Taube Stellen, kribbelnde Finger - Nervenschäden gezielt vermeiden

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Taube Stellen, kribbelnde Finger - Nervenschäden gezielt vermeiden
Fortbildung

Management der therapiebedingten Neurotoxizität

Taube Stellen, kribbelnde Finger –
Nervenschäden gezielt vermeiden
Susanne Koeppen

                                        Viele Nebenwirkungen einer Tumortherapie, wie Schmerzen
                                        oder Übelkeit, sind inzwischen gut behandelbar. Medikamente
                                        gegen Nebenwirkungen am Nervensystem können Beschwerden
                                        allenfalls lindern. Zwar gewinnen neuroprotektive Wirkstoffe an
                                        Bedeutung, sie sind aber bislang nicht hinreichend evaluiert. Es
                                        bleibt also wesentlich, die Kumulativdosis und Dosisintensität einer
                                        neurotoxischen Substanz so gering wie möglich zu halten.

                                        N        eurotoxische Nebenwirkungen
                                                 sind mit zunehmender Be-
                                                 herrschbarkeit der Nephro-
                                        und Myelotoxizität zum wesentlichen
                                        dosislimitierenden Faktor vieler Chemo-
                                                                                   (PNP) assoziiert. Die PNP ist definiert
                                                                                   als funktionelle und strukturelle Affek-
                                                                                   tion des peripheren Nervensystems. Ty-
                                                                                   pischerweise treten initial sensible Reiz-
                                                                                   erscheinungen mit distal symmetrischer
                                        therapien geworden. Neurotoxische          Verteilung auf, die die Betroffenen meist
                                        Nebenwirkungen manifestieren sich          als Kribbelparästhesien schildern und die
                                        wesentlich häufiger als periphere Neuro-   bei fortdauernder Einwirkung des neuro-
                                        pathien als mit Störungen des zentralen    toxischen Pharmakons aszendieren und
                                        Nervensystems.                             mit einem handschuh- bzw. strumpfför-
                                             Während Zeitpunkt und Art der         mig begrenzten Taubheitsgefühl im Sinne
                                        klinischen Manifestation durch das aus-    einer Hypästhesie und Hypalgesie einher-
                                        lösende Agens determiniert sind, wer-      gehen. Typisch sind außerdem eine distal
                                        den die Ausprägung der Symptome und        betonte Vibrationsminderempfindung
                                        ihre Rückbildungsfähigkeit nach Dosis-     an den Extremitäten und abgeschwäch-
                                        anpassung einer neurotoxischen Substanz    te bzw. erloschene Muskeleigenreflexe.
                                        bzw. nach Beendigung der Applikation       Auch eine sensible Ataxie und motorische
                                        von Patienten-immanenten Faktoren          Defizite – ebenfalls mit distalem Beginn
                                        mitbeeinflusst.                            und einer Mitbeteiligung des autonomen
                                             Die Behandlung neurologischer         Nervensystems – sind möglich.
                                        Nebenwirkungen beschränkt sich im               Verlaufsdynamik und Symptom-
                                        Allgemeinen auf eine medikamentöse         spektrum der PNP korrelieren mit der
                                        symptomatische Therapie, unterstützt       Pharmakokinetik des jeweiligen Zyto-
                                        durch physikalische und physiothera-       statikums und seinem Schädigungsme-
                                        peutische Maßnahmen. Neuroprotektive       chanismus am peripheren Nervensys-
                                        Therapieansätze sind bislang nur für we-   tem. Da die Chemotherapie-induzierte
                                        nige klinische Indikationen verfügbar.     periphere Neurotoxizität (CIPN) im
                                                                                   fortgeschrittenen Stadium mit erheb-
                                        Chemotherapie-induzierte                   lichen funktionellen Defiziten und vor
                                        periphere Neurotoxizität                   allem bei neuropathischen Schmerzen
                                        Insbesondere Platin-Derivate, Vinca-       mit einer gravierenden Beeinträchti-
                                        Alkaloide und Taxane sind in Abhän-        gung der Lebensqualität verbunden sein
                                        gigkeit von der verabreichten Kumu-        kann, sollten Patienten parallel zu einer
                            Foto: MEV

                                        lativdosis und Dosisintensität mit der     potenziell neurotoxischen Mono- oder
                                        Entwicklung einer Polyneuropathie          Kombinationstherapie regelmäßig und

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in standardisierter Form bezüglich neu-         Patienten bezüglich Anzahl der Dosisre-
rologischer Nebenwirkungen befragt und          duktionen, Therapieunterbrechungen,
untersucht werden.                              Grad > 3 Toxizitäten und der therapeu-
                                                tischen Ansprechrate [Giovanazzi-Ban-
Verlässliche Frühdiagnose                       non et al. 1994].
Im Hinblick auf eine Frühdiagnose der                Daher erscheint beim gegenwär-
CIPN und die Vergleichbarkeit von               tigen Kenntnisstand ein unter Umstän-
Neurotoxizitätsdaten aus verschiedenen          den prognoserelevantes Abweichen von
klinischen Studien ist eine sensitive,          Standard-Chemotherapie-Regimen bei
reliable, nicht-invasive und ohne größe-        älteren Patienten nicht gerechtfertigt,
ren Zeitaufwand praktikable Testbatterie        sofern adäquate Supportivmaßnahmen
erforderlich.                                   zur Anwendung kommen.
     Diese Kriterien erfüllt der Total               Bei Patienten mit vorbestehender
Neuropathy Score (TNS), der in seiner           PNP oder PNP-Prädisposition, z. B.
kürzesten Fassung ausschließlich auf            durch einen Diabetes mellitus, ist von
klinischen Parametern basiert, in der           einer erhöhten Vulnerabilität des peri-
kompletten Version eine sensible und            pheren Nervensystems mit entsprechend
motorische Elektroneurografie an der            höherem CIPN-Risiko auszugehen.
unteren Extremität sowie eine quanti-
tative Vibratometrie impliziert und in          Platin-Derivate
einer reduzierten Form letztere aus-            Platin-haltige Chemotherapeutika haben
klammert. TNS-Resultate stimmen gut             unterschiedliche Neurotoxizitätsprofile.
überein mit der Beurteilung der CIPN            Die Sequestrierung in das periphere
anhand etablierter onkologischer Skalen         Nervensystem – und damit die Ge-
wie den National-Cancer-Institute-Com-          webskonzentration – korreliert mit der
mon-Toxicity-Criteria (NCI-CTC) 2.0             Hydrophobie des Wirkstoffs, welche bei
und dem Ajani- und Eastern-Coope-               Cisplatin > Carboplatin > Oxaliplatin ist.
rative-Oncology-Group(ECOG)-Score               Die Hemmung der Neuritenausspros-
[Cavaletti et al. 2006].                        sung in vitro gilt als Indikator für die
     Ein 20 Punkte umfassender Pati-            Neurotoxizität und scheint bei Cisplatin
enten-Fragebogen zur Selbsteinschät-            > Oxaliplatin > Carboplatin zu sein.
zung CIPN-bedingter Beschwerden und                  Platin-Verbindungen akkumulie-
funktioneller Einschränkungen wurde             ren in den nicht durch die Blut-Liquor-
als Ergänzung zum tumorspezifischen             Schranke geschützten Spinalganglien.
Lebensqualität-Fragebogen der European          Ihre Zytotoxizität ist proportional zu
Organization of Research and Treatment          ihrer Fähigkeit, DNA-Addukte zu bil-
of Cancer (EORTC) entwickelt und                den, wodurch sie die DNA-Replikation
wird gegenwärtig international evaluiert        und -Transkription verhindern und den
[Postma et al. 2005].                           Untergang der Nervenzellen induzieren.
                                                Oxaliplatin führt bereits nach einer Ein-
Ältere Patienten nicht häufiger                 zeldosis und innerhalb von zwei Stunden
betroffen                                       – also schneller als andere Platin-Ver-
Während generell ein mit dem Lebens-            bindungen – zu einer Verkleinerung der
alter der Patienten steigendes Neben-           Nucleoli in Spinalganglienzellen. Abhän-
wirkungsrisiko angenommen wird, fand            gig vom Ausmaß der zytologischen Ver-
sich in einer prospektiven Studie unter         änderungen ist die funktionelle Toxizität
einer Cisplatin- bzw. Paclitaxel-basierten      jedoch erst 14 Tage später neurographisch
Chemotherapie in der Altersgruppe ab 65         fassbar [McKeage et al. 2001].
Jahre weder eine erhöhte Inzidenz noch
ein höherer Schweregrad der CIPN im             — Cisplatin
Vergleich zu jüngeren Patienten [Argy-          Cisplatin (Cis-Diammindichloroplatin
riou et al. 2006]. Eine Auswertung auf          II) ist wegen geringer Kreuzresistenz mit
der Grundlage der Illinois Cancer Center        anderen antineoplastischen Substanzen,
Datenbank ergab bei 672 in Phase-II-            fehlender dosisbegrenzender Knochen-
Studien eingeschlossenen Patienten keine        marksuppression, Vermeidbarkeit der
signifikante Abweichung zwischen den            Nephrotoxizität (durch Hydrierung des
> 65-jährigen (40,3%) und den jüngeren          Patienten) und Kontrollierbarkeit der

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emetogenen Potenz (mit 5-HT3-Ant-                einer durch Kaubewegungen getrig-             axonaler spannungsabhängiger Natrium-
agonisten) Bestandteil vieler Chemo-             gerten, schmerzhaften Verkrampfung            kanäle zugrunde, ein Effekt, der unter
therapie-Regime. Das Nebenwirkungs-              der Kiefer- und Pharynxmuskulatur,            experimentellen Bedingungen durch den
spektrum von Cisplatin dominieren die            seltener mit Crampi der Extremitäten-         Natriumkanalblocker Carbamazepin in-
Neuro- und Ototoxizität. Eine Cispla-            muskulatur, umschriebenen Paresen,            hibiert wird. Die elektrophysiologischen
tin-bedingte PNP setzt ab einer Kumu-            Visusstörungen, Gesichtsfelddefekten          Befunde in der Akutphase haben prädik-
lativdosis von 300 mg/m² ein. Sie kann           oder orbitalen Schmerzen einhergehen.         tive Bedeutung für die Entstehung einer
bis zu drei Monate nach Beendigung               Einige der neurologischen Beschwerden         chronischen Oxaliplatin-induzierten
der Applikation fortschreiten und bildet         in der Akutphase halten nur Sekunden          PNP, sodass ein Zeitfenster für prophy-
sich langsam und oft unvollständig zu-           bis Minuten an, andere, z. B. die Ptosis      laktische Maßnahmen und Anpassung
rück. Charakteristische Erscheinungen            der Augenlider oder das Schweregefühl         der Tumortherapie besteht. Die kumula-
der Cisplatin-bedingten PNP sind von             der Beine, über Stunden.                      tive Neurotoxizität spiegelt sich in einer
distal nach proximal sich entwickelnde                 Anhand einer Oxaliplatin-spezi-         zunehmenden SNAP-Amplitudenreduk-
Kribbelparästhesien, eine Pallhypästhesie        fischen Neurotoxizitäts-Skala wurden bei      tion bis hin zum Potentialverlust bei der
und Einschränkung des Positionssinnes            86 Patienten mit kolorektalem Karzinom        Suralis- und Radialis-Neurografie wider
mit konsekutiver Ataxie. Pathomorpho-            unter First-Line-Therapie mit Oxaliplatin     sowie in einer verminderten nervalen
logisches Korrelat ist eine sensible Large-      in 94,3% der Fälle Parästhesien und in        Erregbarkeit und verlängerten relativen
Fiber-Neuropathie. Der empfindlichste            87,2% Dysästhesien dokumentiert. Nach         Refraktärperiode als Hinweis auf eine
Parameter zum Nachweis der Cisplatin-            dem ersten Zyklus lag die Inzidenz bei        durch Oxaliplatin hervorgerufene nodale
induzierten PNP ist eine progrediente            77 bzw. 73%. Die sensible Reizsympto-         Natriumkanal-Dysfunktion [Krishnan et
Amplitudenreduktion des sensiblen Ner-           matik dauerte nach dem ersten Zyklus          al. 2006]. Ebenso wie Oxaliplatin hemmt
venaktionspotentials (SNAP) bei sequen-          durchschnittlich sieben bzw. fünf Tage        sein Metabolit Oxalat den neuronalen
zieller Suralis-Neurografie im Vergleich         an und nahm nach dem zwölften Zyklus          Natrium-Einstrom und kann durch Kal-
zum Ausgangsbefund. Darüber hinaus               auf mindestens 21 Tage zu [Leonard et         zium-Chelatbildung die neuromuskuläre
hat sich die quantitative Bestimmung             al. 2005].                                    Überregbarkeit verstärken [Grolleau et
der Vibrationsperzeptionsschwelle als                  Nach einer kumulativen Oxaliplatin-     al. 2001].
geeignetes diagnostisches Instrument             Dosis von 700 bis 800 mg/m² entwickeln             Aus den vorliegenden experimentel-
erwiesen.                                        50% der Patienten eine vorwiegend sen-        len und klinischen Daten lässt sich aktu-
                                                 sible, axonale PNP, die im Intervall und      ell keine Therapieempfehlung ableiten.
— Carboplatin                                    nach Abschluss der Chemotherapie eine              In einer Pilotstudie konnte durch
Carboplatin, ein Platin-Derivat der zwei-        Regredienz erkennen lässt. Positive sen-      prophylaktische Carbamazepin-Gabe
ten Generation, ist vor allem wegen dosis-       sible Symptome bilden sich innerhalb von      eine Oxaliplatin-induzierte PNP > Grad I
limitierender hämatologischer Nebenwir-          zwölf Monaten komplett zurück, sensible       verhindert werden [Eckel et al. 2002].
kungen weniger häufig und in geringerer          Defizite und elektroneurografische Auf-            Eine randomisierte, kontrollierte,
Ausprägung mit einer CIPN assoziiert,            fälligkeiten persistieren länger.             multizentrische Phase-II-Studie zeigte
die ansonsten der Cisplatin-induzierten                Den wenigen derzeit verfügbaren         unter Chemotherapie nach dem FUFOX-
PNP entspricht.                                  Langzeitbeobachtungen zufolge sind nach       Regime bei einer kleinen Patientenan-
                                                 im Mittel zwölf Oxaliplatin-Zyklen und        zahl keinen signifikanten Einfluss einer
— Oxaliplatin                                    einer kumulativen Dosis von mindestens        Carbamazepin-Komedikation auf den
Oxaliplatin (Trans-L-1,2-Diamino-                1.000 mg/m² Residualsymptome auch             PNP-Score.
cyclohexan-Oxalatoplatin II) ist eine            noch nach fünf Jahren klinisch und neu-            In einer retrospektiven Analyse
Platin-Verbindung der dritten Ge-                rophysiologisch feststellbar [Pietrangeli     von 161 Patienten, ebenfalls mit fort-
neration. Oxaliplatin ist nur gering             et al. 2006].                                 geschrittenem kolorektalem Karzinom,
nephro-, myelo- und ototoxisch, aber                   Die kumulative Neurotoxizität lässt     entwickelte sich bei 96 Patienten, denen
– anders als Cisplatin und Carboplatin           sich durch Veränderung des Oxalipla-          vor und nach jeder Oxaliplatin-Applika-
– mit einer komplexen Neurotoxizität             tin-Applikationsmodus verringern, z. B.       tion je 1 g Kalzium-Gluconat und Ma-
behaftet. Aufgrund seiner Ringstruktur           indem man die Infusionsdauer von zwei         gnesium-Sulfat i. v. verabreicht worden
bildet es voluminösere DNA-Addukte,              auf sechs Stunden verlängert.                 war, signifikant seltener eine akute Neuro-
die sowohl die DNA-Synthese als auch                   Parallel zu den klinischen Zeichen      toxizität als in der Vergleichsgruppe; am
DNA-Reparaturmechanismen effizi-                 einer akuten Oxaliplatin-Neurotoxizität       Ende der Chemotherapie bestand eine
enter inhibieren. Während einer Oxali-           lässt sich eine Übererregbarkeit peripherer   kumulative PNP bei 20 versus 45% der
platin-Infusion bemerken die meisten             Nerven anhand repetitiver Entladungen         Patienten [Gamelin et al. 2004].
Patienten durch Kälte provozierbare              motorischer Einheiten und sensibler                Ein Cochrane-Review, basierend auf
Kribbelparästhesien und Dysästhesien             Neurone nachweisen. Pathophysiologisch        16 randomisierten klinischen Studien mit
perioral und an den Extremitäten, mit-           liegt diesem Phänomen eine Oxaliplatin-       insgesamt 1.420 Patienten, kommt zu
unter auch oral und pharyngo-laryngeal,          vermittelte transitorische Verlangsamung      dem Ergebnis, dass die derzeitige Daten-
die mit einer Hypästhesie, Dysphonie,            der Inaktivierung bestimmter Isoformen        lage nicht ausreicht, um die Wirksamkeit

68                                                                                                           Im Focus Onkologie   11 | 2007
Tabelle 1
 Neuroprotektion bei Platin-Derivat-assozierter CIPN (Chemotherapie-induzierte periphere Neurotoxizität)
 Autoren                   Chemotherapie         Prophylaxe              Design                 N    Outcome
 Kemp et al. 1996          Cisplatin/            Amifostin               RD                    242   Signifikanter Effekt auf
                           Cyclophosphamid       910 mg/mC i. v.                                     PNP-Inzidenz und -Schweregrad
 Cascinu et al. 2002       Oxaliplatin-basiert   Glutathion              RD DB PC               52   Signifikanter Effekt auf
                                                 1.500 mg/mC i. v.                                   Suralis-SNAP-Amplitude und mittlere Latenz
 Pace et al. 2003          Cisplatin             Vitamin E 300 mg/d      RD C                   27   PNP-Inzidenz
                                                 p. o. bis 3 Monate                                  30,7% vs. 85,7%
                                                 nach Chemotherapie

                                                                                                                                         Tabelle 2
 Neuroprotektion bei Paclitaxel-assoziierter CIPN (Chemotherapie-induzierte periphere Neurotoxizität)
 Autoren                   Chemotherapie         Prophylaxe              Design                  N   Outcome
 Hilpert et al. 2005       Paclitaxel/           Amifostin               RD DB PC               72   Signifikanter Effekt auf sensible Neuropathie
                           Carboplatin           740 mg/mC i.v.                                      gemäß NCI-CTC und Vibrationsschwelle
 Argyriou et al. 2006      Paclitaxel            Vitamin E               RD C                   32   PNP-Inzidenz
                                                 2 x 300 mg/d p.o.                                   18,7 % vs. 62,5 %

                                                                                                        sitäts-Gruppe waren es dagegen nur 7%
                                                                                     Tabelle 3
 Neuroprotektion bei CICN                                                                               [Verstappen et al. 2005].
                                                                                                             Weder die symptomatische Be-
 Zytostatikum       Symptome                             Prophylaxe/Therapie
                                                                                                        handlung von Parästhesien und neu-
 Ifosfamid          Vigilanzminderung, Psychose,         Methylenblau 3 (-6) x 50 mg/d i. v.            ropathischen Schmerzen mit Antikon-
                    epileptische Anfälle,                Thiamin 3 x 100 mg/d i. v.
                    Mutismus, cerebelläre Ataxie         Ifosfamid-Pause
                                                                                                        vulsiva, Antidepressiva oder Opioiden,
                                                                                                        noch der Versuch einer Prävention der
 Methotrexat        Aseptische Meningitis, transiente    Cave Radiatio vor/während MTX                  Vincristin-induzierten PNP, z. B. mit
                    posteriore Leukenzephalopathie,      Cave Hochdosis-MTX
                    chronische Leukenzephalopathie,      ggf. antihypertensive Therapie
                                                                                                        dem ACTH(4-9)-Analogon oder mit
                    Myelopathie                          ggf. Magnesium-Substitution                    Glutaminsäure, ist durch Ergebnisse aus
                                                                                                        kontrollierten klinischen Studien ausrei-
 Cytarabin          Aseptische Meningitis                Cave intrathekale Applikation
                    Cerebelläre Ataxie                   Cytarabin-Pause
                                                                                                        chend abgesichert.
 5-Fluorouracil     Cerebelläre Ataxie,                  Erhöhtes Risiko bei Dihydro                    Taxane
                    transiente Enzephalopathie,          pyrimidin-Dehydrogenase-Mangel
                    chronische Leukenzephalopathie       5-FU-Pause
                                                                                                        Im Unterschied zu Vinca-Alkaloiden
                                                                                                        hemmen Taxane die Zellteilung durch
                                                                                                        Förderung der Polymerisation löslicher
der fünf analysierten Substanzen in der            dass der Schweregrad der CIPN bei ge-                Tubulindimere und Stabilisierung der
Prophylaxe einer Platin-induzierten PNP            ringerer Dosisintensität (maximal 2 mg               Mikrotubuli mit negativer Auswirkung
zu belegen (Tabelle 1).                            in ein- bis vierwöchigen Intervallen)                auf den axonalen Transport. Eine über-
                                                   abnimmt. In einer prospektiven Stu-                  wiegend sensible Axonopathie manifes-
Vinca-Alkaloide                                    die traten unter Vincristin 1,33 mg pro              tiert sich unter Paclitaxel-Gabe, üblicher-
Von den Vinca-Alkaloiden, zu denen                 Woche bei 60 bzw. 70% der Patienten                  weise nach einer Kumulativdosis von 100
neben Vincristin und Vinblastin die                Parästhesien und Hypästhesie distal                  bis 200 mg/m², ausgeprägter als unter
semisynthetischen Substanzen Vindesin              an den Extremitäten auf und in 62%                   Docetaxel-Therapie. Schwerpunktmäßig
und Vinorelbin zählen, hat Vincristin die          neuropathische Schmerzen. Patienten,                 betroffen sind große myelinisierte Fasern.
stärkste neurotoxische Potenz.                     die nur 0,67 mg Vincristin pro Woche                 In der Diagnostik ist die klinisch-neuro-
     Vincristin inhibiert die Mikrotubu-           erhielten, litten seltener unter Sensibi-            logische Untersuchung verlässlicher als
li-Formation in der Mitose und führt so            litätsstörungen oder Schmerzen (34%                  die quantitative sensible Testung.
zu einer Degeneration der Axone. Nach              Parästhesien, 43% Hypästhesie, 14%                         Parästhesien, die sich trotz Fortset-
einer kumulativen Dosis von 5 bis 6 mg             Schmerzen). Vier Wochen nach Been-                   zung der Paclitaxel-Applikation in 42%
verursacht Vincristin im Allgemeinen               digung der Chemotherapie beschrieben                 besserten und bei 26% der Patientinnen
eine sensomotorische PNP, die häufig               31% der Patienten, die Vincristin in                 mit Schmerzen assoziiert waren, fanden
mit einer autonomen Neuropathie (be-               höherer Dosisintensität erhalten hatten,             sich in einer kleinen prospektiven Studie
sonders im Gastrointestinaltrakt) ein-             häufigere und stärkere neurologische Be-             in 84%, neuropathische Symptome in
hergeht. Untersuchungen haben gezeigt,             schwerden. In der Niedrig-Dosisinten-                97% der Fälle [Forsyth et al. 1997].

Im Focus Onkologie      11 | 2007                                                                                                               69
Fortbildung              S uppor t i v t h e ra p i e

    Neuroprotektive Strategien zur                    Enzephalopathie, die in der Mehrzahl der                colorectal cancer. Clin Cancer Res 2004; 10
                                                                                                              (12 Pt 1): 4055–61.
Prävention einer CIPN unter Taxan-                    Fälle nach Absetzen des Präparates rever-
                                                                                                         7.   Giovanazzi-Bannon S, Rademaker A, Lai G,
Therapie sind bislang nicht hinreichend               sibel ist und selten einen letalen Verlauf              Benson AB, 3rd. Treatment tolerance of
evaluiert (Tabelle 2).                                nimmt. Positive Erfahrungsberichte zur                  elderly cancer patients entered onto phase
                                                      Prophylaxe und Therapie dieser Chemo-                   II clinical trials: an Illinois Cancer Center
Chemotherapie-induzierte                              therapie-induzierten zentralen Neuroto-                 study. J Clin Oncol 1994; 12 (11): 2447–52.
zentrale Neurotoxizität                                                                                 8.    Grolleau F, Gamelin L, Boisdron-Celle M,
                                                      xizität (CICN) mit Methylenblau und                     Lapied B, Pelhate M, Gamelin E. A possible
Ifosfamid, ein Alkylans aus der Gruppe                Thiamin haben bis dato keine Bestäti-                   explanation for a neurotoxic effect of the
der Oxazaphosphorine, führt bei 10 bis                gung durch eine adäquate klinische Stu-                 anticancer agent oxaliplatin on neuronal
30% der behandelten Patienten zu einer                die gefunden (Tabelle 3). Eine klinisch                 voltage-gated sodium channels. J Neuro-
                                                                                                              physiol 2001; 85 (5): 2293–7.
                                                      relevante, wenn auch geringe CICN-In-             9.    Krishnan AV, Goldstein D, Friedlander M,
                                                      zidenz ist unter einer Chemotherapie mit                Kiernan MC. Oxaliplatin and axonal Na+
                                                      Methotrexat, Cytarabin oder 5-Fluoro-                   channel function in vivo. Clin Cancer Res
                                                      uracil zu beachten.                                     2006; 12 (15): 4481–4.
                                                                                                        10.   Leonard GD, Wright MA, Quinn MG, Fiora-
                                                                                                              vanti S, Harold N, Schuler B, et al. Survey of
                                                      Fazit                                                   oxaliplatin-associated neurotoxicity using
                                                      Eine möglichst geringe Kumulativdosis                   an interview-based questionnaire in
                                                      und Dosisintensität einer neurotoxischen                patients with metastatic colorectal cancer.
                                                                                                              BMC Cancer 2005; 5: 116.
                                                      Substanz sind wesentlich für die Präven-
                                                                                                        11.   McKeage MJ, Hsu T, Screnci D, Haddad G,
                                                      tion und Therapie von Nebenwirkungen                    Baguley BC. Nucleolar damage correlates
                                                      am peripheren und zentralen Nerven-                     with neurotoxicity induced by different
                                                      system. Darüber hinaus gewinnen neu-                    platinum drugs. Br J Cancer 2001; 85 (8):
                                                                                                              1219–25.
                                                      roprotektive Pharmaka, die verträglich
                                                                                                        12.   Pietrangeli A, Leandri M, Terzoli E, Jando-
                                                      sind und nicht mit dem Anti-Tumor-                      lo B, Garufi C. Persistence of high-dose ox-
                                                      Effekt interferieren, zunehmend an Be-                  aliplatin-induced neuropathy at long-term
                                                      deutung.                                                follow-up. Eur Neurol 2006; 56 (1): 13–6.
                                                                                                        13.   Postma TJ, Aaronson NK, Heimans JJ,
                                                      Literatur                                               Muller MJ, Hildebrand JG, Delattre JY, et al.
                                                                                                              The development of an EORTC quality of
                                                      1. Albers J, Chaudhry V, Cavaletti G, Done-             life questionnaire to assess chemotherapy-
                                                         hower R. Interventions for preventing neu-           induced peripheral neuropathy: the QLQ-
                                                         ropathy caused by cisplatin and related              CIPN20. Eur J Cancer 2005; 41 (8): 1135–9.
                                                         compounds. Cochrane Database Syst Rev
                                                                                                        14.   Verstappen CC, Koeppen S, Heimans JJ,
                                                         2007 (1): CD005228.
                                                                                                              Huijgens PC, Scheulen ME, Strumberg D,
                                                      2. Argyriou AA, Polychronopoulos P, Koutras             et al. Dose-related vincristine-induced
                                                         A, Iconomou G, Gourzis P, Assimakopou-               peripheral neuropathy with unexpected
                                                         los K, et al. Is advanced age associated             off-therapy worsening. Neurology 2005;
                                                         with increased incidence and severity of             64 (6): 1076–7.
                                                         chemotherapy-induced peripheral neuro-
                                                         pathy? Support Care Cancer 2006; 14 (3):
                                                         223–9.                                         Korrespondenzadresse:
                                                      3. Cavaletti G, Jann S, Pace A, Plasmati R,       Dr. med. Susanne Koeppen
                                                         Siciliano G, Briani C, et al. Multi-center
                                                                                                        Neurologische Klinik und Poliklinik
                                                         assessment of the Total Neuropathy Score
                                                         for chemotherapy-induced peripheral
                                                                                                        Universitätsklinikum Essen
                                                         neurotoxicity. J Peripher Nerv Syst 2006; 11   Hufelandstraße 55
                                                         (2): 135–41.                                   45122 Essen
                                                      4. Eckel F, Schmelz R, Adelsberger H, Erd-        E-Mail: susanne.koeppen@uni-essen.de
                                                         mann J, Quasthoff S, Lersch C. [Prevention
                                                         of oxaliplatin-induced neuropathy by
                                                         carbamazepine. A pilot study]. Dtsch Med       Für den Arbeitskreis
                                                         Wochenschr 2002; 127 (3): 78–82.               Supportive Maßnahmen in der Onkologie
                                                      5. Forsyth PA, Balmaceda C, Peterson K,           (ASO) innerhalb der Deutschen Krebs-
                                                         Seidman AD, Brasher P, DeAngelis LM.           gesellschaft (DKG) und der Multinational
                                                         Prospective study of paclitaxel-induced        Association of Supportive Care in Cancer
                                                         peripheral neuropathy with quantitative
                                                                                                        (MASCC). www.onkosupport.de
                                                         sensory testing. J Neurooncol 1997; 35 (1):
                                                         47–53.
                                                      6. Gamelin L, Boisdron-Celle M, Delva R,
                                                         Guerin-Meyer V, Ifrah N, Morel A, et al.
                                                         Prevention of oxaliplatin-related neuro-
                                                         toxicity by calcium and magnesium infu-
                                          Foto: MEV

                                                         sions: a retrospective study of 161 patients
                                                         receiving oxaliplatin combined with
                                                         5-Fluorouracil and leucovorin for advanced

70                                                                                                                        Im Focus Onkologie       11 | 2007
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