VORABDRUCK 12 2021 - ifo Institut

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                                                        2021
                                                    30. November 2021

VORABDRUCK

  Europas Schulen in der
  Corona-Pandemie –
  ein Ländervergleich
  Vera Freundl, Clara Stiegler und Larissa Zierow
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Vera Freundl, Clara Stiegler und Larissa Zierow

Europas Schulen in der Corona-
Pandemie – ein Ländervergleich

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden die                                                                                    IN KÜRZE
Schulen in Deutschland wiederholt geschlossen. Ne-
ben den bundesweiten, vollständigen Schulschlie-
ßungen im Frühjahr 2020 und zu Anfang 2021 kam              Dieser Beitrag vergleicht die Corona-Bildungspolitik in Deutsch-
es zu zahlreichen weiteren Einschränkungen im Bil-          land mit sechs ausgewählten Ländern Europas im Zeitraum von
dungsbereich. Inzwischen gibt es Evidenz dafür, dass        Januar 2020 bis Mai 2021. Es zeigt sich, dass der bisherige deut-
die Schulschließungen in Deutschland etliche ne­
                                                            sche Weg bezüglich Schulen in der Pandemie besonders ein-
gative Konsequenzen für die Schüler*innen hatten.
So hat sich die Lernzeit der Schulkinder während der        schränkend für Kinder und Jugendliche war: Deutschland schloss
Schulschließungen drastisch reduziert (Grewenig et          die Schulen insgesamt 183 Tage lang, wenn wir die Zeiten der
al. 2021; Wößmann et al. 2021). Wenn weniger Ler-           vollständigen (74 Tage) und der teilweisen (109 Tage) Schlie­­-
nen stattfindet, ergeben sich negative Auswirkun-           ß­ungen addieren. Länger schlossen, nach dieser Berechnung,
gen auf die Karriereerwartungen und das zukünf-             nur die Schulen in Polen mit insgesamt 273 Tagen. Im Mittel-
tige Einkommen der betroffenen Schüler*innen
                                                            feld unseres Ländervergleichs liegen Österreich und die Nie-
sowie auf die Leistungskraft von Volkswirtschaften
im Allgemeinen (Anger et al. 2020; Hanushek und             derlande (152 bzw. 134 Tage), während Frankreich, Spanien
Wößmann 2020). Zudem verstärkten die Schul-                 und Schweden mit je 56, 45 und 31 Tagen die kürzesten Schul-
schließungen die Bildungsungleichheit in Deutsch-           schließungen verzeichnen. Tendenziell waren Grundschulen
land (Grewenig et al. 2021) und verursachten gravie-        weniger lang vollständig geschlossen als weiterführende Schu-
rende psychische Folgen (Ravens-Sieberer et al. 2021;       len, in Deutschland und Polen berichten Grundschulen dafür
Wößmann et al. 2021).
                                                            längere teilweise Schließungen. Neben den Einschränkungen
     Doch hätte die Bildungspolitik anders gestal-
tet werden können, um diese Folgen zu vermeiden             für Kinder und Jugendliche sind Differenzen in den pandemie-
oder zumindest abzumildern? Um die deutsche Co-             bedingten Auflagen für Erwachsene auffallend. Bei der Heraus-
rona-Bildungspolitik einordnen zu können, lohnt             forderung, auf Distanzlehre umzusteigen, ist als Ausgangslage
sich ein Blick auf andere Länder. In diesem Bei-            der Digitalisierungsstand der Schulen vor Corona ein wichtiger
trag vergleichen wir sieben europäische Staaten –           Faktor: Deutschland liegt in Bezug auf Online-Lernplattformen
Deutschland, Spanien, Schweden, die Niederlande,
                                                            und Ressourcen für die Nutzung digitaler Technologien im Un-
Frankreich, Polen und Österreich – in ihrer bildungs-
politischen Antwort auf die Pandemie. Ziel der Aus-         terricht auf den letzten Rängen, während Skandinavien Vorrei-
wahl ist es, einen Querschnitt Europas abzubilden.          ter ist. Dies manifestiert sich auch in Unterschieden in Art und
So wurden Spanien als südeuropäisches und Schwe-            Frequenz des (Online-)Unterrichts während der Pandemie. Ab-
den als skandinavisches Land gewählt, die darüber           schließend gibt der Beitrag einen Überblick über verschiedene
hinaus unterschiedliche pandemische Verläufe und            nationale Kompensationsprogramme und Corona-Bildungsaus-
Strategien dokumentieren (WHO 2021). Die Nie-
                                                            gaben, etwa zur Abmilderung von pandemiebedingten Lern-
derlande und Frankreich vertreten den Westen Eu-
ropas, Polen das östliche Europa, wobei die drei            verlusten oder zur Verringerung der Bildungsungleichheit.
Länder verschiedene Herangehensweisen bei der
Schulpolitik in der Pandemie verzeichnen. Neben
letzteren drei Ländern fungiert auch Österreich als     WIE LANGE WAREN DIE SCHULEN EUROPAS
direkter Nachbar von Deutschland. Dieser Beitrag        CORONA-BEDINGT GESCHLOSSEN?
befasst sich mit vier zentralen Fragen: Wie lange wa-
ren die Schulen in den ausgewählten europäischen        Wie lange die Grund- und weiterführenden Schulen
Ländern geschlossen? Wie (wenn überhaupt) fand          der ausgewählten Länder im Zeitraum Januar 2020 bis
Unterricht während dieser Zeit statt? Welche Kon-       Mai 2021 Corona-bedingt geschlossen waren, zeigt Ab-
sequenzen ergaben sich für Schüler*innen, Eltern        bildung 1. Sowohl die vollständigen als auch die teil-
und Lehrkräfte der jeweiligen Länder? Und welche        weisen Schulschließungen werden hier als Vergleichs-
Kompensationsprogramme wurden für den Bildungs-         maßstab verwendet, da selbst teilweise Öffnungen
bereich aufgesetzt?                                     in vielen Fällen bedeuteten, dass die Mehrheit der

                                                                       ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021   3
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 1                                                                                                                Im gewählten Ländervergleich fällt Polen als
Wie lange waren die Schulen in Europa Corona-bedingt geschlossen?                                                Land mit den längsten Schulschließungen von in der
Deutschland schloss Schulen an 74 Tagen vollständig und an 109 Tagen teilweise
                                                                                                                 Summe 273 Tagen auf, davon 144 Tage vollständige
                                         Teilweise Schulschließungen         Vollständige Schulschließungen
Tage                                                                                                             und 129 Tage teilweise Schulschließungen.1 Auf dem
300
            273                                                                                                  zweiten Platz der längsten Schulschließungen in un-
250                                                                                                              serem Ländervergleich liegt Deutschland. Hier waren
            129
                                                                                                                 Grund- und weiterführende Schulen 74 Tage vollstän-
200                       183
                                         152                                                                     dig und 109 Tage teilweise geschlossen, insgesamt also
                                                        134
150                                                                                                              183 Tage.2 183 Tage machen fast ein ganzes Schuljahr
                           109
                                          70                                                                     aus, wenn man von insgesamt 185 Unterrichtstagen
100
                                                         94             56
            144                                                                      45                          pro Schuljahr ausgeht (Ferien und Feiertage ausge-
 50                                                                     16                       31
                           74             82                                                                     nommen).3 Österreich hatte Schulschließungen von
                                                         40             40           45          11
  0                                                                                              20
                                                                                                                 ähnlicher Dauer wie Deutschland zu verzeichnen, mit
           Polen      Deutschland Österreich Niederlande Frankreich               Spanien     Schweden
                                                                                                                 82 Tagen vollständiger Schließungen und insgesamt
Anmerkung: Zeitraum von Januar 2020 bis Mai 2021.
Quelle: OECD (2021a); Berechnungen der Autorinnen.                                              © ifo Institut   152 Tagen vollständiger oder teilweiser Schulschlie-
                                                                                                                 ßungen. Beide Werte liegen über dem Durchschnitt
                                 Kinder und Jugendlichen die Schule nicht in Präsenz                             der sieben ausgewählten Länder. Die Niederlande
                                 besuchte (vgl. Box: »Methodik der Schulschließungs-                             hingegen berichten deutlich weniger vollständige
                                 berechnungen«). Ein Beispiel dafür sind die teilweisen                          Schulschließungen mit 40 Tagen. Durch eine Anzahl
                                 Schulschließungen im April 2020 in Deutschland, als                             von 94 Tagen an teilweisen Schließungen und somit
                                 die Abschlussjahrgänge zur Schule gingen, die übrigen
                                 Schüler*innen hingegen nicht (Kultusministerium Bay-                            1
                                                                                                                    Auch im OECD-Vergleich liegt Polen nach Mexiko auf dem zweiten
                                 ern 2020). Zur allgemeinen Einordnung der Dauer der                             Platz mit den meisten vollständigen Schulschließungstagen (OECD
                                                                                                                 2021a).
                                 Schulschließungen dienen folgende Vergleichswerte:                              2
                                                                                                                    Mit einer Summe von 183 Schließungstagen liegt Deutschland im
                                 Der Mittelwert der vollständigen Schulschließungen                              OECD-Vergleich im Mittelfeld (OECD 2021a).
                                                                                                                 3
                                                                                                                    Die Länge eines Schuljahres orientiert sich hier als Richtwert an
                                 der hier ausgewählten Länder beträgt 63 Tage, der                               der Anzahl der Unterrichtstage im Schuljahr 2018/2019 in Bayern, da
                                 Mittelwert der Summe aus vollständigen und teilwei-                             dieses Schuljahr noch nicht von der Corona-Pandemie beeinflusst
                                                                                                                 war. Aufgrund regional unterschiedlicher Feiertage und Ferienzeiten
                                 sen Schulschließungen liegt bei 125 Tagen.                                      kann dieser Wert in anderen Bundesländern um ein paar Tage ab­
                                                                                                                 weichen.

METHODIK DER SCHULSCHLIESSUNGSBERECHNUNGEN

                                 Die Anzahl an Corona-bedingten Schulschließungs­                                richtungen in diesem Zeitraum noch für Schulkinder
                                 tagen wurde dem Report »The State of Global Educa-                              mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen oder
                                 tion: 18 Months into the Pandemic« (OECD 2021a) ent-                            Kinder von Beschäftigten in systemrelevanten Be-
                                 nommen, der auf gemeinsamen Umfragen der OECD,                                  reichen geöffnet (in Deutschland: »Notbetreuung«),
                                 UIS, UNESCO, UNICEF und der World Bank beruht,                                  für die allermeisten Schulkinder jedoch geschlossen.
                                 die bis zum 20. Mai 2021 durchgeführt wurden und                                Teilweise Schulschließungen beziehen sich auf Schlie-
                                 sich primär an für das Bildungswesen zuständige Re-                             ßungen in einigen Regionen (z.B. Bundesländern)
                                 gierungsbeamte richteten. Der hier berichtete Zeit-                             oder für einige Klassenstufen (z.B. Nicht-Abschluss-
                                 raum umfasst daher Januar 2020 bis Mai 2021. Die                                klassen) oder mit eingeschränktem Präsenzunterricht
                                 Gesamtwerte der Corona-bedingten Schulschließun-                                (z.B. Hybridunterricht). Die Summe aus vollständi-
                                 gen berechnen wir aus dem Durchschnitt der Schlie-                              gen und teilweisen Schulschließungen bildet somit
                                 ßungstage von Grund- sowie weiterführenden Schu-                                ein theoretisches Maximum; es wurde in der Praxis
                                 len in den ausgewählten europäischen Ländern. Die                               nicht zwangsläufig so von den einzelnen Regionen
                                 Schließungstage der weiterführenden Schulen wurden                              oder Klassenstufen erreicht. Leider liegen uns gerade
                                 vorher aus dem Durchschnitt der Werte von Sekun-                                für föderale Bildungssysteme wie Deutschland keine
                                 darstufe I und II berechnet, da z.B. in Deutschland                             Daten vor, die erlauben würden, zu vergleichen, wie
                                 die Sekundarstufen nicht auf unterschiedliche Schu-                             lange die Schulen insgesamt tatsächlich für das durch-
                                 len aufgeteilt sind und die Sekundarstufen darüber                              schnittliche Schulkind geschlossen waren. Was uns
                                 hinaus recht ähnliche Werte berichten. Vollständige                             die verwendeten Daten sagen können, ist, wie viele
                                 Schulschließungen beziehen sich auf Situationen, in                             Schließungstage ein Schulkind aufgrund pandemi-
                                 denen Schließungen für Schulen auf nationaler Ebene                             scher Regulierungen seines Landes mindestens hatte
                                 von der Regierung angeordnet oder ausdrücklich emp-                             und wie vielen Schließungstagen es maximal ausge-
                                 fohlen wurden. In einigen Fällen waren Bildungsein-                             setzt gewesen sein könnte.

                          4      ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE

einer Summe von 134 Schließungstagen insgesamt           Abb. 2
liegt das Land trotzdem relativ nah am Mittelwert der    Welche Schularten waren von den Schließungen besonders betroffen?
                                                         Grundschulen tendenziell weniger lang komplett geschlossen als weiterführende Schulen, in
Summe aus vollständigen und teilweisen Schließun-        Deutschland dafür längere teilweise Schulschließungen
gen der von uns ausgewählten Länder. Frankreich ver-
                                                                                                     Teilweise Schulschließungen             Vollständige Schulschließungen
                                                          Tage
folgte während der Pandemie den Ansatz, die Schulen
                                                          300
weitestgehend offen zu halten. So waren die Grund-                274
                                                                        272
und weiterführenden Schulen insgesamt nur 56 Tage         250
                                                                        82
geschlossen, 40 Tage davon vollständig und 16 Tage        200                     182 185                 178
                                                                  176                                                       170
teilweise. Frankreich liegt damit deutlich unter bei-
                                                          150
den Mittelwerten (Tage vollständiger bzw. teilweiser                                    101        125 89
                                                                                  118                                  97 127
Schließungen) der ausgewählten Länder. Als Land           100           190                         51
                                                                                                                                        62                                 61
ohne teilweise Schulschließungen fällt Spanien auf:                                                                    61            50
                                                                                                                                        16
                                                                                                                                                           45 45
                                                           50     98                                       90                                                              22
Es schloss Schulen für nur 45 Tage vollständig im Jahr                             64 84            74                               16
                                                                                                                                        47                 45 45
                                                                                                                       36 43         34                                    40
2020. Im Jahr 2021 gab es keinerlei national angeord-       0
                                                                  Polen       Deutschland        Österreich          Niederlande   Frankreich              Spanien   Schweden
nete Schulschließungen. Schließlich verzeichnet unter

                                                                             n

                                                                             n

                                                                             n

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                                                                            en
                                                                   hr len
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                                                              rfü chu
den ausgewählten Ländern sowie auch im OECD-Ver-

                                                              rfü chu
                                                              rfü sch

                                                                         h

                                                                         h

                                                                         h

                                                                         h
                                                                        ch

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gleich Schweden die wenigsten Schulschließungstage:

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Im Durchschnitt der Schularten liegt Schweden le-
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                                                         Anmerkung: Zeitraum von Januar 2020 bis Mai 2021. Berichtete Tagesanzahlen sind jeweils auf
diglich bei 20 Tagen vollständiger Schulschließungen     ganze Zahlen gerundet. Aufgrund der Rundungen kann es zu leichten Diskrepanzen zwischen den
                                                         Einzelwerten und den Summen/Differenzen dieser Einzelwerte kommen.
und bei 31 Tagen, wenn teilweise und vollständige        Quelle: OECD (2021a); Berechnungen der Autorinnen.                                                          © ifo Institut
Schulschließungen addiert werden.
     Einen detaillierteren Einblick dazu, welche Schü-        Im Kontext dieser Einschränkungen für Kinder
ler*innen besonders von den Schulschließungen be-        und Jugendliche ist wichtig zu erwähnen, welche
troffen waren, gewährt Abbildung 2. Hier wird die        pandemiebedingten Maßnahmen die Länder für Er-
Anzahl an Schulschließungstagen nach Schulart –          wachsene ergriffen, um die Infektionszahlen zu sen-
Grundschulen und weiterführende Schulen – aufge-         ken. So wurden in Deutschland neben den Schulen
führt. Bei einem Vergleich der Mittelwerte ist bereits   zeitweise auch nicht-lebensnotwendige Geschäfte,
der allgemeine Trend erkennbar, dass höhere Schul-       Gastronomie und weitere Einrichtungen geschlossen
stufen längere Schulschließungen verzeichneten: Wäh-     sowie »Social-Distancing«-Maßnahmen und Verbote
rend der Mittelwert der vollständigen Schulschließun-    öffentlicher Treffen in Gruppen erlassen (IMF 2021).
gen der Grundschulen der ausgewählten Länder bei         Für Arbeitgeber*innen galt die Verpflichtung, bis Ende
50 Tagen liegt, beträgt er für die weiterführenden       Juni 2021 Homeoffice nach Möglichkeit anzubieten
Schulen 77 Tage. Deutlich ersichtlich ist dies in Po-    (Bundesregierung 2021). Eine Verpflichtung, dieses
len, wo die weiterführenden Schulen 92 Tage länger       Angebot anzunehmen, bestand seitens der Arbeitneh-
vollständig geschlossen waren als die Grundschulen.      mer*innen jedoch erst ab April 2021 (Bundesamt für
Allerdings verzeichnen die Grundschulen weitaus län-     Justiz 2021). Während also die Schulen geschlossen
gere teilweise Schließungen von insgesamt 176 Tagen      waren, bestand für die erwachsene Bevölkerung wäh-
(vs. 82 Tagen an den weiterführenden Schulen). Ein       rend der Pandemie größtenteils keine Verpflichtung,
ähnlicher, wenn auch abgeschwächter Trend, ist in        bei realisierbarem Homeoffice von zu Hause aus zu
Deutschland ersichtlich: Grundschulen waren hier         arbeiten. Laut Alipour et al. (2021) waren im Februar
20 Tage weniger lang vollständig geschlossen, dafür      2021 etwa 30% der Arbeitnehmer*innen zumindest
18 Tage länger teilweise geschlossen. Im Vergleich       teilweise im Homeoffice beschäftigt; der Anteil derer,
hierzu zeigen Österreich und die Niederlande andere      die im Homeoffice arbeiten könnten, lag allerdings
Muster: Hier waren die weiterführenden Schulen mit       bei 56%. Es hätten also deutlich mehr Erwachsene
178 bzw. 170 Tagen an Schließungen insgesamt weit        von zu Hause aus arbeiten können, nicht alle haben
länger geschlossen als die Grundschulen (125 bzw.        jedoch dieses Angebot in Anspruch genommen bzw.
97 Tage). Spanien ist eines der wenigen europäischen     nehmen müssen. In Österreich, das ähnlich lange
Länder, das seine Schulschließungsstrategie nicht        Schulschließungen wie Deutschland verzeichnete,
nach Schularten unterschied: Sowohl an Grund- als        wurden ähnliche Schließungsmaßnahmen ergriffen;
auch an weiterführenden Schulen gab es vollständige      eine Homeoffice-Verpflichtung gab es jedoch weder
Schulschließungen von 45 Tagen und keine teilweisen      für Arbeitgeber*innen noch für Arbeitnehmer*innen
Schließungen. Hervorzuheben ist auch Schweden, wel-      (IMF 2021; Österreichischer Gewerkschaftsbund 2021).
ches lediglich die Sekundarstufe II der weiterführen-    Laut einer Umfrage aus dem Januar 2021 mit 800 Ös-
den Schulen schloss. Der Präsenzunterricht sowohl an     terreicher*innen ab 16 Jahren gaben 41% an, teilweise
Grundschulen als auch in der Sekundarstufe I wurde       oder fast vollständig im Homeoffice tätig zu sein, wäh-
durchgehend weitergeführt. Somit ergibt sich eine        rend 33% angaben, gar nicht im Homeoffice zu sein,
gemittelte Schulschließungslänge an weiterführen-        und 26% sagten, Homeoffice sei nicht möglich (Sta-
den Schulen von 40 Tagen (vollständig) und 22 Tagen      tista 2021a). Polen war mit 1998 Todesfällen pro eine
(teilweise).                                             Million Einwohner von der Corona-Pandemie stark

                                                                                 ifo Schnelldienst       12 / 2021   vorab 30. November 2021           5
FORSCHUNGSERGEBNISSE

    betroffen (Statista 2021b). Hier wurden die Schulen        ler*innen die Zeit während der Schulschließungen
    ebenso wie weitere nicht-lebensnotwendige Einrich-         konkret verbracht haben. Die meisten Länder adap-
    tungen für lange Zeit geschlossen (IMF 2021). Laut ei-     tierten Distanzunterricht, also Unterricht, der nicht an
    ner Umfrage des Polnischen Wirtschaftsinstituts (PIE)      den Schulen in Präsenz stattfand, sondern von den
    und des Polnischen Entwicklungsfonds (PFR) von Juli        Schüler*innen von zu Hause aus verfolgt wurde. Ein
    2020 gaben 44% der Befragten an, keine Möglichkeit         zentraler Aspekt für gut funktionierende Distanzlehre
    zu haben, ihre Arbeit ins Homeoffice zu verlegen. Ein      ist dabei die Digitalisierung der einzelnen Länder: So
    Viertel sagte auch, dass es nur wenige Arbeitsplätze       kann beispielsweise per Videokonferenz gemeinsa-
    gebe, die von zu Hause aus ausgeübt werden können.         mer Fernunterricht für die ganze Klasse durchgeführt
    Nur für 9% gab es eine Homeoffice-Pflicht während          werden und Unterrichtsmaterialien können über Lern-
    der Ausgangssperre (Arak 2021). Dementsprechend            plattformen online bereitgestellt werden. Daher lohnt
    kann man zusammenfassen, dass in diesen Ländern            es sich zu betrachten, wie schnell und effizient Schu-
    Schüler*innen in ihrem Schulbesuch stärker einge-          len bei Ausbruch der Pandemie auf die digitale Wis-
    schränkt wurden als Erwachsene an ihrem Arbeitsort.        sensvermittlung umstellen konnten.
          Nach Polen hatte Spanien die meisten Todesfälle           Einen Anhaltspunkt dafür bietet der Stand der
    pro eine Million Einwohner zu verzeichnen (Statista        Digitalisierung der Schulen vor der Pandemie. Ein
    2021b). Daher gab es insbesondere zu Beginn der Pan-       hoher Digitalisierungsgrad vor Corona deutet darauf
    demie große Einschränkungen, vor allem bezüglich der       hin, dass die Umstellung auf Distanzlehre vermutlich
    Bewegungsfreiheit und nicht-essentiellen Aktivitäten       problemloser verlief als bei einem niedrigen Digita-
    (IMF 2021). Trotzdem entschied sich Spanien im Jahr        lisierungsgrad. Abbildung 3 zeigt die Einschätzung
    2020, die Schulen nach 45 Tagen Schließung wieder          von Schulleiter*innen zu verschiedenen Themen,
    zu öffnen (OECD 2021a). Auch Frankreich legte gro-         die die Digitalisierung der Schulen betreffen und im
    ßen Wert darauf, die Schulen während der Corona-           Rahmen der PISA-Studie 2018 erhoben wurden. Zwar
    Pandemie weitgehend offenzuhalten (Wäschenbach             kann man von einer gewissen Heterogenität zwischen
    et al. 2021). Gleichzeitig wurden aber mehrere harte       den Schulen eines Landes ausgehen, jedoch geben
    Lockdowns mit strengen Ausgangssperren und Be-             diese Einschätzungen einen guten Näherungswert zur
    stimmungen, sich nicht über einen sehr engen Radius        nationalen Lage der schulischen Digitalisierung vor
    vom eigenen Wohnort zu entfernen, vollzogen. Zeit-         Corona ab. So stimmten die Schulleitungen von nur
    weise mussten auch schriftliche Vermerke mitgeführt        33% der Schüler*innen in Deutschland der Aussage
    werden, die die Gründe für das Verlassen des Hauses        (sehr) zu, dass eine effektive Online-Plattform an der
    erklärten (Yan et al. 2020). Zusätzlich bestand ab Okto-   Schule existiere. Deutschland belegt im Vergleich mit
    ber 2020 für alle Arbeitnehmer*innen in Homeoffice-fä-     den ausgewählten Ländern hierbei den letzten Platz,
    higen Berufen eine Pflicht, von zu Hause aus zu arbei-     hinter Polen und Frankreich (je 35% Zustimmung).
    ten (Kafsack 2021). Die Niederlande wiederum hatten        Beim Spitzenreiter Schweden hingegen bejahten die
    die niedrigsten Todesfälle pro eine Million Einwohner      Schulleiter*innen von 80% der Schulkinder, dass eine
    im vorliegenden Ländervergleich (Statista 2021b) und       effektive Lernplattform vorhanden sei. Auch bei der
    wählten einen Mittelweg: Die Strategie wurde als »in-      Frage, ob effektive Ressourcen für Lehrkräfte zur Ver-
    telligenter Lockdown« bezeichnet und beinhaltete ne-       fügung stehen, um den Umgang mit digitalen Gerä-
    ben relativ kurzen vollständigen Schulschließungen         ten zu erlernen, liegt Deutschland im Ländervergleich
    auch die Aufforderung, im Homeoffice zu arbeiten und       an hinterster Stelle: Die Schulleitungen von 41% der
    möglichst zu Hause zu bleiben (de Haas et al. 2020).       deutschen Schüler*innen stimmten (sehr) zu, über
    Schweden hingegen ist bekannt für einen Sonderweg          Ressourcen für diesen Zweck zu verfügen. Im Gegen-
    in der Corona-Politik und vollzog keine strengen Lock-     satz hierzu berichten Schweden und Österreich Zu-
    downs während der Pandemie (Franck 2021). Ähnlich          stimmungswerte von je 83% und 79%, gefolgt von
    wie Frankreich beschloss Schweden, die Schulen offen       den Niederlanden, Frankreich und Polen (71–67%).
    zu halten, mit dem Argument, dass Schulschließungen             Schließlich wurde auch gefragt, ob die Schullei-
    nicht der beste Weg seien, um Infektionszahlen zu ver-     ter*innen zustimmen, dass Lehrkräfte ausreichend
    ringern (Regierungsbehörde von Schweden 2020). Im          Zeit zur Unterrichtsvorbereitung mit digitalen Geräten
    Unterschied zu Frankreich gab es aber auch für die         haben. Deutschland belegt bei dieser Frage den vor-
    erwachsene Bevölkerung keine starken Restriktionen.        letzten Platz: Schulleitungen von 44% der Schulkinder
    Jedoch wurde die schwedische Strategie oftmals kriti-      stimmten dieser Aussage (sehr) zu. Darunter liegen nur
    siert, da es zeitweise viele Todesfälle und überlastete    die Zustimmungswerte der Schulleitungen spanischer
    Krankenhäuser gab (Wäschenbach et al. 2021).               Schüler*innen (33%). Abermals belegen die Schullei-
                                                               ter*innen von 82% der schwedischen Schüler*innen
    WIE FAND UNTERRICHT IN EUROPÄISCHEN                        den ersten Rang, dicht gefolgt von Österreich und
    LÄNDERN WÄHREND DER PANDEMIE STATT?                        Frankreich (je 81%) sowie Polen (77%) und den Nie-
                                                               derlanden (70%). Insgesamt geben diese Antworten
    Neben der Frage nach der Länge der Schulschließun-         Hinweise darauf, dass die deutschen Schulen vor der
    gen ist ein weiterer wichtiger Aspekt, wie die Schü-       Pandemie weit weniger digitalisiert waren als in ande-

6   ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE

ren europäischen Ländern. Dass Deutschland in allen                    Abb. 3
drei Dimensionen den letzten oder vorletzten Platz                     Wie gut waren die Schulen vor Corona auf digitale Lehre vorbereitet?
                                                                       Deutschland im Ländervergleich auf einem der unteren Plätze
in der Länderauswahl einnimmt, lässt erahnen, wie
herausfordernd die Umstellung auf Distanzunterricht                     %            Polen     Österreich     Deutschland      Spanien      Niederlande      Schweden       Frankreich

hier während der Pandemie war.                                         100
                                                                        90
     In diesem Kontext liefert auch die ICILS-Studie                    80
(Fraillon et al. 2018) aufschlussreiche Ergebnisse4: Nur                70
26% der deutschen Achtklässler*innen hatten im Jahr                     60
                                                                        50
2018 an ihrer Schule Zugang zu WLAN für Lernzwe-
                                                                        40
cke, laut den schulischen IT-Koordinator*innen (versus                  30
37% in Frankreich und 91% bzw. 100% in Finnland                         20
bzw. Dänemark5), und nur 16% nutzten internetba-                        10
                                                                         0
sierte Anwendungen zur schulischen Zusammenar-
                                                                                           Schüler*innen,            Schüler*innen, deren             Schüler*innen, deren Schul-
beit, wie z.B. Google Docs (54% in Frankreich und je                                    deren Schulleitung            Schulleitung (sehr)            leitung (sehr) zustimmt, dass
97% in den beiden skandinavischen Ländern). Zudem                                         (sehr) zustimmt,          zustimmt, dass effektive           Lehrkräfte ausreichend Zeit
berichten die IT-Zuständigen von 35% bzw. 38% der                                        dass eine effektive        Ressourcen für Lehrkräfte           haben, um den Unterricht
                                                                                         Online-Lernplatt-         zur Verfügung stehen, um          unter Einbeziehung digitaler
deutschen Schüler*innen dieser Klassenstufe vom Vor-                                    form vorhanden ist         den Umgang mit digitalen               Geräte vorzubereiten
handensein individueller digitaler Lernspiele bzw. text-                                                              Geräten zu erlernen
                                                                       Anmerkung: Die berichteten Werte beziehen sich auf Umfrageergebnisse vor der Pandemie und stellen somit den
buchverknüpfter digitaler Lernmaterialien, während                     Digitalisierungsstand der Schulen in ausgewählten europäischen Ländern vor Corona dar.
diese Werte in anderen Ländern deutlich höher lagen                    Quelle: OECD (2020); PISA (2018); Darstellung der Autorinnen.                                       © ifo Institut

(Frankreich: 46% bzw. 58%; Finnland: 80% bzw. 89%;
Dänemark: 72% bzw. 83%). Gerade diese Elemente                         2021). Zudem gab es bundesweit keine einheitlichen
wären jedoch für erfolgreichen digitalen Distanzun-                    Konzepte dazu, wie digitaler Unterricht stattfinden
terricht ausschlaggebend. Zwar erreichten deutsche                     sollte, und die Entscheidung über Distanzunterricht
Achtklässler*innen überdurchschnittliche Werte im                      war über lange Zeit den einzelnen Schulen oder Lehr-
Vergleich zum ICILS-2018-Durchschnitt im Bereich                       kräften überlassen. Zwar wurden während der zweiten
»EDV- und Informationskompetenz«, jedoch signifikant                   Phase der Schulschließungen der Mehrheit der Schul-
unterdurchschnittliche Werte in »Computational Thin-                   kinder die Lehrmaterialien meist digital bereitgestellt,
king«. Eine Studie von Beblavý et al. (2019) vergleicht                jedoch erhielt ein Fünftel der Schüler*innen weiter-
alle EU-27-Länder und stellt fest, dass Deutschland                    hin vor allem Material in Papierform (Wößmann et al.
in Bezug auf digitales Lernen an letzter Stelle steht.                 2021). Online-Lernplattformen wurden nur regional
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass dieses Er-                     ins Leben gerufen und waren selbst innerhalb eines
gebnis nicht sonderlich überraschend ist, da »[…] zu                   Bundeslandes meist unterschiedlich (Anders 2021).
wenig in die digitale Infrastruktur investiert wurde,                       Im Gegensatz hierzu nutzten Frankreichs Schulen
die Geschwindigkeit der Internetanschlüsse zu niedrig                  bereits seit Anfang der Pandemie die Online-Lern-
ist und ein Mangel an Breitbandzugang im gesamten                      plattform »Ma classe à la maison« (dt. »meine Klasse
Bundesgebiet herrscht« (Beblavý et al. 2019, S. 23).                   zu Hause«), um die Schüler*innen mit Lernmateria-
     Neben den wesentlichen Unterschieden in der                       lien zu versorgen (World Bank 2020). »Ma classe à la
digitalen Ausstattung der verschiedenen Länder vor                     maison« wurde auf dem nationalen Level bereitge-
Corona zeigten sich weitere Differenzen in der Art und                 stellt und vor allem während der Schließungen von
Frequenz des Unterrichts während der Pandemie. Ei-                     März bis Juni 2020 genutzt (OECD 2021a). Die meisten
ner Elternumfrage von Wößmann et al. (2020) zufolge                    Bildungsministerien der ausgewählten Länder riefen
hatten 57% der Schüler*innen in Deutschland wäh-                       eine solche nationale Lernplattform ins Leben, so
rend des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 weniger                     z.B. Polen, Österreich (»Eduthek«), Schweden (»skola
als einmal die Woche Online-Unterricht mit der ganzen                  hemma«) und Spanien (»Recursos para el aprendizaje
Klasse, nur 6% täglich, und sogar 45% nie. Dies än-                    en línea“) – obwohl in Spanien, ähnlich wie im föde-
derte sich zwar etwas während der zweiten Phase der                    ralen System Deutschlands, die Regionen selbst über
Schulschließungen zu Anfang 2021, als ein gutes Vier-                  ihre Bildungspolitik entscheiden (World Bank 2020;
tel der Schüler*innen täglich gemeinsamen Online-Un-                   CEDEFOP 2020a; CEDEFOP 2020b). Die Niederlande
terricht hatte. Trotzdem hatten immer noch 39% dies                    waren für die Phasen der Schulschließungen durch
nur höchstens einmal pro Woche (Wößmann et al.                         breit ausgebaute technische Infrastruktur und verfüg-
                                                                       bare technische Geräte gut ausgestattet, um auf Dis-
4
   Von unserer Länderauswahl waren nur Deutschland und Frank-          tanzlehre umzusteigen (Engzell et al. 2021; Bol 2020).
reich Teil der ICILS-Studie 2018. Daher kann hier nicht auf Polen,
Österreich, die Niederlande, Spanien und Schweden eingegangen
                                                                       Blaskó et al. (2021) argumentieren, dass im Gegensatz
werden.                                                                dazu gerade Grundschulkinder in Ländern mit länge-
5
   Dänemarks Schulkinder konnten während der Pandemie weitge-
hend unterbrechungsfrei weiterlernen, da der Ausbau digitaler Infra-
                                                                       ren Schulschließungen wie Polen oder Deutschland
strukturen an dänischen Schulen (Internetzugang, Hard- und Soft-       eine hohe Warscheinlichkeit dafür hatten, nicht zur
ware) bereits seit der Jahrtausendwende vorangetrieben wurde und
digitales Lernen und Lehren inzwischen fast überall verbreitet ist
                                                                       Schule zu gehen und gleichzeitig auch keine effiziente
(Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2020).               Distanzlehre zu erfahren, da viele Schulen technisch

                                                                                             ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021        7
FORSCHUNGSERGEBNISSE

    nicht dafür ausgestattet waren. Eine Umfrage des Pol-          In Ermangelung nationaler Schülerleistungstests
    nischen Wirtschaftsinstituts (PIE) im Jahr 2020 fragte    bieten Einschätzungen der Lernzeitveränderung eine
    beispielsweise die Selbsteinschätzung der digitalen       Annäherung an die Kompetenzentwicklung deutscher
    Kompetenzen von polnischen Lehrkräften ab. 85% der        Schüler*innen.6 So zeigen Grewenig et al. (2021), dass
    Lehrkräfte berichten mangelnde Erfahrung mit Inst-        sich die Lernzeit von Schulkindern in Deutschland
    rumenten des digitalen Unterrichts, nur 5% schätzen       während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 von
    sich als kompetent ein (Arak 2021). Laut einem Bericht    7,4 auf 3,6 Stunden pro Tag halbierte. 64% der Eltern
    des polnischen Zentrums für Ökonomische Analysen          gaben an, dass ihr Kind viel weniger während der
    hatten zudem 10% der alleinerziehenden Eltern keinen      Schulschließungen gelernt habe. Dafür verbrachten
    PC mit Internetzugang (Arak 2021).                        Kinder und Jugendliche mehr Zeit mit passiven Aktivi-
         Um die Distanzlehre zu unterstützen, führte der      täten wie Handy, Fernsehen und Computerspielen. Vor
    deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk im zwei-          allem die Lernzeit leistungsschwächerer Schüler*innen
    ten Lockdown einen Bildungskanal ein (Tagesschau          sank bedeutend mehr als die der leistungsstärkeren.
    2021). In ähnlicher Weise geschah dies auch in ande-      Dies lässt darauf schließen, dass die Schulschließun-
    ren europäischen Ländern, so zum Beispiel in Spanien      gen die Bildungsungleichheit auch in Deutschland ver-
    (»Educlan«, bereitgestellt von RTVE in Kooperation mit    stärkt haben. Im zweiten Lockdown Anfang 2021 stieg
    dem spanischen Bildungsministerium und verschiede-        die Lernzeit zwar um etwa eine Dreiviertelstunde pro
    nen Bildungsverlagen) und Österreich (bereitgestellt      Tag, dies entsprach aber immer noch drei Stunden
    von ORF1) (World Bank 2020). Über die Nutzung dieser      weniger als an einem normalen Schultag vor Corona
    Kanäle ist jedoch wenig bekannt. Die Umfrage von          (Wößmann et al. 2021).
    Wößmann et al. (2021) zeigt für Deutschland, dass nur          Eine repräsentative Elternbefragung in Österreich
    ein sehr geringer Anteil der mit Fernsehen verbrachten    während des dortigen dritten Lockdowns Anfang 2021
    Zeit tatsächlich das Schauen von Bildungskanälen          und der damit einhergehenden erneuten Schulschlie-
    beinhaltete.                                              ßungen ergab, dass die täglich investierte Zeit für
                                                              schulische Aktivitäten von 7,8 auf 6 Stunden sank,
    WAS SIND DIE KONSEQUENZEN DER                             was einen weniger starken Lernzeitrückgang darstellt
    SCHULSCHLIESSUNGEN IN EUROPA?                             als in Deutschland (Helm und Postlbauer 2021). Doch
                                                              auch hier stimmten 58% der österreichischen Eltern
    Angesichts eines derart großen Einschnitts in das         der Aussage zu, dass ihr Kind während dieser Schul-
    Leben und Lernen nahezu aller Kinder und Jugend-          schließungen deutlich weniger gelernt hat als im nor-
    licher stellt sich die Frage nach den Konsequenzen        malen Unterricht vor Corona. Auch in Frankreich ergab
    der Schulschließungen. Einen wichtigen Punkt stellt       eine Umfrage während des ersten Lockdowns (März
    die Entwicklung der Kompetenzen von Schüler*innen         bis Mai 2020) von Di Pietro et al. (2020) eine Reduktion
    dar. Allerdings sind nationale Schülerleistungstests,     der schulischen Aktivitäten von Grundschüler*innen
    die Kompetenzen regelmäßig erheben und damit ver-         um knapp die Hälfte der Zeit, verglichen mit einem
    gleichbar machen würden, gerade zu Zeiten der Pan-        regulären Schultag vor der Pandemie. Zudem wur-
    demie selten. Eine Ausnahme sind die Niederlande:         den standardisierte Schülerleistungstests, die in den
    Engzell et al. (2021) berichten die Ergebnisse natio­     französischen Grundschulen im Januar 2020 sowie
    naler Schülerleistungstests, die vor und nach den         2021 durchgeführt wurden, ausgewertet (Andreu et
    Schulschließungen erhoben wurden. Sie zeigen, dass        al. 2021). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der
    die Schließungen der niederländischen Grundschulen        Anteil der leistungsschwächeren Schüler*innen im
    im Frühjahr 2020 zu einem Rückgang der Schüler-           Vergleich zum Vorjahr tendenziell zurückging; mögli-
    leistungen von bis zu 20% führten – dies entspricht       cherweise steht dies in Zusammenhang mit der ver-
    genau dem Anteil des Lernstoffs, der während der          gleichsweise geringen Länge der Schulschließungen
    Zeit der Schulschließung vermittelt worden wäre.          in Frankreich. Allerdings haben sich Schüler*innen aus
    Des Weiteren haben die Autoren bis zu 60% höhere          weniger privilegierten Schulen im oben genannten
    Lernverluste für bildungsfernere Schüler*innen fest-      Zeitraum weniger verbessert, was ihre Lesefähigkeit
    gestellt (Engzell et al. 2021). Auch Bol (2020) kommt     betrifft (Andreu et al. 2021).
    unter Verwendung von niederländischen Daten zu                 Darüber hinaus hinterließen die Schulschließun-
    dem Ergebnis, dass die Bildungsungleichheit durch         gen deutliche Spuren bezüglich des psychischen Wohl-
    die Schulschließungen erhöht wurde: Schüler*innen         befindens von Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften.
    aus bildungsferneren Schichten haben weniger Zu-          6
                                                                 Hierbei ist wichtig anzumerken, dass Erkenntnisse aus Umfrage-
    gang zu essentiellen Ressourcen der Distanzlehre,         daten gewissen Verzerrungen unterliegen können. So werden Umfra-
                                                              gen i.d.R. auf freiwilliger Basis geführt, wodurch Stichproben daher
    wie eigene Computer oder Tablets, einen ruhigen Ort       nicht zwangsläufig komplett bevölkerungsrepräsentativ sind. Eine
    zum Lernen oder auch Eltern, die sie bei ihren Schul-     Verzerrung kann zum Beispiel auftreten, falls vor allem soziökono-
                                                              misch schwächere oder bildungsfernere Gruppen nicht an Umfragen
    arbeiten unterstützen. So findet Bol (2020), dass sich    teilnehmen (Werner und Wößmann 2021). Dies würde allerdings be-
    75% der höher gebildeten Eltern qualifiziert fühlen,      deuten, dass die negativen Effekte der Schulschließungen eher un-
                                                              ter- als überschätzt würden (Werner und Wößmann 2021). Umfrage-
    ihre Kinder bei Schularbeiten zu unterstützen, jedoch     werte sind daher trotzdem wertvoll, da sie durchaus einen Trend für
    nur 40% der bildungsferneren.                             die Konsequenzen der Schulschließungen angeben können.

8   ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE

So berichteten Eltern in Deutschland eine deutlich er-     zum Anteil der in Bildung getätigten Investitionen
höhte psychische Belastung ihrer Kinder während des        vor der Pandemie helfen folgende Zahlen: Europa
zweiten Lockdowns: Während die Schulschließungen           und Nordamerika gaben mit dem oben genannten
im Frühjahr 2020 eine große Belastung für 38% waren,       Betrag 0,73% ihrer fiskalischen Reaktionen auf die
waren es während der zweiten Schulschließungen be-         Pandemie für Bildung aus. Im Vergleich dazu ga-
reits 50% der Schüler*innen (Wößmann et al. 2021).         ben die OECD-Länder im Jahr 2018 etwa zwischen
Bei der Belastung für die Eltern selbst wird ein ähnlich   3,3–6,6% des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für
hoher Anstieg von 38% auf 52% dokumentiert. Ebenso         Bildung aus (Statista, 2021c), was also deutlich über
gab in Österreich fast die Hälfte der befragten Eltern     dem investierten Anteil für Bildung im Rahmen der
an, dass die Schulschließungen Anfang 2021 für sie         Corona-Pandemie liegt.
selbst oder für ihr jüngstes Schulkind eine große psy-          Nun wollen wir betrachten, wie die europäischen
chische Belastung darstellten (Helm und Postlbauer         Länder, die wir ausgewählt haben, ihre jeweiligen In-
2021). Eine repräsentative Umfrage unter Eltern in         vestitionen getätigt haben. In Deutschland wurde ein
Polen ergab, dass die Anfangszeit der Pandemie vor         2-Mrd.-Euro-schweres Kompensationsprogramm mit
allem von großer Unsicherheit geprägt war: So gaben        dem Namen »Aufholen nach Corona für Kinder und
rund 68% der Eltern an, keine Information über die         Jugendliche« für die Jahre 2021 und 2022 gestartet
Organisation der schulischen Aktivitäten ihrer Kinder      (BMFSFJ 2021). Der Betrag entspricht etwa 0,06% des
zu erhalten (Statista 2020).                               deutschen Bruttoinlandsprodukts.7 Die Hälfte davon
     Zur Situation der Lehrkräfte in Polen wurden          soll zum Schließen der während Corona entstandenen
beispielsweise 430 Lehrer*innen an weiterführenden         Lernlücken investiert werden (BMFSFJ 2021). Das er-
Schulen zu ihrem Wohlbefinden während der Pan-             gibt 92 Euro pro Schüler*in, wenn dieser Betrag auf
demie befragt. Davon gaben 60% ein hohes Level             die 10,9 Millionen Schüler*innen an allgemeinbilden-
an emotionaler Erschöpfung und 69% eine niedrige           den und beruflichen Schulen in Deutschland verteilt
berufliche Leistungsfähigkeit an. Vor allem jüngere        wird (eigene Berechnung; Statista 2021d). Maßnahmen
Lehrkräfte kämpften mit Symptomen von Burnout              zur Kompensation der Schulschließungen sind unter
(Sánchez-Pujalte et al. 2021). Zwei Befragungen von        anderem diverse Sommerschulen zum Nachholen von
285 polnischen Lehrkräften der Grund- und weiter-          Unterrichtsstoff.8
führenden Schulen während der ersten und zweiten                Frankreichs Regierung bemühte sich vor allem
Corona-Welle zeigen eine steigende psychische Be-          darum, benachteiligte Schüler*innen zu unterstützen.
lastung: Während in der ersten Befragung 44% unter         So stellte das Land beispielsweise zusätzliche Unter-
mindestens milden depressiven Symptomen litten,            stützung für Haushalte mit niedrigerem Einkommen
waren es in der zweiten sogar 55% (Jakubowski und          zu Verfügung, bemühte sich, Internetzugangsbarrieren
Sitko-Dominik 2021). In Deutschland, Österreich und        zu beseitigen, und subventionierte die für Online-Un-
der Schweiz sah sich zu Beginn der Pandemie im April       terricht notwendigen technischen Geräte. Des Weite-
2020 etwa die Hälfte der Lehrer*innen als motiviert        ren wurde die Initiative »Devoirs faits« (dt. »erledigte
für Online-Unterricht, aber nur 25% fühlten sich dafür     Hausaufgaben«) ausgeweitet, welche Schüler*innen
qualifiziert (Huber et al. 2021).                          bei ihren Hausaufgaben unterstützt (OECD 2021b).
                                                           Auch wurde, ähnlich wie in Deutschland, ein Ferien-
WELCHE KOMPENSATIONSPROGRAMME                              programm zur Unterstützung von Schüler*innen ins
WURDEN AUFGESETZT?                                         Leben gerufen. Zudem wurden etwa 5 000 zusätzli-
                                                           che Lehrkräfte eingestellt, um Abwesenheiten von
Die letzte zentrale Frage dieses Beitrags ist, ob es       an Covid-19 erkrankten Lehrkräften auszugleichen
Kompensationsprogramme für die Schüler*innen gibt,         (OECD 2021a). Ein ähnliches Programm wurde auch
um die negativen Folgen der Pandemie-bedingten             in Baden-Württemberg gestartet: Unter dem Namen
Schulschließungen abzumildern. Im Folgenden werden         »Lernen mit Rückenwind« wurden bereits pensionierte
einige Maßnahmen genannt, die bereits zu Beginn            Lehrkräfte, Lehramtsstudierende sowie weitere Päda-
der Pandemie und während der Schulschließungen             gog*innen dazu aufgerufen, die Schulen als Hilfslehr-
ergriffen wurden, sowie konkrete Aufholprogramme           kräfte während der Pandemie zu unterstützen (Kultus-
und zukünftig geplante Investitionen beschrieben, um       ministerium Baden-Württemberg 2021b).9 Insgesamt
beispielsweise Lernlücken zu schließen und Bildungs-       7
                                                              Deutschlands BIP im Jahr 2020 entsprach 3 336 Mrd. Euro (Statis-
ungleichheit zu verringern.                                tisches Bundesamt 2021a).
                                                           8
                                                              Beispiele dafür sind die »Lernbrücke« in Baden-Württemberg, die
     Weltweit wurden ca. 12 Billionen US-Dollar in         bereits 2020 stattfand und auch 2021 weitergeführt wurde (Kultusmi-
fiskalische Reaktionen auf die Pandemie investiert,        nisterium Baden-Württemberg 2021a), oder auch der »Lernsommer«
                                                           in Schleswig-Holstein, der ebenfalls in den Sommerferien 2020 statt-
aber lediglich 0,78% (91 Mrd. US-Dollar) davon in Bil-     fand und als Projekt »Lernchancen« während der Sommerferien 2021
dung (UNESCO 2020). Den größten Betrag für Bildung         fortgesetzt wurde (Kultusministerium Schleswig-Holstein 2021). In
                                                           Rheinland-Pfalz gab es die »Sommerschulen« (Kultusministerium
stellten Europa und Nordamerika bereit (56,9 Mrd.          Rheinland-Pfalz 2020) und in Bayern das Projekt »Sommerschu-
US-Dollar), gefolgt von Asien und dem Pazifikraum          le 21«, das bis Juli 2023 fortgeführt werden soll (Kultusministerium
                                                           Bayern 2021).
(30,5 Mrd. US-Dollar), während die übrigen Regio-          9
                                                              Wir haben keine genauen Zahlen dazu gefunden, wie viele Hilfs-
nen etwa 3,8 Mrd. US-Dollar ausgaben. Im Vergleich         lehrer*innen bis dato rekrutiert wurden.

                                                                              ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021   9
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     belaufen sich die Corona-Bildungsinvestitionen Frank-                    Während Deutschland in seinem nationalen Kom-
     reichs laut dem Entwurf zur Änderung des Finanzge-                  pensationsprogramm rund 2 Mrd. Euro für Kinder und
     setzes für 2020 auf 546 Millionen Euro, was 0,024%                  Jugendliche und deren Lernrückstände investiert, stel-
     des französischen Bruttoinlandsprodukts entspricht                  len die Niederlande rund 8,5 Mrd. Euro für ein nationa-
     (eigene Berechnungen, Le Maire und Damanin 2020;                    les Bildungsförderungsprogramm zu Verfügung (Regie-
     Statistisches Bundesamt 2021b). So sollen beispiels-                rung der Niederlande 2021). Das entspricht 1,06% des
     weise 283 Mio. Euro für ein Lernferien-Programm be-                 jährlichen niederländischen Bruttoinlandsproduktes
     reitgestellt werden, und weitere 176,5 Mio. Euro sollen             und ist in Proportion zum BIP damit fast das 18-fache
     investiert werden, um Schüler*innen beim Aufholen                   der nationalen Bildungsausgaben Deutschlands für
     von Lerndefiziten zu unterstützen. Zwar sind diese                  die Bildungsfolgen von Corona.12 Das Geld wird un-
     Ausgaben deutlich geringer als die Aufwendungen für                 ter anderem investiert, um Schüler*innen kostenlose
     Kompensationsprogramme für Kinder und Jugendliche                   Nachhilfe bereitzustellen und mehr Lehrkräfte und
     in anderen Ländern, allerdings hatte Frankreich auch                mehr Lehrassistent*innen einzustellen (Regierung der
     weniger Schulschließungen zu verzeichnen.                           Niederlande 2021).
          Polen investierte 9 Mio. Euro für die technische
     Ausstattung von Lehrkräften und Schüler*innen                       FAZIT UND DISKUSSION
     (CEDEFOP 2020a).10 Schweden rief zur Bekämpfung
     von Lernlücken den Skolmilijarden Plan (dt. »Schul-Mil-             Die Corona-Pandemie stellt für Kinder und Jugend­
     liarden-Plan«) ins Leben. Durch Statsbidrag för lovskola            liche in Europa einen gravierenden Einschnitt dar. Es
     2020 (dt. »staatlicher Zuschuss für Sommer-Schulen«)                gab jedoch innerhalb Europas durchaus unterschied­
     erhöhte das Land seine zweckgebundenen staatlichen                  liche Strategien der Länder, wie ihr Bildungswesen mit
     Zuschüsse für Schulen, die Unterricht in Sommerschu-                der Pandemie umging. So schloss Deutschland zur
     len während der Ferien im Jahr 2020 anboten (OECD                   Eindämmung des Infektionsgeschehens die Schulen
     2021a). Da in Schweden ausschließlich die Sekundar-                 mit 72 Tagen vollständigen und 109 Tagen teilweisen
     stufe II und die Hochschulen von den Schließungen                   Schließungen vergleichsweise lang, ähnlich wie Po-
     betroffen waren, gab es vor allem für diese Gruppen                 len und Österreich. Frankreich, Spanien und Schwe-
     Kompensationsprogramme. Der Gesetzesentwurf zur                     den legten hingegen einen Fokus darauf, die Schulen
     Finanzpolitik für das Frühjahr 2021 enthält unter an-               weitestgehend offen zu halten. Auffallend ist, dass
     derem die geplante Ausweitung der Plätze für allge-                 manche Länder trotz ähnlicher Covid-19-Todesfall-
     meine und berufliche Bildung sowie die Finanzierung                 zahlen unterschiedliche Entscheidungen bezüglich
     von mehr Sommerkursen an Universitäten. Generell                    der Schulschließungen trafen (siehe Polen und Spa-
     sollen die Investitionen für Bildung steigen (Finanz-               nien). Hierbei sollte erwähnt werden, dass Schulöff-
     ministerium Schweden 2021; IMF 2021).                               nungen diversen Erkenntnissen zufolge keinen Treiber
          Um die Folgen der Coronakrise abzufedern, ge-                  der Pandemie darstellten (Ludvigsson 2020; Viner et
     nehmigte der Ministerrat Spaniens Ausgaben in Höhe                  al. 2020; Isphording et al. 2021; von Bismarck-Osten
     von 16 Mrd. Euro für die spanischen autonomen Ge-                   et al. 2021). Umso bedenklicher ist es daher, dass die
     meinschaften. Davon sollen 2 Mrd. Euro in Bildung                   Belange der Schüler*innen während der Pandemie
     investiert werden (Regierung von Spanien 2020).11                   hintenangestellt wurden. Gerade auch in Deutschland
     Von diesem Betrag sollen 80% für die 0- bis 16-Jäh-                 waren die Einschränkungen für Schulkinder oftmals
     rigen investiert werden und die übrigen 20% für die                 größer als für erwachsene Arbeitnehmende. Des Wei-
     17- bis 24-Jährigen. Des Weiteren sollen 500 000 tech-              teren war der im internationalen Vergleich niedrige
     nische Geräte für sozial schwächere Schüler*innen                   Digitalisierungsstand der Schulen Deutschlands vor
     bereitgestellt werden. Österreich stellte ein Förder-               Corona wohl maßgeblich dafür verantwortlich, dass
     paket für Schüler*innen im Wert von 200 Mio. Euro                   eine Umstellung auf digitale Distanzlehre während der
     zu Verfügung. Von diesem Geld sollen unter anderem                  Pandemie eine große Herausforderung für die meisten
     4 500 Hilfslehrkräfte eingestellt werden, um so zu-                 Schulen war und selten zeitnah gelang. Hinsichtlich
     sätzlichen Unterricht zu ermöglichen. Das Ziel dieses               der Länge der deutschen Schulschließungen scheinen
     Hilfspakets ist das Schließen der entstandenen Lern­                die Aufwendungen für Kompensationsprogramme,
     lücken, und damit der wachsenden Bildungsungleich-                  gerade auch im Vergleich mit den ausgewählten euro-
     heit entgegenzuwirken. Deshalb werden 20 Mio. Euro                  päischen Ländern, eher niedrig. Die Bildungspolitik in
     konkret für sozial schwächere und bildungsfernere                   Deutschland sollte daher aktiv effektive Konzepte für
     Kinder und Jugendliche investiert (Bildungsministe-                 Kinder und Jugendliche entwickeln, um einer drohen-
     rium Österreich 2021).                                              den Bildungskrise entgegenzuwirken. Darüber hinaus
                                                                         sollte der Blick auf die Maßnahmen in Nachbarländern
     10
        Weitere Informationen zu den polnischen Bildungsinvestitionen    helfen, um für geeignete, bildungs- und kinderorien-
     aufgrund von Corona wurden leider nicht gefunden. Es kann daher
     nicht ausgeschlossen werden, dass mehr Geld investiert wurde.
                                                                         tierte Reaktionen auf künftige Corona-Wellen oder
     11
        Spaniens BIP im Jahr 2020 entsprach 1 122 Mrd. Euro (Statisti-   andere Pandemien zu lernen.
     sches Bundesamt 2021c). Das Kompensationsprogramm beträgt so-
                                                                         12
     mit 0,178% des spanischen BIP und damit fast das Dreifache der         Das BIP der Niederlande im Jahr 2020 entsprach 800 Milliarden
     deutschen Ausgaben proportional zum BIP.                            Euro (Statistisches Bundesamt 2021d).

10   ifo Schnelldienst   12 / 2021   vorab 30. November 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE

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