Sinnlose NATO-Abschreckungsstrategie

Die Seite wird erstellt Stefan-Santiago Kluge
 
WEITER LESEN
Artem Vlasov,
Masterstudiengang für Internationale Beziehungen,
MGIMO-Universität,
E-Mail: myfreepochta@mail.ru

                         Sinnlose NATO-Abschreckungsstrategie
         Heute besteht die NATO aus 30 Mitgliedsstaaten und die meisten davon
sind europäische Länder. Eine entscheidende Rolle in der Allianz spielen aber die
USA, die die NATO als Instrument zur Kontrolle in der europäischen Region und
zur Eindämmung Russlands betrachten. Sie wollen nicht zulassen, dass die EU und
Russland konstruktiv zusammenarbeiten. Und dafür gibt es mehrere Belege.
         In dieser Hinsicht ist der Druck seitens der USA auf Deutschland wegen
der Pipeline „Nord Stream – 2“ besonders kennzeichnend und enorm. Die US-
Regierung will das amerikanische Flüssiggas zu viel höheren Preisen als russisches
Erdgas den EU-Ländern aufzwingen. Es wirkt absurd, dass die USA Sanktionen
gegen europäische Unternehmen verhängt haben, die am Bau der Pipeline beteiligt
waren. Das ist nicht nur eine unfaire Konkurrenz, sondern auch ein Beispiel, dass
die USA die Interessen der EU nicht respektieren wollen.
         Zwischen den USA und Deutschland gibt es auch weitere Differenzen.
Erstens, ist Deutschland durch die US-Forderungen, Militärausgaben bis auf 2%
des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen, irritiert. Zweitens, wollen die deutschen
Unternehmen auch keine weitere Eskalation mit dem größten Land im eurasischen
Raum und setzen sich für die vorteilhafte Zusammenarbeit mit Russland ein. Die
deutsche Wirtschaft hat durch die EU-Sanktionen gegen Russland schwere
Schäden erlitten. Besonders stark sind Maschinen-, Automobil-, Chemie-, Energie-
und Logistikbranchen1 betroffen. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass
die europäischen NATO-Mitglieder von den USA sowohl wirtschaftlich als auch
militärisch sehr abhängig sind.
         Für Differenzen in der NATO gibt es auch andere Beispiele. So werfen die
USA der Türkei den Kauf des russischen Flugabwehrraketensystems (S-400) und

1
 Deutsche Welle. Немецкие компании заявили об ущербе от санкций против России. 21.01.2021 // URL:
https://www.dw.com/ru/nemeckie-kompanii-zajavili-o-sereznom-ushherbe-ot-sankcij-protiv-rf/a-56299362

                                                                                                       1
eine mögliche Annäherung an Russland vor. Gleichzeitig spricht der französische
Präsident Emmanuel Macron von einem "Hirntod" der NATO2. Der Grund dafür
besteht einerseits in den angespannten Beziehungen zwischen Frankreich und der
Türkei und andererseits im EU-Bedenken, eine gesamteuropäische Armee zu
schaffen. In seinem Interview für Europe 1 sagte Emmanuel Macron, dass die
Europäer ohne eine "wahre europäische Armee" nicht verteidigt werden könnten3.
         Die Beziehungen zwischen der NATO und Russland erleben heute offenbar
schwere Zeiten, obwohl sie während und gleich nach der deutschen
Wiedervereinigung ganz anders waren. Die Aussichten für die Kooperation
zwischen der NATO und Russland sahen damals ziemlich positiv aus: die
westlichen Partner stellten Russland in Aussicht, die NATO gen Osten nicht zu
erweitern. Leider wurde das in keinem völkerrechtlichen Dokument verankert.
„Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen
gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu
beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken“4,
steht im Vertrag 1997 der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen
Föderation. Im Jahre 2002 wurde auf Grundlage der NATO-Russland-Grundakte
durch die Rom-Erklärung der NATO-Russland-Rat gebildet. Diese Struktur soll
der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den NATO-Staaten und Russland
in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik dienen.
         1999 bombardierten die NATO-Streitkräfte den souveränen europäischen
Staat – Jugoslawien. Das war ein brutaler völkerrechtswidriger Akt, wonach die
NATO-Russland-Verhältnisse für eine gewisse Zeit eingefroren sind. Nach der
Ukraine-Krise trafen die Vertreter des Rates zwei Jahre lang nicht mehr
zusammen. Aber im April 2016 – nach über zweijähriger Pause – trafen sich doch
Vertreter Russlands und der NATO-Länder dann wieder im NATO-Russland-Rat.

2
  Tagesschau.de. Macron nennt NATO "hirntot". 07.11.2019 // URL: https://www.tagesschau.de/ausland/macron-
nato-101.html
3
  Spiegel. Macron fordert Bildung einer "wahren europäischen Armee". 06.11.2018 // URL:
https://www.spiegel.de/politik/ausland/emmanuel-macron-fordert-bildung-einer-wahren-europaeischen-armee-a-123
6936.html
4
  Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-
Organisation und der Russischen Föderation. 27.05.1997 // URL:
https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_25468.htm?selectedLocale=de

                                                                                                           2
Trotzdem wächst der ständige Druck der Allianz auf unser Land immer
mehr. „Mit Blick auf 2030 wird Russland für das Bündnis höchstwahrscheinlich
die wichtigste militärische Bedrohung bleiben“5, wird im NATO-Bericht vom
25. November 2020 hervorgehoben. Eine „friedliche Rhetorik“ der Allianz bleibt
nur eine Tarnung des unfriedlichen Vorhabens. Die Fakten sprechen für sich selbst.
Insgesamt beträgt das kumulierte NATO-Verteidigungsbudget im Jahr 2020 rund
1028 Milliarden US-Dollar, dabei entfallen 717 Milliarden auf die Militärausgaben
der USA. Im Vergleich zum russischen Militärhaushalt sind die Militärausgaben
der NATO-Staaten 20-mal höher. Die Allianz führt regelmäßig Militärübungen in
der Nähe der russischen Grenzen: in Polen (Dragon 2019, Kevadtorm 2020) und in
den baltischen Staaten (BALTOPS 2019, Geleżinis Vilkas 2019) durch. Im Mai
2021 hält die NATO gemeinsam mit der Ukraine Militärübungen Defender Europa
2021 ab, die die größten Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges darstellen. Die
NATO-Übungen finden auf dem Balkan und am Schwarzen Meer statt. Im Februar
2021 erklärte die Leiterin der Abteilung für Information und Presse des
Außenministeriums der Russischen Föderation Maria Sacharowa, dass die
Manöver der Vereinigten Staaten im Schwarzen Meer eine Bedrohung für Frieden
und Stabilität seien6. Während der Manöver in der Nähe der westlichen Grenzen
Russlands konzentriert die NATO etwa 40.000 NATO-Soldaten. Der russische
Verteidigungsminister Sergej Schoigu sieht in NATO-Übungen eine direkte
Bedrohung für Russland, deshalb soll die russische Armee bereit sein, prompt auf
die sich verändernde Lage zu reagieren7. Der NATO-Druck auf Russland wächst,
der Ton der westlichen Staaten wird bedeutend grober und unbeherrschter. In
diesem Zusammenhang ergreift Russland alle notwendigen Maßnahmen, um
Sicherheit seiner Bevölkerung zu gewährleisten.
         In seiner Rede an die Nation am 21. April 2021 warnte der russische
Präsident Wladimir Putin den „kollektiven Westen“ vor dem Überschreiten der
5
  NATO 2030: Geeint in ein neues Zeitalter. 25.11.2020 // URL: https://www.auswaertiges-
amt.de/blob/2439466/0852f283a611b62ee0c852a700c4a820/201202-reflexionsgruppe-ergebnisse-
arbeitsuebersetzung-data.pdf
6
  Известия. В МИД России назвали маневры США в Черном море угрозой миру. 18.02.2021 // URL:
https://iz.ru/1126624/2021-02-18/v-mid-rossii-nazvali-manevry-ssha-v-chernom-more-ugrozoi-miru
7
  Интерфакс. Военные РФ следят за действиями НАТО в районе будущих учений Defender Europe.
22.04.2021 // URL: https://www.interfax.ru/world/762699

                                                                                                 3
"roten Linie" und unterstrich: „Organisatoren jedweder Provokationen, die die
Kerninteressen unserer Sicherheit bedrohen, werden ihre Taten so bereuen, wie sie
lange nichts bereut haben“8.
         Die NATO-Abschreckungsstrategie scheint sinnlos. Unser Land hat genug
Ressourcen und Mittel, um sich zu verteidigen. Russland hat in den vergangenen
Jahren seine Waffensysteme beträchtlich modernisiert. Heute verfügt das Land
über         Hyperschall-Raketen,              Hochpräzisenwaffensysteme,                 moderne
Raketenabwehrsysteme, Kampfjäger der fünften Generation und andere Waffen,
die von der hohen Kampfbereitschaft zeugen. Hacker-Angriffe werden zu einer
Waffe in den Händen der westlichen Staaten, deswegen lenkt man in den
russischen Streitkräften eine besondere Aufmerksamkeit auf die Entwicklung von
IT-Technologien und die Ausbildung von Fachleuten in diesem Bereich. Darüber
hinaus besitzt Russland die modernsten Atomwaffen und Raketen, die ein Schild
des Landes darstellen.
         Es soll aber all das nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden,
keinesfalls als Angriffswaffen. Die Kampfbereitschaft der russischen Truppen ist
auf dem höchsten Niveau, unsere Streitkräfte sind bereit, einem beliebigen Gegner
zu begegnen.
         Der kollektive Westen macht Russland ständig für alle Todsünden
verantwortlich und schlägt einen deutlichen Konfrontationskurs ein, denn die
NATO, nach den Worten von dem russischen stellvertretenden Außenminister
Alexander Gruschko, gehe weiter auf dem Weg der Konfrontation mit Russland
und versuche, die sogenannte Bedrohung aus dem Osten zu rechtfertigen, um ihre
Bestimmung unter neuen Sicherheitsbedingungen zu begründen9. Andererseits
versuchen dadurch die westlichen Länder, vor allem die USA, eigene innere
Probleme einschließlich enormer Staatsschulden, ungelöster Rassenfragen und
Zustroms von Migranten zu verbergen. Die USA können sich damit nicht abfinden,
dass sie den Status eines Hegemons verloren haben und dass sie auf der Weltbühne

8
  Послание Президента Федеральному Собранию. 21.04.2021 // URL:
http://kremlin.ru/events/president/news/65418
9
  ТАСС. Грушко заявил, что НАТО идет по пути конфронтации с Россией. 25.03.2021 // URL:
https://tass.ru/politika/10995001

                                                                                                4
mit Russland rechnen müssen. Allerdings berücksichtigt das Russland und betreibt
in Bezug auf westliche Staaten zurückhaltende, abgewogene Politik. Trotz NATO-
Drohungen will Russland keine Eskalation, sondern steht für                                 Dialog und
Kooperation mit den westlichen Partnern. Schon im Jahre 1997 erklärte der
russische Generalstabsoffizier N. Andrejew in seinem Interview für die
„Lüneburger Zeitung“: „Beide Seiten müssen nach einem Kompromiss suchen“. Er
betonte, dass die existierenden Fragen und Wiedersprüche nicht durch
Auseinandersetzung und Streit, sondern nur durch Zusammenarbeit gelöst werden
sollten10. Diese Worte bleiben auch heutzutage sehr aktuell.

10
 Die Lüneburger Zeitung. Russischer Generalstabsoffizier nennt Voraussetzungen für eine NATO-Osterweiterung.
Nach Aussöhnung muß Partnerschaft folgen. 12.02.1997 – Nr.36

                                                                                                          5
Sie können auch lesen