Beitrag: Millionen Daten im Netz-Manuskript - ZDF
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Manuskript Beitrag: Millionen Daten im Netz – Wer steckt hinter dem Angriff? Sendung vom 22. Januar 2019 von Patrick Stegemann, Tarik Tesfu, Sören Musyal und Kyo Mali Jung Anmoderation: Die Nachrichten der vergangenen Wochen haben aber auch gezeigt: Man muss kein Privatdetektiv sein, um an sensible Daten zu gelangen. Das schafft auch ein Schüler. Der Verursacher eines gigantischen Datenlecks schlug aus seinem Jugendzimmer zu. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Der junge Hacker griff 1.000 Menschen aus Politik und Medien an. Unsere Kolleginnen und Kollegen von „Jäger & Sammler“ hat sein Datendiebstahl auch getroffen. „Jäger & Sammler“ ist ein Format von „Funk“, dem Online-Jugendangebot von ARD und ZDF und veröffentlicht seine Recherchen auf Facebook und auf Instagram. Nun können Sie sagen, selber schuld. Ihnen kann so etwas nicht passieren, denn Sie sind im Netz nicht unterwegs. Aber in diesem digitalen Zeitalter geben auch Sie irgendwo ihre persönlichen Daten preis – und schon sind Sie verwundbar und können elektronisch ausgezogen werden. Patrick Stegemann und Tarik Tesfu berichten. Text: Ich bin Tarik Tesfu, Moderator und Journalist, für das junge Investigativ-Format „Jäger & Sammler“. Ich berichte auch über die rechte Szene und die AfD. O-Ton Alexander Gauland, AfD, Bundessprecher, bei „Jäger & Sammler“, am 23.10.2017: Nein, bestimmt nicht von Ihnen lass ich mir das sagen. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“, Frage an einen Passanten: Was heiß denn Heimat für Sie? Jetzt wurde ich gehackt. Unbekannte hatten Zugriff auf meine Mails, meine Social-Media-Accounts. Sie haben meine Daten veröffentlicht - meine Lohnsteuerkarte, meinen Personalausweis. In der Sprache der Täter: Ich wurde gedoxt. Ein Albtraum. Ein
Einbruch in mein Leben. O-Ton heute, ZDF, am 4.1.2019: Es ist ein Angriff aus einem virtuellen Hinterhalt. O-Ton Tagesschau, ARD, am 4.1.2019: Ein massiver Datenangriff. O-Ton Tagesthemen, ARD, am 4.1.2019: Künstler, Medienschaffende. O-Ton heute, ZDF, am 4.1.2019: Betroffen sind Hunderte Politiker. Ein Datenleck, das bis in die Bundespolitik reicht. Auch SPD- Politiker Helge Lindh war betroffen. O-Ton Helge Lindh, SPD, MdB: Nur, weil es nur, vermeintlich nur, digital passiert, ist es doch vergleichbar mit dem Einbruch in ein Haus. Und da gibt es ja genügend Hinweise, was das bei Menschen an Unsicherheit und Angst erzeugt. Jedenfalls kann ich das aus eigener Erfahrung so bestätigen. Helge Lindh und ich sind nur zwei der rund Tausend Betroffenen. Anfang Januar wird das Ausmaß des Hacks öffentlich, vier Tage später ein Täter präsentiert. Sein Deckname: „Orbit“. O-Ton Horst Seehofer, CSU, Bundesinnenminister, Bundespressekonferenz, am 8.1.2019: Wir machen in so wichtigen Angelegenheiten also unsere Arbeit. Tatsächlich haben Politik und Polizei die Bedrohungslage unterschätzt. Schon vor Monaten wurden Journalisten, Prominente und Politiker gehackt. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Ich wurde ja schon 2017 gehackt, im November. Also, vor über einem Jahr. Und dann habe ich, glaube ich, zwei bis drei Wochen versucht, eine Person beim LKA zu finden, telefonisch, die für meinen Fall verantwortlich ist, aber ohne Erfolg - und bekomme dann von einer unbekannten Nummer eine SMS, dass meine Adresse auf einer Seite veröffentlicht wurde. Und genau, dann bekomme ich dann halt Panik und ruf dann doch noch mal beim LKA an. Und dann schreibe ich noch mal Ende 2018, dass die Seite mit meiner Adresse immer noch online ist. Bekomme aber darauf auch keine Antwort. „Orbit“ kapert im November 2017 auch meinen Twitter-Account und bekennt sich zu der Tat: „Owned by @_Orbit.“
Warum wurde „Orbit“ nicht schon viel früher gefasst? Ich besuche Christina Clemm. Sie ist Anwältin und vertritt einige der Opfer. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Im Fall „Orbit“ wird viel von der gelungenen Ermittlungsarbeit der Behörden gesprochen. Wie bewerten Sie das? O-Ton Christina Clemm, Rechtsanwältin: Die Frage ist, warum er nicht schon sehr viel früher mal entdeckt werden konnte, denn offenbar war er ja schon sehr lange tätig und offenbar gab es auch schon mehrere Strafanzeigen gegen ihn. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Sie vertreten ja auch Betroffene, die gedoxt wurden. Welche Erfahrungen machen Sie dabei? O-Ton Christina Clemm, Rechtsanwältin: Also, normalerweise, wir erstatten Strafanzeigen. Dann machen wir äußerst schlechte Erfahrungen, dann wird da sehr mäßig ermittelt und ein Großteil der Anzeigen, die sind erfolglos, weil man keine Personen ermittelt, die dahinterstecken. Die Täter, die können sich ja so sicher fühlen, die können sich so sicher fühlen, dass alles machen zu können, ohne irgendwie belangt zu werden. Über Jahre kann „Orbit“ sein Unwesen treiben. Am Ende kommt der entscheidende Tipp zu seiner Ergreifung wohl von Jan Schürlein, einem 20-Jährigen, der „Orbit“ seit Jahren kennt und in einige seiner Aktionen eingeweiht war. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Spannend, dich mal kennenzulernen. Auch in meinen Hack. O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Von den Politikersachen und so weiter habe ich jetzt auf keinen Fall irgendwas gewusst. Aber, wo ich gesagt habe, wo ich was von wusste, ist zum Beispiel damals vor drei, vier Jahren, da hat er angekündigt: Übermorgen oder so wird was passieren bei dem und dem Account. Und dann wusste man das entsprechend, ne. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Jetzt hast du trotzdem 2018 schon in einem Forum damit geprahlt, dass du weißt, wer Tarik Tesfu, also mich, gehackt hat.
O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Ja, und mit dieser Nachricht hab ich ganz klar gemeint, dass ich weiß, natürlich, dass „Orbit“ das war. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Warum bist du 2018 nicht zur Polizei gegangen? O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Was er gemacht hat, ist ja sein Bier am Ende, ne. Das ist ja seine Sache, da habe ich ja keinen Einfluss drauf. Ich bin ja nicht sein Vater und sage: Hey, mach mal dies, mach mal das nicht – geh mal da drauf los. Schürlein streitet jede Verantwortung ab, dabei hatte er enge Kontakte in die Doxing-Szene. Er meldete bereits 2015 die Adresse, die sogenannte Domain „www.dox.sx“ an. Über lange Zeit wurden dort private Daten von zahlreichen Politikern, Prominenten und YouTubern veröffentlicht. O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Na ja, nur weil ich eine Domain registriert habe, heißt das ja nicht, dass ich selber für diese Inhalte oder die Website verantwortlich bin oder zur Verantwortung gezogen werden kann - auch selbst, ne, wenn man jetzt so bedenkt, fühl ich mich jetzt schlecht oder damit irgendwie verbunden. Also, nein. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Kann „Orbit“ dich eigentlich belasten mit Irgendetwas? O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Mit was soll er mich denn belasten? Also, sind wir durch - oder? O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Mitwisserschaft, zum Beispiel? O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Bitte? O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Mitwisserschaft? O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Ne, wieso denn? Ich wusste doch von den Politikerhacks nix! Schürlein behauptet er sei nur ein Dienstleister, der Internetadressen auf seinen Namen anmeldet. Wer seinen Service nutze, wolle anonym bleiben. O-Ton Holger Münch, Präsident Bundeskriminalamt,
Bundespressekonferenz, am 8.1.2019: Kommt der Täter aus einem rechtsextremen Milieu? Nein!“ O-Ton Georg Ungefuk, Oberstaatsanwalt, Pressekonferenz BKA, am 8.1.2019: Keine objektiven Hinweise, jedenfalls für eine bestimmte politische Motivation. Keine politische Motivation? Auf meinem von „Orbit“ gehackten Twitter-Account – rassistische, menschenverachtende Parolen: „Fickt euch, ihr schwulen Neger, nur Weiße Cis-Boys sind das Wahre.“ „Orbit“ wirbt auch für einen rechtsradikalen YouTuber, der sich Shlomo Finkelstein nennt: „Schlomo Finkelstein ist ein guter Junge, ich schaue zum Abendmahl mit meinen Niggern immer gerne seine Videos.“ Shlomo Finkelstein tritt auf YouTube als „Die Vulgäre Analyse“ auf und veröffentlich solche Videos: „Es handelt sich beim Islam um eine abscheuliche Todessekte. Die unsere hundertprozentige Verachtung verdient.“ Quelle: YouTube/DieVulgäreAnalyse In beinahe jedem seiner Videos verbrennt er den Koran - uriniert oder brät Schweinefleisch darauf. Ein Angriff auf die religiösen Gefühle aller Menschen mslimischen Glaubens. Zehntausende Fans folgen ihm auf YouTube. Er organisiert ein eigenes, hierarchisch strukturiertes Forum mit über 2.000 Mitgliedern. Eine Welt voller Hass und Verachtung – auf Frauen, den Islam, Andersdenkende. Jan Schürlein war in diesem Forum nicht nur Mitglied, er war einer der obersten Administratoren, bot die Verschleierung der digitalen Spuren des YouTubers an und registrierte dessen Internetadresse. Was wusste er von der rechten Hetze? O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“: Ich habe mit den Inhalten und mit den Sachen, die Schlomo macht, an sich gar nichts zu tun. Ich habe nur administrative Dinge übernommen, die jeder andere Dienstleister für Geld oder entsprechend andere Sachen auch gemacht hätte. Fest steht: Schürlein sieht offenbar kein Problem darin, seine technischen Dienste rechten Hetzern anzubieten. Im Falle des Hackers „Orbit“ war ihm dessen Gesinnung auch bekannt. O-Ton Jan Schürlein, Zeuge im Fall „Orbit“:
Er ist auf jeden Fall ein bisschen rechtsorientiert, würde ich sagen, auf jeden Fall. Natürlich muss man auch bedenken, die AfD ist komplett aus den Leaks rausgelassen worden. Das zeigt ja auch schon mal ‘ne Grundhaltung. Das ist ja kein Zufall. Dann ist es womöglich auch kein Zufall, dass es Politiker wie Helge Lindh besonders schwer getroffen hat. Als er im März 2018 gehackt wird, posten die Angreifer rassistische Nachrichten auf seinen Social-Media-Accounts. O-Ton Helge Lindh, SPD, MdB: Es waren eindeutig fremdenfeindliche, auch islamfeindliche Botschaften damit verbunden. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Ist es bei digitalen Angriffen geblieben? O-Ton Helge Lindh, SPD, MdB: Ist es nicht. Kurz danach bekam ich dann mehrfache Koran- Lieferungen nach Hause und dazu dann noch Hundekot- Attrappen und Urintest. O-Ton Tarik Tesfu, „Jäger & Sammler“: Haben Sie damals auch mal ans Aufhören gedacht? O-Ton Helge Lindh, SPD, MdB: Ich hab für mich die Entscheidung getroffen, mich davon nicht einschüchtern zu lassen. Gleichwohl lässt einen das schlucken und das, was es noch brisanter macht, ist eben, dass es auch Familie, Umfeld, Mitarbeiter mit in Beschlag nimmt. Ich habe 2017 schon ans Aufhören gedacht. Erst recht, weil ich den Eindruck hatte, dass sich niemand für den Angriff aus dem Netz interessiert - weder Polizei noch Politik. Heute steht fest: Die Veröffentlichung Tausender privater Datensätze war politisch motiviert. „Orbit“ ist nicht allein - und ich mache weiter. Abmoderation: Inzwischen hat das Bundeskriminalamt intern bestätigt, dass „Orbit“ im rechten Spektrum Kontakte hatte und in rechten Internetforen unterwegs war. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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