SPRACHROHR FÜR GEFLÜCHTETE MENSCHEN UND MIGRANTINNEN - DIEZEITUNGDESNEULANDE.V. WWW.NEULANDZEITUNG.COM AUSGABE 2/2016
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Die Zeitung des Neuland e.V. www.neulandzeitung.com Ausgabe 2/2016 Sprachrohr für geflüchtete Menschen und MigrantInnen
2 www.neulandzeitung.com Das ist NeuLand Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland und Europa haben kaum Möglichkeiten, sich ungefiltert Gehör zu verschaffen und der einheimischen Bevölkerung auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Zeitung dient geflüchteten Menschen und MigrantInnen als Sprachrohr für Ihre Geschichten, Empfindungen und Träume. So vermitteln sie etwas von sich an die deutsche Bevölkerung. So wird Fremdes zu Bekanntem. Dabei soll es vor allem um die Gegenwart und die Zukunft der geflüchteten Menschen und Migran- tInnen in Deutschland gehen. Welche Hoffnungen, Erwartungen, Pläne und Ängste haben sie? Was schätzen sie an Deutschland, was nicht? In der deutschen Bevölkerung gibt es Sorgen angesichts der „Flüchtlingskrise“. NeuLand soll dazu beitragen, dass Einhei- mische und Zuwanderer stärker in Kontakt treten, um Ängste und Unverständnis zu überwinden, sowie Vorurteilen, Stereotypisie- rung und Unwissen entgegenzuwirken. So entstehen unsere Texte Wir haben ein Autoren-Team und ein Redaktions-Team. Die Texte entstehen in Zusammenarbeit zwischen jeweils einem Autor und einem Redakteur. Der Autor schreibt einen Artikel für Neuland, meistens auf Deutsch, manchmal auch auf Englisch oder auf Arabisch. Die Aufgaben des Redakteurs ähneln denen eines Übersetzers und eines Lektors. Autor und Redakteur überlegen, welche Formulierung am besten passt und suchen gemeinsam nach dem besten Ausdruck. Dabei versucht das Redaktionsteam den Text des Autors möglichst wenig zu beeinflussen und nahe an der Idee des Autors zu bleiben. NeuLand schafft Begegnung NeuLand möchte Nähe, Verständnis und Verständigung fördern. Dafür brauchen wir Dialog und Begegnung auch im direkten Sinne. Deshalb organisieren wir öffentliche Veranstaltungen wie Release-Partys oder Lesungen (Termine auf der Internetseite) und haben sogenannte „Autoren-Tage“, an denen alle Redakteure und Autoren zusammenkommen, sich über Gedanken, Textideen und allgemeine Fragen austauschen und sich einfach kennenlernen. Susanne Brandl, Raphael Müller-Hotop und das Neuland-Team NeuLand dankt der Seidlvilla NeuLand bedankt sich ausdrücklich und sehr herzlich bei der Seidlvilla (www.seidlvilla.de). In der Seidlvilla hat das NeuLand-Pro- jekt ein Stück Heimat gefunden. Hier finden unsere monatlichen Sitzungen statt, hier entstehen Ideen und Diskussionen, hier lernen sich alle, die bei NeuLand mitwirken, kennen. Ohne die Seidlvilla hätte NeuLand keinen Raum für all das. Deshalb wollen wir uns an dieser Stelle sehr herzlich bedanken, dass die Seidlvilla uns kostenlos ihre wunderbaren Räume zur Verfügung stellt. Danksagung an Spender und Mitglieder NeuLand bedankt sich außerdem sehr herzlich bei seinen Spendern und Mitgliedern! Ohne die finanzielle Unterstützung gäbe es weder die erste noch die zweite Ausgabe der NeuLand-Zeitung. Mit den Spendengeldern finanzieren wir hauptsächlich den Druck der Zeitung, aber auch Release-Feiern, Lesungen und Autoren-Tage. Wir freuen uns, dass wir bei Spendern und Mitgliedern auf so viel Enthusiasmus und Interesse stoßen! NeuLand unterstützen Wollen Sie mehr NeuLand lesen? Mit Ihrer Geld-Spende können wir die Stimme jedes einzelnen Autors auch weiterhin hörbar ma- chen! Wir freuen uns darauf Sie in unserer nächsten Ausgabe als UnterstützerIn nennen zu dürfen! Wollen Sie mehr NeuLand gestalten? Mit Ihrer Zeit-Spende als Autor oder Unterstützer kann NeuLand weiter wachsen! Wollen Sie mehr NeuLand erleben? Seien Sie Teil der NeuLand-Veranstaltungen, Sie finden diese auf unserer Homepage. Wir freuen uns auf Sie!
3 Ausgabe 2/2016 Oben: NeuLand feiert seine 1. Ausgabe im Lost-Weekend. NeuLand wurde vorgestellt und einige der NeuLand-Autoren der 1. Ausgabe haben ihre Artikel zum Besten gegeben (Fotos: Aleka Grünwald und Dimitri Kloster) Unten: Ein Autoren-Tag in der Seidlvilla, Redakteure und Autoren überarbeiten Artikel (Fotos: Dimitri Kloster) Unten: Die NeuLand-Autoren Lilian Ikulumet und Adnan Albash lesen ihre Artikel beim Festival "Literatur im Stianghaus" (Fotos: Maria Schön)
4 www.neulandzeitung.com Danke, München! Autor: Zekeriye Adan Abdirahman, Somalia Ich würde gerne an alle Deut- München ist eine so große, so ven Wohnprojekt, wo ich mich schen und alle Münchner offene und liberale Stadt mit richtig zu Hause fühle. „Danke!“ sagen. echter Freiheit: Meinungsfrei- Ich wünsche mir, dass ich eines Als ich nach München ge- heit, Religionsfreiheit, Freiheit Tages mein Ziel erreiche – ich kommen bin, konnte ich kein der Sexualität und und und. wäre nie so weit, ohne eure Hil- Deutsch und hatte keine Idee So liebe Leute und so zivilisier- fe, die Hilfe der Münchner. Ihr von München und den Münch- te Menschen. Natürlich gibt es seid ehrliche, hilfsbereite und nern. Ich hatte keine Idee vom überall in der Welt böse Men- sehr kluge Menschen! Schulsystem und auch nicht schen und es gibt sie auch hier vom ganzen Leben in München – aber die meisten Menschen Ich kann hier nicht alle positi- Ich hatte nur gehört, dass fast sind sehr nett und sehr freund- ven Dinge schreiben, weil es so alle Deutschen keine guten lich. Ich gehe jeden Tag regel- viele sind und ich sonst nie fer- Menschen sind. mäßig in die Schule und ich tig werden würde... Aber was ich später gesehen habe ein festes Ziel und große habe, weiß niemand! Das war Hoffnung. NOCHMAL: Danke !!! eine große Überraschung! Ich wohne in einem integrati- Nadim im Neuland Welche Werte sind den Deutschen wichtig? Der Zeichner Masiullah Harres zeigt hier einen jungen Mann von hinten: Das ist Nadim, eine Kunstfigur, die Masiullah geschaffen hat. Nadim versucht, sich auf die Menschen hier und ihre Bräuche, Vorlieben etc. einen Reim zu machen. „Nadim im Neuland“ ist eine Bilderserie. In der nächsten NeuLand-Ausgabe reflektiert Nadim eine neue Frage.
5 Ausgabe 2/2016 Es muss(te) anders werden, wenn es besser werden soll(te) Autor: Gregory Awiey Goc, Südsudan Sonntag ergriffen Dinka sind das größte Volk im waren nicht glücklich mit die- wir, eine Gruppe Südsudan und das zweitgrößte ser Entscheidung, die sich im von sechs Jungen, in Afrika. Sie leben als Halb- Nachhinein aber als richtig er- mit Fahrrädern nomaden und züchten Kühe). wiesen hat. Denn es kam doch die Flucht. Auf Die Regierung wollte damit nicht zu diesem Ritual, da mein jedem Gepäckträ- erreichen, die Dinka zu schwä- Vater andere Pläne mit uns hat- ger waren 50 Kilo chen und damit die Menschen te. Er brachte uns zu meinem Hirse und Reis davon abzuhalten, in den Bür- Onkel in die Stadt zurück. Von aufgeladen. Wir gerkrieg zu ziehen. Am Anfang dort wurden wir von meinem flüchteten über raubten die Reitmilizen nur die Onkel in ein Internat bei Khar- die Brücke mit Kühe. Als es in den Dörfern toum geschickt, in welchem den Fahrrädern kein Vieh mehr gab, fingen sie ich 1988 mein Abitur machte. st a dt aus w är t s an, das Getreide und die Häu- Danach konnte ich nicht in der und wurden ser zu verbrennen, um das Volk Universität von Khartoum stu- von den Solda- weiter zu schwächen. Irgend- dieren, weil ich keine hochara- ten beobachtet. wann hatten sie angefangen, die bischen Kenntnisse besaß. Alle Diese infor- Männer zu erschießen, Frauen Südsudanesen, die aufgrund mierten den zu vergewaltigen und Kinder zu des Bürgerkrieges vom Süden Geheimdienst. verschleppen und als Sklaven in die Hauptstadt Khartoum Die Geheim- im Nordsudan bis hin in den geflohen waren, konnten dort dienste schick- Tschad, nach Lybien und Saudi- nicht in die Regelschule gehen. ten die Solda- Arabien zu verkaufen. Im Jahr Im Südsudan ist die Amtsspra- ten hinter uns 1985 passierte ein Vorfall: Die che Englisch und die arabische her, um uns Kinder eines Bekannten von Sprache wird als zweite Sprache aufzuhalten. Wir sind entkom- uns wurden von der Reitmi- unterrichtet. Das Leben hatte gerade rich- men, aber die zweite Gruppe liz verschleppt und als Sklaven Aus diesem Grund konnten die tig begonnen, als der Krieg am mit 27 Personen die hinter uns in Familien in den Nordsudan Südsudanesen nicht an Uni- 16. Juni 1983 ausbrach. Discos, war, wurden von der Armee verkauft. Diese Kinder wurden versitäten im Sudan studieren. Geburtstagspartys, Ausflüge, aufgehalten und alle bis auf ei- von unseren Verwandten im Jedoch war dies für Südsuda- Schwimmen und Catering, nen Mann getötet. In derselben Omdurman (ein Stadtteil von nesen mit einem Stipendium Basketball und vieles mehr Nacht berichtete uns der Über- Khartoum) erkannt und die in Ägypten möglich. Jährlich machten das Leben schön. Ich lebende von diesem Vorfall; er Familien benachrichtigt. Die durften bis zu 300 Studenten war gerade 14 Jahre alt, das hatte eine riesige Schnittwunde Familien mussten ihre eigenen nach Ägypten gehen. Die Kon- Leben war leicht. Das Haus am Hals. Kinder von den Sklavenhaltern kurrenz war so groß und ich be- meiner Familie war neben der zurückkaufen. Sie musste ihren kam keinen Studienplatz. Da- Brücke, die über den Fluss Al Auf der anderen Seite der Brü- Haushalt verkaufen, um den her entschied ich mich für ein Jour führt. Viele Leute über- cke, mitten im Wald, warte- Rückkauf der Kinder zu ermög- Studium an der Bachta-Al-Rut- querten die Brücke, um zu den ten die Rebellen auf uns und lichen. ha Fachhochschule für Lehramt Rebellen zu gelangen. Es gab wir wurden von den Rebellen in Khartoum. Nach einem Jahr jede Nacht eine Schießerei zwi- zwangsweise rekrutiert. Ein Der Bürgerkrieg war für uns brach ich das Studium ab, weil schen den Regierungstruppen Jahr lang waren wir mit den wie ein Spiel, wir bekamen die die Lebensumstände für die auf der einer Seite der Brücke Rebellen unterwegs und haben Waffen von den Rebellen und Südsudanesen in der Haupt- und den SPLA Rebellen (Sudan Munition getragen und Essen durften damit Schießübungen stadt schwierig geworden wa- People‘s Liberation Army) auf für die Soldaten aufgetrieben. ohne Patronen machen. Jetzt ren. der anderen Seite und wir wa- Der Bürgerkrieg wurde inten- wollten wir richtig in den Krieg (...) ren mitten im Geschehen. Der siver; Die Regierung schickte ziehen, als mein Vater kam und Himmel leuchtete wie der Tag. bewaffnete Zivilisten, die so- uns aus der SPLA rausnahm. In einer Nacht, in der nicht ge- genannte Jangjaweed Reitmiliz Mein Vater ging zu dem SPLA Weiterlesen auf schossen wurde, war uns sehr aus Darfur, in den Südsudan. Führer und bat ihn, uns wie- www.neulandzeitung.com langweilig. Es wurde gefährlich Die Milizen wurden von der der mit nach Hause nehmen zu und meine Eltern beschlossen Regierung mit Waffen ausge- dürfen, um ein Abschiedsritual uns Kinder aus der Stadt zu rüstet, um das Vieh von mei- durchführen zu können, bevor bringen. Eines Tages an einem nem Volk Dinka zu rauben (Die wir in den Krieg ziehen. Wir
6 www.neulandzeitung.com Perspektiven einer Afrikanerin Der Kampf in interkulturellen Beziehungen Autorin: Lillian Ikulumet, Uganda Illustration: Johanna Baader Wenn man zwei Menschen che Haltungen, eine der größ- wir wieder gestritten. Als jun- führen. Wir wissen auch, dass zusammenbringt, die aus ver- ten kulturellen Unterschiede ges Mädchen wurde ich gelehrt, das Vertrauen in den Beziehun- schiedenen Ländern mit un- zwischen uns war unsere Pers- den Tag zu nehmen wie er kam. gen der Klebstoff ist, der zwei terschiedlichen Hintergründen pektive auf das Leben. Als Af- Ich glaube, dass viele Menschen Menschen aneinander bindet, kommen, machen sie zweifellos rikanerin bekam ich nichts auf in Afrika das Gleiche tun. Also wenn sie ein gemeinsames Pro- eine interessante Reise in einer einem Silbertablett. Ich wurde war für mich die wochenlan- blem lösen müssen. Aber wenn Beziehung. Sehr viele Bezie- gelehrt, die kleinen Dinge zu ge Vorausplanung eine Unbe- einmal Misstrauen aus kultu- hungen haben viel Einfluss auf schätzen und immer das Beste kannte. Manchmal dachte ich, rellen Unterschieden entsteht, die Lebensweise beider Partner zu hoffen. Wie bei allen Afri- dass mein Partner unspontan führt es zu nichts, sondern zu z.B. wenn man sich an die Kul- kanern, war meine Einstellung und verspannt ist. Und dass er mehr Streit. tur des anderen anpassen muss. zum Leben entspannter und sich ein wenig entspannen soll Ein schwieriger Aspekt für sorgloser. Nach dem Motto: und aufhören soll, sich Gedan- Kochen und Essen zwei Menschen ist, wenn jeder What ever will go wrong will ken zu machen und sich über Kultur spielte auch eine wichti- Mensch aus einem anderen kul- surely do. Ich würde es als mein mich zu beschweren. ge Rolle in unserer Küche. Was turellen Hintergrund kommt. Lebensmotto beschreiben. Es gegessen wird und wann, war Sei es Sprache, Glauben oder fordert mich auf, mein Leben Liebe und Zuneigung eine Herausforderung. Wir Af- Ethnizität - unterschiedliche selbst in die Hand zu nehmen. In Uganda, woher ich stamme, rikaner lieben unsere Köstlich- Haltungen können einen Kon- schütteln wir als Partner die keiten manchmal so sehr, dass flikt auslösen. Zeitmanagement Hände, um uns zu begrüßen wir unsere Küchen nicht an un- Ich habe ein paar Dinge über Ugandische Leute haben kaum und selten umarmen oder küs- sere Partner anpassen wollen. kulturelle Unterschiede in den Stress oder Sorgen. Und Uli sen wir uns. Aber die deutsche Sagen wir: jeder weiß seine Kü- Verhältnissen beobachtet und machte sich immer Gedanken Kultur ist ganz anders. Sie küs- che zu schätzen. Zum Beispiel: gelernt. Als ich nach Deutsch- über fast alles. Insbesondere sen und umarmen sich in zärt- Wir in Uganda integrieren eine land kam, hatte ich einen Kul- wenn es um die Zeit für unsere licher Liebe, auch in der Öffent- Vielzahl von Gerichten in eine turschock. Auch was Beziehun- Dates ging, führte dies immer lichkeit. Mahlzeit. Wie ein Buffet. In ei- gen angeht. Wie genau bewegen zu hitzigen Auseinandersetzun- Weil in meiner Kultur Zunei- ner Mahlzeit nehmen wir ein interkulturelle Unterschiede gen. gung - vor allem in der Öffent- bisschen Kartoffeln, etwas Ge- eine intime Beziehung? Wie man sagt, die Europäer ha- lichkeit - ein Tabu ist, kann nur müse, ein wenig Reis und etwas Ich hatte eine spannende Be- ben Uhren und die Afrikaner im Schlafzimmer zwischen zwei Erdnuss-Sauce und ein paar ziehung mit einem deutschen die Zeit. Ich kann es bestätigen, Personen die Liebe gezeigt wer- Bohnen. Sobald ich eine solche Mann, als ich in dieses Land dass die Zeit keine wesentli- den. Aus diesem Grund war ich Mahlzeit für meinen Partner kam. Aus meiner Erfahrung che Rolle spielte, besonders immer zu schüchtern, ihn zu vorbereitet hatte, begann eine werde ich euch sagen, dass es wenn ich im Begriff war, mei- küssen, seine Hand zu halten, neue Diskussion. Für ihn hat- nicht einfach war. Weil viele nen Partner zu treffen. Meine und ihn zu umarmen, vor allem te es keinen Sinn, ein bisschen unserer Meinungsverschieden- Meinung war immer, er würde in der Öffentlichkeit. Dies führ- Kartoffeln und Reis zusammen heiten aus riesigen kulturellen mich verstehen, wenn ich eine te auch zu Diskussionen und auf einer Platte zu haben, weil Unterschieden stammten. Zum halbe Stunde oder sogar eine Misstrauen. Weil ich diese Din- sie beide zur gleichen Lebens- Beispiel, wie wir aufgewach- Stunde später komme. ge nicht getan habe, dachte er, mittelgruppe gehören. sen sind, was wir von unseren Vor allem, wenn er zu Hau- dass ich ihn nicht liebte. So sehr ich sein Argument Eltern gelernt haben und was se war, konnte er entspannen Trotz der Erklärung, dass das verstanden habe, hat für mich normal ist - in Bezug auf das und auf mich warten. Statt sich meine Kultur ist, fühlte er sich eine Vielzahl von kleinen Ge- Heimatland. um mich zu sorgen, weil ich immer unsicher und hat nie richten in einer Mahlzeit mehr Uli (Pseudonym) und ich kom- zu spät komme. Zeit wurde aufgehört, sich darüber zu be- Gewicht, weil ich so erzogen men aus zwei sehr unterschied- ein Mega-Problem in unserer klagen. Aber ich musste mich wurde. Auf der anderen Seite, lichen kulturellen Hintergrün- Beziehung. Trotz der heftigen der Kultur dieses Landes lang- wenn er seine bayerische Küche den. Er wurde in Deutschland Auseinandersetzungen über sam anpassen. zu Hause machte, war es wie ein geboren. Nie hat er Deutsch- Pünktlichkeit kam es mir dann, Wir sind uns alle darüber ei- Fastentag für mich. Ich fand es land verlassen. Seine Heimat dass es in Deutschland sehr nig, dass Ausdrücke der Liebe wirklich geschmacklos. Auch war immer Bayern und er war wichtig ist, die vereinbarte Uhr- ein sehr großer Teil einer Be- bei Kartoffeln, habe ich immer kein Akademiker. Ich bin in Af- zeit einzuhalten. ziehung ist. Wenn jemand das in einer afrikanischen Art und rika geboren und im östlichen Bedürfnis des anderen, Liebe Weise gekocht und er wollte Teil Ugandas in den Bezirken Auf der anderen Seite, wenn es zu empfangen, nicht erkennt, immer, dass ich auf die deut- Soroti aufgewachsen. Uli und um die Vorausplanung für die kann es zu einigen wichtigen sche Art koche. Dies ärgerte ich hatten völlig unterschiedli- nächsten Wochen ging, haben Problemen in der Beziehung ihn so sehr, dass er nicht mehr
7 Ausgabe 2/2016 kochen wollte. Um jeden von kung der Zähne - im Gegensatz in Gruppen alles von einer Plat- gen oder Beschwerden und ich uns beiden glücklich zu ma- zu den westlichen Kulturen, te. Je mehr große Klumpen ich sagte „Typisch deutsch“ Aber chen, mussten wir eine Balance wo der Knochen nur abgenagt esse, desto besser für mich, so ich realisierte, dass ich unsere finden, die es möglich machte, wird wie in Bayern. Die meis- werde ich schneller satt. Die- kulturellen Unterschiede nicht dass beide ihre kulturellen Vor- ten westlichen Kulturen finden jenigen, die zu langsam beim mehr leugnen konnte, weil es lieben unter einem Dach genie- es auch unhöflich, Essen in den Essen sind, sind am Ende der unsere kulturellen Unterschie- ßen können. Sicher war ich zur Mund zu stecken und wieder Mahlzeit noch hungrig. de waren, die diese Konflikte Einhaltung seiner kulturellen auszuspucken. Die meisten af- Solche starken Unterschiede verursacht hatten. Normen mehr bereit, als er zu rikanischen Kulturen finden, gibt es fast zwischen allen Kul- meinen. Gewiss, interkulturelle dass das Ausspucken normal turen auf allen Ebenen der In- (...) Beziehungen bilden viele Gele- ist, insbesondere beim Essen teraktion. Sei es sozial, emotio- genheiten für Missverständnis- mit Knochen. Dagegen fordern nal oder auch geistig. Uli fand se. In den meisten afrikanischen die westlichen Kulturen, dass es sogar seltsam, dass ich vor Weiterlesen auf Ländern werden Knochen oder man kleine Bissen isst, oder dem Essen gebetet hatte. Natür- www.neulandzeitung.com sogar Hühnerknochen gekaut. besser noch, dass man einfach lich war er nicht der religiöse Es ist normal und von entschei- sein Essen richtig klein schnei- Typ. Manchmal zuckte ich nur dender Bedeutung für die Stär- det. In meiner Kultur essen wir die Schultern bei seinen Fra-
8 www.neulandzeitung.com REISE DES SCHMERZES Autor: Fadi Aswdah, Syrien Ich weiß nicht, wo ich an- wie Geisterstimmen an. voll Trauer, Angst und Tränen, der arabischen Welt, ging mir fangen soll! Denn kann ich Die Häuser sind zerstört, die aber vielleicht auch ein wenig durch den Kopf und die Worte meinen ganz persönlichen Liebe hat sich verabschiedet, Hoffnung. ihres Liedes „Für Beirut – Schmerz in ein paar hundert die Hoffnung wurde getötet. Frieden für Beirut mit meinem Worten zusammenfassen und Der Schatten des Todes ist jetzt Im Boot bin ich vom Sitz auf- ganzen Herzen“ vom libane- spiegeln sich in diesen Worten der Herrscher und hat den An- gestanden und habe beobach- sischen Autor Josef Harb. Ich auch die Millionen syrischen fang des syrischen Leidens an- tet, wie wir uns langsam von hatte dieses traurige Lied bis zu Flüchtlinge wider? Ich weiß es gekündigt. In dem letzten Buch den Ufern des Hafens entfern- meiner Ankunft in der türki- nicht… des verstorbenen syrischen Au- ten, zurückblickend auf den schen Stadt Mersin im Kopf. tors Georg Trabisch findet sich Ort, an dem ich mein Magis- Eines aber weiß ich sicher, eine treffende Beschreibung, terstudium angefangen habe, Vor dem Aussteigen aus dem wie schwierig es ist, selbst mit die das derzeitige Leid in seiner ohne es beenden zu können, Boot kamen unzählige Fragen tausenden oder gar hundert- Gänze zum Ausdruck bringt. durch den Krieg und mit ihm in mir hoch. Wie soll ich mich tausenden Worten das Leid des Dort konnten die Lebenden der Verfall der syrischen Wäh- in der Türkei zurechtfinden, syrischen Volkes zu beschrei- es nicht mehr aushalten und rung. Ich konnte mich nicht einem Land, in dem ich nie ben. Aber vielleicht vermögen beneideten die Toten um ihren mehr beherrschen und habe zuvor gewesen bin. Wie sollte es viele Geschichten und mit ewigen Schlaf. angefangen zu weinen. Zur ich nach Antakya kommen, der jeder verbunden ein ganz per- selben Zeit wurden die Wellen Stadt, in welcher der Bruder sönliches Schicksal. Jahrelang Augenzeuge dieses auf dem Meer immer höher meiner Ehefrau lebte. Doch grausamen Krieges, sah ich und das kleine Boot schwankte als ich aus dem Boot ausstieg, Dies ist meine Geschichte über keinen anderen Ausweg als hin und her. Ich begann einen schaute mich ein Mann um die die Flucht nach Europa. Sie mich für diese Reise zu ent- inneren Monolog und die Erin- 60 Jahre an und fragte, wohin ähnelt den Geschichten von scheiden, in der Hoffnung auf nerungen haben mich über- ich gehen würde. Ich sagte Hunderttausenden, mit dem ein sichereres und besseres wältigt. Das schmerzlichste von ihm, nach Antakya. Er bot mir Unterschied, dass meine ein Leben. allem war der Abschiedskuss an, sich ihm anzuschließen, da gutes Ende fand, während sie für meinen kleinen Sohn, wäh- er auch auf dem Weg dort- bei anderen, selbst nach vielen Die Zeit der Entscheidung war rend er schlief, denn ich wusste hin wäre. Ich habe mich sehr Versuchen, ihre Helden nur all- die Schwerste von allen. Denn nicht, wann ich ihn wiederse- gefreut, auf einen Menschen zu zu oft in den Tod geführt hat. alleine in das Gesicht mei- hen würde und dies wieder tun treffen, der fließend arabisch nes dreieinhalb Jahre jungen kann. Wenn mein kleiner Sohn sprach, redete er doch türkisch Ende August 2014 begann Sohnes zu schauen, hat mir morgen früh aufwacht und mit seinem Freund. Später meine lange Reise von Syrien diese Entscheidung unendlich mich nicht findet, wird er wohl erzählte er mir, dass er Türke über den Libanon in die Tür- schwer gemacht, die Reise in seine Mutter verwirrt fragen: mit syrischen Wurzeln ist. kei. Bevor ich diese gefährliche das Ungewisse. Aber ein Funke Wo ist Vater? Ich wusste, wie Da erkannte ich den Grund, Fahrt ins Ungewisse antrat, gab Hoffnung in mir hat am Ende schwer es meiner Ehefrau warum er mir half. Als ich am es hunderte Tage des Krieges gesiegt und mir gesagt: Du fallen muss, eine passende Hafen nahe der türkische Stadt in Syrien. Dieser todbringende musst etwas unternehmen! Antwort für meinen kleinen Mersin ankam, wusste ich, dass Krieg nahm uns die Hoffnung Von da an war ich mir sicher. Sohn zu finden. Traurigerweise die Weiterreise zum Bruder auf das Leben. Hoffnung wurde hat diese Art der Fragen, auf meiner Ehefrau nicht schwer zu Leid, Träume zu Albträu- Ich habe mich in den Libanon die man keine Antwort weiß, sein wird, dank der Hilfsbereit- men und Liebe zu tödlichen begeben, um ein Ticket für ein im Leben des syrischen Volkes schaft eines guten Menschen. Raketen. kleines Boot namens „Abara“ zugenommen und wurden (...) Richtung Türkei zu kaufen. sogar zu ihrer Kultur und Tra- Unabhängig davon, welche Geld für ein Flug-Ticket nach dition! Darum musste meine Konfliktparteien sich gegen- Europa hatte ich nicht und so Frau lügen. Bis heute habe ich Weiterlesen auf seitig bekämpfen, der Krieg musste ich das billigste Trans- meine Frau nicht gefragt, was www.neulandzeitung.com verwandelt das Syrien von heu- portmittel nehmen, egal ob Ihre Antwort gewesen ist, denn te in ein Schiff, das mit einem legal oder nicht. Anschließend ich will nicht noch mehr Leid Leck im Meer schwimmt, am bin ich dann zum Hafen von und Tränen hinzufügen. Ende wird es untergehen und Tripoli gefahren und habe mit ihm das ganze Leben, das mich in ein Boot gesetzt. In Als ich die Küste des Libanons sich darauf befindet. diesem Moment habe ich an erblickte, hatte ich das Gefühl, Ja, der Boden war in Blut meine Ehefrau gedacht, als den ganzen Libanon zu be- getränkt und mit Leichenteilen sie sich durch unser kleines trachten, vor allem Beirut. Ein übersäht, und der Gesang der Hausfenster winkend von mir Lied von Frau Fairuz, einer Vögel am Morgen hörte sich verabschiedete. Ihr Blick war sehr bekannten Sängerin in
9 Ausgabe 2/2016 Das Leben in Deutschland Nachdenkliche Bemerkungen von Amin Taheri, der seinen Platz in der Gesellschaft sucht Illustration: Johanna Baader Ich will einen Teil meines Le- Die Erwartungen waren hoch Trotz der schlechten Bedin- Ich kann ein förderlicher bens in Deutschland öffentlich In den zwei Jahren in Deutsch- gungen im Container schaffte Mensch sein machen, aber nicht alles davon. land habe ich verschiedene ich das B1-Zertifikat an der Jetzt stehe ich kurz vor Beginn Ja, das Leben in Deutschland Situationen erlebt, die mich Volkshochschule Erding. Mein meiner Ausbildung als Elekt- ist anders als das Leben in mei- manchmal betrübten, manch- Deutsch wurde viel besser und roniker für Automatisierungs- ner Heimat. Die Straßen sind mal enttäuschten und mir ich konnte manche Texte lesen. technik im Bereich „Building zum Beispiel ganz anders als manchmal Mut machten. Die Ich las eine Broschüre, die von Technologie“, die am 1. Septem- die Straßen in meinem Land. Erwartungen, bevor man nach Ehrenamtlichen gemacht wur- ber 2016 beginnt, und zwar bei Es gibt für die Fahrräder einen Deutschland kommt, sind hoch, de. Ich las darin von den Vor- dem großen deutschen Unter- eigenen Weg und für die Fuß- so dass viele – und auch ich – urteilen mancher Deutschen. nehmen Siemens. Die Geneh- gänger auch. Die meisten Men- dachten, dass mit der Ankunft Sie sagten, dass die Flüchtlin- migung für meine Ausbildung schen halten sich an die Regeln. in Deutschland alle Schwierig- ge in schicken Häusern und bekam ich am 30. November keiten, die man in seiner Hei- Fünf-Sterne-Hotels leben 2015, knapp zehn Monate, be- Pünktlichkeit ist einer der wich- mat und auch auf dem Weg sah würden. Ich dachte, vielleicht vor ich meine Ausbildung be- tigsten Dinge in einem deut- und spürte, vorbei seien. meinten sie den Container mit ginnen werde. In zwei Wochen schen Leben. Wenn die S-Bahn dem Fünf-Sterne-Hotel, aber werde ich aber noch mein In- verspätet ist, regen sich viele Nach einem dreieinhalbmona- ich wusste nicht, wofür die fünf terview beim Bundesamt für auf. Auch die Autos sind anders; tigen Leben in der Bayern-Ka- Sterne stehen. Ich habe sie an- Migration und Flüchtlinge ha- die Menschen sehen anders aus; serne wurde ich nach Erding derthalb Jahre nicht sehen kön- ben… ebenso viele Dinge. Aber auch umquartiert, wo die größte nen. wenn wir alle verschieden sind, Therme der Welt liegt. Erding Mein Traum wäre es, später ein- so sind wir doch alle Menschen ist eine schöne Stadt, aber sie Es gab Menschen, dir mir hal- mal an einer deutschen Univer- und wir haben die gleichen war es für mich nicht von An- fen. Da waren z. B. Angelika H., sität zu studieren, denn ich will Rechte. Ich bin Amin, 21 Jahre, fang an. Mein Anteil an dieser eine Mitarbeiterin der Post, und eine Chance, etwas sehr Gutes und ich komme aus Afghanis- schönen Stadt war ein Cont- Jens L., der bei Siemens arbeitet, aus mir zu machen. Ich kann tan. Seit Dezember 2013 bin ich ainer, in dem ich mit neun an- die mich gesehen und mich un- ein förderlicher Mensch sowohl in Deutschland. Momentan bin deren Flüchtlingen leben sollte. terstützt haben. Nach ungefähr für meine Familie als auch für ich an einer Münchner Schule Das Leben im Container war 18 Monaten im Container bin diese Gesellschaft sein. zur Berufsvorbereitung in der ein Albtraum für mich, den ich ich mit Hilfe von ehrenamtlich Balanstraße und ich besuche niemals vergessen kann, wie tätigen Menschen in ein Haus Autor: Amin Taheri, Afghanis- gleichzeitig einen Deutschkurs meine anderen Albträume, die umgezogen, in dem ich nur mit tan für das B2-Zertifikat. ich auf dem Weg erlebt habe. einer Person zusammen wohne.
10 www.neulandzeitung.com Warten, essen, schlafen Die Bürokratie und mein schwieriger Anfang in Deutschland Autor: Adnan Albash, Syrien Illustration: Antje Krüger Foto: Maria Schön wie ein Polizist aussah. Ich habe kam dort aus Deutschland. Ich ihm die zwei Sätze gesagt, die dachte, dass wir nicht mehr in ich in der Zeit auf der Flucht Deutschland seien! Zehn Leute gelernt hatte: „Ich bin neu hier“ kamen aus Syrien und 190 aus und „Ich komme aus Syrien“. Er den Balkanländern (Albanien, lachte und sagte: „…kein Prob- Kosovo, Mazedonien …). lem…“ Er dachte, dass wir be- trunken seien und wir mit ihm Okay … In den nächsten Ta- Spaß machen. Dann habe ich gen wollte ich fragen, was ich ihm meinen Pass gezeigt und machen könnte. Wie kann ich auf Englisch gesagt: „Ich bin ge- Deutsch lernen? Aber wen soll- rade angekommen.“ Nachdem te ich fragen? Die Sicherheits- er zwei Minuten überlegt hatte, leute kamen nicht aus Deutsch- sagte er uns: „Okay – ich bin land und konnten auch nicht kein Polizist, dort könnt ihr die Englisch sprechen. Ich habe Polizei finden.“ es versucht, aber niemand hat mich verstanden. Die 190 an- Wir waren den ganzen Tag bei deren Leute sprachen auch kein der Polizei mit unserer Anmel- Englisch und kein Deutsch … dung beschäftigt. Doch meine Ich habe mich gefragt: Wo bin Aussichten waren nicht gut: Sie ich? Nach einer Woche und haben mich nach Deggendorf nach vielen Fragen habe ich je- geschickt. Ich hatte keine Ah- manden gefunden, der Englisch nung von dieser Stadt und wo sprach. Sie war die Chefin und wir wohnen würden. Was wich- sie kam zweimal pro Woche tig für mich war, war schnell vormittags und um zu kontrol- Deutsch zu lernen, um bald lieren. weiter studieren zu können. Ich habe ihr viele Fragen ge- Winter im Bayerischen Wald stellt: Am gleichen Tag sind wir in Wie kann ich Deutsch lernen? Warten, essen und schlafen … München, Ostbahnhof, 3 Uhr Deggendorf angekommen, das Antwort: Ich weiß es nicht. morgens war eine andere Erstaufnahme. Was kann ich machen? – Diese Wörter sind die ersten Zuerst bin ich in München Wir mussten dort alles noch Antwort: Essen, schlafen. Wörter, die ich in Deutsch- angekommen. Der Mann, der einmal machen, den medizini- Wie lange sollen wir hier blei- land gehört habe, nachdem ich meinen Bruder und mich mit schen Check, alles, und dann ben? – Antwort: Keine Ahnung. immer gefragt hatte, was ich dem Auto aus Linz abgeholt wollten sie uns in ein anderes Wie kann man in die Schule machen kann. Als ich neu in und nach München gebracht Heim schicken, nicht weit weg oder in die Stadt gehen? – Ant- Deutschland war, musste ich in hat, hat von uns vier Leuten von Deggendorf… aber wo?? wort: Nicht möglich. der Erstaufnahme bleiben und 4000 € genommen. Er hat uns Wir wussten es nicht. auf einen Bescheid vom BAMF am Münchner Ostbahnhof ab- Es war Winter – alles war weiß In die Stadt zu gehen war nicht (Bundesamt für Migration und gesetzt und alleine gelassen. – von Schnee und kalt … Nach möglich, weil alles weit weg war Flüchtlinge) warten, ohne den Was jetzt? einer Stunde Fahrt sagten sie: und es keinen Bus und keinen ich nicht in Deutschland hätte „Wir sind da.“ Zug gab. Ich musste 45 Minu- bleiben dürfen. Aber in dieser Wir mussten zur Polizei gehen Ich habe den Namen „Freyung“ ten nach Freyung laufen. Aber Zeit darf man nichts machen – und uns anmelden. Das war am gehört, ein kleines Dorf im was ist Freyung eigentlich …? außer essen, schlafen und war- Samstag, den 31. Januar 2015 Bayerischen Wald. Das war Es gibt dort keine Sprachschule ten. Es war sehr schwierig für um 3 Uhr morgens. Der Bahn- nicht ganz richtig, denn das und es ist so klein, mit wenigen, mich, immer in der Unterkunft hof war voll von Menschen, die Heim war außerhalb des Dorfs, meist alten Leuten, die kein zu bleiben. vorher in der Disco waren. Ich in einem Haus in den Bergen Englisch können. Jemand hat habe einen Mann gesehen, der mit 200 Flüchtlingen, niemand mir gesagt, dass sie auch nicht
11 Ausgabe 2/2016 Deutsch sprechen, sondern „Ich heiße Adnan und komme nur Bayerisch … deshalb hatte zum Helfen“. Er hat mir geant- ich keine Chance dort Deutsch wortet, aber eigentlich verstand zu lernen. ich nicht, was er sagte. Dann Aber wirklich, was kann man habe ich schnell wieder auf dort machen? Manche Leu- Englisch gesprochen und nach te waren dort seit zwei oder der Chefin gefragt. Sie kam und drei Monaten, manche seit sagte mit dem gleichen netten sechs Monaten und sie wuss- Lächeln „Hallo“ und dann hat ten nicht, wie lange sie bleiben sie mir gesagt, was ich machen müssen. soll. Nach zwei Monaten habe ich Der erste Tag in der Kleider- verstanden, dass das BAMF kammer war unglaublich. Ich die Flüchtlinge unterschiedlich habe von den Leuten gar nichts einteilt. Die Leute, die aus Syri- gehört von dem, was ich allei- en kommen, sind ein Teil und ne gelernt hatte. Ich habe ver- die ganzen anderen Leute sind sucht, ein Wort zu verstehen. der zweite Teil. Ich bin kein Ich wusste nur „Wie heißt du?“, Syrer, sondern Palästinenser, sonst nichts. Eigentlich war aber ich bin in Syrien geboren auch das schwierig, weil ich und ich habe immer in Syrien lich und ich wollte das nicht tionen, die zu uns kamen, um gelernt hatte „Wie heißen Sie?“ gelebt. Aber in Deutschland bin machen. Aber das war nicht al- uns helfen, wie die Diakonie, Aber obwohl ich nichts ver- ich wegen der politischen Prob- les, ich brauchte Hilfe für mei- Amnesty International und das stand, war ich ganz zufrieden. leme staatenlos … Ja, ich kom- ne Papiere. Ich bin zu Amnesty Sozialamt. Am Ende sagte die Chefin, dass me vom Mars, aber es ist mir International gegangen und sie Die Antwort war anders. Die ich immer kommen kann. egal. In meinem Herzen gibt es haben für mich einen Brief ans junge Frau, die die Chefin der Damals hatte ich kein Geld zu immer meine Heimat, und die BAMF geschrieben, dass wir Kleiderkammer in der Münch- geben, aber ich hatte Zeit und ist Syrien und Palästina. jetzt nicht alles noch einmal ner Bayernkaserne war, sagte Kraft. Ich erinnere mich immer Und wir sind in Freyung, weil von vorne machen sollten. Sie mir mit einem Lächeln: „Ja, gerne an die netten Leute, die wir staatenlos sind. dachten am Anfang, wir hätten natürlich. Komme zu uns am ich dort kennengelernt habe unsere Unterlagen verloren und Samstag und wir schauen, was und wie sie versuchten, langsa- Wieder in München jetzt muss ich schon wieder wo- du machen könntest.“ mer und einfacher zu sprechen, Nach zwei Monaten wurden wir anders hinziehen … Nein, bitte Damals konnte ich kein damit ich sie verstehen konnte. dann wieder nach München ge- lasst mich in München bleiben! Deutsch und sagte: „Wie bitte? Ich lernte jeden Tag nicht nur schickt, zur selben Erstaufnah- In diesen zehn Tagen habe ich Was hast du gesagt?“ auf Eng- neue Wörter, sondern auch die me. Aber die Leute dort hatten ein paar Freunde kennen ge- lisch. Sie lächelte nochmal und deutsche Kultur kennen und davon keine Ahnung, dass wir lernt, die uns dabei geholfen ha- hat mir auf Englisch erklärt, wie das Leben in Deutschland schon einmal hier waren. Sie ben, dass ich in München blei- was sie gesagt hatte. Ich war ist. Das hat mir sehr geholfen, fragten: „Wer hat euch nach ben konnte. Trotzdem musste zufrieden und habe mir gesagt: aber man braucht immer eine München geschickt? Ihr müsst ich alle zwei Monate umziehen. Jetzt fange ich an, etwas zu tun! Schule und Lehrer, um eine euch noch einmal anmelden…“ Ich weiß, nicht warum! ganz neue und schwierige Spra- Alles von vorne … Medizini- Endlich bin ich in München … Endlich kam der Samstag und che zu lernen. Deshalb habe ich scher Check und Interview und und ich habe mich gefragt, ob ich war jetzt bereit, denn ich versucht, noch etwas anderes sie haben meinen Ausweis ge- ich jetzt eine Chance bekom- habe sehr viel geübt und ich zu finden. nommen. Warum? Alle sagen: men werde. wollte das Deutsch benutzen, (...) „Keine Ahnung.“ was ich alleine in den zwei Mo- Ich habe dem Arzt gesagt, dass Endlich etwas zu tun naten in Freyung gelernt hatte. Weiterlesen auf ich schon alles gemacht habe. Ich habe wieder gefragt, was Ich bin natürlich pünktlich ge- www.neulandzeitung.com Ich sollte nicht zweimal eine ich machen könnte. Aber jetzt kommen und habe mich dem Röntgenaufnahme meiner nicht die Vertreter der Regie- Mann, der an der Türe stand, Lunge machen, das ist gefähr- rung, sondern die Organisa- vorgestellt. Ich habe nur gesagt:
12 www.neulandzeitung.com Meine ersten fünf Jahre Die einfachste Lebenszeit Im Sommer 1998 bin ich in ei- dass wir nach Pakistan gegan- konnten wir uns ein Haus mie- Köchin gearbeitet. Dabei war nem kleinen Dorf neben Kabul gen sind. Mein Vater hatte dort ten. Meine Tante, deren Mann sie sehr sozial. Fast alle haben in Afghanistan geboren. Meine viele Bekanntschaften und es in Kabul getötet worden war, meine Mutter dort gekannt. Familie lebte seit ewiger Zeit in gab auch viele aus unserem war auch mit ihren vier Kin- Ich habe die ersten fünf Jahre diesem Ort. Wir gehörten zum Dorf und Verwandten, die ein, dern mit uns zusammen. Aber von meinem Leben mit diesen Mittelstand. Mein Vater hatte zwei Jahre früher dorthin ge- sie ist später in den Iran gegan- Erlebnissen verbracht. Den genügend Land und Tiere und flüchtet waren. gen. ganzen Tag spielte ich auf der hat sein Leben immer unab- Wir sind nach Quetta gekom- Wir waren zu viert, mein Va- Straße oder zu Hause auf dem hängig und fröhlich geführt. men. Quetta liegt im südöst- ter, meine Mutter, meine ältere Dach mit Drachen. Bis die Taliban kamen. Nach- lichen Pakistan und ist die Schwester und ich. dem mein Onkel von den Tali- Hauptstadt von der Provinz Meine Schwester konnte in ei- Manchmal, wenn mein Vater ban getötet worden ist, hat mein Baluchistan. Es gibt verschiede- ner Schule studieren. Wir hat- gut gelaunt war, durfte ich mit Vater sich entschieden von dort ne Völker, die dort leben. ten keine Dokumente, aber mit ihm in die Berge zur Jagd ge- wegzugehen. Viele Menschen Ungefähr ein Viertel dieser vielen Bestechungsgeldern war hen. Aber manchmal war er sind aus diesem Dorf in den Stadt besteht aus Hazaras, die das trotzdem möglich. wütend oder traurig über sein Iran oder nach Pakistan ge- afghanische Flüchtlinge sind. Mein Vater hat sich täglich neue Leben in Pakistan. flüchtet, denn die Taliban wa- Es gibt Hazaras die, seit dem Arbeit gesucht, weil er keinen Wir haben keine digitalen Ge- ren eine ernsthafte Bedrohung 18. Jh. in Quetta leben. Sie sind bestimmten Beruf hatte. In räte zu Hause gehabt, außer ei- für sie. vor der rassistischen Politik von Afghanistan hat er immer auf nem Radio. Sie haben keine andere Wahl Abdulrahman, dem damaligen seinem eignen Land als Bauer Das Leben war ganz klassisch. gehabt, entweder bleiben und König von Afghanistan, nach gearbeitet. Es war nicht einfach. Und es war meine einfachste sterben oder alles zu einen Pakistan geflüchtet, und haben Manchmal fand er gar nichts Lebenszeit, die ich unbesorgt günstigen Preis verkaufen und sich dort einbürgern lassen. und kam wütend nach Hause erlebt habe. Die einzige bis jetzt. weggehen. Bevor es zu spät war, Und es gibt auch Hazaras, die zurück. hatte mein Vater alles verkauft vor den Taliban weggelaufen Die Mutter war Hausfrau, außer und ist nach Pakistan gegangen. sind. Diese haben keine pa- kochen und zu Hause putzen Autor: Salman Jafari, Afgha- Da bin ich ein Jahr alt gewesen. kistanischen Dokumente. hat sie auch meistens für ande- nistan Übrigens war es kein Zufall, Mit Hilfe der Verwandten, re Familien als Putzfrau oder Was bedeutet eigentlich »Afghani«? Ein persönlicher Bericht über Diskriminierung im Iran Manche Deutsche verstehen dere Spiele waren Hüpfen mit Es dauerte nicht lange, bis ich haninnen, die im Iran gestran- nicht, warum Afghaninnen und Steinen oder Seilspringen. das Wort „Afghani“ hörte. Das det sind. Ich gehöre zu einer Afghanen den Iran verlassen, Mit wem spielte ich? Es waren Wort „Afghani“ bedeutet ei- Generation, die im Iran gebo- obwohl es ihnen dort vermeint- Kinder, die genauso aussahen gentlich meine Nationalität, ren und aufgewachsen ist. Und lich gut geht. Hier ist meine Ge- wie ich: klein, schwarzhaa- aber viele Iraner benutzen es wir haben viel Diskriminierung schichte: rig, und alle sprachen wir eine als Beleidigung. Damals habe erlebt. Wir wurden in der Ge- Ich bin ein Flüchtling, und seit Sprache. ich mich zum ersten Mal als sellschaft immer ignoriert. Und ich mich erinnern kann, war Erst später habe ich erfahren, fremder Mensch gefühlt. Das der Iran hat unsere Generation ich immer ein Flüchtling. Als wer meine Spielkameraden wa- ist wirklich ein schlechtes Ge- immer ausgenutzt. ich meine Augen geöffnet habe, ren: Es waren afghanische und fühl, und eigentlich will dies Deswegen habe ich mich ge- habe ich mich so wie alle Kin- iranische Kinder. Afghanistan niemand. nauso wie meine Eltern ent- der auf dieser Welt gefühlt. Und und Iran? Zwei Länder? Was Je älter ich wurde, desto weni- schieden, zu flüchten. Meine unsere Welt war die Welt unse- hatte das zu bedeuten? Sind ger iranische Kinder spielten Eltern sind vor dem Krieg ge- res Stadtviertels. Menschen aus dem Iran anders mit uns. Und als ich erwachsen flohen, ich bin vor Krieg und Was mögen alle Kinder auf die- als die Menschen aus Afghanis- war, gab es gar keine iranischen Diskriminierung geflohen. ser Welt? Sie spielen gerne! Wir tan? Ich habe damals nicht ver- Jugendlichen mehr bei uns. spielten mit Puppen auf der standen, warum jemand einen Je größer ich wurde, desto grö- Autorin: Parastu (Pseudonym), Straße: Diesmal waren wir die Unterschied macht zwischen ßer wurde auch meine Welt. Afghanistan Mutter, und die Puppen waren dem Iran und Afghanistan. Je- Und die Politik gab mir eine unsere Kinder. Wir kochten mand sprach von zwei Ländern Erklärung für das Wort „Af- und wuschen für sie, und sie und davon, dass die einen bes- ghani“: Ich war eine von drei bekamen Essen von uns. An- ser seien als die anderen. Millionen Afghanen und Afg-
13 Ausgabe 2/2016 Eine schreckliche Geschichte Autor: Anonym Illustration: Antje Krüger Ich fuhr mit der U-Bahn vom ken?“, aber ich hatte keine Zeit. hielt mich auf: „Moment, ich Marienplatz zur Münchner Er gab mir seine Adresse und habe schon in der U-Bahn mit Freiheit. Am Odeonsplatz stieg Telefonnummer und sagte, ich deiner Hand gespielt. Hast du ein alter Mann ein. Ich glaube, soll nach dem Termin zu ihm das nicht verstanden?“ Ich habe er war schon über 80 Jahre alt. kommen – er wollte mir von gesagt „Nein.“ und bin gegan- Als die U-Bahn losfuhr, ist er Jesus erzählen, und ich sollte gen. ein bisschen nach hinten ge- ihm von Mohammed erzählen. stolpert. Ich hatte Angst, dass Ich dachte, vielleicht kann er Da, wo ich herkomme, ist er hinfällt und habe ihn gehal- mir mit einer Wohnung helfen, Schwulsein verboten, und die ten. Dann habe ich ihm meinen und ich helfe ihm dafür, weil er Männer kommen ins Gefäng- Platz angeboten. Er setzte sich schon so alt ist. Also ging ich nis. und sagte zu mir: „Du bist ein zu ihm. Er bat mir eine Apfel- schöner Mann“. Er nahm meine schorle an, und ich setzte mich Ich verstehe, dass es hier in Hand und spielte mit ihr. Ich auf sein Sofa. Er brachte die Deutschland anders ist, aber fand das sehr komisch, aber ich Schorle und setzte sich neben trotzdem war es für mich nicht dachte, das ist in Deutschland mich. Dann legte er seine Hand okay, was der Mann gemacht vielleicht normal, wenn sich je- auf mein Knie und fing an zu hat. mand bedanken will. streicheln. Dann hat er auch meinen Bauch gestreichelt, und Für mich war es schrecklich! Am nächsten Tag war er wie- ich bekam wirklich Angst. „Bist der in der gleichen U-Bahn. du schwul?“ habe ich ihn ein Ich hatte einen Termin in der bisschen sauer gefragt. Er sagte Nähe von der U-Bahnstation „Ja, ich bin schwul“. Giselastraße. Als ich ausstieg, stieg er mit mir aus. Er fragte: Ich bin sofort aufgestanden, ich „Willst du Kaffee mit mir trin- war so sauer, und wollte weg. Er
14 www.neulandzeitung.com Die Angst ist eine starke, negative Macht Projekte der Menschlichkeit können diese Macht transformieren. Autor: Tarek Alhafeez, Syrien Illustration: Antje Krüger Wenn wir Flüchtlinge in Deutsche, die zum ersten Mal Deutschland ankommen, ist zu dem Essen kommen, hatten das Erste, worüber wir nach- vorher nie Kontakt zu Flücht- denken, wie wir in diesem neu- lingen. Und beim Essen ist viel en Land mit der neuen Sprache Zeit, sich näher kennenzuler- und der neuen Kultur leben nen. können. Das Zweite ist, wie die Deutschen uns sehen und wie Beim Essen kann man Angst wir mit ihnen in Kontakt kom- verlieren men können. Und viele andere Fragen. Das alles macht uns Einmal kam ein Mann als Gast, Flüchtlingen Angst vor dem der am Anfang sehr ernst und neuen Leben. uns gegenüber reserviert war. Gleichzeitig gibt es ein paar Er hatte natürlich schon mal Deutsche, die nicht viel über Flüchtlinge gesehen, aber nie Fremde wissen und Angst vor mit einem gesprochen. Die ers- ihnen haben, weil sie ihr Be- te halbe Stunde sprach er nur nehmen nicht verstehen oder mit Deutschen. An diesem Tag was sie hier wollen. war ich in der Küche eingeteilt. Da stehen sie sich gegenüber, Eine Mitarbeiterin des Projek- diese zwei Gruppen, voller tes brachte ihn dann zu uns vor Angst. Und hier kommt eine die Küche, wo wir erst einmal dritte Gruppe: Die Gruppe der nur die Namen austauschten, Deutschen, die sowohl den wer wo herkommt und wer was Flüchtlingen hilft, als auch den studiert oder gearbeitet hat in Deutschen, indem sie Kontak- seinem Heimatland. te zwischen den Gruppen her- stellt, dass sie sich die Hände Dann, nach etwa einer Stun- reichen können. de begannen wir zu essen. Der Mann saß mit mir, drei anderen Einige Deutsche kommen zwei Deutschen und drei Flüchtlin- oder drei Mal in der Woche in gen am Tisch. Wir redeten über Er kam mit seiner Frau und sei- Dieses Beispiel ist für mich so die Flüchtlingslager, unterrich- das Essen, erklärten die Zuta- nen Kindern. Er war so freund- schön, weil das Einzige, was ten Deutsch oder machen Aus- ten und Zubereitung, fragten lich, spielte mit den Kindern zwischen uns stand, die Angst flüge mit uns und informieren ihn, was er braucht und was und Luftballons und wirkte auf war. Mit Hilfe dieses Projekts uns über ihre Traditionen. wir ihm bringen dürfen. In der mich sehr glücklich. konnten wir sie überwinden Andere Deutsche organisieren nächsten Stunde veränderten Als ich ihn das erste Mal sah, und jetzt Hand in Hand gehen. ein Koch-Projekt mit (Anmer- sich die Fragen, und sie wurden hatte ich ein bisschen Angst, kung der Redaktion: „Ein Teller sehr persönlich und freundlich. dass er uns Flüchtlinge viel- (...) Heimat“ im Westend), in dem Auch sein Gesicht veränderte leicht nicht mag, weil er so alle Nationalitäten und Deut- sich deutlich von ernst zu lä- ernst war. Aber nach dem Es- sche alle zwei bis drei Wochen chelnd. Er fragte, wo und wie sen war ich so glücklich, dass Weiterlesen auf eingeladen werden, zusammen er in den Lagern helfen könn- er wirklich interessiert an mir www.neulandzeitung.com zu kochen und zu essen. Da- te. Er ließ sich meine Nummer und meiner Geschichte war. bei kommen sie ins Gespräch, geben und rief mich sogar nach Und jetzt habe ich sogar jeman- lernen übereinander und über vier Tagen an. Und nach zwei den, auf dessen Schulter ich mal ihre Heimatländer. Sie hören Wochen lud er selber zwei sy- meinen Arm legen kann, wenn Fluchtgründe und -geschichten rische Familien und Deutsche ich Hilfe brauche. und viele Probleme. Manche in eine Kirche zum Kochen ein.
15 Ausgabe 2/2016 Mutter und Sohn Ein „altes“ kurdisches Märchen Auf Deutsch erzählt von Basam Ido Hassan, Irak, und Ali Gamil Hassam, Syrien Illustration: Antje Krüger Es war einmal ein Junge. Er war mehr mit ihr zu tun haben. Als Ihm fiel auf, dass der Rasen im einen Autounfall. Dein Vater wirklich beliebt und alle wollten er achtzehn wurde, zog er aus Vorgarten nicht gemäht war starb und du verlorst ein Auge. mit ihm zusammen sein. Doch und hatte Frau und Kinder. Er und fragte die Nachbarn. Einer Ich wollte nicht, dass du in der seine Mutter hatte nur ein Auge hat nie mehr mit seiner Mutter sagte: „Du weißt es noch nicht? Schule gemobbt und gehän- und war die Putzfrau der Schu- geredet. Deine Mutter ist gestorben. Sie selt wirst, also gab ich dir mein le. Deshalb wollte er nicht mit Eines Tages wollte die Mutter hat dir einen Zettel hinterlas- Auge. Du hast die ganze Zeit die ihr gesehen werden. Doch ei- ihn besuchen. Als sie klingel- sen.“ Welt durch mein Auge gesehen. nes Tages wollte sie endlich mal te, machten seine Kinder auf Er las den Zettel, auf dem stand: Ich liebe dich, deine Mutter.“ die Noten von ihm wissen und und schrien „Hilfe, Papi, ein „Mein Sohn. Du hast mich kam in seine Klasse. Alle sag- Monster!“. Er schrie sie an und immer gehasst und verachtet. ten zu ihm: Hey H. H., ist das sagte, sie solle verschwinden. Ich dagegen habe dich immer deine Mutter? Das war für ihn Eine Woche lang hatte er des- geliebt. Ich wollte nur das Bes- echt peinlich, weil seine Mutter halb Albträume. Er wollte sich te für dich. Doch ich muss dir ja nur ein Auge hatte. Er hass- bei ihr entschuldigen. Als er etwas gestehen. Als du vier te sie dafür und wollte nichts klingelte, machte niemand auf. warst, hatten du und dein Vater
16 www.neulandzeitung.com Der Neulands-Zeitungs-Dialog L iebe Leserinnen und Leser, 3 Schüler aus der Vorklasse ei- mehr auf der Straße, sind alle Geschäfte geschlossen und ist über das Kontaktfeld auf www. neulandzeitung.com zu oder an ner Berufsintegrationsschule für nichts mehr los? neuland-zeitung@web.de. junge Flüchtlinge (16-25 Jahre alt) hätten ein paar Fragen an Sie: Ali aus Afghanistan fragt: Haben auch Sie Fragen? Die Warum heiraten die Deutschen NeuLand-Autoren und die Fadi aus Syrien und Areeba aus eigentlich so spät? Schüler aus der Berufsintegrati- Pakistan fragen: onsschule für junge Flüchtlinge Warum leben so viele Menschen Warum leben manche Deutsche werden diese mit Freude beant- in Deutschland alleine? schon mit 20 Jahren nicht mehr worten. bei ihren Eltern? Warum arbeiten die Deutschen In der nächsten Ausgabe wer- so viel? Es wäre großartig, wenn Sie sich den wir dann gerne die gegen- kurz Zeit nehmen, ein oder zwei seitigen Antworten und Fragen Warum haben die Deutschen so Fragen herausgreifen und diese abdrucken. wenige Kinder? dann beantworten. Senden Sie Warum ist nach 21 Uhr keiner uns Ihre Antworten doch bitte Die Autoren dieser Ausgabe Gregory Awiey Goc Anonym Lilian Ikulumet Tarek Alhafeez Amin Taheri Basam Ido Hassan Ali Gamil Hassam Fadi Aswdah Parastu Adnan Albash Du? Masiullah Harres Adan Zekeriye Salman Jafari IMPRESSUM HERAUSGEBER: NeuLand e.V., Valleystraße 29, 81371 München • VERTRETEN DURCH Susanne Brandl, Vorsitzende, und Raphael Müller-Hotop, stellv. Vorsitzender • KONTAKT: neuland-zeitung@web.de • VEREINSREGISTEREINTRAG: Eintrag beim Amtsgericht München, Vereinsregisternummer VR 206290 REDAKTION: Susanne Brandl, Simon Brandl, Tobias Göppel, Andrea Göppner, Gudrun Hackenberg, Dimitri Kloster, Raphael Müller Hotop, Nicole Islinger, Juli- an Roos, Nathalie Sharp, Jutta Scherer, Martina Schwingenstein, Ulrich Schwingenstein, Eileen Stiller, Eva Treu, James Tugume, Matthias Weiß. Außerdem danken wir Christian Zingg von den Brückenangeboten Basel für die redaktionelle Unterstützung. • Außenredaktion an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung in der Balanstraße: Matthias Weiß, Sophie Link, Tobias Verbeck, Eva Gahl • SCHLUSSREDAKTION: Susanne Brandl, Raphael-Müller-Hotop (V.i.S.d.P.) • ÜBERSET- ZUNG: Yasemin Soylu • ILLUSTRATIONEN: Johanna Baader; Antje Krüger (antje-krueger.de) • LOGO: Rita Kocherscheidt (rita.kocherscheidt@gmail.com) • ONLINE (www.neulandzeitung.com): Dimitri Kloster • FOTOS: Aleka Grünwald, Dimitri Kloster, Maria Schön • LAYOUT: Friederike Krüger • DRUCKEREI/ TRANSPORT: mafraprint Prag
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