9.1 HEBEN, HALTEN, TRAGEN - BAUA
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
9 Physische Belastungen / Arbeitsschwere > 9.1 Heben, Halten, Tragen 1 9.1 Heben, Halten, Tragen Heben, Halten, Tragen (HHT) sind Formen der "manuellen Lastenhandhabung“ im Sinne der Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV) und dieses Ratgebers. 9.1.1 Art der Gefährdung und deren Wirkungen Definition Heben, Halten, Tragen (HHT) kommen in der Arbeitswelt sehr häufig vor. Manchmal sind es nur Teile einer Tätigkeit, bei der ein Gegenstand zur Bearbeitung herangeholt beziehungsweise abgelegt wird. Manchmal sind sie jedoch auch ausschließlicher Arbeitsinhalt. Dabei geht es dann meist um den Transport der Last. Typische Beispiele sind Auspacken/Beladen von Containern, Ablegen auf Transportbänder, Heranholen von Material, Befüllen von Maschinen, Tragen von Möbeln oder Transport von gehunfähigen Personen. Wirkung des Lastgewichts Beim HHT wirken im Wesentlichen vertikale Kräfte zum Schwerkraftausgleich. Die erforderlichen Aktionskräfte werden beim HHT durch das Lastgewicht bestimmt. Beschleunigungskräfte beim schnellen Anheben beeinflussen die Aktionskräfte in vernachlässigbarem Umfang. Übersteigt das Lastgewicht die Körperkräfte, kann die Last nicht bewegt oder gehalten werden. Die denkbare Obergrenze des Lastgewichts liegt bei günstigen Bedingungen und körpernahem Heben bei 50 kg. Unter Berücksichtigung der individuell unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und den mit der Last auszuführenden Bewegungen liegen die ungefährlichen Lastgewichte erheblich darunter und sind immer tätigkeitsbezogen zu ermitteln. Muskel-Skelett-Beschwerden Hohe Intensität und Dauer/Häufigkeit von Aktions- und Haltungskräften sowie ungünstige Körperhaltungen sind eine Gefahr für das Muskel-Skelett-System. Es können gesundheitliche Folgeerscheinungen auftreten: – akute schmerzhafte Schädigungen durch kurzzeitige mechanische Fehlbelastung mit deutlicher Funktionseinschränkung (zum Beispiel Muskelzerrung beim Heben, Knochenbruch durch Sturz beim Tragen einer Last auf unebenem Boden, Blockierung eines Wirbelgelenkes beim Lastenanheben) – chronische Schäden durch fortgesetzte mechanische Fehlbelastungen mit stetig zunehmenden Dauerbeschwerden (Bandscheibenverschleiß, Bänderdehnung, Sehnenscheidenentzündung, Muskelverspannung) 9.1.2 Grenzwerte, Beurteilungskriterien Gefährdungen beurteilen Für die manuelle Handhabung von Lasten, die aufgrund ihrer Merkmale oder ungünstiger ergonomischer Bedingungen für die Beschäftigten eine Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit, insbesondere der Lendenwirbelsäule, mit sich bringt, gilt die Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV). Nach § 2 LasthandhabV ist der Arbeitgeber unter anderem verpflichtet, die Arbeitsbedingungen hinsichtlich ihrer möglichen gesundheitsschädigenden Wirkungen zu beurteilen. Zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen gemäß LasthandhabV wird von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik die Leitmerkmalmethode Heben, Halten, Tragen empfohlen. Grenzwerte und Belastungsfaktoren Es gibt keine rechtsverbindlichen Grenzwerte für empfohlene Lastgewichte für alle Beschäftigten. Da die Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems von Zeitdauer/Häufigkeit, Körperhaltungen, Ausführungsbedingungen und Lastgewicht abhängt, sind diese Faktoren in ihrer Kombination zu beachten. Lasten größer als 40 kg für Männer und 25 kg für Frauen sind jedoch grundsätzlich als Risiko einzustufen. 30.07.2019
9 Physische Belastungen / Arbeitsschwere > 9.1 Heben, Halten, Tragen 2 Grenzwerte für besondere Personengruppen Für besondere Personengruppen gelten folgende Regelungen: – Für werdende Mütter sind Höchstgewichte im § 4 Abs. 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG) festgelegt. Die Lastgewichte dürfen bei seltenem Heben und Tragen 10 kg und beim wiederholten Heben und Tragen 5 kg nicht überschreiten. – Jugendliche dürfen nach § 22 Abs. 1 Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, die ihre physische oder psychische Leistungsfähigkeit übersteigen. 9.1.3 Arbeitsschutzmaßnahmen Vermeidung manueller Lastenhandhabung Maßnahmen sind primär auf eine Vermeidung manueller Lastenhandhabungen mit Gefährdungen der Gesundheit der Beschäftigten zu richten (§ 2 Abs. 1 Lastenhandhabungsverordnung). Wo dies nicht möglich ist, sind auf der Basis einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) durch den Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine Gefährdung der Gesundheit der Beschäftigten möglichst gering zu halten (§ 2 Abs. 2 Lastenhandhabungsverordnung). Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsorganisation Dabei sind technische und organisatorische Maßnahmen möglich: – Vermeidung von sich ständig wiederholenden gleichartigen Lastenhandhabungen – Automatisierung, Mechanisierung oder Tätigkeitswechsel und Vermeidung von Mechanisierungslücken Vermeidung von Lastgewichten, die die Belastbarkeit überfordern – Gewichtsreduzierung – Einsatz von Hebehilfen und Transportvorrichtungen – Vermeidung von unnötigen Lastenhandhabungen – optimale Logistik, wenig Zwischenlager – günstige Körperhaltungen und effektive Bewegungen – ergonomisch günstige Lastaufnahmebeziehungsweise. Absetzhöhe zwischen 70 cm und 110 cm zum Beispiel Hubtische, versenkbare Arbeitsbühnen – körpernahe Lastenhandhabung – genügend Fuß- und Beinraum – sichere Arbeitsbedingungen • ausreichender Bewegungsraum • ebener, rutschfester und stabiler Boden, keine Schwellen, Absätze, Treppen bzw. Rampen • geeignete Arbeitsschuhe, Handschuhe • gute Sichtverhältnisse • extreme Temperaturen und Feuchtigkeit vermeiden – sichere Lastaufnahme • wenn möglich: Keine unhandlichen oder sperrigen Lasten, sonst: ergonomische Griffgestaltung, Lastanschlagpunkte vorsehen, Tragegurte • Vermeidung gefährlicher Lasteigenschaften wie zum Beispiel scharfe Kanten, undichte Flüssigkeitsbehälter • wenn erforderlich: Kennzeichnung höherer Lastgewichte, die nicht verringert werden können, Angabe des Gewichts, Angabe des Schwerpunkts – angemessenes Arbeitspensum • Verringerung des Arbeitstempos • Wechsel zwischen be- und entlastenden Tätigkeiten ausreichende Erholzeiten Personenbezogene Maßnahmen Folgende personenbezogene Maßnahmen sind zu empfehlen: – Unterweisung der Beschäftigten mit Erläuterungen, die eigens auf die besonderen Gefährdungen durch manuelle Lastenhandhabung ausgerichtet sind: 30.07.2019
9 Physische Belastungen / Arbeitsschwere > 9.1 Heben, Halten, Tragen 3 • vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten • bei Veränderungen im Aufgabenbereich • der Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie • wenn besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen derartige Tätigkeiten ausführen müssen (Berufseinsteiger, Jugendliche und junge Erwachsene, ältere Beschäftigte, Beschäftigte mit besonderer Konstitution oder Disposition) – tätigkeitsbezogenes Training der Beschäftigten • verringern der Lastgewichte, korrekte Nutzung von Hilfsmitteln • richtige Körperhaltung • richtiges Verhalten bei der Lastenhandhabung • vernünftige Arbeitseinteilung • Ausgleichsübungen – individuelle Beratung der Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Rechtsgrundlage nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) (Anhang Teil 3 (2) 4a) und nach §11 ArbSchG: • Wunschvorsorge: auf Wunsch des Beschäftigten bei nachgewiesener Gefährdungslage (ab 10 Punkten Gesamtpunktsumme bzw. Risikobereich 2 nach LMM Heben, Halten und Tragen von Lasten) • Angebotsvorsorge: bei Tätigkeiten mit wesentlich erhöhter körperlicher Belastung durch das Heben, Halten, Tragen von Lasten (ab 25 Punkten Gesamtpunktsumme bzw. Risikobereich 3 nach Leitmerkmalmethode (LMM) Heben, Halten und Tragen von Lasten) 9.1.4 Vorschriften, Regelwerk, Literatur Gesetze, Verordnungen – Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) – Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) – Mutterschutzgesetz (MuSchG) – Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) – Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV) – Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Regeln der Technik und der Arbeitsmedizin – AMR 13.2 "Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System" – Bek. d. BMAS v. 17.11.2014 – IIIb1-36628-15/9 - – DGUV Information 240-460 (bisher BGI/GUV-I 504-46): Handlungsanleitung für die arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 46 "Belastungen des Muskel- und Skelettsystems einschließlich Vibrationen" – DGUV Information 208-033 (bisher BGI 7011): Gesunder Rücken – Gesunde Gelenke – noch Fragen? Literatur – [1] Jürgens, W.-W.; Mohr, D.; Pangert, R.; Pernack, E.-F.; Schultz, K.; Steinberg, U.: Handlungsanleitung zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen beim Heben und Tragen von Lasten. 4. überarbeitete Auflage Potsdam: LASI 2001 (LASI-Veröffentlichungen, LV 9) – [2] Steinberg, U; Windberg, H.-J.: Heben und Tragen ohne Schaden. 3. unveränderte Auflage Dortmund: BAuA 2007 (BAuA-Quartbroschüre) – [3] Bongwald, O.; Luttmann, A.; Laurig, W.: Leitfaden für die Beurteilung von Hebe- und Tragetätigkeiten. Sankt Augustin: HVBG 1995 – [4] Rüschenschmidt, H.; Reidt, U.; Rentel, A.: Ergonomie im Arbeitsschutz. Menschengerechte Gestaltung der Arbeit. 30.07.2019
9 Physische Belastungen / Arbeitsschwere > 9.1 Heben, Halten, Tragen 4 Bochum: Technik & Information 2004 – [5] Schmidtke, H.: Ergonomie. München: Hanser 1993 – [6] Luczak, H.: Arbeitswissenschaft. Berlin: Springer 1998 – [7] Grundsatz G46 - Belastungen des Muskel-Skelett-Systems einschließlich Vibrationen. In: DGUV (Hrsg.): Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (Arbeitsmedizinische Vorsorge). 6. Auflage, Stuttgart: Gentner Verlag 2014, S. 869ff. und S. 959ff. – [8] Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.: Leitlinie "Körperlicher Belastungen des Rückens durch Lastenhandhabung und Zwangshaltungen im Arbeitsprozess" (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 002/029) Internetangebote / Links – "Der Rückenkompass" Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) – GDA-Arbeitsprogramm MSE "GDA-bewegt" Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) – Präventionskampagne "Denk an mich. Dein Rücken." gemeinsam getragen von Berufsgenossenschaften, Unfallkassen, der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) und der Knappschaft – Physische Belastung - Gesundes Verhältnis zwischen Belastung und individueller Beanspruchung Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 9.1.5 Textbausteine für Prüflisten und Formblätter Prüffragen – Kommt Heben, Halten, Tragen häufig und regelmäßig bei der Arbeit vor? – Ist die Intensität hoch? – Wird die Arbeit von den Beschäftigten als beanspruchend empfunden? – Sind besonders geschützte Beschäftigte oder solche mit verringerter Belastbarkeit eingesetzt? Wenn eine oder mehrere Fragen mit "ja" beantwortet werden, dann ist eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen anhand der Leitmerkmalmethode vorzunehmen und gegebenenfalls Grenzwerte nach Abschnitt "Grenzwerte, Beurteilungskriterien" zu prüfen. 9.1.6 Autoren und Ansprechpartner Autoren – Dipl.-Ing. U. Steinberg – Dr. sc. med. G. Caffier – Dr. med. F. Liebers – Dipl.-Ing. E. Tschöcke Ansprechpartner – Dipl.-Ing. F. Brandstädt BAuA, Gruppe 3.1, Berlin 30.07.2019
Impressum Bitte zitieren als: Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Hrsg., 2019. Gefährdungsfaktoren: Ein Ratgeber; Dortmund [Bitte Zugriffsdatum einfügen].] Verfügbar unter: www.baua.de/gefaehrdungsfaktoren Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) Friedrich-Henkel-Weg 1 –25, 44149 Dortmund Postanschrift: Postfach 17 02 02, 44061 Dortmund Telefon: 0231 9071-2071 Telefax: 0231 9071-2070 E-Mail: info-zentrum@baua.bund.de Internet: www.baua.de Redaktion: Dieter Mantei, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Gestaltung: eckedesign, Berlin Fotos: Uwe Völkner, Fotoagentur FOX, Lindlar/Köln Diese Handlungshilfe benutzt eine geschlechtergerechte Sprache. Dort, wo das nicht möglich ist oder die Lesbarkeit stark eingeschränkt würde, gelten die gewählten personenbezogenen Bezeichnungen für beide Geschlechter. Alle Urheberrechte bleiben vorbehalten. Die auf der Website der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi- zin hinterlegten Datenbankinhalte, Texte, Grafiken, Bildmaterialien, Ton-, Video- und Animationsdateien sowie die zum Download bereitgestellten Publikationen sind urheberrechtlich geschützt. Wir behalten uns ausdrücklich alle Veröffentlichungs-, Vervielfältigungs-, Bearbeitungs- und Verwertungsrechte an den Inhalten vor. Die Inhalte dieser Handlungshilfe wurden mit größter Sorgfalt erstellt und entsprechen dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte übernimmt die BAuA jedoch keine Gewähr. Nachdruck und sonstige Wiedergabe sowie Veröffentlichung, auch auszugsweise, nur mit vorheriger Zustimmung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. 30.07.2019
Sie können auch lesen