunschtraum und werden von Patien- ten öfter – vielleicht auch scherzhaft – ins Gespräch gebracht. Die moderne Stammzellforschung, die heute in den Medien zu den am häufigsten disku- tierten Themen der Biomedizin gehört, hat solchen Wünschen neuen Auftrieb gegeben. „Züchtung von Zähnen“ oder „Neue Zähne durch Stammzellen“ sind Schlagzeilen, die man so oder ähnlich immer häufiger in Printmedien oder im Internet lesen kann. Stand der dentalen Stammzellforschung In der Zahnärzteschaft sind die Meinungen zur Stammzellforschung sicher ähnlich breit gefächert wie in der Gesamtbevölkerung und schwanken zwi- schen Euphorie über neue regenerative Methoden und Ablehnung aus Angst vor dem Niedergang von Prothetik und Zahnerhaltung oder vor dem Abb. 1: Operativ entfernter retinierter Weisheitszahn als Quelle für Ende der boomenden Implantologie. Aus Sicht der unterschiedliche dentale Stammzellen Wissenschaft ist die dentale Stammzellforschung tatsächlich schon sehr weit fortgeschritten. Die Ur- der Dentalbranche mit Stammzellinstituten an Uni- sachen liegen in den generellen Fortschritten der versitäten. In einigen europäischen Ländern oder biomedizinischen Stammzellforschung und den Er- in den USA werben kommerziell arbeitende Zell- kenntnissen über die genetischen und molekularen banken mit dem Angebot, dentale Stammzellen Grundlagen der Zahnentwicklung sowie in der guten aus Milchzähnen oder extrahierten Zähnen zu iso- Zugänglichkeit der Mundhöhle. Die weltweit massen- lieren und für mögliche regenerative Anwendun- haft durch zahnmedizinische und kieferchirurgische gen in der Zukunft einzulagern. Aufgrund intensi- Eingriffe anfallenden Zähne und oralen Gewebe ver Forschungstätigkeit sowie massiver staatlicher ermöglichen die Gewinnung von Stammzellen aus und industrieller Förderung in den USA, aber auch unterschiedlichen Regionen (Abb. 1). Tatsächlich in der Türkei oder in Schwellenländern wie China aber spielen bisher in der deutschen Zahnheilkunde oder Brasilien, sind von dort in den nächsten Jah- stammzellbasierte Behandlungen so gut wie keine ren die entscheidenden Fortschritte und Durchbrü- Rolle. Dies hat verschiedene Gründe. Neben den all- che dentaler Stammzelltherapien zu erwarten. gemeinen administrativen oder gesetzgeberischen Hemmnissen für die Stammzellforschung und der Stammzellen: Eine kurze Einführung mangelhaften inhaltlichen und räumlichen Verbin- Biologischer Ersatz, unter Verwendung ausgereifter dung zwischen biomedizinischer Grundlagenfor- Zellen und Gewebe als auto- oder allogene Trans- schung und Zahnheilkunde spielt auch das fehlende plantate, ist in Medizin und Zahnmedizin schon Interesse der Dentalindustrie eine Rolle. Ganz anders lange etabliert. Man denke nur an die autogene ist die Situation im Ausland. Die in vielen Ländern Chondrozytentransplantation in der Orthopädie vorhandene enge Verknüpfung zwischen Forschung, oder an die Transplantation autogenen Knochens Klinik und Industrie, wie etwa in den USA oder in oder von Mundschleimhaut in der Zahnheilkunde. Ostasien, hat dort zu ersten klinischen Studien mit Die Nachteile dieser Verfahren, wie etwa Absto- stammzellunterstützten Techniken in der Zahnme- ßungsrisiken, Überleben am Implantationsort oder dizin geführt. So kooperieren in Australien Konzerne Nekroserisiken, führten zu dem Wunsch, undifferen-
58 BZB April 12 Wissenschaft und Fortbildung Foto: Dipl.-Biol. O. Felthaus (Universität Regensburg) Foto: Dipl.-Biol. O. Felthaus (Universität Regensburg) Abb. 2: Osteogen differenzierte Stammzellen aus einem Zahnsäck- Abb. 3: Neuronal differenzierte Stammzellen aus dem Zahnsäckchen. chen. Die Rotfärbung zeigt eine fortgeschrittene Mineralisation an. Fluoreszenzmikroskopischer Nachweis von Nervenzellmarkern (grün) (Immunhistochemie). zierte, plastische Zellen für regenerative Zwecke ver- wenden zu können, die nach Bedarf zu züchten wä- ren und sich vor Ort differenzieren. Stammzellen er- füllen diese Forderungen. Es handelt sich dabei um undifferenzierte, in viele Richtungen entwicklungs- fähige Zellen, die selbsterneuerbar sind und eine hohe Entwicklungspotenz haben. Auf bestimmte Signale hin durchlaufen sie eine strukturelle und funktionelle Differenzierung und entwickeln sich zu spezifischen Zellen. Als klassisches Beispiel sei Abb. 4: Knochenbildung (grün) nach Transplantation von Stamm- die Entwicklung der einzelnen Zellarten des Blutes zellen aus retinierten Weisheitszähnen auf Knochenersatzmaterial in aus einer hämatopoetischen Stammzelle angeführt. die Rückenhaut einer Maus Stammzellen, die einen gesamten Organismus be- ziehungsweise alle Zellarten eines Organismus bil- Knorpel, Muskel-, Fett- oder Nervengewebe umge- den können, werden als totipotent beziehungsweise wandelt werden können (Abb. 2 und 3). In In-vitro- pluripotent bezeichnet. Mit fortschreitender Differen- oder Tierversuchen können die biologischen Zell- zierung verlieren sie ihre Potenz und damit auch ihre eigenschaften weiter untersucht werden (Abb. 4). Fähigkeit zur Bildung beziehungsweise Regeneration Da die Entwicklung von Geweben, Organen oder von Geweben aller Art. Aus solchen multipotenten biologischen Implantaten für regenerative Zwecke Stammzellen oder Progenitorzellen können sich nur als eines der Fernziele gesehen wird, ist die Stamm- noch bestimmte Gewebe- oder Zellarten entwickeln, zellforschung eng mit der Gentechnologie und dem wie etwa Knochengewebe oder Leberparenchym. Tissue Engineering verbunden. Hier haben sich in- Stammzellen besitzen plastische Eigenschaften und zwischen kaum noch überschaubare Forschungsge- können in unterschiedliche Grundgewebearten um- biete entwickelt, die weltweit Stammzellen mit Trä- gewandelt werden. Aus dentalen Stammzellen kön- germaterialien, sogenannte Matrices oder Scaffolds, nen zum Beispiel Nervenzellen oder Endothelien ent- bioaktiven Faktoren oder anderen Zellen kombinie- stehen. Die Isolierung und Charakterisierung von ren und gentechnisch modifizieren, um daraus Ge- Stammzellen im Labor ist heute mit etablierten Rou- webe- und Organersatz aller Art zu konstruieren. tinemethoden möglich. Viele Stammzellen bevorzu- gen, nachdem man entsprechende Gewebe in Kul- Stammzellarten und ihre Bedeutung in der tur genommen hat, bestimmte Unterlagen wie bei- dentalen Stammzellforschung spielsweise Plastik. Sie überleben so und können Embryonale Stammzellen dann weiter kultiviert, vermehrt und mit zell- und In der Öffentlichkeit werden Stammzellen meist zu- molekularbiologischen Methoden charakterisiert erst mit embryonalen Stammzellen in Verbindung werden. Um zu zeigen, dass man tatsächlich Stamm- gebracht. Die Diskussion über deren politische und zellen gewonnen hat, ist gefordert, diese im Labor ethische Aspekte bestimmt seit vielen Jahren die in die Grundgewebe des Körpers zu differenzieren. öffentliche Auseinandersetzung über die Stamm- Durch verschiedene Kultivierungstechniken sollten zellforschung. Die toti- oder pluripotenten Zellen die Zellen dann zum Beispiel in Epithel, Knochen, werden aus „überschüssigen“ Embryonen nach
Wissenschaft und Fortbildung BZB April 12 59 In-vitro-Fertilisation gewonnen. In der dentalen Reparatur nach Schädigungen aller Art. Die nur in Stammzellforschung haben sie bisher, im Gegen- sehr geringer Zahl vorhandenen Zellen sitzen im satz zur Forschung zum Beispiel bei neurodegenera- Gewebe in sogenannten Stammzellnischen, in de- tiven Erkrankungen, keine große Rolle gespielt, ob- nen sie „schlafen“ und aus denen sie nach entspre- wohl aus ihnen prinzipiell alle orofazialen Gewebe chender Stimulierung aktiviert werden können. Ty- entwickelt werden könnten. Verschiedene Forscher- pische Stammzellnischen finden sich zum Beispiel gruppen haben bereits gezeigt, dass man aus ihnen in den Darmkrypten, aus denen heraus sich das Osteoblasten, Osteoklasten oder Fibroblasten der Darmepithel regenerieren kann, oder im Verbund Wurzelhaut (Parodontal-Ligament, PDL) herstellen mit Muskelzellen als sogenannte Satellitenzellen. kann. Erste Versuche lassen darauf hoffen, dass aus Von besonderem Interesse für die Stammzellfor- ihnen auch schmelzproduzierende Ameloblasten schung sind als Unterart der adulten Stammzellen generiert werden können. Wenn man embryonale die mesenchymalen Stammzellen, aus denen sich Stammzellen mit ausgereiften PDL-Zellen kultiviert, mesenchymale Gewebe wie Knorpel oder Knochen entwickeln sich aus ihnen Fibroblasten und osteo- entwickeln können, die aber aufgrund ihrer Plastizi- zytenartige Zellen, die in der Lage sind, denudierte tät im Labor inzwischen in alle möglichen Zellarten Wurzeloberflächen zu besiedeln. transformierbar sind. Als häufigste Quelle für mes- enchymale Stammzellen galt bisher das Knochen- Induzierte pluripotente Stammzellen mark, aus dem man sie operativ oder durch Punk- Als Alternative zu embryonalen Stammzellen ha- tion als „Bone Marrow Stem Cells“ (BMSCs) gewin- ben sich in jüngster Zeit sogenannte induzierte plu- nen kann (Abb. 5). Ganz ähnliche Zelltypen finden ripotente Stammzellen (iPS) etabliert. Durch gen- sich im Nabelschnurblut oder im Blut Neugeborener technologische Verfahren können durch Repro- sowie in fast allen Organen des erwachsenen Men- grammierung quasi alle reifen Zellen gesunder und schen, aus denen eine Isolation ohne große Belas- kranker Menschen in ihren Stammzellstatus zu- tung möglich ist. Ende 2011 wurden weltweit fast rückversetzt werden. Inzwischen gelingt dies auch 4000 präklinische und klinische Studien gezählt, in mithilfe eines Cocktails aus Proteinen, der der Zelle denen mesenchymale Stammzellen angewendet „verabreicht“ wird. Aus diesen dann in einen „jung- werden. Dazu zählen auch Studien zur Behand- fräulichen“ Zustand versetzten pluripotenten Zel- lung des Herzinfarkts, neurodegenerativer Erkran- len lassen sich wieder alle gewünschten Zellarten kungen wie Morbus Parkinson, von Inkontinenz entwickeln. iPS sind noch weit entfernt von einem oder von Osteonekrosen. Einsatz beim Menschen. Allerdings gelten sie inzwi- Bisher noch zu wenig untersucht sind die Heilungs-, schen als ideale Modellsysteme zur Erforschung von Regenerations- oder Reparaturvorgänge am Zahn Krankheiten und zur Testung neuer Medikamente. oder in der Mundhöhle, die wahrscheinlich im Zu- iPS wurden inzwischen auch aus verschiedenen sammenhang mit der Aktivierung vorhandener dentalen Zellarten hergestellt, darunter auch aus adulter Stamm- oder Progenitorzellen stehen. Da- Pulpazellen oder Gingivafibroblasten. Dass iPS-Be- zu gehören auch die Fähigkeit der Odontoblasten handlungen im zahnmedizinischen Bereich mög- beziehungsweise des Pulpagewebes zur Sekundär-, lich wären, zeigte 2010 die Veröffentlichung eines Tertiärdentin- und Dentikelbildung, die Wundhei- chinesisch-amerikanischen Forscherteams. Sie sti- lung der Mundhöhlenschleimhaut oder die Repa- mulierten aus Zellen der Vorhaut stammende iPS mit Schmelzmatrixproteinen und transplantierten Foto: Dipl.-Biol. O. Felthaus (Universität Regensburg) sie in experimentell erzeugte parodontale Defekte der Maus. Nach 24 Tagen hatten sich neuer Alveolar- knochen, Wurzelzement und Desmodont gebildet. Adulte Stammzellen Als ethisch problemlos und jederzeit verfügbar gel- ten die pluri- oder multipotenten adulten Stamm- zellen, die mittlerweile in fast allen Organen des menschlichen Körpers, selbst im Gehirn, nachge- wiesen wurden. Diese Zellen dienen dem physiolo- Abb. 5: Humane mesenchymale Stammzellen aus dem Knochen- gischen Gewebeumbau und der Regeneration oder mark in der Zellkultur
60 BZB April 12 Wissenschaft und Fortbildung Foto: Dipl.-Biol. O. Felthaus (Universität Regensburg) Foto: Priv.-Doz. Dr. K. Galler (Universität Regensburg) Abb. 6: Stammzellen aus der Milchzahnpulpa in der Zellkultur Abb. 7: Neubildung von Pulpagewebe mit Blutgefäßen nach Implan- tation eines mit Pulpastammzellen und bioaktiven Faktoren gefüllten Dentinzylinders in eine Maus ratur von Wurzelresorptionen. Auch bei vielen zahn- sich nach Implantation in eine Extraktionsalveole ärztlichen und chirurgischen Behandlungen wie und Zugabe von Homing-Faktoren eine Art Paro- Pulpa- oder Parodontaltherapien oder bei der Dis- dont bilden konnte. Aufgrund des offenen Apex traktionsosteogenese sind Stammzellen im Spiel. und der großen Pulpakammer wären zum Beispiel Schließlich basiert auch die Osseointegration nach Schneidezähne mit noch nicht abgeschlossener Implantatinsertion auf der Fähigkeit von Knochen- Wurzelbildung nach Traumatisierung Kandidaten stamm- oder Vorläuferzellen, auf das Interface auf- für solche Homing-Verfahren. zuwandern und dort Knochen zu bilden. Untersu- chungen der letzten Jahre haben für die Zähne und Wichtige dentale Stammzellen die Mundhöhle die Existenz zahlreicher Stammzell- Pulpa nischen nachgewiesen, in denen Stammzellen iden- Im Jahr 2000 publizierte der Biologe S. Gronthos zum tifiziert und isoliert werden konnten. Inzwischen ist ersten Mal die Isolierung von Stammzellen aus der bekannt, dass selbst in pathologisch veränderten Pulpa menschlicher Zähne. Inzwischen sind diverse dentalen und orofazialen Geweben oder in Fehlbil- Subpopulationen multi- oder pluripotenter Stamm- dungen Stammzellen nachzuweisen sind. Dies be- zellen bekannt und charakterisiert und können aus trifft zum Beispiel Pulpitiden, Parodontitiden, api- Pulpen bleibender Zähne, überzähliger Zähne, von kale Prozesse, LKG-Spalten oder Odontome. Milchzähnen oder der Zahnpapille, also der Pulpa- anlage in Zahnkeimen, gewonnen werden (Abb. 6). Stammzell-Homing Die Zellen wurden als Progenitorzellen in einer Zell- Die zunehmenden Kenntnisse zur Existenz und zur schicht unterhalb der Odontoblasten oder als unreife Biologie der Stammzellnischen haben einen neuen Stammzellen um Blutgefäße herum gefunden. Pulpa- Zweig der Stammzellforschung entstehen lassen, das stammzellen sind langlebig und lassen sich jahre- sogenannte Stammzell-Homing. Bei diesen Verfah- lang konservieren – eine wichtige Eigenschaft für ren versucht man präexistente Stamm- oder Vor- die mögliche Einlagerung in Zellbanken. Sie gehören läuferzellen vor Ort zu aktivieren und sie zu Wan- inzwischen zu den am besten erforschten Stammzel- derungen an den gewünschten Ort zu bewegen. Mit- len aus dem dentalen Bereich und werden für mög- hilfe von Scaffolds, bioaktiven Faktoren oder chemo- liche Anwendungszwecke auf allen möglichen Scaf- taktisch wirkenden Molekülen sollen die Zellen an- folds wie etwa Kalziumhydroxid oder Implantatober- gelockt und zur Differenzierung vor Ort gebracht flächen getestet. Da sich aus ihnen im Tierversuch werden. In der Zahnheilkunde könnte dies bedeu- nach subkutaner Transplantation zahnartige Gebil- ten, dass stammzellaktivierende Faktoren auf Mem- de bestehend aus Pulpa und einer Dentinkrone ent- branen in einen parodontalen Defekt eingebracht wickeln, lag es nahe, ihre Eignung für regenerative werden. Diese könnten dort durch Stammzellen aus Zwecke in der Endodontie zu testen. Zahlreiche Tier- der näheren Umgebung, wie etwa aus dem Alveo- experimente haben inzwischen gezeigt, dass sie etwa larknochen, eine Regeneration zumindest von Teilen nach Pulpaamputation in der Lage sind, neues, vas- des Zahnhalteapparates bewerkstelligen. Im Tier- kularisiertes Pulpagewebe zu regenerieren (Abb. 7). versuch wurden bereits Zahnmodelle aus unter- Ihre praktische Nutzung wäre auch im Rahmen ei- schiedlichen Materialien getestet, um die herum ner „biologischen Füllungstherapie“ möglich. Aus
Wissenschaft und Fortbildung BZB April 12 61 extrahierten Weisheitszähnen des Patienten isolierte Pulpastammzellen könnten im Labor therapeutisch einsetzbares, autogenes Dentin produzieren. Disku- tiert wird auch über inlayartige Dentin-Pulpa-Kom- plexe, die im Labor aus patienteneigenen Stamm- zellen hergestellt und passgerecht in entsprechend vorbereitete Kavitäten transplantiert werden könn- ten. Derartige Verfahren böten auch der Dentaltech- nik neue Berufsfelder, in denen der Techniker als Bioingenieur fungiert. Hybridkonstrukte aus stamm- zellbasiert hergestellten autogenen Zahnhartsubs- Abb. 8: Identifizierung eines Stammzellmarkers (Braunfärbung) in tanzen und herkömmlichen dentalen Werkstoffen Zellen des Desmodonts eines retinierten Weisheitszahnes (Immun- werden im Sinne einer Synthese zwischen dentaler histochemie) Technologie und Biotechnologie (zahntechnisches Bioengineering) hergestellt. ter Parodontitis beim Hund zeigte sich, dass die Trans- Da aus Pulpastammzellen auch Osteoblasten gene- plantation von PDL-Stammzellen regenerative Vor- riert werden können, liegt auch ihre Nutzung für gänge auslöste. Es bildeten sich neue Kollagenfasern, Augmentationen am Kieferknochen nahe. Eine ita- neues Wurzelzement, aber auch Knochen, Gefäße und lienische Forschergruppe konnte aus Pulpastamm- Nerven. Innovative Konzepte in der Parodontologie zellen extrahierter Weisheitszähne vaskularisierten haben solche Stammzellen schon im Fokus und pro- Knochen herstellen, der im Rahmen einer klinischen pagieren die Kombination herkömmlicher regenera- Studie denselben Patienten zusammen mit Knochen- tiver Maßnahmen, wie die Anwendung von Membra- ersatzmaterial zur krestalen Augmentation implan- nen, Schmelzmatrixproteinen oder Knochenersatz- tiert wurde. Dieses Konstrukt war klinisch und histo- materialien, mit Stammzellen. Stammzellbesiedelte logisch der Augmentation mit zellfreiem Ersatzma- Scaffolds könnten passgenau und aufgrund von DVT- terial auf der Kontrollseite überlegen. Stammzellen Daten eventuell mithilfe von CAD/CAM-Techniken aus der Pulpa gewinnen auch in der übrigen medi- patientenindividuell generiert und in Defekte einge- zinischen Stammzellforschung eine immer größere bracht werden. Versuche an Hunden zeigten, dass po- Bedeutung, da sie sich aufgrund ihrer Plastizität in lymere Membranen, die wurzelseitig mit PDL-Stamm- unterschiedliche Zellarten des Körpers entwickeln zellen und knochenseitig mit einem Knochenersatz- lassen, darunter in Leber-, Herzmuskel- oder Nerven- material beschichtet waren, an Molaren mit drei- zellen sowie in Epithelzellen der Hornhaut des Au- wandigen Parodontaldefekten zu einer radiologisch ges. Dadurch könnten dentale Stammzellen in Zu- und klinisch messbaren Regeneration unter Bildung kunft zum Einsatz bei regenerativen Therapien an von Fasern, Zement und Knochen führten. In Taiwan verschiedenen inneren Organen, des Nervensystems wurde 2010 eine erste klinische Studie an drei Patien- oder des Auges eine Bedeutung erlangen. Tierversu- ten mit insgesamt 16 Zähnen abgeschlossen, in wel- che der letzten Jahre untermauern diese Optionen. cher PDL-Zellen auf Knochenersatzmaterial in paro- Pulpastammzellen konnten durch Infarkt teilweise dontale Defekte eingebracht wurden. Hier zeigte sich untergegangenes Myokard regenerieren, förderten nach 32 bis 76 Monaten ein effektives Ergebnis. Die die Gefäßneubildung bei Durchblutungsstörungen Bildung eines Zahnhalteapparates im lebenden Tier und wirkten neuroprotektiv. Sie induzierten sogar gelang einer japanischen Arbeitsgruppe erstmalig die Regeneration von Gehirngewebe, das zum Bei- 2006. Eine Mischung aus humanen PDL- und Pulpa- spiel nach einem Schlaganfall untergegangen war, stammzellen wurde zusammen mit einem Implan- oder von geschädigtem Rückenmark. tatkörper aus Hydroxylapatit in die Extraktions- alveole eines Schweins eingebracht und mit einer Zahnhalteapparat Keramikkrone versorgt, mit der das Tier drei Monate Stammzellnischen wurden auch im PDL nachgewie- lang kaute. Radiologische und histologische Untersu- sen, hier in enger Nachbarschaft zu Blutgefäßen oder chungen ergaben später, dass sich ein zahnwurzel- in der Nähe zum Alveolarknochen (Abb. 8). Diese artiges Gebilde mit einstrahlenden desmodontalen PDL-Stammzellen sind in der Lage, alle Anteile des Fasern gebildet hatte. Damit ist die Vorstellung von Parodonts sowie einige extraorale Gewebe zu bilden. der Schaffung eines natürlichen Zahnhalteapparates Bei der Behandlung apikaler Defekte nach induzier- um Implantate herum mithilfe von Stammzellen in
62 BZB April 12 Wissenschaft und Fortbildung den Fokus der Forschung gerückt. Im Tierversuch gibt es bereits erfolgversprechende Ergebnisse durch die Beschichtung SLA-modifizierter Titanoberflächen. Knochen Die Erforschung von Knochenstamm- und -vorläu- ferzellen ist für viele medizinische Fächer von gro- ßer Relevanz. Knochenersatz über eine mesenchy- male Stammzelltherapie bei verschiedenen muskulo- skelettalen Erkrankungen und Knochenheilungsstö- rungen wird in der Orthopädie und Unfallchirurgie Abb. 9: Identifizierung eines Zellmarkers für Osteoblastenvorläufer- schon seit Jahren klinisch erprobt. Dabei diente das zellen (Braunfärbung) an Spongiosabälkchen aus menschlichem Studium der Frakturheilung als Modell für die Re- Kieferknochen (Immunhistochemie) krutierung und Aktivierung solcher Stammzellen und ihre osteogene Entwicklung. Angesichts der ein- zur „chairside“ Knochenaugmentation wird von schlägig bekannten Probleme beim Einsatz autoge- der Dentalindustrie bereits angeboten und findet ner Knochentransplantate oder von Knochenersatz- in einigen deutschen Kliniken und Praxen schon materialien in der Oral- oder MKG-Chirurgie wird Anwendung. Insgesamt scheint der Einsatz von der Einsatz von Stammzellen als machbare Alterna- Knochenstammzellen an der Schwelle zur klini- tive angesehen. Als Quelle für Knochenstamm- oder schen Anwendung zu stehen. Allerdings fehlen bis- progenitorzellen kommen viele extraorale Entnahme- her Langzeitbeobachtungen und randomisierte kli- orte infrage, vor allem Knochenmark, Periost oder nische Studien und die Beurteilung dieser neuen Synovia. Mesenchymale Stammzellen aus Fettge- Methoden hinsichtlich ihres Erfolgs und Kostenauf- webe eignen sich ebenfalls zur Herstellung von kno- wands im Vergleich mit herkömmlichen Standards chenbildenden Zellen, wobei durch die Zunahme wie zum Beispiel dem autogenen Knochenersatz. plastisch-ästhetischer Eingriffe mit Fettentfernung eine ergiebige Quelle besteht. Intraoral bietet sich Züchtung ganzer Zähne der Kieferknochen selbst an (Abb. 9), aber auch Peri- Während die bisher dargestellten Stammzellmetho- ost, extrahierte Zähne oder der Bichatsche Fettpfropf. den eher für regenerative Verfahren am noch erhal- Osteogene Stammzellen wurden vor längerer Zeit tenswerten Zahn geeignet sind oder für die Bildung auch in der Kieferhöhlenschleimhaut entdeckt. eines Parodonts infrage kommen, bleibt die Frage Eine osteogene Differenzierung mit Knochenbildung nach der Neubildung oder „Züchtung“ von ganzen kann inzwischen routinemäßig durchgeführt wer- Zähnen, die auch in Form und Funktion den An- den und erfolgt durch die Behandlung mit osteoge- sprüchen menschlicher Zähne gerecht werden. Die nen Faktoren oder Wachstumsfaktoren wie BMPs. Forschung zur Induktion ganzer Zähne ist tatsäch- Die Zahl der bisher weltweit mit Knochenstammzel- lich schon alt. Schon Anfang des letzten Jahrhun- len durchgeführten Tierversuche, klinischen Studien derts hatte man erkannt, dass die Rekombination oder Einzelbehandlungen ist fast nicht mehr zu über- von Anteilen explantierter Zahnkeime im Reagenz- schauen. Für die klinische Anwendung wird das Auf- glas als Organkultur zu züchten ist und dass nach bringen der Zellen auf unterschiedliche Scaffolds oder Transplantation daraus zahnähnliche Gebilde ent- Ersatzmaterialien mit oder ohne den Einsatz osteo- stehen, die zumindest Dentin- und Pulpastrukturen induktiver Faktoren favorisiert. Eine Vermischung aufweisen. Im Tierversuch konnte in den letzten Jahr- mit pastösen oder gelartigen Trägermaterialien führt zehnten gezeigt werden, dass die Implantation sol- zur Bildung eines „injizierbaren Knochens“. In der cher Zellgemische zum Beispiel in Extraktionsalveo- Literatur finden sich inzwischen zahlreiche Berichte len zur Bildung von Zahnkeimen mit Krone, Pulpa über die klinische Anwendung solcher stammzell- und Zahnhalteapparat und primitiver Wurzel führt, basierter Verfahren. Die Palette reicht von Defekt- wobei Stamm- und Progenitorzellen der Zahnkeime auffüllungen oder der „Socket Preservation“ bis miteinander interagieren. In Kombination mit ande- hin zum Einsatz beim Sinuslift, der Distraktions- ren Stammzellen konnten sogar Hybridgebilde aus osteogenese, in der Spaltchirurgie oder sogar bis Zahnkeimen mit umgebendem Knochen erzeugt zum Ersatz von Kieferhälften nach Hemimaxillek- werden. Ein Problem stellte allerdings die Unfähigkeit tomie. Ein erstes stammzellunterstütztes Verfahren dieser experimentell erzeugten Zahnanlagen zum
Wissenschaft und Fortbildung BZB April 12 63 Durchbruch dar. Eine japanische Forschergruppe lung mit neuronalen Stammzellen. Ein Entartungs- schaffte aber 2009 den Durchbruch. Ihnen gelang es, risiko für embryonale Stammzellen und iPS ist schon in-vitro rekombinierte und gezüchtete Zahnkeime lange bekannt. Neue Theorien zur Krebsentstehung bei Mäusen in den nach Molarenextraktion zahn- gehen davon aus, dass sogenannte Tumorstammzel- losen Alveolarknochen zu implantieren. Bei der Hälf- len eine große Rolle in der Ätiologie und dem Wachs- te der Mäuse fand eine spontane Eruption und ein tum von Malignomen spielen. Inwieweit Zusammen- Hochwachsen des Zahns bis in die Okklusionsebene hänge zwischen solchen Tumorstammzellen und den nach circa 50 Tagen statt. Die Zähne waren funk- normalen Stammzellen unseres Körpers bestehen, ist tionstüchtig und konnten sogar kieferorthopädisch noch wenig erforscht. Allerdings gibt es zwischen ih- bewegt werden. Die histologische Untersuchung er- nen biologische Gemeinsamkeiten und eine Entste- gab das Vorliegen einwurzeliger Zähne mit vollstän- hung von Tumorstammzellen aus normalen Stamm- dig entwickelter Krone, Pulpa und Parodont. Außer- zellen ist nicht ausgeschlossen. In der dentalen Stamm- dem waren Blutgefäße und Nervenfasern einge- zellforschung wurde jedoch bisher noch über keine sprosst. Die Härtegrade von Schmelz und Dentin ent- Nebenwirkungen im Sinne einer Tumorbildung im sprachen denen normaler Mäusezähne. Zusammenhang mit Behandlungen bei Mensch und Andere Methoden haben das Ziel, während der vor- Tier berichtet. Stärker thematisiert werden in der For- geburtlichen Entwicklung die Bildung von Zahnkei- schung Fragen der Alterung von Stammzellen. Zwar men in der Mundhöhle zu induzieren. Die Kenntnisse können bis ins hohe Alter in unterschiedlichen Kör- über embryonale Induktionsvorgänge, die zur Zahn- perregionen noch Stamm- oder Progenitorzellen nach- bildung und -entwicklung führen, und ihre Steue- gewiesen werden, doch unterliegen sie wahrschein- rung durch Signalmoleküle ermöglichen eine Nach- lich unterschiedlich starken Funktionseinbußen. ahmung dieser Prozesse. Die Implantation sogenann- ter ektomesenchymaler Zellen der Maus, die während Ausblick bestimmter Entwicklungsabschnitte das Zahnepithel Die Realität der dentalen Stammzellforschung im beeinflussen, in die eigentlich zahnlosen Kiefer eines Jahre 2012 stellt sich so dar, dass zwar die experi- Hühnerembryos führte tatsächlich zur Bildung von mentelle Forschung weit fortgeschritten ist, aber die Zahnkeimen. Weiterhin werden genetische Ansätze Übertragung in die klinische Anwendung wohl noch zur Zahnbildung im lebenden Organismus erforscht. in weiter Zukunft liegt, vor allem was den Ersatz gan- Aufgrund der inzwischen gut erforschten genetischen zer Zähne anbelangt. Experten gehen zurzeit von Grundlagen der Zahnentwicklung und der Entstehung Zeiträumen von bis zu 30 Jahren aus, bis der „nach- von Hypo- oder Hyperdontien und anderer angebo- wachsende“ Zahn beim Patienten realisierbar sein rener Störungen der Zahnentwicklung sind verschie- wird. In der Zahnerhaltung, der zahnärztlichen Pro- dene Verdachtsgene beziehungsweise Genmutatio- thetik und in der Implantologie könnte die Stamm- nen identifiziert worden. Manipulationen an diesen zellforschung als Ergänzung herkömmlicher erprob- Genen oder deren gezieltes An- oder Abschalten füh- ter Behandlungsmethoden zu einer fortschreitenden ren zum Beispiel bei der Maus zur Bildung und zum „Biologisierung“ regenerativer Techniken führen. Durchbruch überzähliger Zähne oder beim norma- Auf einem vollkommen anderen Blatt steht die Fra- lerweise zahnlosen Huhn zur Ausbildung von Zahn- ge nach der zukünftigen Finanzierbarkeit dentaler keimen. Allerdings werden momentan in der denta- Stammzelltherapien und ihrer gesundheitsökono- len Stammzellforschung diese genetischen Ansätze mischen Bedeutung. Allerdings werden in Zukunft nicht sehr intensiv verfolgt. in der Praxis immer mehr „gut informierte“ Patien- ten nach dentalen Stammzellen oder Stammzellban- Risiken der dentalen Stammzelltechnologien ken fragen, sodass es notwendig sein wird, als Zahn- Eine in der Diskussion mit klinisch tätigen Kollegen arzt das notwendige Wissen zu haben, um hierzu sehr häufig gestellte Frage ist die nach einem Entar- kompetent informieren und beraten zu können. tungsrisiko von Stammzellen. Diese Befürchtungen Korrespondenzadresse: werden unter Stammzellforschern weniger geteilt, Prof. Dr. Werner Götz zumal die häufig eingesetzten adulten Stammzellen Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn eher als antitumorös gelten. Allerdings gab es in den Poliklinik für Kieferorthopädie Welschnonnenstraße 17, 53111 Bonn letzten Jahren immer wieder Hinweise auf erhöhte wgoetz@uni-bonn.de Tumorrisiken nach Stammzelltherapien beziehungs- weise -transplantationen, vor allem bei der Behand- Literatur beim Verfasser
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