Strategien der Verständigung - Deutscher Psychologen Verlag
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G 3777 FACHZEITSCHRIFT DES BDP ZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHER PSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN E.V. 46. JAHRGANG FEBRUAR 2021 02|2021 reportpsychologie Strategien der Verständigung Interkulturalität in Deutschland S. 16 Die elektronische Patientenakte S. 26
r e p o r t psychologie Februar Liebe Leserinnen und Leser, 2021 FOKUS 2 Wenn Jung und Alt einander begegnen Ende November 2020 infizierte sich mein Mann mit dem SARS-CoV-2-Virus. 6 Von den Neuronen zum Hühnerauge – über empfindliche Stellen einer Beziehung Wenige Tage später erkrankte auch ich. Die Tatsache, trotz großer Vorsicht 8 HEROES® – Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Für Gleichberechtigung. selbst betroffen zu sein, verunsicherte und erschütterte uns und unser soziales 12 Anderen Meinungen fair begegnen Umfeld. Überaus entlastend war es, Foto: privat FACHWISSENSCHAFTLICHER TEIL niemanden angesteckt und alles in allem eher harmlose Symptome gehabt zu 16 Interkulturalität in Deutschland: haben. Wir kommunizierten unsere Situation und erlebten große Eine Untersuchung der Bedingungen von Fremdenfeindlichkeit Betroffenheit und ein großes Bedürfnis, zu erfahren und zu verstehen, wie es kam und wie es ist, infiziert, positiv und an Corona erkrankt zu 23 Überleben ist kein Zufall. Rezension zu sein. Vertrautheit und Interesse erleichterten die Kommunikation. »Psychologie der Eigensicherung« von Uwe Füllgrabe Wie sieht es allerdings bei ähnlich emotional aufgeladenen Themen 24 Psychologische Analyse zur Moral. Rezension zu »Gutes Handeln: eine Herausforderung« von mit der Verständigung zwischen Menschen aus, die sich fremd sind Franz Schott und keine Gemeinsamkeiten aufgrund ihres Alters, ihrer Ansichten oder ihrer Kultur haben? Wie gelingt es Menschen, auszuhalten, PSYCHOTHERAPIE dass jemand anders ist, denkt und handelt? Hier bedarf es dringend 26 Die elektronische Patientenakte hilfreicher Konzepte und psychologischer Expertise. INTERNATIONAL Wenn ich gefragt werde, was meine Aufgabe als Schulpsychologin 28 Schönheit und Gewalt – Über eine Reise in ein ist, antworte ich schon einmal, dass ich Übersetzerin bin, etwa Land, dessen Wunden nur langsam heilen von der Sprache der Lehrenden in die der Eltern. Häufig werden Rückmeldungen von Lehrkräften zum problematischen Verhalten SPEKTRUM der Kinder von Eltern als persönliche Angriffe erlebt. Sie lösen 32 Kundinnen und Kunden überzeugen Unverständnis und Widerstände bis hin zu Aggressionen und nicht selten Kontaktvermeidung aus. Die Fronten verhärten sich, die 34 »Für eine angemessene Versorgung traumatisierter Menschen braucht es deutlich mehr« – Interview Probleme der Lernenden bleiben ungelöst, die Auswirkungen auf mit Michaela Huber und Dr. Doris Holland deren Lernmotivation und schulische Karriere sind kritisch. 37 Endlich grünes Licht. Sachverständigen-Honorare steigen ab 2021 Aufgabe einzelfallbezogener Schulpsychologie ist es, Schule und Eltern in Kontakt zu bringen und die Verständigung über gemeinsame 38 Digitalisierung und Klimawandel Aufgaben und Ziele für eine optimale Entwicklung der Kinder zu INTERN ermöglichen. Wir stellen den Rahmen zur Verfügung, in dem die Beteiligten einander erkennen, aushalten und miteinander arbeiten 41 Aus den Sektionen und Landesgruppen lernen. Dies ist oft anstrengend und ressourcenintensiv, aber lohnend. 42 »Die Sektion hat vier Fachgruppen, es werden mehr« – Interview mit Wilhelm Schilling Wo Verständigung nicht gelingt, entsteht Schaden: ANDERE RUBRIKEN Kontaktvermeidung, emotionale Verletzung und Traumatisierung sind in mehrfacher Hinsicht teuer. Das vorliegende Heft stellt 44 Marktplatz/Fort- und Weiterbildungsangebote Ideen, Projekte sowie Strategien der Verständigung in ganz 46 BDP-Termine unterschiedlichen Bereichen menschlichen und gesellschaftlichen 48 Impressum Lebens vor. Seien Sie gespannt darauf, welche Rolle der Psychologie dabei zukommt. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und gute Anregungen für Ihr eigenes Wirken! reportpsychologie ‹46› 02|2021 Andrea Spies Kostenloses E-Paper für BDP-Mitglieder Vorsitzende der Sektion Schulpsychologie auf www.psychologenverlag.de Das E-Paper der Ausgabe können BDP-Mitglieder kostenlos auf www.psychologenverlag.de herun- terladen. Legen Sie dazu bitte ein Kundenkonto an und hinterlegen Sie Ihre Mitgliedsnummer. 1
Wenn Jung und Alt einander begegnen Foto: Universität Trier Gemeinsam über grundlegende Fragen des Lebens nachdenken – ein intergenerationelles Begegnungsprogramm Dass junge und alte Menschen heute selten zusammen- Teilnehmenden sinnvolle Antworten auf die genannten kommen, wird oftmals bedauert – meist in der wehmü- Fragen gegeben werden können. tigen Rückschau auf die frühere Großfamilie, als mehrere Generationen unter einem Dach lebten. Aber was wird Programmziele eigentlich bedauert? Unter anderem, dass durch das Mit dem intergenerationellen Begegnungsprogramm Nebenher statt eines Miteinanders der Generationen »Lebensgeschichten« verfolgten wir drei Ziele. Aufsei- die Jungen wenig von den Alten lernen und umgekehrt ten der jungen Teilnehmenden sollte der Austausch die Alten keine Lebenserfahrung an die Jungen wei- über existenzielle Fragen zur Auseinandersetzung mit tergeben können. Entwicklungspsychologisch sind mit sich selbst anregen und dazu beitragen, dass man Ein- Robert Havighurst und Erik Erikson zwei zentrale Ent- sicht darüber gewinnt, wer man ist und wie man leben wicklungsaufgaben oder -themen angesprochen, die das möchte. In der psychologischen Identitätsforschung Jugend- bzw. hohe Erwachsenenalter kennzeichnen: die wird von »Selbstklarheit« gesprochen: das Ausmaß, in Ausbildung einer reifen Identität und das Erleben von dem das Selbstbild einer Person für diese in seinen ver- Generativität. Jugendliche beschäftigen sich damit, wer schiedenen Aspekten und über die Zeit hinweg stimmig sie sind und wie sie ihr Leben gestalten wollen. Alten und konsistent ist und auch eine gute Passung zum Menschen ist es ein Anliegen, den jüngeren Kenntnisse eigenen Verhalten aufweist. Selbstklarheit vermittelt und Erkenntnisse zu vermitteln, die sie in einem langen Selbstsicherheit, gibt der Lebensgestaltung eine produk- Leben erworben haben. tive Dynamik und vermittelt so Selbstwert und Wohl- befinden. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, jungen und al- ten Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich zu be- Aufseiten der alten Menschen ging es um das Bedürfnis gegnen, um über grundlegende Fragen des Lebens zu nach Generativität. Im jungen Erwachsenenalter bezieht sprechen: Wer bin ich, wer will oder soll ich sein? Was sich Generativität meist auf die Zeugung und Erziehung ist mir wichtig im Leben? Wie gehe ich mit Erfolgen von Kindern. Im höheren Erwachsenenalter geht Ge- und Misserfolgen, Glücksmomenten und Schicksals- nerativität darüber hinaus. Sie ist nicht auf die eigene schlägen um? Was bedaure ich im Rückblick auf mein Nachkommenschaft beschränkt und beinhaltet vielfäl- Leben, was plane ich für meine Zukunft? In der Abtei- tige Formen der Verantwortungsübernahme für künftige lung für Entwicklungspsychologie der Universität Trier Generationen. Dies kann beispielsweise soziales und reportpsychologie ‹46› 02|2021 wurde ein Begegnungsprogramm erstellt und durch- ökologisches Engagement sein oder das Bemühen, jun- geführt, welches das gemeinsame Nachdenken über gen Menschen eigene Lebenserfahrung weiterzugeben. derartige existenzielle Fragen in den Mittelpunkt stellt. Für alte Menschen ist generatives Handeln Quelle und Antworten sollten aber nicht in den Worten der gro- Ausdruck von Lebenssinn, dies auch vor dem Hinter- ßen Denkerinnen und Denker gefunden werden; es war grund der eigenen Endlichkeit. Man leistet etwas oder kein philosophisches Seminar geplant. Vielmehr war gibt etwas weiter, das über das eigene Leben hinaus der Leitgedanke, dass aus den Lebensgeschichten der Bestand hat und als wertvoll erlebt wird. Das Begeg- 2
r e p o r t fokus nungsprogramm »Lebensgeschichten« sollte bei alten von uns erzählen: »the stories we live by« (so auch der Teilnehmenden das Bemühen um und die Realisierung schöne Titel einer Monografie von McAdams zu narrati- von Generativität erhöhen. ver Identität). Besonders vorteilhaft für das Begegnungs- programm erschien uns die Verknüpfung von Lebens- Schließlich sollte die Teilnahme am Begegnungspro- rückschau und Lebensplanung; beide Aspekte sollten gramm »Lebensgeschichten« dazu beitragen, Altersste- sich bestens für den intergenerationellen Dialog eignen. reotype abzubauen. Von Altersstereotypen wird meist Das Interviewformat von McAdams wandelten wir in nur im Sinne des (über-)generalisierten Bildes gespro- ein Gruppenprogramm um. Dabei wurden die Gliede- chen, das junge Menschen von alten haben. Nun be- rungspunkte des »Life Story Interview« beibehalten und deutet Altersstereotyp im allgemeinen Sinne aber das auf zehn Gruppentreffen mit jeweils 90-minütiger Dauer Bild einer beliebigen Altersgruppe (z. B. »die Jungen«, aufgeteilt (siehe Tabelle 1). »die Alten«). So haben alte Menschen auch ein Alters- stereotyp des jungen Menschen. Vor dem Hintergrund Ein Gruppentreffen beginnt mit der Begrüßung und des generellen Jugendideals ist das Bild von jungen einer kurzen Einführung in das jeweilige Thema. Ein Menschen typischerweise positiver als das von alten. Eisbrecher eröffnet dann das Gruppengespräch. Drei Wir gingen davon aus, dass durch die Teilnahme am Be- Beispiele sollen verdeutlichen, was Eisbrecher sind: gegnungsprogramm das Bild, das junge Menschen von Beim Thema »Lebenskapitel« ist der Eisbrecher eine alten haben, wie auch das Bild, das alte Menschen von Abbildung von Lebenstreppen, einem beliebten Thema jungen haben, positiver wird. Diese Annahme spiegelt in der Volkskunst des 19. Jahrhunderts. Die mensch- die sogenannte »Kontakthypothese« von Gordon All- lichen Entwicklungsabschnitte – vom Säuglings- bis ins port. Ihr zufolge gibt es kein geeigneteres Mittel, Vor- Greisenalter – werden als eine Stufenfolge dargestellt. urteile abzubauen, als Kontakt zwischen den relevanten Bis zu einem gewissen Alter geht es die Treppe aufwärts Gruppen zu ermöglichen. und dann wieder abwärts. In das Thema »Lebenserin- nerungen« wiederum wird mit »Madeleines« eingeführt, Programmkonzeption jenem Gebäck, das Marcel Proust in seiner »Suche nach In der Konzeption des intergenerationellen Begeg- der verlorenen Zeit« in seine Kindheit zurückversetzt. nungsprogramms »Lebensgeschichten« stützten wir Die Episode aus Prousts Roman wird natürlich erzählt, uns auf das »Life Story Interview« von Dan McAdams. und alle Teilnehmenden bekommen eine »Madeleine« Es handelt sich um ein qualitatives Verfahren, mit dem gereicht. Der Eisbrecher für das Thema »Lebenspla- halb strukturiert – also mit einer gewissen Offenheit nung« ist der bei alten Menschen unvergessene Schlager der Gesprächsführung – individuelle Entwicklungsläufe »Für mich soll's rote Rosen regnen« von Hildegard Knef: erfasst werden. Dies geschieht jedoch nicht chrono- »Mit 16 sagte ich still: Ich will, will groß sein, will siegen, logisch, sondern anhand der großen Themen, die das will froh sein, nie lügen […]« Leben schreibt. Eine Übersicht zu diesen Themen gibt Tabelle 1. Das »Life Story Interview« zählt zu den eta- Die Moderatorinnen und Moderatoren greifen nur dann bliertesten Verfahren der Biografieforschung. Es wird in das Gruppengespräch ein, wenn eines der Gruppen- dem narrativen Aspekt unserer Identität gerecht. Wer mitglieder sehr starke Emotionen zeigt (z. B. weint), wir sind, manifestiert sich in den Geschichten, die wir grob vom Thema abweicht, den Vortrag dominiert oder Tabelle 1 Aufbau des intergenerationellen Begegnungsprogramms »Lebensgeschichten« Thema des Treffens Eisbrecher 1) Wenn Ihr Leben ein Buch wäre, in Bild »Lebenstreppen«: Das Leben wird als Stufenfolge dargestellt. welche Kapitel würden Sie es einteilen? 2) Welche Höhe-, Tief- und Wende- Bild »Berglandschaft«: Das Leben gleicht zuweilen einer Landschaft mit punkte haben Sie erlebt? Bergen und Tälern. 3) Welche ganz besonderen Erinnerun- Gebäck »Madeleine«: Ihr Anblick und Geschmack lösten bei Marcel gen haben Sie im Lebensrückblick? Proust lebendige Kindheitserinnerungen aus. 4) In welchen Situationen haben Sie Fotos von Emma Watson, Mutter Teresa, Nelson Mandela und einer Weisheit erlebt? Sokrates-Büste: Könnten diese Personen Vorbilder von Weisheit sein? 5) Was bedeuten Spiritualität und Reli- Geschichte »Picknick mit Gott«: Gott wird in einer mittäglichen Zufalls- gion für Sie? begegnung auf der Parkbank erkannt. 6) Wie stellen Sie sich die Zukunft vor? Lied »Für mich soll's rote Rosen regnen«: Hildegard Knef singt etwas launisch über Lebensträume, die in Erfüllung gehen oder auch nicht. 7) Wie gehen Sie mit Herausforderun- Foto von Eddie »The Eagle«: Der Freizeitsportler Michael Edwards gen um? nimmt 1988 als erster britischer Skispringer an den Olympischen Win- reportpsychologie ‹46› 02|2021 terspielen teil – und scheitert grandios. 8) Wie gehen Sie mit Scheitern und Lied »Non, je ne regrette rien«: Edith Piaf nimmt in diesem Chanson ihr Reue um? Leben hin, wie sie es gelebt hat – ohne Reue. 9) Welche Werte sind Ihnen im Leben Die Teilnehmenden erhalten einen kleinen Taschenkompass, der ein wichtig? Symbol für persönliche Lebensorientierung sein kann. 10) Was sind Ihre zentralen Lebensthe- Ein Flipchart aus der ersten Stunde (Lebenskapitel) bringt verschiedene men? Lebensthemen zur Sprache. 3
sich ganz zurückzieht. Sie achten auch auf ungefähr sind, ausgeglichen werden. Die Zusammenstellung der ausgewogene Redeanteile zwischen den Generationen. zwölf Begegnungsgruppen war übrigens eine echte lo- Am Ende werden die Teilnehmenden um einen kur- gistische Herausforderung: Gerade die Schülerinnen und zen Rückblick auf das Treffen gebeten. Die erste und Schüler haben durch Ganztagsbeschulung und Freizeit- die letzte Sitzung unterscheiden sich von den anderen verpflichtungen recht volle Terminkalender. Aber auch dadurch, dass sie eine Vorstellung der Teilnehmenden in den Altenheimen waren durch institutionelle Abläufe und des Programms bzw. eine kleine Abschiedsfeier mit und gemeinschaftliche Aktivitäten terminliche Grenzen Gruppenfoto beinhalten. gesetzt. Pilotprojekt Programmevaluation In den vergangenen beiden Jahren haben wir das neu Wir haben das Begegnungsprogramm doppelt evaluiert: entwickelte Begegnungsprogramm »Lebensgeschichten« direkt, also im Hinblick auf das Programm an sich, und in mehreren Altenheimen der Region Trier durchge- indirekt, indem wir Veränderungen durch das Programm führt. Für die Realisierung des Projekts wählten wir das untersucht haben. Bei der direkten Evaluation ging es Altenheim, weil dieser Ort hochgradig alterssegregiert insbesondere darum, ob sich die Generationen während ist. Das heißt, hier bleiben alte Menschen weitgehend der einzelnen Treffen miteinander wohlfühlten und ob unter sich, wenn man vom Kontakt mit professionellen sie voneinander lernen konnten. Aufgrund der Rück- Pflegekräften und Familienmitgliedern jüngeren Alters meldungen können wir beide Fragen deutlich bejahen. absieht. Schon aufgrund dieser Segregation dürfte das Interessant war, dass mehr alte Teilnehmende angaben, Bedürfnis nach Generativität bei Altenheimbewohne- von den jungen gelernt zu haben, als es umgekehrt der rinnen und -bewohnern besonders ausgeprägt sein. Die Fall war. Aufgrund unserer Generativitätsüberlegungen jungen Teilnehmenden waren Schülerinnen und Schüler hätten wir ein umgekehrtes Muster erwartet. Das Er- Trierer Gymnasien. gebnis widerspricht auch dem verbreiteten Altersste- reotyp, wonach alte Menschen nicht mehr wissbegierig Das durchschnittliche Alter der jungen Teilnehmenden und lernfähig sind. war 16 Jahre, die alten Teilnehmenden waren durch- schnittlich 84 Jahre alt. Damit betrug die mittlere Al- Bei der indirekten Evaluation ging es um die drei oben tersdifferenz stattliche 68 Jahre oder in etwa zwei Ge- skizzierten Variablen, für die wir eine Veränderung nerationen (wenn man die Generationendauer mit 25 erwarteten: Selbstklarheit, Generativität und Alters- bis 30 Jahre bemisst). stereotype. Unsere Veränderungsmessung beinhaltet zwei Aspekte: die Veränderung vom Zeitpunkt vor der Insgesamt zwölf Begegnungsgruppen haben wir zusam- Programmteilnahme bis unmittelbar danach (Prä-Post- mengestellt. Jede bestand aus jeweils fünf Schülerin- Veränderung) und die längerfristige Veränderung, die nen und Schülern und sechs Altenheimbewohnerinnen sich auf den Zeitpunkt drei Monate nach Programmteil- und -bewohnern. Durch die leichte Überzahl der alten nahme bezieht (Follow-up-Messung). Zudem wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten krankheitsbe- Veränderungen immer im Vergleich mit einer Kontroll- dingte Ausfälle, die im hohen Alter wahrscheinlicher gruppe untersucht, die nicht am Programm teilnahm. reportpsychologie ‹46› 02|2021 Foto: Universität Trier Für das Pilotprojekt sprachen Schülerinnen und Schüler Trierer Gymnasien mit Altenheimbewohnerinnen und -bewohnern aus ihrer Region. 4
r e p o r t fokus Foto: privat Dr. Dirk Kranz ist wis- senschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Entwicklungs- psychologie an der Univer- sität Trier. E dirk.kranz@uni-trier.de Foto: Universität Trier Foto: privat Das Team des Programms »Lebensgeschichten« Hinsichtlich der Selbstklarheit der jungen Programm- Fazit und Ausblick Nicole Maria Thomas teilnehmerinnen und -teilnehmer war tatsächlich eine Insgesamt hat sich das neu entwickelte intergenera- ist wissenschaftliche Mit- stetige Zunahme bedingt durch das Begegnungspro- tionelle Projekt »Lebensgeschichten« in der Pilotphase arbeiterin im Bereich Ent- gramm zu verzeichnen. Dieser erwartungsgemäße Be- bewährt. Es kontert zwei Kritikpunkten, die immer wie- wicklungspsychologie an der Universität Trier. fund hing weiterhin von Persönlichkeitseigenschaften der an intergenerationellen Programmen geäußert wer- ab. Insbesondere die extravertierten und verträglichen den: dass sie unzureichend theoretisch fundiert und nur Teilnehmenden zeigten nach dem Programm eine hö- mangelhaft evaluiert sind. Wir hoffen, dass das Begeg- here Selbstklarheit. Die Kontrollgruppe gewann im sel- nungsprogramm an der Schnittstelle von Jugend- und ben Zeitraum nicht an Selbstklarheit hinzu. Altenarbeit künftig häufig zum Einsatz kommen wird. Ein praxisnahes Handbuch, das wir unentgeltlich zur Entgegen unserer Erwartung wurde bei den alten Verfügung stellen, soll es ermöglichen, das Begegnungs- Programmteilnehmenden nicht generell generatives programm vor Ort eigenständig durchzuführen und den Foto: privat Verhalten über die Programmteilnahme hinaus an- jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.1 gestoßen. Dies war nur bei jenen der Fall, die extra- vertiert, verträglich und gewissenhaft waren. Zudem »Lebensgeschichten« ist auch berufspolitisch ein innova- Prof. Dr. Jan Hofer ist war ein relatives hohes kognitives Funktionsniveau tives Programm: Psychologinnen und Psychologen sind Professor für Entwick- notwendig. Wiederum erwartungsgemäß zeigte sich, im Bereich der angewandten Gerontologie bislang eher lungspsychologie an der Universität Trier. dass alte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nach unterpräsentiert. Für die Durchführung intergeneratio- Beendigung des Programms in verstärktem Maße ge- neller Begegnungsprogramme wie »Lebensgeschichten«, nerativ handelten, auch über ein höheres Wohlbefin- die über eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung von den berichteten. Jung und Alt hinausgehen, sind sie geradezu prädes- tiniert. Wie erwartet veränderten sich auch die Altersstereo- type, die die Teilnehmenden im Hinblick auf die jeweils Dr. Dirk Kranz andere Altersgruppe zeigten. Nach der Programmteil- nahme berichteten die jungen Teilnehmenden ein posi- Nicole Maria Thomas tiveres Bild von alten Menschen, und umgekehrt berich- teten die alten Teilnehmenden auch ein positiveres Bild Prof. Dr. Jan Hofer von jungen Menschen. Diese Positivierung nahm zum dritten Messzeitpunkt, der Follow-up-Messung, wieder Die Autorin und die Autoren danken dem Bundesmi- reportpsychologie ‹46› 02|2021 ab, lag aber dennoch über dem Niveau des ersten Mess- nisterium für Bildung und Forschung für die Förderung zeitpunktes vor Programmbeginn. In der Kontrollgruppe dieses Projekts (BMBF 03VP02120). hingegen waren die Altersstereotype recht stabil über die Zeit. Das beschriebene Muster trat unabhängig von Korrespondenz an Persönlichkeitseigenschaften und aufseiten der alten 1 Das Handbuch zum intergenerationellen Begegnungspro- Dirk Kranz Abt. Entwicklungspsychologie Teilnehmenden auch unabhängig vom kognitiven Funk- gramm »Lebensgeschichten« kann in digitalisierter Form gerne Universität Trier tionsstatus auf. bei Nicole Maria Thomas (lebensgeschichten@uni-trier.de) 54286 Trier angefordert werden. E dirk.kranz@uni-trier.de 5
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