Tagungsband Rechtsextreme & Gaming-Kulturen - Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention - Hass im Netz
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Tagungs- band Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention April 2021
1 Kontakt jugendschutz.net Bahnhofstr. 8a 55116 Mainz Tel.: 06131 3285-20 Fax: 06131 3285-22 buero@jugendschutz.net www.jugendschutz.net www.hass-im-netz.info twitter.com/jugendschutznet twitter.com/hassimnetz Redaktion Dr. Bernd Zywietz Verantwortlich Stefan Glaser Stand April 2021 jugendschutz.net arbeitet mit gesetzlichem Auftrag und ist das gemeinsame Kompetenz- zentrum von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 02
1 Vorwort Ob mit Blick auf das rechtsterroristische Attentat von Innerhalb der Gaming-Branche und -Communitys Halle (Saale) im Jahr 2019, das Bezüge zu entspre- wird selbst gegen diese Phänomene und Bestrebun- chenden Online-Welten aufwies, oder das propagan- gen vorgegangen. Aber auch Akteure des Jugend- distische Computerspiel Heimat Defender, das Ak- schutzes, der Demokratieförderung und Extremis- teure der „Neuen Rechten“ im Sommer 2020 veröf- musprävention sind gefragt. Das war ein weiterer fentlichten: Das Verhältnis zwischen Rechtsextremis- zentraler Aspekt der Tagung, der über die Frage nach mus und Gaming ist komplex – und ein erhebliches Games und Gaming-Kultur als Risiko oder Gefahr für gesellschaftliches Problem. die Entwicklung junger Menschen hinausweist: Wel- che Mittel und Formate stellen Gaming-Kulturen Dabei bezeichnet „Gaming“ weit mehr als Computer- selbst bereit, um Rechtsextremismus zu bekämpfen? spiele(n). Mit eigenen Ästhetiken und eigenen kultu- rellen Codes eröffnet es mannigfache digitale Räume, Diese Publikation fasst Erkenntnisse der Fachtagung in denen Heranwachsende gemeinsam spielen, sich zusammen, bereitet sie auf, vertieft und ergänzt sie austauschen, Welten entwerfen und Identitäten er- mit eigens verfassten Beiträgen von Referent:innen proben. Für Kinder und Jugendliche sind dies wich- der Tagung. Sie tut dies in der Gewissheit, nur einen tige, positive Elemente ihrer eigenen Kultur. Compu- ersten Überblick oder Zugang zu dem Thema zu bie- terspiele sind mehr als nur unterhaltsamer Zeitver- ten. Sowohl die Komplexität des Themenfelds wie treib: Sie geben Gelegenheiten zur Selbsterfahrung dessen Dynamik angesichts rasanter Entwicklungen und dem Entwickeln und Einüben von (nicht nur me- des Mediums Computerspiel und dessen gesell- dialen) Fertigkeiten und Kompetenzen. Zugleich ist schaftlicher, technischer und kulturellen Kontexte Gaming mit Risiken verbunden, z. B. Kostenfallen. machen eine fortlaufende Beschäftigung mit Rechts- Und auch für Rechtsextreme bieten sich, etwa in On- extremen [&] Gaming-Kulturen notwendig. line-Spielen oder auf Spieleplattformen und -foren, viele Ausdrucks- und Ansprachemöglichkeiten, um Wir danken dem Projekt Good Gaming – Well Played sich zu inszenieren und ihr Gedankengut zu verbrei- Democracy, der Amadeu Antonio Stiftung, der For- ten. schungsgruppe Modellprojekte e.V. sowie der Lan- deszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz für Die Online-Fachtagung Rechtsextreme [&] Gaming- ihre Mitarbeit und Unterstützung der Veranstaltung Kulturen: Digitale Spiele und Communitys im Fokus von und Veröffentlichung. Besonderer Dank gilt dem Bun- Propaganda und Prävention (25.-26. November 2020) desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju- hatte das Ziel, zum besseren Verständnis des ambiva- gend für die Förderung im Rahmen des Bundespro- lenten Themenfelds Rechtsextremismus und Gaming gramms „Demokratie leben!“ beizutragen. Das eingeklammerte „&“ im Titel drückt dabei zwei Perspektiven aus: Die auf die Instrumentalisierung vorgefundener Ga- mes, Gaming-Formen, -Symbole und -Plattformen durch Rechtsextreme. Dr. Bernd Zywietz Leiter Bereich Politischer Extremismus Und die auf Antisemitismus, Rassismus, Frauen- und jugendschutz.net Demokratiefeindlichkeit, wie sie eigene Bestandteile von Nischen der Gaming-Kultur bzw. der gaming-na- hen Webkultur sind. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 03
1 Inhalt Vorwort Safe Space Invaders: Eintrittspunkte rechtsextremer Ideologie in die Spielekultur Christian Huberts ............................................................................................................................................................................05 Gaming-Identitäten, Männlichkeit und Antifeminismus Veronika Kracher .............................................................................................................................................................................08 Zum Verhältnis von Gaming und Rechtsterrorismus Karolin Schwarz ..............................................................................................................................................................................11 Prozedurale Rhetorik und Propaganda in Spielen Andreas Rauscher ...........................................................................................................................................................................13 Keinen Pixel den Faschisten: Wie kann antifaschistisches Engagement vom Analogen ins Digitale umgesetzt werden? Marc Wischnewski ..........................................................................................................................................................................18 Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen: Tagungsbericht Sebastian Schneider (unter Mitwirkung von Flemming Ipsen und Bernd Zywietz) .....................................................22 Projekte Through the Darkest of Times: Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Spiel Jörg Friedrich ....................................................................................................................................................................................29 #vrschwrng: Ein interaktives Toolkit gegen Verschwörungstheorien Nicole Rieber ....................................................................................................................................................................................30 Good Gaming – Well Played Democracy Mick Prinz und Viet Hoang ..........................................................................................................................................................31 Autor:innen und Referent:innen der Fachtagung ..................................................................................................... 33 Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 04
1 Safe Space Invaders: Eintrittspunkte rechtsextremer Ideologie in die Spielekultur Christian Huberts Computerspiele sind populär. Es ist schon fast müßig Gaming-Communitys um homogene, isolierte Sozial- geworden, auf die entsprechenden Zahlen hinzuwei- phänomene. Vielmehr sind Games und ihre Gemein- sen. Laut dem Branchenverband „game“ spielen al- schaften überaus vielfältig aufgestellt und auf unter- lein in Deutschland rund 35,4 Millionen Menschen schiedlichste Weise mit dem Rest der Gesellschaft mindestens gelegentlich Computerspiele – über Al- und insbesondere der Pop- und Netzkultur verknüpft. tersgrenzen hinweg und weitgehend unabhängig In der Breite droht der sogenannten „Gamer-Szene“ vom Geschlecht. Wie schon bei der Aneignung von keine Gefahr. populärer Hip-Hop-Musik oder einflussreicher Social- Media-Plattformen wie Instagram ist es also nicht Verfangen kann rechtsextreme Ideologie in der verwunderlich, dass rechtsextreme Akteure und Ver- Spielekultur vor allem dort, wo User:innen auf der Su- bände zunehmend auch die Spielkultur als Hand- che nach Identitätsangeboten sind oder sich maß- lungsfeld ihres vorpolitischen Kampfes um kulturel- geblich über Gaming definieren, wo Wettkampfleis- len Einfluss sehen. tung allein für Anerkennung sorgt, wo Rollenzu- schreibungen und regressive Weltbilder unhinter- So redet Philip Stein, Betreiber des vom Verfassungs- fragt bleiben und wo aus missverstandener Neutrali- schutz beobachteten Vereins „Ein Prozent“ auf der Vi- tät selbst menschenverachtende Inhalte geduldet deoplattform YouTube davon, dass Computerspiele werden. Diese Bedingungen existieren gebündelt „der nächste logische Schritt in unserer Strategie der meist nur in kleinen Subkulturen – dem meist männ- Gegenkultur“ seien. Martin Sellner, Sprecher der lich geprägten „harten Kern“ – der übergeordneten rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) in Öster- Spielekultur. Hier finden rechtsextreme Akteure oft reich und Roland Moritz, Spielentwickler und Kader gute Startbedingungen. der IB, sprechen in einem Interview auf dem Video- portal BitChute von einem „riesigen Markt“, mit dem Die sogenannte „Neue Rechte“ legt in vielen Publika- sich „extrem viele junge Leute“ und „vor allem junge tionen und Äußerungen offen, dass sie eine gedul- Männer“ politisch erreichen und aktivieren lassen. dige Verschiebung im vorpolitischen Diskursraum Rechte Space Invaders, bereit zum Angriff. nach rechts anstrebt. Im Netz manifestiert sich diese „Metapolitik“ etwa in Form der sogenannten „Alt- Normalisierung, Akklimatisation, right pipeline“, wie sie von Forschern und Betroffenen Entmenschlichung beschrieben wird. In Gaming-Communitys wird in ähnlicher Weise rechtsextreme Ideologie und Symbo- Verabschieden muss man sich jedoch von zu simplen lik zunächst normalisiert, Spielende in der Folge an ra- Vorstellungen über die rechtsextreme Unterwande- dikale Communitys wie etwa „4chan“ akklimatisiert rung der Spielekultur. Weder führt ein kausaler Zu- sowie schließlich eine Entmenschlichung politischer sammenhang vom bloßen Spielen eines Computer- Feindbilder zumindest vorbereitet. Die Spielekultur spiels zu einer extremistischen oder vielleicht sogar zeigt sich bislang noch eher anfällig für solche sowohl gewaltbereiten Gesinnung, noch handelt es sich bei direkten wie indirekten Bestrebungen der Radikalisie- rung. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 05
1 Boy Culture vs. Girl Culture sind sie Sabotage durch verbale Attacken und die An- drohung physischer Gewalt ausgesetzt. Auch diese Die Gründe für diese Anfälligkeit sind vielfältig, so- frauenfeindlichen Exklusionsversuche finden ihr an- wohl inhaltlicher als auch struktureller Natur und bil- schlussfähiges Ebenbild im inhärenten Antifeminis- den eher historisch gewachsene, nicht jedoch zwin- mus von rechts außen. gend dem Computerspiel wesentliche Eigenschaften ab. Ebenso handelt es sich nicht um Charakteristika, Weiterhin vermessen und vergleichen populäre Ga- die sich per se dem Rechtsextremismus zuordnen las- mes bis heute ihre Spielenden scheinbar objektiv und sen. Eher geht es um solche, die eine hohe Anschluss- bilden so die frauenfeindliche Grundlage für toxische fähigkeit an rechtsextreme und faschistische Ideolo- Communitys, wie der Rhetorikforscher Christopher A. gien und Positionen erlauben. Zu den in diesem Kon- Paul beschreibt. Ohne hinreichende Moderation und text zuletzt am häufigsten diskutierten Problemfel- eine gelebte Kultur der Wertschätzung etabliert sich dern der Spielekultur gehört ihr langsam schwinden- ein Vorrecht der Stärkeren und vermeintliche Schwä- der Status als exklusive „Boy Culture“ – einer Kultur, che wird offen verachtet sowie sanktioniert. Vorstel- die maßgeblich auf die vermeintlichen Bedürfnisse lungen soldatischer Männlichkeit faschistischer Ak- junger Männer ausgerichtet ist. teure verfangen hier, wie unter anderem der Blick auf #Gamer Gate-Propaganda zeigt. Widerstand gegen Für viele Jahre galten Games als Spielzeug und wur- die „Verweichlichung“ der Spielekultur wird ver- den der damit verknüpften Geschlechtertrennung schwörungsideologisch mit rechtsextremen Erzäh- unterworfen: Jungen spielen Held, Mädchen spielen lungen eines notwendigen Kampfes gegen die „kul- Mutter. Eine durch gezieltes Marketing forcierte Tren- turmarxistische“ Zersetzung westlicher, weißer Ge- nung, deren aktuelle Rudimente wachsender Kritik sellschaften verknüpft. Beispielhaft ist hierfür unter ausgesetzt sind und spürbar aufgebrochen werden. anderem die mittlerweile aufgelöste, rechtsextreme Doch gerade diese progressive Verschiebung der „Vereinigung von Gamern“ Reconquista Germanica, Spielekultur hat – zum Beispiel in Form der #Gamer- die mit gezielten und „gamifizierten“ Troll-Kampag- Gate-Bewegung – einen reaktionären Backlash meist nen die öffentliche Meinung in den Sozialen Medien männlicher Gamer ausgelöst, der von rechtskonserva- beeinflussen wollte. tiven bis rechtsextremen Akteuren vereinnahmt wer- den kann. Beide Gruppen verbinden ihre veralteten (Miss-)Repräsentation Geschlechterbilder und rechte Kommunikationsstra- tegien zielen immer wieder darauf ab, die männliche In rechtskonservativer bis rechtsextremer Ideologie Exklusivität von Games, Comics und Co. zu legitimie- verankerte Feind- und Selbstbilder zeigen sich auch ren. auf Ebene der audiovisuellen Repräsentation von Computerspielen. Da Games meist schnelle Reaktio- Toxische Meritokratie nen und eindeutiges, logisches Agieren erfordern, sind darstellerische Stereotype weitgehender Game- Scheinobjektiviert wird diese Marginalisierung von Design-Standard. Feinde müssen schnell erkannt wer- Frauen und anderen Gruppen, die nicht als „harter den können und kausale Zusammenhänge möglichst Kern“ gelten, in der Regel durch die Behauptung unmissverständlich sein. Dabei basieren diese stereo- mangelnder Leistungsfähigkeit. Aus der statistisch typen Darstellungen meist auf etablierten, realweltli- durchaus noch validen Tatsache, dass Frauen eher so- chen Ressentiments. Männer sind aktive, muskulöse genannte„ Casual Games“ statt „Hardcore Games“ Helden. Frauen sind passive, hilflose Prinzessinnen. spielen, wird eine männliche, auf Spielleistung be- Der Feind sieht fremd aus und spricht eine fremde gründete Deutungshoheit über die Spielkultur abge- Sprache. Auch wenn diese Allgemeinplätze in der leitet. Wo sich Frauen dennoch leistungsfähig zeigen, Spielekultur zunehmend hinterfragt und gebrochen Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 06
1 werden, bieten sie bis heute diskursive Anlässe für Gleichzeitig erscheint in diesem Kontext das lang- metapolitische Bestrebungen von Rechts. An Fragen same Aufschließen der Spielekultur an die Werte ei- nach der Präsenz schwarzer Menschen in Fantasy- ner offenen, diversen und demokratischen Gesell- und Mittelalter-Games oder der aktiven Rolle von schaft als massive politische Verschiebung nach links. Frauen in zwei Weltkriegen entzündet sich regelmä- Erst vor diesem Hintergrund kann sich etwa die ßig rechte Identitätspolitik, die widerspruchsfreie und rechtsextreme Identitäre Bewegung oder der vom vermeintlich authentische Geschichts- und Ge- Verfassungsschutz beobachtete Verein „Ein Prozent“ schlechterbilder fordert. Dass es gerade in Computer- als „gegenkulturelle“ Alternative zu einem vermeint- spielen mit Setting im Zweiten Weltkrieg oft erhebli- lich homogenen, linken Mainstream im Gaming posi- che erinnerungskulturelle Lücken gibt – etwa das tionieren. Aussparen des Holocaust –, erleichtert Rechtsextre- #KeinenPixelDenFaschisten men zusätzlich ihre gezielte Selbstverharmlosung. Wenn die Nationalsozialisten in Strategiespielen le- Es ist also ein umfassender Gesinnungswechsel in der diglich die Fraktion sind, „die zwar niemand mag, die spielenden Zivilgesellschaft notwendig. Die Margina- aber die schicksten Uniformen und die besten Panzer lisierung von Spielergruppen in Gaming-Communitys hat“, wie der offen antifaschistische Spieleentwickler darf nicht weiter geduldet oder durch spielkulturell Jörg Friedrich beschreibt, haben moderne Nazis leich- überholte Leistungsideologien gerechtfertigt wer- tes Spiel bei der Geschichtsklitterung in Gaming-Fo- den. Dazu gehört konsequentes Moderieren von Fo- ren. ren, Gruppen und Chats ebenso wie das Etablieren einer inklusiven, wertschätzenden und unterstützen- Falsche Neutralität den Community-Kultur. Gleichzeitig müssen die pro- gressiven Verschiebungen innerhalb der Spielekultur Alle aufgezeigten Defizite der Spielekultur wären be- als normale Gesellschaftsprozesse sowie Games als reits durch eine klare politische Positionierung aller politische Gegenstände verstanden werden. ihrer Teilnehmenden maßgeblich zu kompensieren. Dem steht allerdings eine nach wie vor ausgeprägte Das schließt eine möglichst große Bandbreite an au- Selbsttrivialisierung und politische Neutralitätsbe- diovisuellen, narrativen und spielmechanischen Re- hauptung entgegen. Als „Spiele“ werden Games ge- präsentationsmustern ein, die keine schwerwiegen- den Lücken lassen und verantwortungsbewusster mi rade von ihren Nutzer:innen meist als „nicht ernst“ Stereotypen und Zuschreibungen umgehen. Die Zeit verstanden und eine politische Dimension damit ka- für politische Neutralität ist vorbei. tegorisch abgestritten. Entwicklerstudios distanzieren sich in ähnlicher Weise selbst von offensichtlichsten Gleichzeitig braucht es starke, antifaschistische Netz- Bezugnahmen auf politische Themen und Ereignisse. werke innerhalb der Spielekultur, die rechtsextreme Populäre Distributionsplattformen wie Steam veröf- Akteure beobachten, ihre Codes entschlüsseln und fentlichen derweil im Namen der politischen Neutrali- vermitteln, öffentliche Sichtbarkeit herstellen und so tät so gut wie alles, was nicht gegen willkürlich defi- auch die Gaming-Branche an ihre Verantwortung für nierte Ausschlusskriterien verstößt. eine freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft erin- nern. #KeinenPixelDenFaschisten leistet hier bereits Diese Schutzbehauptungen lassen sich im Lichte der wichtige Pionierarbeit. Computerspiele befinden sich Tatsache, dass Computerspiele über viele Jahre hin- in stetiger Fortentwicklung und es liegt an uns allen, weg von tatsächlichen Zensurbestrebungen und me- ob sie als Kulturform wachsen und sich möglichst vie- dialer Missrepräsentation betroffen waren, durchaus len Menschen öffnen oder von einer lauten, antide- nachvollziehen. Sie ermöglichen jedoch aktuell rech- mokratischen Minderheit instrumentalisiert und aus- ten Akteuren die wirksame Inszenierung als Verteidi- gebremst werden. Die Spielekultur muss gegen die ger eines unernsten und unpolitischen Status Quo. Space Invaders von rechts außen gewappnet sein. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 07
1 Gaming-Identitäten, Männlichkeit und Antifeminismus Veronika Kracher Die ZDF-Dokumentationsreihe Frontal 21 veröffent- feindlichkeit dort keine Seltenheit ist. Misogynie, lichte im November 2020 das Video Wie Rechte die Queerfeindlichkeit, antisemitische und rassistische Gaming-Kulturen unterwandern. Der Film beschäftigt Schimpfwörter sind in Teamspeak alltäglich. Auf der sich unter anderem mit der antifeministischen Ga- Videospieleplattform Steam finden sich zahlreiche merGate-Kampagne und dem von der rechtsextre- Gruppen und Profile, die Rechtsterroristen wie An- men „Identitären Bewegung“ (IB) veröffentlichten ders Breivik huldigen, Spiele-Streamerinnen berich- Spiel Heimat Defender: Rebellion. Mitte Dezember ten von sexistischen Kommentaren und die misogyne 2020 verzeichnete das Video auf YouTube über GamerGate-Kampagne, die sich maßgeblich gegen 56.000 schlechte Bewertungen. Tenor: Die Dokumen- Frauen aus der Videospielbranche richtete, muss als tation würde die Gaming-Community verallgemei- Ursprung der Alt-Right begriffen werden. nern. Auch in das Video involvierte Personen wurden auf Twitter kritisiert, so der Kulturwissenschaftler und Schon der Anfang von GamerGate zeichnet sich Spieleforscher Christian Huberts für seine Äußerung, durch Frauenhass aus: Der Ex-Partner der Video- dass mitnichten jedem:r Spieler:in rechts, aber der spiele-Entwicklerin Zoe Quinn setzte die Falschbe- Community doch durchaus eine mangelnde Abgren- hauptung in die Welt, Quinn hätte im Austausch für zung nach rechts vorzuwerfen sei. Der populäre positive Reviews des Spiels Depression Quest mit Vi- Gaming-Kanal Space Frogs attestierte der Dokumen- deospiele-Journalisten geschlafen, da das Spiel selbst tation daraufhin in dem Video Games. Medien. Rechte. keinesfalls positive Bewertungen hätte erlangen kön- Irgendwas muss ja dran sein ..., dass die Diskussion um nen. Der Videospiele-Journalismus hätte sich also Verbindungen zwischen Gaming-Szene und radikalen durch eine Frau (Quinn selbst hat sich inzwischen als Rechten eigentlich Schuld daran trage, dass Gamer nicht-binär geoutet) kompromittiert. Quinn wurde anfällig für rechte Propaganda seien: „Der arme Ga- ebenso wie die Spieleentwicklerin Brianna Wu und mer, der jeden Abend alleine World of Warcraft spielt“, die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian, die sich würde sich nämlich persönlich angegriffen fühlen, kritisch zu Sexismus in Spielen äußerte, zu den perso- wenn „gemeine Journalist:innen“ sein „einziges, ge- nifizierten Feindbildern einer feministischen und kul- liebtes Hobby“ durch den Dreck ziehen. turmarxistischen Bedrohung gegen die Gaming- Szene und Videospiele überhaupt stilisiert; als Ein- Nun ist mitnichten jede Person ein Nazi, die nach ei- dringlinge in einen bisher heiligen und friedlichen nem nervigen Tag im Büro bei einer Runde League of Jungs-Spielplatz. Legends oder Counter Strike abschalten möchte. Dass diese „Weiber“ einem das Hobby als „sexistisch“ Aber wer sich über einen längeren Zeitraum in Mul- ruinieren wollten, indem sie auf den Sexismus in Spie- tiplayer-Spielen aufgehalten oder sich dort gar als len und in der Branche aufmerksam machten, nahm Mitglied einer marginalisierten Gruppe geoutet hat, man als Anlass, die eigenen misogynen Ressenti- weiß, dass beiläufige gruppenbezogene Menschen- ments zu legitimieren. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 08
1 Diese wurden sehr schnell von der Alt-Right aufge- unsere eigene Geschichte zu erzählen. Dennoch ist griffen. Männer wie Stefan Molyneux oder Milo Yi- die designierte Person, deren Geschichte ursprüng- annopolous, die später Gallionsfiguren der US-ameri- lich erzählt werden soll, weiß und cis-männlich und kanischen radikalen Rechten werden sollten, entwi- heterosexuell. Genau an dieses Publikum richtet sich ckelten sich rasch zu den treibenden Kräften der Kam- das Spiel. Männlichkeit konstituiert sich über die Ab- pagne. Quinn, Wu und Sarkeesian erhielten unter an- wertung des Nichtmännlichen, die gerade in Spielen, derem Vergewaltigungs- und Morddrohungen, ihre in denen Frauen als dekorative Hintergrundobjekte Adressen wurden veröffentlicht, sie sahen sich ge- oder „Damsel in Distress“ anstatt als eigenständige Fi- zwungen, die Wohnorte zu wechseln. GamerGate guren fungieren, reproduziert wird. hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Karrieren und Le- ben dieser drei Menschen zu zerstören. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die kapita- listischen Verhältnisse, unter denen kulturindustrielle Güter wie Filme oder Videospiele produziert werden, patriarchal sind: Es sind (weiße) Männer, die sich im Besitz von Produktionsmitteln befinden, und demzu- folge auch primär in der Position sind, Narrative zu er- zählen – diese in der Regel aus der eigenen Perspek- tive. Wer es gewohnt ist, Teil einer patriarchalen kul- turellen Hegemonie zu sein, kann Abweichungen von dieser Hegemonie – und somit dem Status Quo – als narzisstische Kränkung empfinden – ganz konkret: Wenn Spiele sich bewusst nicht an weiße, heterose- xuelle Männer wenden und deren Männerfantasien Anita Sarkeesian und ein generischer „Social Justice War- bedienen. rior“ werden mit Eltern eines Gamers verglichen, die ihn weder als Kind noch als Erwachsenen in Ruhe lassen kön- Wenn Gaming-YouTuber wie die „Space Frogs“ davon nen. (Quelle: Reddit) sprechen, dass eine Kritik an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an der Videospielszene Ga- Die Abwertung von Frauen, sei es in beiläufigem mer, die sich ausschließlich über ihre Freizeitbeschäf- Sexismus oder offen artikuliertem Antifeminismus ist tigung definieren (man spielt nicht Videospiele, man nach wie vor ein Problem der Community, über das ist ein Gamer!), den Rechten in die Arme treiben diskutiert werden muss. Populäre Streamer wie Mon- würde, haben sie damit paradoxerweise gar nicht so tanaBlack oder Gronkh äußern sich in ihren Videos Unrecht. Während Zocken inzwischen eine gewaltige abwertend über Frauen. Objektivierende Frauendar- Industrie ist und der Großteil der deutschen Bevölke- stellungen in Spielen existieren nach wie vor. Spiele rung eine Konsole oder einen spieletauglichen PC zu- wie The Last of Us Part II, die ein anderes Narrativ bie- hause hat, ist das Selbstbild „Gamer“ doch nach wie ten wollen als eine Ermächtigungsfantasie für den vor recht spezifisch: Bei Spielen geht es um Können, weißen, heterosexuellen Mann, werden als Affront um das Ergattern von Achievements und um leis- aufgefasst. Der Macher des Spiels, Andrew Druckman, tungsstarke PCs (PC-Nutzer:innen heben sich durch sah sich mit einer Welle an antisemitischen Hasskom- die Verwendung des Begriffs „PC Masterrace“ von als mentaren konfrontiert. „minderwertig“ wahrgenommenen Konsolenbesit- zer:innen ab). An dem Selbstbild „Gamer“ hängt eine Videospiele sind, wie alle Kulturprodukte, Ausdruck ganze Identität, in der alles weiblich Konnotierte nur von Wünschen, Träumen und Ermächtigungsfanta- am Rande vorkommen darf. Dieses Selbstbild geht sien. Gerade Videospiele geben uns die Möglichkeit, oftmals mit einer Opferwahrnehmung einher: Früher Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 09
1 sei man ein von Mädchen und beliebten Jungen ge- als „Du bist ein Sexist“ interpretiert (was, zugegebe- mobbtes „Kellerkind“ gewesen und nun würde man nermaßen, meistens auch stimmt – die meisten Män- erneut attackiert werden – von Feminist:innen und ei- ner sind sexistisch, es ist der Gesellschaft immanent), ner Agenda der „Political Correctness“, die einem ein man fühlt sich attackiert und geht in die Defensive. als „unpolitisch“ wahrgenommenes Spielerlebnis und die Ermächtigungsfantasie als starker Krieger ruiniere. Hier ist der Punkt, an dem sich narzisstische Kränkung von Männern politisieren kann, was zu GamerGate Klassische Gamer-Aussage ist auch: Man hätte kein geführt hat. Daran appelliert auch die Identitäre Be- Problem mit Marginalisierten in der Community, so- wegung mit ihrem Spiel, in dem stereotype Darstel- lange sie einen mit lästigem „Politik-Scheiß“ in Ruhe lungen antifaschistischer und queerer Aktivist:innen lassen würden – also sich mit der Kritik zurückhalte, als Gegner:innen und „NPCs“ fungieren. Die Gegen- wenn man im Voicechat das N-Wort oder homo- wehr gegen quengelige „Spielverderberei“, die einen phobe Sprüche fallen lässt. zwingt, das Selbstbild als Mann und das Selbstbild als Gamer zu hinterfragen, kann tatsächlich die Hinwen- Gamer sind nicht per se faschistisch. Es werden aber, dung zum politischen Kampf gegen progressive In- wie in der Mainstream-Gesellschaft auch, eher dieje- terventionen sein. Irgendwer, so der Tenor von nigen als Problem aufgefasst, die auf gruppenbezo- GamerGate, der von den Identitären wiederholt wird, gene Menschenfeindlichkeit hinweisen und nicht die- muss ja schuld daran sein, dass Spiele plötzlich etwas jenigen, die diese Grenzüberschreitungen begehen. anderes sein wollen als Männerfantasien – Feminis- Das N-Wort sagen ist in Ordnung, eine Debatte über mus und Kulturmarxismus nämlich. Rassismus vom Zaun brechen ist hingegen nervig, unnötig und „PC-Scheiße“. Antifeminismus stellt den Türöffner für Rechtsextre- mismus dar. Gekränkte Männlichkeit bildet den Nähr- Die Weigerung, sich mit gesellschaftlicher Diskrimi- boden für antifeministische Politik – es ist also wenig nierung zu befassen, stellt jedoch auch eine Form des verwunderlich, dass die extreme Rechte in der Machterhalts dar: Man weigert sich, seine eigene Teil- Gaming-Community rekrutiert. Deswegen ist es un- habe an dieser Diskriminierung zu reflektieren. abdinglich, dass die Gaming-Community endlich an- fängt, die eigene Anspruchshaltung zu hinterfragen Politischen Interventionen wird sich versperrt, da Vi- und sich in Selbstkritik zu üben. Die weiße, männliche deospiele „unpolitisch“ bleiben sollten – dass man die Anspruchshaltung, dass man der Nabel der Video- Objektivierung von Frauen (GTA, die aktuelle Debatte spiele-Welt sei und sich auch alles nach einem zu rich- um Cyberpunk 2077 thematisiert spezifisch die Feti- ten habe, ist eines der Grundprobleme der männli- schisierung transgeschlechtlicher Frauen), postapo- chen (Gamer-)Identität. Und vor allem braucht es eine kalyptische Szenarien (Fallout, Stalker, The Last of Us, konsequente Abgrenzung nach rechts. Dann wird es Wasteland ...), der Zweite Weltkrieg (Battlefield 4) oder auch keine Notwendigkeit für ZDF-Dokumentationen Militärszenarien (Mass Effect) zeigt die so ignorante mehr geben, von denen sich Gamer angegriffen füh- wie privilegierte Position gegenüber gesellschaftli- len. cher Gewalt. Als politisch gilt dann nur das Hinterfra- gen des Status Quo und somit der patriarchalen Vor- machtstellung. Da man sich derart mit der eigenen Szene identifi- ziert, wird also auch jede politische Kritik an der Com- munity als persönlicher, politisch motivierter Angriff aufgefasst. Die Aussage „Das Spiel ist sexistisch“ wird Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 10
1 Zum Verhältnis von Gaming und Rechtsterrorismus Karolin Schwarz Nach Amokläufen und rechtsterroristischen Anschlä- verübte und neun Menschen tötete, mit William A. gen allein handelnder junger Männer wird in der öf- aus den USA, der ein halbes Jahr später zwei junge fentlichen Debatte immer wieder auch auf die Rolle Menschen in einer Schule ermordete. Gemeinsam mit von Videospielen sowie Gamer:innen als (imaginierte) anderen Gruppenmitgliedern verbreiteten die beiden Gruppe verwiesen. Insbesondere Egoshooter-Games in der Gruppe, die sie „Anti-Refugee-Club” nannten, wurde in der Vergangenheit immer wieder eine Rolle menschenverachtenden Rassismus. Zudem hatten als Auslöser von Gewalt zugeschrieben. Auch nach die beiden über das Internet Kontakt zu einem weite- den rechtsterroristischen Anschlägen von El Paso und ren jungen Mann, der offenbar eine ähnliche Tat in Halle wurde erneut über die Rolle von Games gespro- Deutschland plante. chen. Lange Zeit konnten sich Rechtsextreme auf Steam Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Es gibt nicht weitestgehend ungestört vernetzen. Das lag vor al- nur eine einzige Gemeinschaft von Gamer:innen. Das lem daran, dass die Inhalte, die von Nutzer:innen ist allein schon der Tatsache geschuldet, dass ein er- selbst erstellt werden, weitestgehend unmoderiert heblicher Anteil der Gesellschaft inzwischen spielt. blieben. Ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, Dass die Täter, in der Regel junge Männer, einen Be- konnten sich Nutzer:innen dort beispielsweise die Na- zug zu Games haben, ist dementsprechend zunächst men von Terroristen als Benutzernamen geben oder nichts Außergewöhnliches, sondern eher üblich für ihre Profile mit neonazistischen Inhalten füllen. Auf die demografische Gruppe, der sie entstammen. Zu- diese Weise werden Gaming-Plattformen von rechts- dem widerspricht die Wissenschaft denen, die be- extremen Akteur:innen genutzt, um mögliche neue haupten, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Anhänger:innen anzusprechen. Noch heute ist das Aggressionen und gewalttätigen Videospielen. Es ist Moderationsteam bei Steam im Vergleich zu denen dennoch wichtig, die Rolle von Games, Gaming-Platt- von Social-Media-Plattformen wie Facebook und formen und bestimmten Gruppierungen von Ga- Google sehr klein. mer:innen im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Rechts- terrorismus zu beleuchten. Neben den Vernetzungsmöglichkeiten von Gaming- Plattformen nutzen Rechtsextreme auch Games als Gaming-Plattformen und menschenverachtende Möglichkeit des Ideologietransfers. Dabei handelt es Games sich um kein vollkommen neues Phänomen. Bereits im Jahr 2000 veröffentlichten Rechtsextreme eine Einige Plattformen, die Games zum Kauf anbieten, antisemitische Version des beliebten Casual Games stellen gleichzeitig Funktionen zur Verfügung, über Moorhuhn, bei dem die Spieler:innen Jagd auf jüdi- die sich Gamer:innen untereinander vernetzen kön- sche Menschen machten. Zuletzt veröffentlichte das nen. Die größte dieser Plattformen ist Steam. Neben rechtsextreme Netzwerk „Ein Prozent“ ein Spiel, in einem umfangreichen Angebot an Games gibt es hier dem die üblichen Feindbilder der Neuen Rechten Foren und Chats für die User:innen. Über eines dieser über Dialoge, Memes und „Witze” bedient werden. Foren vernetzte sich David S. aus Deutschland, der 2016 den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 11
1 Hinzu kommen neuere Games, die der Verherrlichung die Zahl der Morde bisheriger Terroristen zu überbie- rechtsterroristischer und nazistischer Morde dienen. ten. Hier zeigt sich mindestens, dass das Töten auch Nach den Anschlägen von Oslo und Utøya und dem als eine Art Wettkampf begriffen werden soll. Zusätz- Anschlag in Christchurch tauchten beispielsweise lich wähnen sich die Täter in einer Gemeinschaft von Spiele auf, in denen die Anschläge nachgespielt wer- Rechtsterroristen, die sich auch aufeinander und auf den konnten. Die Spiele sind Teil einer regelrechten ihre jeweiligen Taten beziehen. „Fankultur”, die sich um die Terroristen in einigen Ecken des Internets entwickelt hat. Der Bezug auf Games ergibt sich, wie eingangs er- wähnt, auch aus der Zugehörigkeit der Mehrheit der Gamifizierung des Terrors? Täter zu einer eher jungen Altersgruppe. Auch andere popkulturelle oder subkulturelle Bezüge lassen sich Seit den Anschlägen des Jahres 2019 wird vermehrt aus den Äußerungen der Täter entnehmen. Im Fall über eine mögliche Gamifizierung des rechten Ter- des Anschlags von Halle beispielsweise gibt es Be- rors gesprochen. Allerdings sind sich Expert:innen züge zu Animes. Noch offensichtlicher sind jedoch darüber nicht einig. Als Beleg für eine „Gamifizierung” die Bezüge der Täter zu Imageboards und dort kursie- wird beispielsweise angeführt, dass die Täter ihre renden Vokabeln und Memes, die in Pamphleten und Morde über Kameras an einem Helm oder ihrer Schul- Livestreams untergebracht werden und als Nachricht ter ins Internet streamen und so eine Perspektive wie an das von ihnen antizipierte Publikum zu verstehen in einem Egoshooter übernommen würde. Allerdings sind. Die Täter vermitteln durch diese Erwähnungen sind hier mehrere Interpretationen möglich. Den Tä- auch, dass sie zur Gemeinde der Imageboardnut- tern könnte es in erster Linie um den Effekt ihrer zer:innen gehören und erhoffen sich dadurch auch Morde gehen, denen das Publikum live beiwohnen Anerkennung. kann. Festzuhalten bleibt, dass es Bezüge der Terroristen Auch über einige der Dokumente, die die Täter hin- und ihrer Anhängerschaft zu Games, Imageboards terlassen haben, wird in diesem Zusammenhang dis- und Internet- und Subkulturen gibt. Es ist nötig, diese kutiert. Beispielsweise formulierte der Terrorist von Andeutungen und Bezüge zu verstehen, um sie ent- Halle in einem der Dokumente, die er hinterließ, eine sprechend zu- und einordnen und die Taten bewer- Reihe menschenverachtender „Achievements”, in die ten zu können. Dementsprechend ist es nötig, sich er seine möglichen Morde einordnete. Dabei ist aller- mit den Aktivitäten der Terroristen im Netz auseinan- dings zu bedenken, dass die Terroristen beim Verfas- derzusetzen. Nicht Games, Imageboards und andere sen ihrer Schriften auch die möglichen Reaktionen ih- Plattformen machen junge Männer zu Rechtsterroris- rer Publika antizipieren: Zum einen die der expliziten ten. Aber Games sind Werkzeuge, die Rechtsextreme Anhänger:innen von Terroristen sowie der Nutzer:in- gezielt zur Verbreitung ihrer Ideologie und Beschleu- nen von Imageboards, auf denen sie ihre Propagan- nigung der Radikalisierung verschiedener Zielgrup- damaterialien hinterlassen. Zum anderen die allge- pen einsetzen, weil sie Teil der Lebensrealität junger meine Öffentlichkeit. Der Terrorist von Christchurch Männer sind. nimmt beispielsweise explizit Bezug auf die Debatte um Spiele als Auslöser für Gewalt, indem er in seinem Ihr Ziel: Sich einerseits als rebellische Tabubrecher in- Pamphlet behauptet, ein Kinderspiel habe ihn radika- szenieren und andererseits die Opferrolle vorberei- lisiert. ten, welche bei Gegenwind breit ausgespielt wird. Die ironisch-satirische Ebene dient dabei auch als doppel- Zudem werden in den Online-Communitys, in denen ter Boden für die eigene, antidemokratische Propa- die Terroristen verehrt werden, Ranglisten verbreitet ganda. und Memes geteilt, in denen dazu aufgerufen wird, Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 12
1 Prozedurale Rhetorik und Propaganda in Spielen Andreas Rauscher Spiele und rechtsextremes Gedankengut können auf Deren Anhänger stammen aus dem Umfeld der „Alt- vielfältige Weise kombiniert werden. So können Ga- Right“-Bewegung. Sie sehen die skurrilen bis gefährli- mes gezielt für die Verbreitung demokratiefeindli- chen Paranoia-Phantasien des anonymen Informan- cher Ideologien entwickelt oder modifiziert werden. ten namens Q, der 2017 im Image-Board „4chan“ auf- Wie sich am Beispiel der QAnon-Bewegung zeigt, können jedoch auch spielerische Formen des Aktivis- tauchte, als Geheimwissen und reale Handlungsan- mus sowie Spiele in der realen Welt Ähnlichkeiten weisungen an. Angeblich würde die westliche Welt mit kollektiven Verschwörungserzählungen und de- von einer geheimen Verschwörung linksliberaler Eli- ren Ausgestaltung aufweisen. ten kontrolliert, die Kinder in unterirdischen Lagern Dieser Beitrag zeigt, dass bei allen fundamentalen gefangen hielten und weiteren verbrecherischen Ak- Unterschieden in Zielen, Weltanschauung und Ernst- tivitäten nachgingen. haftigkeit Spielen eine Art Fiktionalisierung, ein So- tun-als-ob eigen ist. Anschließend geht es darum, Abgesehen vom realen Gewaltpotential dieser Phan- dass und wie Spiele neben ihren Storys, Themen, Fi- tasien verstören an den Szenarien der QAnon-Bewe- guren und Motiven in ihrem Gameplay bzw. in Re- gung insbesondere die Parallelen zu fiktionalen Ver- geln und Mechaniken, wenn nicht in ihrer Spielehaf- schwörungsszenarien aus der Popkultur der vergan- tigkeit an sich, ein eigenes Missbrauchs- oder Propa- genen Jahrzehnte, die sich ursprünglich als bewuss- gandapotenzial aufweisen. Dabei geht es allerdings tes literarisches und künstlerisches Spiel mit Stereoty- auch um positive pädagogische oder künstlerische pen und Spannungsmechanismen gestalteten: Spiele, die sich z.B. gegen Extremismus und Antisemi- tismus wenden. Und schließlich befasst sich dieser Die QAnon-Erzählungen muten wie eine bizarre, Beitrag mit dem Spiel Heimat Defender. An ihm zeigt missbräuchliche Kombination einer möglichen Viel- sich, wie Rechtsextreme erfolglos und fadenscheinig zahl verschiedener kultureller Werke und Projekte an, versuchten, Games und Game-Stilistik für ihre Gesin- die in künstlerischer Absicht mit unseren Konzepten nungsarbeit zu vereinnahmen. Erkennbar wird, wie von Wirklichkeit spielen, z. B.: gerade Computerspiele vielleicht als selbstbezügliche Szene-Unterhaltung funktionieren. Sie funktionieren • der Science-Fiction- und Mystery-Serie Akte X aus aber nicht ohne weiteres als Propagandaformate, um den 1990er Jahren, vor allem junge Menschen zu erreichen. • der Illuminatus!-Trilogie, eine ironische, postmo- derne Science-Fiction-Phantasie der Schriftsteller Verschwörungserzählungen und „Alternate Robert Shea und Anton Wilson voller Bezüge und Reality Games“ Anspielungen, die Mitte der 1970er Jahre ent- stand, Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 29. Okto- ber 2020 untersuchten der Journalist Jörg Häntzschel, • der medienübergreifenden Aktivitäten kulturkriti- der Bildwissenschaftler Florian Cramer und der Kul- scher Künstlerkollektive wie der italienischen Lu- turtheoretiker mit dem Pseudonym „Wu Ming 1“ die ther-Blissett-Gruppe. sonderbaren Verschwörungsmythen der QAnon-Be- wegung. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 13
1 „Wu Ming 1“, Mitglied der Luther-Blissett-Gruppe, gespielten Rollenspiel mit Würfeln und Papier ver- veröffentlichte 1999 den Roman Q. Dieser erscheint wenden die ARGs eigen gestaltete Websites. mit seinen an die Werke von Thomas Pynchon und Umberto Eco angelehnten absurden Verschwörungs- Prominentes Beispiel ist das ARG-Spiel zur Fernsehse- konglomeraten zur Zeit der Reformation wie ein Sze- rie Lost (2004-2010). Darin unterbrach eine investiga- narien- und Regelbuch für ein paranoides Rollenspiel- tive Journalistin das Diskussionspanel zur Serie auf System. der einflussreichen Comic Convention in den USA und verteilte Flugblätter mit einer Internet-Adresse. Was für manche Teilnehmer wie eine politische Ak- tion wirkte, war eine Art „Werbeaktion“ und mehr noch: Teil des Spiels selbst. Hinter der verbreiteten Webadresse verbargen sich weitere Hinweise für die Spieler:innen. Bei den in die Realität hinein verlängerten Rollenspie- len wird spätestens zum Ende der Kampagne der Schleier der Inszenierung gelüftet und der Vorhang über die Bühne zur spielerischen Selbstdarstellung gesenkt. Das heißt, dass solche Spiele, die in die „Wirklichkeit“ hineinreichen, von vornherein auf eine QAnon-Erzählungen: Mix postmoderner und popkulturel- Art Auflösung ausgerichtet sind. Deutlich wird: Es ist ler Werke und Aktionen. (Screenshot Vortrag von A. Rau- scher, auf Fachtagung Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen). alles nur Spaß oder ein So-tun-als-ob. Das unterschei- det sie von rechtsextremer Propaganda, die in einer Neben der Veröffentlichung ihrer literarischen Werke solchen „Uneigentlichkeit“ ihre ernstgemeinten ideo- realisierte die Luther-Blissett-Gruppe auch künstleri- logischen Botschaften verpackt. sche Interventionen, so genannte „Pranks“ (Streiche). Durch die mediale Verbreitung besonders abstruser Prozedurale Rhetorik Thesen (etwa die zur Kunstshow in Venedig präsen- tierte Ausstellung eines in geheimen Laboren ge- Der Medienwissenschaftler und Gamedesigner Ian züchteten künstlerisch begabten Affen), sollte die Bogost prägte 2007 den Begriff der Prozeduralen Rhe- Sensationsgier der Boulevardmedien entlarvt und die torik. Der Begriff bezeichnet die rhetorischen Implika- Absurdität traditioneller Verschwörungsmythen als tionen spielerischer Prozesse. Ihm zufolge steht Pro- künstlerische Aufklärung umcodiert werden. Ein sol- zedurale Rhetorik für das Entwickeln und Darlegen ches Vorgehen erinnert nicht nur an die kulturelle von Argumenten durch Prozesse. Sie beinhaltet Über- Praxis avantgardistischer Aktivisten der 1960er und zeugung, um auf Meinungen oder Verhalten einzu- 1970er Jahre, sondern auch an sogenannte Alternate- wirken und um effektiv Ideen und Sichtweisen zu ver- Reality-Games (ARGs). mitteln (vgl. Bogost 2007: 28). Die Strategien der klas- sischen Rhetorik, also der „Rede-“ bzw. „Überzeu- ARGs übertragen das Spielen in den realen Raum. In gungskunst“, setzt auf sprachliche Mittel. Prozedurale einer Mischung aus u. a. Aktionstheater und Storytel- Rhetorik greift dagegen auf Prozesse der Dramaturgie ling unter Einbindung des Publikums werden ge- und die Suggestionskraft der Anordnungen von Bild meinsam Rätselaufgaben gelöst. Von den Spielleitern und Ton zurück. ausgelegte Spuren werden gesichert oder Entschei- dungen ausgehandelt. Im Gegensatz zum am Tisch Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 14
1 Die Spieler:innen bekommen durch ihre Handlungs- Wie in positiver Weise prozedurale Rhetorik einge- macht (Agency) das Gefühl, sie übten Einfluss auf das setzt werden kann, zeigt sich im Browserspiel Septem- Spielgeschehen aus. Dabei ist die zu erspielende Aus- ber the 12th, das sich auch als interaktives Kunstwerk sage häufig bereits durch das Arrangement der Algo- bezeichnen ließe. Darin geht es darum, aus der Luft rithmen und die Spielziele vorgegeben. Propagandis- stereotype „arabische“ Terroristen zu bombardieren. tisch ausgerichtete Spiele stehen in einem gewissen Allerdings produziert jeder Treffer nur weitere Terro- grundlegenden Widerspruch zur ästhetischen und risten und werden aufgrund der Spielmechanik un- spielerischen Eigenverantwortung (vgl. Rauscher weigerlich auch Zivilisten Opfer des Beschusses. Das 2020), die offene Spielformen versprechen. Entgegen Spiel September the 12th, eine Kritik am militärischen der Prinzipien des auf Probehandeln basierenden „Krieg gegen den Terrorismus“, ist nicht zu gewinnen freien Spiels ohne feste Zielvorgabe (Paidia) versu- und ist auch nicht dafür gemacht. Die Frustration der chen Spiele mit propagandistischer Rhetorik, im Spielenden ist ein beabsichtigter didaktischer Effekt. Sinne eines bestimmten Ausgangs den Spielverlauf auf ein vorgegebenes Ziel hin zu lenken. Die ideologi- Erfolgt die versuchte Mobilisierung oder Rekrutierung sche Botschaft kann sich so mit den durch Regeln und von Spieler:innen für eine rechtsextreme Agenda bei- Spielmechanik kompetitiv zu erreichenden Gewinn- spielsweise über Foren auf Gaming-Plattformen wie bedingungen (Ludus) ergänzen. Steam, vollziehen sich die rhetorischen Bestrebungen nicht über die Spielmechanik oder das Spielgesche- Ein bedeutendes Beispiel für die ideologische Aus- hen selbst. Sie ereignen sich stattdessen im weiteren richtung eines Spiels durch eine mit dem Spielziel ge- kulturellen Umfeld. Ein derartiges Vorgehen der Alt- koppelte prozedurale Rhetorik ist das kapitalistisch Right-Bewegung prägte auch die sogenannte Gamer- ausgerichtete „Der Gewinner bekommt alles“-Prinzip Gate-Kontroverse. Darin wurden an Politik desinteres- von Monopoly. Im Gegensatz dazu geht es in dem so- sierte Spieler:innen durch frauenfeindliche Hasstira- zialkritischen Vorgängerspiel The Landlord’s Game da- den aufgestachelt, gegen Journalistinnen und Ent- rum, dass Parteien diplomatisch verhandeln müssen. wicklerinnen aufgehetzt und die Spieler:innen für ihre Als kritische Parodie zu Monopoly kann das Brettspiel rechtsextremen Ansichten zu gewinnen versucht. des Satire-Magazins MAD betrachtet werden: Hier ge- winnt, wer sein Vermögen als Erstes verliert. Die für die Aussage eines Spiels grundlegende Ver- knüpfung von Spielablauf und weiter gefasstem kul- Die rhetorischen Absichten rechtsextremer Propa- turellen Kontext wird besonders deutlich am Brett- ganda können auf unterschiedlichen Ebenen der spiel Train (2009) von Brenda Romero. Es handelt sich spielerischen Erfahrung ansetzen. Die Spieleforsche- wie September 12th um ein Serious Game und kommt rin Clara Fernández-Vara unterscheidet in ihrem Mo- nur in Konferenzen und Ausstellungen zum Einsatz. dell zur Spielanalyse zwischen dem Kontext eines Die Aufgabe der Spielenden ist es, gelbe Spielfiguren Spiels, der konkreten Spielerfahrung und den forma- in Zügen unterzubringen und deren Abfahrt zu koor- len Bausteinen wie Regeln und Mechaniken. Darin, dinieren. Die kulturellen Assoziationen des Settings wie das Spiel reglementiert ist, drücken sich kulturelle und des Spieldesigns können eine erste Vorwarnung und soziale Werte aus. Diese können wir ebenso ana- geben. Erst gegen Ende des Spiels stellt sich durch lysieren, identifizieren und kritisieren. Was simuliert das Ziehen einer Karte heraus, dass die Züge in das wird oder nicht, was positiv oder negativ im Regel- Vernichtungslager Auschwitz fahren werden. Diese werk erachtet wird, kann Ausdruck von Ideologie sein Wendung soll verdeutlichen, dass das Spielziel nicht (vgl. Fernández-Vara 2015: 131). im Erfüllen einer Siegbedingung besteht. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 15
1 Stattdessen soll es die Mechanismen instrumentali- Das Umfeld der Entstehung des Spiels lässt die eben- sierter Vernunft zur Zeit des Nationalsozialismus er- falls damit verfolgten Absichten erahnen. Die ge- fahrbar machen. Das Spielziel kann sabotiert werden, wöhnlich zur Markenpflege von medienübergreifen- indem das Spiel abgebrochen wird, sobald der tat- den Franchises wie Herr der Ringe oder Star Wars ein- sächliche „spielerische“ Zweck der Tätigkeit erkannt gesetzten Strategien des Transmedia Storytellings wurde. werden zur Promotion des Spiels adaptiert. So wurde ein YouTube-Video veröffentlicht, in dem einige pro- Aus guten Gründen existiert keine kommerziell ver- minente Personen der neu-rechten Szene Heimat De- triebene Variante von Train. Wäre das Spiel als ge- fender spielen, wobei sie selbst als Spielerfiguren vor- wöhnliches kommerzielles Gesellschaftsspiel erhält- kommen. Weitere Clips zeigten kurze Hintergrundge- lich, wäre nicht nur der Vorwurf zynischer Gewinnbe- schichten zu den Figuren. Auch ein Comic zu Welt strebungen naheliegend. Es ließe sich entgegen sei- und Story von Heimat Defender wurde angeboten. ner ursprünglich aufklärerischen Intention auch durch entsprechende Regeländerungen als analoge Die Spielmechanik und die farbenfrohe Grafik des Ga- Variante des in den 1980er Jahren veröffentlichten mes orientieren sich im deutlichen Gegensatz zu den neonazistischen Game KZ-Manager missbrauchen, in apokalyptisch-agitatorischen Inhalten des Spiels an dem die Spieler ein Konzentrationslager als men- der Optik cartoonhafter Platform Games, z. B. familien- schenverachtende Modifikation einer Betriebssimula- freundlichen Spielen wie Super Mario Bros. Das Game- tion leiten. play entspricht nicht den Konventionen eines martia- lischen Shooters, die man angesichts der neu-rechten In Videospielen mit propagandistischen Absichten Phantasien vom apokalyptischen Ausnahmezustand können unterschiedliche Ebenen, Spiel- und Gestal- vielleicht erwarten würde. Stattdessen entspricht es tungsweisen bewusst vermischt werden, um den den deutlich verspielteren Mechaniken des Jump-'n'- rechtsextremen Propagandaaussagen ein modernes Run-Genres. Dabei erinnern sie häufig an Zeichen- Erscheinungsbild zu verleihen. Eine reflektierte Prä- trickfilme, auch was die fantastischen Fähigkeiten be- ventionsarbeit sollte daher das Zusammenspiel von trifft. Der Videospiel-Held Super Mario aus der gleich- Spielmechanik, ästhetischer Gestaltung und kulturel- namigen Nintendo-Reihe kann wie Lewis Carrolls ler Spielepraxis differenziert im Blick behalten. Dies Alice im Wunderland mit Hilfe von magischen Pilzen etwa, um die entsprechende analytische und kritische seine Größe verändern und der Affe Donkey Kong Medienkompetenz zu befördern, die die notwendi- bringt seine Gegner mit Bananen und Fässern aus gen u. a. gamingkulturellen Kontexte mitberücksichti- dem Gleichgewicht. gen. Auch die Protagonisten von Heimat Defender sind von Missglückte „Platform“-Propaganda animierten Bienenschwärmen als Schutzschild und segelflugtauglichen Hüten umgeben. Sie und ihre Ge- Ein Beispiel für die Kombination von Game und genspieler lassen an den verfolgten ideologischen In- rechtsextremer Propaganda bietet Heimat Defender. tentionen allerdings wenig Zweifel: Die vier bekann- Das Jump 'n' Run-Spiel wurde von Vertretern der ten Vertreter der Neuen Rechten kämpfen sich als Neuen Rechten und der „Identitären Bewegung“ (IB) Avatare durch Heerscharen von Robotern, die als An- entwickelt. Es wurde 2020 veröffentlicht und präsen- tifa- und LGBTQ-Automatons gekennzeichnet wer- tiert apokalyptische Verschwörungsphantasien und den. standardisierte Tiraden gegen linksliberale Positio- nen, Migration und die bürgerliche Zivilgesellschaft. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 16
1 Als Boss-Gegner treten am Ende der einzelnen Levels Entsprechend der Verschwörungsphantasien der kaum kaschierte Karikaturen der Bundeskanzlerin An- Neuen Rechten hat die sogenannte Globo-Homo- gela Merkel und von Bundesaußenminister Heiko Corporation das europäische Abendland im Auftrag Maas, des TV-Entertainers Jan Böhmermann oder des von jüdischen New Yorker Philanthropen mit Antifa- Millionärs und Philanthropen George Soros auf. Die Truppen, TV-Satirikern und Migrant:innen überrannt. antisemitischen Verschwörungstheorien um Soros Während sich der Großteil des Cyberpunks in Litera- werden nicht explizit genannt, sondern ergeben sich tur, Spielen oder Filmen durch eine vielschichtige me- indirekt aus den Anspielungen, die ihn als sinisteren diale Rhetorik der Doppeldeutigkeiten und der Zwie- Drahtzieher im Hintergrund präsentieren. Die Darstel- spältigkeit auszeichnet, beschränkt sich das Spiel auf lung der Gegner als in Fabriken umgewandelte Robo- das Standardrepertoire neu-rechter Feindbilder und terwesen soll auf der audiovisuellen Ebene die impli- Slogans. Statt sich allzu angestrengt über die so aus- zierte Aussage der prozeduralen Rhetorik entschär- gelegten Kontroversköder zu empören und ihnen da- fen, die auf der gedanklichen, ideologischen Ebene mit den erhofften Marketing-Effekt zu liefern, ver- eindeutig ist. Die Spielfiguren treten als „Wider- deutlicht eine Analyse der prozeduralen Rhetorik im standshelden“ dabei formal nicht gegen die von der Fall von Heimat Defender anschaulich, inwiefern die Handlung gemeinten Friedens-, LGBTQ- und Antifa- pseudo-ironische grafische Darstellung und das Ga- Aktivist:innen in menschlicher Gestalt an, sondern ge- meplay eines Jump 'n' Run als reine Verpackung für gen Roboter mit Regenbogenfahnen und Kampffahr- die eindeutigen ideologischen Aussagen des Inhalts zeuge, die von Hammer- und Sichel-Symbolen umge- dienen sollen. Das Ergebnis erinnert weniger an eine ben sind. Prominente Akteure des rechten Rands wie rechtsextreme Cyberpunk-Variante, sondern vielmehr Björn Höcke und Martin Lichtmesz treten in einzelnen an eine verunglückte Parodie voller Insider-Jokes, in Spielabschnitten als Unterstützer auf, die die Spielen- der sich die demokratiefeindliche Gesinnung Bahn den bzw. ihre Figuren mit Extra-Fähigkeiten und neu- bricht. rechten Allgemeinplätzen und Insider-Witzen versor- gen. Ob sich jugendliche Gamer:innen tatsächlich für die als Extra vergebenen Promi-Trivia-Information be- geistern (z. B. dass sich der Leiter des rechtsextremen Literatur: Antaios-Verlags und seine Gattin im gewöhnlichen Alltag siezen), sei dahingestellt. Bogost, Ian: Persuasive Games. The Expressive Power of Video Games. Cambridge: MIT Press 2007. S. 28. Inhaltlich versucht das Spiel Ansätze des dystopi- schen Cyberpunk-Genres umzucodieren, wie sie sich Fernández-Vara, Clara: Introduction to Game Analysis. in der Science-Fiction-Literatur der 1980er Jahre so- New York: Routledge 2015. wie in den stilisierten, von Neonbeleuchtung und düsteren urbanen Landschaften geprägten Stadtbil- Rauscher, Andreas: „Playing Propaganda. Die Games- dern in Filmen wie Blade Runner oder Matrix finden. Appropriationen des IS“. In: Bernd Zywietz (Hg.): Pro- Doch im Unterschied zu deren komplexen Reflexion paganda des ‚Islamischen Staats‘. Formen und Formate. um das Verhältnis von Realität und Simulation sowie Wiesbaden: Springer Verlag 2020. S. 161-184. von Gesellschaft und Technologie beschränkt sich das Spiel auf den geradlinigen Kampf gegen einen multinationalen Konzern. Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen 17
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