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Soziale Normen. Prosoziales Verhalten in der Corona-Krise Andreas Diekmann ETH Zürich und Universität Leipzig
Prosoziales Verhalten ► Experimente mit Diktator-, Ultimatum-, Vertrauens-, Kooperationsspielen („Public Good Games“) zeigen, dass viele (nicht alle) Fairnessnormen folgen und sich (bedingt) kooperativ verhalten ►Die Validität von Ergebnissen „künstlicher“ Experimente in Laborumgebung ist zwar umstritten! ►Aber auch systematische Feldexperimente kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Feldexperiment Mehr als 100 Portemonnaies mit mehr als 100 € Inhalt plus diverse Karten und Füllmaterial und Visitenkarten mit in- und ausländischem Namen, hohem und geringerem Sozialstatus, Telefonnr. und Anschrift Systematisch und unter kontrollierten Bedingungen „verloren“ in allen Bezirken einer Großstadt (wenige Monate vor Corona) In einigen Geldbörsen war ein verschlüsselter USB-Stick mit Aufschrift „Geschäftsunterlagen“ und ein Sicherheitschlüssel. Diese Dinge haben kaum Wert für den Finder, aber großen Wert für den Verlierer. Hat Empathie für den Verlierer einen zusätzlichen Effekt? ► Wie viele sind zurückgekommen?
Feldexperiment Prosoziales Verhalten 100 € value in wallet 80% returned in original state 70% 60% 58% ► Im Durchschnitt über alle 40% Versuchsgruppen mehr als 60 20% Prozent ehrliche Finder! 0% Without key and USB stick With key and USB stick ► Hoher Anteil prosozialen und normorientierten Verhaltens. Empathie verstärkt noch den Effekt! Publikation noch gesperrt. Bitte Ergebnisse des Diekmann, Näf, Widmer 2020 Feldexperiments nicht weiterleiten.
• Die Bereitschaft zu prosozialem Verhalten in einer Gesellschaft ist eine wichtige Grundlage für die Befolgung von Normen in Krisensituationen • Akzeptanz und Legitimität der Normen (Gegenbeispiel: Prohibition in den USA) • Klare Regelungen, Monitoring, Sanktionierung ► Unter bestimmten Bedingungen werden Normen in extremen Krisensituationen befolgt:
Soziale Norm „Frauen und Kinder zuerst“ – Befolgung von Normen in einer extremen Krisensituation! Men 86 83 78 66% Class I II III Crew Women Bild Willy Stöver, Wikipedia Commons 97 % der Frauen der I. Klasse 54 haben überlebt! 13 12 3% I II III Crew Sex Z Inter- Morta- Multiple causes action lity risk plus guardian.co.uk effect Social Y interaction class Diekmann 2007, Empirische Sozialforschung: S. 733 X (Daten von Dawson 1995)
Soziale Normen: unter welchen Bedingungen werden sie befolgt? Links Rechts ► Edna Ullmann Margalit, 1977. The Emergence of Norms Links 1,1 0,0 1. Koordinationsnormen (z.B. Rechts fahren): Die Norm legt eins von mehreren (Nash-)Gleichgewichten eines Rechts 0,0 1,1 Koordinationsspiels fest. Die Befolgung ist im Eigeninteresse! C D 2. Kooperationsnormen: (z.B. Steuern zahlen, umweltbewusst handeln): Hier führt die eigennützige Strategie zu einem C 3,3 0,5 „schlechten“ Gleichgewicht. Die Norm legt ein Verhalten fest, dass zu einem gesellschaftlichen Optimum führt. ► Die Nicht- D 5,0 1,1 Befolgung ist im Eigeninteresse! Kooperationsnormen führen zum kollektiven Optimum
Warum war „social distancing“ erfolgreich? • Die Norm schützt mich und gleichzeitig den Anderen! Sie wird auch im Eigeninteresse befolgt! • Die Norm, Abstand zu halten, ist eine Koordinationsnorm ähnlich dem Rechtsfahrgebot.
Abstandsregeln, Reduktion von Kontakten und der Mobilität wurden schon vor Einführung der Maßnahmen praktiziert! Google Android Daten 23. März Kontaktsperre Epidemiologisches Bulletin 17, 2020 (rki)
Warum war die „dringliche Empfehlung“ Masken zu tragen nicht erfolgreich? Die einfachen „chirurgischen“ Masken schützen bekanntlich nicht (oder weniger) den Träger. Sie dienen dem Fremdschutz. Wenn alle Masken tragen, sind alle (zumindest besser) geschützt. Masken tragen, ist ein Kollektivgut. Mund-Nasen-Schutz aufsetzen ist eine Kooperationsnorm! Im Eigeninteresse liegt es dann leider, die Norm nicht zu befolgen! Deswegen ist eine Maskenpflicht erforderlich. Sie wurde spät eingeführt und es gibt Probleme mit der Versorgung von Masken (der Preis für OP-Masken vor Corona lag bei 10 Cent!). ► Erst nach Einführung der Maskenpflicht wurde die Norm befolgt!
60 – 80 Prozent Befürwortung von Schutzmasken! Das heißt aber nicht, dass auch so viele eine Maske tragen! ► Bei Kooperationsnormen findet man typischerweise eine starke Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten! G. Wagner et al. 2020, DIW aktuell 35
Vor Einführung der Maskenpflicht kaufland.de Vor Einführung der Maskenpflicht am Montag, 27.4., hat nur eine Minderheit die „dringliche Empfehlung“ zum Tragen einer Maske befolgt.
Vor Einführung der Maskenpflicht Nach Einführung der Maskenpflicht Supermarkt in der Pfalz am 2.5. 100% halten sich an die Maskenpflicht. Foto Diekmann t-online.de kaufland.de Vor Einführung der Maskenpflicht am 27.4. hat nur eine Minderheit die „dringliche Empfehlung“ zum Tragen einer Maske befolgt.
Staaten, die die Pandemie erfolgreich gemeistert haben, haben früh mehrere der folgenden „nicht-pharmazeutischen Maßnahmen“ ergriffen: 1. Social distancing („Home Office“, Kontakt- und Ausgangssperren, Schulschließung etc.) 2. Masken tragen, wo Abstand halten nicht gelingt 3. Nachverfolgung von Infektionen (z.B. durch Tracking Apps) und Quarantäne Infizierter Bevölkerung Covid-19 Todesfälle* Taiwan 24 Mio. 6 Südkorea 52 Mio. 254 Slowakei 5 Mio. 25 Tschechien 11 Mio. 254 Österreich 9 Mio. 606 > Faktor 100 Norwegen 5 Mio. 215 Finnland 6 Mio. 246 Schweden 10 Mio. 2854 UK 56 Mio. 29502 *Johns-Hopkins Univ. 5.5.20
Die Tracing App ist auch ein Kollektivgut! Eine Mehrheit akzeptiert die App – aber werden die Befürworter sie auch aufschalten? G. Wagner et al. 2020, DIW aktuell 35
Auch die Nutzung von Tracing Apps ist ein Kollektivgut – Aber ein ganz besonderes! Entscheidung für dezentrale App, die auf Bluetooth-fähige Smartphones freiwillig aufgeschaltet werden kann (siehe auch Vortrag von Frauke Kreuter). Es müssen mindestens x% der Bevölkerung kooperieren. x wird derzeit mit 60 angegeben. Wenn ein Schwellenwert (60 %) vorliegt, ab dem überhaupt ein Nutzen gegeben ist, handelt es sich um ein sogenanntes Contribution Game. Die Produktionsfunktion des Kollektivguts ist eine Stufenfunktion. Im Extrem: Alles oder nichts – unter dem Schwellenwert nichts, darüber alles! Auf die Bedeutung unterschiedlicher Arten von Produktionsfunktionen haben die Soziologen Marwell/Oliver, A Theory of Critical Mass hingewiesen. (Marwell/Ames 1979 haben das Kollektivgutspiel eingeführt, das heute so populär in der „Verhaltensökonomie“ ist.) ► Ganz so extrem wird es aber nicht sein:
Die App als Kollektivgut – der Nutzen hängt stark von der Produktionsfunktion ab! Nutzen der App Singapur X = 20% % Bevölkerung, die die App verwenden. Schwellenwert x = 60%? Je sanfter die Funktion (Produktionsfunktion) ansteigt und je geringer der Schwellenwert, um so erfolgreicher ist die App. Je mehr sich aber die Kurve der Stufenfunktion („Contribution Game“) annähert, um so riskanter ist der Erfolg des Unternehmens! Dabei stellen sich zwei Probleme: Es müssen a) genügend Personen die App aufschalten und b) positiv Getestete müssen bereit sein, ihren Status mitzuteilen. Man muss sich bei Freiwilligkeit schon starke Anreize überlegen, damit beides gelingt!
► Für die Soziologie ist es in der Krise von Interesse zu studieren: Unter welchen Bedingungen werden neue soziale Normen entstehen und in welchem Ausmaß werden sie akzeptiert und befolgt? ►Für die Politik ist es wichtig zu wissen: Welche Maßnahmen können neuen Normen Geltung verschaffen? Dabei sind wichtig: Die Charakteristika sozialer Normen die Art der „Herstellung kollektiver Güter“ und Akzeptanz, Monitoring, Verpflichtungscharakter von Kooperationsnormen
Foto Daniel Reinhardt, dpa ► „Kooperationsnorm“ ist ein anderes Wort für Solidarität! ► Und die ist nötig, wenn Wirtschaft und Gesellschaft weiter geöffnet werden sollen!
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