Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen

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Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
Die Zeitung des NeuLand e.V.   www.neulandzeitung.com		           Ausgabe 1/2017

                                                    Kultur verstehen
                                                    Wann ist ein Nein ein
                                                    Nein? Seite 10

                                              Ankommen
                                              Wie Träume wahr
                                              werden Seite 14

Schwerpunkt
Zwei junge Jesidinnen rütteln auf Seite 7

Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
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                                    Liebe Leserinnen und Leser,
       die Themen Flucht und Migration sind seit Jahren aus politischen Debatten, den Medien oder aus
      persönlichen Gesprächen nicht mehr wegzudenken. Es ist das erklärte Ziel von NeuLand, auch den
 Menschen, die hierher geflohen oder migriert sind, eine Stimme zu geben. Dank dieser Stimmen sind Neu-
 Land-Autoren nicht mehr nur „Flüchtlinge“ und „Migranten“, sondern werden zu Menschen mit Gesichtern
und Geschichten – und damit zu Gesprächspartnern auf Augenhöhe. Denn: Um in Kontakt treten zu können,
 um durch Kommunikation Verständnis und Nähe zu ermöglichen, ist sichtbar sein und gesehen werden für
 beide Seiten unerlässlich. Beim Lesen dieser 4. Ausgabe können Sie die Herausforderungen der Flucht nach-
 vollziehen und miterleben, wie anstrengend, schwierig, aber auch freudvoll es sein kann, hier anzukommen.

    Als Schwerpunkt in dieser Ausgabe finden Sie zwei Artikel von zwei jungen Frauen, in denen sie das
Schicksal ihrer jesidischen Freunde und Verwandten schildern. Von IS-Terroristen verfolgt und misshandelt,
                         nehmen viele von ihnen den Weg nach Deutschland auf sich.
  Im Anschluss an diesen Schwerpunkt lesen Sie, was es in Deutschland zu entdecken gibt, wenn man den
langen Prozess des Ankommens durchlaufen hat. Was ist anders als in der eigenen Heimat? Wie kann ich das
 Verhalten der anderen deuten? Wie löse ich Probleme und wie verwirkliche ich meine Träume? Antworten
                          auf diese Fragen finden Sie im letzten Teil dieser Ausgabe.

                                Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.

                     Susanne Brandl, Raphael Müller-Hotop und das NeuLand-Team

              Die Autoren dieser Ausgabe

                           Adnan Albash    Deutsch-Klasse München     Dunia Barrera          Masiullah Harres

                         Munkhjin Tsogt      Samra Alabdo           Schirin Mirza Khalaf      Sultan Mirza Khalaf

                                                                                                                     Du?

                           Valeria Vairo          Sirin              Iimaan H., Dawit      Deutschkurs Mallersdorf
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STARKE STIMMEN ALLER ART
Fotos: Caro Poullain

Unsere dritte Lesung am 05. März 2017 war wieder ein großes Vergnügen. Umrahmt von der im Köşk ausgestellten Kunst, erleb-
ten die Anwesenden wie fünf NeuLand-Autoren ihre Artikel zum Leben erweckten, zwischendrin gab es musikalische Einlagen
mit syrischen Klängen bis hin zu Rap aus Ghana. Wir danken ganz herzlich allen, die diese Veranstaltung verwirklicht haben.
Ganz besonders möchten wir den NeuLand-Autoren Munkhjin Tsogt, Gregory Awiey Goc, Adnan Albash, Bilal Sharif und

James Tugume danken. Außerdem gilt unser besonderer Dank den vielen Musikern, die den Abend so wunderbar bereichert ha-
ben: Die Band Arabiska mit Samra Alabdo, Abdo Hmidan, Ibrahim Senjab und Nabil Nissan, Hassan Alasadi mit seiner Gitarre
und der Rapper Pa Modou. Außerdem geht noch ein Dank an das Köşk-Team: Es war großartig bei euch!
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Mein Weg
Erinnerungen an den gefährlichen Weg
nach Deutschland (Teil IV)
Autor: Iimaan H., Somalia              Illustration: Elena Buono

Dies ist Teil IV von Iimaan H.‘s         Geschäftsstelle der UN einen
Fluchtbericht. Teil I, II & III sind     Flüchtlingsausweis zu bekom-
auf www.neulandzeitung.com               men, den auch die libyschen
zu finden. Am Ende des Teil III          Soldaten respektierten. Zusam-
beschrieb der NeuLand-Autor              men mit drei Landsleuten fuhr
wie sein Versuch über das Mit-           ich mit einem Taxi in die Nähe
telmeer zu kommen zunächst               der Grenze zwischen Libyen
scheiterte und er dann - zurück          und Tunesien. Wieder wurden
in Tripolis - völlig mittellos und       wir von Milizionären gefangen
ohne Papiere ins Gefängnis kam.          genommen, die an der Grenze                 Insgesamt hat Iimaan
Der folgende Bericht bezieht sich        kontrollierten. Wir verstän-                innerhalb von vier Jahren
auf den Zeitraum April 2014 bis          digten uns, dass wir in einem               ungefähr 10.000 Kilome-
August 2016.                             unübersichtlichen         Gelände           ter zurückgelegt.
                                         abspringen wollten, denn das
                                         Fahrttempo war im Wüsten-
                                         sand nur gering. Als wir davon

M
                                         rannten, wurde einer meiner
          it mir waren da noch           Begleiter, der ein verletztes Bein
          einige Somalier ge-            hatte, erschossen. Die Grenz-
          fangen. Libyer sind            soldaten nahmen uns wieder
gegenüber Somaliern misstrau-            mit, ließen uns aber nach ei-            fahrt stehen mussten. Nach lan-   gewiesen, wo ich darauf warte,
isch, weil sie diese für unzuver-        nigen Stunden laufen, weil wir           gen Stunden nahm uns ein itali-   dass mir Asyl gewährt wird.
lässig halten und annehmen,              sagten, wir wollten nach Euro-           enisches Schiff auf und brachte   Meine Flucht dauerte insgesamt
dass sie, wann immer möglich,            pa und nicht in Libyen bleiben.          uns nach Sizilien. Insgesamt      zwei Jahre und kostete mich
fliehen. Sie erlauben also So-                                                    dauerte die Fahrt 24 Stunden.     und meine Familie etwa 3000
maliern nicht, das Gefängnis             Endlich Europa                           Aber das Wichtigste hatte ich     Dollar. Zwei Monate verbrachte
zu verlassen, um Geld zum                                                         erreicht: Ich lebte noch und      ich in Gefängnissen in Libyen.
Freikauf verdienen zu können.            Schließlich kam ich doch nach            war in Europa. Mein Ziel war      Seit ich eine Berufsintegrati-
Als aber zwei Männer für Re-             Tunesien. Dort blieb ich drei            Schweden, weil dort ein Bruder    onsschule besuchen kann, wird
novierungsarbeiten an Türen              Monate. Gelegentlich fand ich            von mir lebt.                     mir das Warten leichter. Ich
und Fenstern gesucht wurden,             Arbeit, zum Beispiel half ich,           Ich schlief einige Nächte im      komme sehr gerne dorthin, um
nutzte ich diese Chance und              Container abzuladen, um nicht            Freien unter Brücken, hatte       zu lernen. Wenn ich den Schul-
bot mich als Fachmann an. Der            zu verhungern. Mein Ziel war             Hunger und nichts zu essen.       besuch erfolgreich abschließe,
„Arbeitgeber“ war ganz zufällig          immer noch die Fahrt über das            Ein Landsmann half mir mit        hoffe ich einen Ausbildungs-
der Offizier, der uns gefangen           Meer nach Italien. Dazu musste           dem Zug von Bologna aus nach      platz zu finden. Im August hat
hatte. Mit mir zusammen mel-             ich nach Libyen zurückkehren.            Deutschland zu gelangen. Im       mich übrigens mein Bruder aus
dete sich ein Mann aus Ghana.            Inzwischen hatte mein Bruder             Zug gab mir ein Ehepaar aus       Schweden besucht.
Wir arbeiteten zuverlässig und           in Somalia mit großer Mühe               Deutschland ein wenig Geld
gut, so dass mir der Offizier die        600 Dollar zusammen gebracht,            und Essen. Schließlich erreich-
Freiheit versprach. Auf diese            damit ich eine Überfahrt be-             te ich den Hauptbahnhof Mün-
Weise kamen wir nach 45 Ta-              zahlen konnte. Ich suchte und            chen. Dort erklärte mir ein
gen tatsächlich frei.                    fand eine weitere Gelegenheit,           Somalier, wie man zur Bayern-
Weil ich nur einen vorläufigen           auf einem Schlauchboot das               kaserne kommen kann. Dort
Ausweis der UN in Tripolis               Meer zu überqueren. Diesmal              blieb ich vom Mai bis zu 15.
hatte, wollte ich nach Tune-             war das Boot so voll, dass wir           Juni 2015. Schließlich wurde
sien gehen, um dort bei der              zum Teil während der Über-               mir ein Platz in Ebersberg zu-
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                                  Mein Ankommen in
                                     Deutschland
                                  Autorin: Samra Alabdo, Syrien Illustration: Antje Krüger

                                                                  Der Weg nach Deutschland ist für die meisten
                                                                  Geflüchteten nur eine erste Etappe. Auch um hier
                                                                  wirklich „anzukommen“, muss man schwierige Wege
                                                                  zurücklegen und über sich hinauswachsen.

E
       in Jahr habe ich gebraucht, um mich hier wohl zu fühlen.       Weg zum Einleben und Integrieren. Außerdem habe ich mich im-
       Ich erinnere mich noch an meinen Anfang, als ich nach          mer wie eine fremde Person in diesem Land gefühlt und ich gehör-
       Deutschland geflüchtet bin. Damals habe ich mich plötzlich     te nicht dazu. Ich musste gegen diese Gefühle und diese Schwierig-
in einem neuen Land, einer neuen Kultur wieder gefunden, wo           keiten kämpfen und nicht aufgeben.
alles ganz schwierig für mich war. Besonders als ich versucht habe,
mit den Leuten Kontakt aufzunehmen. Es war nicht so einfach, wie      Ausgehend von dieser Überzeugung fing ich an, mein Leben zu
ich gedacht habe, weil ich unter vielen Problemen gelitten habe.      verändern und habe die deutsche Sprache bis Stufe B1 alleine ge-
                                                                      lernt. Heute lerne ich in einer Sprachenschule weiter und ich werde
Vor allem waren es die falschen Dokumente, die ich als ID von der     versuchen, einen Studienplatz an der Universität zu bekommen.
Stadt bekommen hatte. In meinen Unterlagen wurde geschrieben,         Eigentlich ist es nicht einfach, in Deutschland anzukommen und
dass ich verheiratet bin und zwei Kinder habe. Ich war zwei Mona-     braucht viel Mühe. Ich weiß jedoch, dass ich mich bemühen werde
te damit beschäftigt, um diesen Fehler korrigieren zu lassen.         und beharrlich sein werde. Inzwischen habe ich viele nette Freun-
                                                                      de gefunden, die mir ohne zu zögern viel geholfen haben. Ich weiß,
Ich musste auch in einer großen Turnhalle mit etwa 300 Leuten         dass es viel Arbeit kostet, um Erfolg zu haben und es viele Schwie-
bleiben. Dort gab es keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen oder        rigkeiten zu bewältigen gibt. Aber dies macht mich fleißig und
mich zuhause zu fühlen.                                               nicht verzweifelt.

Das Wetter in Deutschland fand ich unglaublich. Man erlebte alles     Jetzt, in diesem Moment, liegen nur noch wenige Schritte zwi-
an einem einzigen Tag: Es scheint die Sonne, es regnet und            schen mir und meinem Traum und ich sehe, dass meine Wünsche
schneit manchmal gleichzeitig. Dies waren die Steine auf meinem       für die Zukunft richtig sind.
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     Mein erster Eindruck
     Erste Texte einer Alphabetisierung-Klasse, unterrichtet von Valeria Vairo (siehe Seite 7)

                                                                                                      Mein Name ist Dalil, ich
                                                                                                      komme aus Syrien und bin                             Ich kom
                                                                                                                                                                     me aus
                                                                                                                                                          hier in            S
                                                                                                      32 Jahre alt. Als ich nach                                   Deutsc yrien, ich bin
                                                                                                      Deutschland gekommen bin,                           ne Frau          hland a
                                                                                                                                                                   u                 lleine,
                                                                                                      habe ich gedacht, dass ich viele                   in Syrie nd meine To                me
            Ich bin 2014 al                                                                                                                                       n gebli            chter s i-
                             lein nach                                                                Schwierigkeiten finde. Aber                       Begegn            eben. M            ind
            Deutschland ge                                                                                                                                       un                  ein
                              kommen. Es                                                              hier habe ich viele nette Leute                  mit dem g in Deutsch e erste
            war Herbst und                                                                            gefunden, sie haben uns viel                                H elferk          la nd war
                              für mich war                                                                                                             uns fre
           es sehr kalt. So                                                                           geholfen, beim Deutsch lernen                             undlich reis, sie habe
                            fort haben uns                                                                                                            haben              begrüß            n
           viele Leute geho                                                                           und Arbeit finden. Ich werde                             zu                 tu
                             lfen. Ich bin                                                                                                           getrun sammen gege nd wir
           ein Jahr alleine                                                                           ihre Hilfe nicht vergessen, wir                         ke                  ss
                            geblieben und                                                             sind jetzt eine Familie. Dalil                 Camp n. Ich lebe in en und
          habe meiner Fa                                                                                                                                     und es              einem
                            milie geholfen,                            einer                          M. (Syrien)                                   es gibt          ist nich
          sie hat mich na                                   mit m dapest                                                                                     im              t einfac
                           ch zwei Jahren        Ich b i n
                                                                      Bu                                                                           und Sc mer sehr lau                  h,
         erreicht. Heute                                  ie von                 om-                                                                        hlägere            te
                                                                                                                                                                    ien und Musik
                           leben wir hier         Famil ünchen gek die                                                                             nicht s
                                                                                                                                                           ch                 ich
         in München un
                           d ich mache                     M
                                                   nach ort haben               w ir                                                              (Syrien lafen. Abdul K kann
         einen Deutsch                                    . D                     n d sind                                                                )                   ader M
                         kurs. Später               me n                     n
                                                                    troffe fah-
                                                                                u                                                   Onkel                                               .
         möchte ich eine
                            Arbeit finden.          Poliz   e i ge
                                                                            rg ge                                 m   it meinem nach
         Mohammed, Y.                                           tarnbe                  wir            Ich bin em Cousin
                         , Syrien                    nach S dort haben aus                              und m
                                                                                                                  ein            ommen
                                                                                                                                          .
                                                                 d
                                                      ren un t. Viele Leu n
                                                                                        te
                                                                                                              t s ch  la nd gek urden
                                                                  n                      be             De  u                   en  w
                                                                h
                                                       gewo lferkreis h                a                              Münch
                                                                 H   e             l l e waren           Hier in nt, sie sind
                                                        dem                   n. A                                   ren
                                                                                                         wir get ch Hamburg r
                                                                     h o l fe              A.M.
                                                         uns ge t. Haitham                                  e it e r  na
                                                                                                                                   h bin h
                                                                                                                                           ie
                                                                      et                                  w
                                                           sehr n                                                       n und ic            h
                                                                 r ie n)                                   gefahre . Ich hoffe, ic
                                                            (Sy                                                   li e b e n            r.
                                                                                                            geb                   wiede
                                                                                                                         ie bald n)
               ich komme au
                                    s                                                                        treffe s
Ich bin Rita,                                                                                                              T. (S ie
                                                                                                                                y r
              h bin allein     e n ac  h                                                                      Khaled
dem Irak. Ic                                                                           aus
                gefah   re n , m  ei n                                         m me ch-                                                     Als ich in Deuts
                                                                                                                                                              chland mit mei
 Deutschland                                                               ko        uts                                                                                       ner
         un d se ine Verwandt
                                     en
                                                                n i und ch De in                                                            Familie angeko
                                                                                                                                                            mmen bin, hatte
 Man   n                             Als                      a          n a         es                                                     mein Kind Fieb
                  in Münch      en .                   in R h bin , weil in von -                                                                            er. Wir sind so
 waren schon                           ich         h b
                                                 Ic en. I      c           n           b        h                                                                            fort
                 men bi    n , ha be
                                                      i               me . Ich             gefa                                            ins Krankenha
                                                                                                                                                           us gefahren. D
  ich angekom            s de   m   Ir ak          Syr gekom g gibt chland eg-                                                             ein Arzt gekom                  ort ist
                   te au                                              e                                                                                     men und hat m
  sehr viele Leu                   Ein              land en Kri Deuts ste Beg r mit                                                        Sohn geholfen.                    einem
      d aus Sy ri en gesehen.                             i
                                                      Syr n nach eine er and w vier
                                                                                             a                                                             Das Krankenha
   un
                    später    ko n  nte ich                  e                       l                                                    schön, sauber un                   us war
   paar Stunden
                                                           i
                                                        W und          m        sc be f r lings-
                                                                                   h        ü                                                                d organisiert. Ic
                               . Je tzt habe                                eut        a                                                  mich sicher ge                       h habe
    meinen Man
                   n treff en
                                       hier              ren g in D . Ich h Flücht ich                                                    kümmert man
                                                                                                                                                         fühlt. In Deuts
                                                                                                                                                                          chland
                    und ich bin                               u n           e i        m        be
    ich ein Kind,                er   Fa milie
                                                            n Poli
                                                                  r
                                                                          z
                                                                              n e ine etzt ha rbeit. .                                    Gesundheit de
                                                                                                                                                          sich sehr viel um
                                                                                                                                                                              die
                    mit mei    n                              de ate i hnt. J ine A ani A                                                                r Menschen. Ic
    in München                                                        n                    e                                                                             h liebe
                    h. Rit a.  F.  (I rak)                       Mo r gewo r und eden. R                                                 Deutschland un
                                                                                                                                                          d ich hoffe, dass
     sehr glücklic                     n)                          lag Zimm r zuf i
                                                                       e           e       r                                             Sohn eine gute                      mein
                    Ali H. (Syrie                                                                                                                        Zukunft in Deu

                                                                                                                                                                                                   Illustration: Antje Krüger
     Moh  am  m ad
                                                                     ein bin seh                                                         haben kann. A
                                                                                                                                                        hmed Z. (Syrien)
                                                                                                                                                                           tschland
                                                                      Ich ien)
                                                                             r
                                                                         (Sy

                                                                                        Ich w
                                                                                               o
                                                                                       imme llte schon
                                                                                               r nac
                                                                                      fahre          h Eur
                                                                                             n               op
                                                                                     in De . Ich bin je a
                                                                                            utsch            tzt
                                                                                    Deut           land,
                                                                                          sc               le
                                                                                   eine g h und ich rne
                                                                                          ute A           wi l l
                                                                                  Ich k           rbeit
                                                                                        an              fi
                                                                                 zeich n sehr gu nden.
                                                                                        n              t
                                                                                Syrie en und ha
                                                                                      n               b
                                                                               gearb als Dekor e in
                                                                                      eitet.         ateur
   Was uns in München sehr gefällt (Asmeret T.                                Ali H          M
                                                                                    . (Syr ohamma                        Was uns in München weniger gefällt (Asmeret T.
                                                                                           ien)             d
   aus Eritrea, Roget B. und Afaf. B aus Syrien)                                                                          aus Eritrea, Roget B. und Afaf. B aus Syrien)

                  Die Leute sind nett.                                                                                        Eine Wohnung zu finden ist sehr schwer.
                   Die Schule ist gut.                                                                                    Wir leben außerhalb der Stadt und müssen lange
         Die Lehrerin ist sehr nett und sehr gut.                                                                            gehen, um einen Supermarkt zu erreichen.
               Das Krankenhaus ist gut.                                                                                  Zur Schule fahre ich zwei Stunden hin und zurück.
              Die Polizei kommt schnell.                                                                                                Ich habe keine Arbeit.
               Ich kann Deutsch lernen.                                                                                  Ich lebe seit zwei Jahren in einem Camp, jetzt mit
                   Ich mag das Bier.                                                                                               sechs Frauen in einem Zimmer.
Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
7                                                 Ausgabe 1/2017

                                                                                 Meine Helden

    Aus dem Leben der Deutschlehrerin Valeria Vairo (2. v.l.u.; Journalistin und Buchutorin)

E
      inige junge Männer aus       und komischen Grimassen.           ganz bei Null anfangen und es       zeichnete ein Gesicht an die Ta-
      Syrien, eine junge Dame      Ich kannte meine Aufgabe vor       war nicht einfach. Kopfschmer-      fel, dem alle Haare vom Kopf
      aus Eritrea, eine aus dem    dem Kurs – zumindest theore-       zen, Nacken- und Handkrämp-         abstanden und das ganz schiefe
Irak und eine aus Syrien, das      tisch: Ich sollte den Gästen aus   fe waren die ersten Feinde, die     Augen hatte. Darunter schrieb
waren die Teilnehmer meiner        anderen Ländern das deutsche       sie bei den ungewohnten ersten      ich meinen Namen. Wir muss-
ersten Deutsch-Klasse in Mün-      Alphabet beibringen und na-        Schreibübungen überwinden           ten alle herzhaft lachen, dann
chen.                              türlich einfache Strukturen und    mussten, ich habe ihnen mit         waren wir alle wieder bereit,
                                   Wörter der Sprache, die in ih-     Fingerjoga und Gymnastik da-        neu anzufangen.
Als ich vor ungefähr acht Mo-      rem Gastland gesprochen wird.      gegen geholfen. Dann kamen
naten das erste Mal in die Klas-   Mir wurde aber erst in diesem      die Buchstaben, die im Deut-        Über alle Schwierigkeiten und
se hineinging, fühlte ich mich     Moment klar, was das bedeute-      schen gemeinerweise auch            Probleme haben wir stets ver-
eingeschüchtert von den vielen     te.                                noch groß und klein sein kön-       sucht zu sprechen und das
schwarzen Augen, die mich                                             nen und die alle auf einer Linie    Schönste war, dass die Sätze
anschauten und die etwas von       Mir stockte der Atem und ich       stehen sollen, sogar von links      mit der Zeit mit immer weniger
mir zu erwarten schienen. Ich      ging gedanklich zurück in die      nach rechts und von oben nach       Gesten unterstrichen werden
lächelte sie an und sagte „Gu-     Zeit, als ich an der Mailänder     unten! Und das alles sollten sie    mussten, da sie immer mehr
ten Tag“, dann wanderte mein       Universität Deutsch studiert       lernen mit der Sorge um die Fa-     deutsche Wörter enthielten.
Blick sofort in die Runde auf      hatte, jedoch unter ganz ande-     milie, die sich aus Aleppo nicht
der Suche nach einem erwi-         ren Bedingungen. Zum einen         meldete, den Mitbewohnern,          Inzwischen können meine Hel-
derten Lächeln und ich wurde       konnte ich schon schreiben,        die in der Nacht laute Musik        den einfache Sätze schreiben,
nicht enttäuscht. „Guten Tag“,     zum anderen sprach ich schon       spielten und dem Warten auf         sogar 20 Minuten lang ohne
antworteten sie. Ich war er-       mehrere Sprachen und dann          das Geld vom Amt, das manch-        Krämpfe in den Händen oder
leichtert. Wir hatten die ersten   hatte ich eine Familie, eine       mal nicht kam. Dazu die Woh-        Kopfschmerzen zu bekommen.
zwei Wörter auf Deutsch ausge-     Wohnung und ein ziemlich ein-      nungssuche, die nicht geklappt      Natürlich machen sie Fehler
tauscht, einer Sprache, die für    faches Leben. Ich konnte mich      hatte und die Tatsache, dass sie    und die Buchstaben tanzen auf
uns alle eine Fremdsprache ist.    voll und ganz auf die neu zu       all das in einer Sprache bewäl-     der Linie und manchmal sind
Ich bin nämlich auch eine Aus-     erlernende Sprache konzentrie-     tigen sollten, die sie noch nicht   sie zu groß oder zu klein oder
länderin, eine Italienerin.        ren. Und trotz allem weiß ich,     kannten.                            ziemlich schief, aber glauben
                                   welche Mühe es mich gekostet                                           Sie mir, wenn ich an die ersten
Mehr als das konnte ich am         hat, eine Sprache wie Deutsch      Es gab Tage, an denen meine         Tagen denke, wird mein Herz
Anfang nicht erwarten, weil        zu lernen. Deutsch ist eine        Helden zu überfordert waren,        von Zufriedenheit übermannt.
keiner meiner Schüler Deutsch      schwere Sprache, das habe ich      Fortschritte im Unterricht zu       Ich bin stolz, dass meine Helden
sprechen oder schreiben konn-      am eigenen Leib erlebt.            machen - und ich auch. Einmal       auf ihrem schweren Lebensweg
te und ich kein Wort Arabisch.                                        atmete ich in so einer Situation    ein Stück weiter gekommen
Die erste Kommunikation zwi-       Mit meinen Helden, ja, ich         tief ein, riss mich zusammen        sind und dass ich sie ein Stück
schen uns bestand nur aus Lä-      nenne sie so, weil sie für mich    und stand von meinem Stuhl          auf ihrem Weg begleiten durfte!
cheln, Nicken, Gestikulieren       echte Helden sind, musste ich      auf. Alle schauten auf mich. Ich
Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
8                                         www.neulandzeitung.com

                                                        SCHWERPUNKT

                            Das Schicksal der Jesiden
        Für die folgenden zwei Texte sollten Sie sich Zeit nehmen. Diese Geschichten liest man nicht einfach zwischendurch. Zu grau-
        sam sind die Geschehnisse, von denen die jesidischen AutorInnen erzählen. Die Redaktion hat lange diskutiert und überlegt, ob
        die beiden Texte im Sinne von NeuLand publizierbar sind. Denn NeuLand will vor allem Nähe schaffen und Ängste nehmen.
        Aber es geht auch um Verständnis. Es geht auch darum, zu verstehen, was die Jesiden erleiden mussten und noch müssen, wie
        es ihnen jetzt geht und wie sie ihre Traumata verarbeiten. Die jungen AutorInnen schreiben aus ihrer Perspektive, sie schildern
        ihre persönlichen Erfahrungen.
                                                           Autorin: Sirin, Irak

M
           eine Kindheit ist noch    ben waren einfach zu tief und          Die Frauen hatten sie zu ihren     mit einem Boot weiter gereist.
           nicht lange her und       zu breit. Später wurden auch           Frauen gemacht und als Skla-       Danach kamen wir mit vielen
           doch verschwimmen         Pakete in unserer Nähe abge-           vinnen gehalten                    anderen in einen großen LKW,
viele Erinnerungen. Ich war 16       worfen und wir hatten wieder                                              der sehr dunkel war. Es hat da-
Jahre alt, als der sogenannte ‚Is-   etwas zu trinken – und Tuben           Im Lager hörten wir dann,          rin gestunken und ich hatte das
lamische Staat‘ unser Dorf im        wie Zahnpasta. Doch durch              dass die Menschen aus unse-        Gefühl, ich muss ersticken. In
August 2014 angegriffen hat.         diese Creme hatten wir auf ein-        rem Nachbardorf nicht fliehen      einem Wald wurden wir dann
Wir hatten viel von ihm gehört,      mal keinen Hunger mehr.                konnten. Der IS hatte sie ge-      aus dem Auto gelassen. Sie
seit er zwei Monate zuvor die                                               zwungen, entweder den musli-       sagten uns auf Arabisch, dass
Menschen in Mossul überfallen        Ein paar Tage haben wir dann           mischen Glauben anzunehmen         wir in Deutschland seien und
hatte, und wir wussten, was uns      noch gewartet. Immer wie-              oder zu sterben. Man hat spä-      in welche Richtung wir lau-
erwarten würde. Als die ersten       der hörten wir auch Schüsse            ter Gräber mit vielen Leichen      fen sollten. Kurze Zeit später
Schüsse fielen, machten wir uns      in unserer Nähe und sahen              gefunden. Es waren aber nur        kam die Polizei. Wir hatten alle
auf den Weg in die Berge. Das        Flugzeuge und kurz danach              Männer und Jungen darin. Die       große Angst, denn die Polizei
ganze Dorf rannte um sein Le-        große schwarze Säulen, die bis         Frauen und Mädchen hatte der       in der Heimat ist nicht immer
ben, auch mein Papa und vier         zum Himmel reichten, sowie             IS mitgenommen und sie zu          freundlich.
meiner Geschwister. Mama und         laute Knallgeräusche. Es war           ihren Frauen gemacht und als
meine älteste Schwester waren        so schlimm. Einerseits war es          Sklavinnen gehalten.               Die Frauen und Männer in
nicht dabei, denn sie waren im       immer so still, weil niemand                                              Uniform waren wirklich nett.
Nachbardorf, wo meine Tante          sprach. Nur wir beteten zu Gott        In dem Lager gab es keine Be-      Sie brachten uns in eine gro-
ein Kind erwartete.                  und Tawsi Melek (dem obersten          schäftigung, wir hatten kei-       ße Halle, wir bekamen heißen
                                     Engel im jesidischen Glauben).         ne Schule, die Kleinen hatten      Tee und etwas zu essen. Eine
Kinder versuchten Gras und           Aber andererseits war es dann          nichts zu spielen. Dabei ging es   nette Dame gab mir ein Tele-
die Rinde von den Bäumen zu          auch wieder so unendlich laut,         uns noch gut, denn die Lager       fon und so konnte ich meinem
essen                                wenn die Mütter und Groß-              waren voll und davor hausten       Vater sagen, dass wir Deutsch-
                                     mütter ihren Schmerz über die          Menschen im Dreck der Straße,      land erreicht haben. Er wein-
Wir liefen einen ganzen Tag          verstorbenen Kinder bewein-            weil sie keinen Platz gefunden     te vor Glück, hatte aber leider
durch die sengende Hitze, bis        ten. Papa versuchte über unser         hatten. Sie bekamen auch nichts    noch immer nichts von meiner
wir unsere heiligen Berge er-        Telefon immer wieder Mama              zu essen. Manchmal habe ich        Schwester und Mama gehört.
reichten. Hier waren wir wirk-       und meine Schwester zu errei-          einer Freundin, die dort lebte,
lich sehr, sehr lange. Es war so     chen – leider vergeblich. Ir-          etwas von meinen wenigen Sa-       Mein Bruder will ein berühm-
unerträglich heiß und wir hat-       gendwann sagte man uns, dass           chen abgegeben.                    ter Fußballprofi werden
ten nichts zu trinken, nichts zu     wir dann aufbrechen könnten.
essen. Nachts war es, ich weiß       Wir kamen, in Begleitung von           Mein Bruder und ich konnten        Nach zwei Wochen konnten
nicht warum, immer so unend-         kurdischen und jesidischen             nach Deutschland flüchten          mein Bruder und ich endlich zu
lich kalt. Ich habe Kinder gese-     Kämpfern, über die Rückseite                                              unserem Onkel nach Nieder-
hen, die versucht haben Gras         der Berge und Syrien zurück            Papa entschied sich dann,          sachsen reisen. Es ist eine klei-
und die Rinde von Bäumen zu          in unsere Gebiete. In der Nähe         mich und einen Bruder nach         ne Stadt, in der wir jetzt leben.
essen. Manche haben sich da-         von Dohuk wurden wir in Zel-           Deutschland zu schicken. Dort      Wir gehen beide endlich wieder
nach übergeben, einige sind          ten untergebracht. Wir hatten          lebt seit 2007 ein Onkel von       zur Schule. Es ist schwer, gleich
danach gestorben. Irgendwann         Decken und auch ein wenig zu           uns. Papa hat sich dafür sehr      zwei neue Sprachen zu lernen.
hörten wir Hubschrauber. Ich         essen und zu trinken. Es war           viel Geld von Leuten geliehen      Ich will neben Deutsch und
hatte so etwas vorher noch nie       zwar eng und wir waren zu siebt        und er weiß bis heute nicht, wie   Englisch aber auch noch schnell
gesehen. Sie warfen Pakete ab,       in diesem kleinen Zelt, aber an-       er das zurückzahlen soll.          Französisch lernen. Ich will stu-
wir versuchten diese zu errei-       dere waren sogar zu zehnt un-                                             dieren und dann als Anwältin
chen, aber es war unmöglich,         tergebracht.                           Wir sind dann in die Türkei        in meiner Heimat für Gerech-
dorthin zu gelangen. Die Grä-                                               gebracht worden und von dort       tigkeit sorgen. Mein Bruder
Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
9                                                  Ausgabe 1/2017

                                                                                                            ne Ahnung von Politik. Was ich
                                                                                                            aber weiß, ist, dass wir immer
                                                                                                            Probleme in der Heimat hatten,
                                                                                                            weil wir Jesiden sind. Jetzt höre
                                                                                                            ich, dass Deutschland wieder
                                                                                                            Jesiden in den Irak schickt, weil
                                                                                                            sie dort sicher sind. Das macht
                                                                                                            mich unendlich traurig, denn
                                                                                                            obwohl ich jung bin, weiß ich –
                                                                                                            das stimmt einfach nicht!

                                                                                                            Der schönste Tag in meinem
                                                                                                            Leben

                                                                                                            Ich höre oft: „Da habt ihr zwei
                                                                                                            aber Glück gehabt. Ihr habt es
                                                                                                            nach Deutschland geschafft.“
                                                                               Illustration: Antje Krüger   Haben wir Glück gehabt? Ich
                                                                                                            wollte nicht nach Deutschland,
                                                                                                            ich möchte mein altes Leben
spielt jeden Tag Fußball. Er will   Mama, Papa und meine ande-         ich mich nicht mehr an ihre          zurück. Mit meinen Eltern,
später Profi werden und viel        ren Geschwister fehlen mir so      Stimmen erinnern. Ich habe           meinen Geschwistern. Ich bin
Geld verdienen. „Dann kann          sehr                               Angst sie zu vergessen. Jeden        gerne sieben Kilometer zu Fuß
Papa seine Schulden bezahlen“,                                         Tag suche ich im Internet, ob        zur Schule gegangen. Ich war
sagt er, „und wir können Mama       Ich bin jeden Tag sehr trau-       Menschen dem IS entkommen            zufrieden. Ist es wirklich Glück,
und Sozan freikaufen.“              rig, denke jeden Tag an Mama       sind. Ich hoffe immer, wenn ich      von seiner Familie getrennt zu
                                    und frage mich, wie es ihr wohl    davon höre und habe immer            sein, nicht zu wissen, ob Mut-
Mein Onkel und meine Tante          geht. Aber mein Bruder und ich     wieder Angst, wenn von neuen         ter und Schwester noch leben?
sind sehr nett, aber ich weiß,      leben jetzt hier und wir müssen    Massengräbern die Rede ist.          Ich weiß, anderen geht es noch
sie haben selbst genug Sorgen       uns zurecht finden. An einem                                            sehr viel schlechter. Das macht
und Probleme. Ich will ihnen        Wochenende waren wir mit der       Wir fliegen zum Mond und             es nicht besser. Ich bewunde-
keine Last sein, aber wie kann      evangelischen Kirche an der        können wirklich meine Mama           re die Mädchen, die ich in Ba-
ich das ändern? Ich helfe so viel   Nordsee. Nach unserer Flucht       und meine Schwester nicht be-        den-Württemberg         getroffen
ich kann im Haushalt. Ich lerne     war es erst das zweite Mal, dass   freien?                              habe. Ich weiß jetzt, was sie
viel und gehe selten raus. Oft      ich so viel Wasser gesehen habe.                                        erlebt haben und wie stark sie
arbeite ich auch im Imbiss von      Ich glaube, ich möchte schwim-     Ich habe in der Schule viel von      sind. Dass sie weitermachen.
einem Freund meines Onkels.         men lernen.                        den Menschenrechten gehört.          Ich weiß nicht, ob ich auch so
Das Geld spare ich, damit Papa                                         Aber was nützt ein Blatt Pa-         stark bin.
bald wirklich keine Probleme        Die Mädchen in meiner Klas-        pier, wenn es nichts gilt? Ich
mehr wegen der Schulden bei         se sind wirklich nett, doch ir-    höre immer wieder, dass es gut       Ich muss es sein, für meinen
den Schleppern hat.                 gendwie gehöre ich nicht dazu.     ist, dass die UN den Genozid         Bruder und Papa und die ande-
                                    Ich sehne mich nach meiner         anerkannt hat. Das kann sein,        ren, die sich auf mich verlassen.
Deutschland ist wirklich sehr       alten Schule, hier waren sogar     ich weiß es nicht. Meine Mama        Papa sagt, wenn Mama und So-
schön, vor allem so sauber. Ich     mehrere Klassen unterschied-       kommt dadurch nicht frei, mei-       zan wieder da sind, wollen sie
habe eine Klassenfahrt in den       licher Stufen in einen Raum.       ne Schwestern werden dadurch         auch nach Deutschland kom-
Schwarzwald gemacht und hier        Die Lehrer waren viel strenger,    nicht satt. Kann die Welt wirk-      men. Das wäre der schönste Tag
auch viele Jesidinnen getroffen,    aber irgendwie hatte ich jeden     lich nicht mehr helfen? Wir          in meinem Leben.
die vom IS gefangen genom-          Tag Spaß. Hier bin ich meistens    fliegen zum Mond und können
men wurden. Sie haben mir           traurig, manchmal möchte ich       wirklich meine Mama und mei-
von ihrem Schicksal erzählt,        weinen – habe aber keine Trä-      ne Schwester nicht befreien?
ich konnte den schlimmen Ge-        nen mehr.
schichten kaum zuhören. Eine                                           Ich habe Verwandte, die in
muss ich aber erzählen, weil        Ich vermisse meinen Papa und       Griechenland in Zelten leben.
die Welt sie erfahren soll: Eini-   die drei Geschwister im Lager.     Sie sind in den Bergen ohne
ge Frauen hatten mehrere Tage       Wir telefonieren oft über das      Heizung und ohne Strom. Sie
nichts zu essen bekommen. Da-       Internet. Papa ist in der kur-     frieren und sie haben Hunger.
nach wurde ihnen ein großes         zen Zeit so alt geworden. Jeden    Sie wurden von arabisch spre-
Mahl mit viel Fleisch bereitet.     Tag und vor allem jede Nacht,      chenden Männern geschlagen.
Als sie dies aufgegessen hatten     wenn ich nicht schlafen kann,      Eine kleine Cousine (9 Jahre alt)
wurde ihnen erzählt: „Ihr habt      vermisse ich meine Mama und        wurde mit Steinen beworfen,
gerade eure Kinder gegessen.“       Sozan. Ich habe Angst, dass ich    weil sie angeblich ungläubig ist.
Was haben wir diesen Leuten,        irgendwann nicht mehr weiß,        In der Schule habe ich gelernt,
die sich als gläubige Menschen      wie sie ausgesehen haben. Wir      wofür die EU steht. Aber wofür
sehen, getan? Was kann so et-       haben nicht einmal mehr Bil-       steht sie wirklich? Ich bin ein
was rechtfertigen?                  der von ihnen. Manchmal kann       kleines Mädchen und habe kei-
Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
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                                                        SCHWERPUNKT

                         „Es gibt viele, denen es viel
                              schlechter geht“
                                       Autoren: Schirin Mirza Khalaf und Sultan Mirza Khalaf, Irak

I
    ch bin Schirin und komme         nach Griechenland kommen.           alles ist seit dem 3. August 2014   ihnen, wenn sie nicht zu uns
    aus dem Irak, aus Schingal.      Aber sie sind zwischen der          passiert und es läuft immer         kommen können. Alles, was
    Ich bin 16 Jahre alt und bin     Türkei und Griechenland er-         noch so. Manche Frauen und          wir machen wollen, ist, ihnen
seit zwei Jahren in Deutsch-         trunken. Es wurden 15 Leichen       Mädchen sind wieder frei und        zu zeigen, dass das Leben wei-
land. Ich bin zu Fuß hierher         gefunden. Diese wurden in den       sind nach Deutschland gekom-        tergehen muss. Es gibt viele, de-
gekommen, weil ich vor der           Irak zurückgeschickt. Acht sind     men. Aber es sind immer noch        nen es besser als anderen geht,
Terrorgruppe IS geflüchtet bin.      immer noch vermisst. Eine           ungefähr 3.000 Frauen und           weil sie ihre Ehre nicht verloren
Ich bin ohne meine Mutter, nur       Tochter meiner Schwester ist        Kinder in der Gefangenschaft        haben. Die Frauen, die nicht
mit meinen Geschwistern ge-          zu uns gekommen. Sie hat jetzt      des IS und die Männer vom IS        vergewaltigt wurden, helfen mit
flüchtet. Ich war ein Jahr lang      nur uns und ihren Vater. Kei-       machen alles, was sie wollen mit    uns den anderen Frauen und
ohne meine Mutter in Deutsch-        nen Bruder, keine Schwester,        unseren Frauen und Kindern.         Mädchen. Sie brauchen unsere
land. Ich habe in dieser Zeit erst   keine Mutter, niemanden außer       Die Frauen werden von drei bis      Hilfe.
verstanden, was es heißt, ohne       uns.                                fünf Männern vergewaltigt. Ich
Mutter zu sein. Früher war                                               habe persönlich mit den Frauen
meine Mutter immer bei mir.          Uns ging es sehr schlecht. Wir      geredet, die vergewaltigt wur-
Ich wusste nicht, was für ein        haben gesagt, wir schaffen das      den. Wenn sie „Nein“ gesagt
Gefühl es ist, wenn man ohne         nicht, wir können damit nicht       haben, wurden sie geschlagen
Mutter lebt. Dann ist meine          mehr klarkommen. Wir waren          und dazu gezwungen, gefügig
Mutter nach einem Jahr nach          monatelang nicht mehr normal,       zu sein.
Deutschland gekommen. Gott           wir waren nur am Weinen. Wir
sei Dank ist meine Mutter wie-       dachten, es kann nicht schlim-      Denen, die nach Deutschland
der bei mir!                         mer werden. Aber nein, es gibt      gekommen sind (ohne Vater,
                                     viele, denen es schlechter geht.    Mutter oder Geschwister), ver-
Aber drei meiner Schwestern,         Zum Beispiel meiner Cousine         suchen wir (meine Mutter, mei-
die verheiratet sind, sind im-       und Nadja Murad - und noch          ne Geschwister und ich) zu hel-
mer noch mit ihren Kindern           tausenden Frauen und Mäd-           fen. Wir telefonieren mit ihnen,
und Männern im Irak. Auch ein        chen aus dem Irak. Sie wurden       sie besuchen uns, wir besuchen
Bruder von mir ist mit seiner        vergewaltigt, geschlagen, als       sie. Wir machen alles, was wir
Frau und seinen Kindern noch         Putzfrau benutzt. Sie wurden        können, um sie glücklich zu se-
dort. Eine meiner Schwestern         zum Heiraten gezwungen. Sie         hen, um sie nicht alleine zu las-
wollte mit ihrer Familie nach        haben keine Familien mehr.          sen. Immer, wenn wir Jesiden
Deutschland kommen. Sie              Mutter, Vater, Bruder und On-       ein Fest haben, rufen wir sie
wollten zuerst mit dem Boot          kel wurden umgebracht. Das          an. Wir reden stundenlang mit

         Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit und werden ethnisch den Kurden zugeordnet. Neben ihrer weltweiten Vertei-
         lung in der Diaspora, lebte bis 2014 etwa die Hälfte aller Jesiden in der Nineve-Ebene im Nordirak am Sinjar-Gebirge.
         Im August 2014 überfiel der sogenannte IS die jesidischen Dörfer im Nordirak, entführte Frauen und Kinder, die Män-
         ner richtete er vor ihren Augen hin. Die Vereinten Nationen veröffentlichten zum Massaker an den Jesiden, das sie einem
         Völkermord gleichsetzen, vorläufige Zahlen: mindestens 5.000 Jesiden wurden getötet, bis zu 7.000 entführt und etwa
         430.000 Menschen aus dem Sinjar sind auf der Flucht. Die JesidInnen, die dem IS entkommen konnten, berichten von
         unvorstellbaren Qualen, die ihnen von den IS-Kämpfern zugefügt wurden. (Quelle: Gesellschaft für bedrohte Völker)
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                                                        Sage nicht vielleicht, wenn du
                                                         eigentlich Nein sagen willst!
                                                                         Autor: Adnan Albash, Syrien             Illustration: Antje Krüger

                                                                         nicht nochmal und dann sage          dung nicht anzunehmen. Ich
                                                                         ich mir, ich hätte „ja“ sagen sol-   sage eine der Möglichkeiten:
                                                                         len.                                 „Inschaallah“, wenn Gott will,
                                                                         Manche empfinden meine               oder „Bdeklek“, ich rufe dich an
                                                                         Gastfreundschaft als Belastung       und sage dir Bescheid. Der Sy-
                                                                         und manche sagen mir direkt,         rer versteht hier sofort, dass ich
                                                                         dass sie das nicht möchten oder      nicht komme, die Deutschen
                                                                         nicht akzeptieren können. Mei-       wissen das noch nicht. Aber

D
                                                                         ne Mitbewohnerin zum Bei-            was mache ich, wenn ich noch
         ieser Satz ist vielleicht    etwas besonders Aufwendiges        spiel sagte mir immer, dass sie      einmal am Tag des Geburtstags
         der wichtigste Satz, den     machen muss. Es ist für mich       sich bei ihren Kollegen darüber      gefragt werde, ob ich kommen
         die Syrer in Deutsch-        nicht nur eine Herausforde-        beschwert, dass ihr Mitbewoh-        werde? Dann werde ich plötz-
land als erstes verstehen und         rung, ja eigentlich kaum mög-      ner (also ich) sie dick machen       lich krank oder jemand ist sehr
lernen sollten.                       lich, „nein“ zu sagen, sondern     möchte. Sie könne mein sehr          krank geworden und ich muss
Ich kann sagen, dass es so et-        ich kann auch meine Meinung        leckeres Essen nicht abschla-        leider bei ihm bleiben. Obwohl
was wie ‚nein‘ in unserer Kultur      nicht ehrlich sagen, wenn mich     gen, so sagte sie immer, dass sie    ich jetzt in Deutschland bin und
nicht gibt. Ich weiß nicht, wa-       jemand fragt, wie es mir geht      das jedoch dick mache. Außer-        obwohl ich mehr Kontakt mit
rum es so schwierig für mich          oder wie ich sein Essen oder       dem meint ein „Nein“ bei den         Deutschen als mit Syrern habe,
ist, „nein“ zu sagen oder etwas       seine Kleidung finde. Ich habe     Deutschen wirklich „Nein“ und        ist es für mich immer schwie-
abzusagen, wenn mich jemand           das an mir nicht bemerkt, als      nicht etwas anderes, hier kann       rig, so direkt wie ein Deutscher
zu irgendetwas einladen möch-         ich in Syrien war; ich habe den    man nicht widersprechen oder         zu antworten.
te. Ich weiß auch nicht, wie ich      Unterschied erst hier gesehen,     nochmal versuchen, die Mei-
das definieren soll. Hat das et-      als ich die Deutschen ken-         nung des Deutschen zu ändern.        Ich weiß nicht; es gibt etwas
was mit Höflichkeit oder mit          nengelernt habe. Man braucht       Aber im Vergleich zu den Deut-       in mir, was das nicht lernen
Schüchternheit zu tun?                nicht so viel zu erklären, um zu   schen sagen wir niemals „nein“,      möchte.
                                      beweisen, dass die Deutschen       auch wenn wir das wirklich sa-       Ich werde immer noch mei-
Notlüge                               sehr direkt sind.                  gen möchten.                         ne Wörter („Inschaallah“ und
                                      Man braucht einem Deutschen                                             „Bdeklek“) benutzen. Ich werde
Ehrlich gesagt, ich weiß es           etwas nicht ein- oder zweimal      Das syrische/arabische „Nein“        dir mein Essen zwei- und drei-
nicht. Ich komme immer zu ei-         zum Trinken oder zum Essen                                              und viermal anbieten. Ich wer-
ner Notlüge, um mich vor dem          anbieten, wenn er bereits beim     Anstatt „Nein“ sagen wir „In-        de auch immer sagen, dass dei-
„Nein“-Sagen zu drücken.              ersten Mal „nein“ sagte. Ich       schaallah“, das bedeutet: Wenn       ne Kleidung sehr schön ist und
Ich erinnere mich an mein Ver-        finde es manchmal unhöflich,       Gott will.                           dass du auch schön aussiehst,
halten, als ich nach Deutschland      dass sie so ein starkes Nein sa-   Oder wir sagen „Bdeklek“, und        auch wenn ich das nicht finde.
gekommen bin, wenn die Leute          gen, aber manchmal verstehe        das bedeutet: Ich rufe dich an
mich fragten, ob ich etwas trin-      ich das.                           und sage dir Bescheid; es wird       Liebe Deutsche, falls ihr unsere
ken möchte und ob ich etwas                                              aber nicht angerufen und es          Meinung zu irgendetwas wis-
Bestimmtes trinken möchte.            Gastfreundschaft                   wird nicht Bescheid gegeben.         sen wollt, solltet ihr uns eure
Heute muss ich darüber lachen,                                           Ein kleines Beispiel: Jemand         Fragen mehrmals stellen, weil
aber ich habe immer so etwas          In Syrien fragt der Gastgeber      hat Geburtstag und lädt mich         die erste Antwort nur aus ara-
geantwortet wie: „Wie du möch-        öfter, ob jemand etwas essen       ein, ich möchte nicht hingehen,      bischen Komplimenten und
test.“ oder: „Mir ist es egal!“. Es   oder trinken möchte. Ich fin-      weil ich müde bin oder weil ich      arabischer Höflichkeit besteht.
könnte mir egal sein, denn ich        de es manchmal nicht nett,         keine Lust darauf habe oder          Und wer die Araber kennt,
trinke und esse ja fast alles, aber   dass die Deutschen nur einmal      weil ich etwas anderes Wich-         weiß ganz genau, wie schön
ich habe das immer gesagt, weil       fragen, ob ich etwas trinken       tiges machen muss. Hier kann         unsere Worte sind und was für
ich vielleicht nicht wollte, dass     möchte. Ich sage zuerst „nein      ich nicht absagen, weil ich es       Schleimer wir sind.
jemand durch meinen Wunsch            danke“, aber sie fragen mich       unhöflich finde, seine Einla-
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                       KUNST KOMMT NACH
                         DEUTSCHLAND
                         Autorin und Fotografin: Dunia Barrera, Spanien, info@duniabarrera.com

               Dunia Barrera ist Fotografin, kommt ursprünglich aus Madrid und lebt in München. Sie beschäftigt
               sich gerade mit dem Thema Heimat. Sie sagt: „Für mich kann ‚Zu Hause‘ so viele Sachen sein. Licht,
               Luft, Farben, Bewegung, Musik... Und das ist, was ich mit meiner Kamera suche.“

             September 2007.                                                      Wenn ich nicht da bin, vermisse
             Jetzt vor 10 Jahren.                                                 ich München:
             Genug, um München als meine                                          Ruhe.
             Heimat zu empfinden?                                                 Den Wind beim Fahrradfahren.
             Ja, aber… Gemischte Gefühle.                                         Saubere Luft.
             Noch eine spannende Bezie-                                           So ein Gefühl, nirgendwo da zu
             hung.                                                                sein.
             Wenn ich da bin, vermisse ich                                        Nicht mehr aus Madrid.
             Kleinigkeiten von meinem Ge-                                         Noch nicht in München.
             burtsort Madrid: Leute, die laut                                     Aus meiner persönlichen Heimat
             im Bus reden.                                                        zu kommen.
             Lachende Gesichter.                                                  Luft, Licht, lachende Gesichter.
             Geräusche in Cafés.

                   Was ist „zu Hause“ für uns?
                                                Autorin: Dunia Barrera, Spanien

Seit ich ein Kind war, wollte ich immer Dozentin werden. Nachdem mein Opa sagte, dass Lehrer verhungern, habe ich Werbung an
der Universität angefangen. Natürlich bringt das Leben dich genau dahin, wo du hin willst, und nach einigen Jahren bin ich an der
Uni Dozentin geworden. Inzwischen habe ich Fotografie studiert und ein Master in Madrid absolviert. Ich denke, beide Berufe sind
nicht so weit auseinander. Ich denke, Dozenten haben vieles aus der Künstlerwelt. Ich bin spezialisiert darauf, anderen Fremdspra-
                            chen beizubringen - Englisch und Spanisch zu lehren ist meine Leidenschaft.

Mich interessieren Menschen. 1998 habe ich ein persönliches Kunst-Projekt angefangen: Mode und Musik zu fotografieren. Ich finde
es sehr spannend, wenn Menschen eine ganz bestimmte Zeit lieben und diese Liebe leben - egal ob sie jetzt im Jahr 2017 leben. Die
 Begeisterung für die 50´s oder 60´s ist so präsent, dass sich ihr ganzes Leben darum herum bewegt. Dieses Projekt hat mich durch
                         ganz Europa gebracht, und ich war mit verschiedenen Ausstellungen beschäftigt.
 Ab 2007 habe ich mich mehr für das Interkulturelle interessiert. Es könnte natürlich daran liegen, dass ich selber aus Spanien nach
     Deutschland kam und alles aus einer anderen Perspektive sah. So entstand mein neues Projekt, mit dem ich mich gerade
                                               beschäftige: „ Was ist zu Hause für uns?“.

Ich hatte das Glück, meine beiden Leidenschaften zu kombinieren, in ein paar Workshops über Fotografie und Interkulturalität. Eine
                      neue spannende Tür, wo ich Stereotypen brechen kann und Kreativität aufwachen darf.
  Für mich kann „zu Hause“ so viele Sachen sein: Licht, Luft, Farben, Bewegung, Musik... Und das ist, was ich mit meiner Kamera
                                                               suche.
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                               DAS FREMDE LAND
Die vier NeuLand-Autoren sind als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Sie leben aktuell in Mallersdorf
  und besuchen gemeinsam einen Deutschkurs. In der 2. Ausgabe der NeuLand-Zeitung haben sie den Artikel „Was bedeutet eigentlich
    Afghani“ von Parastu entdeckt. Von diesem Artikel inspiriert, haben Sie sich entschlossen, ihre aktuellen Hoffnungen und Ängste
                                                         niederzuschreiben.

                     Autoren: Mostafa Jafari, Ahmad Mohammadi, Reza Khodadadi, Mahmud Saidi, Iran

                 W           ir haben den Be-
                             richt von Parastu in
                             der zweiten Ausga-
                 be von NeuLand mit großem
                 Interesse gelesen. Auch unsere
                                                    Leben sicher und frei.
                                                    Wir sind minderjährig und
                                                    werden vom Jugendamt be-
                                                    treut. Wir gehen zur Schule und
                                                    machen Praktika in verschiede-
                                                                                      den nachgehen?
                                                                                      Werden wir, wenn wir volljäh-
                                                                                      rig sind, als Asylberechtigte
                                                                                      anerkannt? Oder werden wir
                                                                                      nach Afghanistan geschickt,
                 Eltern sind vor dem Krieg in       nen Betrieben. Wir wollen so      in ein Land, das uns fremd ist,
                 Afghanistan in den Iran ge-        viel lernen und haben große       ein Land, in dem Willkür, Ge-
                 flohen. Auch wir sind im Iran      Träume.                           walt und Terror herrschen? Wie
                 geboren, waren also „Afgha-        Werden sie wahr werden? Kön-      könnten wir dort leben? Wir
                 ni“ wie Parastu. Es ist uns dort   nen wir uns hier in diesem        haben doch keine Chance dort!
                 sehr schlecht ergangen, und        friedlichen Land ein gutes Le-    Das sind unsere Ängste!!!
                 wir haben Diskriminierung          ben aufbauen? Können wir eine
                 und Gewalt erlebt. Wir sind        gute Ausbildung bekommen,
                 aus dem Land, das wir hassen,      einen Beruf ausüben, Geld ver-
                 geflüchtet. Die Flucht war lang    dienen und irgendwann eine
                 und sehr gefährlich. Nun leben     Familie gründen? Können wir
                 wir in Niederbayern und fühlen     unseren Hobbys wie Fußball
                 uns zum ersten Mal in unserem      spielen, Musik machen in Frie-

                                    Nadim im Neuland
                              Zuhause oder Zwischenwelt? Ziele und Zweifel im Neuland

            Nadim ist eine Kunstfigur, die der Zeichner Masiullah Harres (Afghanistan) geschaffen hat. Nadim versucht, sich
            auf die Menschen und Werte in Deutschland einzulassen. „Nadim im Neuland“ ist eine Bilderserie. In der nächs-
                                       ten NeuLand-Ausgabe reflektiert Nadim ein neues Thema.
14                                      www.neulandzeitung.com

                                                                                                   Illustration: Antje Krüger

                                                                                            Alt sein
                                                                                          Autor: Iimaan H., Somalia

   Respekt vor alten                                                   E
                                                                               s gibt bei uns in Soma-     Somalia wurden mein Opa und
                                                                               lia eine kurze Geschich-    meine Oma bis zu ihrem Tod
                                                                               te über Vater und Sohn:     zu Hause bei uns gepflegt und

      Menschen                                                         Der Vater ist blind und der
                                                                       Sohn muss ihn immer führen.
                                                                       Der Sohn hat nie Zeit für sich
                                                                                                           respektiert.

                                                                                                           Ich habe nachgedacht und
                     Autor: Dawit, Eritrea                             selbst, da beschließt er, den Va-   mich informiert: In Somalia
                                                                       ter loszuwerden. Er lässt den       leben die meisten Menschen in
                                                                       Vater, als sie auf einem Weg        Großfamilien auf dem Land. In

I
    n Eritrea leben die jungen     den alten Menschen umgehen.         sind, in einen Abgrund stür-        Deutschland dagegen leben die
    und die alten Menschen zu-     Das ist wirklich sehr schwer für    zen, sodass der Vater stirbt. Der   meisten in kleinen Familien.
    sammen in einer Familie.       mich zu verstehen.                  Sohn lebt fröhlich weiter, bis er   Beide Partner arbeiten und die
Das hat viele Vorteile. Die jun-                                       selbst alt und blind wird. Doch     Großeltern leben oft in einer
gen Menschen können sich um        In Eritrea haben wir großen Re-     auch sein Sohn findet seinen        anderen Stadt. Die Menschen
ihre Eltern kümmern. Gehen         spekt vor den alten Menschen,       Vater lästig und lässt ihn eben-    werden in Deutschland oft sehr
die Jungen zur Arbeit, können      denn sie haben schon viel           falls in ein Wasserloch stürzen,    alt und dement. Mein Eindruck
die Großeltern auf ihre Enkel      Erfahrung im Leben sammeln          sodass auch dieser Vater stirbt.    war allerdings, dass die Leute
aufpassen.                         können.                                                                 im Heim gut versorgt waren:
                                                                       Mit dem Problem der Pflege          Das Essen war in Ordnung, sie
In Deutschland werden alte                                             alter Leute hatte ich während       wurden mit Respekt behandelt.
Leute häufig im Altersheim                                             meines Praktikums im Senio-         Die Pfleger haben mit ihnen ge-
betreut, weil ihre Kinder keine                                        renheim zu tun. Ich war sehr        redet, gespielt, gekocht usw.
Zeit haben, sich um sie zu küm-                                        erstaunt, dass die Menschen
mern. Ich habe ein Praktikum                                           ihre alten, verwirrten Angehö-      Aber vielleicht ist es für Men-
als Altenpfleger gemacht. Da-                                          rigen ins Heim abschieben.          schen immer ein bisschen trau-
bei habe ich bemerkt, dass vie-                                                                            rig, sehr alt und nicht mehr
le Betreuer sehr respektlos mit                                        In meiner eigenen Familie in        selbständig zu sein.
15                                                 Ausgabe 1/2017

                          Wie ich meine Träume in
                          Deutschland verwirkliche
                                                  Autorin: Munkhjin Tsogt, Mongolei

A
        ls ich nach Deutschland     gespräch wurde sehr schnell         wichtiges Ding erlernen. Als         und „vielfältig“ machen möch-
        gekommen bin, gab es        beendet.                            erstes kommt das Aufhören            ten. Viertens müssen wir mit
        keine Freunde, keine                                            mit Jammern. Man muss auf-           dem Kritisieren aufhören. Wir
Bekanntschaften, keine Netz-        Die Nachbarn                        hören mit dem Jammern und            können nicht auf einmal das
werke. Ich war orientierungslos                                         Beschweren. Besonders wir, die       System oder das Management,
in jeder Hinsicht. Ich konnte       Alle waren weg, irgendwo weg.       Migranten und Menschen mit           oder das Verhalten des Vor-
mich weder richtig in der Stadt     Aber meine Nachbarn waren           Fluchterfahrungen, brauchen          gesetzten ändern. Das heißt,
orientieren, noch konnte ich        da, sie sind immer noch da.         viel mehr Energie jeden Tag,         wenn wir diesen Zustand stän-
mich richtig in der Gesellschaft    Aber sie haben wenige Be-           damit wir erfolgreich Deutsch        dig kritisieren, dann haben wir
orientieren. Außerdem war es        merkungen mir gegenüber ge-         lernen und uns erfolgreich in        keine Zeit, uns auf die wichti-
sehr schwierig für mich, mich       macht, dass ich mit ihnen spre-     die Gesellschaft integrieren.        gen Dingen zu konzentrieren.
auf die Menschen einzustellen.      chen darf oder etwas fragen         Wenn wir jammern, haben wir          Und zeitgleich können wir mit
Besonders auf die Deutschen.        darf. Es gab ein paar meiner        keine Zeit für einen Plan für        den anderen eine gesellschaft-
Was sollte ich mit ihnen spre-      Nachbarn, die sich mehr Zeit        morgen. Wenn viele „Morgen“          liche Aufklärungsarbeit an-
chen, und worüber musste ich        genommen haben, mit mir zu          vorbei sind, wird eines Ta-          fangen, so dass wir das ganze
erzählen, dass ich richtig zu ih-   sprechen. Eine Nachbarsfrau         ges schon ein Jahr vorbei sein.      System ändern können. Aber
nen passen konnte? Jeden Tag        war sehr nett, aber sie hat sich    Zweitens muss man aufhören           als einzelne Personen können
mit vollem Stress.                  über alles beschwert. Beson-        mit dem Vergleichen. „Ich            wir das System, den Status quo
                                    ders über das Wetter. Für mich      habe ein Wohnheim mit vielen         nicht ändern. Und die Zeit geht
Suche nach Kontakten                war das Wetter in Deutschland       Menschen“, „ich habe eine klei-      verloren mit dem Kampf, den
                                    kein Thema, worüber ich mich        ne Wohnung“, „ich habe sehr          wir allein nicht gewinnen. Wir
Auf der anderen Seite mochte        beschweren wollte. Ich kom-         schlechte Nachbarn in meinem         sollten aufhören, mit den vier
ich unbedingt mit jemandem          me schließlich aus der kältes-      Nebenzimmer“, oder „ich habe         Dingen: Jammern, Vegleichen,
sprechen. Aber es gab keine         ten Hauptstadt der Welt! Mein       eine sehr schlechte Deutschleh-      Konkurrieren, und Kritisieren.
Personen - weder Migranten          anderer Nachbar war sehr nett       rerin“ etc.. Es ist immer so, dass
aus der Mongolei noch Deut-         aber... Wenn ich zum Beispiel       ich immer das Schlechte habe         Dann öffnen sich mehr Türen
sche, Einheimische, mit denen       damals gesagt hätte, dass ich je-   oder bekomme oder mir alles
ich reden konnte. Sie waren alle    den Tag viel Deutsch lerne, hät-    Schlechte zugewiesen wurde.          Aber wir sollten proaktiv sein.
so beschäftigt mit etwas, mit et-   te sie gesagt „Ja, ja, Migranten    Dieses Vergleichen macht die         Das heißt: Initiative ergreifen.
was sehr Wichtigem. Ich habe        müssen sehr gut Deutsch ler-        Menschen blind, ihre Mög-            Seien Sie besser: Finden Sie die
nichts Wichtiges getan, ich hat-    nen“. Sie wollte nichts Böses sa-   lichkeiten und Chancen zu se-        Lösung der Dinge, nicht die
te Zeit, aber alle anderen hatten   gen, aber wenn man jeden Tag        hen und zu ergreifen. Drittens       Hindernisse der Dinge. Über-
gar keine Zeit für mich.            sehr fleißig Deutsch lernt, dann    kommt die andere Gewohnheit          legen Sie, was die Lösungen
                                    hört man so eine Antwort. Da-       des Konkurrierens. Im Wett-          und Wege sind, über die wir die
Panik am Telefon                    mit entsteht noch mehr Druck        bewerb zu sein ist immer gut,        heutigen schlechten Situatio-
                                    und noch mehr Stress hinsicht-      wurde mir von meinen Eltern          nen ändern können. Wenn Sie
Eines Tages habe ich eine Tele-     lich der Frage, wie ich hier zu     gesagt und ich bin so erzogen,       einen beruflichen Traum ha-
fonnummer von einer mongo-          Deutschland passe. Aber ja,         dass ich mit den anderen kon-        ben, recherchieren Sie und ver-
lischen Frau bekommen, die in       zum Glück ist dieses Beispiel       kurrieren musste. Aber es hilft      wenden Sie auf diese Thematik
München wohnt. Und den Zet-         von 2013. Ich bin schon vier        uns nicht besonders, wenn wir        mehr Zeit und Energie. Dann
tel, auf dem die Telefonnummer      Jahre in Deutschland.               uns entwickeln möchten. Jeder        öffnen sich mehr Türen, Mög-
stand, habe ich ein paar Tage                                           Mensch ist anders und unser          lichkeiten und Sie treffen Men-
mit mir herumgetragen und           Der Weg zum Traum                   Leben ist einzigartig mit ver-       schen, die Ihnen helfen oder Sie
einmal habe ich versucht, sie                                           schiedenen Sachen. Wenn wir          unterstützen auf Ihrem Weg zur
zu erreichen. Statt der Stimme      Jetzt möchte ich erklären, wie      konkurrieren, vergessen wir          Verwirklichung Ihrer Träume.
der Frau habe ich eine männli-      man seine Träume in Deutsch-        unsere Besonderheit, die wir         Gute und spannende Reise.
che Stimme gehört. Ich bekam        land verwirklicht. Mann muss        sehr benötigen, wenn wir hier
sofort Panik und das Telefon-       vier Dinge verlernen und ein        unser neues Heimatland „bunt“
16                                             www.neulandzeitung.com

                                                               Danksagung
               Unser Dank gilt zuallererst Herrn Wühr und dem Heribert Wühr Verlag Straubing sowie allen weiteren Spendern,
                   welche uns den Druck dieser 4. Ausgabe ermöglicht haben. Außerdem danken wir der Seidlvilla, die uns
                           regelmäßig kostenfrei ihre Räumlichkeiten für Redaktionstreffen zur Verfügung stellt.

                 Zudem bedanken wir uns bei allen anderen Spendern und Mitgliedern, denn ohne die regelmäßige finanzielle
                Unterstützung gäbe es weder eine Zeitung noch andere bereichernde Aktionen wie Lesungen oder Autorentref-
                fen. Mit Spenden können wir Möglichkeiten der Begegnung und Raum für Kontakt und Dialog anbieten. Dafür
                bedanken wir uns von ganzem Herzen! Es freut uns, dass wir so viele Menschen mit unserem Projekt begeistern
                                                                 können.

                                                   NeuLand unterstützen
                     MITGLIEDSCHAFT                te vor der Veröffentlichung. Melden Sie sich einfach bei
                                                   Führen Sie Interviews mit uns, damit wir Ihre Mithilfe
                     Über eine Vereinsmitglied- geflüchteten Menschen und organisieren können.
                     schaft können Sie NeuLand MigrantInnen.
                     e.V. regelmäßig finanziell                                 SPENDEN
                     unterstützen und unsere ÜBERSETZER WERDEN
                     Arbeit langfristig fördern.                                Ob kleine oder große Spen-
                     Der Mitgliedsbeitrag um- Sie beherrschen eine im de, wir freuen uns über
                     fasst jährlich wahlweise 50 Flüchtlingskontext relevan- jeden Beitrag. NeuLand
                     Euro oder 20 Euro. Schrei- te Fremdsprache? Werden e.V. ist ein gemeinnütziger
                     ben Sie uns einfach, wenn Sie Übersetzer für Neu- Verein und jede Spende
                     Sie Mitglied werden möch- Land! Begleiten Sie Migran- daher steuerlich absetzbar.
                     ten!                          tInnen und Geflüchtete bei Die Spendenbescheinigung
                                                   ihrem Schreibprozess und wird elektronisch versandt,
                     SPONSORING                    übersetzen Sie ihre Beiträge bitte geben Sie hierfür Ihre
                                                   ins Deutsche.                E-Mail-Adresse sowie die
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                     reich Sponsoring, PR und ZEITUNG VERTEILEN                 dungszweck an.
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    HERAUSGEBER: NeuLand e.V., Valleystraße 29, 81371 München • VERTRETEN DURCH Susanne Brandl, Vorsitzende, und Raphael Müller-Hotop, stellv.
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REDAKTION/ TEAM: Adnan Albash, Susanne Brandl, Simon Brandl, Tobias Göppel, Andrea Göppner, Gudrun Hackenberg, Karin John, Dimitri Kloster, Raphael
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Martina Tollkühn, Eva Treu, James Tugume, Matthias Weiß. • Außenredaktion an der Berufsschule zur Berufsintegration in der Balanstraße: Matthias Weiß, So-
phie Borsdorf, Tobias Verbeck, Marion Gross, Hermann Göb, Eva Gahl, Bea Lammert • SCHLUSSREDAKTION: Susanne Brandl, Raphael-Müller-Hotop, Martina
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                 Poullain, Adnan Albash • FOTOS: Caro Poullain • LAYOUT: Friederike Krüger • DRUCKEREI/ TRANSPORT: mafraprint Prag
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