Tagungsband Rechtsextreme & Gaming-Kulturen - Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention - Hass im Netz

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Tagungsband Rechtsextreme & Gaming-Kulturen - Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention - Hass im Netz
Tagungs-
  band
  Rechtsextreme
  [&] Gaming-Kulturen
   Digitale Spiele und Communitys im
   Fokus von Propaganda und Prävention

                               April 2021
Tagungsband Rechtsextreme & Gaming-Kulturen - Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention - Hass im Netz
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Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen    02
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Vorwort
Ob mit Blick auf das rechtsterroristische Attentat von   Innerhalb der Gaming-Branche und -Communitys
Halle (Saale) im Jahr 2019, das Bezüge zu entspre-       wird selbst gegen diese Phänomene und Bestrebun-
chenden Online-Welten aufwies, oder das propagan-        gen vorgegangen. Aber auch Akteure des Jugend-
distische Computerspiel Heimat Defender, das Ak-         schutzes, der Demokratieförderung und Extremis-
teure der „Neuen Rechten“ im Sommer 2020 veröf-          musprävention sind gefragt. Das war ein weiterer
fentlichten: Das Verhältnis zwischen Rechtsextremis-     zentraler Aspekt der Tagung, der über die Frage nach
mus und Gaming ist komplex – und ein erhebliches         Games und Gaming-Kultur als Risiko oder Gefahr für
gesellschaftliches Problem.                              die Entwicklung junger Menschen hinausweist: Wel-
                                                         che Mittel und Formate stellen Gaming-Kulturen
Dabei bezeichnet „Gaming“ weit mehr als Computer-        selbst bereit, um Rechtsextremismus zu bekämpfen?
spiele(n). Mit eigenen Ästhetiken und eigenen kultu-
rellen Codes eröffnet es mannigfache digitale Räume,     Diese Publikation fasst Erkenntnisse der Fachtagung
in denen Heranwachsende gemeinsam spielen, sich          zusammen, bereitet sie auf, vertieft und ergänzt sie
austauschen, Welten entwerfen und Identitäten er-        mit eigens verfassten Beiträgen von Referent:innen
proben. Für Kinder und Jugendliche sind dies wich-       der Tagung. Sie tut dies in der Gewissheit, nur einen
tige, positive Elemente ihrer eigenen Kultur. Compu-     ersten Überblick oder Zugang zu dem Thema zu bie-
terspiele sind mehr als nur unterhaltsamer Zeitver-      ten. Sowohl die Komplexität des Themenfelds wie
treib: Sie geben Gelegenheiten zur Selbsterfahrung       dessen Dynamik angesichts rasanter Entwicklungen
und dem Entwickeln und Einüben von (nicht nur me-        des Mediums Computerspiel und dessen gesell-
dialen) Fertigkeiten und Kompetenzen. Zugleich ist       schaftlicher, technischer und kulturellen Kontexte
Gaming mit Risiken verbunden, z. B. Kostenfallen.        machen eine fortlaufende Beschäftigung mit Rechts-
Und auch für Rechtsextreme bieten sich, etwa in On-      extremen [&] Gaming-Kulturen notwendig.
line-Spielen oder auf Spieleplattformen und -foren,
viele Ausdrucks- und Ansprachemöglichkeiten, um          Wir danken dem Projekt Good Gaming – Well Played
sich zu inszenieren und ihr Gedankengut zu verbrei-      Democracy, der Amadeu Antonio Stiftung, der For-
ten.                                                     schungsgruppe Modellprojekte e.V. sowie der Lan-
                                                         deszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz für
Die Online-Fachtagung Rechtsextreme [&] Gaming-          ihre Mitarbeit und Unterstützung der Veranstaltung
Kulturen: Digitale Spiele und Communitys im Fokus von    und Veröffentlichung. Besonderer Dank gilt dem Bun-
Propaganda und Prävention (25.-26. November 2020)        desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
hatte das Ziel, zum besseren Verständnis des ambiva-     gend für die Förderung im Rahmen des Bundespro-
lenten Themenfelds Rechtsextremismus und Gaming          gramms „Demokratie leben!“
beizutragen. Das eingeklammerte „&“ im Titel drückt
dabei zwei Perspektiven aus:

Die auf die Instrumentalisierung vorgefundener Ga-
mes, Gaming-Formen, -Symbole und -Plattformen
durch Rechtsextreme.                                     Dr. Bernd Zywietz
                                                         Leiter Bereich Politischer Extremismus
Und die auf Antisemitismus, Rassismus, Frauen- und
                                                         jugendschutz.net
Demokratiefeindlichkeit, wie sie eigene Bestandteile
von Nischen der Gaming-Kultur bzw. der gaming-na-
hen Webkultur sind.

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                   03
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    Inhalt

    Vorwort

    Safe Space Invaders: Eintrittspunkte rechtsextremer Ideologie in die Spielekultur
    Christian Huberts ............................................................................................................................................................................05

    Gaming-Identitäten, Männlichkeit und Antifeminismus
    Veronika Kracher .............................................................................................................................................................................08

    Zum Verhältnis von Gaming und Rechtsterrorismus
    Karolin Schwarz ..............................................................................................................................................................................11

    Prozedurale Rhetorik und Propaganda in Spielen
    Andreas Rauscher ...........................................................................................................................................................................13

    Keinen Pixel den Faschisten: Wie kann antifaschistisches Engagement
    vom Analogen ins Digitale umgesetzt werden?
    Marc Wischnewski ..........................................................................................................................................................................18

    Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen: Tagungsbericht
    Sebastian Schneider (unter Mitwirkung von Flemming Ipsen und Bernd Zywietz) .....................................................22

    Projekte

    Through the Darkest of Times: Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Spiel
    Jörg Friedrich ....................................................................................................................................................................................29

    #vrschwrng: Ein interaktives Toolkit gegen Verschwörungstheorien
    Nicole Rieber ....................................................................................................................................................................................30

    Good Gaming – Well Played Democracy
    Mick Prinz und Viet Hoang ..........................................................................................................................................................31

    Autor:innen und Referent:innen der Fachtagung ..................................................................................................... 33

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Safe Space Invaders: Eintrittspunkte rechtsextremer
Ideologie in die Spielekultur
Christian Huberts

Computerspiele sind populär. Es ist schon fast müßig     Gaming-Communitys um homogene, isolierte Sozial-
geworden, auf die entsprechenden Zahlen hinzuwei-        phänomene. Vielmehr sind Games und ihre Gemein-
sen. Laut dem Branchenverband „game“ spielen al-         schaften überaus vielfältig aufgestellt und auf unter-
lein in Deutschland rund 35,4 Millionen Menschen         schiedlichste Weise mit dem Rest der Gesellschaft
mindestens gelegentlich Computerspiele – über Al-        und insbesondere der Pop- und Netzkultur verknüpft.
tersgrenzen hinweg und weitgehend unabhängig             In der Breite droht der sogenannten „Gamer-Szene“
vom Geschlecht. Wie schon bei der Aneignung von          keine Gefahr.
populärer Hip-Hop-Musik oder einflussreicher Social-
Media-Plattformen wie Instagram ist es also nicht        Verfangen kann rechtsextreme Ideologie in der
verwunderlich, dass rechtsextreme Akteure und Ver-       Spielekultur vor allem dort, wo User:innen auf der Su-
bände zunehmend auch die Spielkultur als Hand-           che nach Identitätsangeboten sind oder sich maß-
lungsfeld ihres vorpolitischen Kampfes um kulturel-      geblich über Gaming definieren, wo Wettkampfleis-
len Einfluss sehen.                                      tung allein für Anerkennung sorgt, wo Rollenzu-
                                                         schreibungen und regressive Weltbilder unhinter-
So redet Philip Stein, Betreiber des vom Verfassungs-    fragt bleiben und wo aus missverstandener Neutrali-
schutz beobachteten Vereins „Ein Prozent“ auf der Vi-    tät selbst menschenverachtende Inhalte geduldet
deoplattform YouTube davon, dass Computerspiele          werden. Diese Bedingungen existieren gebündelt
„der nächste logische Schritt in unserer Strategie der   meist nur in kleinen Subkulturen – dem meist männ-
Gegenkultur“ seien. Martin Sellner, Sprecher der         lich geprägten „harten Kern“ – der übergeordneten
rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) in Öster-       Spielekultur. Hier finden rechtsextreme Akteure oft
reich und Roland Moritz, Spielentwickler und Kader       gute Startbedingungen.
der IB, sprechen in einem Interview auf dem Video-
portal BitChute von einem „riesigen Markt“, mit dem      Die sogenannte „Neue Rechte“ legt in vielen Publika-
sich „extrem viele junge Leute“ und „vor allem junge     tionen und Äußerungen offen, dass sie eine gedul-
Männer“ politisch erreichen und aktivieren lassen.       dige Verschiebung im vorpolitischen Diskursraum
Rechte Space Invaders, bereit zum Angriff.               nach rechts anstrebt. Im Netz manifestiert sich diese
                                                         „Metapolitik“ etwa in Form der sogenannten „Alt-
Normalisierung, Akklimatisation,                         right pipeline“, wie sie von Forschern und Betroffenen
Entmenschlichung                                         beschrieben wird. In Gaming-Communitys wird in
                                                         ähnlicher Weise rechtsextreme Ideologie und Symbo-
Verabschieden muss man sich jedoch von zu simplen        lik zunächst normalisiert, Spielende in der Folge an ra-
Vorstellungen über die rechtsextreme Unterwande-         dikale Communitys wie etwa „4chan“ akklimatisiert
rung der Spielekultur. Weder führt ein kausaler Zu-      sowie schließlich eine Entmenschlichung politischer
sammenhang vom bloßen Spielen eines Computer-            Feindbilder zumindest vorbereitet. Die Spielekultur
spiels zu einer extremistischen oder vielleicht sogar    zeigt sich bislang noch eher anfällig für solche sowohl
gewaltbereiten Gesinnung, noch handelt es sich bei       direkten wie indirekten Bestrebungen der Radikalisie-
                                                         rung.

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Boy Culture vs. Girl Culture                              sind sie Sabotage durch verbale Attacken und die An-
                                                          drohung physischer Gewalt ausgesetzt. Auch diese
Die Gründe für diese Anfälligkeit sind vielfältig, so-    frauenfeindlichen Exklusionsversuche finden ihr an-
wohl inhaltlicher als auch struktureller Natur und bil-   schlussfähiges Ebenbild im inhärenten Antifeminis-
den eher historisch gewachsene, nicht jedoch zwin-        mus von rechts außen.
gend dem Computerspiel wesentliche Eigenschaften
ab. Ebenso handelt es sich nicht um Charakteristika,      Weiterhin vermessen und vergleichen populäre Ga-
die sich per se dem Rechtsextremismus zuordnen las-       mes bis heute ihre Spielenden scheinbar objektiv und
sen. Eher geht es um solche, die eine hohe Anschluss-     bilden so die frauenfeindliche Grundlage für toxische
fähigkeit an rechtsextreme und faschistische Ideolo-      Communitys, wie der Rhetorikforscher Christopher A.
gien und Positionen erlauben. Zu den in diesem Kon-       Paul beschreibt. Ohne hinreichende Moderation und
text zuletzt am häufigsten diskutierten Problemfel-       eine gelebte Kultur der Wertschätzung etabliert sich
dern der Spielekultur gehört ihr langsam schwinden-       ein Vorrecht der Stärkeren und vermeintliche Schwä-
der Status als exklusive „Boy Culture“ – einer Kultur,    che wird offen verachtet sowie sanktioniert. Vorstel-
die maßgeblich auf die vermeintlichen Bedürfnisse         lungen soldatischer Männlichkeit faschistischer Ak-
junger Männer ausgerichtet ist.                           teure verfangen hier, wie unter anderem der Blick auf
                                                          #Gamer Gate-Propaganda zeigt. Widerstand gegen
Für viele Jahre galten Games als Spielzeug und wur-       die „Verweichlichung“ der Spielekultur wird ver-
den der damit verknüpften Geschlechtertrennung            schwörungsideologisch mit rechtsextremen Erzäh-
unterworfen: Jungen spielen Held, Mädchen spielen         lungen eines notwendigen Kampfes gegen die „kul-
Mutter. Eine durch gezieltes Marketing forcierte Tren-    turmarxistische“ Zersetzung westlicher, weißer Ge-
nung, deren aktuelle Rudimente wachsender Kritik          sellschaften verknüpft. Beispielhaft ist hierfür unter
ausgesetzt sind und spürbar aufgebrochen werden.          anderem die mittlerweile aufgelöste, rechtsextreme
Doch gerade diese progressive Verschiebung der            „Vereinigung von Gamern“ Reconquista Germanica,
Spielekultur hat – zum Beispiel in Form der #Gamer-       die mit gezielten und „gamifizierten“ Troll-Kampag-
Gate-Bewegung – einen reaktionären Backlash meist         nen die öffentliche Meinung in den Sozialen Medien
männlicher Gamer ausgelöst, der von rechtskonserva-       beeinflussen wollte.
tiven bis rechtsextremen Akteuren vereinnahmt wer-
den kann. Beide Gruppen verbinden ihre veralteten         (Miss-)Repräsentation
Geschlechterbilder und rechte Kommunikationsstra-
tegien zielen immer wieder darauf ab, die männliche       In rechtskonservativer bis rechtsextremer Ideologie
Exklusivität von Games, Comics und Co. zu legitimie-      verankerte Feind- und Selbstbilder zeigen sich auch
ren.                                                      auf Ebene der audiovisuellen Repräsentation von
                                                          Computerspielen. Da Games meist schnelle Reaktio-
Toxische Meritokratie                                     nen und eindeutiges, logisches Agieren erfordern,
                                                          sind darstellerische Stereotype weitgehender Game-
Scheinobjektiviert wird diese Marginalisierung von        Design-Standard. Feinde müssen schnell erkannt wer-
Frauen und anderen Gruppen, die nicht als „harter         den können und kausale Zusammenhänge möglichst
Kern“ gelten, in der Regel durch die Behauptung           unmissverständlich sein. Dabei basieren diese stereo-
mangelnder Leistungsfähigkeit. Aus der statistisch        typen Darstellungen meist auf etablierten, realweltli-
durchaus noch validen Tatsache, dass Frauen eher so-      chen Ressentiments. Männer sind aktive, muskulöse
genannte„ Casual Games“ statt „Hardcore Games“            Helden. Frauen sind passive, hilflose Prinzessinnen.
spielen, wird eine männliche, auf Spielleistung be-       Der Feind sieht fremd aus und spricht eine fremde
gründete Deutungshoheit über die Spielkultur abge-        Sprache. Auch wenn diese Allgemeinplätze in der
leitet. Wo sich Frauen dennoch leistungsfähig zeigen,     Spielekultur zunehmend hinterfragt und gebrochen

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werden, bieten sie bis heute diskursive Anlässe für       Gleichzeitig erscheint in diesem Kontext das lang-
metapolitische Bestrebungen von Rechts. An Fragen         same Aufschließen der Spielekultur an die Werte ei-
nach der Präsenz schwarzer Menschen in Fantasy-           ner offenen, diversen und demokratischen Gesell-
und Mittelalter-Games oder der aktiven Rolle von          schaft als massive politische Verschiebung nach links.
Frauen in zwei Weltkriegen entzündet sich regelmä-        Erst vor diesem Hintergrund kann sich etwa die
ßig rechte Identitätspolitik, die widerspruchsfreie und   rechtsextreme Identitäre Bewegung oder der vom
vermeintlich authentische Geschichts- und Ge-             Verfassungsschutz beobachtete Verein „Ein Prozent“
schlechterbilder fordert. Dass es gerade in Computer-     als „gegenkulturelle“ Alternative zu einem vermeint-
spielen mit Setting im Zweiten Weltkrieg oft erhebli-     lich homogenen, linken Mainstream im Gaming posi-
che erinnerungskulturelle Lücken gibt – etwa das          tionieren.
Aussparen des Holocaust –, erleichtert Rechtsextre-
                                                          #KeinenPixelDenFaschisten
men zusätzlich ihre gezielte Selbstverharmlosung.
Wenn die Nationalsozialisten in Strategiespielen le-      Es ist also ein umfassender Gesinnungswechsel in der
diglich die Fraktion sind, „die zwar niemand mag, die     spielenden Zivilgesellschaft notwendig. Die Margina-
aber die schicksten Uniformen und die besten Panzer       lisierung von Spielergruppen in Gaming-Communitys
hat“, wie der offen antifaschistische Spieleentwickler    darf nicht weiter geduldet oder durch spielkulturell
Jörg Friedrich beschreibt, haben moderne Nazis leich-     überholte Leistungsideologien gerechtfertigt wer-
tes Spiel bei der Geschichtsklitterung in Gaming-Fo-      den. Dazu gehört konsequentes Moderieren von Fo-
ren.                                                      ren, Gruppen und Chats ebenso wie das Etablieren
                                                          einer inklusiven, wertschätzenden und unterstützen-
Falsche Neutralität                                       den Community-Kultur. Gleichzeitig müssen die pro-
                                                          gressiven Verschiebungen innerhalb der Spielekultur
Alle aufgezeigten Defizite der Spielekultur wären be-     als normale Gesellschaftsprozesse sowie Games als
reits durch eine klare politische Positionierung aller    politische Gegenstände verstanden werden.
ihrer Teilnehmenden maßgeblich zu kompensieren.
Dem steht allerdings eine nach wie vor ausgeprägte        Das schließt eine möglichst große Bandbreite an au-
Selbsttrivialisierung und politische Neutralitätsbe-      diovisuellen, narrativen und spielmechanischen Re-
hauptung entgegen. Als „Spiele“ werden Games ge-          präsentationsmustern ein, die keine schwerwiegen-
                                                          den Lücken lassen und verantwortungsbewusster mi
rade von ihren Nutzer:innen meist als „nicht ernst“
                                                          Stereotypen und Zuschreibungen umgehen. Die Zeit
verstanden und eine politische Dimension damit ka-
                                                          für politische Neutralität ist vorbei.
tegorisch abgestritten. Entwicklerstudios distanzieren
sich in ähnlicher Weise selbst von offensichtlichsten     Gleichzeitig braucht es starke, antifaschistische Netz-
Bezugnahmen auf politische Themen und Ereignisse.         werke innerhalb der Spielekultur, die rechtsextreme
Populäre Distributionsplattformen wie Steam veröf-        Akteure beobachten, ihre Codes entschlüsseln und
fentlichen derweil im Namen der politischen Neutrali-     vermitteln, öffentliche Sichtbarkeit herstellen und so
tät so gut wie alles, was nicht gegen willkürlich defi-   auch die Gaming-Branche an ihre Verantwortung für
nierte Ausschlusskriterien verstößt.                      eine freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft erin-
                                                          nern. #KeinenPixelDenFaschisten leistet hier bereits
Diese Schutzbehauptungen lassen sich im Lichte der        wichtige Pionierarbeit. Computerspiele befinden sich
Tatsache, dass Computerspiele über viele Jahre hin-       in stetiger Fortentwicklung und es liegt an uns allen,
weg von tatsächlichen Zensurbestrebungen und me-          ob sie als Kulturform wachsen und sich möglichst vie-
dialer Missrepräsentation betroffen waren, durchaus       len Menschen öffnen oder von einer lauten, antide-
nachvollziehen. Sie ermöglichen jedoch aktuell rech-      mokratischen Minderheit instrumentalisiert und aus-
ten Akteuren die wirksame Inszenierung als Verteidi-      gebremst werden. Die Spielekultur muss gegen die
ger eines unernsten und unpolitischen Status Quo.         Space Invaders von rechts außen gewappnet sein.

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Gaming-Identitäten, Männlichkeit und Antifeminismus
Veronika Kracher

Die ZDF-Dokumentationsreihe Frontal 21 veröffent-          feindlichkeit dort keine Seltenheit ist. Misogynie,
lichte im November 2020 das Video Wie Rechte die           Queerfeindlichkeit, antisemitische und rassistische
Gaming-Kulturen unterwandern. Der Film beschäftigt         Schimpfwörter sind in Teamspeak alltäglich. Auf der
sich unter anderem mit der antifeministischen Ga-          Videospieleplattform Steam finden sich zahlreiche
merGate-Kampagne und dem von der rechtsextre-              Gruppen und Profile, die Rechtsterroristen wie An-
men „Identitären Bewegung“ (IB) veröffentlichten           ders Breivik huldigen, Spiele-Streamerinnen berich-
Spiel Heimat Defender: Rebellion. Mitte Dezember           ten von sexistischen Kommentaren und die misogyne
2020 verzeichnete das Video auf YouTube über               GamerGate-Kampagne, die sich maßgeblich gegen
56.000 schlechte Bewertungen. Tenor: Die Dokumen-          Frauen aus der Videospielbranche richtete, muss als
tation würde die Gaming-Community verallgemei-             Ursprung der Alt-Right begriffen werden.
nern. Auch in das Video involvierte Personen wurden
auf Twitter kritisiert, so der Kulturwissenschaftler und   Schon der Anfang von GamerGate zeichnet sich
Spieleforscher Christian Huberts für seine Äußerung,       durch Frauenhass aus: Der Ex-Partner der Video-
dass mitnichten jedem:r Spieler:in rechts, aber der        spiele-Entwicklerin Zoe Quinn setzte die Falschbe-
Community doch durchaus eine mangelnde Abgren-             hauptung in die Welt, Quinn hätte im Austausch für
zung nach rechts vorzuwerfen sei. Der populäre             positive Reviews des Spiels Depression Quest mit Vi-
Gaming-Kanal Space Frogs attestierte der Dokumen-          deospiele-Journalisten geschlafen, da das Spiel selbst
tation daraufhin in dem Video Games. Medien. Rechte.       keinesfalls positive Bewertungen hätte erlangen kön-
Irgendwas muss ja dran sein ..., dass die Diskussion um    nen. Der Videospiele-Journalismus hätte sich also
Verbindungen zwischen Gaming-Szene und radikalen           durch eine Frau (Quinn selbst hat sich inzwischen als
Rechten eigentlich Schuld daran trage, dass Gamer          nicht-binär geoutet) kompromittiert. Quinn wurde
anfällig für rechte Propaganda seien: „Der arme Ga-        ebenso wie die Spieleentwicklerin Brianna Wu und
mer, der jeden Abend alleine World of Warcraft spielt“,    die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian, die sich
würde sich nämlich persönlich angegriffen fühlen,          kritisch zu Sexismus in Spielen äußerte, zu den perso-
wenn „gemeine Journalist:innen“ sein „einziges, ge-        nifizierten Feindbildern einer feministischen und kul-
liebtes Hobby“ durch den Dreck ziehen.                     turmarxistischen Bedrohung gegen die Gaming-
                                                           Szene und Videospiele überhaupt stilisiert; als Ein-
Nun ist mitnichten jede Person ein Nazi, die nach ei-      dringlinge in einen bisher heiligen und friedlichen
nem nervigen Tag im Büro bei einer Runde League of         Jungs-Spielplatz.
Legends oder Counter Strike abschalten möchte.
                                                           Dass diese „Weiber“ einem das Hobby als „sexistisch“
Aber wer sich über einen längeren Zeitraum in Mul-         ruinieren wollten, indem sie auf den Sexismus in Spie-
tiplayer-Spielen aufgehalten oder sich dort gar als        len und in der Branche aufmerksam machten, nahm
Mitglied einer marginalisierten Gruppe geoutet hat,        man als Anlass, die eigenen misogynen Ressenti-
weiß, dass beiläufige gruppenbezogene Menschen-            ments zu legitimieren.

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                  08
Tagungsband Rechtsextreme & Gaming-Kulturen - Digitale Spiele und Communitys im Fokus von Propaganda und Prävention - Hass im Netz
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Diese wurden sehr schnell von der Alt-Right aufge-          unsere eigene Geschichte zu erzählen. Dennoch ist
griffen. Männer wie Stefan Molyneux oder Milo Yi-           die designierte Person, deren Geschichte ursprüng-
annopolous, die später Gallionsfiguren der US-ameri-        lich erzählt werden soll, weiß und cis-männlich und
kanischen radikalen Rechten werden sollten, entwi-          heterosexuell. Genau an dieses Publikum richtet sich
ckelten sich rasch zu den treibenden Kräften der Kam-       das Spiel. Männlichkeit konstituiert sich über die Ab-
pagne. Quinn, Wu und Sarkeesian erhielten unter an-         wertung des Nichtmännlichen, die gerade in Spielen,
derem Vergewaltigungs- und Morddrohungen, ihre              in denen Frauen als dekorative Hintergrundobjekte
Adressen wurden veröffentlicht, sie sahen sich ge-          oder „Damsel in Distress“ anstatt als eigenständige Fi-
zwungen, die Wohnorte zu wechseln. GamerGate                guren fungieren, reproduziert wird.
hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Karrieren und Le-
ben dieser drei Menschen zu zerstören.                      Dies liegt vor allem darin begründet, dass die kapita-
                                                            listischen Verhältnisse, unter denen kulturindustrielle
                                                            Güter wie Filme oder Videospiele produziert werden,
                                                            patriarchal sind: Es sind (weiße) Männer, die sich im
                                                            Besitz von Produktionsmitteln befinden, und demzu-
                                                            folge auch primär in der Position sind, Narrative zu er-
                                                            zählen – diese in der Regel aus der eigenen Perspek-
                                                            tive. Wer es gewohnt ist, Teil einer patriarchalen kul-
                                                            turellen Hegemonie zu sein, kann Abweichungen von
                                                            dieser Hegemonie – und somit dem Status Quo – als
                                                            narzisstische Kränkung empfinden – ganz konkret:
                                                            Wenn Spiele sich bewusst nicht an weiße, heterose-
                                                            xuelle Männer wenden und deren Männerfantasien
Anita Sarkeesian und ein generischer „Social Justice War-   bedienen.
rior“ werden mit Eltern eines Gamers verglichen, die ihn
weder als Kind noch als Erwachsenen in Ruhe lassen kön-
                                                            Wenn Gaming-YouTuber wie die „Space Frogs“ davon
nen. (Quelle: Reddit)
                                                            sprechen, dass eine Kritik an gruppenbezogener
                                                            Menschenfeindlichkeit an der Videospielszene Ga-
Die Abwertung von Frauen, sei es in beiläufigem             mer, die sich ausschließlich über ihre Freizeitbeschäf-
Sexismus oder offen artikuliertem Antifeminismus ist        tigung definieren (man spielt nicht Videospiele, man
nach wie vor ein Problem der Community, über das            ist ein Gamer!), den Rechten in die Arme treiben
diskutiert werden muss. Populäre Streamer wie Mon-          würde, haben sie damit paradoxerweise gar nicht so
tanaBlack oder Gronkh äußern sich in ihren Videos           Unrecht. Während Zocken inzwischen eine gewaltige
abwertend über Frauen. Objektivierende Frauendar-           Industrie ist und der Großteil der deutschen Bevölke-
stellungen in Spielen existieren nach wie vor. Spiele       rung eine Konsole oder einen spieletauglichen PC zu-
wie The Last of Us Part II, die ein anderes Narrativ bie-   hause hat, ist das Selbstbild „Gamer“ doch nach wie
ten wollen als eine Ermächtigungsfantasie für den           vor recht spezifisch: Bei Spielen geht es um Können,
weißen, heterosexuellen Mann, werden als Affront            um das Ergattern von Achievements und um leis-
aufgefasst. Der Macher des Spiels, Andrew Druckman,         tungsstarke PCs (PC-Nutzer:innen heben sich durch
sah sich mit einer Welle an antisemitischen Hasskom-        die Verwendung des Begriffs „PC Masterrace“ von als
mentaren konfrontiert.                                      „minderwertig“ wahrgenommenen Konsolenbesit-
                                                            zer:innen ab). An dem Selbstbild „Gamer“ hängt eine
Videospiele sind, wie alle Kulturprodukte, Ausdruck         ganze Identität, in der alles weiblich Konnotierte nur
von Wünschen, Träumen und Ermächtigungsfanta-               am Rande vorkommen darf. Dieses Selbstbild geht
sien. Gerade Videospiele geben uns die Möglichkeit,         oftmals mit einer Opferwahrnehmung einher: Früher

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                     09
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sei man ein von Mädchen und beliebten Jungen ge-            als „Du bist ein Sexist“ interpretiert (was, zugegebe-
mobbtes „Kellerkind“ gewesen und nun würde man              nermaßen, meistens auch stimmt – die meisten Män-
erneut attackiert werden – von Feminist:innen und ei-       ner sind sexistisch, es ist der Gesellschaft immanent),
ner Agenda der „Political Correctness“, die einem ein       man fühlt sich attackiert und geht in die Defensive.
als „unpolitisch“ wahrgenommenes Spielerlebnis und
die Ermächtigungsfantasie als starker Krieger ruiniere.     Hier ist der Punkt, an dem sich narzisstische Kränkung
                                                            von Männern politisieren kann, was zu GamerGate
Klassische Gamer-Aussage ist auch: Man hätte kein           geführt hat. Daran appelliert auch die Identitäre Be-
Problem mit Marginalisierten in der Community, so-          wegung mit ihrem Spiel, in dem stereotype Darstel-
lange sie einen mit lästigem „Politik-Scheiß“ in Ruhe       lungen antifaschistischer und queerer Aktivist:innen
lassen würden – also sich mit der Kritik zurückhalte,       als Gegner:innen und „NPCs“ fungieren. Die Gegen-
wenn man im Voicechat das N-Wort oder homo-                 wehr gegen quengelige „Spielverderberei“, die einen
phobe Sprüche fallen lässt.                                 zwingt, das Selbstbild als Mann und das Selbstbild als
                                                            Gamer zu hinterfragen, kann tatsächlich die Hinwen-
Gamer sind nicht per se faschistisch. Es werden aber,       dung zum politischen Kampf gegen progressive In-
wie in der Mainstream-Gesellschaft auch, eher dieje-        terventionen sein. Irgendwer, so der Tenor von
nigen als Problem aufgefasst, die auf gruppenbezo-          GamerGate, der von den Identitären wiederholt wird,
gene Menschenfeindlichkeit hinweisen und nicht die-         muss ja schuld daran sein, dass Spiele plötzlich etwas
jenigen, die diese Grenzüberschreitungen begehen.           anderes sein wollen als Männerfantasien – Feminis-
Das N-Wort sagen ist in Ordnung, eine Debatte über          mus und Kulturmarxismus nämlich.
Rassismus vom Zaun brechen ist hingegen nervig,
unnötig und „PC-Scheiße“.                                   Antifeminismus stellt den Türöffner für Rechtsextre-
                                                            mismus dar. Gekränkte Männlichkeit bildet den Nähr-
Die Weigerung, sich mit gesellschaftlicher Diskrimi-        boden für antifeministische Politik – es ist also wenig
nierung zu befassen, stellt jedoch auch eine Form des       verwunderlich, dass die extreme Rechte in der
Machterhalts dar: Man weigert sich, seine eigene Teil-      Gaming-Community rekrutiert. Deswegen ist es un-
habe an dieser Diskriminierung zu reflektieren.             abdinglich, dass die Gaming-Community endlich an-
                                                            fängt, die eigene Anspruchshaltung zu hinterfragen
Politischen Interventionen wird sich versperrt, da Vi-      und sich in Selbstkritik zu üben. Die weiße, männliche
deospiele „unpolitisch“ bleiben sollten – dass man die      Anspruchshaltung, dass man der Nabel der Video-
Objektivierung von Frauen (GTA, die aktuelle Debatte        spiele-Welt sei und sich auch alles nach einem zu rich-
um Cyberpunk 2077 thematisiert spezifisch die Feti-         ten habe, ist eines der Grundprobleme der männli-
schisierung transgeschlechtlicher Frauen), postapo-         chen (Gamer-)Identität. Und vor allem braucht es eine
kalyptische Szenarien (Fallout, Stalker, The Last of Us,    konsequente Abgrenzung nach rechts. Dann wird es
Wasteland ...), der Zweite Weltkrieg (Battlefield 4) oder   auch keine Notwendigkeit für ZDF-Dokumentationen
Militärszenarien (Mass Effect) zeigt die so ignorante       mehr geben, von denen sich Gamer angegriffen füh-
wie privilegierte Position gegenüber gesellschaftli-        len.
cher Gewalt. Als politisch gilt dann nur das Hinterfra-
gen des Status Quo und somit der patriarchalen Vor-
machtstellung.

Da man sich derart mit der eigenen Szene identifi-
ziert, wird also auch jede politische Kritik an der Com-
munity als persönlicher, politisch motivierter Angriff
aufgefasst. Die Aussage „Das Spiel ist sexistisch“ wird

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Zum Verhältnis von Gaming und Rechtsterrorismus
Karolin Schwarz

Nach Amokläufen und rechtsterroristischen Anschlä-       verübte und neun Menschen tötete, mit William A.
gen allein handelnder junger Männer wird in der öf-      aus den USA, der ein halbes Jahr später zwei junge
fentlichen Debatte immer wieder auch auf die Rolle       Menschen in einer Schule ermordete. Gemeinsam mit
von Videospielen sowie Gamer:innen als (imaginierte)     anderen Gruppenmitgliedern verbreiteten die beiden
Gruppe verwiesen. Insbesondere Egoshooter-Games          in der Gruppe, die sie „Anti-Refugee-Club” nannten,
wurde in der Vergangenheit immer wieder eine Rolle       menschenverachtenden Rassismus. Zudem hatten
als Auslöser von Gewalt zugeschrieben. Auch nach         die beiden über das Internet Kontakt zu einem weite-
den rechtsterroristischen Anschlägen von El Paso und     ren jungen Mann, der offenbar eine ähnliche Tat in
Halle wurde erneut über die Rolle von Games gespro-      Deutschland plante.
chen.
                                                         Lange Zeit konnten sich Rechtsextreme auf Steam
Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Es gibt nicht   weitestgehend ungestört vernetzen. Das lag vor al-
nur eine einzige Gemeinschaft von Gamer:innen. Das       lem daran, dass die Inhalte, die von Nutzer:innen
ist allein schon der Tatsache geschuldet, dass ein er-   selbst erstellt werden, weitestgehend unmoderiert
heblicher Anteil der Gesellschaft inzwischen spielt.     blieben. Ohne Konsequenzen befürchten zu müssen,
Dass die Täter, in der Regel junge Männer, einen Be-     konnten sich Nutzer:innen dort beispielsweise die Na-
zug zu Games haben, ist dementsprechend zunächst         men von Terroristen als Benutzernamen geben oder
nichts Außergewöhnliches, sondern eher üblich für        ihre Profile mit neonazistischen Inhalten füllen. Auf
die demografische Gruppe, der sie entstammen. Zu-        diese Weise werden Gaming-Plattformen von rechts-
dem widerspricht die Wissenschaft denen, die be-         extremen Akteur:innen genutzt, um mögliche neue
haupten, es gäbe einen Zusammenhang zwischen             Anhänger:innen anzusprechen. Noch heute ist das
Aggressionen und gewalttätigen Videospielen. Es ist      Moderationsteam bei Steam im Vergleich zu denen
dennoch wichtig, die Rolle von Games, Gaming-Platt-      von Social-Media-Plattformen wie Facebook und
formen und bestimmten Gruppierungen von Ga-              Google sehr klein.
mer:innen im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Rechts-
terrorismus zu beleuchten.                               Neben den Vernetzungsmöglichkeiten von Gaming-
                                                         Plattformen nutzen Rechtsextreme auch Games als
Gaming-Plattformen und menschenverachtende               Möglichkeit des Ideologietransfers. Dabei handelt es
Games                                                    sich um kein vollkommen neues Phänomen. Bereits
                                                         im Jahr 2000 veröffentlichten Rechtsextreme eine
Einige Plattformen, die Games zum Kauf anbieten,         antisemitische Version des beliebten Casual Games
stellen gleichzeitig Funktionen zur Verfügung, über      Moorhuhn, bei dem die Spieler:innen Jagd auf jüdi-
die sich Gamer:innen untereinander vernetzen kön-        sche Menschen machten. Zuletzt veröffentlichte das
nen. Die größte dieser Plattformen ist Steam. Neben      rechtsextreme Netzwerk „Ein Prozent“ ein Spiel, in
einem umfangreichen Angebot an Games gibt es hier        dem die üblichen Feindbilder der Neuen Rechten
Foren und Chats für die User:innen. Über eines dieser    über Dialoge, Memes und „Witze” bedient werden.
Foren vernetzte sich David S. aus Deutschland, der
2016 den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum

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Hinzu kommen neuere Games, die der Verherrlichung         die Zahl der Morde bisheriger Terroristen zu überbie-
rechtsterroristischer und nazistischer Morde dienen.      ten. Hier zeigt sich mindestens, dass das Töten auch
Nach den Anschlägen von Oslo und Utøya und dem            als eine Art Wettkampf begriffen werden soll. Zusätz-
Anschlag in Christchurch tauchten beispielsweise          lich wähnen sich die Täter in einer Gemeinschaft von
Spiele auf, in denen die Anschläge nachgespielt wer-      Rechtsterroristen, die sich auch aufeinander und auf
den konnten. Die Spiele sind Teil einer regelrechten      ihre jeweiligen Taten beziehen.
„Fankultur”, die sich um die Terroristen in einigen
Ecken des Internets entwickelt hat.                       Der Bezug auf Games ergibt sich, wie eingangs er-
                                                          wähnt, auch aus der Zugehörigkeit der Mehrheit der
Gamifizierung des Terrors?                                Täter zu einer eher jungen Altersgruppe. Auch andere
                                                          popkulturelle oder subkulturelle Bezüge lassen sich
Seit den Anschlägen des Jahres 2019 wird vermehrt         aus den Äußerungen der Täter entnehmen. Im Fall
über eine mögliche Gamifizierung des rechten Ter-         des Anschlags von Halle beispielsweise gibt es Be-
rors gesprochen. Allerdings sind sich Expert:innen        züge zu Animes. Noch offensichtlicher sind jedoch
darüber nicht einig. Als Beleg für eine „Gamifizierung”   die Bezüge der Täter zu Imageboards und dort kursie-
wird beispielsweise angeführt, dass die Täter ihre        renden Vokabeln und Memes, die in Pamphleten und
Morde über Kameras an einem Helm oder ihrer Schul-        Livestreams untergebracht werden und als Nachricht
ter ins Internet streamen und so eine Perspektive wie     an das von ihnen antizipierte Publikum zu verstehen
in einem Egoshooter übernommen würde. Allerdings          sind. Die Täter vermitteln durch diese Erwähnungen
sind hier mehrere Interpretationen möglich. Den Tä-       auch, dass sie zur Gemeinde der Imageboardnut-
tern könnte es in erster Linie um den Effekt ihrer        zer:innen gehören und erhoffen sich dadurch auch
Morde gehen, denen das Publikum live beiwohnen            Anerkennung.
kann.
                                                          Festzuhalten bleibt, dass es Bezüge der Terroristen
Auch über einige der Dokumente, die die Täter hin-        und ihrer Anhängerschaft zu Games, Imageboards
terlassen haben, wird in diesem Zusammenhang dis-         und Internet- und Subkulturen gibt. Es ist nötig, diese
kutiert. Beispielsweise formulierte der Terrorist von     Andeutungen und Bezüge zu verstehen, um sie ent-
Halle in einem der Dokumente, die er hinterließ, eine     sprechend zu- und einordnen und die Taten bewer-
Reihe menschenverachtender „Achievements”, in die         ten zu können. Dementsprechend ist es nötig, sich
er seine möglichen Morde einordnete. Dabei ist aller-     mit den Aktivitäten der Terroristen im Netz auseinan-
dings zu bedenken, dass die Terroristen beim Verfas-      derzusetzen. Nicht Games, Imageboards und andere
sen ihrer Schriften auch die möglichen Reaktionen ih-     Plattformen machen junge Männer zu Rechtsterroris-
rer Publika antizipieren: Zum einen die der expliziten    ten. Aber Games sind Werkzeuge, die Rechtsextreme
Anhänger:innen von Terroristen sowie der Nutzer:in-       gezielt zur Verbreitung ihrer Ideologie und Beschleu-
nen von Imageboards, auf denen sie ihre Propagan-         nigung der Radikalisierung verschiedener Zielgrup-
damaterialien hinterlassen. Zum anderen die allge-        pen einsetzen, weil sie Teil der Lebensrealität junger
meine Öffentlichkeit. Der Terrorist von Christchurch      Männer sind.
nimmt beispielsweise explizit Bezug auf die Debatte
um Spiele als Auslöser für Gewalt, indem er in seinem     Ihr Ziel: Sich einerseits als rebellische Tabubrecher in-
Pamphlet behauptet, ein Kinderspiel habe ihn radika-      szenieren und andererseits die Opferrolle vorberei-
lisiert.                                                  ten, welche bei Gegenwind breit ausgespielt wird. Die
                                                          ironisch-satirische Ebene dient dabei auch als doppel-
Zudem werden in den Online-Communitys, in denen           ter Boden für die eigene, antidemokratische Propa-
die Terroristen verehrt werden, Ranglisten verbreitet     ganda.
und Memes geteilt, in denen dazu aufgerufen wird,

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                    12
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Prozedurale Rhetorik und Propaganda in Spielen
Andreas Rauscher

Spiele und rechtsextremes Gedankengut können auf         Deren Anhänger stammen aus dem Umfeld der „Alt-
vielfältige Weise kombiniert werden. So können Ga-       Right“-Bewegung. Sie sehen die skurrilen bis gefährli-
mes gezielt für die Verbreitung demokratiefeindli-       chen Paranoia-Phantasien des anonymen Informan-
cher Ideologien entwickelt oder modifiziert werden.
                                                         ten namens Q, der 2017 im Image-Board „4chan“ auf-
Wie sich am Beispiel der QAnon-Bewegung zeigt,
können jedoch auch spielerische Formen des Aktivis-      tauchte, als Geheimwissen und reale Handlungsan-
mus sowie Spiele in der realen Welt Ähnlichkeiten        weisungen an. Angeblich würde die westliche Welt
mit kollektiven Verschwörungserzählungen und de-         von einer geheimen Verschwörung linksliberaler Eli-
ren Ausgestaltung aufweisen.                             ten kontrolliert, die Kinder in unterirdischen Lagern
Dieser Beitrag zeigt, dass bei allen fundamentalen       gefangen hielten und weiteren verbrecherischen Ak-
Unterschieden in Zielen, Weltanschauung und Ernst-       tivitäten nachgingen.
haftigkeit Spielen eine Art Fiktionalisierung, ein So-
tun-als-ob eigen ist. Anschließend geht es darum,        Abgesehen vom realen Gewaltpotential dieser Phan-
dass und wie Spiele neben ihren Storys, Themen, Fi-      tasien verstören an den Szenarien der QAnon-Bewe-
guren und Motiven in ihrem Gameplay bzw. in Re-          gung insbesondere die Parallelen zu fiktionalen Ver-
geln und Mechaniken, wenn nicht in ihrer Spielehaf-      schwörungsszenarien aus der Popkultur der vergan-
tigkeit an sich, ein eigenes Missbrauchs- oder Propa-    genen Jahrzehnte, die sich ursprünglich als bewuss-
gandapotenzial aufweisen. Dabei geht es allerdings       tes literarisches und künstlerisches Spiel mit Stereoty-
auch um positive pädagogische oder künstlerische         pen und Spannungsmechanismen gestalteten:
Spiele, die sich z.B. gegen Extremismus und Antisemi-
tismus wenden. Und schließlich befasst sich dieser       Die QAnon-Erzählungen muten wie eine bizarre,
Beitrag mit dem Spiel Heimat Defender. An ihm zeigt      missbräuchliche Kombination einer möglichen Viel-
sich, wie Rechtsextreme erfolglos und fadenscheinig      zahl verschiedener kultureller Werke und Projekte an,
versuchten, Games und Game-Stilistik für ihre Gesin-     die in künstlerischer Absicht mit unseren Konzepten
nungsarbeit zu vereinnahmen. Erkennbar wird, wie         von Wirklichkeit spielen, z. B.:
gerade Computerspiele vielleicht als selbstbezügliche
Szene-Unterhaltung funktionieren. Sie funktionieren      •   der Science-Fiction- und Mystery-Serie Akte X aus
aber nicht ohne weiteres als Propagandaformate, um           den 1990er Jahren,
vor allem junge Menschen zu erreichen.
                                                         •   der Illuminatus!-Trilogie, eine ironische, postmo-
                                                             derne Science-Fiction-Phantasie der Schriftsteller
Verschwörungserzählungen und „Alternate
                                                             Robert Shea und Anton Wilson voller Bezüge und
Reality Games“
                                                             Anspielungen, die Mitte der 1970er Jahre ent-
                                                             stand,
Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 29. Okto-
ber 2020 untersuchten der Journalist Jörg Häntzschel,    •   der medienübergreifenden Aktivitäten kulturkriti-
der Bildwissenschaftler Florian Cramer und der Kul-          scher Künstlerkollektive wie der italienischen Lu-
turtheoretiker mit dem Pseudonym „Wu Ming 1“ die             ther-Blissett-Gruppe.
sonderbaren Verschwörungsmythen der QAnon-Be-
wegung.

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                   13
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„Wu Ming 1“, Mitglied der Luther-Blissett-Gruppe,           gespielten Rollenspiel mit Würfeln und Papier ver-
veröffentlichte 1999 den Roman Q. Dieser erscheint          wenden die ARGs eigen gestaltete Websites.
mit seinen an die Werke von Thomas Pynchon und
Umberto Eco angelehnten absurden Verschwörungs-             Prominentes Beispiel ist das ARG-Spiel zur Fernsehse-
konglomeraten zur Zeit der Reformation wie ein Sze-         rie Lost (2004-2010). Darin unterbrach eine investiga-
narien- und Regelbuch für ein paranoides Rollenspiel-       tive Journalistin das Diskussionspanel zur Serie auf
System.                                                     der einflussreichen Comic Convention in den USA
                                                            und verteilte Flugblätter mit einer Internet-Adresse.
                                                            Was für manche Teilnehmer wie eine politische Ak-
                                                            tion wirkte, war eine Art „Werbeaktion“ und mehr
                                                            noch: Teil des Spiels selbst. Hinter der verbreiteten
                                                            Webadresse verbargen sich weitere Hinweise für die
                                                            Spieler:innen.

                                                            Bei den in die Realität hinein verlängerten Rollenspie-
                                                            len wird spätestens zum Ende der Kampagne der
                                                            Schleier der Inszenierung gelüftet und der Vorhang
                                                            über die Bühne zur spielerischen Selbstdarstellung
                                                            gesenkt. Das heißt, dass solche Spiele, die in die
                                                            „Wirklichkeit“ hineinreichen, von vornherein auf eine
QAnon-Erzählungen: Mix postmoderner und popkulturel-        Art Auflösung ausgerichtet sind. Deutlich wird: Es ist
ler Werke und Aktionen. (Screenshot Vortrag von A. Rau-
scher, auf Fachtagung Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen).
                                                            alles nur Spaß oder ein So-tun-als-ob. Das unterschei-
                                                            det sie von rechtsextremer Propaganda, die in einer
Neben der Veröffentlichung ihrer literarischen Werke        solchen „Uneigentlichkeit“ ihre ernstgemeinten ideo-
realisierte die Luther-Blissett-Gruppe auch künstleri-      logischen Botschaften verpackt.
sche Interventionen, so genannte „Pranks“ (Streiche).
Durch die mediale Verbreitung besonders abstruser           Prozedurale Rhetorik
Thesen (etwa die zur Kunstshow in Venedig präsen-
tierte Ausstellung eines in geheimen Laboren ge-            Der Medienwissenschaftler und Gamedesigner Ian
züchteten künstlerisch begabten Affen), sollte die          Bogost prägte 2007 den Begriff der Prozeduralen Rhe-
Sensationsgier der Boulevardmedien entlarvt und die         torik. Der Begriff bezeichnet die rhetorischen Implika-
Absurdität traditioneller Verschwörungsmythen als           tionen spielerischer Prozesse. Ihm zufolge steht Pro-
künstlerische Aufklärung umcodiert werden. Ein sol-         zedurale Rhetorik für das Entwickeln und Darlegen
ches Vorgehen erinnert nicht nur an die kulturelle          von Argumenten durch Prozesse. Sie beinhaltet Über-
Praxis avantgardistischer Aktivisten der 1960er und         zeugung, um auf Meinungen oder Verhalten einzu-
1970er Jahre, sondern auch an sogenannte Alternate-         wirken und um effektiv Ideen und Sichtweisen zu ver-
Reality-Games (ARGs).                                       mitteln (vgl. Bogost 2007: 28). Die Strategien der klas-
                                                            sischen Rhetorik, also der „Rede-“ bzw. „Überzeu-
ARGs übertragen das Spielen in den realen Raum. In          gungskunst“, setzt auf sprachliche Mittel. Prozedurale
einer Mischung aus u. a. Aktionstheater und Storytel-       Rhetorik greift dagegen auf Prozesse der Dramaturgie
ling unter Einbindung des Publikums werden ge-              und die Suggestionskraft der Anordnungen von Bild
meinsam Rätselaufgaben gelöst. Von den Spielleitern         und Ton zurück.
ausgelegte Spuren werden gesichert oder Entschei-
dungen ausgehandelt. Im Gegensatz zum am Tisch

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Die Spieler:innen bekommen durch ihre Handlungs-           Wie in positiver Weise prozedurale Rhetorik einge-
macht (Agency) das Gefühl, sie übten Einfluss auf das      setzt werden kann, zeigt sich im Browserspiel Septem-
Spielgeschehen aus. Dabei ist die zu erspielende Aus-      ber the 12th, das sich auch als interaktives Kunstwerk
sage häufig bereits durch das Arrangement der Algo-        bezeichnen ließe. Darin geht es darum, aus der Luft
rithmen und die Spielziele vorgegeben. Propagandis-        stereotype „arabische“ Terroristen zu bombardieren.
tisch ausgerichtete Spiele stehen in einem gewissen        Allerdings produziert jeder Treffer nur weitere Terro-
grundlegenden Widerspruch zur ästhetischen und             risten und werden aufgrund der Spielmechanik un-
spielerischen Eigenverantwortung (vgl. Rauscher            weigerlich auch Zivilisten Opfer des Beschusses. Das
2020), die offene Spielformen versprechen. Entgegen        Spiel September the 12th, eine Kritik am militärischen
der Prinzipien des auf Probehandeln basierenden            „Krieg gegen den Terrorismus“, ist nicht zu gewinnen
freien Spiels ohne feste Zielvorgabe (Paidia) versu-       und ist auch nicht dafür gemacht. Die Frustration der
chen Spiele mit propagandistischer Rhetorik, im            Spielenden ist ein beabsichtigter didaktischer Effekt.
Sinne eines bestimmten Ausgangs den Spielverlauf
auf ein vorgegebenes Ziel hin zu lenken. Die ideologi-     Erfolgt die versuchte Mobilisierung oder Rekrutierung
sche Botschaft kann sich so mit den durch Regeln und       von Spieler:innen für eine rechtsextreme Agenda bei-
Spielmechanik kompetitiv zu erreichenden Gewinn-           spielsweise über Foren auf Gaming-Plattformen wie
bedingungen (Ludus) ergänzen.                              Steam, vollziehen sich die rhetorischen Bestrebungen
                                                           nicht über die Spielmechanik oder das Spielgesche-
Ein bedeutendes Beispiel für die ideologische Aus-         hen selbst. Sie ereignen sich stattdessen im weiteren
richtung eines Spiels durch eine mit dem Spielziel ge-     kulturellen Umfeld. Ein derartiges Vorgehen der Alt-
koppelte prozedurale Rhetorik ist das kapitalistisch       Right-Bewegung prägte auch die sogenannte Gamer-
ausgerichtete „Der Gewinner bekommt alles“-Prinzip         Gate-Kontroverse. Darin wurden an Politik desinteres-
von Monopoly. Im Gegensatz dazu geht es in dem so-         sierte Spieler:innen durch frauenfeindliche Hasstira-
zialkritischen Vorgängerspiel The Landlord’s Game da-      den aufgestachelt, gegen Journalistinnen und Ent-
rum, dass Parteien diplomatisch verhandeln müssen.         wicklerinnen aufgehetzt und die Spieler:innen für ihre
Als kritische Parodie zu Monopoly kann das Brettspiel      rechtsextremen Ansichten zu gewinnen versucht.
des Satire-Magazins MAD betrachtet werden: Hier ge-
winnt, wer sein Vermögen als Erstes verliert.              Die für die Aussage eines Spiels grundlegende Ver-
                                                           knüpfung von Spielablauf und weiter gefasstem kul-
Die rhetorischen Absichten rechtsextremer Propa-           turellen Kontext wird besonders deutlich am Brett-
ganda können auf unterschiedlichen Ebenen der              spiel Train (2009) von Brenda Romero. Es handelt sich
spielerischen Erfahrung ansetzen. Die Spieleforsche-       wie September 12th um ein Serious Game und kommt
rin Clara Fernández-Vara unterscheidet in ihrem Mo-        nur in Konferenzen und Ausstellungen zum Einsatz.
dell zur Spielanalyse zwischen dem Kontext eines           Die Aufgabe der Spielenden ist es, gelbe Spielfiguren
Spiels, der konkreten Spielerfahrung und den forma-        in Zügen unterzubringen und deren Abfahrt zu koor-
len Bausteinen wie Regeln und Mechaniken. Darin,           dinieren. Die kulturellen Assoziationen des Settings
wie das Spiel reglementiert ist, drücken sich kulturelle   und des Spieldesigns können eine erste Vorwarnung
und soziale Werte aus. Diese können wir ebenso ana-        geben. Erst gegen Ende des Spiels stellt sich durch
lysieren, identifizieren und kritisieren. Was simuliert    das Ziehen einer Karte heraus, dass die Züge in das
wird oder nicht, was positiv oder negativ im Regel-        Vernichtungslager Auschwitz fahren werden. Diese
werk erachtet wird, kann Ausdruck von Ideologie sein       Wendung soll verdeutlichen, dass das Spielziel nicht
(vgl. Fernández-Vara 2015: 131).                           im Erfüllen einer Siegbedingung besteht.

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Stattdessen soll es die Mechanismen instrumentali-       Das Umfeld der Entstehung des Spiels lässt die eben-
sierter Vernunft zur Zeit des Nationalsozialismus er-    falls damit verfolgten Absichten erahnen. Die ge-
fahrbar machen. Das Spielziel kann sabotiert werden,     wöhnlich zur Markenpflege von medienübergreifen-
indem das Spiel abgebrochen wird, sobald der tat-        den Franchises wie Herr der Ringe oder Star Wars ein-
sächliche „spielerische“ Zweck der Tätigkeit erkannt     gesetzten Strategien des Transmedia Storytellings
wurde.                                                   werden zur Promotion des Spiels adaptiert. So wurde
                                                         ein YouTube-Video veröffentlicht, in dem einige pro-
Aus guten Gründen existiert keine kommerziell ver-       minente Personen der neu-rechten Szene Heimat De-
triebene Variante von Train. Wäre das Spiel als ge-      fender spielen, wobei sie selbst als Spielerfiguren vor-
wöhnliches kommerzielles Gesellschaftsspiel erhält-      kommen. Weitere Clips zeigten kurze Hintergrundge-
lich, wäre nicht nur der Vorwurf zynischer Gewinnbe-     schichten zu den Figuren. Auch ein Comic zu Welt
strebungen naheliegend. Es ließe sich entgegen sei-      und Story von Heimat Defender wurde angeboten.
ner ursprünglich aufklärerischen Intention auch
durch entsprechende Regeländerungen als analoge          Die Spielmechanik und die farbenfrohe Grafik des Ga-
Variante des in den 1980er Jahren veröffentlichten       mes orientieren sich im deutlichen Gegensatz zu den
neonazistischen Game KZ-Manager missbrauchen, in         apokalyptisch-agitatorischen Inhalten des Spiels an
dem die Spieler ein Konzentrationslager als men-         der Optik cartoonhafter Platform Games, z. B. familien-
schenverachtende Modifikation einer Betriebssimula-      freundlichen Spielen wie Super Mario Bros. Das Game-
tion leiten.                                             play entspricht nicht den Konventionen eines martia-
                                                         lischen Shooters, die man angesichts der neu-rechten
In Videospielen mit propagandistischen Absichten         Phantasien vom apokalyptischen Ausnahmezustand
können unterschiedliche Ebenen, Spiel- und Gestal-       vielleicht erwarten würde. Stattdessen entspricht es
tungsweisen bewusst vermischt werden, um den             den deutlich verspielteren Mechaniken des Jump-'n'-
rechtsextremen Propagandaaussagen ein modernes           Run-Genres. Dabei erinnern sie häufig an Zeichen-
Erscheinungsbild zu verleihen. Eine reflektierte Prä-    trickfilme, auch was die fantastischen Fähigkeiten be-
ventionsarbeit sollte daher das Zusammenspiel von        trifft. Der Videospiel-Held Super Mario aus der gleich-
Spielmechanik, ästhetischer Gestaltung und kulturel-     namigen Nintendo-Reihe kann wie Lewis Carrolls
ler Spielepraxis differenziert im Blick behalten. Dies   Alice im Wunderland mit Hilfe von magischen Pilzen
etwa, um die entsprechende analytische und kritische     seine Größe verändern und der Affe Donkey Kong
Medienkompetenz zu befördern, die die notwendi-          bringt seine Gegner mit Bananen und Fässern aus
gen u. a. gamingkulturellen Kontexte mitberücksichti-    dem Gleichgewicht.
gen.
                                                         Auch die Protagonisten von Heimat Defender sind von
Missglückte „Platform“-Propaganda                        animierten Bienenschwärmen als Schutzschild und
                                                         segelflugtauglichen Hüten umgeben. Sie und ihre Ge-
Ein Beispiel für die Kombination von Game und            genspieler lassen an den verfolgten ideologischen In-
rechtsextremer Propaganda bietet Heimat Defender.        tentionen allerdings wenig Zweifel: Die vier bekann-
Das Jump 'n' Run-Spiel wurde von Vertretern der          ten Vertreter der Neuen Rechten kämpfen sich als
Neuen Rechten und der „Identitären Bewegung“ (IB)        Avatare durch Heerscharen von Robotern, die als An-
entwickelt. Es wurde 2020 veröffentlicht und präsen-     tifa- und LGBTQ-Automatons gekennzeichnet wer-
tiert apokalyptische Verschwörungsphantasien und         den.
standardisierte Tiraden gegen linksliberale Positio-
nen, Migration und die bürgerliche Zivilgesellschaft.

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Als Boss-Gegner treten am Ende der einzelnen Levels       Entsprechend der Verschwörungsphantasien der
kaum kaschierte Karikaturen der Bundeskanzlerin An-       Neuen Rechten hat die sogenannte Globo-Homo-
gela Merkel und von Bundesaußenminister Heiko             Corporation das europäische Abendland im Auftrag
Maas, des TV-Entertainers Jan Böhmermann oder des         von jüdischen New Yorker Philanthropen mit Antifa-
Millionärs und Philanthropen George Soros auf. Die        Truppen, TV-Satirikern und Migrant:innen überrannt.
antisemitischen Verschwörungstheorien um Soros            Während sich der Großteil des Cyberpunks in Litera-
werden nicht explizit genannt, sondern ergeben sich       tur, Spielen oder Filmen durch eine vielschichtige me-
indirekt aus den Anspielungen, die ihn als sinisteren     diale Rhetorik der Doppeldeutigkeiten und der Zwie-
Drahtzieher im Hintergrund präsentieren. Die Darstel-     spältigkeit auszeichnet, beschränkt sich das Spiel auf
lung der Gegner als in Fabriken umgewandelte Robo-        das Standardrepertoire neu-rechter Feindbilder und
terwesen soll auf der audiovisuellen Ebene die impli-     Slogans. Statt sich allzu angestrengt über die so aus-
zierte Aussage der prozeduralen Rhetorik entschär-        gelegten Kontroversköder zu empören und ihnen da-
fen, die auf der gedanklichen, ideologischen Ebene        mit den erhofften Marketing-Effekt zu liefern, ver-
eindeutig ist. Die Spielfiguren treten als „Wider-        deutlicht eine Analyse der prozeduralen Rhetorik im
standshelden“ dabei formal nicht gegen die von der        Fall von Heimat Defender anschaulich, inwiefern die
Handlung gemeinten Friedens-, LGBTQ- und Antifa-          pseudo-ironische grafische Darstellung und das Ga-
Aktivist:innen in menschlicher Gestalt an, sondern ge-    meplay eines Jump 'n' Run als reine Verpackung für
gen Roboter mit Regenbogenfahnen und Kampffahr-           die eindeutigen ideologischen Aussagen des Inhalts
zeuge, die von Hammer- und Sichel-Symbolen umge-          dienen sollen. Das Ergebnis erinnert weniger an eine
ben sind. Prominente Akteure des rechten Rands wie        rechtsextreme Cyberpunk-Variante, sondern vielmehr
Björn Höcke und Martin Lichtmesz treten in einzelnen      an eine verunglückte Parodie voller Insider-Jokes, in
Spielabschnitten als Unterstützer auf, die die Spielen-   der sich die demokratiefeindliche Gesinnung Bahn
den bzw. ihre Figuren mit Extra-Fähigkeiten und neu-      bricht.
rechten Allgemeinplätzen und Insider-Witzen versor-
gen. Ob sich jugendliche Gamer:innen tatsächlich für
die als Extra vergebenen Promi-Trivia-Information be-
geistern (z. B. dass sich der Leiter des rechtsextremen   Literatur:
Antaios-Verlags und seine Gattin im gewöhnlichen
Alltag siezen), sei dahingestellt.                        Bogost, Ian: Persuasive Games. The Expressive Power of
                                                          Video Games. Cambridge: MIT Press 2007. S. 28.
Inhaltlich versucht das Spiel Ansätze des dystopi-
schen Cyberpunk-Genres umzucodieren, wie sie sich         Fernández-Vara, Clara: Introduction to Game Analysis.
in der Science-Fiction-Literatur der 1980er Jahre so-     New York: Routledge 2015.
wie in den stilisierten, von Neonbeleuchtung und
düsteren urbanen Landschaften geprägten Stadtbil-         Rauscher, Andreas: „Playing Propaganda. Die Games-
dern in Filmen wie Blade Runner oder Matrix finden.       Appropriationen des IS“. In: Bernd Zywietz (Hg.): Pro-
Doch im Unterschied zu deren komplexen Reflexion          paganda des ‚Islamischen Staats‘. Formen und Formate.
um das Verhältnis von Realität und Simulation sowie       Wiesbaden: Springer Verlag 2020. S. 161-184.
von Gesellschaft und Technologie beschränkt sich
das Spiel auf den geradlinigen Kampf gegen einen
multinationalen Konzern.

Tagungsband: Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen                                                                     17
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