Technologische Spezialisierung der österreichischen Regionen
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Luna Subasic, B.Sc. Technologische Spezialisierung der österreichischen Regionen: eine patentbasierte informetrische Analyse Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Science der Studienrichtung Betriebswirtschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz Betreuer: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dipl.-Ing. Dr.rer.soc.oec Christian Schlögl Institut: Institut für Operations und Information Systems Graz, März 2022 II
Inhalt 1 EINLEITUNG ....................................................................................................................................3 1.1. Problemstellung und Motivation............................................................................................... 3 1.2. Aufbau der Arbeit ...................................................................................................................... 5 1.3. Definition der kritischen Begriffe ............................................................................................. 5 2 TECHNOLOGISCHE SPEZIALISIERUNG..................................................................................9 2.1. Spezialisierung vs. Diversifizierung ........................................................................................ 10 2.2. Intelligente Spezialisierung ...................................................................................................... 12 3 PATENT ............................................................................................................................................16 3.1. Patentdaten ............................................................................................................................... 16 3.2. Europäisches Patentamt (EPA) ............................................................................................... 18 3.2.1. Patstat .................................................................................................................................. 20 3.2.2. NUTS................................................................................................................................... 21 3.3. Internationale Patentklassifikation......................................................................................... 23 3.4. Technologie-Konkordanztabelle ............................................................................................. 24 4 METHODIK UND DATEN.............................................................................................................30 5 INTERPRETATION DER ERGEBNISSE ....................................................................................36 5.1. Gesamtzahl der Patentanmeldungen ...................................................................................... 36 5.1.1. Gesamtzahl der Patentanmeldungen nach Technologiebereichen ....................................... 37 5.1.2. Gesamtzahl der Patentanmeldungen pro NUTS-Gebiet ...................................................... 38 5.2. Wachstum/Rückgang der Patentaktivität .............................................................................. 40 5.3. Größe der Population im Vergleich zur Anzahl der patentierten Technologien................ 42 5.4. Führende Patentanmelder nach NUTS-Region ..................................................................... 43 5.5. Technologie-Anteil.................................................................................................................... 45 5.6. Patentanmeldungen in den einzelnen Technologiefelder je NUTS-3 Region ...................... 46 5.7. Konzentrationsindex C5 .......................................................................................................... 48 5.8. Relativer Spezialisierungsindex (RTA) .................................................................................. 49 6 CONCLUSIO ....................................................................................................................................53 I LITERATURVERZEICHNIS .........................................................................................................56 II ANHÄNGE ......................................................................................................................................59 II
1 EINLEITUNG 1.1. Problemstellung und Motivation In den letzten Jahren ist das Thema „Innovation und technologischer Wandel“ zu einem der drängendsten Themen geworden. Der Grund dafür, dass Innovation und Erfindung zu einem Thema von breitem öffentlichen Interesse geworden sind, liegt in der Überzeugung, dass sie die Hauptantriebskräfte für den Aufstieg und Niedergang von Industrien sowie für das regionale und nationale Wirtschaftswachstum sind. Forscher haben herausgefunden, dass eine Erhöhung der Ausgaben des öffentlichen Sektors für Forschung und Entwicklung (F&E) um 1 Euro das Bruttoinlandsprodukt (BIP) langfristig um bis zu 6 Euro steigern kann.1 Österreich hat in den letzten Jahrzehnten in den Bereichen Forschung, Technologie und Innovation einen Aufholprozess vollzogen. Dies war gekennzeichnet durch einen deutlichen Anstieg der Forschungsintensität (F&E-Ausgaben in Prozent des BIP) im gesamten Innovationssystem.2 Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung zählt Österreich mittlerweile zu den weltweit führenden Nationen. Im Jahr 2018 lag Österreich unter den EU-Ländern an zweiter Stelle, hinter Schweden und vor führenden Innovationsnationen wie Finnland und Belgien. Im Jahr 2019 betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Österreich 12,69 Mrd. € und lagen damit um 4,8 % über dem Wert von 2018 (12,11 Mrd. €). Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt lag 2019 bei 3,18 % und ist damit im Vergleich zu 2018 (3,14 %) gestiegen.3 Im Jahr 2020 lagen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Österreich mit 12,14 Mrd. € unter dem Wert des Jahres 2019. Die F&E- Intensität erreichte mit 3,23 % einen neuen Höchststand. Damit hat Österreich den europäischen Zielwert von 3 % für 2020 zum siebten Mal in Folge überschritten. Zusammen mit Schweden, Deutschland und Dänemark ist Österreich eines der vier EU-Ländern, die das europäische Ziel von 3 % regelmäßig erreichen.4 Aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten durch die COVID-19-Pandemie wurde im österreichischen Forschungs- und Technologiebericht auf eine Globalschätzung der jährlichen F&E-Ausgaben für 2021 verzichtet. 1 Federal Ministry of Education, Science and Research et al. (2020), S. 9. 2 Federal Ministry of Education, Science and Research et al. (2011), S 4. 3 Federal Ministry of Education, Science and Research et al. (2020), S. 9. 4 Federal Ministry of Education, Science and Research et al. (2021), S. 11. 3
Der wirtschaftliche Rahmen, der veranschaulichen soll, wie F&E- und Innovationsinvestitionspolitiken die wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Spezialisierung innerhalb eines regionalen politischen Rahmens beeinflussen können, wird als intelligente Spezialisierung bezeichnet. Um die Politik der intelligenten Spezialisierung zu verfolgen, ist es von entscheidender Bedeutung, den aktuellen Stand zu analysieren, obwohl dies eine Herausforderung sein kann, da einige Arten von Daten nur auf nationaler Ebene aggregiert sind. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Ansatz zur Erfassung und Aggregation von Daten auf NUTS 3- Regionalebene zu finden, um Patentstatistiken zu analysieren und die wichtigsten Faktoren für die technologische Entwicklung Österreichs zu identifizieren. Die technologische Spezialisierung und die Patentportfolios der österreichischen Regionen werden bewertet, um deren Wettbewerbsvorteile und Potenziale für weiteres technologisches Wachstum besser zu verstehen. Folgende Forschungsfragen werden festgelegt: 1. Welche österreichischen Regionen haben die höchste Anzahl an patentierten Technologien? 2. Welches Verhältnis besteht zwischen der Zahl der patentierten Technologien und der Bevölkerungsgröße? 3. Welche Unternehmen haben die meisten angemeldeten Patente in jeder Region? 4. Welche sind die technologischen Spezialisierungsfelder ausgewählter Regionen? - Welche Regionen konzentrieren sich auf Hochtechnologien bzw. auf neue innovative Bereiche? - Welche Regionen konzentrieren sich auf die Entwicklung von weniger wissensintensiven, technologiearmen Technologien? - Welche Regionen haben sich auf eine ganze Reihe von Technologien spezialisiert, sowohl auf Hoch- als auch auf Niedrigtechnologien? Die Forschungsaufgabe hat wichtige praktische Auswirkungen, da die Methode es ermöglicht, die aktuellen thematischen Prioritäten und Potenziale der NUTS-3-Regionen zu bestimmen und auch ihr künftiges technologisches Wachstum und ihre Anfälligkeit im Falle von Wirtschaftskrisen vorherzusagen. Die technologische Spezialisierung hat potenziell große wirtschaftliche Auswirkungen: Wenn die aktuelle Situation verstanden wird, können Wettbewerbsvorteile identifiziert und die Position der Region in der Struktur des nationalen 4
oder globalen Technologiemarktes bestimmt werden. Wenn richtige Managemententscheid- ungen getroffen werden, kann dieses Wissen dazu beitragen, die technologische Spezialisierung in eine technologische Führungsposition umzuwandeln. 1.2. Aufbau der Arbeit Diese Arbeit ist in 6 Kapitel unterteilt. Kapitel 1 führt in das Thema und die Bedeutung der Forschung ein. Es enthält auch die Definitionen der wichtigsten Begriffe, die in dieser Forschung verwendet werden. Kapitel 2 und 3 enthalten einen Überblick über die einschlägige Literatur. In Kapitel 2 werden die wichtigsten Merkmale der technologischen Spezialisierung, der Unterschied zwischen technologischer Spezialisierung und technologischer Diversifizierung sowie die Bedeutung der intelligenten Spezialisierung erläutert. Kapitel 3 gibt einen Einblick in Patente, Patentdaten, das Europäische Patentamt und seine Datenbank PATSTAT. In diesem Kapitel werden auch die NUTS-3-Regionen und die internationale Patentklassifikation definiert. Die für die Forschung verwendeten Methoden werden in Kapitel 4 beschrieben und die Ergebnisse werden in Kapitel 5 vorgestellt und diskutiert. In Kapitel 6 werden die wichtigsten Schlussfolgerungen dargelegt und sowohl die Grenzen der Studie als auch Empfehlungen für weitere Forschungen aufgezeigt. 1.3. Definition der kritischen Begriffe In diesem Kapitel werden die wichtigsten Begriffe der hier vorliegenden Masterarbeit erläutert. • Technologische Spezialisierung: „Spezialisierung“ bezeichnet die Bereiche, in denen ein Land, eine Region, ein Sektor oder ein Unternehmen eine stärkere Position einnimmt als andere Länder, Regionen, Sektoren oder Unternehmen. „Technologiespezialisierung“ bedeutet eine Konzentration der Fähigkeiten auf bestimmte Wissensgebiete. Der Begriff der Spezialisierung selbst bedeutet jedoch, dass es nicht denkbar ist, dass ein Land Spezialisierungspositionen im gesamten breiten Spektrum der Technologien erreicht.5 5 Giannitsis, Kager (2009), S. 4. 5
• Intelligente Spezialisierung: Im November 2009 veröffentlichte die Europäische Kommission den Bericht „Wissen für Wachstum“, der die Ergebnisse einer beratenden Expertengruppe für die EU enthält. Ihre Aufgabe war es, eine Alternative zur öffentlichen Politik zu finden, die ihrer Meinung nach die bisher öffentlichen Investitionen in Wissen und Innovation über technologische Forschungsfelder wie Biotechnologie, Informationstechnologien und Nanotechnologie verteilte. Die Expertengruppe schlug vor, dass nationale und vor allem regionale Regierungen Investitionen in Bereichen fördern sollten, die „die anderen produktiven Ressourcen des Landes ergänzen, um künftige heimische Fähigkeiten und interregionale komparative Vorteile zu schaffen“. Dieser strategische Vorschlag wird als „intelligente Spezialisierung“ bezeichnet. Er verbreitete sich schnell und wurde in die EU-Agenda 2020 als „Forschungs- und Innovationsstrategien für intelligente Spezialisierung“ (RIS3) mit ihren Zielen eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums aufgenommen. Intelligente Spezialisierung ist daher ein regionaler politischer Rahmen für innovationsgetriebenes Wachstum.6 • Patent: Patente beinhalten eine Reihe von ausschließlichen Rechten, die Anmeldern für Erfindungen, die neu, nicht offensichtlich und kommerziell anwendbar sind, gesetzlich gewährt werden. Ein Patent gilt für einen begrenzten Zeitraum (in der Regel 20 Jahre), in dem die Patentinhaber ihre Erfindungen auf exklusiver Basis gewerblich verwerten können. Im Gegenzug sind die Anmelder dazu verpflichtet, ihre Erfindungen der Öffentlichkeit in einer Weise zu offenbaren, die es anderen Fachleuten ermöglicht, die Erfindung zu replizieren. Das Patentsystem soll die Innovation fördern, indem es den Innovatoren zeitlich begrenzte ausschließliche Rechte einräumt und es ihnen so ermöglicht, die Früchte ihrer innovativen Tätigkeit zu ernten.7 • Patentanmelder: Ein „Patentanmelder“ ist eine natürliche oder juristische Person, die eine Patentanmeldung einreicht. Es kann mehr als einen Anmelder in der Anmeldung geben.8 6 OECD: Innovation-driven Growth in Regions: The Role of Smart Specialization, S. 11. 7 World Intellectual Property Organization: Glossary, [on-line]. 8 World Intellectual Property Organization: Glossary, [on-line]. 6
• Internationale Patentklassifikation: Die „Internationale Patentklassifikation (IPC)“ ist ein international anerkanntes Patentklassifik- ationssystem. Dieses bietet ein hierarchisches System von sprachunabhängigen Symbolen für die Klassifizierung von Patenten nach verschiedenen Gebieten der Technik an.9 • Erfindung: Eine „Erfindung“ ist eine neue Lösung für ein technisches Problem. Um Patentrechte zu erhalten, muss die Erfindung neu sein, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und nach dem Urteil eines Fachmanns gewerblich anwendbar sein.10 • Technologie-Konkordanztabelle: Die „Technologie-Konkordanztabelle“ der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WPO) verbindet die Symbole der Internationalen Patentklassifikation (IPC) mit fünfunddreißig Technologiebereichen. Da die IPC-Codes regelmäßig aktualisiert werden, wird auch diese Tabelle regelmäßig angepasst.11 • Informetrie: Unter dem Begriff „Informetrie“ werden alle quantitativen Studien in der Informationswissenschaft verstanden. Wenn ein Wissenschaftler wissenschaftliche Forschungen empirisch durchführt, z. B. über das Verhalten von Informationsnutzern, den wissenschaftlichen Einfluss von Fachzeitschriften, die Entwicklung der Patentanmeldungsaktivität eines Unternehmens, die Verlinkung von Webseiten, die zeitliche Verteilung von Blogbeiträgen, die ein bestimmtes Thema diskutieren, über die Verfügbarkeit, oder über die Benutzerfreundlichkeit von Websites usw., dann trägt er zur Informetrie bei.12 9 World Intellectual Property Organization: Glossary, [on-line]. 10 World Intellectual Property Organization: Glossary, [on-line]. 11 World Intellectual Property Organization: Intellectual Property Statistics, [on-line]. 12 Stock, Weber (2006), S. 385. 7
• High-Tech- und Low-Tech-Industrien: Die Statistiken über die Hightech-Industrie und wissensintensive Dienstleistungen (fallweise als Hightech-Statistiken bezeichnet) umfassen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Wissenschafts-, Technologie- und Innovationsdaten, die die Tätigkeiten des verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors, die gehandelten Produkte und die angemeldeten Patente auf der Grundlage ihrer Technologieintensität beschreiben. Der Patentansatz, der zur Ermittlung der Technologieintensität verwendet wird, untersucht, ob ein Patent Hightech ist oder nicht. Die Daten zu Patentanmeldungen im Bereich der Hochtechnologie können auf der Grundlage der Daten zu Patentanmeldungen nach bestimmten IPC-Unterklassen berechnet werden. Zur Identifizierung von Hochtechnologiebranchen werden Gruppen auf der Grundlage der Internationalen Patentklassifikation (IPC), 8. Ausgabe, gebildet. Innovationen, die als „Hochtechnologien“ definiert werden, gehören zu den folgenden Bereichen:13 − Luftfahrt − Kommunikationstechnologie − Computer und automatisierte Betriebsausstattung − Laser − Mikroorganismus und Gentechnik − Halbleiter. Andere werden als Low-Tech-Technologien eingestuft. 13 EUROSTAT: Eurostat indicators on High-tech industry and Knowledge – intensive services, [on-line]. 8
2 TECHNOLOGISCHE SPEZIALISIERUNG Die häufigste Verwendung des Begriffs „Spezialisierung“ bezieht sich auf das unterschiedliche Gewicht der produktiven Tätigkeiten in der Produktionsstruktur eines Landes. Genauer gesagt ist die technologische Spezialisierung (und die Spezialisierung im Allgemeinen) ein relatives Maß und kann durch zwei verschiedene Vergleiche spezifiziert werden: • durch einen Vergleich zwischen dem relativen Gewicht der Bezugsgröße (z. B. Patente) innerhalb eines Landes, z. B. Spezialisierung auf Elektrotechnik und Informatik usw., • durch einen Vergleich, z. B. zwischen den oben genannten nationalen Technologiespezialisi- erungsmustern mit denen anderer Länder oder Gebiete. Technologische Spezialisierung bedeutet eine Konzentration von Fähigkeiten in Wissensbereichen, in denen z.B. eine Region eine stärkere Position einnimmt als andere Regionen. Dennoch kann Spezialisierung nicht Konzentration über das ganze Spektrum der Technologien bedeuten. Die technologische Spezialisierung wird von Wirtschaftswissenschaftlern auf verschiedenen Ebenen für einzelne Organisationsarten, Branchen, Regionen und Länder analysiert. Angesichts der Rolle, die bestimmte Regionen in der Wirtschaft spielen, besteht sowohl für Forscher als auch für politische Entscheidungsträger ein wachsender Bedarf, die Quellen ihrer Innovations- und Produktivitätsvorteile zu verstehen. Das Verständnis der Spezialisierung einer Region kann auch zur Vorhersage ihrer Anfälligkeit für technologische Krisen und damit für lange Phasen des Rückgangs der Patentaktivität genutzt werden. Die Bewertung der technologischen Spezialisierung von Ländern und Regionen basiert traditionell auf der Analyse der Patentaktivität, ihrer thematischen Struktur und Dynamik. Der Hauptgrund für die Verwendung von Patenten zur Messung des Spezialisierungsprofils einer Region ist, dass sie ein indirekter Beweis für technologische Aktivität sind und über längere Zeiträume beobachtet werden können.14 14 Mancusi (2001), S. 595. 9
2.1. Spezialisierung vs. Diversifizierung Der Wettbewerb in der heutigen globalen Wirtschaft beruht in hohem Maße auf Innovation, da viele der üblichen preisbasierten Formen des wirtschaftlichen Vorteils abgeflacht sind. Nach Adam Smith führte die Spezialisierung zu größerem Erfindungsreichtum, weil die Problemlösung fokussierter war und die Konzentration auf eng definierte Aufgaben gerichtet wurde. Eine Region kann ihr technologisches Know-how in ähnlichen Bereichen akkumulieren, was zu einem höheren Lerneffekt und einer größeren Wissensakkumulation führt. Obwohl die technologische Spezialisierung viele Vorteile wie Lernen, Wissenstransfer und Wissensakkumulation mit sich bringen kann, kann das Problem der Kernstarrheit aufgrund unvorhersehbarer Umweltveränderungen auftreten.15 Regionen unterliegen einem ständigen Strukturwandel. Neue Aktivitäten entstehen und wachsen, während alte schrumpfen oder verschwinden. Diversifizierung bedeutet die Ausweitung der Aktivitäten auf neue Bereiche. Die Fähigkeit zur Diversifizierung in neue Bereiche ist wichtig für das Wirtschaftswachstum und die Widerstandsfähigkeit der Regionen. Folglich steht die regionale Diversifizierung im Fokus der politischen Entscheidungsträger. Die aktuelle Strategie der Europäischen Union für intelligente Spezialisierung beispielsweise unterstützt und fördert ausdrücklich regionale Diversifizierungsstrategien.16 Allerdings ist auch die Diversifizierung in den Regionen ein unsicherer Prozess, der sich durch das Stützen auf vorhandene lokale Fähigkeiten verringern lassen würde. So ist es für Regionen weniger problematisch, von Mobiltelefonen auf Computer umzusteigen als bspw. von Orangen auf Computer, da Mobiltelefone und Computer ähnliche (technische) Fähigkeiten erfordern.17 Konzepte wie die verwandte Diversifizierung und die regionale Verzweigung machen deutlich, dass die regionale Diversifizierung kein zufälliger Prozess ist, sondern dass die vorhandenen Fähigkeiten die Entwicklung künftiger Fähigkeiten beeinflussen. Neue Industrien entstehen nicht zufällig im gesamten Raum. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass sie in Regionen entstehen, in denen bereits verwandte Fähigkeiten vorhanden sind: Wenn auf bestehenden Fähigkeiten aufgebaut wird, anstatt völlig neue zu erforschen, werden Unsicherheiten und Risiken verringert und die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Diversifizierung erhöht. Dennoch kann eine verwandte Diversifizierung auch zu regionalen „Lock-ins" führen, indem 15 Yi-Chia et al. (2010), S. 39. 16 Mewes, Broekel (2020), S. 221. 17 Boschma et al. (2017), S. 33. 10
bekannte Wege mit geringen Zukunftsaussichten beschritten werden. Die Diversifizierung in nicht verwandte Tätigkeiten kann solche „Lock-ins" verhindern, indem sie das Spektrum der regionalen Fähigkeiten vergrößert. Darüber hinaus erhöht sie die regionale Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Schocks. Die Diversifizierung in nicht verwandte Bereiche erfordert jedoch die Erforschung neuen Wissens, was unsicher, riskant und weniger vielversprechend ist.18 Die Diversifizierung wird als wesentlicher Bestandteil der regionalen Widerstandsfähigkeit angesehen, da die Entwicklung neuer Fähigkeiten es den Regionen ermöglichen kann, Krisen zu überwinden. Es wurde festgestellt, dass Krisen eine stark dämpfende Wirkung auf die Diversifizierung haben und dass insbesondere die Diversifizierung in weniger verwandten Technologien im Vergleich zu wohlhabenderen Zeiten geringer ausfällt. Dies entspricht der Hypothese, dass dramatische Nachfragerückgänge während Krisenzeiten die Einführung neuer bahnbrechender Technologien verhindern. Daher ist es wahrscheinlicher, dass neue Technologien in der Wachstumsphase in die Wirtschaft eintreten. Vielfältigere Städte schaffen es, sich in Krisenzeiten stärker zu diversifizieren als ihre stärker spezialisierten Pendants.19 Es ist plausibel anzunehmen, dass technologische Spezialisierung für einschneidende Innovationen notwendig ist, weil ein großer, spezialisierter Wissensbestand erforderlich ist, um die gewünschten Lerneffekte zu erzeugen, den Fortschritt in wissenschaftlichen Disziplinen voranzutreiben und neue Technologien zu entwickeln oder weitreichende Patente anzumelden. Diese Sichtweise wird durch die technologischen Durchbrüche der letzten Jahrzehnte gestützt, bei denen spezialisiertes Wissen an Universitäten den Weg für neue innovative Produkte ebnete. Die Biotechnologie hat ihren Ursprung eindeutig in sehr spezialisierten Universitätsinstituten, und auch die Entdeckung der Nanoskala geht auf spezialisierte Forschungsgruppen an Universitäten zurück. In weiterer Folge wurde dieses Wissen an den privaten Sektor weitergegeben und trug wesentlich zu neuen Produkten bei. Außerdem wird dieser Zusammenhang zwischen einschneidenden Innovationen, ihrer Marktleistung und der Patentaktivität auch dadurch verstärkt, dass Patente auf einschneidende Innovationen einen breiteren Schutz mit längerer effektiver Patentlaufzeit genießen als inkrementelle Patente, da es für den Patentprüfer schwieriger ist, breitere Schutzansprüche von Anmeldern abzulehnen, wenn die Erfindung ein neues Gebiet eröffnet.20 18 Mewes, Broekel (2020), S. 224. 19 Steijn et al. (2018), S. 24. 20 Bolli, Woerter (2013), S. 7. 11
Die technologische Diversifizierung ist jedoch ein kapitalintensives Konzept. Forscher müssen sich neue Forschungsfelder mit erheblicher Unsicherheit über die technologischen Möglichkeiten erschließen, bis positive Lerneffekte eintreten. Das Lernen geht mit einem ausreichend großen Wissensbestand in einer einzigen Technologie einher, dessen Aufbau kostspielig ist. Die Kosten für die Ausrüstung und Gehälter von Forschern können besonders hoch sein, wenn es um die Schaffung drastischer Innovationen geht. Regionen und Städte, die technologisch diversifiziert sind, erleben weniger wahrscheinlich technologische Krisen und erholen sich von diesen auch schneller. Hochspezialisierte Regionen hingegen erleben häufiger und intensiver technologische Rückgänge, gemessen an der Patentaktivität, aber die Spezialisierung hat auch zahlreiche Vorteile, wie z. B. Lernen, Wissenstransfer und Akkumulation.21 2.2. Intelligente Spezialisierung Im November 2009 veröffentlichte die Europäische Kommission den Bericht „Wissen für Wachstum“ als Ergebnis einer beratenden Expertengruppe der EU. Die Expertengruppe schlug vor, dass nationale und vor allem regionale Regierungen Investitionen in Bereiche fördern sollten, die „die anderen produktiven Vermögenswerte des Landes ergänzen, um künftige inländische Fähigkeiten und interregionale komparative Vorteile zu schaffen". Dieser strategische Vorschlag wurde als „intelligente Spezialisierung“ bezeichnet und in die EU- Agenda 2020 mit ihren Zielen eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums aufgenommen. Die Forschungs- und Innovationsstrategien für intelligente Spezialisierung (RIS3) werden als Ex-ante-Konditionalität für zukünftige EU-Strukturfondsprogramme vorgeschlagen. Ihr Hauptziel ist es, die Ressourcen auf Forschung und Innovation so zu konzentrieren, dass die Wirkung der Strukturfonds maximiert wird. Die durch die intelligente Spezialisierung aufgeworfenen Fragen gehen jedoch weit über die Diskussion im EU-Kontext hinaus. Eine Reihe von Ländern, ob innerhalb oder außerhalb der OECD, interessieren sich jetzt für die intelligente Spezialisierung als eine Möglichkeit, ihre Volkswirtschaften aus der Krise zu führen, indem sie die regionale Dynamik in der innovationsgeleiteten/wissensintensiven Wirtschaftsentwicklung nutzen.22 21 Bolli, Woerter (2013), S. 5. 22 Organisation for Economic Co-operation and Development (2013), S. 11. 12
Intelligente Spezialisierung kann definiert werden als die auf regionaler Ebene vorgenommene Priorisierung in einer kleinen Gruppe von Sektoren/Technologien, die auf internationalen Märkten potenziell wettbewerbsfähig sind. Um eine intelligente Spezialisierung zu erreichen und Wettbewerbsvorteile aufzubauen, müssen die Regionen durch unternehmerische Entdeckungen verschiedene technologische Schlüsselbereiche und Wissensgebiete identifizieren. Politische Maßnahmen zur Förderung der Innovation in diesen Bereichen sollten dann von den regionalen Entscheidungsträgern angepasst werden.23 Die wichtigsten Grundsätze des Rahmens für intelligente Spezialisierung lassen sich wie folgt zusammenfassen:24 • Die Konzentration der öffentlichen Investitionen in F&E und das Wissen von bestimmten Aktivitäten ist für Regionen, die in keinem der großen Wissenschafts- oder Technologiebereiche führend sind, von entscheidender Bedeutung. In der Vergangenheit wurden die „Wissensinvestitionen“ (z. B. in die allgemeine und berufliche Bildung, öffentliche und private F&E) eher gleichmäßig verteilt, sodass sie in einem bestimmten Bereich keine großen Auswirkungen hatten. Bei der Konzentration im Rahmen der intelligenten Spezialisierung geht es jedoch darum, die Wissensinvestitionen auf „Aktivitäten“ zu richten, d. h. auf die von den Unternehmen ausgeführten „Geschäftsfunktionen“, die von der Konzeption eines Produkts bis zu seiner Endnutzung und darüber hinaus reichen (z. B. Design, Produktion, Marketing, Vertrieb und Unterstützung für den Endverbraucher). • Intelligente Spezialisierung beruht auf einem unternehmerischen Entdeckungsprozess, der Bereiche wirtschaftlicher Aktivitäten aufzeigen kann, in denen ein Land oder eine Region herausragende Leistungen erbringt oder das Potenzial hat, in der Zukunft herausragend zu sein. Sie befähigt Unternehmer, die in der Lage sind, das notwendige Wissen über Wissenschaft, Technologie und Technik mit Kenntnissen über Marktwachstum und - potenzial zu kombinieren, um die vielversprechendsten Aktivitäten zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sind unternehmerische Akteure nicht nur diejenigen, die neue Unternehmen gründen, sondern auch Innovatoren in etablierten Unternehmen, in der Wissenschaft oder im öffentlichen Sektor. 23 Jucevicius, Galbuogiene (2014), S. 142. 24 Organisation for Economic Co-operation and Development (2013), S. 12. 13
• Spezialisierung auf ausgewählte Tätigkeiten (aus einer Vielzahl verwandter Tätigkeiten), die einen komparativen Vorteil aufgrund der Differenzierung ihrer Tätigkeiten und Produkte auf den globalen Märkten bieten. • Regierungsübergreifende und interregionale politische Koordinierung: Festlegung gemeinsamer Ziele für die Erarbeitung regionaler Strategien und entsprechende Zuweisung öffentlicher Mittel. Intelligente Spezialisierungsstrategien sind naturgemäß durch komplementäre Aktivitäten auf horizontaler Ebene miteinander verbunden und erfordern eine horizontale politische Koordinierung. Sie werden jedoch insbesondere durch die „vertikale" Ausrichtung der unternehmerischen Tätigkeit, der Partnerschaften in Clustern, der regionalen Entwicklungsstrategie und der interregionalen und internationalen Vereinbarungen mitbestimmt, die alle Teil einer mehrstufigen Governance-Struktur für intelligente Spezialisierung sind. Die Festlegung gemeinsamer Ziele stellt daher einen leistungsfähigen Governance-Mechanismus für die vertikale Ausrichtung dieser Strategien dar, ohne einen marktorientierten Prozess der Ressourcenallokation zu gefährden. Diese Multi-Level-Governance-Koordination erfordert die Synchronisierung sowohl nationaler Strategien mit regionalen Strategien als auch die Synchronisierung verschiedener regionaler Strategien (z. B. Innovationsstrategien, Forschungsstrategien, Industriestrategien), um regionale Prioritäten zu unterstützen. • Muster für den Strukturwandel: Der Strukturwandel, nicht nur die Kapitalakkumulation, ist eine Triebkraft des Wirtschaftswachstums. Intelligente Spezialisierung als solche zielt darauf ab, den Strukturwandel zu beschleunigen, indem sie die Umwandlung wirtschaftlicher Aktivitäten aus einer strukturellen Perspektive fördert. In einigen Fällen kann dies bedeuten, bestehende Industrien zu modernisieren oder rückständige Sektoren in die Lage zu versetzen, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zu verbessern, aber für die Front-Runner-Länder kann es auch bedeuten, neue Bereiche am Rande der technologischen Grenze zu entwickeln. In Regionen mit relativ starken Innovationskapazitäten, einem reichhaltigen Netzwerk von Institutionen und gut organisierten Interessengruppen besteht eine der größten Herausforderungen für die politischen Entscheidungsträger darin, eine ausgewogene Auswahl an „intelligenten" Prioritäten zu treffen. Dabei müssen sowohl die vorhandenen 14
(wirtschaftlichen) Stärken berücksichtigt werden, als auch Flexibilität und Offenheit für neue Möglichkeiten gegeben sein.25 Intelligente Spezialisierung ist also ein wirtschaftlicher Rahmen, der sich auf Regionen konzentriert und darauf abzielt, für Politikgestaltungszwecke zu veranschaulichen, wie öffentliche Maßnahmen und Rahmenbedingungen die wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Spezialisierung innerhalb eines regionalpolitischen Rahmens und damit auch die Produktivität, die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum beeinflussen können.26 25 Organisation for Economic Co-operation and Development (2013), S. 144. 26 Organisation for Economic Co-operation and Development (2013), S. 18. 15
3 PATENT 3.1. Patentdaten Ein Patent ist ein Rechtstitel, der seinem Inhaber das Recht gibt, in einem bestimmten Land und für einen bestimmten Zeitraum zu verhindern, dass Dritte eine Erfindung unbefugt zu gewerblichen Zwecken nutzen.27 Patentinformationen werden in Patentdatenbanken gesammelt und gespeichert, die eine Analyse und einen Vergleich des Patentierungsverhaltens auf nationaler, regionaler oder Unternehmensebene ermöglichen. Wie jeder andere verfügbare Indikator haben auch Patentdaten Vor- und Nachteile. Die wichtigsten Vorteile lassen sich wie folgt zusammenfassen: • die Verfügbarkeit von Daten der Patentämter in den meisten Ländern der Welt, im Allgemeinen in sehr langen Zeitreihen; • Patente ermöglichen eine geografische Zuordnung und Analyse; • die Patentdaten decken praktisch jeden Bereich der Technologie ab, mit Ausnahme von Software, die im Allgemeinen urheberrechtlich geschützt ist und nur patentiert werden kann, wenn sie in einen technischen Prozess oder ein Produkt integriert ist; • die verfügbaren detaillierten Informationen über die Art der Technologie, den Erfinder und die relevanten Märkte; • die detaillierte IPC-Klassifizierung in Patentdokumenten ermöglicht eine nahezu große Auswahl an Aggregationsstufen, von breiten Bereichen bis hin zu einzelnen technischen Spezialgebieten; • das breite Spektrum an computergestützten Datenbanken, die von Institutionen und kommerziellen Einrichtungen entwickelt wurden und die den Zugang zu den Daten erleichtern; • die statistische Aufbereitung der Daten ist weitgehend fehlerfrei, da es sich bei den Patentdokumenten um Rechtsdokumente handelt, in denen die Angaben sorgfältig festgehalten werden; • die Zugänglichkeit und elektronische Verfügbarkeit von Patentdaten haben ihre Nutzung erheblich erleichtert.28 Die Verwendung von Patentindikatoren hat jedoch auch einige Schwächen: 27 European Patent Guide: How to get a European patent (2019), S. 10. 28 Khramova, S. 4. 16
• nicht alle Erfindungen werden patentiert, manchmal schützen Firmen ihre Innovationen mit alternativen Methoden wie Geheimhaltung, schneller Markteinführung, niedrigen Preisen usw.; • institutionelle Faktoren, einschließlich Aspekte des Patentrechts und der Verfahren, die von Land zu Land oder von Institution zu Institution unterschiedlich sein können; • Abhängigkeit der Patentierungsbereitschaft von Firmengröße und Sektor; • in Bereichen, in denen sich die Entwicklungen schnell ändern, kann der Patentschutz von geringem Wert sein, da Erfindungen schnell veralten und es lange dauert, bis ein Patent erteilt wird; • Unterschiede im Patentierungsverhalten zwischen Sektoren, Patentinstitutionen und Märkten, Erfindern und Unternehmen; • das Erfordernis der Neuheit für die Erteilung von Patenten bedeutet, dass die Indikatoren zwar besonders für fortgeschrittene Länder geeignet sind, aber möglicherweise die technologische Aktivität in weniger entwickelten Ländern und Regionen nicht angemessen abbilden.29 Jedes Patentdokument hat eine eigene Veröffentlichungsnummer, mit der es weltweit eindeutig identifiziert werden kann. Diese eindeutige Nummer wird bei der Veröffentlichung des Patentdokuments zugewiesen. Sie besteht aus einem Ländercode, gefolgt von einer Reihe von Zahlen und dem Code für den Veröffentlichungsstatus. Patentklassifikationen werden verwendet, um den Gegenstand eines Patents nach technischen Kriterien zu kategorisieren. Patentklassifikationssysteme sind Systeme zur Einordnung von Erfindungen und ihren Dokumenten in technische Gebiete. Jedes Patent, unabhängig davon, ob es sich um eine Anmeldung oder ein erteiltes Patent handelt, wird vom Prüfer des Patentamtes mit einem Klassifikationssymbol versehen und damit einem bestimmten Gebiet der Technik zugeordnet. Die verschiedenen Patentämter verwenden unterschiedliche Systeme. Zu den wichtigsten gehören:30 • die Internationale Patentklassifikation (IPC) • die Kooperative Patentklassifikation (CPC). Das System der Internationalen Patentklassifikation ist weltweit gültig. Neben der IPC und der Kooperative Patent Classification vergeben die nationalen Patentämter in einigen Ländern auch 29 Kurtossy, S. 96 30 Espacenet: International Patent Classification (IPC) system [on-line]. 17
nationale Patentklassen, z. B. die japanischen FI- und F-Begriffe. Die Zuordnung der Patentdokumente in verschiedene Klassifikationen erleichtert das Auffinden und Abrufen der Dokumente. Bei der Durchführung von Recherchen müssen Patentprüfer, Erfinder und Unternehmen möglichst genaue Ergebnisse erzielen. Die Suche mit Schlüsselwörtern allein führt oft zu ungenauen und unvollständigen Ergebnissen, da die Sprache, in der die Patentdokumente verfasst sind, und die verwendeten Begriffe sehr komplex sind. 3.2. Europäisches Patentamt (EPA) Die umfassendsten und am häufigsten genutzten Patentdatenbanken werden vom Europäischen Patentamt, vom Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten (USPTO), von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), vom Japanischen Patentamt (JPO), von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), von Questel Orbit und von Eurostat bereitgestellt.31 Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten öffentlichen Einrichtungen in Europa. Das EPA mit Hauptsitz in München und Büros in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit bei Patenten in Europa zu stärken. Durch das zentralisierte Patenterteilungsverfahren des EPA können Erfinder in bis zu 44 Ländern einen hochwertigen Patentschutz erhalten, der einen Markt von etwa 700 Millionen Menschen abdeckt. Das EPA ist außerdem die weltweit führende Behörde für Patentinformationen und Patentrecherchen.32 „Europäische Patente des EPA werden für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Eine Erfindung kann einem beliebigen Gebiet der Technik angehören. Mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) wurde ein einheitliches europäisches Verfahren für die Erteilung von Patenten auf der Grundlage einer einzigen Anmeldung eingeführt und ein einheitliches materielles Patentrecht geschaffen, das einen einfacheren, kostengünstigeren und stärkeren Schutz für Erfindungen in den Vertragsstaaten bieten soll. Die Vertragsstaaten sind Albanien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Nordmazedonien, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, 31 Khramova, S. 7. 32 Europäisches Patentamt: Das EPA auf einen Blick [on-line]. 18
Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. Ein europäisches Patent gewährt seinem Inhaber in jedem Vertragsstaat, für den es erteilt wird, dieselben Rechte, die ihm ein in diesem Staat erteiltes, nationales Patent verleihen würde. Handelt es sich bei dem Gegenstand des Patents um ein Verfahren, erstreckt sich der Schutz auch auf Erzeugnisse, die unmittelbar durch dieses Verfahren gewonnen werden. Jede Verletzung eines europäischen Patents wird nach nationalem Recht geahndet. Die Standardlaufzeit eines europäischen Patents beträgt zwanzig Jahre ab dem Anmeldetag. Europäische Patente können auch in einigen Ländern wirksam sein, die dem EPÜ nicht beigetreten sind (Erstreckungs- und Validierungsstaaten). Zurzeit sind dies Bosnien und Herzegowina und Montenegro (Erstreckungsstaaten) sowie Marokko, die Republik Moldau, Tunesien und Kambodscha (Validierungsstaaten). Wird also Patentschutz in einem oder mehreren EPÜ-Vertragsstaaten angestrebt, hat man die Wahl zwischen dem nationalen Verfahren in jedem Staat, für den man Schutz wünscht, und dem europäischen Weg, der in einem einzigen Verfahren Schutz in allen benannten Vertragsstaaten gewährt.“33 Nach der Erteilung eines europäischen Patents folgt eine neunmonatige Frist, in der Dritte einen begründeten Einspruch einlegen können; am Ende des Einspruchsverfahrens wird das Patent entweder in der erteilten oder in der geänderten Fassung aufrechterhalten oder widerrufen. Das europäische Patenterteilungsverfahren dauert etwa zwei bis vier Jahre ab dem Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung. Es gliedert sich in zwei Hauptphasen. Die erste Phase umfasst die Prüfung der Formalitäten, die Erstellung des Rechercheberichts und die Ausarbeitung einer Stellungnahme darüber, ob die Anmeldung und die Erfindung, auf die sie sich bezieht, den Erfordernissen des EPÜ entspricht. Die zweite Phase umfasst eine inhaltliche Prüfung.34 Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Die Definition des Standes der Technik im EPÜ spiegelt den Grundsatz der absoluten Neuheit wider: Der Stand der Technik umfasst alles, was der Öffentlichkeit vor dem Anmelde- oder Prioritätstag irgendwo in der Welt durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht wurde.35 33 European Patent Guide: How to get a European patent (2019), S. 10. 34 European Patent Guide: How to get a European patent (2019), S. 14. 35 European Patent Guide: How to get a European patent (2019), S. 18. 19
3.2.1. Patstat Patstat ist eine vom EPA bereitgestellte Datenbank, die sich am besten für Studien über Technologiebereiche eignet, da sie einen vollständigen Satz von Informationen über Patente enthält. Allerdings müssen die Daten aus Patstat bereinigt und Abfragen geschrieben werden, um die Daten abzurufen. Darüber hinaus muss auch die Programmiersprache beherrscht werden. Die EPA-Datenbank besteht aus Patentanmeldungen, die beim EPA eingereicht und von diesem erteilt wurden.36 Patstat bietet bibliografische Patentdaten für mehr als 100 Patentämter, die teilweise bereits seit dem neunzehnten Jahrhundert Mitglieder des Europäischen Patentamts sind. Sie ist ein wertvolles Instrument für die Forschergemeinschaft, da sie Rohdaten enthält, die auf transparente Weise gesammelt werden, auch wenn viele Nutzer durch ihre scheinbare Komplexität abgeschreckt werden. Die Patstat-Datenbank besteht aus einer Reihe von Tabellen, die einem relationalen Datenbankschema folgen, bei dem die Tabellen über einen entsprechenden Primärschlüssel miteinander verbunden werden können. Die Tabelle über Patentanmeldungen mit der Bezeichnung tls201_appln enthält mehr als 100 Millionen Datensätze und ist das zentrale Element von Patstat, wie in Abbildung 1 dargestellt. Die anderen Tabellen enthalten Informationen zu den einzelnen Patentanmeldungen, z. B. Erfinder und Inhaber, Technologiefelder, Titel und Zusammenfassungen, Veröffentlichungsinstanzen und Zitierungen.37 SQL (Structured Query Language) ist der Industriestandard für die Abfrage und Bearbeitung von relationalen Datenbanken und ist in der IT-Welt weit verbreitet. Um Patstat abfragen zu können, müssen die Abfragefunktionen von SQL beherrscht werden. Patstat Online verwendet Microsoft SQL Server. Der SQL-Dialekt von Microsoft SQL Server wird offiziell als T-SQL oder Transact-SQL bezeichnet.38 36 Khramova, S. 7. 37 De Rassenfosse, Dernis, Boedt (2014.), S. 396. 38 European Patent Office: Using PATSTAT with SQL for beginners (2020), [on-line]. 20
Abbildung 1: Patstat Datenbankschema39 Patstat bietet den Forschern ein hohes Maß an Freiheit. So sind beispielsweise nationale Analysen möglich, indem die Herkunftsländer der Patentanmelder und Erfinder verwendet werden. Industrielle Analysen können mit Hilfe von technologischen Klassifizierungen, der Suche nach Schlüsselwörtern in Titeln und Zusammenfassungen und/oder der Suche nach Unternehmen im interessierenden Sektor durchgeführt werden. Bestimmte Unternehmen, die von Interesse sind, können durch die Suche nach diesen Firmen analysiert werden. Darüber hinaus können individuelle Analysen durchgeführt werden, indem nach Erfindern gesucht wird. Die Festlegung von Zeitfenstern ermöglicht es, historische Veränderungen in diesen Analysen zu verfolgen.40 3.2.2. NUTS Patstat ordnet alle Patentanmeldungen allen drei NUTS-Ebenen zu. Die Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik, abgekürzt NUTS (von der französischen Version „Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques“) ist eine geografische Nomenklatur, die das Wirtschaftsgebiet der Europäischen Union (EU) in Regionen auf drei verschiedenen Ebenen unterteilt, NUTS1, 2 und 3. NUTS1 steht für große sozioökonomische Regionen, NUTS2 für Basisregionen für die Anwendung der Regionalpolitik und NUTS3 für kleine Regionen für spezifische Diagnosen. In Patstat gibt es keine detaillierteren Adressdaten der 39 De Rassenfosse, Dernis, Boedt (2014.), S. 396. 40 Tarasconi, Kang (2015), S. 8. 21
Antragsteller als den NUTS3-Code. Die NUTS basiert auf der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik.41 Eurostat entwickelte Anfang der 70er Jahre die NUTS-Klassifikation mit dem Ziel, vergleichbare Gebietseinheiten in Bezug auf Fläche und Bevölkerungszahl zuzuordnen, um einheitliche Regionalstatistiken zu erheben und zu erstellen. Die NUTS-Verordnung legt Mindest- und Höchstgrenzen für die Größe der NUTS- Regionen fest: NUTS1 von 3 Mio. bis 7 Mio. Einwohner, NUTS2 von 800 000 bis 3 Mio. und NUTS3 von 150 000 bis 800 000 Mio. Einwohner. Die Unterteilungen in einigen Ebenen entsprechen nicht unbedingt den Verwaltungseinheiten innerhalb des Landes. Ein NUTS-Code beginnt mit einem zweistelligen Code, der auf das Land verweist, wie es im Interinstitutionellen Leitfaden der Europäischen Union abgekürzt ist. Die Untergliederung des Landes wird dann mit einer Zahl bezeichnet. Eine zweite oder dritte Untergliederungsebene wird jeweils mit einer weiteren Nummer bezeichnet. Jede Nummerierung beginnt mit 1, da für die oberste Ebene 0 verwendet wird. Wenn die Untergliederung mehr als neun Einheiten umfasst, wird die Nummerierung mit Großbuchstaben fortgesetzt. Unterhalb der drei NUTS-Ebenen liegen die lokalen Verwaltungseinheiten.42 Für Österreich wurde die Ebene NUTS1 in drei Einheiten unterteilt: OST-Österreich (Burgenland, Niederösterreich, Wien), SÜD-Österreich (Kärnten und Steiermark) und WEST- Österreich (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg). Die Ebene NUTS2 umfasst die Bundesländer. Die 35 Einheiten der Ebene NUTS3 (siehe Abbildung 2) bestehen aus fusionierten Gemeinden. Jede Gemeinde ist genau einer NUTS Einheit zugeordnet. Wien bildet eine eigene NUTS3 Einheit.43 41 Eurostat: Nomenclature of territorial units for statistics [on-line]. 42 Acervo: Nomenclature of Territorial Units for Statistical Purposes [on-line]. 43 Statistics Austria: NUTS units [on-line]. 22
Abbildung 2: NUTS3 Einheiten in Österreich44 3.3. Internationale Patentklassifikation Patente werden nach der von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WPO) veröffentlichten Internationalen Patentklassifikation (IPC) in eine hierarchische Klassifikation mit mehreren Untergliederungsebenen eingeteilt, die sich in erster Linie auf die technischen Merkmale der Erfindung beziehen.45 Seit 1975 werden alle Dokumente nach den Technologiebereichen der IPC klassifiziert. Die IPC ist ein wirksames Suchinstrument zum Auffinden von Patentdokumenten, unabhängig von ihrer Sprache.46 Die IPC umfasst derzeit acht Sektionen mit rund 70 000 Unterteilungen. Jede dieser Sektionen besteht aus einem Buchstaben und einem Titel:47 • A Täglicher Lebensbedarf • B Arbeitsverfahren; Transportieren • C Chemie; Metallurgie 44 Statistics Austria: NUTS units [on-line]. 45 Van Zeebroeck, Van Pottelsberghe De La Potterie, Han (2006), S. 483. 46 Deutsches Patent- und Markenamt: IPC – classification for technical industrial property rights [on-line]. 47 Deutsches Patent- und Markenamt: IPC and DEKLA [on-line]. 23
• D Textilien; Papier • E Hoch- und Tiefbau; Erdbohren; Bergbau • F Maschinenbau; Beleuchtung; Heizung; Waffen; Sprengen • G Physik • H Elektrizität Das folgende Beispiel von Inline-Skates veranschaulicht die systematische und hierarchische Struktur der IPC: Ebene Symbol Beschreibung Abschnitt A Täglicher Lebensbedarf Klasse A63 Sport; Spiele; Vergnügungen Unterklasse A63C Schlittschuhe; Skier Rollerskates Gruppe A63C17 Rollschuhe; Skateboards Untergruppe A63C17/04 Mit Rädern, die anders als in zwei Paaren angeordnet sind Tabelle 1: IPC-Struktur In den vorliegenden Masterarbeit wird die Verteilung der Patentdokumente nach Technologiebereichen gemäß der Technologie-Konkordanztabelle vorgenommen, die die IPC- Symbole mit 35 Technologiebereichen verbindet, darunter Computertechnologie, digitale Kommunikation, Pharmazeutika, Biotechnologie, Nanotechnologie und andere. 3.4. Technologie-Konkordanztabelle Patente werden zu administrativen Zwecken unter Verwendung des Internationalen Patentklassifikationssystems (IPC), das Erfindungen nach Produkten oder Verfahren kategorisiert, erfasst. Üblicherweise interessieren sich die meisten Wirtschaftsforscher und -analysten auch für die einzelnen Sektoren der Wirtschaft, die für die Erfindung oder ihre spätere Nutzung verantwortlich sind. Wirtschaftswissenschaftler und politische Entscheidungsträger sind insbesondere an den Wirtschaftssektoren der Patente interessiert, um Trends im Zeitverlauf und zwischen den Sektoren zu analysieren. Wirtschaftliche Daten (wie 24
Handel, Produktivität, Wertschöpfung, Investitionen usw.) sowie Daten über F&E sind auf Branchenebene verfügbar, während die Verfügbarkeit von Patentdaten auf Branchenebene begrenzt ist. Um Patentdaten auf Branschenebene zu klassifizieren hat die Weltorganisation für geistiges Eigentum auf der Grundlage der Codes der Internationalen Patentklassifikation (IPC) eine systematische Technologieklassifikation geschaffen.48 Diese Konkordanztabelle erfüllt die folgenden allgemeinen Anforderungen:49 • alle Technologiefelder sollten abgedeckt werden, d. h. alle Codes der Internationalen Patentklassifikation; • die Größe der Felder sollte ausgewogen sein, d. h. sehr große Felder und sehr kleine Felder, gemessen an der Anzahl der Patentanmeldungen, sollten vermieden werden; • die Klassifizierung sollte ausschließlich auf den Codes der IPC beruhen, denn viele Datenquellen liefern keine nützlichen Textelemente für weitergehende Analysen; Einzelpersonen und Institutionen ohne detaillierte Kenntnisse der Datenbanksuche sollten jedoch in der Lage sein, die Klassifizierung zu nutzen; • der Inhalt der Felder sollte sich deutlich voneinander unterscheiden; • der Grad der Differenzierung sollte angemessen sein. Einerseits sollte die Klassifizierung eine grobe Analyse auf der Grundlage von etwa fünf Gruppen ermöglichen, andererseits sollte eine detailliertere Analyse mit etwa 20 Feldern machbar sein. Diese detailliertere Ebene ist für eine bessere Analyse der Länderstrukturen notwendig. Die Anzahl der Klassen sollte jedoch unter 40 Feldern liegen, da bei zu vielen Details die Gefahr besteht, allgemeine Strukturen zu verwischen. Der Inhalt der 35 Felder und die Gründe für ihre spezifische Definition werden im Folgenden erläutert:50 1. Elektrische Maschinen, Apparate, Energie: Das Gebiet umfasst in erster Linie den nicht elektronischen Teil der Elektrotechnik, z. B. die Erzeugung, Umwandlung und Verteilung von elektrischer Energie, elektrische Maschinen, aber auch grundlegende elektrische Elemente wie Widerstände, Magnete, Kondensatoren, Lampen oder Kabel. Dieser Bereich wird oft mit der „traditionellen" Elektrotechnik in Verbindung gebracht. Die hohe Patentaktivität zeigt aber, dass technologische Innovation in diesem Bereich immer noch sehr wichtig ist. 48 Schmoch, S. 2. 49 Schmoch, S. 3. 50 Schmoch, S. 4. 25
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