Südländer-Bienen sind noch fleissiger! - Die Macchia - ein ganzjähriges Trachtpflanzen-Eldorado
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2 • 2021 Südländer-Bienen sind noch fleissiger! Die Macchia – ein ganzjähriges Trachtpflanzen-Eldorado Einfache Denkmuster orten bei uns Von der Pieke auf Von Heini Hofmann Menschen bezüglich Arbeitsmoral ein Zurück in Sardinien, kaufte er sich ein Stück Nord-Süd-Gefälle: von Workaholic zu Macchialand, schlug sich als Taglöhner durch, Siestakünstler. Ob es solche Nuancen um seinen Traum vom Berufsimker zu verwirk- auch bei Tieren gibt? Das wollten wir lichen – im Selbststudium und mit «learning by wissen und machten die Probe aufs doing». Exempel. Das Resultat ist verblüffend! Mit vier Bienenvölkern begann er – und schei- terte erst einmal. Doch sein Durchhaltewille Als tierliches Vergleichsobjekt wählten wir jenes war gross. Plötzlich waren es zwanzig Völker, Miniatur-Nutztier, von dem es heisst, dass es und 1982, mit Unterstützung der Region, extrem arbeitsam sei – die Honigbiene, unsere konnte er deren fünfzig zusätzlich beschaffen – Inkarnation für Fleiss. «The bee is a very hard und war fortan Berufsimker mit Leib und Seele. working creature», meinen auch die Briten. Um Während in der Schweiz vier Bienenrassen be- einen Vergleich zu unseren Breitengraden anzu- heimatet sind (die dunkle Landrasse Mellifica, stellen, schauten wir einem Imker in Südsardi- die Graubiene Carnica, die Südländerin Ligus- nien über die Schultern und stellten fest, dass tica und die Eurasierin Caucasica), gibt es in es bezüglich Emsigkeit der Immen – naturbe- Sardinien nur eine Rasse, logischerweise die dingt – ein reziprokes Süd-Nord-Gefälle gibt. mediterrane Ligustica mit den typisch gelben Hinterleibsringen, notabene heute die meist- Zwei Arbeitswelten Einzige Bienenrasse Sardiniens ist die Südlände- vertretene Rasse weltweit. rin Ligustica mit den gelben Hinterleibsringen. In Mittel- und Nordeuropa sind die Honigbie- In Sardinien ist (wie bei uns vorwiegend in der nen als emsige Arbeiterinnen unter königlicher Welschschweiz) das Dadant-Haltungssystem Aufsicht während der warmen Jahreszeit unterwegs zu blü- üblich, mit freistehenden, nebeneinander aufgestellten Ein- henden Trachtpflanzen, wo sie Nektar und Pollen sammeln. zelkasten, die je nach Wachstum der Völker beliebig erwei- In der anderen Jahreshälfte dagegen, wenn Kälte oder gar tert werden können. Der Arbeitszugang, nach Wegnahme Schnee dies verunmöglichen, machen unsere Bienenvölker, des Deckels, erfolgt von oben und nicht – wie beim deutsch- in Form einer Traube eng zusammengekuschelt, eine mona- schweizer System an den im Bienenhaus fix eingebauten telange Winterruhe (nicht Winterschlaf ). Kästen – von hinten. Davon können ihre südländischen Artgenossen nur träumen; denn hier blühen ganzjährig Trachtpflanzen, und Schnee ist Trachtpflanzen ganzjährig (fast immer) ein Fremdwort. Das bedeutet, dass sie zwölf Während in unseren Breitengraden die Honigernte nur einmal Monate durchgehend arbeiten, ohne freie Tage oder gar im Jahr stattfindet, verteilt sie sich in südlichen Gefilden übers Siestaferien – eine übertierliche Leistung. Das stellt selbst ganze Jahr, weil hier ja ständig etwas blüht, von Januar bis De- menschliche Workaholics in den Schatten! zember. Und es handelt sich notabene nur um wilde Pflanzen. Imker Luigi Deiana betreibt zusammen mit seiner Frau Fiorella Den traditionellen Mischhonig verschiedener Blüten gibt es Di Luca eine selbst aufgebaute Imkerei in der Provinz Sarrabus als Haupttracht im Frühling (Ende April/Anfang Mai). im Südosten Sardiniens, am Ufer des Flusses Uri, nordwest- Im Jahresverlauf kommen dann die Einblütenhonige zum Tra- lich von San Vito, inmitten typischer Macchia (französisch: gen – im Frühling von Affodil (Liliengewächs) über Lavendel Maquis), dieser niedrigen, immergrünen Gebüschformation (Schopflavendel) und Zitrusblüten bis Rosmarin. Im Sommer mediterraner, küstennaher Hügellagen. Zur Imkerei fand er gibt es neben Eukalyptushonig nochmals Mischhonig aus wie die Jungfrau zum Kind, als er als Maschinenschlosser Brombeere, Distel, Königskerze und Kaktusfeige. Im Herbst und technischer Zeichner in Deutschland arbeitete und im dann eine spezielle Tracht vom Johannisbrotbaum und im Fernseher seiner Schlummermutter einen Imkerfilm sah. Das Winter (Dezember/Januar, aber nicht immer) den sogenannt war sein Schlüsselerlebnis. bitteren Honig vom Erdbeerbaum. – 27 –
2 • 2021 Die Königin (Bildmitte), umgeben von Hofdamen, steuert das Volk chemisch via Pheromone. Südsardiniens immergrüne, niedrige Gebüschformation (Macchia) ist eine ideale Bienenweide. Um diese jahreszeitlich und lokalgeografisch anfallenden Trachtquellen optimal zu nutzen, hat der Imker die Möglich- keit, seine Dadant-Kasten jeweilen in diejenige Region zu versetzen, wo ein Trachtpflanzenangebot gerade überwiegt – analog wie dies unsere Wanderimker mit mobilen Bienen- ständen in verschiedenen Gebirgskantonen tun. Überlässt man den Bienen einen leeren Kasten, bauen sie sel- ber fantasievolle Waben. Rund fünfmal mehr Honig Den Bienen dient als flüssiger Rohstoff zur Herstellung von als Milch, dreimal jene von Fleisch und doppelt so viele wie Blütenhonig der zuckerhaltige Blütensaft Nektar, ein Sekret Eier. der Nektarinen, der Honigdrüsen der Blüten, den sie im Honigmagen transportieren. (Waldhonig aus Honigtau, pro- Paradies mit Problemen duziert von Blattläusen, gibt es in der niederwüchsigen sar- Kurz: An sich wären die Gegebenheiten in der blütenreichen dischen Macchia nicht.) Pollen dagegen, das heisst Blüten- sardinischen Macchialandschaft für die Bienen und für den staub, welcher der Brut als Nahrung dient, wird «gehöselt» Imker mit überschaubarem Familienbetrieb (heute gut acht- eingetragen. zig Völker) paradiesisch. Doch da gibt es ein Problem: Während in der Schweiz pro Bienenvolk und Jahr rund zehn Anfangs der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts wurde Kilo Honig der Norm entsprechen (mit grossen Schwankun- in Sardinien erstmals die Varroatose (Milbenseuche der gen je nach Witterung), können Imker in der sardischen Honigbienen) nachgewiesen, die anfangs der Siebzigerjahre Macchia mit ihrem ganzjährigen, üppigen Blütenreichtum vom Ural nach Europa verschleppt worden war. rund fünfmal soviel Honig ernten. Nach Sardinien hätten es die Varroamilben von alleine nie Die sardische Götterspeise gilt deshalb als besonders deli- geschafft, wenn sie nicht durch Grossimker vom italienischen kat, weil die Macchia eine ideale Bienenweide ist. Honig, Festland, die mit verseuchten Völkern als Wanderimker auf Mandeln und Nüsse sind denn auch die Grundstoffe vieler die Insel kamen, eingeschleppt worden wären. Doch wie soll sardischer Süssigkeiten. Zudem ist Honig auch ein unver- man bei ganzjähriger Trachtvielfalt und dadurch ununterbro- gleichlicher Kraftspender, hat er doch fünfmal mehr Kalorien chener Sammeltätigkeit und Brutpflege ein krankes Bienen- – 28 –
2 • 2021 Ein Schwarm hat sich in einem Orangenbaum verselbststän- Luigi Deiana, nach getaner Arbeit: Imkern in der wilden digt; er kann ohne den Imker überleben. Macchia – ein psychedelisches Erlebnis. volk behandeln, das keine Winterpause macht wie bei uns? Im Einklang mit der Natur Während der Bruttätigkeit ist eine Varroa-Bekämpfung nicht Bei Imker Luigi Deiana spürt man seine grosse Naturverbun- möglich. Da hilft nur ein (leider notwendiger, aber nicht ge- denheit; sein Arbeitsplatz ist die wilde, menschenleere rade sympathischer) Trick: Man ist gezwungen, im Sommer Macchialandschaft. Er weiss, dass er seine Bienenkasten die Königin für einige Zeit einzusperren, damit sie keine Eier nicht an schattige Stellen platzieren darf, und dass er mit sei- mehr legt und so einige Tage keine gedeckelte Brut vorhan- nen Ligustica-Bienen ruhig arbeiten muss; denn auch sie den ist, womit dann, in diesem Zeitfenster, eine Oxalsäure- sind von Natur aus sanft, nicht aggressiv und zudem arbeits- Behandlung möglich wird. Eine weitere Erschwernis für Im- tüchtig. «Böse Bienen», so ist er überzeugt, «sind auch eine ker im Süden stellt der wunderschöne, aber leider gefrässige Frage des Imkers und seines Umgangs mit diesen Miniatur- Bienenfresser dar (vgl. Kasten). lebewesen.» Wie er mit den Gaben der Natur mit Bedacht umgeht, zeigt sich auch daran, dass er beim Vertrieb seiner Naturprodukte Problem Bienenfresser nicht von seinen Kunden, sondern von seinen Freunden spricht. Sein Prinzip ist der Direktverkauf im eigenen kleinen Er gehört zu den farbenprächtigs- ten Vögeln der Welt und ernährt Betrieb, wo seine Frau Fiorella die Produkteverarbeitung tä- sich hauptsächlich von Bienen, tigt, sowie auf Dorfmärkten (wo auch wir, in Villasimius, erste Wespen und Hummeln – der kasta- Bekanntschaft mit ihm machten). nienbraun-blaugrün gefärbte Bie- nenfresser (Merops apiaster) mit Daneben betreibt er auch Versandverkauf, vorab aufs italie- gelber Kehle. Typisch sind der nische Festland. Doch auch hier der kleine, sympathische lange, spitze und leicht abwärts ge- Unterschied: Seine Bienenprodukte-Preziosen verkauft er bogenen Schnabel, die langen nicht kübelweise an Grossisten, wie dies Grossimker tun, Pfeilflügel und die kurzen Beine (im Bild gut sichtbar). Seine Insekten- sondern in Kleingebinden an seine vertraute Kundschaft. nahrung erbeutet er im schwalbenartigen Flug. Bienenfresser sind gesellig lebende Sein grösster Wunsch ist, dass seine Kinder das, was er aus Vögel und brüten meist in Kolonien. Nach Sardinien kommen sie als Zugvögel Mitte dem Nichts aufgebaut hat, einmal weiterführen können. April vom Winterquartier in Afrika und kehren Mitte September dorthin zurück. Für die Imker sind sie ein echtes Problem, und weil sie geschützt sind, dürfen sie auch Nicht nur die südländischen Bienen haben uns imponiert – nicht bekämpft werden. Magenuntersuchungen toter Spinte wiesen Reste von bis zu auch ihr Imker. x dreissig Bienen auf. Imker Luigi Deiana spricht aus Erfahrung: «Beim Auftauchen der Vögel breitet sich in den Bienenvölkern Angst aus, die Arbeiterinnen getrauen sich Korrespondenzadresse: kaum auszufliegen. Besonders gefährdet sind Königinnen, weil sie ihrer Grösse wegen Heini Hofmann langsamer fliegen. Ein weiselloses Volk aber ist dem Untergang geweiht». Zootierarzt und freier Wissenschaftspublizist Anders in der Schweiz: Hier ist der Bienenfresser für die Imkerei (vorderhand) keine Hohlweg 11 Gefahr. 1991 erfolgte die erste Brut; doch erst 2017 wurde die Zahl von hundert Brut- 8645 Jona paaren überschritten. Dieser Trend dürfte mit zunehmender Klimaerwärmung jedoch anhalten. hh © alle Bilder: Fiorella Di Luca – 29 –
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