Sechs Jahre nach der "Flüchtlingskrise" - Welche digitalen Interventionen stehen Geflüchteten mit psychischen Störungen zur Verfügung?1

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Aktuelles aus der Sozial- und
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                  Sechs Jahre nach der „Flüchtlingskrise“ –
             Welche digitalen Interventionen stehen Geflüchteten
                 mit psychischen Störungen zur Verfügung?1
                    Christina Wirz, Johanna Boettcher, Christine Knaevelsrud & Carina Heeke

         Zusammenfassung: Hintergrund: Viele Geflüchtete, die insbesondere seit 2015 nach Deutschland kamen,
         sind von psychischen Störungen betroffen. Aufgrund von Sprachbarrieren und eingeschränktem An-
         spruch ist ihr Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung jedoch erschwert.
         Ziel der Arbeit: Es soll eine exemplarische Übersicht über digitale Interventionen für Geflüchtete mit
         psychischen Störungen erstellt und ihre Wirksamkeit diskutiert werden. Herausforderungen digitaler
         Interventionen sollen beleuchtet werden.
         Material und Methoden: Metaanalysen und Übersichtsbeiträge zu digitalen Interventionen für Mi-
         grant*innen und Geflüchtete weltweit sowie deren Referenzlisten wurden nach relevanten Interventionen
         durchsucht. Zusätzlich wurden die App Stores durchsucht. Interventionen wurden aufgenommen, wenn
         (1) es sich um digitale Angebote handelt, die sich (2) primär an Geflüchtete in Deutschland richten, die
         (3) in arabischer oder persischer Sprache vorliegen und die (4) aktuell zur Verfügung stehen.
         Ergebnisse und Diskussion: Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es eine geleitete und acht ungeleitete Inter-
         ventionen für Geflüchtete zur Behandlung u. a. von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), De-
         pression und Angststörungen als App oder Web- Anwendung. Nur zwei dieser Anwendungen wurden
         bereits evaluiert, und nur eine Anwendung konnte eine Reduktion der Primärsymptomatik demons-
         trieren. Hohe Abbruchraten stellen eine Herausforderung in der digitalen Versorgung Geflüchteter dar.
         Schlüsselwörter: Psychische Gesundheit, Psychotherapie, Bereitstellung der Gesundheitsversorgung,
         Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Deutschland

         6 years after the refugee crisis – Which digital interventions
         are available for refugee populations with mental illnesses?
         Abstract: Background: Many refugees, particularly those who arrived in Germany since 2015, are affected
         by mental disorders; however, due to language barriers and limited entitlement to healthcare, their
         access to psychotherapeutic interventions is difficult.
         Objective: An illustrative overview of digital interventions for refugees with mental illnesses is given and
         the effectiveness is discussed. Challenges of digital interventions are presented.
         Material and methods: Meta-analyses and review articles on digital interventions for immigrants and re-
         fugees worldwide as well as their reference lists, were searched for relevant interventions. Additionally,
         app stores were searched. Interventions were included if (1) they were digital interventions that (2)
         primarily targeted refugees in Germany, (3) were in Arabic or Persian language and (4) were currently
         available.
         Results and conclusion: Currently, one guided and eight unguided interventions for refugees for treatment
         of, e. g. posttraumatic stress disorder (PTSD), depression and anxiety disorders, are available as an app

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          Quelle: Psychotherapeut, Band 66, Heft 5; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der
         Autor*innen.

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Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

         or web application. Only two of these interventions have already been evaluated and only one inter-
         vention could demonstrate a reduction of the primary symptoms. High drop-out rates pose a chal-
         lenge in digital care of refugees.
         Keywords: Mental health, psychotherapy, delivery of health care, evidence-based health care, Germany

         Seit 2015 sind knapp zwei Mio. Menschen nach              sowohl somatische als auch psychische Erkran-
         Deutschland geflüchtet. Die meisten von ihnen stam-       kungen zur Folge.
         men aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Personen           Personen, die aufgrund von Krieg und Verfol-
         mit Fluchterfahrung haben in ihren Herkunftslän-          gung geflohen sind, unterscheiden sich in ihren
         dern und auf der Flucht oft schwere Gewalt erlebt.        Bedarfen und Belastungen von Migrant*innen, die
         Allerdings sind die Hürden in das deutsche Gesund-        aus anderen Gründen, z. B. im Rahmen von Er-
         heitssystem für Geflüchtete hoch. Angesichts der          werbs- oder Bildungsmigration, ihre Heimatländer
         hohen Zahl geflüchteter Personen mit psychischen          verlassen haben. So fanden sich keine Unterschiede
         Störungen und der geringen Inanspruchnahme                in der Auftretenshäufigkeit psychischer Störungen
         psychotherapeutischer Leistungen ist von einer            zwischen der Gesamtpopulation der Migrant*innen
         ausgeprägten Unterversorgung auszugehen. Ver-             und Nichtmigrant*innen in Deutschland (Glaesmer
         schiedene Initiativen und Forschungsgruppen ha-           et al., 2009). In der spezifischen Gruppe der Ge-
         ben sich für eine Verbesserung der Versorgung             flüchteten hingegen sind psychische Erkrankungen
         eingesetzt, u. a. durch die Entwicklung digitaler         deutlich häufiger: Eine systematische Übersichts-
         Interventionen für diese Zielpopulation. Die vor-         arbeit zu syrischen Geflüchteten ermittelte Präva-
         liegende Arbeit bietet eine exemplarische Übersicht       lenzraten von 43,0 % (Range: 23,4–83,4 %) für die
         über den aktuellen Stand verfügbarer Interventi-          posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und
         onen sowie ihre Evidenzbasierung.                         40,9 % (Range: 20–44,1 %) für depressive Erkran-
                                                                   kungen (Peconga & Høgh Thøgersen, 2019). In den
                                                                   wenigen Studien zur Prävalenz psychischer Er-
         Psychische Gesundheit und                                 krankungen bei seit 2015 nach Deutschland ein-
         Versorgung von Geflüchteten                               gereisten Geflüchteten aus den Ländern Syrien,
         Die meisten Personen, die seit 2015 nach Deutsch-         Afghanistan und Irak konnten Prävalenzraten für
         land geflüchtet sind, haben in ihren Herkunftslän-         depressive Störungen von 19,3–44,6 % aufgezeigt
         dern und auf der Flucht schwere Gewalt erlebt             werden (Kliem et al., 2016; Schröder et al., 2018).
         (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychoso-                In einer Stichprobe syrischer Geflüchteter, die
         zialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer,           nach 2014 eingereist waren und bereits eine Auf-
         2020; Schröder et al., 2018). Auch nach ihrer An-         enthaltserlaubnis erhalten hatten, erfüllten 11,4 %
         kunft im Zielland sind geflüchtete Personen meist          die Kriterien für eine PTBS (Georgiadou et al., 2018).
         mit den Unsicherheiten des Asylverfahrens und             Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass ein
         der Unterbringung in Massenunterkünften kon-              bedeutsamer Anteil der Population der Geflüchte-
         frontiert, was sich als zusätzlich belastend erweisen     ten psychotherapeutischer Behandlung bedarf.
         kann. Hinzu kommen Ängste und Sorgen angesichts               Allerdings sind die Hürden in das deutsche Ge-
         der Situation im Heimatland und der dort verblie-         sundheitssystem für Geflüchtete aus unterschied-
         benen Angehörigen. Akkulturationsprozesse und             lichen Gründen hoch. Asylsuchende haben in den
         ungewisse Zukunftsaussichten erschweren darüber           ersten 15 Monaten nach ihrer Ankunft nur einge-
         hinaus die Verarbeitung des Erlebten sowie das            schränkten Anspruch auf medizinische Versorgung
         Einfinden in die Ankunftsgesellschaft (Tinghög et         entsprechend dem Leistungsumfang nach dem
         al., 2017). Die Auswirkungen kriegs- und fluchtas-        Asylbewerberleistungsgesetz (Bozorgmehr & Ra-
         soziierter Traumata sowie die genannten Postmi-           zum, 2015). Ein großer Teil der Geflüchteten be-
         grationsstressoren sind weitreichend und haben            richtet zudem von Schwierigkeiten, sich in der

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Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

         Arztpraxis oder im Krankenhaus verständlich zu           unabhängig durchgeführt werden können, Patien-
         machen, da eine geeignete Sprachmittlung fehle           t*innen visuell anonym bleiben und sprachliche
         (Bozorgmehr et al., 2016; Schröder et al., 2018). Zum    Barrieren durch digitale Hilfe reduziert werden
         aktuellen Zeitpunkt existieren keine einheitlichen       können (Stein & Knaevelsrud, 2019).
         Regelungen zur Kostenübernahme von Überset-                   Digitale Interventionen umfassen eine große
         zungsleistungen im psychotherapeutischen Kon-            Bandbreite von Versorgungsangeboten (s. Beitrag
         text. Dem gegenüber steht eine Reihe von Initiati-       von Gumz & Boettcher, 2021). Ein wesentliches
         ven, die das Ziel verfolgen, geflüchteten Personen        Unterscheidungskriterium bildet das Ausmaß the-
         Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Hier ist           rapeutischer Unterstützung (Knaevelsrud et al.,
         v. a. die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psy-       2016). Die große Mehrheit der Studien untersucht
         chosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folterop-        geleitete oder ungeleitete Selbsthilfeformate und
         fer (2020) zu nennen, die mit ihren bundesweit 42        bezieht sich auf europäische, nordamerikanische
         Behandlungszentren spezialisierte und multipro-          und australische Populationen. Hier demonstrieren
         fessionelle Unterstützung für Geflüchtete bietet.         Metaanalysen die Wirksamkeit onlinebasierter
         Jedoch ist der Bedarf deutlich größer als das An-        Angebote für die meisten psychischen Störungen
         gebot, und durch die Abhängigkeit von Spenden            (Andersson et al., 2019; Kuester et al., 2016). Insbe-
         und Projektförderungen ist die Weiterversorgung          sondere im Bereich von Angst- und depressiven
         nicht langfristig gesichert. Weitere Barrieren für die   Störungen zeigen sich große Reduktionen der Pri-
         Nutzung gesundheitsbezogener Angebote durch              märsymptomatik (Andersson et al., 2019). Dabei
         Geflüchtete sind häufig ganz praktischer Natur:            weisen einige Ergebnisse darauf hin, dass von The-
         Dazu zählen weite Anfahrtswege, fehlende Kin-            rapeut*innen geleitete Angebote geringere Abbruch-
         derbetreuung oder hohe Fahrtkosten (Fuhr et al.,         raten und teilweise höhere Effektstärken erzielen
         2020; Semmlinger & Ehring, 2020). Auch auf Seiten        als ungeleitete Angebote (Baumeister et al., 2014;
         der Zielpopulation sind Hürden zu verzeichnen:           Zagorscak et al., 2018). In den letzten Jahren haben
         Fehlendes Wissen über psychotherapeutische An-           Studien zu rein App-basierten Interventionen zuge-
         gebote sowie Vorurteile gegenüber Psychotherapie         nommen. Diese werden meist als ungeleitete „Stand-
         und psychischen Erkrankungen können Betroffene           alone“-Intervention untersucht. Die Ergebnisse sind
         maßgeblich davon abhalten, Hilfe in Anspruch zu          deutlich weniger positiv als die der webbasierten
         nehmen (Fuhr et al., 2020; Richter et al., 2018; Sadik   digitalen Interventionen und weisen für den Bereich
         et al., 2010).                                           von Angst- und depressiven Symptomen im Mittel
               Die genannten Hürden liefern Erklärungen für       nur kleine Effekte auf (Park et al., 2020; Weisel et al.,
         die Befunde, dass nur ein kleiner Anteil geflüchteter     2019). Auch im Bereich PTBS zeigt sich ein gemisch-
         Personen in Deutschland psychotherapeutische             tes Bild. Obgleich Prä-post-Effekte mittlere Sym-
         Hilfe in Anspruch nimmt (Bauhoff & Göpffarth,            ptomreduktionen widerspiegeln, bleibt die Wirk-
         2018). Angesichts der hohen Zahl geflüchteter Per-        samkeit im Vergleich zu Kontrollgruppen fraglich
         sonen mit psychischen Störungen und der geringen         (Goreis et al., 2020; Wickersham et al., 2019). Es wird
         Inanspruchnahme psychotherapeutischer Leistun-           außerdem deutlich, dass nur ein sehr geringer An-
         gen ist von einer ausgeprägten Unterversorgung           teil der in App Stores verfügbaren Anwendungen
         auszugehen.                                              wissenschaftlich evaluiert ist (Sander et al., 2020).

                                                                  Studien zur Wirksamkeit digitaler
         Digitale Versorgungsangebote                             Versorgungsangebote für Geflüchtete
         Studien zur Wirksamkeit                                  und Migrant*innen
         digitaler Versorgungsangebote                            In einer kürzlich erschienenen Arbeit fassen Liem
         Dem Problem ausgeprägter Unterversorgung in der          et al. (2021) digitale Interventionen zur Unterstüt-
         Gruppe der Geflüchteten in Deutschland könnte             zung der psychischen Gesundheit Geflüchteter und
         mit digitalen Versorgungsangeboten begegnet wer-         Migrant*innen weltweit zusammen. Die unter-
         den. Vorteile digitaler Anwendungen sind, dass           suchten Populationen sind divers und reichen von
         psychotherapeutische Interventionen ort- und zeit-       beispielsweise syrischen Geflüchteten in Schweden

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Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

         zu chinesischen Migrant*innen in den USA. In 16           digitale Interventionen, deren Evaluation z. T. je-
         Studien werden Online-Selbsthilfeprogramme, In-           doch noch aussteht, bietet (Tabelle 1).
         strumente zur Diagnostik und therapeutische Vi-               Beispiel ungeleiteter Intervention. Bei der
         deosprechstunden analysiert, mit überwiegend              auf Arabisch verfügbaren Sanadak-App für Ge-
         positiven Befunden zur Verbesserung psychischer           flüchtete mit PTBS handelt es sich um eine modu-
         Symptome. Im Gegensatz dazu fokussiert ein an-            lare, ungeleitete Selbsthilfe-App. In einer Studie
         derer Übersichtsbeitrag (Ashfaq et al., 2020) primär      zur Überprüfung der Wirksamkeit wurden 133
         auf das Potenzial digitaler Interventionen für ara-       Geflüchtete der Interventions- oder Kontrollgrup-
         bischsprachige Geflüchtete. Unter den zehn ein-            pe zugeordnet (Röhr et al., 2021). Beide Gruppen
         geschlossenen Studien befinden sich jedoch nur            zeigten eine Symptomreduktion der PTBS-Sympto-
         zwei randomisierte kontrollierte Studien, die den         matik (primäres Outcome), die sich jedoch nicht
         Nutzen eines diagnostischen Instruments sowie             signifikant voneinander unterschied. Nur die Selbst-
         einer Schreibtherapie belegen (s. Beispiel Ilajnafsy).    stigmatisierung als sekundäres Outcome wurde in
         Die anderen acht erheben Einstellungen zu und             der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontroll-
         potenziellen Nutzen von digitalen Interventionen          gruppe signifikant reduziert. Allerdings wurde die
         in Interviews und Befragungsstudien.                      App in der Interventionsgruppe im Schnitt nur
             Fazit. Bisher haben nur sehr wenige Studien           42,5 min benutzt, und ein Drittel der Teilnehmen-
         die Wirksamkeit digitaler Interventionen bei mi-          den nutzte nur das Einstiegsmodul. Unklar bleibt
         grierten oder geflüchteten Patient*innen unter-            daher, ob die App für diejenigen hilfreicher war,
         sucht. Dies steht im Kontrast zu den zahlreichen          die sie länger verwendeten.
         positiven Befunden in „westlichen“ Populationen.              Beispiel geleiteter Intervention. Die Inter-
         Nun ist nicht anzunehmen, dass sich alle beste-           vention Ilajnafsy wurde primär für im Irak oder
         henden digitalen Interventionen ohne weiteres auf         im umgebenden Ländern lebende Patient*innen
         die Population der Geflüchteten übertragen lassen.         entwickelt, die unter einer PTBS leiden. Ilajnafsy
         Metaanalysen weisen darauf hin, dass kulturell            beruht auf der schreibbasierten Interapy. In einer
         adaptierte Interventionen nichtadaptierten Inter-         randomisierten kontrollierten Studie wurde die
         ventionen überlegen sind (Hall et al., 2016; Shehadeh     Wirksamkeit der Intervention bei 159 Teilnehmen-
         et al., 2016) und unterstreichen damit die Wichtig-       den getestet (Knaevelsrud et al., 2015). „Intention-
         keit, Interventionen speziell auf die Zielgruppe          to-treat“-Analysen zeigten eine signifikante Re-
         Geflüchteter in Deutschland auszurichten.                 duktion von Prä- zu Postwerten mit moderaten bis
                                                                   großen Effekten beim primären Outcome PTBS-
         Angebote digitaler Interventionen                         Symptome als auch bei den sekundären Outcomes
         für in Deutschland lebende Geflüchtete                     Depression, Angst und Somatisierung in der Be-
         Seit 2015 haben sich mehrere Arbeitsgruppen mit           handlungsgruppe im Vergleich zur Wartegruppe.
         der Entwicklung digitaler Interventionen für die          In der Behandlungsgruppe brachen 41 % (32/79
         Zielpopulation von Geflüchteten, primär aus ara-           Personen) die Behandlung frühzeitig ab. Gründe für
         bisch- oder persischsprachigen Ländern befasst.           den Abbruch waren Strom- und Internetprobleme,
         Zudem wurden bestehende Interventionen in diese           Hospitalisierung, Weiterempfehlung zu anderen
         Sprachen übersetzt. Für den vorliegenden Beitrag          Behandelnden und Präferenz von „Face-to-face“-
         wurden (1) digitale Interventionen gesucht, die sich      Therapie; wobei knapp zwei Drittel der Abbre-
         (2) primär an Geflüchtete in Deutschland richteten,        chenden für die Nachfrage nach Gründen nicht
         die (3) in arabischer oder persischer Sprache vor-        erreicht werden konnten.
         liegen und die (4) aktuell zur Verfügung stehen.
         Hierfür wurden Metaanalysen und Übersichtsbei-
         träge zu digitalen Interventionen für Migrant*innen       Resümee und Diskussion
         und Geflüchtete weltweit sowie deren Referenzlisten        Für die große Population arabisch- oder persisch-
         nach relevanten Interventionen durchsucht. Zu-            sprachiger Geflüchteter konnte ein exemplarischer
         sätzlich wurden die App Stores durchsucht. Einen          Überblick über acht ungeleitete und eine geleitete
         exemplarischen Überblick über aktuell verfügbare          digitale Intervention gegeben werden. Ein positiver

             102       Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis

VPP_gesamt_01_2022.indb 102                                                                                      01.02.2022 12:10:13
Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

         Wirksamkeitsnachweis liegt jedoch nur für eine            Software unterstützend eingesetzt werden (Mori-
         geleitete webbasierte Intervention vor (Ilajnafsy).       na et al., 2017).
         Für drei weitere Interventionen werden derzeit die            Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass
         Evaluationsstudien durchgeführt (Balsam, Step-            Apps zur Förderung der psychischen Gesundheit
         by-step und BePrepared). Eine App erwies sich             theoretisch ein hohes Potenzial für die Überbrückung
         einer Kontrollgruppe nicht überlegen (Sanadak).           der Versorgungslücke bei Geflüchteten darstellen.
         Allerdings werden hier auch eine kurze Interven-          Da die vorliegende Arbeit keine systematische Lite-
         tionsdauer und eine geringe Nutzungsintensität            raturrecherche mit klar definierten Einschlusskri-
         als Gründe für die ausbleibende Wirksamkeit dis-          terien umfasste, kann nicht ausgeschlossen werden,
         kutiert (Röhr et al., 2021). Bisher gänzlich uner-        dass relevante Studien oder Anwendungen überse-
         forscht ist die Frage, wie gut die untersuchten Apps      hen wurden; insbesondere, da die Recherche nicht
         in Kombination mit stationärer oder ambulanter            auch in Arabisch und Persisch durchgeführt wer-
         Psychotherapie wirken. Eine Empfehlung zur Nut-           den konnte. Die zusammengetragene Befundlage
         zung der App durch den*die behandelnde*n Psychi-          lässt bisher noch keinen Schluss darüber zu, ob
         ater*in/Psychotherapeut*in Kombination mit einer          digitale Interventionen sich für die Population der
         gemeinsamen Auswertung der Übungen könnte                 Geflüchteten als wirksam erweisen werden. Zu-
         die Nutzungsintensität und damit auch die Wirk-           künftige Studien sollten geleitete mit ungeleiteten
         samkeit der Apps steigern.                                Interventionen vergleichen und die Verknüpfung
             Da zu den vorgestellten Interventionen bisher         mit bestehenden Versorgungsangeboten stärker
         nur wenige Wirksamkeitsstudien durchgeführt               in den Fokus nehmen.
         wurden, sind die genannten Vorteile aktuell em-
         pirisch nicht belegt.
             Eine weitere Herausforderung bei bisherigen           Fazit
         onlinebasierten Angeboten für Migrant*innen und           •   Es stehen zwei Anwendungen für Interventionen
         Geflüchtete sind hohe Abbruchraten (Baumeister                 bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS;
         et al., 2014; Vöhringer et al., 2020; Zagorscak et al.,       Sanadak und Ilajnafsy), fünf Anwendungen für
         2018). Bislang liegen wenige Analysen für die Grün-           Interventionen bei Depression (ifightdepression,
         de der hohen Abbruchquoten vor. Eine instabile                Smilers, Huda, Balsam und Ilajnafsy) sowie eine
         Lebenssituation, mangelnde Privatsphäre und tech-             Anwendung für Interventionen bei Stresserleben
         nische Probleme werden in einer Übersichtsarbeit              (Almhar) zur Verfügung.
         (Wagner, 2016) als Gründe für hohe Abbruchquoten          •   Alle Anwendungen sind in Arabisch und drei
         vermutet. In einer empirischen Analyse fanden                 in Persisch (Almhar, BePrepared und Balsam)
         Vöhringer et al. (2020), dass Patient*innen, die              verfasst. Sechs Anwendungen sind zusätzlich
         geschieden waren, und solche, die die Behandlung              auf Englisch (Almhar, ifightdepression, Huda,
         als weniger glaubhaft einstuften, die Behandlung              BePrepared, Step-by-step und Balsam), vier auf
         häufiger abbrachen.                                            Deutsch (ifightdepression, Huda, BePrepared
             Die genannten Herausforderungen von online-               und Balsam) sowie eine auf Paschtu (BePrepa-
         basierten Angeboten (wie z. B. praktische Hürden              red) verfügbar.
         beim Internetzugang oder eine geringe Nutzung             •   Es finden sich zwei Apps ausschließlich im
         des Angebots) könnten auch Gründe für die feh-                Google Play Store, eine ausschließlich im Apple
         lenden Wirksamkeitsnachweise darstellen.                      App Store und drei Apps in beiden App Stores.
             Die Diagnostik bei onlinebasierten Angeboten              Bei einer App bleibt es unklar (Balsam) und
         stellt eine weitere zentrale Herausforderung dar,             zwei Anwendungen werden über eine Web-
         da heutige wissenschaftliche bzw. ethische Stan-              Anwendung (ifightdepression, Ilajnafsy) durch-
         dards dahin gehen, vor dem Beginn einer digitalen             geführt. Alle Anwendungen stehen kostenfrei
         Intervention ein klinisches Interview durchzufüh-             zur Verfügung.
         ren. Hier können computergestützte Angebote zur           •   Alle Anwendungen wurden von Expert*innen
         Diagnostik psychischer Störungen, wie beispiels-              entwickelt, zwei Wirksamkeitsstudien sind
         weise die Multi-Adaptive Psychological Screening              abgeschlossen (zu Ilajnafsy und Sanadak), drei

                                                                                   54. Jg. (1), 99–116, 2022   103

VPP_gesamt_01_2022.indb 103                                                                                      01.02.2022 12:10:13
Name der An-    Entwickelt von                      Beschreibung         Zielgruppe           Verfügbare           Online/App     Wirksamkeit                   Link
                                                                          wendung                                                                                       Sprachen

                              104
                                                                          Psychoedukative Anwendungen
                                                                          ALMHAR          Zentrum ÜBERLEBEN in Berlin         Psychoedukative App Menschen mit       Arabisch, Per-          Ungeleitete    Keine Wirksamkeitsnach-       almhar.org,

VPP_gesamt_01_2022.indb 104
                                                                                                                              bei Stresserleben   Stresserleben vor, sisch, Englisch         Selbsthilfe-   weise                         Google Play
                                                                                                                                                  während oder                               App, nur für                                 Store
                                                                                                                                                  nach einer Flucht                          Android

                                                                          Ungeleitete Anwendungen
                                                                          iFightDepres-   PREDI-NU-Projekt (Preventing    Informationswebsite      Menschen mit         15 Sprachen, u. a.   Website: un- Keine Wirksamkeitsnach-         ifightdepres-
                                                                          sion            Depression and Improving Awa-   über Depression und      Depression           Deutsch und Eng-     geleitete In- weise für arabischsprachige    sion.com
                                                                                          reness through Networking in    ihre Folgen und ein                           lisch. Auf Ara-      formations- Populationen
                                                                                                                          Selbsthilfe-Tool, das
                                                                                          the EU), finanziert durch die Eu-                                             bisch sind bisher    seite; Tool:
                                                                                          ropäische Kommission            Ärzt*innen ihren Pa-                          ausschließlich       geleitete
                                                                                                                          tient*innen zur Ver-                          Teile der Website    Web-Anwen-

                              Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis
                                                                                                                          fügung stellen kön-                           verfügbar            dung
                                                                                                                          nen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

                                                                          BePrepared im   Katholische Hochschule NRW, fi- App für junge Ge-        18- bis 28-Jährige   Arabisch,            Ungeleitete    Wirksamkeitsstudie in Pla-    Beprepared-
                                                                          Projekt         nanziert durch Drittmittel des  flüchtete zur Reduk-     mit Fluchterfah-     Deutsch, Eng-        Selbsthilfe-   nung                          app.de, Google
                                                                                                                                                                                                                                                                       mit psychischen Störungen in Deutschland

                                                                          PREPARE         Bundesministeriums für Bildung tion von Alkohol-         rung sowie prob-     lisch, Persisch,     App, nur für                                 Play Store
                                                                                          und Forschung                   und Cannabiskon-         lematischem          Paschtu              Android
                                                                                                                          sum                      Konsum von Al-
                                                                                                                                                   kohol- und/oder
                                                                                                                                                   Cannabis
                                                                          SMILERSa        Zentrum ÜBERLEBEN in Berlin App zur Intervention Arabischspra-                Arabisch             Ungeleitete    Keine Wirksamkeitsnach-       Apple App Store
                                                                                                                            bei Depression, im     chige Menschen                            Selbsthilfe-   weise
                                                                                                                            Projekt Ilajnafsy ent- mit leichter bis                          App, nur für
                                                                                                                            standen                mittel- schwerer                          iPhone
                                                                                                                                                   Depression
                                                                                                                                                                                                                                                            Tabelle 1: Exemplarischer Überblick über digitale Interventionen für Geflüchtete

                                                                          HUDA            Zentrum ÜBERLEBEN in Berlin App zum Erkennen, Arabischspra-                   Arabisch, Eng-       Ungeleitete    Keine Wirksamkeitsnach-       Apple App
                                                                                                                            zum Verfolgen und      chige Personen,      lisch, Deutsch       Mood-Tra-      weise                         Store, Google
                                                                                                                            zum Aufzeichnen der die ihre tägliche                            cking-App                                    Play Store
                                                                                                                            täglichen Stimmung Stimmung verfol-
                                                                                                                                                   gen wollen
                                                                          Sanadak         Uni Leipzig, finanziert durch den Modulare Selbsthilfe- Syrische Geflüch-     Arabisch             Ungeleitete    Nicht wirksam (Posttrauma-    www.sanadak.
                                                                          im Projekt      Innovationsfonds beim Gemein- App mit Psychoedu- tete in und um                                    Selbsthilfe-   tic Diagnostic Scale for      de, Apple App
                                                                          Help@App        samen Bundesausschuss             kation und Selbsthil- Leipzig mit PTBS                           App            DSM-5, Diff –0,90, 95%-KI –    Store, Google
                                                                                                                            fetechniken bei PTBS                                                            0,24 bis 0,47; p = 0,52) im   Play Store

01.02.2022 12:10:13
Vergleich zu einer Kontroll-
                                                                                                                                                                                          gruppe (die Psychoeduka-
                                                                                                                                                                                          tion erhielt); benutzer-
                                                                                                                                                                                          freundlich und reduzierte
                                                                                                                                                                                          Selbststigmatisierung (Röhr
                                                                                                                                                                                          et al., 2021)

VPP_gesamt_01_2022.indb 105
                                                          Step-by-step     Entwicklung des internetbasier-     Selbsthilfe-App, die    Syrische Geflüch- Arabisch, Eng-    Ungeleitete    Studie für die App in          khoutouwat.co
                                                                           ten Programms durch Weltge-         auf Problemlösetrai-    tete in Deutsch-  lisch             Selbsthilfe-   Deutschland in Durchfüh-       m,
                                                                           sundheitsorganisation (WHO) in      ning beruht             land, die psycho-                   App            rung (persönliche Kommu-       Apple App
                                                                           Kooperation mit dem libanesi-                               logische Krisen,                                   nikation)                      Store, Google
                                                                           schen Gesundheitsministerium                                Stress oder an-                                                                   Play Store
                                                                           u. der Universität Zürich.                                  dere psychische
                                                                           Zur Nutzung auf Smartphones                                 Symptome erle-
                                                                           von der Freien Universität Berlin                           ben
                                                                           verfügbar gemacht. Finanziert
                                                                           durch die Europäische Union
                                                                           (Horizon-2020-Förderbudget).
                                                          Balsam im Pro-   Entwickelt von der Charité im       App im Rahmen ei-       (Jugendliche) Ge- Arabisch, Per-    Ungeleitete    Studie in Durchführung         Infos auf den
                                                          jekt MEHIRA      Projekt MEHIRA, finanziert          nes gestuften Versor-   flüchtete in      sisch, Deutsch,   Selbsthilfe-   (Boge et al., 2020)            Seiten innova-
                                                                           durch den Innovationsfonds          gungsmodells, 15 Mo-    Deutschland mit Englisch            App                                           tionsfonds.g-
                                                                           beim Gemeinsamen Bundesaus-         dule von Informatio-    Depression                                                                        ba.de
                                                                           schuss                              nen bis Entspan-
                                                                                                               nungsübungen

                                                          Geleitete Anwendungen
                                                          Ilajnafsya       Zentrum ÜBERLEBEN in Berlin         Auf Interapy basie-     Arabischer        Arabisch          Geleitete  PTBS-Symptome reduzier-       ilajn-
                                                                                                               rende, schreibba-       Sprachraum;                         Web-Anwen- ten sich signifikant von prä afsy.bzfo.de/po
                                                                                                               sierte Psychotherapie   PTBS oder De-                       dung       zu post in der Interventions- rtal/de/
                                                                                                               mit wöchentlichen       pression                                       gruppe im Vergleich zur
                                                                                                               Rückmeldungen                                                          Kontrollgruppe mit d = 0,92
                                                                                                                                                                                      (Knaevelsrud et al., 2015)

                                                          Anmerkungen: PTBS = posttraumatische Belastungsstörung; a Ilajnafsy und SMILERS richten sich primär an arabischsprachige Personen, die in ihrem Hei-
                                                                       matland leben, oder an Geflüchtete, die im arabischsprachigen Ausland leben.

                              54. Jg. (1), 99–116, 2022
                              105
                                                                                                                                                                                                                                          Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

01.02.2022 12:10:13
Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

              Studien zur Wirksamkeitsprüfung (BePrepa-                      Fuhr, D. C., Acarturk, C., Mcgrath, M. et al (2020). Treat-
              red, Balsam und Step-by-step) sind noch gep-                            ment gap and mental health service use among
              lant.                                                                   Syrian refugees in Sultanbeyli, Istanbul: A cross
                                                                                      sectional survey. Epidemiology and Psychiatric
                                                                                      Sciences, 29, e70.
         Literatur                                                           Georgiadou, E., Zbidat, A., Schmitt, G. et al. (2018). Pre-
         Andersson, G., Carlbring, P., Titov, N. et al (2019). Internet               valence of mental distress among Syrian refu-
                   interventions for adults with anxiety and mood                     gees with residence permission in Germany: A
                   disorders: A narrative umbrella review of recent                   registry-based study. Frontiers in Psychiatry, 9,
                   meta-analyses. Canadian Journal of Psychiatry,                     393.
                   64, 465–470.                                              Glaesmer, H., Wittig, U., Brähler, E. et al. (2009). Sind
         Ashfaq, A., Esmaili, S., Najjar, M. et al. (2020). Utilization of            Migranten häufiger von psychischen Störungen
                   mobile mental health services among Syrian re-                     betroffen? Eine Untersuchung an einer reprä-
                   fugees and other vulnerable Arab populations – A                   sentativen Stichprobe der deutschen Allgemein-
                   systematic review. International Journal of En-                    bevölkerung. Psychiatrische Praxis, 36, 16–22.
                   vironmental Research and Public Health, 17. ht-           Goreis, A., Felnhofer, A., Kafka, J. X. et al. (2020). Efficacy
                   tps://doi.org/10.3390/ijerph17041295                               of self-management smartphone-based apps for
         Bauhoff, S. & Göpffarth, D. (2018). Asylum-seekers in                        post-traumatic stress disorder symptoms: A
                   Germany differ from regularly insured in their                     systematic review and meta-analysis. Frontiers
                   morbidity, utilizations and costs of care. PLoS                    in Psychiatry, 14, 3.
                   ONE, 13, e197881.                                         Hall, G. C. N., Ibaraki, A. Y., Huang, E. R. et al (2016). A
         Baumeister, H., Reichler, L., Munzinger, M. et al (2014).                    metaanalysis of cultural adaptations of psycho-
                   The impact of guidance on Internet-based men-                      logical interventions. Behavior Therapy, 47,
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             106        Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis

VPP_gesamt_01_2022.indb 106                                                                                                         01.02.2022 12:10:13
Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

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                   gration stress among refugees from Syria re-            senkonflikt besteht.

                                                                                            54. Jg. (1), 99–116, 2022      107

VPP_gesamt_01_2022.indb 107                                                                                                   01.02.2022 12:10:13
Aktuelles aus der Sozial- und Gesundheitspolitik

             Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen             führt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils
         keine Studien an Menschen oder Tieren durchge-               dort angegebenen ethischen Richtlinien.

                     Wenn Psychiatrie zu den Patienten kommt1
                                                              Anke Hinrichs

         Zuhausebehandlung – so lange ersehnt und gefordert, nicht zuletzt von Patientinnen und Patienten,
         aber auch von Angehörigen. Und die Stationsäquivalente Behandlung (StäB) macht es seit gut drei
         Jahren gesetzlich im Prinzip jeder Klinik möglich. Umgesetzt wird dies bislang aber noch selten, die
         Ausbreitung gestaltet sich schleppend. Es gibt Hürden, vor allem mangelt es an Flexibilität, zudem
         ist die Vergütungslage schwierig bzw. komplex. Nur 40 von insgesamt 400 Psychiatrien in Deutschland
         bieten StäB inzwischen an, so die Zahl, die bei der Veranstaltung „Quo vadis Psychiatrie“ genannt
         wurde (s. Bericht im EPPENDORFER 5/21). Der Schwerpunkt liegt klar im Süden, in Baden-Württem-
         berg und Bayern, sowie in Berlin. Doch seit kurzem ist StäB auch in Hamburg gestartet, klein, aber
         immerhin.

         In Hamburgs Asklepios-Kliniken machten sich die              Für sie reiche ein Überweisungsschein mit Indika-
         Chefärzte vor circa einem Jahr auf den Weg und               tion, daraufhin rückt das StäB-Team aus, das in
         erarbeiten ein gemeinsames Konzept. Vorreiter sind           Rissen als Extrateam und nicht, wie bei anderen
         Harburg, das zuerst startete, und Rissen, wo es im           Kliniken, an eine Station „angedockt“ agiere. Kli-
         Juli losging. Wandsbek und Ochsenzoll sollen 2022            nikbesuche seien nur z. B. für ein MRT nötig, Blut-
         folgen, so Prof. Ulf Künstler, der Chefarzt in Rissen        Entnahmen und auch EKG könnten ambulant er-
         ist und sich auch als stellvertretender Vorsitzender         folgen.
         im Referat Gemeindepsychiatrie der DGPPN enga-
         giert. In Rissen ging es mit fünf Patienten los –
         geplant seien acht bis zehn Plätze. Die Klinik ver-          Risiko: MDK-Prüfungen und unklarer
         füge aktuell insgesamt über 146 stationäre und 70            Vergütungssatz
         Tagesklinikplätze.                                           Knackpunkt des Ganzen: Ein Vergütungssatz sei
              In Harburg habe das StäB-Team inzwischen                noch nicht verhandelt. StäB werde aktuell als un-
         „Handlungssicherheit und Freude“ entwickelt, so              bewertete Leistung abgerechnet. Ein „gewisses
         Hans-Peter Unger auf Anfrage, und betreue zurzeit            Wagnis, da der Satz nicht feststeht und als Abschlag
         sechs Patienten. Hier wird zudem an Klimafreund-             nicht kostendeckend ist“, so Künstler. Auch die
         lichkeit gearbeitet: „Jetzt wird ein Elektro-Dienst-         MDK-Prüfungen bieten ein Risiko. Unklar sei in
         fahrrad angeschafft“.                                        Hamburg zudem, wie StäB im Krankenhausplan
              Laut Künstler sei StäB z. B. insbesondere für           verankert werden soll, dies werde in anderen Bun-
         Menschen geeignet, die nicht in die Klinik wollen.           desländern verschieden gehandhabt. Grundsätz-
                                                                      lich seien die Kosten mit denen einer stationären
                                                                      Behandlung vergleichbar, schätzt Künstler. Aber
                                                                      die Behandlungsmethode sei bei nicht wenigen
         1
           Quelle: EPPENDORFER – Fachzeitung für Psychiatrie
         & Soziales / www.eppendorfer.de; Ausgabe 6/2021; Nach-       Patienten effizienter.
         druck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und             Allgemein kritisch diskutiert wird der vorge-
         der Autor*innen.                                             schriebene tägliche Kontakt mit dem Patienten

             108       Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis

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