SPRACHROHR FÜR GEFLÜCHTETE MENSCHEN UND MIGRANTINNEN - DIEZEITUNGDESNEULANDE.V. WWW.NEULANDZEITUNG.COM AUSGABE 2/2016

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SPRACHROHR FÜR GEFLÜCHTETE MENSCHEN UND MIGRANTINNEN - DIEZEITUNGDESNEULANDE.V. WWW.NEULANDZEITUNG.COM AUSGABE 2/2016
Die Zeitung des Neuland e.V.   www.neulandzeitung.com		   Ausgabe 2/2016

Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
SPRACHROHR FÜR GEFLÜCHTETE MENSCHEN UND MIGRANTINNEN - DIEZEITUNGDESNEULANDE.V. WWW.NEULANDZEITUNG.COM AUSGABE 2/2016
2                                       www.neulandzeitung.com

                                                   Das ist NeuLand
 Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland und Europa haben kaum Möglichkeiten, sich ungefiltert Gehör zu verschaffen und
  der einheimischen Bevölkerung auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Zeitung dient geflüchteten Menschen und MigrantInnen als
  Sprachrohr für Ihre Geschichten, Empfindungen und Träume. So vermitteln sie etwas von sich an die deutsche Bevölkerung. So
 wird Fremdes zu Bekanntem. Dabei soll es vor allem um die Gegenwart und die Zukunft der geflüchteten Menschen und Migran-
 tInnen in Deutschland gehen. Welche Hoffnungen, Erwartungen, Pläne und Ängste haben sie? Was schätzen sie an Deutschland,
was nicht? In der deutschen Bevölkerung gibt es Sorgen angesichts der „Flüchtlingskrise“. NeuLand soll dazu beitragen, dass Einhei-
mische und Zuwanderer stärker in Kontakt treten, um Ängste und Unverständnis zu überwinden, sowie Vorurteilen, Stereotypisie-
                                             rung und Unwissen entgegenzuwirken.

                                            So entstehen unsere Texte
  Wir haben ein Autoren-Team und ein Redaktions-Team. Die Texte entstehen in Zusammenarbeit zwischen jeweils einem Autor
 und einem Redakteur. Der Autor schreibt einen Artikel für Neuland, meistens auf Deutsch, manchmal auch auf Englisch oder auf
Arabisch. Die Aufgaben des Redakteurs ähneln denen eines Übersetzers und eines Lektors. Autor und Redakteur überlegen, welche
Formulierung am besten passt und suchen gemeinsam nach dem besten Ausdruck. Dabei versucht das Redaktionsteam den Text des
                      Autors möglichst wenig zu beeinflussen und nahe an der Idee des Autors zu bleiben.

                                          NeuLand schafft Begegnung
  NeuLand möchte Nähe, Verständnis und Verständigung fördern. Dafür brauchen wir Dialog und Begegnung auch im direkten
Sinne. Deshalb organisieren wir öffentliche Veranstaltungen wie Release-Partys oder Lesungen (Termine auf der Internetseite) und
haben sogenannte „Autoren-Tage“, an denen alle Redakteure und Autoren zusammenkommen, sich über Gedanken, Textideen und
                                 allgemeine Fragen austauschen und sich einfach kennenlernen.

                                  Susanne Brandl, Raphael Müller-Hotop und das Neuland-Team

                                         NeuLand dankt der Seidlvilla
 NeuLand bedankt sich ausdrücklich und sehr herzlich bei der Seidlvilla (www.seidlvilla.de). In der Seidlvilla hat das NeuLand-Pro-
jekt ein Stück Heimat gefunden. Hier finden unsere monatlichen Sitzungen statt, hier entstehen Ideen und Diskussionen, hier lernen
 sich alle, die bei NeuLand mitwirken, kennen. Ohne die Seidlvilla hätte NeuLand keinen Raum für all das. Deshalb wollen wir uns
        an dieser Stelle sehr herzlich bedanken, dass die Seidlvilla uns kostenlos ihre wunderbaren Räume zur Verfügung stellt.

                                Danksagung an Spender und Mitglieder
 NeuLand bedankt sich außerdem sehr herzlich bei seinen Spendern und Mitgliedern! Ohne die finanzielle Unterstützung gäbe es
weder die erste noch die zweite Ausgabe der NeuLand-Zeitung. Mit den Spendengeldern finanzieren wir hauptsächlich den Druck
der Zeitung, aber auch Release-Feiern, Lesungen und Autoren-Tage. Wir freuen uns, dass wir bei Spendern und Mitgliedern auf so
                                            viel Enthusiasmus und Interesse stoßen!

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Wollen Sie mehr NeuLand lesen? Mit Ihrer Geld-Spende können wir die Stimme jedes einzelnen Autors auch weiterhin hörbar ma-
               chen! Wir freuen uns darauf Sie in unserer nächsten Ausgabe als UnterstützerIn nennen zu dürfen!
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Oben: NeuLand feiert seine 1. Ausgabe im Lost-Weekend. NeuLand wurde vorgestellt und einige der NeuLand-Autoren der 1.
Ausgabe haben ihre Artikel zum Besten gegeben (Fotos: Aleka Grünwald und Dimitri Kloster)
Unten: Ein Autoren-Tag in der Seidlvilla, Redakteure und Autoren überarbeiten Artikel (Fotos: Dimitri Kloster)

Unten: Die NeuLand-Autoren Lilian Ikulumet und Adnan Albash lesen ihre Artikel beim Festival "Literatur im Stianghaus"
(Fotos: Maria Schön)
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                          Danke, München!
                              Autor: Zekeriye Adan Abdirahman, Somalia

Ich würde gerne an alle Deut-     München ist eine so große, so       ven Wohnprojekt, wo ich mich
schen und alle Münchner           offene und liberale Stadt mit       richtig zu Hause fühle.
„Danke!“ sagen.                   echter Freiheit: Meinungsfrei-      Ich wünsche mir, dass ich eines
Als ich nach München ge-          heit, Religionsfreiheit, Freiheit   Tages mein Ziel erreiche – ich
kommen bin, konnte ich kein       der Sexualität und und und.         wäre nie so weit, ohne eure Hil-
Deutsch und hatte keine Idee      So liebe Leute und so zivilisier-   fe, die Hilfe der Münchner. Ihr
von München und den Münch-        te Menschen. Natürlich gibt es      seid ehrliche, hilfsbereite und
nern. Ich hatte keine Idee vom    überall in der Welt böse Men-       sehr kluge Menschen!
Schulsystem und auch nicht        schen und es gibt sie auch hier
vom ganzen Leben in München       – aber die meisten Menschen         Ich kann hier nicht alle positi-
Ich hatte nur gehört, dass fast   sind sehr nett und sehr freund-     ven Dinge schreiben, weil es so
alle Deutschen keine guten        lich. Ich gehe jeden Tag regel-     viele sind und ich sonst nie fer-
Menschen sind.                    mäßig in die Schule und ich         tig werden würde...
Aber was ich später gesehen       habe ein festes Ziel und große
habe, weiß niemand! Das war       Hoffnung.                           NOCHMAL: Danke !!!
eine große Überraschung!          Ich wohne in einem integrati-

                Nadim im Neuland
             Welche Werte sind den Deutschen wichtig?

  Der Zeichner Masiullah Harres zeigt hier einen jungen Mann von hinten: Das ist Nadim, eine
 Kunstfigur, die Masiullah geschaffen hat. Nadim versucht, sich auf die Menschen hier und ihre
 Bräuche, Vorlieben etc. einen Reim zu machen. „Nadim im Neuland“ ist eine Bilderserie. In der
                 nächsten NeuLand-Ausgabe reflektiert Nadim eine neue Frage.
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                   Es muss(te) anders werden,
                  wenn es besser werden soll(te)
                                                                Autor: Gregory Awiey Goc, Südsudan

                                                Sonntag ergriffen         Dinka sind das größte Volk im      waren nicht glücklich mit die-
                                                wir, eine Gruppe          Südsudan und das zweitgrößte       ser Entscheidung, die sich im
                                                von sechs Jungen,         in Afrika. Sie leben als Halb-     Nachhinein aber als richtig er-
                                                 mit     Fahrrädern       nomaden und züchten Kühe).         wiesen hat. Denn es kam doch
                                                 die Flucht. Auf          Die Regierung wollte damit         nicht zu diesem Ritual, da mein
                                                 jedem Gepäckträ-         erreichen, die Dinka zu schwä-     Vater andere Pläne mit uns hat-
                                                 ger waren 50 Kilo        chen und damit die Menschen        te. Er brachte uns zu meinem
                                                  Hirse und Reis          davon abzuhalten, in den Bür-      Onkel in die Stadt zurück. Von
                                                  aufgeladen. Wir         gerkrieg zu ziehen. Am Anfang      dort wurden wir von meinem
                                                  flüchteten über         raubten die Reitmilizen nur die    Onkel in ein Internat bei Khar-
                                                   die Brücke mit         Kühe. Als es in den Dörfern        toum geschickt, in welchem
                                                   den Fahrrädern         kein Vieh mehr gab, fingen sie     ich 1988 mein Abitur machte.
                                                   st a dt aus w är t s   an, das Getreide und die Häu-      Danach konnte ich nicht in der
                                                    und      wurden       ser zu verbrennen, um das Volk     Universität von Khartoum stu-
                                                    von den Solda-        weiter zu schwächen. Irgend-       dieren, weil ich keine hochara-
                                                    ten beobachtet.       wann hatten sie angefangen, die    bischen Kenntnisse besaß. Alle
                                                     Diese     infor-     Männer zu erschießen, Frauen       Südsudanesen, die aufgrund
                                                     mierten      den     zu vergewaltigen und Kinder zu     des Bürgerkrieges vom Süden
                                                     Geheimdienst.        verschleppen und als Sklaven       in die Hauptstadt Khartoum
                                                     Die Geheim-          im Nordsudan bis hin in den        geflohen waren, konnten dort
                                                     dienste schick-      Tschad, nach Lybien und Saudi-     nicht in die Regelschule gehen.
                                                      ten die Solda-      Arabien zu verkaufen. Im Jahr      Im Südsudan ist die Amtsspra-
                                                      ten hinter uns      1985 passierte ein Vorfall: Die    che Englisch und die arabische
                                                       her, um uns        Kinder eines Bekannten von         Sprache wird als zweite Sprache
                                   aufzuhalten. Wir sind entkom-          uns wurden von der Reitmi-         unterrichtet.
Das Leben hatte gerade rich-       men, aber die zweite Gruppe            liz verschleppt und als Sklaven    Aus diesem Grund konnten die
tig begonnen, als der Krieg am     mit 27 Personen die hinter uns         in Familien in den Nordsudan       Südsudanesen nicht an Uni-
16. Juni 1983 ausbrach. Discos,    war, wurden von der Armee              verkauft. Diese Kinder wurden      versitäten im Sudan studieren.
Geburtstagspartys, Ausflüge,       aufgehalten und alle bis auf ei-       von unseren Verwandten im          Jedoch war dies für Südsuda-
Schwimmen und Catering,            nen Mann getötet. In derselben         Omdurman (ein Stadtteil von        nesen mit einem Stipendium
Basketball und vieles mehr         Nacht berichtete uns der Über-         Khartoum) erkannt und die          in Ägypten möglich. Jährlich
machten das Leben schön. Ich       lebende von diesem Vorfall; er         Familien benachrichtigt. Die       durften bis zu 300 Studenten
war gerade 14 Jahre alt, das       hatte eine riesige Schnittwunde        Familien mussten ihre eigenen      nach Ägypten gehen. Die Kon-
Leben war leicht. Das Haus         am Hals.                               Kinder von den Sklavenhaltern      kurrenz war so groß und ich be-
meiner Familie war neben der                                              zurückkaufen. Sie musste ihren     kam keinen Studienplatz. Da-
Brücke, die über den Fluss Al      Auf der anderen Seite der Brü-         Haushalt verkaufen, um den         her entschied ich mich für ein
Jour führt. Viele Leute über-      cke, mitten im Wald, warte-            Rückkauf der Kinder zu ermög-      Studium an der Bachta-Al-Rut-
querten die Brücke, um zu den      ten die Rebellen auf uns und           lichen.                            ha Fachhochschule für Lehramt
Rebellen zu gelangen. Es gab       wir wurden von den Rebellen                                               in Khartoum. Nach einem Jahr
jede Nacht eine Schießerei zwi-    zwangsweise rekrutiert. Ein            Der Bürgerkrieg war für uns        brach ich das Studium ab, weil
schen den Regierungstruppen        Jahr lang waren wir mit den            wie ein Spiel, wir bekamen die     die Lebensumstände für die
auf der einer Seite der Brücke     Rebellen unterwegs und haben           Waffen von den Rebellen und        Südsudanesen in der Haupt-
und den SPLA Rebellen (Sudan       Munition getragen und Essen            durften damit Schießübungen        stadt schwierig geworden wa-
People‘s Liberation Army) auf      für die Soldaten aufgetrieben.         ohne Patronen machen. Jetzt        ren.
der anderen Seite und wir wa-      Der Bürgerkrieg wurde inten-           wollten wir richtig in den Krieg                  (...)
ren mitten im Geschehen. Der       siver; Die Regierung schickte          ziehen, als mein Vater kam und
Himmel leuchtete wie der Tag.      bewaffnete Zivilisten, die so-         uns aus der SPLA rausnahm.
In einer Nacht, in der nicht ge-   genannte Jangjaweed Reitmiliz          Mein Vater ging zu dem SPLA              Weiterlesen auf
schossen wurde, war uns sehr       aus Darfur, in den Südsudan.           Führer und bat ihn, uns wie-         www.neulandzeitung.com
langweilig. Es wurde gefährlich    Die Milizen wurden von der             der mit nach Hause nehmen zu
und meine Eltern beschlossen       Regierung mit Waffen ausge-            dürfen, um ein Abschiedsritual
uns Kinder aus der Stadt zu        rüstet, um das Vieh von mei-           durchführen zu können, bevor
bringen. Eines Tages an einem      nem Volk Dinka zu rauben (Die          wir in den Krieg ziehen. Wir
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                  Perspektiven einer Afrikanerin
                                   Der Kampf in interkulturellen Beziehungen
                                   Autorin: Lillian Ikulumet, Uganda Illustration: Johanna Baader

Wenn man zwei Menschen             che Haltungen, eine der größ-           wir wieder gestritten. Als jun-     führen. Wir wissen auch, dass
zusammenbringt, die aus ver-       ten kulturellen Unterschiede            ges Mädchen wurde ich gelehrt,      das Vertrauen in den Beziehun-
schiedenen Ländern mit un-         zwischen uns war unsere Pers-           den Tag zu nehmen wie er kam.       gen der Klebstoff ist, der zwei
terschiedlichen Hintergründen      pektive auf das Leben. Als Af-          Ich glaube, dass viele Menschen     Menschen aneinander bindet,
kommen, machen sie zweifellos      rikanerin bekam ich nichts auf          in Afrika das Gleiche tun. Also     wenn sie ein gemeinsames Pro-
eine interessante Reise in einer   einem Silbertablett. Ich wurde          war für mich die wochenlan-         blem lösen müssen. Aber wenn
Beziehung. Sehr viele Bezie-       gelehrt, die kleinen Dinge zu           ge Vorausplanung eine Unbe-         einmal Misstrauen aus kultu-
hungen haben viel Einfluss auf     schätzen und immer das Beste            kannte. Manchmal dachte ich,        rellen Unterschieden entsteht,
die Lebensweise beider Partner     zu hoffen. Wie bei allen Afri-          dass mein Partner unspontan         führt es zu nichts, sondern zu
z.B. wenn man sich an die Kul-     kanern, war meine Einstellung           und verspannt ist. Und dass er      mehr Streit.
tur des anderen anpassen muss.     zum Leben entspannter und               sich ein wenig entspannen soll
Ein schwieriger Aspekt für         sorgloser. Nach dem Motto:              und aufhören soll, sich Gedan-      Kochen und Essen
zwei Menschen ist, wenn jeder      What ever will go wrong will            ken zu machen und sich über         Kultur spielte auch eine wichti-
Mensch aus einem anderen kul-      surely do. Ich würde es als mein        mich zu beschweren.                 ge Rolle in unserer Küche. Was
turellen Hintergrund kommt.        Lebensmotto beschreiben. Es                                                 gegessen wird und wann, war
Sei es Sprache, Glauben oder       fordert mich auf, mein Leben            Liebe und Zuneigung                 eine Herausforderung. Wir Af-
Ethnizität - unterschiedliche      selbst in die Hand zu nehmen.           In Uganda, woher ich stamme,        rikaner lieben unsere Köstlich-
Haltungen können einen Kon-                                                schütteln wir als Partner die       keiten manchmal so sehr, dass
flikt auslösen.                    Zeitmanagement                          Hände, um uns zu begrüßen           wir unsere Küchen nicht an un-
Ich habe ein paar Dinge über       Ugandische Leute haben kaum             und selten umarmen oder küs-        sere Partner anpassen wollen.
kulturelle Unterschiede in den     Stress oder Sorgen. Und Uli             sen wir uns. Aber die deutsche      Sagen wir: jeder weiß seine Kü-
Verhältnissen beobachtet und       machte sich immer Gedanken              Kultur ist ganz anders. Sie küs-    che zu schätzen. Zum Beispiel:
gelernt. Als ich nach Deutsch-     über fast alles. Insbesondere           sen und umarmen sich in zärt-       Wir in Uganda integrieren eine
land kam, hatte ich einen Kul-     wenn es um die Zeit für unsere          licher Liebe, auch in der Öffent-   Vielzahl von Gerichten in eine
turschock. Auch was Beziehun-      Dates ging, führte dies immer           lichkeit.                           Mahlzeit. Wie ein Buffet. In ei-
gen angeht. Wie genau bewegen      zu hitzigen Auseinandersetzun-          Weil in meiner Kultur Zunei-        ner Mahlzeit nehmen wir ein
interkulturelle    Unterschiede    gen.                                    gung - vor allem in der Öffent-     bisschen Kartoffeln, etwas Ge-
eine intime Beziehung?             Wie man sagt, die Europäer ha-          lichkeit - ein Tabu ist, kann nur   müse, ein wenig Reis und etwas
Ich hatte eine spannende Be-       ben Uhren und die Afrikaner             im Schlafzimmer zwischen zwei       Erdnuss-Sauce und ein paar
ziehung mit einem deutschen        die Zeit. Ich kann es bestätigen,       Personen die Liebe gezeigt wer-     Bohnen. Sobald ich eine solche
Mann, als ich in dieses Land       dass die Zeit keine wesentli-           den. Aus diesem Grund war ich       Mahlzeit für meinen Partner
kam. Aus meiner Erfahrung          che Rolle spielte, besonders            immer zu schüchtern, ihn zu         vorbereitet hatte, begann eine
werde ich euch sagen, dass es      wenn ich im Begriff war, mei-           küssen, seine Hand zu halten,       neue Diskussion. Für ihn hat-
nicht einfach war. Weil viele      nen Partner zu treffen. Meine           und ihn zu umarmen, vor allem       te es keinen Sinn, ein bisschen
unserer Meinungsverschieden-       Meinung war immer, er würde             in der Öffentlichkeit. Dies führ-   Kartoffeln und Reis zusammen
heiten aus riesigen kulturellen    mich verstehen, wenn ich eine           te auch zu Diskussionen und         auf einer Platte zu haben, weil
Unterschieden stammten. Zum        halbe Stunde oder sogar eine            Misstrauen. Weil ich diese Din-     sie beide zur gleichen Lebens-
Beispiel, wie wir aufgewach-       Stunde später komme.                    ge nicht getan habe, dachte er,     mittelgruppe gehören.
sen sind, was wir von unseren      Vor allem, wenn er zu Hau-              dass ich ihn nicht liebte.          So sehr ich sein Argument
Eltern gelernt haben und was       se war, konnte er entspannen            Trotz der Erklärung, dass das       verstanden habe, hat für mich
normal ist - in Bezug auf das      und auf mich warten. Statt sich         meine Kultur ist, fühlte er sich    eine Vielzahl von kleinen Ge-
Heimatland.                        um mich zu sorgen, weil ich             immer unsicher und hat nie          richten in einer Mahlzeit mehr
Uli (Pseudonym) und ich kom-       zu spät komme. Zeit wurde               aufgehört, sich darüber zu be-      Gewicht, weil ich so erzogen
men aus zwei sehr unterschied-     ein Mega-Problem in unserer             klagen. Aber ich musste mich        wurde. Auf der anderen Seite,
lichen kulturellen Hintergrün-     Beziehung. Trotz der heftigen           der Kultur dieses Landes lang-      wenn er seine bayerische Küche
den. Er wurde in Deutschland       Auseinandersetzungen         über       sam anpassen.                       zu Hause machte, war es wie ein
geboren. Nie hat er Deutsch-       Pünktlichkeit kam es mir dann,          Wir sind uns alle darüber ei-       Fastentag für mich. Ich fand es
land verlassen. Seine Heimat       dass es in Deutschland sehr             nig, dass Ausdrücke der Liebe       wirklich geschmacklos. Auch
war immer Bayern und er war        wichtig ist, die vereinbarte Uhr-       ein sehr großer Teil einer Be-      bei Kartoffeln, habe ich immer
kein Akademiker. Ich bin in Af-    zeit einzuhalten.                       ziehung ist. Wenn jemand das        in einer afrikanischen Art und
rika geboren und im östlichen                                              Bedürfnis des anderen, Liebe        Weise gekocht und er wollte
Teil Ugandas in den Bezirken       Auf der anderen Seite, wenn es          zu empfangen, nicht erkennt,        immer, dass ich auf die deut-
Soroti aufgewachsen. Uli und       um die Vorausplanung für die            kann es zu einigen wichtigen        sche Art koche. Dies ärgerte
ich hatten völlig unterschiedli-   nächsten Wochen ging, haben             Problemen in der Beziehung          ihn so sehr, dass er nicht mehr
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kochen wollte. Um jeden von        kung der Zähne - im Gegensatz      in Gruppen alles von einer Plat-    gen oder Beschwerden und ich
uns beiden glücklich zu ma-        zu den westlichen Kulturen,        te. Je mehr große Klumpen ich       sagte „Typisch deutsch“ Aber
chen, mussten wir eine Balance     wo der Knochen nur abgenagt        esse, desto besser für mich, so     ich realisierte, dass ich unsere
finden, die es möglich machte,     wird wie in Bayern. Die meis-      werde ich schneller satt. Die-      kulturellen Unterschiede nicht
dass beide ihre kulturellen Vor-   ten westlichen Kulturen finden     jenigen, die zu langsam beim        mehr leugnen konnte, weil es
lieben unter einem Dach genie-     es auch unhöflich, Essen in den    Essen sind, sind am Ende der        unsere kulturellen Unterschie-
ßen können. Sicher war ich zur     Mund zu stecken und wieder         Mahlzeit noch hungrig.              de waren, die diese Konflikte
Einhaltung seiner kulturellen      auszuspucken. Die meisten af-      Solche starken Unterschiede         verursacht hatten.
Normen mehr bereit, als er zu      rikanischen Kulturen finden,       gibt es fast zwischen allen Kul-
meinen. Gewiss, interkulturelle    dass das Ausspucken normal         turen auf allen Ebenen der In-                    (...)
Beziehungen bilden viele Gele-     ist, insbesondere beim Essen       teraktion. Sei es sozial, emotio-
genheiten für Missverständnis-     mit Knochen. Dagegen fordern       nal oder auch geistig. Uli fand
se. In den meisten afrikanischen   die westlichen Kulturen, dass      es sogar seltsam, dass ich vor            Weiterlesen auf
Ländern werden Knochen oder        man kleine Bissen isst, oder       dem Essen gebetet hatte. Natür-       www.neulandzeitung.com
sogar Hühnerknochen gekaut.        besser noch, dass man einfach      lich war er nicht der religiöse
Es ist normal und von entschei-    sein Essen richtig klein schnei-   Typ. Manchmal zuckte ich nur
dender Bedeutung für die Stär-     det. In meiner Kultur essen wir    die Schultern bei seinen Fra-
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       REISE DES SCHMERZES
                                                       Autor: Fadi Aswdah, Syrien

   Ich weiß nicht, wo ich an-            wie Geisterstimmen an.             voll Trauer, Angst und Tränen,     der arabischen Welt, ging mir
  fangen soll! Denn kann ich          Die Häuser sind zerstört, die          aber vielleicht auch ein wenig   durch den Kopf und die Worte
  meinen ganz persönlichen            Liebe hat sich verabschiedet,                    Hoffnung.                 ihres Liedes „Für Beirut –
 Schmerz in ein paar hundert          die Hoffnung wurde getötet.                                             Frieden für Beirut mit meinem
Worten zusammenfassen und           Der Schatten des Todes ist jetzt  Im Boot bin ich vom Sitz auf-            ganzen Herzen“ vom libane-
spiegeln sich in diesen Worten      der Herrscher und hat den An-     gestanden und habe beobach-              sischen Autor Josef Harb. Ich
 auch die Millionen syrischen        fang des syrischen Leidens an-    tet, wie wir uns langsam von           hatte dieses traurige Lied bis zu
Flüchtlinge wider? Ich weiß es      gekündigt. In dem letzten Buch    den Ufern des Hafens entfern-            meiner Ankunft in der türki-
            nicht…                  des verstorbenen syrischen Au-      ten, zurückblickend auf den            schen Stadt Mersin im Kopf.
                                    tors Georg Trabisch findet sich    Ort, an dem ich mein Magis-
    Eines aber weiß ich sicher,       eine treffende Beschreibung,     terstudium angefangen habe,              Vor dem Aussteigen aus dem
 wie schwierig es ist, selbst mit   die das derzeitige Leid in seiner  ohne es beenden zu können,              Boot kamen unzählige Fragen
  tausenden oder gar hundert-         Gänze zum Ausdruck bringt.      durch den Krieg und mit ihm              in mir hoch. Wie soll ich mich
tausenden Worten das Leid des          Dort konnten die Lebenden      der Verfall der syrischen Wäh-             in der Türkei zurechtfinden,
  syrischen Volkes zu beschrei-       es nicht mehr aushalten und       rung. Ich konnte mich nicht               einem Land, in dem ich nie
 ben. Aber vielleicht vermögen      beneideten die Toten um ihren      mehr beherrschen und habe                zuvor gewesen bin. Wie sollte
  es viele Geschichten und mit                ewigen Schlaf.             angefangen zu weinen. Zur            ich nach Antakya kommen, der
 jeder verbunden ein ganz per-                                        selben Zeit wurden die Wellen              Stadt, in welcher der Bruder
       sönliches Schicksal.           Jahrelang Augenzeuge dieses       auf dem Meer immer höher                 meiner Ehefrau lebte. Doch
                                       grausamen Krieges, sah ich    und das kleine Boot schwankte              als ich aus dem Boot ausstieg,
Dies ist meine Geschichte über         keinen anderen Ausweg als      hin und her. Ich begann einen           schaute mich ein Mann um die
  die Flucht nach Europa. Sie          mich für diese Reise zu ent-  inneren Monolog und die Erin-              60 Jahre an und fragte, wohin
  ähnelt den Geschichten von         scheiden, in der Hoffnung auf      nerungen haben mich über-                 ich gehen würde. Ich sagte
 Hunderttausenden, mit dem             ein sichereres und besseres   wältigt. Das schmerzlichste von           ihm, nach Antakya. Er bot mir
  Unterschied, dass meine ein                      Leben.              allem war der Abschiedskuss             an, sich ihm anzuschließen, da
 gutes Ende fand, während sie                                        für meinen kleinen Sohn, wäh-                er auch auf dem Weg dort-
bei anderen, selbst nach vielen     Die Zeit der Entscheidung war rend er schlief, denn ich wusste              hin wäre. Ich habe mich sehr
Versuchen, ihre Helden nur all-     die Schwerste von allen. Denn     nicht, wann ich ihn wiederse-           gefreut, auf einen Menschen zu
 zu oft in den Tod geführt hat.         alleine in das Gesicht mei-  hen würde und dies wieder tun              treffen, der fließend arabisch
                                      nes dreieinhalb Jahre jungen   kann. Wenn mein kleiner Sohn             sprach, redete er doch türkisch
  Ende August 2014 begann              Sohnes zu schauen, hat mir        morgen früh aufwacht und                 mit seinem Freund. Später
 meine lange Reise von Syrien       diese Entscheidung unendlich mich nicht findet, wird er wohl                erzählte er mir, dass er Türke
 über den Libanon in die Tür-         schwer gemacht, die Reise in     seine Mutter verwirrt fragen:               mit syrischen Wurzeln ist.
kei. Bevor ich diese gefährliche    das Ungewisse. Aber ein Funke Wo ist Vater? Ich wusste, wie                  Da erkannte ich den Grund,
Fahrt ins Ungewisse antrat, gab      Hoffnung in mir hat am Ende          schwer es meiner Ehefrau             warum er mir half. Als ich am
 es hunderte Tage des Krieges          gesiegt und mir gesagt: Du        fallen muss, eine passende           Hafen nahe der türkische Stadt
in Syrien. Dieser todbringende         musst etwas unternehmen!        Antwort für meinen kleinen             Mersin ankam, wusste ich, dass
 Krieg nahm uns die Hoffnung         Von da an war ich mir sicher. Sohn zu finden. Traurigerweise                die Weiterreise zum Bruder
auf das Leben. Hoffnung wurde                                          hat diese Art der Fragen, auf            meiner Ehefrau nicht schwer
 zu Leid, Träume zu Albträu-        Ich habe mich in den Libanon       die man keine Antwort weiß,            sein wird, dank der Hilfsbereit-
  men und Liebe zu tödlichen        begeben, um ein Ticket für ein im Leben des syrischen Volkes                schaft eines guten Menschen.
            Raketen.                 kleines Boot namens „Abara“         zugenommen und wurden                                 (...)
                                       Richtung Türkei zu kaufen.     sogar zu ihrer Kultur und Tra-
   Unabhängig davon, welche          Geld für ein Flug-Ticket nach     dition! Darum musste meine
  Konfliktparteien sich gegen-       Europa hatte ich nicht und so    Frau lügen. Bis heute habe ich                Weiterlesen auf
  seitig bekämpfen, der Krieg        musste ich das billigste Trans-   meine Frau nicht gefragt, was            www.neulandzeitung.com
verwandelt das Syrien von heu-         portmittel nehmen, egal ob    Ihre Antwort gewesen ist, denn
 te in ein Schiff, das mit einem    legal oder nicht. Anschließend ich will nicht noch mehr Leid
 Leck im Meer schwimmt, am            bin ich dann zum Hafen von           und Tränen hinzufügen.
 Ende wird es untergehen und            Tripoli gefahren und habe
 mit ihm das ganze Leben, das          mich in ein Boot gesetzt. In   Als ich die Küste des Libanons
       sich darauf befindet.          diesem Moment habe ich an       erblickte, hatte ich das Gefühl,
    Ja, der Boden war in Blut          meine Ehefrau gedacht, als       den ganzen Libanon zu be-
getränkt und mit Leichenteilen         sie sich durch unser kleines   trachten, vor allem Beirut. Ein
 übersäht, und der Gesang der        Hausfenster winkend von mir         Lied von Frau Fairuz, einer
  Vögel am Morgen hörte sich         verabschiedete. Ihr Blick war      sehr bekannten Sängerin in
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                         Das Leben in Deutschland
          Nachdenkliche Bemerkungen von Amin Taheri, der seinen Platz in der
                                Gesellschaft sucht

                                                                                          Illustration: Johanna Baader

Ich will einen Teil meines Le-    Die Erwartungen waren hoch       Trotz der schlechten Bedin-          Ich kann ein förderlicher
bens in Deutschland öffentlich    In den zwei Jahren in Deutsch-   gungen im Container schaffte         Mensch sein
machen, aber nicht alles davon.   land habe ich verschiedene       ich das B1-Zertifikat an der         Jetzt stehe ich kurz vor Beginn
Ja, das Leben in Deutschland      Situationen erlebt, die mich     Volkshochschule Erding. Mein         meiner Ausbildung als Elekt-
ist anders als das Leben in mei-  manchmal betrübten, manch-       Deutsch wurde viel besser und        roniker für Automatisierungs-
ner Heimat. Die Straßen sind      mal enttäuschten und mir         ich konnte manche Texte lesen.       technik im Bereich „Building
zum Beispiel ganz anders als      manchmal Mut machten. Die        Ich las eine Broschüre, die von      Technologie“, die am 1. Septem-
die Straßen in meinem Land.       Erwartungen, bevor man nach      Ehrenamtlichen gemacht wur-          ber 2016 beginnt, und zwar bei
Es gibt für die Fahrräder einen   Deutschland kommt, sind hoch,    de. Ich las darin von den Vor-       dem großen deutschen Unter-
eigenen Weg und für die Fuß-      so dass viele – und auch ich –   urteilen mancher Deutschen.          nehmen Siemens. Die Geneh-
gänger auch. Die meisten Men-     dachten, dass mit der Ankunft    Sie sagten, dass die Flüchtlin-      migung für meine Ausbildung
schen halten sich an die Regeln.  in Deutschland alle Schwierig-   ge in schicken Häusern und           bekam ich am 30. November
                                  keiten, die man in seiner Hei-   Fünf-Sterne-Hotels        leben      2015, knapp zehn Monate, be-
Pünktlichkeit ist einer der wich- mat und auch auf dem Weg sah     würden. Ich dachte, vielleicht       vor ich meine Ausbildung be-
tigsten Dinge in einem deut- und spürte, vorbei seien.             meinten sie den Container mit        ginnen werde. In zwei Wochen
schen Leben. Wenn die S-Bahn                                       dem Fünf-Sterne-Hotel, aber          werde ich aber noch mein In-
verspätet ist, regen sich viele Nach einem dreieinhalbmona-        ich wusste nicht, wofür die fünf     terview beim Bundesamt für
auf. Auch die Autos sind anders; tigen Leben in der Bayern-Ka-     Sterne stehen. Ich habe sie an-      Migration und Flüchtlinge ha-
die Menschen sehen anders aus; serne wurde ich nach Erding         derthalb Jahre nicht sehen kön-      ben…
ebenso viele Dinge. Aber auch umquartiert, wo die größte           nen.
wenn wir alle verschieden sind, Therme der Welt liegt. Erding                                           Mein Traum wäre es, später ein-
so sind wir doch alle Menschen ist eine schöne Stadt, aber sie     Es gab Menschen, dir mir hal-        mal an einer deutschen Univer-
und wir haben die gleichen war es für mich nicht von An-           fen. Da waren z. B. Angelika H.,     sität zu studieren, denn ich will
Rechte. Ich bin Amin, 21 Jahre, fang an. Mein Anteil an dieser     eine Mitarbeiterin der Post, und     eine Chance, etwas sehr Gutes
und ich komme aus Afghanis- schönen Stadt war ein Cont-            Jens L., der bei Siemens arbeitet,   aus mir zu machen. Ich kann
tan. Seit Dezember 2013 bin ich ainer, in dem ich mit neun an-     die mich gesehen und mich un-        ein förderlicher Mensch sowohl
in Deutschland. Momentan bin deren Flüchtlingen leben sollte.      terstützt haben. Nach ungefähr       für meine Familie als auch für
ich an einer Münchner Schule Das Leben im Container war            18 Monaten im Container bin          diese Gesellschaft sein.
zur Berufsvorbereitung in der ein Albtraum für mich, den ich       ich mit Hilfe von ehrenamtlich
Balanstraße und ich besuche niemals vergessen kann, wie            tätigen Menschen in ein Haus         Autor: Amin Taheri, Afghanis-
gleichzeitig einen Deutschkurs meine anderen Albträume, die        umgezogen, in dem ich nur mit        tan
für das B2-Zertifikat.            ich auf dem Weg erlebt habe.     einer Person zusammen wohne.
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                     Warten, essen, schlafen
          Die Bürokratie und mein schwieriger Anfang in Deutschland
                    Autor: Adnan Albash, Syrien    Illustration: Antje Krüger Foto: Maria Schön

                                                                    wie ein Polizist aussah. Ich habe   kam dort aus Deutschland. Ich
                                                                    ihm die zwei Sätze gesagt, die      dachte, dass wir nicht mehr in
                                                                    ich in der Zeit auf der Flucht      Deutschland seien! Zehn Leute
                                                                    gelernt hatte: „Ich bin neu hier“   kamen aus Syrien und 190 aus
                                                                    und „Ich komme aus Syrien“. Er      den Balkanländern (Albanien,
                                                                    lachte und sagte: „…kein Prob-      Kosovo, Mazedonien …).
                                                                    lem…“ Er dachte, dass wir be-
                                                                    trunken seien und wir mit ihm       Okay … In den nächsten Ta-
                                                                    Spaß machen. Dann habe ich          gen wollte ich fragen, was ich
                                                                    ihm meinen Pass gezeigt und         machen könnte. Wie kann ich
                                                                    auf Englisch gesagt: „Ich bin ge-   Deutsch lernen? Aber wen soll-
                                                                    rade angekommen.“ Nachdem           te ich fragen? Die Sicherheits-
                                                                    er zwei Minuten überlegt hatte,     leute kamen nicht aus Deutsch-
                                                                    sagte er uns: „Okay – ich bin       land und konnten auch nicht
                                                                    kein Polizist, dort könnt ihr die   Englisch sprechen. Ich habe
                                                                    Polizei finden.“                    es versucht, aber niemand hat
                                                                                                        mich verstanden. Die 190 an-
                                                                    Wir waren den ganzen Tag bei        deren Leute sprachen auch kein
                                                                    der Polizei mit unserer Anmel-      Englisch und kein Deutsch …
                                                                    dung beschäftigt. Doch meine        Ich habe mich gefragt: Wo bin
                                                                    Aussichten waren nicht gut: Sie     ich? Nach einer Woche und
                                                                    haben mich nach Deggendorf          nach vielen Fragen habe ich je-
                                                                    geschickt. Ich hatte keine Ah-      manden gefunden, der Englisch
                                                                    nung von dieser Stadt und wo        sprach. Sie war die Chefin und
                                                                    wir wohnen würden. Was wich-        sie kam zweimal pro Woche
                                                                    tig für mich war, war schnell       vormittags und um zu kontrol-
                                                                    Deutsch zu lernen, um bald          lieren.
                                                                    weiter studieren zu können.
                                                                                                        Ich habe ihr viele Fragen ge-
                                                                    Winter im Bayerischen Wald          stellt:
                                                                    Am gleichen Tag sind wir in         Wie kann ich Deutsch lernen?
Warten, essen und schlafen …     München, Ostbahnhof, 3 Uhr         Deggendorf angekommen, das          Antwort: Ich weiß es nicht.
                                 morgens                            war eine andere Erstaufnahme.       Was kann ich machen? –
Diese Wörter sind die ersten     Zuerst bin ich in München          Wir mussten dort alles noch         Antwort: Essen, schlafen.
Wörter, die ich in Deutsch-      angekommen. Der Mann, der          einmal machen, den medizini-        Wie lange sollen wir hier blei-
land gehört habe, nachdem ich    meinen Bruder und mich mit         schen Check, alles, und dann        ben? – Antwort: Keine Ahnung.
immer gefragt hatte, was ich     dem Auto aus Linz abgeholt         wollten sie uns in ein anderes      Wie kann man in die Schule
machen kann. Als ich neu in      und nach München gebracht          Heim schicken, nicht weit weg       oder in die Stadt gehen? – Ant-
Deutschland war, musste ich in   hat, hat von uns vier Leuten       von Deggendorf… aber wo??           wort: Nicht möglich.
der Erstaufnahme bleiben und     4000 € genommen. Er hat uns        Wir wussten es nicht.
auf einen Bescheid vom BAMF      am Münchner Ostbahnhof ab-         Es war Winter – alles war weiß      In die Stadt zu gehen war nicht
(Bundesamt für Migration und     gesetzt und alleine gelassen. –    von Schnee und kalt … Nach          möglich, weil alles weit weg war
Flüchtlinge) warten, ohne den    Was jetzt?                         einer Stunde Fahrt sagten sie:      und es keinen Bus und keinen
ich nicht in Deutschland hätte                                      „Wir sind da.“                      Zug gab. Ich musste 45 Minu-
bleiben dürfen. Aber in dieser   Wir mussten zur Polizei gehen      Ich habe den Namen „Freyung“        ten nach Freyung laufen. Aber
Zeit darf man nichts machen –    und uns anmelden. Das war am       gehört, ein kleines Dorf im         was ist Freyung eigentlich …?
außer essen, schlafen und war-   Samstag, den 31. Januar 2015       Bayerischen Wald. Das war           Es gibt dort keine Sprachschule
ten. Es war sehr schwierig für   um 3 Uhr morgens. Der Bahn-        nicht ganz richtig, denn das        und es ist so klein, mit wenigen,
mich, immer in der Unterkunft    hof war voll von Menschen, die     Heim war außerhalb des Dorfs,       meist alten Leuten, die kein
zu bleiben.                      vorher in der Disco waren. Ich     in einem Haus in den Bergen         Englisch können. Jemand hat
                                 habe einen Mann gesehen, der       mit 200 Flüchtlingen, niemand       mir gesagt, dass sie auch nicht
11                                                 Ausgabe 2/2016

Deutsch sprechen, sondern                                                                                     „Ich heiße Adnan und komme
nur Bayerisch … deshalb hatte                                                                                 zum Helfen“. Er hat mir geant-
ich keine Chance dort Deutsch                                                                                 wortet, aber eigentlich verstand
zu lernen.                                                                                                    ich nicht, was er sagte. Dann
Aber wirklich, was kann man                                                                                   habe ich schnell wieder auf
dort machen? Manche Leu-                                                                                      Englisch gesprochen und nach
te waren dort seit zwei oder                                                                                  der Chefin gefragt. Sie kam und
drei Monaten, manche seit                                                                                     sagte mit dem gleichen netten
sechs Monaten und sie wuss-                                                                                   Lächeln „Hallo“ und dann hat
ten nicht, wie lange sie bleiben                                                                              sie mir gesagt, was ich machen
müssen.                                                                                                       soll.
Nach zwei Monaten habe ich                                                                                    Der erste Tag in der Kleider-
verstanden, dass das BAMF                                                                                     kammer war unglaublich. Ich
die Flüchtlinge unterschiedlich                                                                               habe von den Leuten gar nichts
einteilt. Die Leute, die aus Syri-                                                                            gehört von dem, was ich allei-
en kommen, sind ein Teil und                                                                                  ne gelernt hatte. Ich habe ver-
die ganzen anderen Leute sind                                                                                 sucht, ein Wort zu verstehen.
der zweite Teil. Ich bin kein                                                                                 Ich wusste nur „Wie heißt du?“,
Syrer, sondern Palästinenser,                                                                                 sonst nichts. Eigentlich war
aber ich bin in Syrien geboren                                                                                auch das schwierig, weil ich
und ich habe immer in Syrien         lich und ich wollte das nicht       tionen, die zu uns kamen, um         gelernt hatte „Wie heißen Sie?“
gelebt. Aber in Deutschland bin      machen. Aber das war nicht al-      uns helfen, wie die Diakonie,       Aber obwohl ich nichts ver-
ich wegen der politischen Prob-      les, ich brauchte Hilfe für mei-    Amnesty International und das       stand, war ich ganz zufrieden.
leme staatenlos … Ja, ich kom-       ne Papiere. Ich bin zu Amnesty      Sozialamt.                          Am Ende sagte die Chefin, dass
me vom Mars, aber es ist mir         International gegangen und sie      Die Antwort war anders. Die         ich immer kommen kann.
egal. In meinem Herzen gibt es       haben für mich einen Brief ans      junge Frau, die die Chefin der      Damals hatte ich kein Geld zu
immer meine Heimat, und die          BAMF geschrieben, dass wir          Kleiderkammer in der Münch-         geben, aber ich hatte Zeit und
ist Syrien und Palästina.            jetzt nicht alles noch einmal       ner Bayernkaserne war, sagte        Kraft. Ich erinnere mich immer
Und wir sind in Freyung, weil        von vorne machen sollten. Sie       mir mit einem Lächeln: „Ja,         gerne an die netten Leute, die
wir staatenlos sind.                 dachten am Anfang, wir hätten       natürlich. Komme zu uns am          ich dort kennengelernt habe
                                     unsere Unterlagen verloren und      Samstag und wir schauen, was        und wie sie versuchten, langsa-
Wieder in München                    jetzt muss ich schon wieder wo-     du machen könntest.“                mer und einfacher zu sprechen,
Nach zwei Monaten wurden wir         anders hinziehen … Nein, bitte      Damals konnte ich kein              damit ich sie verstehen konnte.
dann wieder nach München ge-         lasst mich in München bleiben!      Deutsch und sagte: „Wie bitte?      Ich lernte jeden Tag nicht nur
schickt, zur selben Erstaufnah-      In diesen zehn Tagen habe ich       Was hast du gesagt?“ auf Eng-       neue Wörter, sondern auch die
me. Aber die Leute dort hatten       ein paar Freunde kennen ge-         lisch. Sie lächelte nochmal und     deutsche Kultur kennen und
davon keine Ahnung, dass wir         lernt, die uns dabei geholfen ha-   hat mir auf Englisch erklärt,       wie das Leben in Deutschland
schon einmal hier waren. Sie         ben, dass ich in München blei-      was sie gesagt hatte. Ich war       ist. Das hat mir sehr geholfen,
fragten: „Wer hat euch nach          ben konnte. Trotzdem musste         zufrieden und habe mir gesagt:      aber man braucht immer eine
München geschickt? Ihr müsst         ich alle zwei Monate umziehen.      Jetzt fange ich an, etwas zu tun!   Schule und Lehrer, um eine
euch noch einmal anmelden…“          Ich weiß, nicht warum!                                                  ganz neue und schwierige Spra-
Alles von vorne … Medizini-          Endlich bin ich in München …        Endlich kam der Samstag und         che zu lernen. Deshalb habe ich
scher Check und Interview und        und ich habe mich gefragt, ob       ich war jetzt bereit, denn ich      versucht, noch etwas anderes
sie haben meinen Ausweis ge-         ich jetzt eine Chance bekom-        habe sehr viel geübt und ich        zu finden.
nommen. Warum? Alle sagen:           men werde.                          wollte das Deutsch benutzen,                        (...)
„Keine Ahnung.“                                                          was ich alleine in den zwei Mo-
Ich habe dem Arzt gesagt, dass       Endlich etwas zu tun                naten in Freyung gelernt hatte.           Weiterlesen auf
ich schon alles gemacht habe.        Ich habe wieder gefragt, was        Ich bin natürlich pünktlich ge-       www.neulandzeitung.com
Ich sollte nicht zweimal eine        ich machen könnte. Aber jetzt       kommen und habe mich dem
Röntgenaufnahme          meiner      nicht die Vertreter der Regie-      Mann, der an der Türe stand,
Lunge machen, das ist gefähr-        rung, sondern die Organisa-         vorgestellt. Ich habe nur gesagt:
12                                       www.neulandzeitung.com

 Meine ersten fünf Jahre Die einfachste Lebenszeit
Im Sommer 1998 bin ich in ei-       dass wir nach Pakistan gegan-        konnten wir uns ein Haus mie-       Köchin gearbeitet. Dabei war
nem kleinen Dorf neben Kabul        gen sind. Mein Vater hatte dort      ten. Meine Tante, deren Mann        sie sehr sozial. Fast alle haben
in Afghanistan geboren. Meine       viele Bekanntschaften und es         in Kabul getötet worden war,        meine Mutter dort gekannt.
Familie lebte seit ewiger Zeit in   gab auch viele aus unserem           war auch mit ihren vier Kin-        Ich habe die ersten fünf Jahre
diesem Ort. Wir gehörten zum        Dorf und Verwandten, die ein,        dern mit uns zusammen. Aber         von meinem Leben mit diesen
Mittelstand. Mein Vater hatte       zwei Jahre früher dorthin ge-        sie ist später in den Iran gegan-   Erlebnissen verbracht. Den
genügend Land und Tiere und         flüchtet waren.                      gen.                                ganzen Tag spielte ich auf der
hat sein Leben immer unab-          Wir sind nach Quetta gekom-          Wir waren zu viert, mein Va-        Straße oder zu Hause auf dem
hängig und fröhlich geführt.        men. Quetta liegt im südöst-         ter, meine Mutter, meine ältere     Dach mit Drachen.
Bis die Taliban kamen. Nach-        lichen Pakistan und ist die          Schwester und ich.
dem mein Onkel von den Tali-        Hauptstadt von der Provinz           Meine Schwester konnte in ei-       Manchmal, wenn mein Vater
ban getötet worden ist, hat mein    Baluchistan. Es gibt verschiede-     ner Schule studieren. Wir hat-      gut gelaunt war, durfte ich mit
Vater sich entschieden von dort     ne Völker, die dort leben.           ten keine Dokumente, aber mit       ihm in die Berge zur Jagd ge-
wegzugehen. Viele Menschen          Ungefähr ein Viertel dieser          vielen Bestechungsgeldern war       hen. Aber manchmal war er
sind aus diesem Dorf in den         Stadt besteht aus Hazaras, die       das trotzdem möglich.               wütend oder traurig über sein
Iran oder nach Pakistan ge-         afghanische Flüchtlinge sind.        Mein Vater hat sich täglich neue    Leben in Pakistan.
flüchtet, denn die Taliban wa-      Es gibt Hazaras die, seit dem        Arbeit gesucht, weil er keinen      Wir haben keine digitalen Ge-
ren eine ernsthafte Bedrohung       18. Jh. in Quetta leben. Sie sind    bestimmten Beruf hatte. In          räte zu Hause gehabt, außer ei-
für sie.                            vor der rassistischen Politik von    Afghanistan hat er immer auf        nem Radio.
Sie haben keine andere Wahl         Abdulrahman, dem damaligen           seinem eignen Land als Bauer        Das Leben war ganz klassisch.
gehabt, entweder bleiben und        König von Afghanistan, nach          gearbeitet. Es war nicht einfach.   Und es war meine einfachste
sterben oder alles zu einen         Pakistan geflüchtet, und haben       Manchmal fand er gar nichts         Lebenszeit, die ich unbesorgt
günstigen Preis verkaufen und       sich dort einbürgern lassen.         und kam wütend nach Hause           erlebt habe. Die einzige bis jetzt.
weggehen. Bevor es zu spät war,     Und es gibt auch Hazaras, die        zurück.
hatte mein Vater alles verkauft     vor den Taliban weggelaufen          Die Mutter war Hausfrau, außer
und ist nach Pakistan gegangen.     sind. Diese haben keine pa-          kochen und zu Hause putzen          Autor: Salman Jafari, Afgha-
Da bin ich ein Jahr alt gewesen.    kistanischen Dokumente.              hat sie auch meistens für ande-     nistan
Übrigens war es kein Zufall,        Mit Hilfe der Verwandten,            re Familien als Putzfrau oder

     Was bedeutet eigentlich »Afghani«?
                   Ein persönlicher Bericht über Diskriminierung im Iran
Manche Deutsche verstehen           dere Spiele waren Hüpfen mit         Es dauerte nicht lange, bis ich     haninnen, die im Iran gestran-
nicht, warum Afghaninnen und        Steinen oder Seilspringen.           das Wort „Afghani“ hörte. Das       det sind. Ich gehöre zu einer
Afghanen den Iran verlassen,        Mit wem spielte ich? Es waren        Wort „Afghani“ bedeutet ei-         Generation, die im Iran gebo-
obwohl es ihnen dort vermeint-      Kinder, die genauso aussahen         gentlich meine Nationalität,        ren und aufgewachsen ist. Und
lich gut geht. Hier ist meine Ge-   wie ich: klein, schwarzhaa-          aber viele Iraner benutzen es       wir haben viel Diskriminierung
schichte:                           rig, und alle sprachen wir eine      als Beleidigung. Damals habe        erlebt. Wir wurden in der Ge-
Ich bin ein Flüchtling, und seit    Sprache.                             ich mich zum ersten Mal als         sellschaft immer ignoriert. Und
ich mich erinnern kann, war         Erst später habe ich erfahren,       fremder Mensch gefühlt. Das         der Iran hat unsere Generation
ich immer ein Flüchtling. Als       wer meine Spielkameraden wa-         ist wirklich ein schlechtes Ge-     immer ausgenutzt.
ich meine Augen geöffnet habe,      ren: Es waren afghanische und        fühl, und eigentlich will dies      Deswegen habe ich mich ge-
habe ich mich so wie alle Kin-      iranische Kinder. Afghanistan        niemand.                            nauso wie meine Eltern ent-
der auf dieser Welt gefühlt. Und    und Iran? Zwei Länder? Was           Je älter ich wurde, desto weni-     schieden, zu flüchten. Meine
unsere Welt war die Welt unse-      hatte das zu bedeuten? Sind          ger iranische Kinder spielten       Eltern sind vor dem Krieg ge-
res Stadtviertels.                  Menschen aus dem Iran anders         mit uns. Und als ich erwachsen      flohen, ich bin vor Krieg und
Was mögen alle Kinder auf die-      als die Menschen aus Afghanis-       war, gab es gar keine iranischen    Diskriminierung geflohen.
ser Welt? Sie spielen gerne! Wir    tan? Ich habe damals nicht ver-      Jugendlichen mehr bei uns.
spielten mit Puppen auf der         standen, warum jemand einen          Je größer ich wurde, desto grö-     Autorin: Parastu (Pseudonym),
Straße: Diesmal waren wir die       Unterschied macht zwischen           ßer wurde auch meine Welt.          Afghanistan
Mutter, und die Puppen waren        dem Iran und Afghanistan. Je-        Und die Politik gab mir eine
unsere Kinder. Wir kochten          mand sprach von zwei Ländern         Erklärung für das Wort „Af-
und wuschen für sie, und sie        und davon, dass die einen bes-       ghani“: Ich war eine von drei
bekamen Essen von uns. An-          ser seien als die anderen.           Millionen Afghanen und Afg-
13                                               Ausgabe 2/2016

Eine schreckliche Geschichte
                         Autor: Anonym            Illustration: Antje Krüger

Ich fuhr mit der U-Bahn vom        ken?“, aber ich hatte keine Zeit.   hielt mich auf: „Moment, ich
Marienplatz zur Münchner           Er gab mir seine Adresse und        habe schon in der U-Bahn mit
Freiheit. Am Odeonsplatz stieg     Telefonnummer und sagte, ich        deiner Hand gespielt. Hast du
ein alter Mann ein. Ich glaube,    soll nach dem Termin zu ihm         das nicht verstanden?“ Ich habe
er war schon über 80 Jahre alt.    kommen – er wollte mir von          gesagt „Nein.“ und bin gegan-
Als die U-Bahn losfuhr, ist er     Jesus erzählen, und ich sollte      gen.
ein bisschen nach hinten ge-       ihm von Mohammed erzählen.
stolpert. Ich hatte Angst, dass    Ich dachte, vielleicht kann er      Da, wo ich herkomme, ist
er hinfällt und habe ihn gehal-    mir mit einer Wohnung helfen,       Schwulsein verboten, und die
ten. Dann habe ich ihm meinen      und ich helfe ihm dafür, weil er    Männer kommen ins Gefäng-
Platz angeboten. Er setzte sich    schon so alt ist. Also ging ich     nis.
und sagte zu mir: „Du bist ein     zu ihm. Er bat mir eine Apfel-
schöner Mann“. Er nahm meine       schorle an, und ich setzte mich     Ich verstehe, dass es hier in
Hand und spielte mit ihr. Ich      auf sein Sofa. Er brachte die       Deutschland anders ist, aber
fand das sehr komisch, aber ich    Schorle und setzte sich neben       trotzdem war es für mich nicht
dachte, das ist in Deutschland     mich. Dann legte er seine Hand      okay, was der Mann gemacht
vielleicht normal, wenn sich je-   auf mein Knie und fing an zu        hat.
mand bedanken will.                streicheln. Dann hat er auch
                                   meinen Bauch gestreichelt, und      Für mich war es schrecklich!
 Am nächsten Tag war er wie-       ich bekam wirklich Angst. „Bist
der in der gleichen U-Bahn.        du schwul?“ habe ich ihn ein
Ich hatte einen Termin in der      bisschen sauer gefragt. Er sagte
Nähe von der U-Bahnstation         „Ja, ich bin schwul“.
Giselastraße. Als ich ausstieg,
stieg er mit mir aus. Er fragte:   Ich bin sofort aufgestanden, ich
„Willst du Kaffee mit mir trin-    war so sauer, und wollte weg. Er
14                                        www.neulandzeitung.com

   Die Angst ist eine
starke, negative Macht
Projekte der Menschlichkeit können diese
          Macht transformieren.

                  Autor: Tarek Alhafeez, Syrien
                   Illustration: Antje Krüger

Wenn wir Flüchtlinge in            Deutsche, die zum ersten Mal
Deutschland ankommen, ist          zu dem Essen kommen, hatten
das Erste, worüber wir nach-       vorher nie Kontakt zu Flücht-
denken, wie wir in diesem neu-     lingen. Und beim Essen ist viel
en Land mit der neuen Sprache      Zeit, sich näher kennenzuler-
und der neuen Kultur leben         nen.
können. Das Zweite ist, wie die
Deutschen uns sehen und wie        Beim Essen kann man Angst
wir mit ihnen in Kontakt kom-      verlieren
men können. Und viele andere
Fragen. Das alles macht uns         Einmal kam ein Mann als Gast,
Flüchtlingen Angst vor dem         der am Anfang sehr ernst und
neuen Leben.                       uns gegenüber reserviert war.
 Gleichzeitig gibt es ein paar     Er hatte natürlich schon mal
Deutsche, die nicht viel über      Flüchtlinge gesehen, aber nie
Fremde wissen und Angst vor        mit einem gesprochen. Die ers-
ihnen haben, weil sie ihr Be-      te halbe Stunde sprach er nur
nehmen nicht verstehen oder        mit Deutschen. An diesem Tag
was sie hier wollen.               war ich in der Küche eingeteilt.
Da stehen sie sich gegenüber,      Eine Mitarbeiterin des Projek-
diese zwei Gruppen, voller         tes brachte ihn dann zu uns vor
Angst. Und hier kommt eine         die Küche, wo wir erst einmal
dritte Gruppe: Die Gruppe der      nur die Namen austauschten,
Deutschen, die sowohl den          wer wo herkommt und wer was
Flüchtlingen hilft, als auch den   studiert oder gearbeitet hat in
Deutschen, indem sie Kontak-       seinem Heimatland.
te zwischen den Gruppen her-
stellt, dass sie sich die Hände    Dann, nach etwa einer Stun-
reichen können.                    de begannen wir zu essen. Der
                                   Mann saß mit mir, drei anderen
Einige Deutsche kommen zwei        Deutschen und drei Flüchtlin-
oder drei Mal in der Woche in      gen am Tisch. Wir redeten über      Er kam mit seiner Frau und sei-    Dieses Beispiel ist für mich so
die Flüchtlingslager, unterrich-   das Essen, erklärten die Zuta-      nen Kindern. Er war so freund-     schön, weil das Einzige, was
ten Deutsch oder machen Aus-       ten und Zubereitung, fragten        lich, spielte mit den Kindern      zwischen uns stand, die Angst
flüge mit uns und informieren      ihn, was er braucht und was         und Luftballons und wirkte auf     war. Mit Hilfe dieses Projekts
uns über ihre Traditionen.         wir ihm bringen dürfen. In der      mich sehr glücklich.               konnten wir sie überwinden
Andere Deutsche organisieren       nächsten Stunde veränderten         Als ich ihn das erste Mal sah,     und jetzt Hand in Hand gehen.
ein Koch-Projekt mit (Anmer-       sich die Fragen, und sie wurden     hatte ich ein bisschen Angst,
kung der Redaktion: „Ein Teller    sehr persönlich und freundlich.     dass er uns Flüchtlinge viel-                   (...)
Heimat“ im Westend), in dem        Auch sein Gesicht veränderte        leicht nicht mag, weil er so
alle Nationalitäten und Deut-      sich deutlich von ernst zu lä-      ernst war. Aber nach dem Es-
sche alle zwei bis drei Wochen     chelnd. Er fragte, wo und wie       sen war ich so glücklich, dass           Weiterlesen auf
eingeladen werden, zusammen        er in den Lagern helfen könn-       er wirklich interessiert an mir      www.neulandzeitung.com
zu kochen und zu essen. Da-        te. Er ließ sich meine Nummer       und meiner Geschichte war.
bei kommen sie ins Gespräch,       geben und rief mich sogar nach      Und jetzt habe ich sogar jeman-
lernen übereinander und über       vier Tagen an. Und nach zwei        den, auf dessen Schulter ich mal
ihre Heimatländer. Sie hören       Wochen lud er selber zwei sy-       meinen Arm legen kann, wenn
Fluchtgründe und -geschichten      rische Familien und Deutsche        ich Hilfe brauche.
und viele Probleme. Manche         in eine Kirche zum Kochen ein.
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                                            Mutter und Sohn
                                      Ein „altes“ kurdisches Märchen
                                         Auf Deutsch erzählt von Basam Ido Hassan, Irak,
                                                 und Ali Gamil Hassam, Syrien

 Illustration: Antje Krüger

Es war einmal ein Junge. Er war     mehr mit ihr zu tun haben. Als    Ihm fiel auf, dass der Rasen im     einen Autounfall. Dein Vater
wirklich beliebt und alle wollten   er achtzehn wurde, zog er aus     Vorgarten nicht gemäht war          starb und du verlorst ein Auge.
mit ihm zusammen sein. Doch         und hatte Frau und Kinder. Er     und fragte die Nachbarn. Einer      Ich wollte nicht, dass du in der
seine Mutter hatte nur ein Auge     hat nie mehr mit seiner Mutter    sagte: „Du weißt es noch nicht?     Schule gemobbt und gehän-
und war die Putzfrau der Schu-      geredet.                          Deine Mutter ist gestorben. Sie     selt wirst, also gab ich dir mein
le. Deshalb wollte er nicht mit     Eines Tages wollte die Mutter     hat dir einen Zettel hinterlas-     Auge. Du hast die ganze Zeit die
ihr gesehen werden. Doch ei-        ihn besuchen. Als sie klingel-    sen.“                               Welt durch mein Auge gesehen.
nes Tages wollte sie endlich mal    te, machten seine Kinder auf      Er las den Zettel, auf dem stand:   Ich liebe dich, deine Mutter.“
die Noten von ihm wissen und        und schrien „Hilfe, Papi, ein     „Mein Sohn. Du hast mich
kam in seine Klasse. Alle sag-      Monster!“. Er schrie sie an und   immer gehasst und verachtet.
ten zu ihm: Hey H. H., ist das      sagte, sie solle verschwinden.    Ich dagegen habe dich immer
deine Mutter? Das war für ihn       Eine Woche lang hatte er des-     geliebt. Ich wollte nur das Bes-
echt peinlich, weil seine Mutter    halb Albträume. Er wollte sich    te für dich. Doch ich muss dir
ja nur ein Auge hatte. Er hass-     bei ihr entschuldigen. Als er     etwas gestehen. Als du vier
te sie dafür und wollte nichts      klingelte, machte niemand auf.    warst, hatten du und dein Vater
16                                              www.neulandzeitung.com

                 Der Neulands-Zeitungs-Dialog
                 L   iebe Leserinnen und Leser,
                 3 Schüler aus der Vorklasse ei-
                                                            mehr auf der Straße, sind alle
                                                            Geschäfte geschlossen und ist
                                                                                                        über das Kontaktfeld auf www.
                                                                                                        neulandzeitung.com zu oder an
                 ner Berufsintegrationsschule für           nichts mehr los?                            neuland-zeitung@web.de.
                 junge Flüchtlinge (16-25 Jahre
                 alt) hätten ein paar Fragen an Sie:        Ali aus Afghanistan fragt:                  Haben auch Sie Fragen? Die
                                                            Warum heiraten die Deutschen                NeuLand-Autoren und die
                 Fadi aus Syrien und Areeba aus             eigentlich so spät?                         Schüler aus der Berufsintegrati-
                 Pakistan fragen:                                                                       onsschule für junge Flüchtlinge
                 Warum leben so viele Menschen              Warum leben manche Deutsche                 werden diese mit Freude beant-
                 in Deutschland alleine?                    schon mit 20 Jahren nicht mehr              worten.
                                                            bei ihren Eltern?
                 Warum arbeiten die Deutschen                                                           In der nächsten Ausgabe wer-
                 so viel?                                   Es wäre großartig, wenn Sie sich            den wir dann gerne die gegen-
                                                            kurz Zeit nehmen, ein oder zwei             seitigen Antworten und Fragen
                 Warum haben die Deutschen so               Fragen herausgreifen und diese              abdrucken.
                 wenige Kinder?                             dann beantworten. Senden Sie
                 Warum ist nach 21 Uhr keiner               uns Ihre Antworten doch bitte

                          Die Autoren dieser Ausgabe

                              Gregory Awiey Goc       Anonym            Lilian Ikulumet    Tarek Alhafeez       Amin Taheri

                             Basam Ido Hassan      Ali Gamil Hassam     Fadi Aswdah           Parastu          Adnan Albash

                                                                                                  Du?

                           Masiullah Harres       Adan Zekeriye         Salman Jafari

                                                                       IMPRESSUM

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REDAKTION: Susanne Brandl, Simon Brandl, Tobias Göppel, Andrea Göppner, Gudrun Hackenberg, Dimitri Kloster, Raphael Müller Hotop, Nicole Islinger, Juli-
an Roos, Nathalie Sharp, Jutta Scherer, Martina Schwingenstein, Ulrich Schwingenstein, Eileen Stiller, Eva Treu, James Tugume, Matthias Weiß. Außerdem danken
wir Christian Zingg von den Brückenangeboten Basel für die redaktionelle Unterstützung. • Außenredaktion an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung in der
 Balanstraße: Matthias Weiß, Sophie Link, Tobias Verbeck, Eva Gahl • SCHLUSSREDAKTION: Susanne Brandl, Raphael-Müller-Hotop (V.i.S.d.P.) • ÜBERSET-
 ZUNG: Yasemin Soylu • ILLUSTRATIONEN: Johanna Baader; Antje Krüger (antje-krueger.de) • LOGO: Rita Kocherscheidt (rita.kocherscheidt@gmail.com) •
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