SWR2 Musikstunde "Mehr als ein Ave Maria" Charles Gounod zum 200. Geburtstag (5)

Die Seite wird erstellt Hortensia-Angelika Stumpf
 
WEITER LESEN
SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

„Mehr als ein Ave Maria“
Charles Gounod zum 200. Geburtstag (5)

Mit Christian Schruff

Sendung:    15. Juni 2018
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: SWR 2018

Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung
und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Service:
SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de

Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?

Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und
seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-
Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff
11. Juni – 15. Juni 2018
„Mehr als ein Ave Maria“
Charles Gounod zum 200. Geburtstag (5)

Zum letzten Mal heißt es: „Mehr als ein Ave Maria“. Charles Gounod zum 200.
Geburtstag. Heute die 5. Sendung. Und darin geht’s noch einmal um Gounods
Opern. Willkommen dazu! Ich bin Christian Schruff.

Woran merkt man, dass eine Oper wirklich Erfolg hat, dass sie auch international
angekommen ist? Sicher an Aufführungsstatistiken der Opernhäuser. Aber noch viel
einfacher ist es, zu hören, wo überall die Melodien einer Oper wiederauftauchen?
Der Faust-Walzer von Gounod zum Beispiel und der Soldatenchor aus derselben
Oper gingen einem preußischen Militärkapellmeister auf einem Manöverfeld im
östlichsten Brandenburg durch den Kopf. Natürlich musste sich der 3er-Takt des
Walzers der preußischen Marschdisziplin anpassen. Und marschiert wird nun mal im
geraden Takt. Abmarsch mit Piefke!

Musik 1                    CD 01/011                               2:43
Gottfried Piefke
Margarethenmarsch
(Armeemarsch II, 182)
Luftwaffenmusikkorps 3, Münster
Hans Orterer
B-ton, BCD7109-3, EAN4012116710939, LC07996

1870 zog der Preuße Piefke in den Krieg gegen Frankreich. Gounod floh mit seiner
Familie vor den herannahenden Preußen nach England. Piefke war beteiligt an der
Belagerung von Metz und erkrankte dort. Gounod blieb vier Jahre in England,
komponierte die Trauerkantate „Gallia“. In der beklagte er in einem selbst verfassten
lateinischen Text das Schicksal seiner Heimat.
Um die Oper „Faust“ von Gounod wird es heute gehen, die Oper, die Gounod bis
heute berühmt gemacht hat, ebenso um „Roméo et Juliette“, die andere Erfolgsoper,
acht Jahre später zum ersten Mal über die Bühne gegangen. Zwischen beiden hat

                                                                                    2
Gounod vier andere Opern geschrieben. Ausschnitte daraus habe ich gestern in der
SWR2 Musikstunde gespielt. Sie können ja jede Sendung sieben Tage nachhören –
bei uns im Internet auf SWR2.de. Dort finden Sie übrigens auch zu jeder Sendung
eine Musikliste und das Manuskript zum Download.

Für heute aufgehoben habe ich das Vorspiel zum Zwei-Akter „La Colombe“ . Die
Taube. Die Oper kam in Baden-Baden zum ersten Mal auf die Bühne. Ein heiteres
Spiel um einen verarmten Herrn, der den Vogel hat und eine vornehme Dame, die
genau diese weiße Taube gerne hätte. Denn eine konkurrierende Dame der
Gesellschaft hat einen Papagei. Und dem muss sie etwas entgegensetzen.

Doch Monsieur Horace will seine Taube partout nicht veräußern, obwohl er dringend
Geld bräuchte. Ein Freund beider weiß, dass Horace in Sylvie verliebt ist. Madame
Sylvie solle doch selbst nachfragen, statt ihren Diener zu schicken. Vielleicht würde
Monsieur Horace dann verkaufen. Diese Freund ist ein guter Koch und will im Haus
von Monsieur Horace das Mahl zubereiten zur Begegnung von Sylvie und Horace.
Doch die Händler auf dem Markt haben Horace keinen Kredit mehr gewährt. Es gibt
also nichts zu essen. Es sei denn, man würde den Vogel auftischen.

Tatsächlich kommt am Ende ein gebratener Vogel auf den Tisch. Es ist aber nicht die
Taube des Monsieur Horace, sondern der Papagei der Konkurrentin. Der war ihr
entflogen und landete prompt im Ofen.

Musik 2                    Take 01/ 001                                   3:40
Charles Gounod
La Colombe (Opéra comique)
Prélude 1. Akt
Hallé Orchestra / Mark Elder
OPERA RARA, ORC53, EAN0792938005324, LC00691

Die Oper „Faust“ von Gounod hat deutlich mehr Tiefgang als „La Colombe“. Doch
man darf in ihr nicht allzu viel vom philosophischen Gehalt des Goethe-Dramas
Faust erwarten. Denn die Oper „Faust“ (frz.) – in Deutschland nach der weiblichen
Hauptfigur „Margarethe“ genannt – „Faust“ konkurrierte in Paris mit leichteren

                                                                                        3
Stücken, die mit neuen Bühneneffekten inszeniert waren. Und diese Bühnenschows
lockten viel Publikum!

Schon als junger Rompreis-Stipendiat, war Gounod fasziniert vom Faust. In seiner
Erinnerungen hat er notiert:

„Meine Lieblingszerstreuung war die Lektüre von Goethes „Faust“, in der
französischen Übersetzung natürlich, da ich ja kein Wort Deutsch konnte. Außerdem
las ich mit großem Vergnügen die Gedichte Lamartine’s. ... Auf einem nächtlichen
Ausflug war es, wo die Idee der „Walpurgisnacht“ des Goetheschen „Faust“ zuerst in
mir aufstieg.“

Lange bevor Gounod also überhaupt eine Oper komponiert hatte, war er von diesem
Stoff angetan und wollte ihn auf die Bühne bringen. Gounod hatte nicht Goethes
Original gelesen, sondern eine französische Prosafassung. Gounods Librettist nun
nahm sogar ein Lustspiel über den Fauststoff als Grundlage. Im Zentrum: die Liebe
des alten Wissenschaftlers Faust zur jungen Margarethe, vermittelt durch den Pakt
mit dem Satan.

Der Faust, den wir im ersten Akt erleben, leidet nicht daran, dass seine
Erkenntnisfähigkeit begrenzt ist, er leidet nicht am Menschsein, sondern nur daran,
dass er gealtert ist und keine Lust mehr hat auf Wissenschaft. Er
fragt sich nach dem Sinn des Lebens. Er denkt an Selbstmord, füllt einen Becher mit
Gift.

Mefisto hört ihn, Faust sieht Mefisto aber nicht. Just als Faust den Giftbecher zum
Mund führt, lässt Mephisto draußen einen Chor junger Menschen Gott preisen. Faust
fragt im Rezitativ, was Gott denn noch für ihn tun könne? Und ruft den Satan an. „Zu
mir! Satan! Zu mir!“ Da wird Mefisto sichtbar, ganz ohne Qualm und Schwefeldampf.
Er zeigt ihm das Bild der jungen Marguerite. Faust lässt sich ein auf den Pakt mit
dem Teufel: Seele gegen Jugend.

                                                                                      4
Musik 3                    CD 01/010-011                                 10:42
Charles Gounod
Faust
Duett Faust-Mefistofele, 1. Akt
Mais ce Dieu que peut il pour moi? ...
Me voici! D’où vient ta surprise?
Rolando Villazón, Tenor = Faust
Ildar Abdrazakov, Bass = Mefistofele
Orchestre Métropolitain de Montréal / Yannick Nézet-Séguin
DG, 4796901, EAN0028947969013, LC00173

Die erste Fassung der Oper „Faust“ war übrigens formal noch eine „Opéra comique“.
Das heißt: Gesprochene Dialoge wechselten sich ab mit Arien. Schon diese erste
Fassung hatte großen Erfolg. In den zehn Jahren nach ihrer Premiere öffnete sich
allein im Pariser „Théatre Lyrique“ über 300 Mal der Vorhang zu „Faust“. Und das
sogar, obwohl die wichtige Pariser Opernzutat, das Ballett noch fehlte

„Faust“ wurde bald auch in Deutschland gespielt – in Darmstadt, Dresden und
Stuttgart – später in London und Mailand. 1869, zehn Jahre nach der Premiere der
ersten Fassung, kam die heute gespielte 2. Version heraus. Deren Dialoge sind in
einem Parlando-Stil durchkomponiert. „Opéra lyrique“ ist die neue Bezeichnung. Der
Text hat Gewicht, die Dichtung, nicht mehr die starren Formen und der Pomp wie in
der „Grande Opéra“. Gounod ist eine der Wegbereiter dieser neuen „Opéra lyrique“.

Ich habe Ihnen noch ein zweites Highlight mitgebracht aus Gounods „Faust“, nämlich
die berühmte „Juwelenarie“ der Marguerite aus dem 3. Akt. „Juwelenarie“ heißt sie,
weil Gretchen, die gerade noch am Spinnrad gesessen hat und die alte Weise vom
„König in Thule“ gesungen hat, vor ihrer Türschwelle einen Blumenstrauß und ein
Schmuckkästchen endeckt. Die Blumen stammen von einem heimlichen Verehrer,
die Juwelen aber hat Mefisto hingelegt – als Liebesgabe Fausts.

Marguerite legt die Juwelen an, die Armbänder, Ketten, Ringe und Ohrringe. Ihre
Gefühle hat sie kaum noch im Griff, wünscht sich nur noch, dass Faust sie sehen
könne. - Es singt: Maria Callas.

                                                                                     5
Musik 4                     CD 02/010                          5:30
Charles Gounod
Faust
“Un bouquet” – “Ah, je ris de me voir”
Juwelenarie der Marguerite, 3. Akt
Maria Callas, Sopran
Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire / Georges Prêtre
EMI CLASSICS, 557897-2, EAN0724355789723, LC06646
AD Mai 1963

Gounod hätte übrigens gerne noch eine Wahnsinnsarie komponiert für Marguerite in
der 2. Fassung, aber die hätte die Dimensionen des Werks gesprengt.

Sie hören die SWR 2 Musikstunde. In dieser Woche geht’s um Charles Gounod,
denn am Montag ist sein 200. Geburtstag.

Dass man das urdeutsche Drama „Faust“ auf ein reines Liebesdrama reduziert hat,
in Frankreich, das weckte den Zorn eines Richard Wagner. Gounod war einer von
Wagners Lieblingsfeinden. Wagner prophezeite „Faust“ / „Magarethe“ in Deutschland
einen Misserfolg – und irrte damit gewaltig. „Faust“ schaffte auch bald den Sprung in
die USA. Als in New York 1883 die Metropolitan Opera eröffnet wurde, war Gounods
„Faust“ die festliche Eröffnungs-Premiere.

Die zweite Fassung der Oper „Faust“ bekam dann auch ein Ballett. Der berühmte
„Faust“-Walzer von Gounod war aber schon Teil der ersten Fassung und ist Teil der
Handlung des zweiten Aktes, wenn Faust und Mefisto auf die Kirmes gehen.

Einen Walzer in der Handlung gibt es auch in Gounods Oper „Roméo et Juliette“. Die
junge Julia tanzt und singt ihn im 1. Akt: „Je veux vivre“ –
„Ich will leben wie im Traum

                                                                                    6
Musik 5                    02/001                                          3:31
Charles Gounod
Roméo et Juliette
Walzer der Juliette, 1. Akt
„Je veux vivre“ – Ich will leben wie im Traum
Joan Sutherland, Sopran
Orchester des Royal Opera House Covent Garden
Richard Bonynge
DECCA, 452298-2, EAN 0028945229829, LC00171

„Roméo et Juliette“ kam 1867 auf die Bühne des „Theatre Lyrique“. Im selben Jahr
fand die erste Pariser „Weltausstellung“ statt. Verdi hatte seinen „Don Carlos“ für die
Ausstellung geschrieben, auf Französisch und im Stil der „Grande Opéra“. Gounods
„Roméo et Juliette“ kam damals weitaus besser an beim Publikum. Diese Oper,
Gounods neunte, war sein größter Premieren-Erfolg.

An dem hatten besonders die vier großen Duett-Szenen des Liebespaares großen
Anteil. Nach dieser Oper wurden in Frankreich deutlich mehr Opernduette
komponiert als zuvor. Gounod hatte Maßstäbe gesetzt in der Art, wie er Stimmungen
und menschliche Gefühle unmittelbar in Melodie und Instrumentierung legen konnte.

Hier ein Teil des großen Duetts das den 2. Akt beschließt – die berühmte
Balkonszene.

Musik 6                    CD 01/023-024                                   7:11
Charles Gounod
Roméo et Juliette 9: Duett, 2. Akt
- Ah! Ne fuis pas encore
- Adieu mille fois!
Roberto Alagna, Tenor = Romeo
Angela Gheorghiu, Sopran = Juliette
Chor & Orchestre du Capitole de Toulouse
Michel Plasson
WARNER CLASSICS, 6 40700 2, 5099964070025, LC06646

                                                                                      7
Im Jahr nach Gounods größtem Erfolg kam es zum Krieg zwischen Preußen und
Frankreich. Darin ging das 2. Kaiserreich unter. Das Deutsche Reich wurde – zur
Schmach der Franzosen – in Versailles proklamiert.

Gounod war da in England, lebte in London im Haus der Weldons. Georgina Weldon
war eine wenig erfolgreiche Sängerin, aber dafür sehr ruhmsüchtig. Sie hielt Gounod
wie eine Trophäe. Gounods Ehe litt in dieser Zeit. Und als der Komponist nach vier
Jahren überstürzt das Exil verließ, da blieben manche seiner Werke in Weldons
Händen. Gounod musste sogar prozessieren, um sie zurückzubekommen.

Seine vorletzte Oper „Polyeucte“ behielt Mrs. Weldon als Faustpfand. Gounod
schrieb sie darum in Paris neu. Als er damit fertig war, gewann er den
Gerichtsprozess und bekam seine Noten aus London...

Titelheld ist der christliche Märtyrer Polyeuctus, der in einer Arie eine Quelle besingt.
Diese Arie hat sich als Einziges aus der Oper im Repertoire der Tenöre gehalten –
wie hier bei Roberto Alagna.

Musik 7                     CD 01/017                                 4:50
Charles Gounod
Polyeucte
Source délicieuse
Roberto Alagna, Tenor
London Philharmonic Orchestra
Richard Armstrong
DG, 477 6274 4, EAN028947767244, LC00173

„Neuheiten von gestern“ – so urteilten die Kritiker über Gounods Werke, die er nach
den Londoner Exil noch herausbrachte. Er solle besser aufhören, Opern zu
schreiben. Das riet man dem dennoch hoch angesehenen Komponisten. Und genau
das tat Charles Gounod dann auch nach seiner letzten Oper „Der Tribut von Zamora“
1881. Dar war 63 Jahre alt, also im besten Rentneralter.

                                                                                        8
Aber Gounod hat nicht aufgehört zu komponieren. Er widmete sich bis zum Tod dem,
was seine erste Berufung gewesen war, der geistlichen Musik...

Musik 8                  CD 01/001                                  1:53
Charles Gounod
Le Tribut de Zamora
Danse Grèque
London Symphony Orchestra / Richard Bonynge
DECCA, 4664312, LC00171

Musik aus der letzten Oper von Charles Gounod.

Das war die SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff:
„Mehr als ein Ave Maria. Charles Gounod zum 200. Geburtstag“.
Ich bedanke mich fürs Zuhören.

                                                                              9
Sie können auch lesen