Ästhetische Bewegungserziehung - oder "Spieglein, Spieglein an der Wand - Wer ist die Durchtrainierteste im Land?"

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Praxis: Ästhetische Erziehung

                      Ästhetische Bewegungserziehung
                      oder »Spieglein, Spieglein an der Wand –
                      Wer ist die Durchtrainierteste im Land?«

               von    Der Körper als äußeres Erscheinungs-        und Bewegung geht darüber hinaus,         um die Erforschung des Zustande-
     Andrea Probst    bild des eigenen Selbst wird häufig         wenn man ihre Definitionsbereiche er-     kommens subjektiv wertender, sinn-
                      zum Prüfgegenstand für Schönheit.           weitert.                                  gebender Aussagen und Produktionen.
                      Schönheit und »schön« sind Begriffe,                                                  Durch diese Konnotation erweitert sich
                      mit denen der Begriff Ästhetik im All-      Definitions- und Aufgaben­                auch das Aufgabengebiet ästhetischer
                      gemeinen verbunden wird. Ein durch-         bereiche der Ästhetik                     Erziehung. Ästhetische Erziehung soll
                      trainierter, muskulöser Körper gilt als                                               zu selbstständiger Erkenntnisfindung
                      ästhetisches Ideal. Ästhetische Bewe-       Laut Reicher (2006) lassen sich drei      und eigener produktiver Praxis beitra-
                      gungen werden assoziiert mit Turnen,        traditionelle Definitions- und Arbeits-   gen. Bewegungserziehung kann dazu
                      Eiskunstlauf oder Rhythmischer Sport-       bereiche der Ästhetik umschreiben:        einen wesentlichen Beitrag leisten.
                      gymnastik – Bewegungsformen bzw.            Ästhetik als Theorie des Schönen, als     Voraussetzung ist die Erweiterung der
                      Bewegungsnormen, die einen hohen            Theorie der Kunst und als Theorie der     Bedeutung von Leib und Bewegung für
                      technischen Sollwert vorgeben und           sinnlichen Erkenntnis.                    den Menschen, die sich nicht auf eine
                      perfekte Körperkoordination voraus-             Legt man die erste Definition zu      instrumentelle Funktion beschränken
                      setzen.                                     Grunde, würde ästhetische Bewe-           darf.
                          »So gehören gerade im Sport die         gungserziehung allein unter dem
                      schönheitsästhetischen Auslegungen          Schönheitsaspekt zu betrachten sein,      Bedeutung von Leib
                      von Körper und Bewegung zu den tra-         wie es oben beschrieben wurde. Eine       und Bewegung für
                      ditionellen     Ästhetikvorstellungen«      solche Definition ist nach meiner Vor-
                      (Röthig 1997, S. 152)                       stellung unzureichend und wirft viele
                                                                                                            ästhetische Erziehung
                          Schöne Bewegungen wären demzu-          Fragen auf: Was sind schöne Bewe-         Der Leib1 ist nach Merleau-Ponty
                      folge gekonnt beherrschte Techniken.        gungen? Wer bestimmt, welche Bewe-        (1966), Buytendijk (1956), Straus (1956)
                      Ästhetische Bewegungserziehung wäre         gungen schön sind?                        und Plessner (1941, 1982) nicht einfach
                      unter diesen Voraussetzungen gleich-            Bezieht sich Ästhetik allein auf      eine Daseinsform oder die äußere Hül-
                      zusetzen mit einem Techniktraining,         den Bereich Kunst, würde ästhetische      le des inneren »Ichs«. Beide bilden eine
                      um eine Perfektion der Bewegung zu          Erziehung nur im Kontakt mit künst-       Einheit, der Körper ist das »Ich«. Gleich-
                      erreichen. Durch diese Vorstellung wird     lerischen Produktionen zu vermitteln      zeitig ist der Mensch aber auch in der
                      die Bedeutung von Leiblichkeit und Be-      sein. Bezogen auf den Bereich Bewe-       Lage, »aus sich heraus« zu treten und,
                      wegung auf ein instrumentelles Ver-         gung würde sich ästhetische Erzie-        im Sinne der exzentrischen Positionali-
                      ständnis beschränkt. Bewegung wäre          hung vorwiegend auf den Bereich Tanz      tät Plessners, sich selber zu beobach-
                      als biomechanisch erklärbarer Vorgang       beziehen. Eine solche Auslegung wäre      ten. Seine Fähigkeit, sich zu bewegen,
                      ein Mittel zum Zweck. Doch die Ver-         ebenfalls unzureichend, da sich mittels   ist weder ein rein biomechanischer
                      bindung von ästhetischer Erziehung          Bewegung weiterreichende Möglich-         von außen erklärbarer Vorgang, noch
                                                                  keiten für ästhetische Erziehung eröff-   ist sie der alleinige Vollzug innerer Be-
                                                                  nen. Die dritte Definition von Ästhetik   fehle. Sie ist abhängig vom Selbst, aber
                                                                  erscheint mir im Zusammenhang mit         immer auch von weltlichen Gegeben-
                                                                  pädagogischer Arbeit am bedeutends-       heiten. Über den Leib als Sitz der Sinne
                            Andrea Probst (geb. 1971)             ten und erweitert die Aufgabenfelder      nimmt der Mensch Kontakt zur Welt
                            Wissenschaftliche Mitarbeiterin und
                                                                  einer ästhetischen Bewegungserzie-        auf, im Leib verarbeitet er innere und
                            Doktorandin an der TU Braunschweig
                            mit den Arbeitsschwerpunkten          hung. Vordenker war B­aumgarten           äußere Eindrücke, bewegend kann er
                            Ästhetische Bildung und Bewegung,     (1750), der Ästhetik als »die Wissen-     reagieren und sich Welt aktiv erschlie-
                            Turnen, Akrobatik und Tanz.           schaft der sinnlichen Erkenntnis«         ßen. Bewegung und Leiblichkeit sind
                            Autorin und Referentin für den        (Baum­garten 1750, S. 2) beschreibt.      also als »phänomenologische Grund-
                            Deutschen und Niedersächsischen
                                                                  Sie sollte gleichbedeutend neben rati-    lage menschlicher Existenz« (Laging
                            Turnerbund und den Landessport­-
                            bund Niedersachsen.                   onalen Erkenntnissen stehen und be-       2000, S. 9) zu betrachten.
                            Sportkulturpädagogin der              stimmt diese maßgeblich mit. Es geht          Bewegung ist somit mehr als Sport-
                            Traumfabrik Regensburg                also nicht mehr nur um die Erforschung    treiben und eröffnet dem Menschen äs-
                                                                  des Schönen oder der Kunst, sondern       thetische Erfahrungsmöglichkeiten.

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Praxis: Ästhetische Erziehung

Ästhetische                                eignetes Medium für subjektive Ge-        sungen zu entwickeln. Die Lehrenden
Bewegungserziehung                         staltungs- und Formungsprozesse und       sind in dieser Situation Moderatoren
                                           deren Ausdruck.2 Aus diesen beiden        und individuelle Ratgeber. Sie helfen
Fritsch (1989) unterteilt diese Erfah-     Bereichen rekrutieren sich handlungs-     den Kindern, ihre jeweiligen Bewe-
rungsmöglichkeiten, die im Rahmen          leitende Prinzipien für die Gestaltung    gungsprobleme zu lösen. Sie provo-
ästhetischer Bewegungserziehung ge-        eines ästhetischen Bewegungsunter-        zieren durch weiterführende Aufga-
fördert werden können, in zwei Aufga-      richts.                                   benstellungen, die auf den Lösungen
benfelder: in Aisthesis und Poiesis.                                                 der Kinder basieren.
    Aisthesis oder sinnengetragene         Erstes Prinzip:
Wahrnehmungsfähigkeit ist die Basis        Förderung ästhetischen Wahr­              Praxisbeispiel: Spiel mit der Balance
für eine besondere Weise zum Begrei-       nehmens mittels Bewegung                  Balancieren oder das eigene Gleichge-
fen unserer Wirklichkeit. Alle wahrge-     In diesen Bereich fallen meines Er-       wicht zu riskieren bedeutet vom frühen
nommenen Zusammenhänge eines               achtens zwei Aufgaben. Erstens eine       Kindesalter bis zum Erwachsenenalter
Sachverhaltes spielen bei dessen Be-       Sensibilisierung für den eigenen Leib     an eine große Herausforderung.
urteilung eine Rolle. Sie ist Grundlage    mit seinen sinnlichen Möglichkeiten.          In Balanciersituationen erfahren
für eine subjektive Form der Welt­an­      Ein Mensch, der seinen Körper »wahr«      Kinder, dass sie durch eigenes Handeln
eignung im Gegensatz zu einem ob-          nimmt, ist offen für die Botschaften,     den Gesetzen der Schwerkraft trotzen
jektiv-beschreibenden Zugang. Sie soll     die ihm leiblich übermittelt werden       können. Die individuelle Einschätzung
nicht der Vernunft gegenübergestellt       und die grundlegend für ästhetische       der jeweiligen Balanciersituation ist
oder bevorzugt werden (aisthesis ver-      Prozesse sind.3 Zweitens sollten Kin-     von vielen wahrzunehmenden Faktoren
sus logos). Vielmehr korrelieren und       der sensibilisiert werden für ihre sub-   abhängig, z. B. dem Zutrauen in die ei-
ergänzen sich beide Bereiche. Wahr-        jektiven Wahrnehmungen bezüglich          genen Fähigkeiten, der Einschätzung
nehmungen können nicht durch Refle-        vorgegebener       (Bewegungs-)Situati-   des Schwierigkeitsgrades, der jewei-
xionen ersetzt werden, sondern tragen      onen. Diese Wahrnehmungen unter-          ligen Atmosphäre etc. Für jeden Einzel-
zu deren weiteren Klärung bei. Bewe-       scheiden sich u. U. von denen anderer     nen spielen unterschiedliche Faktoren
gung eröffnet in diesem Zusammen-          Kinder, sind aber gleichbedeutend und     eine Rolle. Ziel einer Balancierstunde
hang Möglichkeiten, sich einen Zugang      gleichwertig. Bezogen auf den Bewe-       im Sinne einer ästhetischen Erziehung
zu den eigenen Sinnen zu verschaffen,      gungsunterricht bedeutet das, Kin-        ist es, einen eigenen selbstbewussten
der über ein bloßes Registrieren der       dern Gelegenheit zu geben, sich mit       Umgang mit diesen Wahrnehmungen
von außen auf ihn einströmenden            »bewegungs-provozierenden« Gele-          zu fördern und die Schüler zu ermu-
Reize hinausgeht. Insbesondere in-         genheiten oder Aufgaben selbststän-       tigen, für sie passende Balanciergele-
nerleibliche Wahrnehmungen werden          dig auseinandersetzen. Sie sollten in     genheiten zu gestalten. Es geht dabei
durch Bewegung gefördert.                  die Lage versetzt werden, aufgrund        nicht um die Verbesserung der koordi-
    Poiesis oder ästhetisches Handeln      ihrer eigenen Wahrnehmungen bezüg-        nativen Fähigkeit des Balancierens.
umfasst den expressiven Bereich, also      lich der Bewegungssituation eigene,       n In der Turnhalle (oder wo auch im-
die Befähigung des Menschen, sich          subjektiv passende Wege zu finden,        mer) werden drei bis fünf verschieden
auszudrücken, zu formen und zu ge-         diese zu bewältigen. Sie lernen da-       schwierige Balanciersituationen auf-
stalten. Der Mensch kann in Bezug auf      durch, objektiv gegebenen Dinge, hier     gebaut. Die Kinder bekommen die Auf-
ästhetisch reflektierte Erfahrungen        die vorgegebenen Geräte oder Aufga-       gabe darüber zu balancieren.
etwas vorher nicht Da-Gewesenes ent-       ben, in ihr eigenes Weltbild einzuord-        Hier einige Beispiele nach Schwie-
stehen lassen. Er ist in der Lage, Welt    nen und individuell angepasste Lö-        rigkeit geordnet:
selber zu gestalten und ist ihr nicht
ausgeliefert. Mein Verständnis von Po-
                                                                                      Bank              Bank auf klein­   Bank auf großen Kästen
iesis geht dabei noch über das Schaf-
                                                                                                        en Kästen
fen von Kunst oder kulturellen Gütern
hinaus. Es geht um eine grundsätzliche                                                Umgedrehte        Umgedrehte        Umgedrehte Bank auf
                                                                                      Bank (u. B.)      Bank auf klein­   großen Kästen
Befähigung, eigene Ideen zu entwi-                                                                      en Kästen
ckeln und präsent zu machen, also eine
                                                                                      Reckstange        Reckstange auf    Reckstange in Reck­
Fähigkeit zur aktiven Einflussnahme,                                                  am Boden          kleinen Kästen    anlage, Höhe variierbar
z. B. auch auf lebens- oder arbeitswelt-
                                                                                      Barren            Barren schräggestellt
liche Bedingungen.
    Bewegung ist die Sprache des                                                      Wippe             Wippe mit         Balkenwippe: Bank auf
                                                                                      (z. B. Bank auf   umgedrehter       hohem Balken, dazwi­
Leibes, sie kann sogar gesprochene
                                                                                      anderer Bank,     Bank              schen dünne Matte, an
Sprache ersetzen. Wahrgenommenes                                                      dazwischen                          den Enden jeweils große
(Inneres) wird gewollt oder ungewollt                                                 eine dünne                          Kästen, um den Auss­
mittels des Körpers nach außen für an-                                                Matte)                              chlag zu begrenzen
dere sichtbar.                                                                        Eingehängte       An beiden Seit­   An den Ringen einseitig
                                                                                      Bank z. B.        en eingehängte    eingehängte Bank
Sie ist als solche in höchstem Maß                                                    am Barren         Bank in den
                                                                                      einseitig         Barren
gestaltbar und ist somit ein gut ge-

                                                                                                                    GS aktuell 98 • Mai 2007        19
Praxis: Ästhetische Erziehung

                          Reflexion über diese erste Erfahrung:     sicher gefühlt haben, siehe erste Refle-    gungen, wie Funke (1987) beschreibt.

                       ▼
                       »Welche Geräte habt ihr als leicht,          xion.                                       Dazu gehören nach Funke die Erfah-
                       welche als schwer oder als Herausfor-           An den selbstentwickelten Geräten        rung des Spielens mit Bewegung wie

                                                                    ▼
                       derung für euch empfunden?« An die-          soll nun geübt werden, bis die Kinder       oben beschrieben und daraus resul-
                       ser Stelle kann die unterschiedliche         erneut meinen, sie zu beherrschen.          tiert das Entwickeln von »eigenen« Be-
                       Wahrnehmung derselben Situation für             Reflexion, wie die Schwierigkeit         wegungen, die sich vom alltäglichen,

                                                                    ▼
                       verschiedene Kinder thematisiert wer-        noch weiter gesteigert werden kann.         bekannten Sich-Bewegen abheben und
                       den. Wieso gelingt es einigen leichter,      Hier entstehen Ideen, wie zum Beispiel      von den Kindern für schön befunden
                       wieso anderen nicht, wann fühlen sich        das Gehen zu verändern, seitwärts,          werden. Sie wollen damit eine Wirkung
                       die Kinder sicher, an welchen Empfin-        rückwärts, auf Zehenspitzen, mit ge-        auf Andere erzielen. Insbesondere klei-
                       dungen machen sie es fest (z. B. »leicht     schlossenen Augen etc. oder aber auch       ne Kinder präsentieren stolz immer
                       ist es, wenn es nicht so wackelig ist,       der Wunsch, zusätzliches Material zu        wieder neu gefundene Bewegungs-
                       wenn ich Platz für meine Füße habe,          nutzen, z. B. Stäbe balancieren, et-        formen. Größeren Kindern sollten im-
                       wenn ich meinen Bauch einziehe, wenn         was auf dem Kopf balancieren, Seil zu       mer wieder neue Herausforderungen
                       ich nach vorne gucke, etc.«).                springen etc. Hier wird jedes Kind für      geboten werden, durch z. B. Besuche
                           Jedes Kind soll an eine Station ge-      sich eine individuelle Herausforderung      im Zirkus, von Tanzvorstellungen oder
                       ▼

                       hen, die es für sich als herausfordernd      finden. (Stabbalance, Standwaage)           ähnlichen Vorführungen von »Bewe-
                       empfunden hat und eigene Strategien             Die Lehrenden werden zu Modera-          gungskünstlern«. Auch können Bilder
                       entwickeln, um darüber zu balancieren.       toren des Geschehens. Sie lenken die        oder Filme als Anregung dienen.
                       Die Kinder können z. B. Hilfen durch         Stunde, indem sie an den passenden              »Wer die Kunst macht, richtet seine
                       andere in Anspruch nehmen, oder aber         Stellen eingreifen, um die Aufgaben         Absicht darauf, sie zu erzeugen« (­Funke
                       auch die Bewegung verändern, z. B. auf       zu erweitern. Sie sind stets präsent, in-   1987, S. 14).
                       allen Vieren drüberlaufen. Die Kinder        dem sie Hilfe bieten, wo sie nötig ist,         Im Rahmen einer ästhetischen Be-
                       sollen spüren, dass sich im Verlauf des      Einzelne ermuntern, Andere bremsen,         wegungserziehung sollten die Schü-
                       Übens die Einschätzung der gewählten         loben, ermutigen, vielleicht hin und        lerinnen und Schüler immer wieder
                       Stationen verändert, dass sie mehr Zu-       wieder erstaunt sein, welche Ideen die      ermutigt werden, aus dem freien Spiel
                       trauen in ihre eigenen Fähigkeiten be-       Kinder entwickeln …                         mit Bewegung eigene Bewegungsge-
                       kommen.                                                                                  staltungen zu erarbeiten. Das bedeutet
                           In gemeinsamen Reflexionen sol-          Zweites Prinzip: Förderung ästhe-           aber nicht, wie es oft im Tanz geschieht,
                       ▼

                       len die Kinder Gründe finden, wie das        tischen Handelns mittels Bewegung           vorgefertigte Choreographien zu ver-
                       Balancieren durch Verändern der Ge-          Aus einem solch freien4 Spiel mit Be-       mitteln.5 Dann wären die entstande-
                       räte erschwert bzw. erleichtert wird.        wegung entwickeln sich Bewegungs­           nen Bewegungsformen kein Beitrag zu
                       Dazu kann z. B. ein Plakat entstehen         ideen, die dem subjektiven Empfinden        ästhetischer Erziehung. Es entständen
                       (hoch / tief, wackelig / stabil, ­schmal /   der Kinder nach Kunststücke sind. Und       Formen ohne Inhalt (Roscher 2004).
                       breit). Die Kinder sollen nun ihrem          an dieser Stelle lässt sich wieder die      Erst in der Erkenntnis ihres Entstehens
                       Empfinden nach herausfordernde Ba-           Brücke schlagen zu den Definitionsbe-
                       lanciergeräte erfinden bzw. ihre vorher      reichen von Ästhetik als Wissenschaft
                       benutzten Geräte erweitern. An dieser        des Schönen und der Kunst, wie sie
                       Stelle die Kinder wiederum sensibili-        einleitend beschrieben wurden. Kinder
                       sieren, was sie in ihrem Körper gespürt      entwickeln im Tun ihre eigene Vorstel-
                       haben, wenn sie sich beim Balancieren        lung von Kunst, von kunstvollen Bewe-

       Beispiele am
      Barren und an
     Tauen für Kopf-
     unter-Übungen

20    GS aktuell 98 • Mai 2007
Praxis: Pädagogik im Kontext von Kinderarmut

 Kastenkopfstand und Doppelkastenkopfstand –                                                Handstand mit Helfer
 Nicht nur Grundschulkinder haben ihren Spaß beim Kopfuntersein

werden sie mit Inhalt gefüllt und als          n Zwei Personen machen Kopfstand
etwas subjektiv zu Formendes verstan-          auf den Kästen, eine steht in der Mit-
den. Das bedeutet, übertragen auf eine         te und hält (Foto Doppelkastenkopf-
Bewegungserziehung, dass vor allem             stand).
ein subjektiv kreativer Umgang mit Be-         n Handstand gegen einen / eine Part-
wegung einen ästhetischen Bildungs-            nerIn, die sich die Knie der Turnenden
beitrag leistet.                               über die Schulter legt. Diese kann ihre
                                               Hände lösen oder auf die Füße der
Praxisbeispiel:                                Partnerin setzen (Foto Handstandein-
Die Welt auf den Kopf stellen                  hängen)
Diese besondere Erfahrung des »In-der-         n Zwei Partnerinnen stehen sich vis-a-
Welt-Seins« kann mithilfe verschiedener        vis gegenüber. Eine Partnerin (möglichst     Klammerbank kopfunter
Geräten gemacht werden. In der Hal-            die Stärkere) beugt sich vor, die zweite
le werden die verschiedensten Geräte           beugt sich über sie mit dem Gesicht zu
und Gerätekombinationen aufgebaut,             ihrem Rücken. Sie umfasst fest deren
die Kopfunterpositionen ermöglichen.           Taille. Die erste fasst die zweite um die
Beispiele:                                     Fußgelenke. Sie kann sich nun aufrich-
n Mehrere Recks übereinander                   ten. Ihre Partnerin hängt nun in einer
n Ringe/Taue                                   »Kopfunter«-Position an ihrem Rücken
n Kleine Kästen                                 n Eine Partnerin nimmt eine »Bank-
n Große Kästen                                 stellung« ein. Die andere umfasst ihre
n Barren                                       Taille und turnt eine Art Schulterstand
   Die Kinder werden aufgefordert, in          auf deren Rücken (Foto Klammerbank
Paaren oder zu mehreren Positionen zu          kopfunter).
finden, in denen sich ihr Kopf unterhalb       n Zwei Partnerinnen liegen Kopf an
der Füße befindet (siehe Fotos links un-       Kopf hintereinander auf dem Rücken.
ten).                                          Eine dritte stellt sich in Kopfhöhe da-
                                               neben. Sie senkt ihre Schulter in die
Herausforderung:                               gegenüberliegenden Arme der Partne-
Partnerinnenarbeit                             rinnen. Die Liegenden greifen mit dem        Handstandeinhängen
Nun sollen weitere »Kopf-Unter-Positi-         anderen Arm den jeweiligen gestreck-
onen« ausprobiert werden, bei denen            ten Arm der Oberen, die nun einen
das Gewicht z. T. an eine oder mehrere         Schulterstand turnen kann (Foto Drei-
Partnerinnen abgegeben wird. Anre-             er-Kopfunter) etc.
gungen können z. B. durch Fotos, Ar-
beitskarten o. Ä. gegeben werden, so           Gestalten: Denkmäler
dass sich jeder etwas Passendes aussu-         Im Anschluss daran sollen die Schüle-
chen kann.                                     rinnen und Schüler Teams mit ca. fünf
Beispiele                                      Personen bilden und an einem ge-
n Handstand mit ein bis zwei Helfen-           wählten Gerät Denkmäler entwerfen,
den (Foto Handstand mit Helfer)                bei denen mindestens zwei Personen
n Kopfstand in zwei Kästen mit Hel-            kopfunter sind. Die anderen sollen da-
fern (Foto Kastenkopfstand)                    bei nicht nutzlos daneben stehen. Sie
                                                                                            Dreier-Kopfunter
                                               können dabei Ideen aus der ersten Auf-

                                                                                                                    GS aktuell 98 • Mai 2007   21
gabe aufgreifen und Neuerlerntes aus
                        der zweiten Aufgabe einbauen. An die-             Anmerkungen
                        ser Stelle kann eine Reflexion darüber            1   In der sportpädagogischen Fachliteratur werden die Begriffe Leib,
                        initiiert werden, wie die »Nicht-Kopf-                Körper, Körperleib oft in denselben Kontexten genutzt. Zumeist
                                                                              wird »Leib« als die Körper/Seele-Einheit des Menschen betrachtet
                        Stehenden« trotzdem am Gesamtbild                     oder wie Größing (2005, S. 11) sie beschreibt, als »Daseinsver-
                        beteiligt sind, um schöne Bilder ent-                 fassung« bzw. »kulturelles Gebilde«, während »Körper« als das
                        stehen zu lassen.                                     trainierbare Instrument des Menschen definiert wird oder als
                                                                              »Naturding« (Größing, 2005, S. 11). Diese Unterscheidung findet
                                                                              sich nur im deutschsprachigen Raum und bedeutet im positiven
                        Mögliche Präsentation:
                                                                              Sinne die Möglichkeit einer begrifflichen Schärfung, die auch ich
                        Bilder einer Ausstellung                              nutzen möchte. Den Begriff »Körper« betrachte ich als einen Teil
                        Die Teams können sich ihre Denkmäler                  von Leiblichkeit – als gestaltbare äußere Form des Menschen und
                        gegenseitig vorführen. Weiterführend                  als Medium zur Gestaltung von Welt. Von solchen Überlegungen
                        (abhängig vom Alter) und um auch an-                  ist auch die Betrachtungsweise und Definition der Bedeutung von
                        dere Medien der Gestaltung einzube-                   Bewegung und Sport abhängig.
                                                                          2   Im Rahmen des Sportunterrichts ergibt sich ein weiteres Hand-
                        ziehen, können die Teams die entstan-                 lungsfeld. Viele Handlungen im Sport erfordern Regeln. Diese
                        denen Denkmäler fotografieren und so                  Regeln sind aber nicht »gottgegeben«. Schülerinnen und Schüler
                        z. B. eine Fotoausstellung schützens-                 können bei entsprechender Vorgehensweise im Unterricht die
                        werter Denkmäler gestalten. Der Phan-                 Erfahrung machen, dass sie selber Spielregeln entwickeln bzw.
                        tasie sind keine Grenzen gesetzt.                     weiterentwickeln und damit an deren Entstehung aktiv mitwirken.
                                                                              Eine solche Vorgehensweise im Unterricht enthält eine ästhetische
                                                                              Komponente, da diese Regeln an individuelle Situationen ange-
                        Fazit                                                 passt und aus der Situation heraus entstanden sind.
                                                                          3   Häufig werden für diesen Bereich der ästhetischen Erziehung
                        »Spieglein, Spieglein an der Wand …«                  Aufgaben zur Förderung der einzelnen Sinneswahrnehmungen
                           Mit dem Blick in den Spiegel kann                  genannt. Im alltäglichen Leben arbeiten die Sinnesorgane niemals
                                                                              isoliert voneinander. Insofern können solche Übungen höchstens
                        sich auch ein anderes Bild vom eigenen                als Bewusstmachung ihrer Existenz und ihrer Bedeutung für eine
                        Leib manifestieren. Ein stolzer Blick                 Gesamteinschätzung von Situationen dienen.
                        – stolz nicht auf das äußere Erschei-             4   Frei bedeutet hier nicht ein »Nun macht mal!«. Freiheit bedeutet
                        nungsbild, sondern im Sinne der Aner-                 eine Freiheit in der Lösung von Aufgaben oder Situationen, die
                        kennung für das, was man mit ihm er-                  vom Lehrenden geplant wurden. Häufig werden durch zusätzliche
                                                                              Einschränkungen des Freiheitsgrades wieder neue und differen-
                        leben und erspüren kann und für seine                 ziertere Lösungen gefunden.
                        Bewegungsmöglichkeiten, die so viel               5   Insofern würde ich Tanzunterricht nicht per se ästhetisch bildende
                        ausdrücken können.                                    Werte zumessen. Wenn allerdings das neu Erlernte in neue
                                                                              selbstgefundene Kontexte gebracht wird, entsteht wiederum ein
                                                                              ästhetischer Lernprozess.
                                                                              »Es [Nachmachen, Anm. d. Autorin] umfasst die Möglichkeit, sich
                                                                              im nachgeahmten Anderen zu erproben, einzufühlen oder auch zu
                                                                              reiben, das fremde Andere mit dem Eigenen verbinden und in einer
                                                                              neuen, eigenen Gestalt zum Ausdruck zu bringen« (Klinge 2004, S.
                                                                              9).

 Literatur                                                                Langer, S. (1979): Philosophie auf neuem Wege. Mittenwald: Mäander.
 Bannmüller, E. & Röthig, P. (1990): Grundlagen und Perspektiven          Merleau-Ponty, M. (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung.
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 Bernd, Ch. (1987). Bewegung und Theater. Lernen durch Verkörpern.        Plessner, H. (1941): Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Gren-
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22     GS aktuell 98 • Mai 2007
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