Taube Stellen, kribbelnde Finger - Nervenschäden gezielt vermeiden
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Fortbildung Management der therapiebedingten Neurotoxizität Taube Stellen, kribbelnde Finger – Nervenschäden gezielt vermeiden Susanne Koeppen Viele Nebenwirkungen einer Tumortherapie, wie Schmerzen oder Übelkeit, sind inzwischen gut behandelbar. Medikamente gegen Nebenwirkungen am Nervensystem können Beschwerden allenfalls lindern. Zwar gewinnen neuroprotektive Wirkstoffe an Bedeutung, sie sind aber bislang nicht hinreichend evaluiert. Es bleibt also wesentlich, die Kumulativdosis und Dosisintensität einer neurotoxischen Substanz so gering wie möglich zu halten. N eurotoxische Nebenwirkungen sind mit zunehmender Be- herrschbarkeit der Nephro- und Myelotoxizität zum wesentlichen dosislimitierenden Faktor vieler Chemo- (PNP) assoziiert. Die PNP ist definiert als funktionelle und strukturelle Affek- tion des peripheren Nervensystems. Ty- pischerweise treten initial sensible Reiz- erscheinungen mit distal symmetrischer therapien geworden. Neurotoxische Verteilung auf, die die Betroffenen meist Nebenwirkungen manifestieren sich als Kribbelparästhesien schildern und die wesentlich häufiger als periphere Neuro- bei fortdauernder Einwirkung des neuro- pathien als mit Störungen des zentralen toxischen Pharmakons aszendieren und Nervensystems. mit einem handschuh- bzw. strumpfför- Während Zeitpunkt und Art der mig begrenzten Taubheitsgefühl im Sinne klinischen Manifestation durch das aus- einer Hypästhesie und Hypalgesie einher- lösende Agens determiniert sind, wer- gehen. Typisch sind außerdem eine distal den die Ausprägung der Symptome und betonte Vibrationsminderempfindung ihre Rückbildungsfähigkeit nach Dosis- an den Extremitäten und abgeschwäch- anpassung einer neurotoxischen Substanz te bzw. erloschene Muskeleigenreflexe. bzw. nach Beendigung der Applikation Auch eine sensible Ataxie und motorische von Patienten-immanenten Faktoren Defizite – ebenfalls mit distalem Beginn mitbeeinflusst. und einer Mitbeteiligung des autonomen Die Behandlung neurologischer Nervensystems – sind möglich. Nebenwirkungen beschränkt sich im Verlaufsdynamik und Symptom- Allgemeinen auf eine medikamentöse spektrum der PNP korrelieren mit der symptomatische Therapie, unterstützt Pharmakokinetik des jeweiligen Zyto- durch physikalische und physiothera- statikums und seinem Schädigungsme- peutische Maßnahmen. Neuroprotektive chanismus am peripheren Nervensys- Therapieansätze sind bislang nur für we- tem. Da die Chemotherapie-induzierte nige klinische Indikationen verfügbar. periphere Neurotoxizität (CIPN) im fortgeschrittenen Stadium mit erheb- Chemotherapie-induzierte lichen funktionellen Defiziten und vor periphere Neurotoxizität allem bei neuropathischen Schmerzen Insbesondere Platin-Derivate, Vinca- mit einer gravierenden Beeinträchti- Alkaloide und Taxane sind in Abhän- gung der Lebensqualität verbunden sein gigkeit von der verabreichten Kumu- kann, sollten Patienten parallel zu einer Foto: MEV lativdosis und Dosisintensität mit der potenziell neurotoxischen Mono- oder Entwicklung einer Polyneuropathie Kombinationstherapie regelmäßig und 64 Im Focus Onkologie 11 | 2007
Fortbildung S u p p o r t i v t h e ra p i e in standardisierter Form bezüglich neu- Patienten bezüglich Anzahl der Dosisre- rologischer Nebenwirkungen befragt und duktionen, Therapieunterbrechungen, untersucht werden. Grad > 3 Toxizitäten und der therapeu- tischen Ansprechrate [Giovanazzi-Ban- Verlässliche Frühdiagnose non et al. 1994]. Im Hinblick auf eine Frühdiagnose der Daher erscheint beim gegenwär- CIPN und die Vergleichbarkeit von tigen Kenntnisstand ein unter Umstän- Neurotoxizitätsdaten aus verschiedenen den prognoserelevantes Abweichen von klinischen Studien ist eine sensitive, Standard-Chemotherapie-Regimen bei reliable, nicht-invasive und ohne größe- älteren Patienten nicht gerechtfertigt, ren Zeitaufwand praktikable Testbatterie sofern adäquate Supportivmaßnahmen erforderlich. zur Anwendung kommen. Diese Kriterien erfüllt der Total Bei Patienten mit vorbestehender Neuropathy Score (TNS), der in seiner PNP oder PNP-Prädisposition, z. B. kürzesten Fassung ausschließlich auf durch einen Diabetes mellitus, ist von klinischen Parametern basiert, in der einer erhöhten Vulnerabilität des peri- kompletten Version eine sensible und pheren Nervensystems mit entsprechend motorische Elektroneurografie an der höherem CIPN-Risiko auszugehen. unteren Extremität sowie eine quanti- tative Vibratometrie impliziert und in Platin-Derivate einer reduzierten Form letztere aus- Platin-haltige Chemotherapeutika haben klammert. TNS-Resultate stimmen gut unterschiedliche Neurotoxizitätsprofile. überein mit der Beurteilung der CIPN Die Sequestrierung in das periphere anhand etablierter onkologischer Skalen Nervensystem – und damit die Ge- wie den National-Cancer-Institute-Com- webskonzentration – korreliert mit der mon-Toxicity-Criteria (NCI-CTC) 2.0 Hydrophobie des Wirkstoffs, welche bei und dem Ajani- und Eastern-Coope- Cisplatin > Carboplatin > Oxaliplatin ist. rative-Oncology-Group(ECOG)-Score Die Hemmung der Neuritenausspros- [Cavaletti et al. 2006]. sung in vitro gilt als Indikator für die Ein 20 Punkte umfassender Pati- Neurotoxizität und scheint bei Cisplatin enten-Fragebogen zur Selbsteinschät- > Oxaliplatin > Carboplatin zu sein. zung CIPN-bedingter Beschwerden und Platin-Verbindungen akkumulie- funktioneller Einschränkungen wurde ren in den nicht durch die Blut-Liquor- als Ergänzung zum tumorspezifischen Schranke geschützten Spinalganglien. Lebensqualität-Fragebogen der European Ihre Zytotoxizität ist proportional zu Organization of Research and Treatment ihrer Fähigkeit, DNA-Addukte zu bil- of Cancer (EORTC) entwickelt und den, wodurch sie die DNA-Replikation wird gegenwärtig international evaluiert und -Transkription verhindern und den [Postma et al. 2005]. Untergang der Nervenzellen induzieren. Oxaliplatin führt bereits nach einer Ein- Ältere Patienten nicht häufiger zeldosis und innerhalb von zwei Stunden betroffen – also schneller als andere Platin-Ver- Während generell ein mit dem Lebens- bindungen – zu einer Verkleinerung der alter der Patienten steigendes Neben- Nucleoli in Spinalganglienzellen. Abhän- wirkungsrisiko angenommen wird, fand gig vom Ausmaß der zytologischen Ver- sich in einer prospektiven Studie unter änderungen ist die funktionelle Toxizität einer Cisplatin- bzw. Paclitaxel-basierten jedoch erst 14 Tage später neurographisch Chemotherapie in der Altersgruppe ab 65 fassbar [McKeage et al. 2001]. Jahre weder eine erhöhte Inzidenz noch ein höherer Schweregrad der CIPN im — Cisplatin Vergleich zu jüngeren Patienten [Argy- Cisplatin (Cis-Diammindichloroplatin riou et al. 2006]. Eine Auswertung auf II) ist wegen geringer Kreuzresistenz mit der Grundlage der Illinois Cancer Center anderen antineoplastischen Substanzen, Datenbank ergab bei 672 in Phase-II- fehlender dosisbegrenzender Knochen- Studien eingeschlossenen Patienten keine marksuppression, Vermeidbarkeit der signifikante Abweichung zwischen den Nephrotoxizität (durch Hydrierung des > 65-jährigen (40,3%) und den jüngeren Patienten) und Kontrollierbarkeit der 67
Fortbildung S uppor t i v t h e ra p i e emetogenen Potenz (mit 5-HT3-Ant- einer durch Kaubewegungen getrig- axonaler spannungsabhängiger Natrium- agonisten) Bestandteil vieler Chemo- gerten, schmerzhaften Verkrampfung kanäle zugrunde, ein Effekt, der unter therapie-Regime. Das Nebenwirkungs- der Kiefer- und Pharynxmuskulatur, experimentellen Bedingungen durch den spektrum von Cisplatin dominieren die seltener mit Crampi der Extremitäten- Natriumkanalblocker Carbamazepin in- Neuro- und Ototoxizität. Eine Cispla- muskulatur, umschriebenen Paresen, hibiert wird. Die elektrophysiologischen tin-bedingte PNP setzt ab einer Kumu- Visusstörungen, Gesichtsfelddefekten Befunde in der Akutphase haben prädik- lativdosis von 300 mg/m² ein. Sie kann oder orbitalen Schmerzen einhergehen. tive Bedeutung für die Entstehung einer bis zu drei Monate nach Beendigung Einige der neurologischen Beschwerden chronischen Oxaliplatin-induzierten der Applikation fortschreiten und bildet in der Akutphase halten nur Sekunden PNP, sodass ein Zeitfenster für prophy- sich langsam und oft unvollständig zu- bis Minuten an, andere, z. B. die Ptosis laktische Maßnahmen und Anpassung rück. Charakteristische Erscheinungen der Augenlider oder das Schweregefühl der Tumortherapie besteht. Die kumula- der Cisplatin-bedingten PNP sind von der Beine, über Stunden. tive Neurotoxizität spiegelt sich in einer distal nach proximal sich entwickelnde Anhand einer Oxaliplatin-spezi- zunehmenden SNAP-Amplitudenreduk- Kribbelparästhesien, eine Pallhypästhesie fischen Neurotoxizitäts-Skala wurden bei tion bis hin zum Potentialverlust bei der und Einschränkung des Positionssinnes 86 Patienten mit kolorektalem Karzinom Suralis- und Radialis-Neurografie wider mit konsekutiver Ataxie. Pathomorpho- unter First-Line-Therapie mit Oxaliplatin sowie in einer verminderten nervalen logisches Korrelat ist eine sensible Large- in 94,3% der Fälle Parästhesien und in Erregbarkeit und verlängerten relativen Fiber-Neuropathie. Der empfindlichste 87,2% Dysästhesien dokumentiert. Nach Refraktärperiode als Hinweis auf eine Parameter zum Nachweis der Cisplatin- dem ersten Zyklus lag die Inzidenz bei durch Oxaliplatin hervorgerufene nodale induzierten PNP ist eine progrediente 77 bzw. 73%. Die sensible Reizsympto- Natriumkanal-Dysfunktion [Krishnan et Amplitudenreduktion des sensiblen Ner- matik dauerte nach dem ersten Zyklus al. 2006]. Ebenso wie Oxaliplatin hemmt venaktionspotentials (SNAP) bei sequen- durchschnittlich sieben bzw. fünf Tage sein Metabolit Oxalat den neuronalen zieller Suralis-Neurografie im Vergleich an und nahm nach dem zwölften Zyklus Natrium-Einstrom und kann durch Kal- zum Ausgangsbefund. Darüber hinaus auf mindestens 21 Tage zu [Leonard et zium-Chelatbildung die neuromuskuläre hat sich die quantitative Bestimmung al. 2005]. Überregbarkeit verstärken [Grolleau et der Vibrationsperzeptionsschwelle als Nach einer kumulativen Oxaliplatin- al. 2001]. geeignetes diagnostisches Instrument Dosis von 700 bis 800 mg/m² entwickeln Aus den vorliegenden experimentel- erwiesen. 50% der Patienten eine vorwiegend sen- len und klinischen Daten lässt sich aktu- sible, axonale PNP, die im Intervall und ell keine Therapieempfehlung ableiten. — Carboplatin nach Abschluss der Chemotherapie eine In einer Pilotstudie konnte durch Carboplatin, ein Platin-Derivat der zwei- Regredienz erkennen lässt. Positive sen- prophylaktische Carbamazepin-Gabe ten Generation, ist vor allem wegen dosis- sible Symptome bilden sich innerhalb von eine Oxaliplatin-induzierte PNP > Grad I limitierender hämatologischer Nebenwir- zwölf Monaten komplett zurück, sensible verhindert werden [Eckel et al. 2002]. kungen weniger häufig und in geringerer Defizite und elektroneurografische Auf- Eine randomisierte, kontrollierte, Ausprägung mit einer CIPN assoziiert, fälligkeiten persistieren länger. multizentrische Phase-II-Studie zeigte die ansonsten der Cisplatin-induzierten Den wenigen derzeit verfügbaren unter Chemotherapie nach dem FUFOX- PNP entspricht. Langzeitbeobachtungen zufolge sind nach Regime bei einer kleinen Patientenan- im Mittel zwölf Oxaliplatin-Zyklen und zahl keinen signifikanten Einfluss einer — Oxaliplatin einer kumulativen Dosis von mindestens Carbamazepin-Komedikation auf den Oxaliplatin (Trans-L-1,2-Diamino- 1.000 mg/m² Residualsymptome auch PNP-Score. cyclohexan-Oxalatoplatin II) ist eine noch nach fünf Jahren klinisch und neu- In einer retrospektiven Analyse Platin-Verbindung der dritten Ge- rophysiologisch feststellbar [Pietrangeli von 161 Patienten, ebenfalls mit fort- neration. Oxaliplatin ist nur gering et al. 2006]. geschrittenem kolorektalem Karzinom, nephro-, myelo- und ototoxisch, aber Die kumulative Neurotoxizität lässt entwickelte sich bei 96 Patienten, denen – anders als Cisplatin und Carboplatin sich durch Veränderung des Oxalipla- vor und nach jeder Oxaliplatin-Applika- – mit einer komplexen Neurotoxizität tin-Applikationsmodus verringern, z. B. tion je 1 g Kalzium-Gluconat und Ma- behaftet. Aufgrund seiner Ringstruktur indem man die Infusionsdauer von zwei gnesium-Sulfat i. v. verabreicht worden bildet es voluminösere DNA-Addukte, auf sechs Stunden verlängert. war, signifikant seltener eine akute Neuro- die sowohl die DNA-Synthese als auch Parallel zu den klinischen Zeichen toxizität als in der Vergleichsgruppe; am DNA-Reparaturmechanismen effizi- einer akuten Oxaliplatin-Neurotoxizität Ende der Chemotherapie bestand eine enter inhibieren. Während einer Oxali- lässt sich eine Übererregbarkeit peripherer kumulative PNP bei 20 versus 45% der platin-Infusion bemerken die meisten Nerven anhand repetitiver Entladungen Patienten [Gamelin et al. 2004]. Patienten durch Kälte provozierbare motorischer Einheiten und sensibler Ein Cochrane-Review, basierend auf Kribbelparästhesien und Dysästhesien Neurone nachweisen. Pathophysiologisch 16 randomisierten klinischen Studien mit perioral und an den Extremitäten, mit- liegt diesem Phänomen eine Oxaliplatin- insgesamt 1.420 Patienten, kommt zu unter auch oral und pharyngo-laryngeal, vermittelte transitorische Verlangsamung dem Ergebnis, dass die derzeitige Daten- die mit einer Hypästhesie, Dysphonie, der Inaktivierung bestimmter Isoformen lage nicht ausreicht, um die Wirksamkeit 68 Im Focus Onkologie 11 | 2007
Tabelle 1 Neuroprotektion bei Platin-Derivat-assozierter CIPN (Chemotherapie-induzierte periphere Neurotoxizität) Autoren Chemotherapie Prophylaxe Design N Outcome Kemp et al. 1996 Cisplatin/ Amifostin RD 242 Signifikanter Effekt auf Cyclophosphamid 910 mg/mC i. v. PNP-Inzidenz und -Schweregrad Cascinu et al. 2002 Oxaliplatin-basiert Glutathion RD DB PC 52 Signifikanter Effekt auf 1.500 mg/mC i. v. Suralis-SNAP-Amplitude und mittlere Latenz Pace et al. 2003 Cisplatin Vitamin E 300 mg/d RD C 27 PNP-Inzidenz p. o. bis 3 Monate 30,7% vs. 85,7% nach Chemotherapie Tabelle 2 Neuroprotektion bei Paclitaxel-assoziierter CIPN (Chemotherapie-induzierte periphere Neurotoxizität) Autoren Chemotherapie Prophylaxe Design N Outcome Hilpert et al. 2005 Paclitaxel/ Amifostin RD DB PC 72 Signifikanter Effekt auf sensible Neuropathie Carboplatin 740 mg/mC i.v. gemäß NCI-CTC und Vibrationsschwelle Argyriou et al. 2006 Paclitaxel Vitamin E RD C 32 PNP-Inzidenz 2 x 300 mg/d p.o. 18,7 % vs. 62,5 % sitäts-Gruppe waren es dagegen nur 7% Tabelle 3 Neuroprotektion bei CICN [Verstappen et al. 2005]. Weder die symptomatische Be- Zytostatikum Symptome Prophylaxe/Therapie handlung von Parästhesien und neu- Ifosfamid Vigilanzminderung, Psychose, Methylenblau 3 (-6) x 50 mg/d i. v. ropathischen Schmerzen mit Antikon- epileptische Anfälle, Thiamin 3 x 100 mg/d i. v. Mutismus, cerebelläre Ataxie Ifosfamid-Pause vulsiva, Antidepressiva oder Opioiden, noch der Versuch einer Prävention der Methotrexat Aseptische Meningitis, transiente Cave Radiatio vor/während MTX Vincristin-induzierten PNP, z. B. mit posteriore Leukenzephalopathie, Cave Hochdosis-MTX chronische Leukenzephalopathie, ggf. antihypertensive Therapie dem ACTH(4-9)-Analogon oder mit Myelopathie ggf. Magnesium-Substitution Glutaminsäure, ist durch Ergebnisse aus kontrollierten klinischen Studien ausrei- Cytarabin Aseptische Meningitis Cave intrathekale Applikation Cerebelläre Ataxie Cytarabin-Pause chend abgesichert. 5-Fluorouracil Cerebelläre Ataxie, Erhöhtes Risiko bei Dihydro Taxane transiente Enzephalopathie, pyrimidin-Dehydrogenase-Mangel chronische Leukenzephalopathie 5-FU-Pause Im Unterschied zu Vinca-Alkaloiden hemmen Taxane die Zellteilung durch Förderung der Polymerisation löslicher der fünf analysierten Substanzen in der dass der Schweregrad der CIPN bei ge- Tubulindimere und Stabilisierung der Prophylaxe einer Platin-induzierten PNP ringerer Dosisintensität (maximal 2 mg Mikrotubuli mit negativer Auswirkung zu belegen (Tabelle 1). in ein- bis vierwöchigen Intervallen) auf den axonalen Transport. Eine über- abnimmt. In einer prospektiven Stu- wiegend sensible Axonopathie manifes- Vinca-Alkaloide die traten unter Vincristin 1,33 mg pro tiert sich unter Paclitaxel-Gabe, üblicher- Von den Vinca-Alkaloiden, zu denen Woche bei 60 bzw. 70% der Patienten weise nach einer Kumulativdosis von 100 neben Vincristin und Vinblastin die Parästhesien und Hypästhesie distal bis 200 mg/m², ausgeprägter als unter semisynthetischen Substanzen Vindesin an den Extremitäten auf und in 62% Docetaxel-Therapie. Schwerpunktmäßig und Vinorelbin zählen, hat Vincristin die neuropathische Schmerzen. Patienten, betroffen sind große myelinisierte Fasern. stärkste neurotoxische Potenz. die nur 0,67 mg Vincristin pro Woche In der Diagnostik ist die klinisch-neuro- Vincristin inhibiert die Mikrotubu- erhielten, litten seltener unter Sensibi- logische Untersuchung verlässlicher als li-Formation in der Mitose und führt so litätsstörungen oder Schmerzen (34% die quantitative sensible Testung. zu einer Degeneration der Axone. Nach Parästhesien, 43% Hypästhesie, 14% Parästhesien, die sich trotz Fortset- einer kumulativen Dosis von 5 bis 6 mg Schmerzen). Vier Wochen nach Been- zung der Paclitaxel-Applikation in 42% verursacht Vincristin im Allgemeinen digung der Chemotherapie beschrieben besserten und bei 26% der Patientinnen eine sensomotorische PNP, die häufig 31% der Patienten, die Vincristin in mit Schmerzen assoziiert waren, fanden mit einer autonomen Neuropathie (be- höherer Dosisintensität erhalten hatten, sich in einer kleinen prospektiven Studie sonders im Gastrointestinaltrakt) ein- häufigere und stärkere neurologische Be- in 84%, neuropathische Symptome in hergeht. Untersuchungen haben gezeigt, schwerden. In der Niedrig-Dosisinten- 97% der Fälle [Forsyth et al. 1997]. Im Focus Onkologie 11 | 2007 69
Fortbildung S uppor t i v t h e ra p i e Neuroprotektive Strategien zur Enzephalopathie, die in der Mehrzahl der colorectal cancer. Clin Cancer Res 2004; 10 (12 Pt 1): 4055–61. Prävention einer CIPN unter Taxan- Fälle nach Absetzen des Präparates rever- 7. Giovanazzi-Bannon S, Rademaker A, Lai G, Therapie sind bislang nicht hinreichend sibel ist und selten einen letalen Verlauf Benson AB, 3rd. Treatment tolerance of evaluiert (Tabelle 2). nimmt. Positive Erfahrungsberichte zur elderly cancer patients entered onto phase Prophylaxe und Therapie dieser Chemo- II clinical trials: an Illinois Cancer Center Chemotherapie-induzierte therapie-induzierten zentralen Neuroto- study. J Clin Oncol 1994; 12 (11): 2447–52. zentrale Neurotoxizität 8. Grolleau F, Gamelin L, Boisdron-Celle M, xizität (CICN) mit Methylenblau und Lapied B, Pelhate M, Gamelin E. A possible Ifosfamid, ein Alkylans aus der Gruppe Thiamin haben bis dato keine Bestäti- explanation for a neurotoxic effect of the der Oxazaphosphorine, führt bei 10 bis gung durch eine adäquate klinische Stu- anticancer agent oxaliplatin on neuronal 30% der behandelten Patienten zu einer die gefunden (Tabelle 3). Eine klinisch voltage-gated sodium channels. J Neuro- physiol 2001; 85 (5): 2293–7. relevante, wenn auch geringe CICN-In- 9. Krishnan AV, Goldstein D, Friedlander M, zidenz ist unter einer Chemotherapie mit Kiernan MC. Oxaliplatin and axonal Na+ Methotrexat, Cytarabin oder 5-Fluoro- channel function in vivo. Clin Cancer Res uracil zu beachten. 2006; 12 (15): 4481–4. 10. Leonard GD, Wright MA, Quinn MG, Fiora- vanti S, Harold N, Schuler B, et al. Survey of Fazit oxaliplatin-associated neurotoxicity using Eine möglichst geringe Kumulativdosis an interview-based questionnaire in und Dosisintensität einer neurotoxischen patients with metastatic colorectal cancer. BMC Cancer 2005; 5: 116. Substanz sind wesentlich für die Präven- 11. McKeage MJ, Hsu T, Screnci D, Haddad G, tion und Therapie von Nebenwirkungen Baguley BC. Nucleolar damage correlates am peripheren und zentralen Nerven- with neurotoxicity induced by different system. Darüber hinaus gewinnen neu- platinum drugs. Br J Cancer 2001; 85 (8): 1219–25. roprotektive Pharmaka, die verträglich 12. Pietrangeli A, Leandri M, Terzoli E, Jando- sind und nicht mit dem Anti-Tumor- lo B, Garufi C. Persistence of high-dose ox- Effekt interferieren, zunehmend an Be- aliplatin-induced neuropathy at long-term deutung. follow-up. Eur Neurol 2006; 56 (1): 13–6. 13. Postma TJ, Aaronson NK, Heimans JJ, Literatur Muller MJ, Hildebrand JG, Delattre JY, et al. The development of an EORTC quality of 1. Albers J, Chaudhry V, Cavaletti G, Done- life questionnaire to assess chemotherapy- hower R. Interventions for preventing neu- induced peripheral neuropathy: the QLQ- ropathy caused by cisplatin and related CIPN20. Eur J Cancer 2005; 41 (8): 1135–9. compounds. Cochrane Database Syst Rev 14. Verstappen CC, Koeppen S, Heimans JJ, 2007 (1): CD005228. Huijgens PC, Scheulen ME, Strumberg D, 2. Argyriou AA, Polychronopoulos P, Koutras et al. Dose-related vincristine-induced A, Iconomou G, Gourzis P, Assimakopou- peripheral neuropathy with unexpected los K, et al. Is advanced age associated off-therapy worsening. Neurology 2005; with increased incidence and severity of 64 (6): 1076–7. chemotherapy-induced peripheral neuro- pathy? Support Care Cancer 2006; 14 (3): 223–9. Korrespondenzadresse: 3. Cavaletti G, Jann S, Pace A, Plasmati R, Dr. med. Susanne Koeppen Siciliano G, Briani C, et al. Multi-center Neurologische Klinik und Poliklinik assessment of the Total Neuropathy Score for chemotherapy-induced peripheral Universitätsklinikum Essen neurotoxicity. J Peripher Nerv Syst 2006; 11 Hufelandstraße 55 (2): 135–41. 45122 Essen 4. Eckel F, Schmelz R, Adelsberger H, Erd- E-Mail: susanne.koeppen@uni-essen.de mann J, Quasthoff S, Lersch C. [Prevention of oxaliplatin-induced neuropathy by carbamazepine. A pilot study]. Dtsch Med Für den Arbeitskreis Wochenschr 2002; 127 (3): 78–82. Supportive Maßnahmen in der Onkologie 5. Forsyth PA, Balmaceda C, Peterson K, (ASO) innerhalb der Deutschen Krebs- Seidman AD, Brasher P, DeAngelis LM. gesellschaft (DKG) und der Multinational Prospective study of paclitaxel-induced Association of Supportive Care in Cancer peripheral neuropathy with quantitative (MASCC). www.onkosupport.de sensory testing. J Neurooncol 1997; 35 (1): 47–53. 6. Gamelin L, Boisdron-Celle M, Delva R, Guerin-Meyer V, Ifrah N, Morel A, et al. Prevention of oxaliplatin-related neuro- toxicity by calcium and magnesium infu- Foto: MEV sions: a retrospective study of 161 patients receiving oxaliplatin combined with 5-Fluorouracil and leucovorin for advanced 70 Im Focus Onkologie 11 | 2007
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